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VII. Briefe aus Braunschweig, Hamburg und Jena

1800–1803

»Wie ich in mir selber erwachte, da machte es sich so, daß ich lange, lange glaubte, in der Wirklichkeit wäre das Glück niemals zu Hause, und nichts, was dem Innern Daseyn eigentlich entspräche. Und durch diese erste Erziehung bin ich immer ein wenig bescheiden geblieben. Die Resignation hat mir Tiefe gegeben, und die erste Liebe eine ganz unaussprechliche Heiterkeit, ob sie schon selbst fast nicht in die Wirklichkeit gehörte.«

*

83. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Oktober 1800]

Ich schreibe Dir von Göttingen, so Gott will.

Sieh nur Goethen viel und schließe ihm die Schätze Deines Innern auf. Fördre die herrlichen Erze ans Licht, die so spröde sind zu Tage zu kommen. Mein Herz, mein Leben, ich liebe Dich mit meinem ganzen Wesen. Zweifle nur daran nicht. Welch ein Blitz von Glück, wie mir Schlegel gestern Abend Deinen Brief gab. Du schreibst nach Braunschweig bey Prof. Wiedemann abzugeben. Rose ist allerliebst, ob Schlegel sie aber brauchen wird, sehr problematisch. Sie hängt sich ganz an mich und ich bin recht gut mit ihr. Wir wollen weiter sehn. Gott segne Dich, sey recht ruhig, Du darfst es seyn.

*

84. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Dienstag früh [Oktober 1800]

Ich habe den Himmel recht gebeten mich zu erleuchten und mir gute Gedanken zu verleihn, ehe diese Post abginge, und er hat mich auch erhört. Wenn ich Dir wollte oder vielmehr vermöchte alles hinzuschreiben, was in mir vorgegangen ist, es würde so tief und so wehevoll werden wie Deine Blätter, aber ich muß mich schonen und gebe Dir nur den Frieden von Gott, in dem sich mein Herz aufgelöset hat, voll fester Hofnung, daß ich ihn Dir auch mittheilen werde. Ich habe Dich innig lieb, ich küsse Deine Stirn, Deine beyden lieben Augen und den süßen Mund. Das ist recht das selige Zeichen des Kreuzes.

Wenn ich Dir auch könte lange Vorstellungen erwiedern über Deine Vorstellung, und eine Menge begeisterte Vernunft gegen Deine irrigen Ansichten setzen, es wäre eine bloße Redeübung – genug daß ich meinem Freunde verspreche, daß ich leben will, ja daß ich ihm drohe, ich werde leben, wenn er so zur unwahren Stunde den Tod sucht. Du liebst mich, und sollte die Heftigkeit des sich in Dir bewegenden Wehes Dich auch einmal mit Haß täuschen und mich damit zerreißen, Du liebst mich doch, denn ich bin es werth, und dieses ganze Universum ist ein Tand, oder wir haben uns innerlich für ewig erkannt.

Ich wiederhol es noch einmal, warum kann ich dem Goethe nicht sagen, er soll Dich mit seinem hellen Auge unterstützen. Er wäre der einzige, der das nöthige Gewicht über Dich hätte. Gieb Dich wenigstens seiner Zuneigung und seinen Hoffnungen auf Dich ganz hin, und denke, daß Du doch liebe Freunde hast – so gut, wie das Jahrhundert sie vermag. Schreib mir, was Du eigentlich jetzt arbeitest, am Journal, das errath ich wohl, weiß aber nicht welches Thema. Friedrich seine Querspiele haben mich sehr amüsirt. Ich habe hier beyläufig von Wilhelm vernommen, er sähe seine Vorlesungen aus einem sehr sublimen Standpunkt an, nehmlich er könne sich der Ironie nicht dabey enthalten, die Studenten wären gar zu dumm. Die Ironie ist doch zu allen Dingen nütze. Euer Conversatorium wird übrigens zu allerley Partheywuth, Streichen, Nücken und Tücken Anlaß geben, deswegen hat es mir gleich nicht besonders gefallen. Gieb Du dem Wickelmann immer nur ein humanes gutes Wort, damit er Deine Divinität wieder bekennt. Man muß nichts vernachläßigen im Spiel. Paulussens sind ein jüdisch und judassisches Volk, aber ihnen ganz aus dem Wege gehn solltest Du doch nicht. – Über die Veit denkt Wilhelm nun nach und nach fast wie wir – ich habe ihm auch gesagt, daß sie so über das Innre unsers Hauses geschwazt und gelogen hat, was er als einen sehr schlechten Dienst gegen sich selber anerkannte.

Hast Du das neuste Stück der Propyläen schon gesehn?

Sey nur nie besorgt, was Deine Briefe betrift; ich bekomme sie aus der Hand des Briefträgers immer zu eignen Handen, beantworte sie aber nur manchmal so überzwerch, wie Friedrichs Philosopheme sind. Ich muß doch auch probiren,

Tod Wonne
ob ich nicht aus X Leben und Frieden
Schmerz Liebe

herausbringen kann. Woher mir die Ursätze kommen, darum wirst Du mich wohl nicht so scharf befragen. Es ist doch arg, wenn man etwas gewiß hat, und soll nun auch noch Rechenschaft geben, woher man es nimmt.

Goethe tritt Dir nun auch das Gedicht ab, er überliefert Dir seine Natur. Da er Dich nicht zum Erben einsetzen kann, macht er Dir eine Schenkung unter Lebenden. Er liebet Dich väterlich, ich liebe Dich mütterlich – was hast Du für wunderbare Eltern! Kränke uns nicht. Und hast Du wohl bey Deinen lezten Vorsätzen an Deinen guten Vater und die gute Mutter gedacht, die einfältiger, aber eben so kraftvoll und liebreich Dir das erste Leben gaben? O welch ein schwarzer Nebel hatte das Haupt meines Freundes umzogen.

Ich wollte Dir selbst schon vorschlagen, ob ich Dir etwas für Dein geplagtes Schwesterchen schicken sollte. Nur daß ich gar nicht ausgehe, hat mich verhindert es schon zu thun. Ich möchte wohl wissen, ob Du ihr lieber etwas zum Anzug oder zum Andenken gäbest und ob sie Ohrringe trägt.

 

Es ist vielleicht ein seltsamer Contrast, daß ich Dir so heiter schreibe nach einem solchen Brief. Aber ich habe viel gelebt in diesen wenigen Tagen, und das ist mein innerstes Wesen, daß ein Lächeln gränzen kann an die unsäglichste Noth. Du hast mich wieder geweckt, und gewiß, wir quälen uns nun wohl recht mit hin und her schreiben, und tausend Widersprüche fallen vor, aber am Ende werden wir doch uns etwas bilden, das alle löset. Verlaß mich nicht, ich liebe Dich, ich wollte ich könnte Dir sagen wie sehr, aber in Deinen Armen selbst würde ich es Dir nicht ausdrücken können.

*

85. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Mittwoch [Oktober? 1800]

Am lezten Postag kont ich nicht schreiben, lieber Freund, weil ich mir nicht merken lassen wollte, daß ich an einem ganz ungemeinen Schnupfen danieder lag ordentlich im Bette. Ich hoffe, du wirst, weil es ein sthenisches Übel war, weiter über dieß Bekenntniß nicht jammern; ich bin schon ziemlich wieder hergestellt, so daß ich gestern Abend im Stande war in das Schauspiel zu fahren – mit ausgehn geb ich mich überhaupt nicht ab – um den Oedipe à Colone zu sehn, eine Oper mit Rezitativen, jedoch nicht tout à fait tragique, denn der Oedip geht zulezt noch mit zur Hochzeit seines Sohnes und der charmante princesse Eriphile, die wirklich ein charmantes Mädchen und im 8ten Monat guter Hofnung ist. Ich wollte doch gar zu gern eine Anschauung von dem französischen ernsthaften Spiel haben, die denn auch tüchtig war und mir eine Stunde nachher noch in den Ohren weh that. Oedip und Antigone wurden von nicht schlechten Schauspielern gemacht, ist aber überflüssig zu sagen, wie sie die Griechheit zerfezten und vermuthlich auch noch weit unter der pittoresken Leidenschaftsdarstellung eines Talma blieben. Und doch das Wenige, was aus dem Alten übrig geblieben war, nur blos die Erscheinung des Blinden von der Tochter geführt, es bewegte gleich die ganze Seele, und ich dachte an alles Liebste und Schmerzlichste und das eigne unter Fluch und Segen der Götter ruhende Geschick.

 

Donnerstag

Das Theater hat unter den gewöhnlichen Dingen (denn ein Söder kann man nicht alle Tage haben) noch am ersten die Wirkung mich zu zerstreun. Da spricht doch niemand mit mir, ich brauche nicht zu antworten und selbst Comödie zu spielen. Gesellschaften sind mir unleidlich, die Erfahrung hab ich gestern Abend wieder bey der Nuys gemacht. – Allerbester Freund, gestern kam aber auch Dein Brief, und das war eine große Freude für mich. Es geht ja herrlich, ich wußte es vorher und wolte nur nicht viel davon reden. Du bist nicht grossprechend, fürchte nichts, ich weiß gewiß, daß alles so gewesen ist, ich habe Dich gesehn, wie Dich Dein Bruder sah, verklärt durch Kraft und Gelingen. Ja, Du bist wieder in die Schlacht gekommen, theurer Achilles, und nun fliehen die Troer. Die Unsterblichen haben Dich wieder geehrt und werden Dir das lange Leben obendrein geben. Das ist die wahre Rache, und ich triumphire ohne alle Schonung. Nichts von Bedauern, sie wäre gar nicht im großen Sinn der Humanität selber. Denn manche gedeihen in der Unterdrückung, dahin gehört Friedrich – es würde nur seine beste Eigentümlichkeit zerstören, wenn er einmal die volle Glorie des Sieges genösse. Dir geziemt sie, Du weißt Dich in diesem Elemente zu bewegen – sollte mein Freund endlich aber übermüthig werden wollen, so wird er sich erinnern, daß er den bescheidnen Sinn seiner Freundin damit von sich scheuchte, und weiter hat sie ihm bey dieser Gelegenheit, die für sie höchst ergötzlich ist, kein memento vorzuhalten. Was nun die Seite betrift, daß es ihren Muth stärken soll bald jenen Schauplaz zu betreten, so ist sie wunderlich und fühlte sich vielleicht noch weit unwiederstehlicher hingezogen, wenn sie dem Geliebten eine öde Laufbahn zu erhellen hätte, als eine ... [ Bogenschluß.]

*

86. An Johann Wolfgang Goethe

[Braunschweig 26. Nov. 1800]

Wenn Ihre eignen Hoffnungen von Schelling und alles, was er schon geleistet hat, wenn er selbst Ihnen so lieb und werth ist, wie ich es glaube, so werden diese Zeilen ihre Entschuldigung finden, ungeachtet ihrer Seltsamkeit, die Sie bitten sollen ihm zu helfen. Ich weiß in der Welt niemand außer Ihnen, der das jetzt vermöchte. Er ist durch eine Verkettung von gramvollen Ereignissen in eine Gemüthslage gerathen, die ihn zu Grunde richten müßte, wenn er sich ihr auch nicht mit dem Vorsaz hingäbe sich zu Grunde richten zu wollen. Es kann Ihnen fast nicht unbemerkt geblieben seyn, wie sehr sein Körper und seine Seele leidet, und er ist eben jetzt in einer so traurigen und verderblichen Stimmung, daß sich ihm bald ein Leitstern zeigen muß. Ich bin selbst müde und krank und nicht im Stande ihm die kräftige Ansicht des Lebens hinzustellen, zu der er berufen ist. Sie können es, Sie stehn ihm so nah von Seiten seiner höchsten und liebsten Bestrebungen, und der persönlichen Zuneigung und Verehrung, von denen er für Sie durchdrungen ist. Sie haben das Gewicht über ihn, was die Natur selber haben würde, wenn sie ihm durch eine Stimme vom Himmel zureden könnte. Reichen Sie ihm in ihrem Namen die Hand. Es bedarf weniges weiter, als Sie wirklich schon thun, Ihre Theilnehmung, Ihre Mittheilung ist mehrmals ein Sonnenstral für ihn gewesen, der durch den Nebel hindurch brach, in dem er gefangen liegt, und manches, was er mir geschrieben, hat mir den Gedanken und den Muth gegeben Sie bestimmter für ihn aufzufordern. Lassen Sie ihn nur wissen, daß Sie die Last auf seinem Herzen und eine Zerrüttung in ihm wahrnehmen, die ihm nicht ziemt, und wenn das Geschick auch noch so ausgesucht grausam ist. Lassen Sie ihn einen hellen festen Blick auf sich thun. Sie werden durch jeden Wink auf ihn wirken, denn mag er noch so verschlossen und starr erscheinen, glauben Sie nur, sein ganzes Wesen öffnet sich innerlich vor Ihnen, wenn Sie sich zu ihm wenden, und wenn er nicht die heftige Erschütterung scheute Ihnen gegen über, so hätte er vielleicht selbst gethan, was ich sanfter, obwohl sehr bekümmert an seiner Statt thue: sein Heil Ihrer Vorsorge übergeben. Es ist das beste, was die Freundin für ihn zu thun vermochte, die ihn nicht auf die Art trösten kan, wie sie sich selbst trösten darf. Ich habe es gewagt im Vertrauen auf Ihre Güte und den ernsten Sinn meines Anliegens. Meine Augen sind trübe, ich sehe nur noch, daß er leben muß und alles Herrliche ausführen, was er sich gedacht hat.

Wenn ich einen Wunsch besonders aussprechen darf, so ist es der, daß Sie ihn um Weynachten aus seiner Einsamkeit locken und in Ihre Nähe einladen.

Ohne weitere Antwort hoffe ich es beruhigend zu erfahren, daß Sie meine Bitte geachtet haben, und nur zum Überfluß ersuche ich Sie, ihrer auf keine andere Weise zu erwähnen.

Caroline Schlegel.

Schlegel wird wahrscheinlich noch vor Ende des Jahres die Ehre haben Sie zu sehn.

*

87. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Sonnabend früh den 20 Dez. 1800

Anbey kommt ein großer ächt englischer Überrock, der meinen Freund wärmen soll. Ein Weinachtsgeschenk soll es nicht seyn. Er war Dir schon lange bestimmt und besonders für das große Carneval berechnet, aber ich habe ihn nicht eher von Hamburg bekommen. Wenn Dir nur halb so wohl darin ist als warm, so soll es mich freuen. Ich habe ihm befohlen, er soll sich recht um Dich herum schmiegen. Die erstemale wird er einige Haare lassen, und es wird an Deinen Röcken viel auszubürsten seyn, das giebt sich aber. Sonst ist er unendlich bequem, und man hat doch die Arme darin frey um eine Freundin zu umarmen. Der blaue Mantel wickelte Dich ein wie den Grafen Egmont. O daß ich Dein Clärchen seyn könnte, aber ich bin nur Deine Caroline.

