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siehe Bildunterschrift

1. Portrait: Schiller. Titelbild.
Originalzeichnung von G. Schlick. Gestochen von Sichling.

Vorrede.

Es ist ein Lieblingswunsch meiner Jugend gewesen, die Lebensgeschichte des großen Mannes zu schreiben, welcher als ein Leitstern stätig ob den Wirrsalen meines Daseins geleuchtet hat. Ich wurde frühe gewöhnt, mit Ehrfurcht und Liebe zu demselben aufzublicken. In meinem väterlichen Hause gab es ein hochgeschätztes braungebundenes Buch, eine der ersten Ausgaben von Schiller's Gedichtsammlung, und oft sah ich dasselbe zur Feierabendzeit in den Händen meiner theuren Mutter, in Händen, welche tagüber unermüdlich mit der Sichel, dem Nähzeug oder Spinnrad sich abgemüht hatten. Noch steht mir die Stunde frisch im Gedächtniß, wo ich am Abend eines Sommersonntags mit der Unvergeßlichen unter dem alten Apfelbaum vor dem Hause saß, während die Sonne rothglühend hinter dem Scheitel des Hohenstaufens hinabsank. Da las sie dem von schwerer Krankheit genesenden Knaben die schöne, ihren frommen Sinn besonders anmuthende Romanze vom Grafen von Habsburg vor und erklärte mir das Gedicht, so gut sie, die einfache Dörflerin, es vermochte. Das war meine erste Bekanntschaft mit dem großen Dichter und der damals empfangene tiefe Eindruck ist geblieben.

Die dunkle Ahnung des Knaben von Schiller's Größe wurde in dem Jüngling zu begeisterter Vorliebe, welche mich schon in Studentenjahren nach Materialien zu einer Biographie des Dichters umschauen machte. Aber mancherlei innerliche und äußerliche Umstände, deren Erwähnung nicht hieher gehört, ließen erst den gerechteren Mann, welcher die ganze Bedeutung Schiller's für Gegenwart und Zukunft verstehen gelernt hatte, zur Ausführung eines langgehegten Vorhabens kommen. Zwar konnte der Versuch überflüssig erscheinen, nachdem Karoline von Wolzogen, Gustav Schwab und der Schotte Carlyle ihre Lebensbeschreibungen des Dichters veröffentlicht hatten und nachdem vollends das bekannte umfangreiche – nachmals in der kleineren Ausgabe durch Heinrich Viehoff mannigfach berichtigte – Buch von Karl Hoffmeister erschienen war. Allein die Betrachtung, daß, unbeschadet der großen Verdienste, welche den genannten Biographieen Schiller's jeder in ihrer Art zuerkannt werden müssen, eine wirkliche und wahrhafte Lebensgeschichte des Dichters erst möglich geworden, nachdem der Schiller-Körner'sche Briefwechsel (1847), sowie die vervollständigte Ausgabe des Schiller-Göthe'schen (1856) und das einzig-schöne Buch »Schiller und Lotte« (1856), worin Schiller's Tochter, Freifrau Emilie von Gleichen-Rußwurm, die Korrespondenz ihres Vaters mit den Schwestern von Lengefeld großsinnig in der ursprünglichen Form mittheilte, erschienen waren, – diese Betrachtung ließ mich mit neuem Muth einen alten Plan wieder aufnehmen. Auch anderweitig war die Quellensammlung zu einer Biographie Schiller's inzwischen wesentlich bereichert worden. So, beispielsweise zu reden, durch das fleißige documentarische von Maltzahn herausgegebene Buch des zu frühe hingegangenen Boas über Schiller's Jugendjahre, durch den »Literarischen Nachlaß« Karoline's von Wolzogen, die Memoiren Ludwig's von Wolzogen, die Erinnerungen der Henriette Herz und eine ganze Reihe von gedruckten Briefsammlungen aus der classischen Zeit unserer Literatur. Weiter will ich mich über den literarischen Apparat meines Unternehmens hier um so weniger auslassen als die »Belege und Erläuterungen«, auf welche im Texte fortwährend verwiesen ist, die benützten Quellen und Hülfsmittel überall gewissenhaft nachweisen. Tiefer eindringenden Lesern dürfte dieser Anhang zu meiner Schrift manchen nicht unwillkommenen Wink geben.

