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Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie

Nichts ist seltner als eine schöne Komödie. Das komische Genie ist nicht mehr frei, es schämt sich seiner Fröhlichkeit und fürchtet, durch seine Kraft zu beleidigen. Es erzeugt daher kein vollständiges und reines Werk aus sich selbst, sondern begnügt sich, ernsthafte dramatische Handlungen aus dem häuslichen Leben mit seinen Reizen zu schmücken. Aber damit hört die eigentliche Komödie auf; komische Energie wird unvermeidlich durch tragische Energie ersetzt: und es entsteht eine neue Gattung, eine Mischung des komischen und des tragischen Drama, welche sich gewöhnlich mit bescheidnem Stolz den ersten Platz über beide anmaßt. Was ihre Ansprüche gelten, ist eine andre Frage; aber die Natur des Komischen kann man nur in der unvermischten reinen Gattung kennenlernen: und nichts entspricht so ganz dem Ideal des reinen Komischen als die alte griechische Komödie. Sie ist eins der wichtigsten Dokumente für die Theorie der Kunst; denn in der ganzen Geschichte der Kunst sind ihre Schönheiten einzig und vielleicht eben deswegen allgemein verkannt. Es ist schwer, nicht ungerecht gegen sie zu sein; sie nur zu verstehen erfordert eine vollendete Kenntnis der Griechen; und mit unbestechlicher Strenge ihre wirklichen Vergehungen von dem abzusondern, was nur uns beleidigt, erfordert einen Geschmack, der, über alle fremde Einflüsse erhaben, auf das Schöne allein gerichtet ist.

Die Griechen hielten die Freude für heilig, wie die Lebenskraft; nach ihrem Glauben liebten auch die Götter den Scherz. Ihre Komödie ist ein Rausch der Fröhlichkeit und zugleich ein Erguß heiliger Begeisterung: ursprünglich nichts anders als eine öffentliche religiöse Handlung, ein Teil von dem Feste des Bacchus, welcher Gott ein Bild der Lebenskraft und des Genusses war. Diese Vermählung des Leichtesten mit dem Höchsten, des Fröhlichen mit dem Göttlichen enthält eine große Wahrheit. Die Freude ist an sich gut, auch die sinnlichste enthält einen unmittelbaren Genuß höhern menschlichen Daseins. Sie ist der eigentümliche, natürliche und ursprüngliche Zustand der höhern Natur des Menschen; der Schmerz erreicht ihn nur durch den geringeren Teil seines Wesens. Rein-sittlicher Schmerz ist nichts als entbehrte Freude und rein-sinnliche Freude nichts als gestillter Schmerz; denn der Grund des tierischen Daseins ist Schmerz. Aber beides sind nur Begriffe; in der Wirklichkeit bilden beide heterogene Naturen in durchgängiger Gemeinschaft ein Ganzes – den Menschen, verschmelzen in einen Trieb – den menschlichen; der Schmerz wird sittlich, und die Freude wird sinnlich.

Weil reine menschliche Kraft sich in Freude äußert, so ist sie ein Symbol des Guten, eine Schönheit der Natur. Sie verkündigt nicht bloß Leben, sondern auch Seele. Leben und unbeschränkte Freude bedeuten Liebe. Denn alles Leben deutet auf seine Wurzel und auf die Frucht seiner Vollendung; und der höchste Moment der Lebenskraft ist seine Verdoppelung, der Genuß eines homogenen Lebens. Leben und Geist aber sind im Menschen unzertrennlich, und die Bande des Lebens vereinigen die Geister. Nur der Schmerz trennt und vereinzelt; in der Freude verlieren sich alle Grenzen. Mit der Hoffnung ungehinderter Vereinigung scheint die letzte Hülle der Tierheit zu verschwinden; der Mensch errät den völligen Genuß, nach welchem er nur streben kann, ohne ihn zu besitzen. Es gibt für jedes empfindende Wesen eine Freude, welche keinen Zusatz zu leiden scheint, weil sie keine Grenzen hat als die beschränkte Empfänglichkeit des Subjekts. In dem Höchsten, was er fassen kann, erscheint dem Menschen das Unbedingt-Höchste; seine höchste Freude ist ihm ein Bild von dem Genusse des unendlichen Wesens. – Der Schmerz kann ein höchst wirksames Medium des Schönen sein; aber die Freude ist schon an sich schön. Schöne Freude ist der höchste Gegenstand der schönen Kunst.