*

88. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Ende Dezember 1800]

Mein lieber Freund, mein Schelling, Du hast die Abrede gehalten und ich nicht. Am Abend des nehmlichen Tags, wo ich dir zulezt schrieb, bekam ich dein Geschenk noch. O du lügst, dein Ring ist stark und stärker wie Ketten, es ist der Ring, an dem die Kette hängt, die mein Leben festhält. Ich suchte gleich nach dem Namen Joseph, und fand ihn durch die Thränen hindurch, die mir die Augen verdunkelten. Du hast nichts vergessen. Denke auch nicht, daß ich etwas vergessen hätte, und wenn ich dir den Ring, der zu diesem gehört, niemals geben sollte, so wie ich es bis jetzt nicht gethan habe. Wie leicht hättest du ihn in derselben Stunde erhalten, denn ich habe den Gedanken oft gehabt. Du hast ihn nicht erhalten, und das ist unser Schicksal. Du darfst es nicht meine Schuld nennen. Ja, dieß ist der erste, der einzige ächte Trauring für mich, und er bleibt einzeln. Er sagt sich von der Zukunft los und bindet uns nur an eine kurze Vergangenheit. O du liebes treues Herz, er ist gediegen von deinen Schmerzen, ich erkenne sie alle und habe sie mit Dir auszutauschen. Aber ich habe noch welche zurück, die immer nur mein bleiben müssen. Nie kannst Du doch das Wehe der Mutter ganz in Dich aufnehmen. Sey nicht betrübt, wenn Du Dir denkst, wie das Deine Freundin zerreißen müsse, was sie in diese Worte ausbrechen läßt – ja, so eben zerreißen müsse. Dieses alles muß mir wieder zur Freude werden, glaubst Du es nicht? – Es lößt sich meine Seele mehr und mehr in jenes Wehe auf, und doch bin ich getrost und stark. Dies erhalte Dir gegenwärtig, wenn ich mich nicht verhindern kan, an Deinen Busen zu weinen. Es quillt ein neues Leben aus diesen Augenblicken, sie sind selbst ein hohes Lebenszeichen, mein Gram ist nicht Niederschlagenheit, kein Verzagen und keine Verzweiflung, und dann kann ich erst volles Vertrauen zu meinen Freunde haben, wenn ich ihm nichts davon zu verbergen brauche. Berühren laß es mich wenigstens, ich will Dich nicht dabei verweilen. Ich verweile selbst nicht. Wenn die Wolken des eignen Jammers mir auch das Haupt eine Weile umhüllen, es befreyt sich bald wieder, und wird vom reinen Blau des Himmels über mir beschienen, der mein Kind einschließt wie mich. Die Allgegenwart, das ist die Gottheit – und meinst Du nicht, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, alle einer in dem andern, ohne deswegen Eins zu seyn? Denn Eins dürfen wir nicht werden, weißt Du wohl, dann würde das Streben sich zu Eins zu machen ja aufhören.

 

Mein lieber Freund, ich habe eben einige von den Sonnetten für Dich abgeschrieben, von denen ich Dir lezthin sagte. Das mittelste ist besonders von sehr großer poetischer Schönheit. Du wirst Dich erinnern, daß der König von Tule ihr leztes Lied war. Die Wahrheit machte sich bey diesem Kinde oft schon von selbst zu einem lieblichen Gedicht.

Ich hoffe nicht Dich hart zu unterbrechen in Deinen jetzigen guten Tagen. Nein, das ist eben gut, wenn Deine Erinnrungen gleichsam durch einen Sonnenstral ziehn, in dem auch die dunkle Farbe helle erscheint.

Am Sonnabend erst erhielt ich Deinen Brief vom Montag. Wetter und Wege sind so sehr schlimm, daß man auf keine bestimmte Ankunft mehr rechnen kann. Sie halten auch Schlegel hier zurück, der eigentlich gewillt war, nächsten Sonnabend abzureisen.

*

89. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Januar 1801]

Ich hatte mich recht auf Deinen Brief gefreut, mein liebster Freund, aber ich denke, es ist auch nicht umsonst gewesen, denn er hat mich in ein wahres Entzücken versetzt, so daß, wenn Du es nicht übel nehmen wilst, ich nach der ersten Stunde wie ein leichtes Kopfweh davon bekam, das aber bald wieder verflog und nur das Entzücken blieb. Du hast mir so herrliche Gedanken mitgetheilt, so schöne Bilder, ja Töne selbst und dann so allerliebste Notizen, und was mehr als alles Einzelne ist, es leuchtet so aus allem hervor, daß mein Freund wirklich wieder zum Stehen kommt. Wohl hatte ich recht in den verfloßnen Tagen in Dir zu leben und zu weben, und wenn Du so fortfährst, so wirst Du mich bald ganz gesund machen. Wenn mein Herz wanken will, dann kann ich mich nun an das Deinige lehnen und Trost suchen; das ist das rechte Verhältniß zwischen der sterblichen Mutter und dem göttlichen Sohn. Ja Du erhebst mich schon durch die Hofnungen, die Du mir giebst, durch Deine Ansichten, wie ich sie auch haben könnte, Deine Ideen, wie ich sie nur Dir nach haben kann, und daß wir uns in jener heitern Helle begegnen, welche allein das wahre Element meines Gemüths ist.

Ich lese Deinen Brief unaufhörlich wieder, weil mich alles darinn so sehr ergötzt, und dießmal hat Schlegel auch sein Theil hingenommen, denn Du kannst denken, daß der Beyfall, der dem Werkchen wird, was ihm schon unsäglich viel Spaß beym Verfertigen gemacht hat, den Spaß daran aufs höchste treibt. Er ist Dir sehr verbunden, daß Du ihm zu der Wissenschaft seines Gelingens mit verholfen hast, und auch noch weiter sein Verkündiger werden willst. Es ist ein glücklicher Ausdruck, daß Du seine Poesie ein kräftig gewordenes Organ nennst, man kann auch in der That gar nicht absehn wie viel Gewalt und Umfang es noch gewinnen mag, daß er sich endlich ganz in dieses Eine verwandelt. – Besonders freut er sich jetzt einer Prophezeyhung des Propheten Friedrich, der ihm einmal sagte, sein Wiz und seine Lustigkeit wären poetischer Natur, nicht im Allgemeinen, sondern ganz besonders, und wenn er dazu gelangte sie auf diese Weise auszusprechen, so würde er sehr viel damit machen können. [...]

*

90. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Dienstag früh [Januar 1801]

Lieber Freund, ich komme weit her schon an diesem frühen Morgen und war dabey, wie sich die glühende Erde zuerst verhärtet hat und Blasen warf, aus denen die Berge wurden, welches alles mir sehr begreiflich scheint. Lieber Gott, wenn man sich die Materie einmal vorausgiebt, so hat man ein leichtes Spiel und kann sich die Dinge nach Belieben gestalten lassen. Mir liegt aber ordentlich die Materie schwer auf, in der ich mich bey dieser théorie de la terre und époques de la Nature herumarbeiten muß, welches doch sehr thöricht von mir ist, weil ich gewiß bin, daß meine Vorstellungen sich niemals solide werden über sie erheben können, sie werden wieder herunter flattern, wie Vögel müssen, wo die Luft zu leicht für sie würde, und wenn selbst Adler unter ihnen wären. Sag mir nur, wie weit seyd ihr denn darüber hinaus? Du mußt indessen dieß nicht so nehmen, als ob ich die Materie so roh sonderte, indem ich es beym Buffon blos mit ihr zu thun habe. Ich erinnre mich sehr wohl des Geistes im Mittelpunkt und daß Licht Geist und Geist Licht ist. Dieses ist mir nicht begreiflich, aber glaublich, und durch den Glauben und die Imaginazion wirst Du mich auch leicht bis zum Zweck von allem End und Ziel führen können, nur die Sprossen der Leiter, die Demonstrazionen, die Folgerungen, das ist nichts für mich.

Und meinst Du also, daß ich je zu einer andern als poetischen Erkentniß Deines Gedichtes gelangen werde?

Eine Menge Begriffe hab ich mir doch neuerdings eingesammelt, der Himmel gebe nur, daß mein Gedächtniß sie festhält. Mit einer Anhäufung von Thatsachen, welche hie und da einen Artikel im Buffon einer Compilation von Meiners ähnlich sehn machen, kann ich es nun vollends nicht beschweren, und frage blos, was er jedesmal beweisen will, dann schenk ich ihm von den Beweisen immer die Hälfte. Ich hab einen Verdacht, mein Freund, als wenn Du eben auch nicht gründlicher läsest. Jetzt will ich Dir eine neue Thatsache erzählen, die Du vielleicht von mir zuerst erfährst; in dem schrecklichen Sturm von 9-10ten Nov. ist die ganze Insel St. Thomas in Westindien untergegangen. So regt sich noch das Fantom des Jahrhunderts in Naturbegebenheiten, Pest und Krieg, ehe es Abschied nimmt. – Dieser Sturm muß doch einen unterirdischen Ursprung gehabt haben, eine Höhlung der Erde muß eingebrochen seyn und ihm Ausgang gemacht haben. Siehst Du, wie ich zunehme an Weisheit? Wenn ich Mittags mich um nähere Erläuterungen von diesem und jenem befrage, so lachen die Herren über mich, geben mir doch aber sehr ernsthaften Bescheid und Schlegel ermangelt nicht zu bemerken, wenn ich mich doch nur jemals einer Sache so ernstlich gewidmet hätte, die seine Beschäftigungen anginge! Was wäre das denn auch wohl gewesen, außer dem, was ich nicht zu lernen brauchte, der Poesie! – Und was ist [ Bogenende.]

*

91. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Januar 1801]

Der Mareschino ist gekommen, ich muß Dir nur gleich Bericht davon erstatten. Eine Flasche war zerbrochen, ich aber dankte Gott wie der Optimist, daß sie nicht alle zerbrochen waren, ich hatte mich schon darauf vorbereitet. Denn, dachte ich, wer wird sie packen? wenn es der Freund selbst thut, so sind sie geliefert. Dieser Bruch möchte nun wohl am packen nicht so sehr liegen, obwohl man etwas andres dazu hätte nehmen müssen als eine Schachtel. Das Glas ist sehr dünn. Wegen des Schmeckens, so sieh doch nach, ob auf Deiner auch das Wort Mareschino steht. Auf der, die ich angebrochen habe, und die mir allerdings etwas anders schmeckte, fand sich Rosolio di Ananas, auf der Flasche, die noch versiegelt ist, das rechte, und das wird denn schon das rechte seyn. Es ist bey jenem entweder ein Versehn, oder weil der Vorrath nicht mehr so groß gewesen, eine Pfiffigkeit geschehn. Denk Dir nur, wie viel die Franzosen mögen weggetrunken haben. Sie behalten Bamberg, wie es scheint; deswegen werden ja doch die Posten gehn während des abermaligen Waffenstillstandes? Schlegel ist noch da und tief in den Shakesp. hereingerathen. Er wartet auf den Frost. Noch haben wir kalten nassen Nebel und viele Leute sind krank, auch hier im Hause, aber ich nicht, ich habe blos einen bösen, erzbösen Mund, und das sieht schlecht aus, allein Du siehst es ja nicht.

Schick mir nur das Journal, wenns noch nicht geschehn ist; ich kann auf Schlegel nicht warten, er meint noch immer, er müsse hin, und ich glaube es selbst, wenn aus manchen Dingen etwas werden soll. – Ich will es recht studiren, obwohl wenig immer bey mir mehr thut als viel. Was Du mir geschrieben von der Pflanze, die das Wasser, vom thierischen Organismus, der das Eisen, und von der Vernunft des Menschen, die alles zerlegt, das beschäftigt mich Tag und Nacht. Wenn ich nicht schlafen kann und mir nicht erlauben will zu träumen, so denke ich mir jene wunderbare und doch so natürliche Stuffenfolge und suche davon zu begreifen was in meiner Gewalt steht. Was zerlegt nun unsre Vernunft? Werden wir es nicht selbst einmal thun? O werde mir auch noch darüber ein Prophet.

Ich sehe es klar, wie sich Deine Nachzeichnung der dichtenden Natur von selbst zu einem herrlichen Gedicht ordnen wird. Du entsinnst Dich des kleinen Gedichtes von Goethe, wo Amor die Landschaft mahlt, er mahlt sie nicht, er zieht nur den Schleyer von dem, was ist, und dann kommt Ein Punkt, wo die Sonnenstralen so hell wieder glänzen – ja, so wird Dein Genius die Liebe werden, die alles belebt. – Ich verdenke Dir es ganz und gar nicht, daß Du auch mit mir nicht über das Nähere reden magst, Du mußt es doch ganz allein vollenden. Ich würde selbst nichts im voraus mittheilen können, wenn ich in Deiner Stelle wäre, und wenn ich Dich darum gebeten habe – man bittet oft in Einer Stunde etwas, was man in einer andern anders einsieht.

Wenn Du mir nur einen Übergang machen köntest von meinen Hölen und Bergeshöhn zu Deiner Philosophie, nehmlich einen gründlichen, denn übrigens ist mir nichts leichter als gleich da zu stehn, wo die Vernunft – sich selber faßt. Alles, was Du mir – in Briefen – geschrieben hast, habe ich recht gut zu fassen geglaubt, und es wäre doch ganz vortreflich, wenn Du das ausführtest, wovon Du lezthin sprachst: eine Darstellung, die Du Dir dächtest an mich zu richten. Fange also nur immer damit an. Jetzt wird es noch recht natürlich werden. – Sehr glücklich wird es mich machen, wenn ich nur etwas von der Art begreife, wie Fichte sein System ändert.

Sieh nur, wir haben als ausgemacht angenommen, Fichte stünde still – ja doch! wie die Sonne im Thal Gideon oder wie es heißt. Ich liebe diese Überraschungen [ Bogenende.]

*

92. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Jan. Febr. 1801?]

[ Anfang fehlt.I

... noch werden kann, wenn man erst auf dem Punkt darin steht, wo Du jetzt. Damit habe ich Dir mein Geheimniß ausgesprochen. Du mußt es nicht misbrauchen, mein Herzensfreund. Du mußt redlich versuchen, ob Du mich entbehren kannst, aber traue Dir langsam darüber. Wir gehören einander an, wir sollten innig Eins seyn. Habe ich Dir je mistraut, Du meine Seele? Warum denn Du mir?

Du wirst mich fragen, ob mir denn der Ausgang gleichgültig ist? Ja, muß ich antworten, und wenn die süße Liebe mich auch zurückhalten will. Ich bin meines unzerstörbaren Glücks, wie meines unheilbaren Unglücks gewiß. Das ist mein Vorrecht.

Und nun laß uns [uns] wieder in unsre bisherige Stille begeben, Du hast mich so oft schon Entzücken in ihr über Dich empfinden lassen. Ja, erheitre mich mit Deinen Bestrebungen und Gedanken. Liebe mich, ich knie vor Dir nieder in Gedanken und bitte Dich darum.

Wahrlich es war nur ein plözlicher Einfall mit der Reise, und ich bin überzeugt, daß Du in Jena bleiben mußt.

Der Genius, der mich leiten wird, das ist Dein Genius. Er wird gewiß gut seyn.

Ich habe endlich vor wenig Tagen eine Antwort von Charlotte Urff bekommen. Man hat ihr meinen Brief lange vorenthalten, sie ist nicht bey ihrer Mutter, sie ist bey Freunden in Frankfurt, von denen sie sich jetzt nicht losmachen kann. Die Ursachen davon wären wichtig und traurig, schreibt sie, alles wichtige wäre traurig. Doch betrift es blos jene Familie, nicht sie, und sie meint auf den Sommer noch zu mir kommen zu können, wenn ich sie noch wollte. Im ganzen Brief ist sie die nehmliche wie sonst, an Liebe und Würdigkeit geliebt zu werden.