Nach vieljähriger, oft unterbrochener und wieder angeknüpfter Vorbereitung an die Arbeit gegangen, theilte ich beim Herannahen der Säcularfeier von Schiller's Geburt meinem Freund und Verleger mit, es sei dies wohl der passendste Zeitpunkt für das Erscheinen meines Buches. Er ging mit Feuereifer auf meine Ansicht ein und wollte, daß die neue Lebensgeschichte des Dichters zugleich eine Jubelschrift, daß sie auch in ihrem Aeußeren eine Huldigung sei, nicht unwürdig, dem Unsterblichen dargebracht zu werden, welchem die deutsche Nation, welchem die Menschheit eine nie abzutragende Summe des Dankes schuldet. Es wurde keine Mühwaltung gespart, kein Opfer gescheut, um diesen Zweck zu erreichen, und es bleibt mir nur zu wünschen, daß der Text als nicht allzu weit hinter dem künstlerischen und typographischen Schmuck desselben zurückstehend erfunden werde. Die Veröffentlichung von Emil Palleske's Schrift über Schiller's Leben und Werke, von welcher ich zeither viel Rühmliches hörte, hätte das Unternehmen, abermals mit einer Biographie des Dichters hervorzutreten, bedenklich erscheinen lassen können, falls ein solches Bedenken nicht zu spät gekommen wäre, um noch irgend einen Einfluß zu üben. Als der erste Baud von Palleske's Buch im Sommer 1858 erschien, befand sich die Handschrift des meinigen druckfertig in den Händen des Verlegers und waren die Künstler, welche die Zeichnungen übernommen hatten, bereits in voller Thätigkeit begriffen.

Meine Arbeit beansprucht Selbstständigkeit der Forschung, des Urtheils und der Form. Der Standpunkt, von welchem ich ausging, war weniger der literarhistorische als vielmehr der kulturgeschichtliche. Ich wollte keine Aesthetik der Werke unseres Dichters schreiben, wie sie ja schon Karl Grün im Ganzen und fast unzählige Andere im Einzelnen geschrieben haben, und darum ist der kritischen Analyse von Schiller's Dichtungen nur so viel Raum gegeben als sich mit meinem Plane vertrug. Dieser war, ein Lebensbild Schiller's und seiner Zeit zu liefern. Gervinus hat uns den Weg gezeigt, auf welchem die Literargeschichte zur Kultur- und Sittenhistorie sich erweitert, und auf diesem Wege bin ich vorgegangen, indem ich versuchte, innerhalb eines nicht allzu weit gespannten Rahmens ein treues Gemälde jener Epoche zu entwerfen und auszuführen, auf welche, allen ihren Schatten zum Trotz, kein Deutscher zurückblicken kann, ohne daß ihm gerechter Stolz die Brust schwellte. Um mit einem Worte meine Absicht ins Klare zu setzen, wage ich zu sagen, daß ich ein biographisches Kunstwerk schaffen wollte. Eine unbefangene Kritik mag entscheiden, inwieweit das Können dem Wollen entsprochen habe.

Während ich, heimatfern, dieses schreibe, sehe ich drohendes Gewölk an des Vaterlandes Gränzmarken aufsteigen. Täuschen die Zeichen nicht, wird Deutschland binnen Kurzem wieder eine große Prüfung zu bestehen haben. Möge dann kein Herz und kein Arm vaterländischem Dienste sich versagen! Oder sollten alle die ernsten Lehren unserer Geschichte für uns verloren sein? Sollten unsere edelsten Geister umsonst gearbeitet, gelitten und gestritten haben? Sollte Deutschland nie werden, was es werden kann, werden muß, sobald es thatkräftig will, der Hort des Rechtes, der Freiheit und des Friedens der Welt? Ich mag diese Vorrede nicht mit trüben Ahnungen schließen, ich will nicht glauben, daß irgend ein Deutscher sich soweit erniedrigen könnte, zu wollen, daß die Zeiten des Rheinbunds, die Tage von Austerlitz, Jena und Wagram wiederkehrten. Damals, ach, wurde die Mahnung überhört, die unser großer Dichter und Seher als ein prophetisches Vermächtniß auf Attinghausen's Lippen gelegt hatte. Tausendmal sind die goldenen Worte wiederholt worden, aber nicht oft genug kann man jedem Deutschen jeden Standes zurufen: –

Die angebor'nen Bande knüpfe fest,
Ans Vaterland, ans theure, schließ' dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen;
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!
Drum haltet fest zusammen, fest und ewig,
Seid einig, einig, einig!

Winterthur, im Februar 1859.
Dr. J. Scherr


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