Die Poesie kann diese Freude auf zweierlei Art behandeln; sie ist entweder Äußerung eines schönen Zustandes im Subjekte, in der lyrischen Darstellung, oder sie ist eine vollendete selbständige Nachahmung in der dramatischen Darstellung. Schöne lyrische Freude muß edel und natürlich sein: die Äußerung einer unedlen Freude würde häßlich, die einer erkünstelten würde unwirksam sein. Was wäre eine Freude, die nicht von selbst schön wäre, sondern, wie einem Gesetze, der Schönheit aus Pflicht gehorchte? Sie darf sich nicht einmal selbst zwingen; fremder Zwang aber vernichtet sie unvermeidlich. Schöne Freude muß frei sein, unbedingt frei. Auch die kleinste Beschränkung raubt der Freude ihre hohe Bedeutung und damit ihre Schönheit; Zwang der Freude ist immer häßlich, ein Bild der Vernichtung und der Schlechtheit. Eine bloße Äußerung des Gefühls, die lyrische Darstellung der Freude, kommt nicht so leicht in Gefahr, ihre äußre Freiheit zu verlieren – desto mehr die dramatische. Sie nimmt den Stoff zu ihren Schöpfungen aus der Wirklichkeit, ihre Bestimmung ist eine öffentliche laute Darstellung des Lächerlichen, und ihre Freiheit ist dem Laster, der Torheit, dem geheiligten Irrtume fürchterlich. Aber eben dadurch wird sie einer neuen hohen Bedeutung, einer neuen Schönheit fähig; wenn die Freude, wo wir Schranken erwarteten, uns mit Freiheit überrascht, so wird sie das schönste Symbol der bürgerlichen Freiheit.

Überhaupt wird Freiheit durch das Hinwegnehmen aller Schranken dargestellt. Eine Person also, die sich bloß durch ihren eignen Willen bestimmt und die es offenbar macht, daß sie weder innern noch äußern Schranken unterworfen ist, stellt die vollkommne innre und äußre persönliche Freiheit dar. Dadurch, daß sie im frohen Genusse ihrer selbst nur aus reiner Willkür und Laune handelt, absichtlich ohne Grund oder wider Gründe, wird die innre Freiheit sichtbar; die äußre in dem Mutwillen, mit dem sie äußre Schranken verletzt, während das Gesetz großmütig seinem Rechte entsagt. So stellten sich die Römer in den Saturnalien die Freiheit dar; ein ähnlicher Gedanke lag vielleicht bei dem Karneval zum Grunde. Daß die Verletzung der Schranken nur scheinbar sei, nichts wirklich Schlechtes und Häßliches enthalte und dennoch die Freiheit unbedingt sei: das ist die eigentliche Aufgabe einer jeden solchen Darstellung und also auch der alten griechischen Komödie.

Eine solche grenzenlose Freiheit genoß sie zu Athen. Schon ihr religiöser Ursprung erzog und bildete die komische Muse zur Freiheit, der Dichter und sein Chor waren heilige Personen: aus ihnen redete der Gott der Freude, und unter diesem Schutze waren sie unverletzlich. Aber bald ward aus einem religiösen Institut auch ein politisches, aus dem Feste eine öffentliche Angelegenheit, aus der Unverletzlichkeit des Priesters eine symbolische Darstellung der bürgerlichen Freiheit. Der Chor besonders deutete auf das athenische Volk, welches in der Schönheit eines Spiels seine eigne Heiligkeit erblickte. Unter dem Deckmantel der Religion und der Politik erschlich sich die Kunst das, worauf sie ein ewiges Recht hat und was ihr der unglückliche Scharfsinn der Menschen raubte – unbeschränkte Autonomie. Wie die Wahrheit und die Tugend ist die Schönheit ein echtes erstgebornes Kind der menschlichen Natur und hat mit jenen ein gleiches, vollgültiges Recht, niemand zu gehorchen als sich selbst. Die Poesie kommt leichter in Gefahr, dies Recht zu verlieren, als andre Künste; am meisten die komische Muse, welche nur bei einem Volke, und bei diesem einen Volke nur eine kurze Zeit, frei war. – Wenn irgend etwas in menschlichen Werken göttlich genannt werden darf, so ist es die schöne Fröhlichkeit und die erhabne Freiheit in den Werken des Aristophanes. Aber was die Schönheit der alten griechischen Komödie möglich machte, veranlaßte und erzeugte auch ihre Fehler, welche den Verlust ihrer Freiheit und ihrer Schönheit nach sich zogen.