Du nimmst es doch nicht übel, daß ich die Einlage einlege? Ich hatte es Wilhelm angeboten. Er ist mit 3 Akten des Shakesp. fertig und macht nun einen Aufsaz über Bürger, den Dichter, in die kritische Sammlung. Ohne Frost kann er nicht reisen, wenn Friedrich auch ungehalten würde; der bezeugt indessen nichts davon. Ich habe seine lezten Briefe alle gelesen, auch den heutigen an ihn.

Sollte er in seinen Verhältnissen das Herz haben Wilhelm abgeneigt zu seyn? tant pis pour lui.

Englischer lieber Freund, leb wohl, ich umarme Dich, so fest, so treu, so voll Liebe und guten Geistes, Du kanst nicht unempfindlich dagegen bleiben.

*

93. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Freytag, d. 13 Febr. [1801]

Im Verlauf nächster Woche wird Schlegel gewiß abreisen, er wartet nur auf seinen Gesellschafter. Es ist freylich wieder sehr strenger Winter geworden, aber ich befinde mich wohl. Durch ein Zeitungsblatt erfuhren wir gestern den Tod einer Schwester von Schlegel, die an einen Prediger verheyrathet war. Sie ist kränklich gewesen und hat keine Kinder. Die Ernsten ist also mehr zu beklagen, denn stell Dir vor, sie war nahe daran den schwarzen Staar zu bekommen. Hardenberg ist von seinem Vater nach Weißenfels abgeholt worden, fast hofnungslos, Petzold hat ihn aufgegeben. Die Ernsten stellt sich noch die Möglichkeit der Rettung vor, und ich selbst kann nicht ganz daran verzweifeln. Fünf Tage hat er auf der Reise zugebracht, ist aber doch glücklich angelangt, seine arme Braut begleitete ihn. Es ist recht viel Leid in der Familie, denn Hardenbergs Mutter soll völlig melancholisch geworden seyn über den Tod eines Knaben von 12 Jahren, der ihr Liebling war und im verwichnen Sommer ertrunken ist.

Ich kann mir wohl vorstellen, daß Dir Hardenberg nicht wohl will; Du hast ihm Deine Abneigung auch deutlich genug gezeigt. Er wird mir auch gram seyn, und uns beyden einen um des andern willen, dazu wird man ihn schon gestimmt haben. Wir können ihm nicht helfen, wenn ihm Gott nur hilft, es sey zum gesunden Leben, oder zum freudigen Tode. Ich kann ihn nicht beklagen, wenn er dahin ist. Er hat die Schranken gebrochen.

Nun reut mich mein Einfall, Du Lieber Lieber, daß ich nicht schrieb. Was Du mir vorwirfst – ich hab eben Deinen Brief erhalten – daran bin ich unschuldig, ich schickte die Dose allerdings am Dienstag ab, wo reitende und fahrende Post in Einer Stunde gehn – aber nun bin ich nicht mehr unschuldig, ich habe meinen lieben traurigen Freund gewiß gekränkt. Warum bist Du nur so traurig? ich möchte Dir ganz kindisch sagen: ich bin es ja nicht. Ich bin es nicht anders, als ich es ewig seyn muß, und Dein Trost ist der meinige. Unser Kind weicht mir keinen Augenblick von der Seite, ich kenne kein Vergessen, ob ich äußerlich schon lebe wie ein Andrer. Ja, Du weißt es, liebe Auguste, wie Du bey Tage und bey Nacht vor Deiner armen Mutter stehst, die kaum mehr arm zu nennen ist, denn sie blickt Dich mehr mit Entzücken als mit Jammer an, die Klage über den herben bittern Tod hat keine Dolche und zerreißenden Schmerzen mehr, ich kann lächeln, freundlich mich beschäftigen, aber ich lebe und bewege mich immer nur in Dir, mein süßes Kind – ach störe mich nicht in meinen sanften Trauren, lieber Schelling, dadurch daß ich bitterlich über Dich weinen muß. Das sollte nicht sein. Hättest Du Dir vorzuwerfen, dann ich tausendmal mehr; aber Gott weiß, es will nicht Raum in meiner Seele finden und haften. Ich habe Dich geliebt – es war kein frevelhafter Schmerz, das spricht mich frey, dünkt mich.

Im Frühjahr sehe ich Dich ganz gewiß. Anstalten sind wenig zu machen. Unser ehemaliges Haus bleibt mir offen, ich möchte es freylich ungern bewohnen, und ich sagte Dir schon einmal von dem kleinen Gartenhause am Paradiese; es wäre groß genug für mich. Du möchtest das immerhin miethen.

Ich halte mich zurück Dir viel über Deinen schmerzlichen Brief zu sagen – wir können es mit Worten nicht überwinden.

Wir wollen den Wilhelm Teil zusammen sehn. Er kann recht schön werden, und Iffland soll mich auch erfreuen. – Gestern sah ich im Schauspiel Louis Buonaparte, der von Berlin zurückkomt, also hab ich nun etwas von diesem edlen Blut mit Augen erblickt.

Lieber, ich las in diesen Tagen den Tancred wieder im Boccaz, bey Gelegenheit von Bürgers Lenardo und Blandine, das eine so unwürdige Parodie davon ist. So viele Thränen hab ich darüber vergossen, wie Gismonda auf das Herz ihres Geliebten herabströmt, eben um diese Zeit war es, daß Auguste die Erzählung zu übersetzen anfing – ich habe mir vorgenommen sie zu vollenden, und so lange daran zu arbeiten, bis sie möglichst gelungen, und das Original wieder giebt in seiner Grosheit. Wie liebte mein Kind diese Erzählung – sie war doch ein recht tiefes Gemüth.

Schickst Du mir wohl nicht die Canzone zurück? – Ich kann durchaus das Lied von Dir nicht finden und weiß doch gewiß, daß ich es aufgeschrieben hatte. Erzeige mir die Liebe und schreib es nieder aus Deinem guten Gedächtniß. Versäum es nicht.

Zum Spaß zeichne ich hier eine Grabschrift des Aretino auf, die mir kürzlich vorgekommen ist:

Qui giace l'Aretino poeta tosco
Chi disse mal di tutti fuor di Cristo
Scusando se col dir: non lo conosco.

Sag, ob Du die fernere Uebersetzung des Quixote gelesen hast, und wirklich besitzest, sonst liegt der dritte Theil, den ich einmal gekauft habe, immer noch für Dich hier.

Adieu, mein lieber lieber Schelling. Erquicke mich durch ein freudigeres Herz.

*

94. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] d. 17 Febr. 1801

[Anfang fehlt.]

... das ist mein Unglück. Müstest Du mich darinn verdammen, so würde es Dir leicht seyn mich zu lassen.

 

Mein Bruder denkt um Ostern eine Reise nach Jena und Berlin zu machen. Vielleicht kann er mich in Deine Gegend geleiten, und mir den Eintritt in Jena erleichtern, denn dabey bleibt es doch immer, daß ich Dich dort wiedersehe.

Dein Collegium muß sehr brillant ausfallen – immer deducirst Du neue Herrlichkeiten. Können es die Menschen denn ertragen? Sehen sie, wenn Du das Sehen zeigst?

Denk an meine Augen, an meine Liebe. Wenn Du nur mein Sohn wärst und sie dürften mit mütterlicher Freude auf Dir ruhn.

Gott segne Dich. Ich umarme meinen Freund mit treuem Gemüth und nur zu vieler Sehnsucht nach dem lang entbehrten Anblick.

Wenn ich nur keinen Brief von Dir bekomme, in welchem Du Dich beklagst, daß Du keinen von mir hast – ach gestern hast Du den wohl geschrieben – oder mir gar nicht geschrieben. Leb wohl nochmals.

*

95. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Februar 1801]

[Anfang fehlt.]

... würden im Sommer zusammen leben. Das kommt mir nun als Verblendung über den Weg vor, den wir zu nehmen hatten.

Mein lieber Freund, und ich nenne dich so mit Liebe, vielleicht bin ich wirklich schwer zu einer Entscheidung zu bringen, allein ich habe sie noch stets gefaßt, ehe es zu spät war, und mich unverrückt an ihr gehalten. Ich sage nicht heut – ich will das thun – und morgen – ich will ein andres, und jedesmal so zuversichtlich, als wenn es ewig gelten würde – nein, es mahlt sich wohl sehr deutlich in meinen Äußerungen, daß ich nicht weiß, was ich thun soll – bis der Moment komt. Der ist da, und ich bitte Dich, nimm es so an.

Ich scheide nicht von Dir, mein Alles auf Erden, das Mittel, das die Seele ergreift, um sich der Entweihung des Bundes zu entziehn, stellt alles her, ihn selbst in seiner ganzen Schöne und die Zärtlichkeit, die ihn unterhält.

Ich bin die Deinige, ich liebe, ich achte Dich – ich habe keine Stunde gehabt, wo ich nicht an Dich geglaubt hätte, es sind Umstände gewesen, die Deinen Glauben an mich trübten, es wird nun heller werden. Ich sehe Dich wieder, vermuthlich so bald, als ich mir kürzlich vorstellte. Als Deine Mutter begrüße ich Dich, keine Errinnrung soll uns zerrütten. Du bist nun meines Kindes Bruder, ich gebe Dir diesen heiligen Seegen. Es ist fortan ein Verbrechen, wenn wir uns etwas anders seyn wollten.

[Es fehlt ein Blatt.]

... recht gut machen für die Welt, und mir sind die Kinder herzlich lieb, sie würden mir wohl thun.

Dienstag [24. Februar]

Schlegel ist am Sonnabend früh abgereißt, er wird Dir bald von Berlin aus schreiben und hat mir beykommenden Kotzebue für Dich zurückgelassen, nebst einer närrischen Tabelle eines Professor Wild in Goettingen, die er Dir immer mündlich mittheilen wollte. Dieser Mensch bildet sich ein, daß Fichte und Du aus ihm die ersten Keime genommen habt.

Mein lieber Freund, ich muß schließen, denn manche Packereyen, da ich Schlegels Sachen nachzuschicken hatte und noch andres sich zufällig damit traf, haben mich sehr ermüdet ...

Meinen süßen Freund bitte ich innig um ein endliches Verstehen mit seiner Caroline, ich beschwöre ihn mir nicht die lezte Hoffnung zu nehmen.

Ich bete zu Gott, daß er diese Blätter segnen wolle.

*

96. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig 1801, Februar?]

[Anfang fehlt.]

... einmal sicher nicht. Um ihm etwas zu schreiben, das Dich mit angeht, dazu erwart ich erst Deine Erlaubniß. Dann wird sich alles ganz ins Klare setzen. Nur darauf verlasse Dich: den Sommer bring ich in Deiner Nähe zu. Was ich mit Schlegel einzugehn habe um meine Lage zu sichern – gegen mein Gefühl, dessen Du ein paarmal dabey erwähnt hast, wird es nichts seyn – so gut ich hier mit ihm unter Einem Dach gewohnt habe, können wir uns auch künftig einverstehn, wenn er gut mit mir bleibt.

Eigentlich wär mir es doch jetzt sehr gelegen, wenn ich entsezlich reich wäre. Aber reich oder nicht, ich will nichts thun, wobey ich meinen Freund aufopfern müßte; das ist nun seit kurzem wie ein heller Stern vor mir aufgegangen, da ich bisher im Nebel lebte.

Gern möcht ich Dir auf viel wichtiges in Deinem Brief noch antworten, nur fehlt mir manches dazu, fast auch Zeit. Ich konnte die Erklärung von Fichte nicht zu sehn bekommen. Meine Divination sagt mir indessen, daß Du nicht unrecht haben magst mit der Bittersüßigkeit. Ob F. sich über das Bewußtseyn und die Reflexion erhoben hat, möcht ich so genau nicht entscheiden können – über sein Ich, das weiß ich gewiß, kann er nicht so weit hinaus, daß er nicht ein anderes Ich gern an die Seite schieben sollte, wenn es solche Ahndungen in ihm erweckt wie Du. Sehr bin ich auch der Meynung: laß Dich nicht wegschieben. Das Entgegensetzen, denk ich, könnte wohl so abgehn, daß es nur die wahrhaft Eingeweiheten gewahr würden – denn Du kannst fortbauen ohne Dich um ihn zu kümmern, er ist an Kenntnissen und Poesie so gewaltig zurück, daß er mit aller Denkkraft Dir doch Deine Natur nicht nachmachen kann, also hast Du dich nicht so sehr dagegen zu verwahren, daß er Dir das Deinige raube, und eine offenbare Spaltung würde eine ungeheure Verwirrung nach sich ziehn. Die Philosophie der Natur ist es ja doch, durch welche Dein Idealismus etwas anders geworden ist als der seinige, und die er eben muß stehn lassen. – Ich muß nur noch versuchen, ob denn das Blatt hier gar nicht hergekommen ist; Schlegel ist dreymal vergeblich auf den Leseclubb danach gegangen.

Versäum es nicht an Fichte zu schreiben, was Du Dir vorgesetzt hast. Es soll mich wundern, ob er gegen Schlegel über Dich spricht. Ich weis nicht, wie ers macht bey seiner Rechtschaffenheit um falsch zu seyn, aber es ist doch manchmal so was bey ihm vorhanden. Verwunden sollte es Dich nicht – diese Falschheit ist auch oft nur eine gewisse Vielseitigkeit, ein Mangel an einer recht tüchtigen Partheylichkeit für den Freund die wenigstens jede Mittheilung des Urtheils über ihn verhinderte. – Wenn jemand rein in diesem Stück ist, so ist es Schlegel, und es dauert mich zu sehn, daß es ihm so wenig gelohnt wird. Bey seiner Eitelkeit ist es sehr viel, daß es ihn nicht mehr aufbringt, wenn er zuweilen erfährt, wie Leute über ihn absprechen, die seinen Ruhm nie erreichen werden; er ist so gebildet sich auch darin zu fügen. Vielleicht nahm er selbst Ritter in Schutz. Er macht sich gar nichts aus der Falschheit, und ist der redlichste von euch allen.

Was Brentano angeht, so kanst Du Dich überzeugt halten, daß ihm im ... [Bogenende.]

*

97. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig, Ende Februar? 1801]

[Anfang fehlt.]

... damit den frühesten Frühling, wenn die Veilchen ausbrechen und den Boden mit tiefer Bläue bedecken. Vor dem Jahre – o Du weißt es, was ich sagen will – da pflücktest Du sie mit meinem Kinde und ihr brachtet sie der kranken Mutter, nun brechen Veilchen wohl aus der heiligen Erde, die sie bedeckt. Arme Mutter, warum nicht aus Deinen Hügel! Meine beyden Lieblinge würden in sanfter Wehmuth daran knien. Ich hätte euch nicht unglücklich gemacht, wie mein süßes Kind uns gethan hat. Vergieb mir, ich will auch nicht weiter schreiben und kann auch nicht. Gute Nacht.

 

Freytag früh

Guten Morgen, guter Freund, ich habe recht lange geschlafen. Die Theogonie geht mir sehr im Kopf herum (so heißt doch das deutlich geschriebne, unterstrichne und dennoch unleserliche Wort?). Das wäre wohl ein vortreflich Studium, aber versplittere Deine Kräfte nicht. Sieh, mit dem Beschränken – im voraus sieht das Vorgesezte nur so unendlich aus, es beschränkt sich von selbst, so bald man an die Ausführung gekommen ist. Doch mache nur, alles was Du machst wird gut seyn, und ist denn doch da und wird bleiben.