Daß die Freude frei und in ihrer Natürlichkeit schön sei, setzt eine Bildung des Menschen durch Freiheit und Natur voraus, wo alle seine Kräfte ihrem freien Spiel und ihrer eignen Entwicklung ungehemmt überlassen sind. Dann wird der Mensch, seine Bildung und seine Geschichte ein gemeinschaftliches Resultat seiner beiden heterogenen Naturen; beide sind in unzertrennlicher Gemeinschaft, die Tugend ist reizend und die Sinnlichkeit schön. Aber freie menschliche Bildung findet in sich selbst ihr Ende, weil früher oder später die Sinnlichkeit das Übergewicht gewinnen muß. Wie alle reine Produkte des freien menschlichen Triebes, kann auch die freie Komödie höchstens nur einen Moment vollkommner Schönheit haben; nachher wird aus Freude Ausschweifung, aus Freiheit zügelloser Frevel. Allein auch diesen Moment hat die griechische Komödie nicht erreicht; dazu hätten zwei Zeitpunkte zusammentreffen müssen: der, wo die Sitten noch nicht verderbt, und der, wo der komische Geschmack und die komische Kunst schon völlig gebildet waren. Es ging aber zu Athen gerade umgekehrt; die Sitten waren schon sehr verderbt und der komische Geschmack noch roh. Der Künstler Aristophanes schließt sich an die Geschichte vom Anfange der Kunst, der Mensch Aristophanes findet seinen Platz in der Geschichte vom Verfalle. Dies ist aus zwei Gründen sehr begreiflich; die komische Kunst bildet sich später als die tragische, und das Publikum der Komödie verdirbt früher. Weil sie mehr die Empfänglichkeit beschäftigt als die Selbsttätigkeit in Anspruch nimmt und weil sie in Athen nicht die gebildetere Erziehung voraussetzte wie die Tragödie, so war ihr Publikum schlechter als das tragische, wie die öffentliche Meinung der Alten und die Lehren der Philosophen ausdrücklich bestätigen. Die Tragödie spannt und erhebt ihr Publikum, hält also das Verderben des Geschmacks so lange als möglich ab. Die Komödie hingegen verführt ihr Publikum, beschleunigt das Verderben des Geschmacks. Denn die Freude ist überhaupt etwas Verführerisches; sie macht leicht die Kraft nachlässig, die Sinnlichkeit berauscht und überwiegend. Die komische Kunst der Griechen ward später gebildet als die tragische: diese fand ihren Stoff in den epischen und lyrischen Dichtern schon höchst gebildet und poetisiert; jene mußte einen ganz neuen Stoff erst zur Poesie erheben, das wirkliche gesellige Leben, welches sich selbst sehr spät ausbildete, nach ihrem Ideal poetisieren. Überhaupt scheint das tragische Genie früher rege zu werden als das komische; das erste erfordert nur die großen Hauptmassen und Grundzüge der menschlichen Bildung und des menschlichen Schicksals; zu dem letztern muß der menschliche Geist und das menschliche Leben, wenn ich mich so ausdrücken darf, schon bis in die kleinsten Details ausgeführt sein.