Schick mir ein Stückchen hesiodische Übersetzung; ich will sehn, ob Du zugenommen hast im antiken Sylbenmaß, so viel Kennerschaft wird mir Wilhelm doch mitgetheilt haben. Der könte Dir nun recht nüzlich seyn. Ich halte Hexameter und Elegie für viel ... [Blattende.]

*

98. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Mittwoch Abend [Ende Febr.? 1801]

Wenn ich nur zu Dir kommen könnte diesen Abend und liebreich mit Dir schwazen! Die Sonne und der blaue Himmel lockten mich heute unwiederstehlich an und mahnten mich an meinen Freund; ich wünschte zulezt nur, es möchte recht schlecht Wetter seyn und bleiben bis zum wahren Frühling, dann ist doch alles rund herum zu und man weiß, daß man nicht hinaus kann. Ich bin vor dem Thore gewesen in einem protestantischen Jungfrauenkloster, wo Jerusalems Tochter Domina ist. Es ist da noch einige Freundlichkeit der Aussicht und vor allen Fenstern herrliche Pflanzungen, Reseda, Heliotropium und was es liebes in der Art giebt, dessen Gemüth in Duft besteht. – Süßer Freund, Dein Brief hat diese Nacht mit mir geruhet; ich bekam ihn gestern sehr spät; halb mit Schmerz habe ich alle seine Liebe in mich gesogen. Wenn Du es nun sehr gewaltsam nimst, was ich Dir gestern geschickt habe – ach wie wirst Du mich noch bekümmern. Es ist doch gar nicht gewaltsam – im Anfang war ich erschüttert, aber alles hatte sich gelegt und die Seele meiner Entschließung wurde von dem Anfang ganz unabhängig. Im Grunde haben wir uns oft gedacht, daß es so mit uns werden sollte, Du hast es mir auch geschrieben. Glaube nur, ich werde nie etwas eingehen, wo ich nicht ganz Deine Freundinn bleiben kann.

Den Freund will ich nicht lassen,
Noch läßt er auch von mir.

Tausendmal hab ich mir heut schon dieses einfältig liebe Lied vorgesagt. Freund ist ein allgemeines Wort gegen das, was ich meyne, Liebling, Du, den ich wie ein theures Kind an mein Herz drücke und verehre als Mann. Du weißt, ich thue beydes, muß ich gleich Dich zuweilen hart tadeln. Mein lieber Joseph, ob ich mich freuen werde Dich wieder zu sehn? Ja wahrlich mehr, wie ich Dir sagen kann, eilt meine Freude schon der Zeit voraus, die uns noch trennt, und ich überlasse mich ihr jetzt ohne Furcht; ich bin so sicher in mir selber geworden, weil ich weiß, was ich will.

Mit Wonn werd ich Dich sehn,
O nimm mich auch so auf.

Gott führe Dir ein Herz zu, das Dir seine Treue reiner beweisen darf, aber ein treueres – nein, Du kannst es nicht finden, und darum leg ich auch einigen Werth darauf, daß Du dieses aus dem Sturme dennoch davon bringst. Stoß es zurück im Augenblick des Unmuths – es hoft auf die Stunde der rückkehrenden Liebe und bleibt Dir. Sag, hab ich Dich nicht immer geliebt, und wenn ich mich gegen Dich auflehnte, weil ich nicht anders konnte, dennoch geliebt? Habe ich Dich nicht stets mit inniger Zärtlichkeit wieder an meine Brust gezogen und die Stirn Dir geküßt, die finster gesehn hatte?

Wenn nur die Sorge erst ein wenig gemildert wäre in mir, daß ich Dich störe in Deinen Gedanken und Worten durch das, was ich Dir geschrieben habe. – Erst mit Ungewißheit, nun vielleicht durch Gewißheit, – denn Du wirst sie Dir viel schneidender denken, als sie ist – nehmlich gewiß ist sie, aber was ist denn so sehr bittres daran? Wir wollen uns blos unabhängig wissen von uns selber und der Welt. Übrigens .... [Bogenende.]

*

99. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Sontag Nachmittag 1. März [1801]

Deine Freundin ist ganz allein und kommt zu Dir. Sie möchte gern nicht daran denken, daß Du vielleicht schmerzlich damit beschäftigt bist ihr zu schreiben, und was Du ihr wohl antwortest, aber eine andre Zuflucht sucht sie nicht vor dem Denken an Dich als Dich selber, und keine andre Brust ihren armen Kopf daran zu legen als die, welche sie vielfältig zerrissen hat. Und Du wirst sie aufnehmen. Laß uns reden, mein süßer Freund, von großen Dingen – liebliches Unterreden heilet bittres Weh. Ich kann nun schon die Stunden zählen, bis wann ich Deine Stimme wieder hören werde und in Deine Augen blicken. – Eben habe ich Fichtens Ankündigung gelesen. Ich kann nicht läugnen, die Stelle ist von der feinsten Zweydeutigkeit, ich habe sie mir nach allen Seiten hingewendet und kann sie nicht wegbringen. War sie denn Goethen nicht aufgefallen, ehe Du mit ihm darüber sprachst? Er als der große Gewaltige und ich als die kleine Frau wir rathen nun immer zum Frieden. Ausweisen muß es sich allerdings, allein es kann sich doch auch so spät ausweisen, daß Du viele Mühe davon hast. Um Dich mit ihm zu verständigen, dazu kannst Du sein Werk, daß er da so eisern hinzustellen gedenkt, nicht abwarten. Er will es hier nicht untersuchen; wo will er es denn untersuchen? Ich wünsche, daß Du ihm schon Deinem Vorsaz gemäß geschrieben haben mögest. Daß er verschweigt, was er im Briefe sagt, kann entschuldigt werden, mich däucht wenigstens, das gehört nicht sowohl in diese Ankündigung als in das Werk. Öffentlich mußt Du für jetzt nichts thun; wie könntet Ihr dann auch an eine gemeinschaftliche Arbeit denken? So wie ich die Sache einsehe, würde ich vermuthen, daß er Dich mit der Naturphilosophie wie in ein Nebenfach zurückweisen und das Wissen des Wissens für sich allein behalten möchte – Deine Theorie des Universums ZB. wie eine Meynung behandeln. Die Wahrheit zu sagen, ich helfe mir hier mit Sehn im Dunkeln, und brauchte Dir das nicht erst anzuvertraun, da Du es wohl merken wirst. – Was Du jetzt gleich im Journal als Darlegung Deiner neuen Ansicht auszuführen gedenkst, wird das schon umfassend genug seyn um ihm entgegengestellt werden zu können – nehmlich nur in so weit, daß man den Standpunkt Deines Idealismus ganz daraus abnehmen kann? Aus den Bemerkungen zu Eschenmayers Aufsaz muß ich das fast schließen. Es wird nachgerade immer nöthiger, daß Du auch so etwas Ewiges machst, ohne eben so darauf zu trotzen. – Das willst Du wohl nicht von mir erfahren, mein allerliebster Freund, ob Du Dich schon beynahe so ausgedrückt hast – wie weit Fichtens Geist reicht. Mir ist es immer so vorgekommen, bey aller seiner unvergleichlichen Denkkraft, seiner fest in einandergefugten Schlußweise, Klarheit, Genauigkeit, unmittelbaren Anschauung des Ichs und Begeisterung des Entdeckers, daß er doch begränzt wäre, nur dachte ich, es käme daher, daß ihm die göttliche Eingebung abgehe, und wenn Du einen Kreis durchbrochen hast, aus dem er noch nicht heraus konnte, so würde ich glauben, Du habest das doch nicht sowohl als Philosoph – wenn die Benennung hier falsch gebraucht seyn sollte, so mußt Du mich nicht darüber schelten als vielmehr in so fern Du Poesie hast, und er keine. Sie leitete Dich unmittelbar auf den Stand der Produktion, wie ihn die Schärfe seiner Wahrnehmung zum Bewustseyn. Er hat das Licht in seiner hellesten Helle, aber Du auch die Wärme, und jenes kann nur beleuchten, diese aber producirt. – Und ist das nun nicht artig von mir gesehn? Recht wie durch ein Schlüßelloch eine unermeßliche Landschaft. – Nach meiner Vorstellung muß Spinosa doch weit mehr Poesie gehabt haben wie Fichte – wenn das Denken gar nicht damit tingirt ist, bleibt denn nicht etwas Lebloses darinn? Das Geheimniß fehlt – sieh, ich ahnde das recht gut, wer fähig ist Geometrie zu fassen, der wird auch die Wissenschaftslehre lernen können, aber das ist eben die Begränzung, daß sie so rein aufgeht.

Lange habe ich mich nach einer tüchtigen Übersetzung des Plato gesehnt. Sollte sie aber wohl Schleiermacher so gut machen, wie Friedrich thun würde, wenn er arbeiten könnte?

 

Ich besah mir ein wenig den Tancred auf das, was Du davon schriebst; das wußt ich noch, er müste sich theatralischer wie Mahometh machen; recht dürftig ist denn doch der Voltaire immer in der Ausführung. Eine Rede der Amenaide hättest Du nur ganz für mich behalten sollen, wie sie unwillig ist, daß ihr Geliebter sie verkennt:

Ce cœur est aussi sûr que le sien invincible;
Ce cœur était en tout aussi grand que le sien,
Moins soupconneux sans doute, peutêtre plus sensible –

Ich kann mir ganz genau vorstellen, wie die Jagemann gespielt hat. Sie besitzt im Ganzen mehr Verstand und Energie als Talent, und man reicht damit zu dieser Rolle, wie auch zu Thekla, aus!

*

100. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Mittwoch früh [März? 1801]

Mein allerliebster Freund, ich schreibe Dir gleich frisch auf der That nach Deiner artigen Sendung. Gestern hatten wir ein großes Concert hier im Hause (mit Quartetten) und ich hatte Dich immer vor Augen und im Herzen gehabt; ehe ich mich schlafen legte, übergab mir Rose noch die beyden Briefe von Dir, und so wie ich aufstehe, will ich Dir dafür danken. Ihr Sinn ist doch liebreich, den kleinen Bitterkeiten zum Troz; Du irrst Dich, aber ich hoffe, Du wirst nicht etwa meynen recht zu haben. Denn wenn ich Dich gleich verlasse, so thu ich es doch ganz anders, wie Du vorgiebst Dir einzubilden, und ich habe niemals so fest und unauflöslich an Dir gehangen. Wenn Du mich von Dir losmachen wolltest, so würdest Du mein Leben mit zerreißen. Also was Du schwazest vom Wunsch frey zu seyn, und von der Möglichkeit, daß mich mein innrer Genius nicht eben zu Dir unwiederstehlich hinzöge, das ist alles Thorheit – denn eben zu Dir; ich habe es nie allmächtiger empfunden. Ich will blos dabey bleiben, was ich bin, was ich nicht ändern könnte ohne mich zu zerstören, mir treu, um Dir desto treuer zu seyn. Die Furcht Dein Misfallen zu erregen, und der zerrüttende Eindruck, den Dein Misfallen auf mich macht, die muß ich fliehen um der Liebe und meines heiligen unabänderlichen Grames willen, der solche Störungen nicht mehr erträgt – drum muß ich mich wenigstens in so fern von Dir trennen, daß Du nicht leidest durch meine Schulden, und blos das Freundesrecht habest zu tadeln, nicht beschämt für mich zu werden, und blos das Recht des Geliebten Gefallen an mir zu finden, nicht Gefallen an mir zu üben. O ich habe Dich schrecklich lieb, unbegreiflich lieb, und nun wird es erst ganz an den Tag kommen. Könnt ich Dir nur meinen Sinn einflößen, alle Spannung weghauchen, Dich selbst fest halten in Deiner Anmuth, bei Deiner leichtern Stimmung. Süßes Herz, Du bist auch liebenswürdig, der Himmel ist nur noch nicht klar. Wolken fliehen hin und her, der Sturm jagt sie vor das Angesicht der Sonne. Kein Klima giebt es auf der Erde ohne Wolken, aber nur im Norden steigen sie so unaufhörlich wieder empor, komm in mein Süden, komm, Du geliebtester aller Menschen. Gewiß, wenn Du Dich jetzt nicht mehr trauernd an Unmöglichkeiten wendest, so können wir uns noch ein schönes Leben bilden. Nimm unser wunderbares Bündniß, wie es ist, jammre nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte, nicht die reine irdisch schöne beschränkte Liebe zweyer Wesen, die frey von allen Fesseln sich zum erstenmal begegnen um ihre Freiheit mit einander auszutauschen, ja nicht einmal ein muthiges Zerreißen aller vorher gegangner Bande, das sich die Liebe selbst in meiner Lage nie als Tugend hätte anrechnen können. Und doch, so zerstückt wie es den einfachen Wünschen dasteht, ist es alles in allem, als Freund, als Bruder, als Sohn und Geliebten schließe ich Dich an meine Brust, es ist wie das Geheimniß der Gottheit, gleich der Jungfrau, die Mutter ist, und Tochter ihres Sohnes, und Braut ihres Schöpfers und Erlösers. So laß es uns denn endlich still und gläubig ansehen.

Ich weiß wohl, daß mir dies nach meiner Natur und schon als Weib viel leichter wird. So wie Du in das Bewußtseyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend, vielleicht dennoch beschränkt – Du wolltest ein ungetrübtes jugendliches Glück, Du jugendlich Herz, wie es auch so einem herrlichen Menschen ziemet, wenn Du nur nicht noch so viel herrlicher wie herrlich gewesen wärest. Wie ich in mir selber erwachte, da machte es sich so, daß ich lange, lange glaubte, in der Wirklichkeit wäre das Glück niemals zu Hause, und nichts, was dem innern Daseyn eigentlich entspräche. Und durch diese erste Erziehung bin ich immer ein wenig bescheiden geblieben. Die Resignation hat mir Tiefe gegeben, und die erste Liebe eine ganz unaussprechliche Heiterkeit, ob sie schon selbst fast nicht in die Wirklichkeit gehörte. Nun begnügst Du Dich, wenn es seyn muß, jedoch in Bitterkeit, und ich in reicher Dehmuth. Du kannst und sollst gar nicht seyn wie ich – aber erkenne nur die Sache, wie sie steht von beyden Seiten, und nimm von mir an, was Dein edles Gemüth nicht bezwingen, aber besänftigen, trösten, beruhigen möchte.

Donnerstag.

Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue gebohren, ich wäre treu gewesen mein Lebenlang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewustseyn eben von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas nied[r]eres vor dem Untergang bewahren in meinem gefahrvollen Leben als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten – ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnte ich wie Jacobi ausrufen: verlasse Dich nicht auf Dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus, und hätte es mich in Noth und Tod geleitet. Das ist mein unmittelbares Wissen, daß diese Sicherheit sicher ist, und könnte sie in mir zerbrochen werden, so müßte sogleich die Vernichtung eintreten, für mich nehmlich. Denn eine Lehre ist das nicht und kann nicht mitgetheilt werden, eine unsichtbare Kirche wird es aber doch wohl seyn. Du siehst, ich nehme es mit der Treue im Großen – aber gewiß nicht um Dir zu entschlüpfen, nur weil mir das so nahe liegt; insofern ich mir treu bin, bin ich es auch Dir. Freylich wohl, so wie nach meiner Idee die Sünde nicht in den Handlungen liegt, so möchte auch die Treulosigkeit mir nicht in den Untreuen erscheinen, und Du bist also vielleicht schlecht zufrieden. Bist Du, mein Lieber? Nein, Du erkennst hierin den Punkt auch, der Hohes und Niedres scheint [scheidet?], sonst hättest Du mir lezthin nicht so ernst zugestanden, daß Du keinen zuverlässigem Freund hättest wie mich – und jetzt so anmuthig mit Deiner Freundin über ihr untreues Haupt gescherzt. Diese wenigen Zeilen sind in der That recht bezaubernd süß – aber ich hoffe doch, unter Liebenswürdigkeit verstehst Du die Würdigkeit geliebt zu werden? Worauf bezieht sich aber die Erwähnung: Du glaubtest jetzt selbst, was man über diesen Punkt (der Nichttreue nehmlich) versichert habe? Geht das mich oder mein ganzes Geschlecht an? [Blattende.]

*

101. An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

[Braunschweig] Mittags [März? 1801]

Eine Weile war ich zweifelhaft, ob Du mir heute schriebest, und dachte, wenn nicht, so will ich mich nicht betrüben, besser nicht diesmal, als etwas, das Dich schmerzt bey Deinem vollen Herzen. Du hast mir nun geschrieben, und freylich Gram und Liebe gehäuft. Doch stille. O ich bitte Dich, nimm mich an Deine Brust und tröste mich.

Ja, ich habe ein Verbrechen begangen, da ich mich der Liebe überließ, aber, was ihr Fesseln anlegte, war und ist heilig, und nicht ein Mangel an freyer Gesinnung und nicht eine Halbheit der Liebe. Willst Du mir nie verzeihen, daß die unwiederstehliche Neigung zu Dir sie durchbrach? Nichts ist unheilbar für Seelen wie die unsrigen, und ich war kühn, aber nicht frevelhaft. Vergieb mir.

Du siehst doch wohl, daß ich nicht auf die Art von unbekannten Umständen abhängig war, Gott weiß, ich wartete auf nichts als auf seine Eingebung. Das liegt am Tage. Du veranlaßtest sie selbst durch die Bewegung, in die ich gerathen mußte.

Weise nun Deine Caroline nicht zurück. Überdenke alles, mein Daseyn liegt in Deiner Hand. Verwirre mich nicht, fühle, daß ich Dich liebe, daß Du meine einzige Freude bist.

Dein Besuch hat mich wie Dich selber erquickt. Wenn ich ihn sehe, so werde ich mir nicht verbieten können ihm zu danken.

O Liebe, dir vertrau ich ganz und gar,
Beschleun'ge dieses süße Widersehn
Und heil das Übel, das du selbst erschuffst.

Ich hab es schon auswendig gelernt. O Schelling, liebe mich, vertraue.

*

102. An August Wilhelm Schlegel

Hamburg d. 10ten Aprill [1801]

Gestern, mein lieber Schlegel, erhielt ich hier Deinen Brief und will nun auch recht artig und ruhig seyn, aber doch sehr eilen endlich mein herumschweifendes Leben zu endigen. Ich bin eigentlich in Altona logirt und habe nur die vergangne Nacht wegen des Schauspiels bei Meyers zugebracht. Dort ist die Stiefmutter der kleinen Michaelis an einen reichen Engländer verheirathet und die nahmen mich mit herüber von Harburg. Ich bin so satt gestopft mit Politik, daß ich fast nichts wieder von mir geben kann. Man freut sich sehr über Pauls Tod, der die Nordische Allianz zerreißen soll. Man kündigt in Altona dänische Siege an, und haßt hier die Dänen auf den Tod und rennt mit den weisen reichsfreyen Köpfen gegen einander und mein Hauswirth droht von stiller Wichtigkeit zu bersten. – In Harburg werden die Preußen erwartet und der König Georg detestirt.

Ich war gestern Abend im französischen Theater und habe Dir an der Thür das Einliegende gekauft. Ich will mich noch auf mehr besinnen, obschon ich Morgen wohl wieder nach Harburg zurückgehe. Hamburg ist ein äußerst beschwerlicher Ort. Gott behüte mich vor dem ganzen Wesen.

Hardenberg ist also in Ruhe, wohin meine Seele auch so gern gelangen möchte. Er ist sehr glücklich, aber die arme Julie.

Mein Freund, bleibe doch ja gesund. Der kleine Robert von Ro[o]se ist gestorben an einer Auszehrung. Sey nicht böse auf mich und nur so gerecht gegen mich als nachsichtig gegen andre. Sey mir gut, lieber Freund, ich bin wahrlich recht gut. – Ich will keine langen Briefe, nur Nachricht von Dir. Geld brauche ich auch nicht früher als in Jena. Blos gute Worte. Adieu, Du Bester.

Das Feenkind ist sehr hübsch und nicht zu verkennen. Aber was treibst Du für Geheimnisse mit Unger?

*

103. An August Wilhelm Schlegel

Jena d. 7ten [-8.] May [1801]

[Auszug]

Diesen Morgen, mein lieber Schlegel, kann ich Dir nur blos von mir sagen, daß mich Dein unglücklicher Fortunat entzückt hat. Gestern Abend hatte mir Gries (der blos zu solchen Dingen taugt) die Marie Stuart gebracht, und da wir diese angefangen hatten zu lesen, wollt ich ihn in solcher schlechten Stimmung noch nicht mittheilen, und ihn mir auch erst allein vorlesen. Sage, mein Lieber, wo hast Du den nun wieder hergenommen? Er ist so fantastisch, so zart schauerlich und lieblich schreckenvoll, und erst drücken die Assonanzen die Ahndung hievon so gut aus, dann der Reim den entscheidenden Moment des nahenden Todes unter den Rosen. Ich bin ganz und gar davon eingenommen und mag mir eben deswegen nichts erschöpfen und nichts abschöpfen mit einer Analyse. Den Namen Fortunat hat Dir Fortuna selber eingegeben. Dichte nur, trachte so fort! Dies ist eines von denen Gedichten, wovon mir der Eindruck immer bleiben, immer wieder der erste seyn wird. Kann man im Thiergarten auf so zauberliche Gedanken kommen? Wenn mir es jemand angriffe, der hätte mit mir zu thun, aber Du, mein Schatz, hast eine schlechte Sache zu vertheidigen gehabt, wie Du gegen Tiek über Maria Stuart strittest. Es ist wahrlich nicht besser wie der Wallenstein ja der gesammte schlechtere Wallenstein spricht einem daraus an. Die wenigen lyrischen Stellen sind hübsch – o ja aber mit dem Ganzen schlecht verbunden. Das Interesse für Maria ist durchgehends zu sehr geschwächt, es sieht aus, als sollte das objektiv gemeint seyn, aber ist nichts ächtes damit, blos nachgemachte Patent-Objektivität. Denken kann ich mir wohl, daß es sich auf dem Theater ganz gut macht. Die Szene, wo Melvil sein priesterlich Haupt entblößt, ist eine der vorzüglichsten und eine sehr gute Schlußerscheinung der Maria. Der lezte Auftritt endet genau wie beym Wallenstein mit einem Epigramm – Fürst Piccolomini! »Lord Lester schift nach England«. – Das Politische darinn hat auch die Deutlichkeit einer Deduktion nicht los werden können, und ich versichre Dich, ich habe bey dieser ersten Lektüre, wo die Neugierde mit geschäftig war, nicht einiger Langeweile entgehen können. – Wie fällt Mortimer mit seiner Catholizität wie mit der Thür ins Haus! Er müßte durchaus nicht psychologisch darthun, wie er katholisch geworden ist, sondern blos mit Eifer aussprechen: ich bins. Ja, mein Freund, mir ist es ganz klar, daß alles poetische Drum und Dran dieses Stückes in der Summe keine Poesie macht.

Was hofst Du nun vom Mädchen von Orleans? Ich habe die taube Nuß, den Gries, wieder befragt, und da es angenehm ist über etwas, das man nur halb weiß, zu reden, als wüßte man es ganz, so will ich Dir so viel davon sagen, es ist doch nichts als eine sentimentale Jeanne d'Arc. Sie ist tugendhaft und verliebt, sie glaubt sich wirklich inspirirt (nun das wär gut) und es gehen auch Zaubereyen vor. Allein denke Dir den Gräuel, sie wird nicht verbrannt, sie stirbt an ihren Wunden auf dem Bette der Ehren. Eine alte Königin Isabeau, die gegen ihren Sohn Carl mit den Engländern kriegt (wie Gries berichtet), bekommt sie in ihre Gewalt; sie wird mit sechsfachen Ketten an einen Baum fest gebunden, indessen geht die Schlacht weiter fort und irgend jemand, der auf einen Hügel steht, erzählt der Isabeau, wie es geht und daß Carl in Gefahr ist. Jeanne geräth darüber in heiligen Wahnsinn und die Ketten fallen von ihr ab auf ihr Gebet, sie fliehet hinweg um den König zu retten, und dabei bekommt sie dann die Todeswunde. Stanzen sind darinn, allein sonstige Unregelmäßigkeiten will Gries nicht gehört haben. Auch nichts von der Genoveva, mehr von Shakesp. Er wird sich darinn wohl verhört haben. Ich muß übrigens sagen, daß das, was ihr in Maria Tiekisch fandet, mir gar nicht so vorgekommen ist. Wie Maria ins Freye komt, so ist da eine Art von Cantate, die mich eher an Rammlers Ino erinnert haben würde. – Schiller las das Stück den Schauspielern vor in der Absicht es gleich aufführen zu lassen, vielleicht komt es nun doch für jetzt nicht dazu wegen des zu starken Personale. Man studirt Nathan ein. – Gries meint auch noch, die Pucelle von Voltaire sey ihm oft störend eingefallen, die Schiller auch viel dabey studirt hat, doch läßt sich schwerlich entscheiden, ob sie Schiller oder Griesen Streiche gespielt hat. Bey dem Shakesp, könnte sie mir nie einfallen. Es ist hübsch, daß diese Übersetzung eben zugleich erscheint. Von Schiller komt diese Messe viel zum Vorschein, auch der Macbeth. Tröste Dich nun, daß Woltmann mehr weiß als Du! Du weißt ja, daß Schiller bis auf diesen Augenblick das Sujet niemanden vertraut hatte. Dafür kennst Du nun seinen Embryo, Don Juan, darfst aber blos in geheimnißvollen Winken darüber offenbar werden.

Hier sind noch zwey Zeilen, die den ersten Act schließen ungefähr:

– ich will
Zu Hülfe eilen Frankreichs Heldensöhnen
Und Rheims befreyn und meinen König krönen.

Mir geben sie Licht genug. – Ich wünschte den Tancred zu lesen; darin sollen die Jamben und hinzugefügten Schlußstellen ungemein schön seyn.

Goethe ist hier. Schelling war gestern den ganzen Morgen bey ihm und fuhr mit ihm aus, kam auch ganz ermüdet von scherz und ernsthaften Reden bey uns an. Er hatte sich eben auf das angelegentlichste nach Dir und Deinem Thun und Treiben erkundigt und wann Du kämest, als ich das Packet hinschickte. S. erzählte ihm Deine Händel mit Unger, er las Deinen Brief und sagte: nun, er scheint doch recht vergnügt und wohl zu seyn und es freut mich ihn bald zu sehn. Er wird nicht lange bleiben. Den Nicolai hatte er noch nicht gelesen, er war gleich in Schillers Hände gekommen. Ein vollständig Exemplar habe ich nicht für ihn erhalten und Schelling muß ihm das seinige mittheilen. – Der Herzog ist in dieser Woche unvermuthet zu Loder gekommen und hat bey ihm gegessen, worüber L. über und über stralend geworden, und mir auch gestern früh eine Stundenlange Aufwartung gemacht hat. Die Lodern war schon zweymal bey mir; Hannchen kam von Leipzig zurück, wo sie bey Tischbeins logirte, und brachte mir viele Grüße nebst einigen Klagen von Caroline, daß Du ihr nicht geantwortet, was ich sogleich thun werde. Carolinens Stimme soll ins bewundernswürdige gehn, Betsy darf jezt wenig singen, sie hat Brustschmerzen und eine solche Reizbarkeit, daß sie Stundenlang über das mindeste, was sie anregt, weint und zittert. Sie ist Mignon, ach ich fürchte, sie wird nicht leben, diese zarten Saiten haben so früh getönt.

 

Was die Aufträge in Deinem Brief betrift, so habe ich sie nieder geschrieben und Friedrich geschickt noch gestern Abend, weil er, so viel ich weiß, heute nach Leipzig gereist ist, um die Veit abzuholen.

Mit dem Druckfehler im B. ist es freylich zu spät, ich habe schon ein Exemplar im Hause gehabt, das Friedrich für Schelling geschickt hatte, der Dir danken läßt. – Fr. ließ mir sagen, er wolle alles besorgen. Ich hatte zugleich Deines Wunsches erwähnt Deine Bücher im Hause vorzufinden, denn allerdings sehn die beyden Bücherbrette sehr degarnirt aus, obschon ich nicht anzugeben weiß, was fehlt, nur einiges, was ich suchte, ZB. Müllers Geschichte der Schweiz, war nicht da. Die ließ ich mir holen, weil wir etwas nachsehn wolten wegen Wilh. Teil. – Deinen Fortunat kann ich nun Friedrich nicht eher mittheilen, bis er sich wieder bey mir meldet, doch muß ich das Sonnet auf das Bild holen lassen, wenn ich es demnächst Tiek schicke. Dieser ist in Leipzig gewesen, ob ihn Friedrich noch findet, weiß ich nicht. Es ist recht betrübt, daß ich ihn nicht sehe.

Das einzige Wort, Du wollest in dem persönlichen Verhältniß zwischen Friedrich und mir nicht gegen mich Parthey nehmen, hat mich ganz ruhig gemacht. Weiter begehre ich nichts, obwohl mein Herz einigermaßen voll Unwillens gewesen ist. Ich sehe noch nicht klar, und begreife nicht, wie es die Veit wirklich hat wagen können, so wenig Rücksicht auf Dich sowohl als mich zu nehmen, so daß ich immer noch zu denken geneigt bin, meine Augen und Ohren betrügen mich. –

Deine Bemerkung über die Realität des reellen Schadens ist zwar richtig und ich bemühte mich gleich sie nicht aus der Acht zu lassen, aber ich habe dafür diesen schon fast zu sehr aus der Acht gelassen. Alles, was ich erst wieder herbeyschaffen muste, ist mir schon, als hätte es nicht gefehlt. An Meublen wird nun außer einem Tisch alles da seyn. Mit dem Ersaz fordern weißt Du, wie es ist. Kann ich behaupten, ihr habt mir so und so viel Dutzend Teller zerbrochen, da Mad. Veit nichts förmlich übergeben worden ist? Freylich sind jetzt nur 2 Dutzend da, statt 10 Dutzend, mit denen ich anfing, und wir haben denn doch bis zulezt noch große Gesellschaft mit dem Porcelan bewirthen können. So sagt auch Rose, es wären noch viel Gläser dagewesen, nur zwey zerstoßne, item die Tassen und die blauen Glascompotieren zerbrochen! Meine Klage über den Verlust anderes Hausgeräthes als Körbe etc. beantwortete mir Friedrich mit einer Denunciation von Lenens Untreue, aber wie Rose wegging, waren diese Sachen da. – Auf keine Weise möcht ich in eine Erörterung mit der Veit mich einlassen. Das müste eine gemeine Geschichte werden, also bis wir, Du und ich, uns sprechen können, laß alles gehn, wie es geht. – Rose sagt, die Veit habe immer das Essen durchaus auf den porcelan Tellern gewärmt haben wollen, und da wären sie gesprungen. – Alles dieses sind aber, höchstens in die Augen fallende, Kleinigkeiten gegen ganz andere Beschwerden.