Aus der Natur des freien Komischen überhaupt und aus dem Ursprunge und Charakter der alten griechischen Komödie erklären sich sehr leicht ihre vorzüglichen Fehler: Rohigkeit, ehe der öffentliche Geschmack gebildet; Verderbtheit, nachdem die öffentliche Sittlichkeit schon entartet war. Beides findet sich im Aristophanes; aber es ist weit weniger zu befürchten, daß wir uns an seinen Fehlern, welche unsre Sitten noch weit mehr beleidigen als die Gesetze der Kunst, den Geschmack verderben, als daß wir seine einzigen und göttlichen Schönheiten über jene verkennen möchten.

Nichts verdient Tadel in einem Kunstwerke als Vergehungen wider die Schönheit und wider die Darstellung: das Häßliche und das Fehlerhafte. Was nur konventionellen Begriffen und Forderungen gewisser Stände, Nationen und Zeitalter widerspricht, ist darum nicht schlechthin verwerflich. Wir insbesondre müssen unsre ästhetischen Vorurteile in diesem Punkte vergessen; wir müssen uns erinnern, daß die schöne Kunst mehr ist als die Geschicklichkeit, einer verzärtelten Sinnlichkeit zu schmeicheln; wir müssen aufhören, eine Beleidigung der physischen Delikatesse für strafbarer zu halten als eine Verletzung der Schönheit und der Kunst. Gewiß ist diese übertriebne physische Reizbarkeit der Kunst weit nachteiliger als Rohigkeit; diese erzeugt nur einzelne Fehler, jene macht aller Kunst ein Ende und würdigt sie zu einem Kitzel der Sinnlichkeit herab. Es ist uns anstößig, daß die griechische Komödie zu dem Volke in seiner Sprache redet; wir verlangen, daß die Kunst vornehm sei. Aber die Freude und die Schönheit ist kein Privilegium der Gelehrten, der Adligen und der Reichen; sie ist ein heiliges Eigentum der Menschheit. Die Griechen ehrten das Volk; und es ist nicht die kleinste Vortrefflichkeit der griechischen Muse, daß sie auch dem ungebildeten Verstande, dem gemeinen Manne die höchste Schönheit verständlich zu machen wußte. Freilich übertraf auch der gemeine Mann zu Athen, nicht bloß an natürlichem Geist und geselliger Bildung, sondern noch weit mehr an Freiheit und Energie des sittlichen Gefühls, alle seinesgleichen. Das beweist uns unter andern eben der Aristophanes, welcher uns oft so deutlich überführt, daß es auch zu Athen Pöbel gab. Das Komische richtet sich, weit mehr als das Tragische, nach dem Grade der Reizbarkeit und der Fassungskraft seines Publikums; und diese hängen wieder von dem Maße der geselligen Ausbildung und aller Seelenkräfte ab: daher der Unterschied unter dem niedern und edlen Komischen. Um eine nicht so reizbare Empfänglichkeit zu beleben, werden stärkere Reize, heftigere Erschütterungen erfordert; die Widersprüche und Kontraste, überhaupt die Verhältnisse, welche der ungebildete Verstand fassen soll, müssen gröber und faßlicher sein. Wie wandelbar überhaupt diese Verhältnisse sind, erläutert das Beispiel der Kinder, der Wilden, des gemeinen Mannes. Der rohere Mensch ist gegen das Widrige, welches das Komische oft enthält, nicht so empfindlich: ihn kann auch wohl das Komische eines leidenden oder schlechten Gegenstandes ergötzen. Es ist die eigentliche Aufgabe der Komödie, das Unvollkommne, welches allein der Freude dramatische Energie verleihen kann, soviel als möglich zu entfernen, zu vergüten oder zu mildern, ohne jedoch die Energie zu vernichten oder den Mangel der komischen durch tragische Energie zu ersetzen – eine Forderung, die noch nie ganz befriedigt ist. An Energie fehlt es der komischen Kunst im Anfange nicht, aber sie ist beleidigend: von dem einen wesentlichen Element des Komischen, dem Unvollkommnen und Unangenehmen, enthält sie weit mehr, und doch nicht mehr von dem andern, der Freude. Für ihr roheres Publikum muß freilich das Schöne in ihrem Werke über das Häßliche das Übergewicht haben, sonst könnte es ihm nicht gefallen. Aber wenn der öffentliche Geschmack sich bildet, wenn der Verstand und die Reizbarkeit des Publikums sich verfeinern, so wird es die Werke, die es ehedem schön fand, beleidigend finden. – Die Rohigkeit, welche oft auch unsittlich ist, muß man sich hüten mit der ästhetischen Unsittlichkeit zu verwechseln: diese ist nichts als Mangel an Harmonie, Zügellosigkeit der einzelnen Kräfte aus Übergewicht der Sinnlichkeit.