Ich versichre Dir, Schelling ging mit der Idee von Bamberg weg Friedrich zu sehen, nur war das erste, was ihm hier entgegen kam, jener feindseliges Verfahren gegen mich. Ich überzeuge mich auch vollkommen jetzt, daß es keine Grille damit war, und einmal angenommen, daß mein Zutrauen gegen die Veit zu weit ging, kann ich es auch erklären. Sie strebt mit einem starken Misgefühl ihrer Nationalität nach einer bürgerlichen, wenigstens geselligen Existenz und auf den Ruin, den ich über mich gebracht hatte, dachte sie sich zu gründen. So hat sie mich durch Wahrheit und Verläumdung Preis gegeben gegen die Paulus zuerst, bey der das den besten Boden fand, den neidischen. Weiterhin ist das Mittheilungssystem immer stärker eingerißen, wie es darauf ankam, theils von Friedrichs Seite den Zirkel der Freunde im Guten zu vergrößern, theils sich Parthie zu machen, und schlechtes Volk in solcher Absicht nicht zu verschmähn. Würden wir wohl je Winkelmann, Vermehren und dergl. Leute so täglich in unsrer Nähe geduldet haben, und Paulus als Freund besitzen wollen, der doch den allerverächtlichsten Charakter von der Welt nicht verleugnen kann, oder Fromman als Protektor? Läßt sich Gemeinheit gänzlich verbannen unter derley Umgebungen? Und in einer höhern Hinsicht – Sollte man die zudringlichen Dilettanten und miserablen Wesen zulassen in der Hoffnung einen wahrhaft geweiheten Kreis zu erweitern? Ich weis, was Friedrich verführt hat: der ihm fremde Genuß einer gewissen Art von Popularität. Er lebte mit seinen fast leidenschaftlichen Hange zur Geselligkeit immer isolirt. Und dann – ich darf es sagen, weil es eine Zeit gab, wo ich in sein innerstes Herz geschaut habe – er ist nicht ohne Rachsucht; er glaubte sich an Schelling rächen zu müssen, der doch in der That blos auf sein Verfahren von ihm abfiel – und alles dieß trübe Wesen hat ihm seine Erinnerung meiner und seiner verdunkelt, ihn verstockt. – Ich warte nur darauf, ob er sich denn gegen Dich auch gar nicht erklärt, um den Brief zurückzufordern. Freylich wäre es mir lieber, wenn Du es thätest blos als Auftrag von mir, und versiegelt. Lesen kannst Du ihn dann, wenn er ihn unbeantwortet giebt; er ist keinesweges geschrieben, um vor Deine Augen zu kommen, allein ich kann doch für mich nichts dagegen haben. [...]

*

104. An August Wilhelm Schlegel

Jena d. 29 Jun. [18]01

[Auszug]

Erquicklicher konnte mir nichts seyn, als was Du mir da mit Einemmal eröfnest, mein lieber S. Ein Act fertig, 500 Verse, und wenn das Ding vollendet ist, ist es ein Schauspiel und kein überseztes, und Du scheinst zufrieden! Ja, diese Aussicht macht mich unbeschreiblich vergnügt und es ist billig, daß Du sie mir nicht länger vorenthalten hast; ich will auch weiter nichts und den Deckel des Gefäßes nicht etwa öffnen von Zeit zu Zeit, sondern fest verschlossen halten bis zu dem gehörigen Tage, wo er sich von selber aufthun wird. Sag mir auch weiter nichts – nur seh ich, wenn Du ein solches Werk dort fertig machen willst, so kommst Du auch im Julius noch nicht, und ich muß die erregten Hoffnungen auf Deine Ankunft bey den Hausgenossen wieder niederschlagen, die Dir mit gefülleten Oehllampen gleichsam täglich entgegen gehn – aber am Ende stehen wir vielleicht sämtlich wie die thörichten Jungfrauen da! Schelling und ich sind auf die Gedanken gekommen Dich nun, wenn Du in der lezten Hälfte des Sommers doch nicht zeitig kommst, spätlich selbst abzuholen, denn er hat große Lust nach Berlin zu gehn um dort auch einige philosophische Gespräche zu führen. Halte dieses aber nur nicht etwa für ein Projekt, das Dir Thür und Thor öffnete ordentlich mit Gewissensruhe dort zu verweilen, sondern fahre fort fleißig an Deine baldige Rückkehr zu denken. Am allermeisten aber an die herrliche Ausführung der herrlichen Unternehmung. Höchstens habe ich mir einen Euripides gedacht für das Berlinische Theater eingerichtet. Das ist gewiß, Du hältst Dich frisch und grünest immer von neuen, Gott wird Dir auch noch rechtes Gedeihen geben. Du machst es nicht wie die andern befreundeten Pflanzen, die sich so schmälich hinwelken lassen. Über Tiek kann ich mich gar nicht beruhigen. Ich hoffe zwar wohl, daß er auch einmal wieder hervorkommt, aber aus einem gewissen verkümmerten Zustande nimmermehr recht heraus.

Also seyd ihr auch gespannt, wie sich das zwischen Fichte und Schelling entscheidet? Da seyd ihr auf der rechten Spur, denn es ist alle mögliche Ursache vorhanden, und die Kämpfer ehrenwerth. Hat Dich denn Fichte überzeugt, daß es nicht geht mit der spekulativen Naturphilosophie? O schriebest Du mir nur zu meinem Privatvergnügen mehr davon, ich wolt es gewiß Schelling nicht verrathen, wenn Du es verbötest. Denn wenn auch der große Brief kommt, so wird doch F. Gesinnung darin etwas verkleidet seyn. Sch. ist in einer wackren Stimmung. Er hoft recht zu haben und ist dabey doch voll Ehrfurcht gegen die heilige Stärke seines Gegners. Wenn die beyden wirklich öffentlich auftreten sollten, so wird es redlich und in einem würdigen Tone geschehn und alles übrige Volk in die Schranken zurückweichen müssen. Sch. würde in der That F. sehr gern mündlich sprechen, wenn bis zum Herbst hin nichts äußerlich sich in dem Stand der Dinge zwischen ihnen verändert. Sag also weiter nichts davon. Das aber verhehle mir nicht, ob Schleyermacher schon ein Urtheil glaubt fällen zu können.

Wenn Schelling auch heute seinen an Dich angefangnen Brief nicht endigt, so glaube nur, daß ihn seine Gedanken in Ketten und Banden haben, er ist nicht einmal zu Tisch gekommen. [...]

*

105. An August Wilhelm Schlegel

[Jena] d. 27 Jul. [1801]

[Auszug]

Dein lezter Brief traf mich im Bette an, und zwar nicht auf eine natürliche Weise, sondern höchst grausam und unnatürlich; Krankheitshalber, und Du wurdest nun auch eine von den feindlichen Mächten, die mir zusezten. Dieses soll nicht Dein strenges Gemüth erweichen, ich erzähle Dir nur, wie mirs geht. Das feuchte Wetter, welches freylich ein gelinder Ausdruck für diese Sündflut ist, die uns die Ernte eines herrlichen Jahrs vielleicht niederregnet, war unstreitig der Anlaß meines Übels, indem ich an einem schönen Morgen mit einem über und über geschwollnen Gesicht aufwachte. Ich habe mit Kräutern baden müssen, ich bin sehr schwach gewesen und bins noch so leidlich sehr. Übrigens ganz leidlich vergnügt.

Hast Du Dich an meinen Brief Nr. 1 schon geärgert, wie wird es dem Nr. 2 gegangen seyn! Ich verspreche Dir im voraus, daß ich auf Deine Antwort nicht wieder antworten will. Wie Du von Dir sagst, ich habe in guter Meynung alles geschrieben, in pur guter Meynung und in der besten von Dir. Eine lange Apologie kann ich nicht machen. Ich sage Dir nur kurz, nicht ein Jota hätte Dich in alle dem kränken dürfen. Auf keine Art glaube ich, daß Du gegen Unger unrecht hast, und Deine Entschlossenheit darüber freut mich mehr, als die Wiederherstellung des zerrißnen Verhältnisses thun würde. Wenn ich Tieks Brief nicht im rechten Sinn gelesen, so hättest Du mir den mit beylegen sollen; ich konte ihn nicht errathen. Ist er der rechte, so hol ihn der T.! denn dann ist ja Tiek etwas von einem Halunken, wogegen sich meine Überzeugung doch sträubt. Seyd ihr Freunde und glaubt dergleichen von einander? Und nennt ihr euch blos so, im Schooß einer gemeinschaftlichen Kirche, ey die Kunst selbst braucht das Fundament der Rechtlichkeit noch. Schreib mir doch, was denn das endliche Resultat dieses Streites gewesen ist. – Überdem hat mich seine Ansicht ja gar nicht gestimmt, und es war zufällig, daß mir dabey allerley Weisheit einfiel, die ich Dir auskramte. Wenn Du meine Weisheit dumm befindest, das nehm ich nicht übel, aber Dein Mistrauen, das eine so ernstliche Empfindlichkeit erzeugt. – Wegen der Anzeige über K[otzebue] geb ich mich zu – es war nun meine Einsicht und Ansicht sie für überflüssig zu halten – warum sollte ich es nicht sagen? Du nimmst mir erstaunlich viel von meiner Artigkeit und Anmuth, wenn Du mich furchtsam machst. Es ist Dein eigner Schade.

[...]

Wegen der Berliner Reise – nichts von Hader! alberner Freund, warum hast Du vergessen, daß das Wort unzweckmäßig oder zweckmäßig ein Sprichwort unter uns war, seiner Pedanterey halben und weil es sich manche Damen angewöhnt hatten, die Schillern, die Nuys – ich unterstrich es im Schreiben wie im Reden, es lag gar nichts dahinter und ich erkannte wohl, daß Du gütig warst mir die Reise anzubieten, die freylich nicht sehr ernstlich von mir gemeynt war, aber um den Zweck Dich abzuholen hätte ich wohl Ernst daraus gemacht. Amen.

Grüß die Bernhardi, ich habe mich bedacht, ob ich ihr nicht etwas schicken könnte für ihr neugebohrnes Würmchen. Bist Du nicht Gevatter? Aber das einzige, – etwas Gestriktes – fällt weg, weil sie selbst eine große Strickerinn ist.

Marcus hat mir den fränkischen Lustgarten geschickt, eine alte Edition – ich behalte ihn zurück, weil Du jetzt wohl Dich nicht unterbrichst. Es wird noch künftige Allmanache geben und braucht nicht in diesem. Aber weißt Du wohl, daß diesem noch einiges im elegischen Sylbenmaß oder Hexametern zu wünschen wäre, um das Herschende darin zu brechen?

Marcus läßt Dich grüßen, er wolle Dir nach den Grundsäzen der Erregungstheorie eine Erklärung der vorkommenden Wunder dazu schreiben. Die Gesellschaft ist nun in Bocklet, das Wetter wird sie etwas stören. So viel ich weiß, ist Friedrich hier geblieben. Das ist ein sehr unerwarteter Aufschluß über den Eduard. Immer alles noch schlimmer, als ich es zu vermuthen verstand von Anbeginn an. Friedrich hat mir selbst erzählt, daß dieser Mensch dort gewesen sey, daß er nach Amerika gegangen wäre, und mich viel Hohes und Herrliches von ihm ahnden lassen. Damals hat er ihn mit einer Umarmung bewillkommnet, deren sich der Eduard gar nicht versehn hat. Er wollte mich auch glauben machen, Philipp könne wohl ein Sohn dieses Eduard seyn, villeicht um mir den nationalen Abscheu zu benehmen, denn ich hörte nachher, daß Philipp von früherem Datum ist. Und nun der Handel mit der Schwester, welche die Veit selbst für eine schlechte Person ausgab – wie paßt das? Was sind das für Lügen, Selbstbetrüge und verächtliche Geschichten. Läßt sich denn Friedrich so hintergehn? – Sie haben hier einen solchen Wind gemacht, Paulus hat den Alton als einen Menschen pronirt, der in Persien gewesen ist, ihn in den Clubb gebracht und was nicht alles. Ich weiß indeß so wenig, ob er noch hier ist, wie von Friedrich selbst, und es ist auch sehr begreiflich, daß ich nicht früher von seiner Existenz hörte, da ich nicht von ihnen spreche, niemand befrage, also mir alles zufällig und oft lange hinterher zukömmt. Allein da ich Friedrich am Tage nach der Rückkunft von Leipzig mit diesem Sujet im Paradies begegnete, so muß er wohl schon von dort mitgebracht seyn. Wenigstens hoften wir hier, der persönliche Florentin würde ihnen auch Geld mitbringen, und so fällt das weg? Da ist es mir noch weniger erklärlich, wie und wovon sie leben, da Friedrich jetzt so viel ausreitet, und alle Augenblick einmal ein Fässel Wein hier unrichtigerweise ins Haus gebracht wird, das dorthin gehört, oder die Akzise mir angerechnet, was ich aber höflichst ablehne. Ach lieber Wilhelm, und ungeachtet die Sache so heillos steht, so fürcht ich doch, Deine Hoffnung wird nicht erfüllt werden. – Verzeih mir, daß ich nach Deinem ersten Bericht glaubte, Du könntest Dich drein mischen wollen. Bedenke zugleich, ob mich wohl nicht ein gerechtes Gefühl davon anwandeln kann, daß Du mich mit meinen Äußerungen und Beschwerden über diese infame Person noch ganz kürzlich so abgewiesen hast, als ob sie nicht von mir anzutasten sey, als ob sie die Verständige, Beständige und Honette wäre – ich mag es nicht weiter ausmahlen. Was Dich in meinem zulezt geschriebnen Brief wieder kränken könnte, das schreibe auf diese Rechnung. Und wenn ich dann im Allgemeinen die auffahrende und beharrliche Hitze anklage, in der Du fähig wirst, solche Schmach anzuthun – o sage mir, habe ich denn da nicht auch Recht? (um Dir Deine lezte Frage zurückzugeben). Aber komm nur, wir werden Freunde seyn. In Deinen nächsten Schreiben erwarte ich etwas bestimmtes darüber zu erfahren, über Dein Kommen nehmlich. Es ist Zeit, denn ich weiß so nicht, wie Du meine Hausgenossenschaft versöhnen und besonders wie Du das Herrenrecht über sie behaupten wilst, nach so langer Unabhängigkeit. Du wirst Deine Noth haben bis auf Emma herunter. Unser Leben ist sehr einfach und Spazierenzugehn die meiste Bewegung desselben. Ich thue gar nichts mehr als schlafen, essen, trinken, lesen, beten, und gehen, wenn ich kann, denn oft werde ich zurückgelassen und in solchen Stunden wünsche ich freylich eine Wohnung zu haben, die mich wenigstens nicht so traurig einschließt, da man sie hier haben kann. – Vor Michaelis brauch ich nicht aufzusagen, also soll alles anstehen, bis Du kommst, damit Du alle Gründe hörst. – Julchen nimmt mir alle Arbeit im Hause ab und hat diese Art von Besorgung und Geschäftigkeit gern. Zum Hören ist sie wohl, zum Lesen aber sehr wenig geneigt. Und es ist ganz gut so; die Mutter wird sie im Winter hier lassen. – Schelling denkt im Herbst auf jeden Fall eine Reise zu machen. Er ist nicht eben auf Berlin erpicht. Was Du vom Fichte sagst – und was noch jemand anders von ihm gesagt hat – das ist eben auch unsre kühne Meinung, die wir uns aber manchmal selbst wieder ausreden und überhaupt vorsichtig damit umgehn. Er hat seine Simsonslocken mit dem Catheder verlohren.