Man darf nicht glauben, daß die griechische Komödie dadurch, daß sie, wie ich vorhin erwähnte, die Sprache ihres Publikums redete, ihre Objektivität verloren habe und zu einer individuellen Geschicklichkeit herabgesunken sei. Überhaupt widersprechen sich vollkommne Allgemeingültigkeit und höchste Individualität der Kunst nicht: sie muß beide vereinigen. Als Organ der Natur und der Schönheit hat sie kein andres Publikum als die Menschheit; mag ihr sichtbares Publikum noch so bestimmt und beschränkt sein, sie hat es in ihm nur mit dem Menschlichen, mit dem Unveränderlichen zu tun. Aber die Materie, die Sprache der Kunst, kann nicht zu individuell sein, weil sie dadurch immer an Verständlichkeit und Energie gewinnt: die komische Muse insbesondre kann ihre Schöpfungen nur in das Detail eines wirklichen Lebens bilden; der Grund ihrer Gemälde, der Schauplatz, auf dem ihre Personen handeln sollen, muß Wirklichkeit, höchste Individualität sein.

Noch ein andrer Fehler des Aristophanes, nicht wider die Schönheit, sondern wider [die] Reinheit der Kunst, erklärt sich ganz natürlich aus den politischen Verhältnissen der griechischen Komödie. Bis die Rechte der Kunst vielleicht bei einem spätern Geschlechte einmal freiwillig anerkannt werden, kann der Komödie die Freiheit nur durch ein Institut gesichert werden. So war es bei den Griechen; aber noch ehe sie sich aus ihrem fremdartigen Ursprunge zu reiner Poesie entwickelte und völlig bildete, entartete sie schon in persönliche und politische Nebenabsichten. Die Satire des Aristophanes ist sehr oft nicht poetisch, sondern persönlich und ebenso demagogisch als die Art, mit der er den Wünschen und den Meinungen des Volks schmeichelt. – Zügellosigkeit hat zur natürlichen Folge Erschlaffung, Mißbrauch der Freiheit den Verlust derselben. Nach diesem, welcher sehr bald erfolgte, war der griechischen Komödie noch weit weniger möglich, was sie selbst während ihrer schönsten Blüte und freisten Regsamkeit nicht erreicht hat – das höchste komische Schöne. Hätte die griechische Kunst es auch erreicht, so hätte sie es nicht bewahren können, hätte es bald verlieren müssen, wie das höchste Schöne im Tragischen, welches sie wirklich erreicht hat. Denn sie war ein Produkt des freien Genies; und im freien Laufe der sich selbst überlaßnen menschlichen Natur ist die Vollkommenheit nur ein Moment. Wenn aber nicht freie Natur, sondern Absicht das Prinzip der menschlichen Bildung ist, wie unter uns, so wird ganz natürlich der Anfang damit gemacht, den Menschen zu zerspalten, seine höhere Natur zu isolieren. Die Sinnlichkeit ist alsdann im Stande der Unterdrückung oder der Empörung; das Natürliche ist ohne Bildung nicht schön, die Freude darf nicht frei sein.

In andern Kunstwerken ist das Genie von seiner äußern Lage unabhängig: seine innere Freiheit kann ihm niemand rauben. Aber das komische Genie verlangt auch äußre Freiheit, kann ohne diese sich nur bis zur Grazie, nie bis zum höchsten Schönen erheben. Sie wird es erreichen, wenn die Absicht vielleicht in einer späten Zukunft ihr Geschäft vollendet und mit Natur endigt, wenn aus Gesetzmäßigkeit Freiheit wird, wenn die Würde und die Freiheit der Kunst ohne Schutz sicher, wenn jede Kraft des Menschen frei und jeder Mißbrauch der Freiheit unmöglich sein wird. Alsdann würde auch die reine Freude, ohne den Zusatz des Schlechten, welcher itzt dem Komischen notwendig ist, an sich genug dramatische Energie haben; die Komödie würde das vollkommenste aller poetischen Kunstwerke sein, oder vielmehr an die Stelle des Komischen würde das Entzückende treten und, wenn es einmal vorhanden wäre, ewig beharren. Die Poesie kann dies gemeinschaftliche Ziel nicht allein erreichen, aber sie kann ohne fremde Hilfe sich ihrem Ideal nähern. Das Schauspiel muß soviel als möglich mit der dramatischen Vollkommenheit die alte Fröhlichkeit vereinigen, zur Natürlichkeit zurückkehren und sich der Freiheit nähern. Wenn auf einem solchen Wege nur einige Schritte getan sind, so läßt sich alles hoffen; und auf diesem Wege gibt es keinen bessern Wegweiser, kein vollkommneres Vorbild als die alte griechische Komödie. Sie ist ein unübertreffliches Muster schöner Fröhlichkeit, erhabener Freiheit und komischer Kraft, bei allen Fehlern.

Aber noch außer denen, die ich schon entwickelt habe, wirft man dem Aristophanes vor: seine Stücke seien ohne dramatischen Zusammenhang und Einheit, seine Darstellungen [bis zur äußersten] Karikatur [übertrieben] und unwahr, er unterbreche oft die Täuschung. – Der letzte Tadel ist nicht ohne allen Grund: nicht bloß in dem politischen Intermezzo, der Parekbase, wo der Chor mit dem Volke redete, sondern auch außerdem kommen in häufigen Anspielungen der Dichter und das Publikum zum Vorschein. Der Anlaß liegt in den politischen Verhältnissen der Komödie, aber eine Art von Rechtfertigung scheint mir auch in der Natur der komischen Begeisterung zu liegen. Diese Verletzung ist nicht Ungeschicklichkeit, sondern besonnener Mutwille, überschäumende Lebensfülle und tut oft gar keine üble Wirkung, erhöht sie vielmehr, denn vernichten kann sie die Täuschung doch nicht. Die höchste Regsamkeit des Lebens muß wirken, muß zerstören; findet sie nichts außer sich, so wendet sie sich zurück auf einen geliebten Gegenstand, auf sich selbst, ihr eigen Werk; sie verletzt dann, um zu reizen, ohne zu zerstören. Dieser charakteristische Zug des Lebens und der Freude wird in der Komödie noch überdem bedeutend durch die Beziehung auf die Freiheit.