Bringe mir also Dein Bild, denn ich will es haben. Meines sollst Du auch haben, und ich wäre vielleicht von selbst so anmaßlich gewesen es auf Deine Stube zu hängen, wenn es nicht in der Meinigen an der Wand einen häslichen Fleck zurückließe. Du must warten bis zur künftigen Wohnung. Entsinnst Du Dich des hohen Hauses am Thore nach der Driesnitz zu? Das ist inwendig und auswendig ganz vom Kammerrath Helfeld ausgebaut und die obre Etage leer – darauf spekulire ich. Adieu, mein Freund, ich kann die Feder nicht mehr regieren. Lebe recht wohl und sey gut.

PS. Kommt ein schlechter Brief, so antworte ich nicht eher, bis ein guter da ist.

*

106. An August Wilhelm Schlegel

d. 23 Nov. [18]01. Jena

Wir liegen hier noch immer vor Anker, haben Windstille, das Schiff will nicht vor noch rückwärts. Das ist so zu verstehn, Tiek ist noch da, die Bücher sind noch da, die Calender sind noch nicht da, Geld ist noch nicht da, die Aufträge sind noch lange nicht ausgerichtet, und ich würde heut gar nicht schreiben, wenn mir nicht bange wäre, Du möchtest gar bange werden. Das werde nun ja nicht, mein lieber Wilhelm, auch nicht nach diesem Eingange, denn eigentlich stand ich an zu schreiben, weil ich in wenig Tagen meine Epistel frey mit unsern Reisenden hätte ziehn lassen können. Tiek kommt morgen ganz gewiß hieher, und geht am Donnerstag ganz gewiß hier ab. Der arme liebe Mensch, es ist ihm zu Herzen gegangen mit Schadow, so daß er Kopfweh davon gekriegt hat. Dafür soll es auch Schadow übel ergehn. – Ich habe jetzt Tieks Zeichnungen von der Ausstellung, und besonders die – wettlaufende, mit Muße gesehn. Sie ist unendlich viel schöner, wie sie mir da oben erschien, und war es nicht Verrath, so ist es Ungeschick gewesen, sie so hoch zu hängen. In der Composition ist freylich etwas verfehltes und zerrißnes, aber mehr Gedanke, Gehalt und Zeichnung in Einem Kopf, Arm, Rücken oder Falte als in Nahls Bildern zusammen.

Du mußt meinen ersten Brief sehr spät erhalten haben, aber doch nun gewiß beyde. Nathan ist noch nicht gegeben worden. Mein Befinden ist ganz leidlich. Wenn Du etwas mit der eleganten Zeitung verabredet hast, so vergiß nicht es mir zu melden. Ich bekomme wie gewöhnlich nichts zu sehn, also auch Fichte und Biester nicht. Heute wirst Du etwas zu sehn bekommen, denn Du siehst doch wohl Jeanne d'Arc? Oder tröstest Du die Kleine, die vielleicht nicht ins Schauspiel gehn mag? ich kann mir vorstellen, wie sich die Kleine ärgert, gewiß mehr als sie groß ist, und der redliche Quast wird was redliches schimpfen. – Hast Du die spirituelle Anzeige der Johanne in der ALZ. bemerkt?

Wir haben in der Erlanger L.Z. eine von Lichtenberg bemerkt, die wir Schley[ermacher] zuschreiben, jedoch gehört die nicht zu seinen besten. Lezthin stoß ich mit einemmal drauf, daß Gries wirklich glaubt, Du habest die des Macbeth gemacht, er wollte drauf schwören, Leib und Leben zum Pfande setzen und dergl.; ich habe hinwiederum geschworen und meine Seele zum Pfande gesetzt, daß Du es nicht wärest. Er glaubt mir nun, aber glaubt blos.

Ich soll Dir von Schelling berichten, daß er mit Hegel ein kritischphilosophisches Journal giebt bey Cotta; Du sollsts Fichte noch nicht sagen, er will ihm gern das erste Stück unverhofft zuschicken und zerzauset alleweile den Reinhold, wegen welcher edlen Beschäftigung, und einigen andern, er seit 8 Tagen erst Abends um 9 Uhr zu uns kommt. Du kanst also denken, wie einsiedlerisch wir leben, worin sich sogar Julchen sehr gut findet, die denn auf den Bällen von Zeit und Zeit in die Welt hereinkuckt. Das erste Stück jenes Journals kommt bald, wird bey Fromman gedruckt usw.; es ist erst eben zu Stand gekommen; Schelling hatte mir gar nicht gesagt, daß er an Cotta geschrieben, wie schon die Antwort und Annahme da war. S. freut sich, daß Fichte seine ganze Kraft daran setzt, er hoft auf Vereinigung, noch mehr aber freut er sich, wenn Dir Deine Anschläge gelingen, und er würde etwas toll werden, wenn Dir irgend etwas, besonders mit den Vorlesungen, in den Weg träte.

Du wirst durch Tiek und Friedrich noch an Annehmlichkeit des Aufenthalts gewinnen. Laß Dich nur nicht zu sehr zerstreun. Was Du mir von Friedrich und der Veit erzählst, ist mir freylich auch völlig neu. Wie haben denn die Schwierigkeiten von Dresden überwunden werden können? Ja, wie machen sie das alles möglich? – Wegen Charlotten kann ich nichts sagen, ich weis gar nichts mehr von ihr. Wenigstens sollte ich denken, sie würde ihre gewöhnliche Zurükhaltung nicht so gänzlich gegen die Veit ablegen, um sie ohne Rückhalt aufzunehmen, und sie würde sich nicht so ganz verwandelt haben, um Friedrich zu billigen, der ganz noch der nehmliche ist in Lebensweise und Sitte, nur mit mehr innerlicher Sicherheit. Wilst Du ihr schreiben, so schieb es nicht auf, denn es wird Dir mit jedem Tag schwerer werden. Du kannst allerdings vieles hierin selbst nicht dulden, ohne alle Rücksicht auf mich. Mir ist es eins, was Charlotte von mir denkt; nachdem man einmal so weit gegangen ist, tritt sie für mich in die Reihe derer, an die ich weiter nicht denke. Friedrich erinnert sich vielleicht noch, wie er mich gebeten, ihn bey Charlotten zu vertreten, ihr günstigere Gesichtspunkte für ihn zu geben, und wie freundlich ich es that – oder nein, er entsinnt sichs nicht, die Rachsucht hat ihn für alles gestählt. – Das Zusammenseyn mit Tieks ist auch etwas unnatürlich, da sie doch wissen, wie sie von einander denken, wenigstens ist es mit der Veit gespannt. Gestern betheuerte Schelling wieder und aus dem Innersten, daß er Friedrichs Freundschaft suchen würde, und an keine Feindschaft mehr denken, wenn die Veit nicht mehr wäre. Was hilft es alles? Mir ist selbst oft, als könnt ich nicht ruhig sterben ohne mich mit ihm zu verstehn. Wenn sie nur jemand todschlagen wollte, ehe ich stürbe.

[Geldsachen.] Schellings Collegieneinnahme ist noch nicht beysammen, Zuhörer sind genug da, er hat über 100 Unterschriften. Vorige Woche hat er auch das Disputatorium eröffnet und organisirt. Ein junger Schlosser hat sich so wacker herumgekämpft, daß die Sache zwey Stunden statt einer gedauert hat.

[Büchersendung.] Geschehn soll übrigens alles, was Du befiehlst, auch die geringste und lausigste Kleinigkeit.

Die Allmanache sind beym Buchbinder.

 

Ich habe das Bild von Leipzig erhalten, und will diesen lieblichen Schatten nicht wieder von mir lassen. Lebe wohl, mein guter Freund. Vergiß mich nicht; grüße die Bernhardi. Schreibe mir alles, was Dir begegnet.

Du wirst fragen, was ich thue. Ich thue nichts, mein Lieber, und habe fast schon einen halben kleinen Petrarch übersetzt.

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107. An August Wilhelm Schlegel

[Jena] Sontag vor Weinachten [20.–21. Dez. 18]01

[Auszug]

Wo soll ich anfangen um Dich genugsam zu schelten? Etwas Besseres wie Schelte sollte Dir auch diese Gelegenheit eigentlich nicht zu überbringen haben, denn sie wird von Freund Kotzebue angeführt, in dessen Gesellschaft zu reisen der Hr. Geh. Hofr. Loder sich eine besondre Ehre und Vergnügen macht.

Sage mir, Freund, wie ist es eigentlich mit Deinem Schweigen? Vermeinst Du, weil Du mir Laubthaler geschickt, so sey es nun damit gethan? Oder bist Du so sehr zerstreut und beschäftigt zugleich, daß Du ganz ordentlicher weise Deine guten Freunde alhier vernachlässigst? Ich bin heute grausam in meiner Erwartung betrogen, wie kein Brief kam, wir alle – Schelling hat eine Art von Angst, es möchte Dir etwas unangenehmes begegnet seyn, – Julchen verwundert sich fast noch mehr wie ich selber. Es geht wirklich in die 4te Woche seit Deinen lezten ausführlichen Nachrichten, und kann seitdem freylich manches geschehn seyn. Liebster Wilhelm, ich muß wahrhaftig immer wissen, wie es Dir geht, sonst hab ich keine Ruhe – und überdem ist das, was ich von Dir höre, der einzige freundliche Besuch von außen her – Doch genug, um Dir darzuthun, daß Du mich bitterlich betrübt hast.

Meine Gesundheit ist ziemlich gut, aber – Du mußt bald schreiben. Hast Du denn meinen Brief vom Donnerstag vor 8 Tagen nicht so früh erhalten, daß Du mir schon hättest antworten können? In Absicht der Wohnung hätte es die Nothdurft erfordert – wie in Absicht auf mich der gute Wille. Ich soll nehmlich Resolution von mir geben wegen des Asverusschen Hauses ... es ist sehr freundlich, die Aussicht aus den obern Zimmern, besonders hinten hinaus, so hübsch wie möglich, das ganze Thal von Kunitz bis nach Dornburg hin, übrigens kleine Zimmer ... der Preis 60 rh ... Zöge Mlle Schubart aus, die Schellings ehemaliges Logis hat, so könten Bernhardis mit darinn wohnen... Auf allen Fall nehme ich es nur auf ein Jahr. Niethammers ziehn in das Unsrige, ihres ist verkauft. So viel hiervon. Deine Bücher sind abgeschickt, etwas später, wie ich hoffte, weil die äußerst schlechte Beschaffenheit der Wege die Fuhrleute zurück hielt. Catel, denk ich, soll den Wieland noch mit nehmen und die Schillerschen Sachen. Den Shakesp. hast Du ja dort bey Deinen Freunden, wenn es ihm zu viel werden sollte.

[...]

Aber nun etwas von höhern theatralischen Angelegenheiten. Goethe meldet Schellingen, es ginge mit Ion einen sehr guten Gang, sie hoften ihn schon auf künftigen Sonnabend (als den 2ten Feyertag) zu zwingen, spätestens aber 8 Tage drauf. Nun, da wirst Du doch einige Emotion verspüren! Goethe scheint ungemein zufrieden mit der Anstelligkeit der Schauspieler. Du kannst denken, daß bereits verlautet, es werde ein Stück aufgeführt, aber ein Stück! einige sagen nur schlichtweg: in Hexametern, verständigere aber: in Heptintomachelapetern. – Was Du aber nicht denken wirst: Friedrich muß es nicht ernst mit der Verschweigung Deines Nahmens genommen haben, oder er hat seinen Ernst der Veit nicht mittheilen können – genug, Ritter hat Gries Deine Autorschaft verrathen – also vermuthlich auch Frommans und dergleichen – und gestern kam Carl Schelling, der von nichts wuste, und hatte sie von einem Nahmens Richtsteig bey Meders am öffentlichen Tisch erfahren, der es nach seiner Aussage von Monsieur Ast gehört hatte, alles indessen als ein tiefes Geheimniß. Da nun Ast alle Tage mit Mad. Veit spazieren geht, so hat sie es unstreitig diesem Jünglinge, der ihren Florentin recensirt hat, in vertraulicher Ergießung mitgetheilt. – Ich hätte Dir dies am Ende lieber verschwiegen, wenn Du nicht nun um desto aufmerksamer auf das Schicksal des Ion bey der Direktion in Berlin zu seyn Ursach hättest. Für hier ist es nicht wichtig, aber für dort gewiß, daß Du bekannt bist, zumal da Iffland und Kotzebue jetzt zusammen kommen. Gries sagte mir zwar, in Weimar habe er blos das Factum der Aufführung, aber nichts vom Verfasser gehört – indeß wird es Kotzebue hier leicht in Erfahrung gebracht haben. Wir sind etwas wüthend auf diese Indiskretion, und es scheint mir, Du könnest wohl Friedrich gradezu drauf anreden. Du mußt ihm auch nichts wieder vertraun, was zu verschweigen wirklich noth thut, oder Dir wenigstens ausdrüklich von ihm versprechen lassen, der Veit nichts zu sagen. Es herrscht in jener Kreise ein endloses Wiedersagen, und gewiß wird ein gut Theil weniger geklatscht werden, wenn sowohl die Veit als Friedrich weg sind, denn er ist nicht frey von dieser Schwachheit. [...]

*

108. An August Wilhelm Schlegel

[Jena, 4. Januar 1802]

[Auszug]

Da ich gestern Mittag am 3ten Februar [Januar] von der Vorstellung des Ion zurückkomme, frölich und voll Begierde Dir zu schreiben, finde ich Deinen unleidlichen ungerechten Brief vom 29 Dez. Ich war trostlos, daß ich so vergnügt war und alle meine Gedanken auf Dich gerichtet hatte und mich nun so disharmonisch an Deiner Ungebärdigkeit ärgern mußte.

Ich habe geschrieben und den Brief zu rechter Zeit hingeschickt. Kann ich dafür, daß die Posten jetzt sämtlich schlecht gehn? – Wann habe ich es am Schreiben und Nachricht geben fehlen lassen? Du hast wahrscheinlich noch am nehmlichen Dienstag meinen Brief von vorhergehender Woche erhalten.

Mit den Büchern ist es dasselbe, wie ich Dir schon auseinander gesezt.

Du wirst gesehn haben, daß meine Nachrichten bestimmt waren so früh wie Kotzebue zu kommen. Es ist natürlich, daß er sie nachher nicht mitnahm, und von den Weimarischen Begebenheiten und Schauspielersensationen auch unterrichtet war.