Dramatische Vollständigkeit ist in der reinen Komödie, deren Bestimmung öffentliche Darstellung und deren Prinzip der öffentliche Geschmack ist, nicht möglich; wenigstens so lange nicht möglich, bis sich das Verhältnis der Empfänglichkeit zur Selbsttätigkeit im Menschen ganz ändert, bis reine Freude, ohne allen Zusatz von Schmerz, hinreicht, seinen Trieb aufs höchste zu spannen. Bis dahin wird die komische Kunst, um die Energie zu erreichen, ohne welche alle dramatische Darstellung unnatürlich und unwirksam ist, das Schlechte und den Schmerz zu Hülfe nehmen müssen: bis dahin bleibt also auch die Erbsünde der komischen Energie die notwendige Lust am Schlechten. Die reine Lust ist selten lächerlich, aber das Lächerliche (sehr oft nichts anders als die Lust am Schlechten) ist weit wirksamer und lebendiger. Die eigentliche Aufgabe der Komödie ist: mit dem kleinsten Schmerz das höchste Leben zu bewirken; ihr bestes Mittel dazu ist die Stellung, z. B. in einer überraschenden Plötzlichkeit der Kontraste. Ohne Nachteil der Energie hat sie noch nicht allen Zusatz des Häßlichen entbehren können, wie denn auch, nach der Meinung fast aller. Philosophen, Unvollkommenheit ein wesentliches Ingredienz des Lächerlichen in der Natur ist, welchem das Komische in der Kunst entspricht. Geistige Freude ist rein und ruhig; eine Freude aber, die so heftig, unruhig, vermischt ist wie die, welche das Komische bewirkt, ist höchst sinnlich. Sie erzeugt einen Rausch des Lebens, welcher den Geist mit sich fortreißt; und Schönheiten, welche die Selbsttätigkeit zu sehr in Anspruch nehmen, gehen verloren. Die vollkommne Kausalverknüpfung, die innere dramatische Notwendigkeit und Vollständigkeit sind viel zu schwerfällig für einen leichten, zerstreuenden Rausch; und der Genuß der Harmonie erfordert Besonnenheit, Beisammensein der ganzen Seele. Vollkommne tragische Ganze, oder auch wohl epische und philosophische Ganze im dramatischen Gewände, welche mit allen Reizen des Komischen geschmückt sind, sind gar nicht selten; aber ich zweifle, daß sich ein vollkommnes dramatisches Kunstwerk findet, in welchem die Einheit des Ganzen poetisch, und zwar nicht tragisch, sondern rein komisch wäre.

Nachdem die griechische Komödie nicht mehr frei, die komische Kraft des Genies erloschen (wäre sie noch vorhanden gewesen, so würde sie nur den zärtlicheren Geschmack beleidigt haben), aus Sittenlosigkeit Erschlaffung entstanden war, nachdem ferner die dramatische Kunst, die Sprache der Poesie, der Philosophie und des geselligen Lebens, auch das gesellige Leben selbst den höchsten Grad der Ausbildung erreicht hatte, da entstand die neuere griechische Komödie. Sie hatte die Schönheiten, welche die Komödie ohne Freiheit und ohne komische Kraft haben kann: Grazie im Stil, Humanität in den Charakteren, Anmut der Diktion und Feinheit des Dialogs. Der Mangel der komischen Energie ward (wie es überhaupt unvermeidlich geschieht) durch tragische Energie ersetzt; die Tragödie war auch verfallen, und die neue Mischung mußte beide ersetzen. Von der Tragödie entlehnte sie: die sanfte Wärme der Leidenschaft, welche sich oft dem tragischen Ernst nähert, und den eigentümlichen Zauber der dramatischen Kunst, das Interesse durch die leichte Entwicklung einer schön geordneten, vollständigen Handlung zu spannen. Der Ausbildung und Verschönerung dieser neuen Gattung war vieles sehr günstig: die attische Urbanität und Diktion, die Vorbilder der alten Komödie und Tragödie, die Reminiszenzen der ehemaligen Freiheit; aber auf der andern Seite setzte der öffentliche Geschmack, welcher schon sehr verderbt war, der Kunst enge Grenzen. Er war nur noch für Grazie und Eleganz empfänglich. Bei einem Volke, wo der öffentliche Geschmack noch nicht so erschlafft ist oder wo er überhaupt die Kunst nicht leitet, kann das Genie im gemischten Drama sich ohne Zweifel weit höher schwingen. Im Stoff der neuern griechischen Komödie herrscht nicht weniger Monotonie als im Ideal. Die moralische Grazie des Menander war das Höchste, was der öffentliche Geschmack noch zu fassen fähig war. Aber dieser Dichter liebte die Philosophie und war eine Ausnahme; seine Zeitgenossen selbst zogen ihm ja andre Dichter vor, in welchen sie ihre eigne erschlaffte Sinnlichkeit im anmutigsten Gewande wiederfanden.

Die Natur dieser Mischung der Tragödie und der Komödie selbst zu untersuchen, sie mit den Gesetzen der Schönheit und der Kunst zu vergleichen und die Frage zu entscheiden, ob die Reinheit des Tragischen und des Komischen eine Bedingung ihrer Vollkommenheit ist oder nicht: das ist eine rein theoretische Aufgabe und liegt außer den Grenzen dieses Aufsatzes.


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