Du hast mir eine reine Freude verdorben, und verdienst es nicht, daß ich Dir ein Wort vom Ion sage. Alles, was ich für Dich thun kann, ist, daß ich Dir den Komödienzettel beylege. Da kannst Du Dir nun alles selbst zusammenbuchstabiren.

Wenn Du mir noch einmal so begegnest, so schreibe ich gar nicht mehr und komme auch nicht.

In dem nehmlichen schlechten Sinn kannst Du Schelling für fähig halten etwas gegen Fichte in die LZ. einrücken zu lassen? Da ich Dir doch kürzlich ganz anders über seine Vorsätze deshalb gesagt. Welcher subalterne Mensch kann Fichte dergleichen hinterbracht haben, und wie kommt Fichte dazu es zu glauben? Sollte sich das Ganze auf den nehmlichen Auftrag beziehn, den Schelling Dir an F. mitgegeben und den Du gänzlich vergessen zu haben scheinst? Dann müßte ihn Paulus erfahren haben – und wer hätte ihn Fichte mitgetheilt? Ich vermuthe aber, die Sache rührt einzig und allein von Schad oder Fichtens ehemaligen Famulus her. Schelling wird das Nöthige darüber schreiben.

Es ist sehr unartig von Catel, daß er mir keine Nachricht von seinem Weggehn gegeben, da er weit früher gereißt ist, als er mir sagte, und noch einmal herkommen, ja mir auch die Zeichnung zum Tisch schicken wollte.

Ich lege das Hemd bey, da Schelling die Journale schickt.

Es ist sehr kalt, meine Stube wird nicht warm, ich verbrenne schrecklich viel Holz.

Lebe wohl, unartiger Schlegel, und gieb die Einlage an Mad. Bernhardi.

*

An Sophie Bernhardi

Da ein Gerücht sagt, daß der Verfasser des Ion in Ihrer Nähe ist, liebe Bernhardi, so ist mir in den Sinn gekommen, ob es Ihnen vielleicht nicht uninterressant seyn möchte etwas von der ersten Aufführung desselben in Weimar zu hören.

Und so muß ich gleich damit anfangen Ihnen zu sagen, daß es die vollkommenste Vorstellung war, welche ich auf diesem Theater gesehn habe, das doch mit Recht für seine harmonische Ausbildung berühmt ist. Sie schien mit wahrer Liebe dirigirt worden zu seyn, und die unsägliche Mühe, die dabey aufgewendet seyn mußte, war in einem Grade gelungen, der einen sehr glänzenden Beweis abgeben konnte, was sich durch treue Mühe ausrichten läßt.

Das Interresse des Stücks war aber vom ersten Moment an noch durch etwas schöneres, nehmlich durch die äußerst glückliche Persönlichkeit der Jagemann entschieden. Es kann keinen herrlichem Ion geben, sowohl nach der bloßen Erscheinung als auch durch den Ton der Stimme, und die ganze Klarheit, Kühnheit und Sprödigkeit ihres Wesens, das nun hier besonders lieblich durch die innere Beschaffenheit der zarten und frommen Rolle gemildert war. [...]

 

Es war ein recht christallner Tag, wie wir ausfuhren den Ion zu sehn. Wir kamen an der Spitze von sechs Wagen in Weimar an. Nachdem so ziemlich alles beysammen war, standen allein vor den beyden Gasthöfen auf dem Markt 19 Wagen, Reuter und Fußgänger nicht zu erwähnen. Schelling ging gleich zu Goethe, der im Anfang der Woche gemeldet hatte, daß die Vorstellung am 2ten Februar [Januar] seyn würde, und zugleich, daß man das Stück nicht weniger wie vier Verfassern zuschriebe. Er schickte mir Sechs Billette für die Loge D, wo mir denn der Zufall auf der Einen Seite die Bertuchsche Familie, samt dem alten und jungen Schütz, und auf der andern den Hohepriester nebst Frau und Tochter und Hufelands zu Nachbaren gab. Der alte Schütz hatte sich in eine Ecke gedrückt und regte und rührte sich nicht vor lauter Zuhören, ich sollte fast denken, daß Böttiger und er den Euripides in der Tasche hatten. Herder führte zu Anfang ein vornehmes präludirendes Gespräch mit dem geschmeidigen Hufeland über griechische Schauspiele. Ich hörte den Inhalt nicht wörtlich, aber es war offenbar auf lauter Herabsetzung angesehn. Nachher trat er denn doch erschrecklich oft auf die Zähen, um recht zu sehn und zu hören, da er vornen keinen Platz bekommen hatte. Seiner Gemahlin schien die Pythia besonders zu gefallen. Zu Ende des vierten Aktes blickte sie mehrmals zu ihm hinauf und frug, ob das nicht sehr hübsch wäre, was er nothgedrungen bejahte.

Im ganzen Hause war wohl niemand, der sich nicht eingebildet hätte zu wissen, von wem das Stück sey. Das Parterre war mit Studenten angefüllt. Die meisten haben einer bloßen Übersetzung entgegen gesehn, sind dann aber anders belehrt worden, vermuthlich theils durch die jungen Vösse, theils, obwohl ungern, durch den alten Schütz.

Schelling blieb den gestrigen Tag hindurch bey Goethe und hat mir noch allerley Nachrichten mitgebracht. Vor allem hat er bestätigt, was sich gewahr werden ließ, daß das Stück sehr allgemein gefallen und einen angenehmen Eindruck hinterlassen hat, was mir denn hier auch zu Ohren gekommen ist.

Merkwürdig ist es, daß die Erzählung von dem Fest im Parterre (bürgerlichen Theil) großen Beyfall gefunden hat. Meier, Mephistopheles, hat darauf bemerkt, das sey kein Wunder, das hätten die Philister recht gut verstanden, es wäre ihnen wie ein Vogelschießen vorgekommen. Der andre Meyer [Majer] saß bey Böttiger, den er dann fragte: »nun, wie gefällt es Ihnen?« worauf sie sich die Frage mehrmals zurück geben, bis endlich Böttiger herausfährt: »Nun, wenn der Schlegel noch ein solches Stück schreibt, so kann ich meine Mythologie ungeschrieben lassen!« Meier glaubt, das solle andeuten, es sey so viel gelehrte Kenntniß im Stück, aber mit Nichten! »Seine Primaner wüßten das besser, daß die Pythischen Spiele und die Bachanalien nicht zu Einer Zeit gefeyert worden wären.« Man hat sich nun vorgenommen ihn noch viel damit zu necken und zu behaupten: Schlegel habe den Verstoß nur begangen, um zu sehn, ob ers auch merken würde.

 

Ein paar einzelne eigne Bemerkungen sind: daß sich das Motiv mit der Höle des Trophonius ganz außerordentlich deutlich und nothwendig im Spiel hervorhebt, und die Wiederholung der gesehnen Gesichte einen bedeutenden Rückblick schafft. Ferner: wenn etwas zu lang ist, so ist es die Erzählung des Phorbas. Wenn sie einige minder nothwendige Umstände enthält, was ich nicht recht im Gedächtniß habe, so sollten die billig weggelassen werden. Das Nächste verständigt den Zuhörer schon genug, der doch das Ganze unmöglich auffaßt.

Goethe hat übrigens nicht eine Zeile ausgelassen. Nur einiges weniges hat er geändert, unter andern in der Rede des Apollo:

Ob meiner offenbarten Vorgenossenschaft.

Das hieß:

Ob meiner offenbarten Neigung zu der Braut.

Er hat sich nach seiner spashaften Art über die Veränderung erklärt, die mir sehr lieb war; ich hatte mich der Worte im voraus erinnert, und mich fast davor gefürchtet. Denn der Apollo steht doch so gar sehr offenbar dabey.

In der Abschrift, die nach Berlin gekommen, steht die Änderung nicht.

Außer vor der Hymne hatte die Musik in den Zwischenakten noch nichts andeutendes, und Reichard hat auch dergleichen nicht componirt.

Goethe hat sich vorgenommen die Aufführung des Ion noch immer weiter auszubilden. Ein paarmal will er die Schauspieler noch ungestört spielen lassen, dann ihn aber von neuen vornehmen.

Die Brüder läßt er vors erste nicht wieder geben, weil sie das leztemal schlecht gespielt haben.

Er hat sehr artig darüber gesprochen, was sie nach und nach den Spielern und dem Publikum zumutheten. Erst hätten sie die drey Stücke von Schiller zu sich nehmen müssen (die sie indessen unverdaut wieder von sich gegeben haben), und überhaupt hätten sie sie recht zum Hören gezwungen. Nun sie auch den Ion hinunter hätten, da könne man wieder etwas tüchtiges darauf bauen.

Am Geburtstag der Herzogin wird die Turandot des Gozzi von Schiller bearbeitet mit italiänischen Masken gegeben.

Ich rechne darauf, daß Sie nach Ostern den Ion hier sehn werden.

Seyn Sie gesund – und grüßen Sie Ihren Bruder.

[Einlage mit der Aufschrift: Geben Sie Schlegel diese Einlage erst, nachdem Sie den Brief vollständig mit ihm gelesen haben.]

Ja, Freund, es verhält sich so, Du kanst ganz und gar zufrieden seyn. Ich bin entzückt gewesen. Meine Hoffnung war gut nach allem, was Goethe geschrieben hatte, indeß saß ich nicht ohne Herzklopfen da, aber ich wurde ruhig, so wie ich die Jagemann sah und hörte, wir sahn uns gleich an, Schelling und ich, und nun ging es alles in Einem Guß fort. Sch. ist froh gewesen wie ein Kind, ich muß es ihm nachrühmen. Er hat das Stück nun erst gefaßt und tausend Dinge darüber auf dem Herzen. Wenn er sie Dir heut noch nicht mittheilt, so ist es der Drang der Umstände, da die Journale versendet werden.

So aufgeführt macht das Stück einen sehr ungetrübten Eindruck; ich hätte Dir die Freude gewünscht. Wenn sie Dir nur in Berlin wird: Goethe hat keine Antwort von daher. Wird sie Dir gestört, so klage Deine indiskretten Vertrauten an. – Aber sollte nicht im schlimmsten Fall eine der Damen den Ion als ihr Benefiçe fordern können? Indessen glaube ich, es ist nicht möglich, daß die Unzelmann den Ion so glücklich darstellt wie die Jagemann. Du kanst Dir gar nicht denken, wie ganz herrlich sie aussah und sich benahm. Der Herzog hat alle Standpunkte genommen um sie anzusehn. Es traf sich, daß Vohß ein wenig stokte, wie er Ion eben die Möglichkeit darthut, daß er sein Vater ist, das Einzige kleine Stocken, was vorfiel. In dem nehmlichen Augenblick hatte sich der Herzog so nahe gestelt auf dem Balcon, daß es auch sie einen Moment zerstreut machte, aber es war nur ein vorüberfliegender Schatten in der Darstellung.

Goethe hat mit unendlicher Liebe an Dir und dem Stück gehandelt. Ich weiß nicht, was Kotzebue dort gesagt hat, aber es kann seyn, daß die Schauspieler anfangs rebellisch waren, ja die Jagemann soll dumm genug gewesen seyn den Ion für eine undankbare Rolle zu halten, aber er hat alles überwunden. Sie sind hoffentlich nun zufrieden, denn sie sind alle sehr applaudirt worden. Heyde kündigte an: den Ion, gleich wieder auf das Nächstemal, und wurde mit lautem Klatschen empfangen und entlassen. Es ist nie bey der Unzelmann so herzhaft applaudirt worden. Auch ist keine Frage, daß es allgemein gefallen hat, gewiß mit manchen Ausnahmen, manchen Rückhalten, und auch wieder Willen, aber gefallen dennoch. Von hier fehlten viele Familien, die gewöhnlich kommen. Loder war da – heute hat er auch seine Frau aus Drakendorf geholt um sie hinüber zu führen. Frommans, Hufelands. Aber Paulus nicht, die Veit nicht, Vermehrens etc. nicht. Sie werden wohl noch kommen! Für Abonnement suspendu waren sogar viel Weimeraner drin. – Goethe hat sich nichts verlauten lassen übrigens von bezahlen. Thut ers nicht, so schenk es ihm diesmal gern, da er sich sonst so gut benommen. Er hat erwähnt, ohne Beziehung jedoch, daß ihnen für die Beschaffenheit ihrer Casse das Stück viel Ausgabe gemacht, was ich auch glaube, da alles neu war.

Hättest Du statt Deiner unartigen Vorwürfe mir lieber gemeldet, wie ich das mit der eleganten Zeitung einzurichten habe. Es ist wesentlich, daß niemand zuvor kommt, wesentlich, daß die Schauspieler gelobt werden. (Die eleg. Z. wird in Weimar von einer Gesellschaft von Hökenweibern gehalten, hat die Vulpius versichert). Da ich nun keine Vorschrift von Dir habe, und wegen der schlechten Beschaffenheit der Posten nicht erwarten darf, bis Donnerstag, so wie ich hoffte, eine von Dir zu erhalten, werde ich mich bis dahin meinen eignen guten Entschluß überlassen, damit nur niemand zuvorkommt. Schelling will es abschicken. Man kann ja in Absicht des Stücks selbst einen Nachtrag liefern. –

Goethe hat versichert, daß er bis diesen Augenblick weder Schiller noch Meyer gesagt, von wem das Stück sey. Er hätte selbst viele Freude daran gehabt, wenn es verschwiegen geblieben wäre, aber es ist ohne Gnade bekannt. Alle Studenten wissens, und wie kann es anders seyn?

Es ist die Rede gewesen, wie Schiller zufrieden seyn möchte – es soll mich doch wundern, hat Goethe gesagt, wie es dem Alten gefallen (den er nicht mehr täglich zu sehn scheint). Meyer, der Professor, hat darauf gesagt, er wäre im 2ten Akt bey ihm gewesen, wo es ihm sehr gefallen hätte.

Ich kann Dir auch nicht genug wiederholen, wie gut sichs machte und gleich Anfangs packte und festhielt.

Schelling ist bange, daß Du auf das Journal gar nicht achten wirst in der Collision mit dem Ion – aber thust Du es heut nicht, thust Du es Morgen.

Goethe komt am 12ten auf mehrere Wochen her, denn um Turandot will er sich gar nicht bekümmern.

Wir denken nun darauf auf den Beyfall für Ion Deine hiesige Vorlesungen zu gründen.

Ich habe fast beständig unter starken Kopfweh geschrieben, das mir die Kälte macht. Wenn ich etwas vergessen haben sollte, so entschuldige es damit.

*

109. An August Wilhelm Schlegel

[Jena] Donnerstag d. 11ten März [1802]

[Auszug]

Noch bin ich in der völligsten Ungewißheit, die mich, blos weil es Ungewißheit ist, ein wenig inkommodirt; von Grattenauer verlautet noch nichts. Ich will Dir indessen noch einmal schreiben, um Dir die merkwürdigste Woche aus Kotzebues Leben seit dem merkwürdigsten Jahr seines Lebens mitzutheilen; vielleicht hast Du schon davon gehört, allein ich will mich das nicht verdrießen lassen. Du mußt wissen, daß er sichs angelegen seyn läßt ein sehr brillantes Haus in Weimar zu machen, daß er alle Woche einen adelichen und einen bürgerlichen Thee giebt, und sein Adelsdiplom producirt hat, damit seine Frau an den Hof gehn kann. Da es mit Goethe nicht glückt, macht er Schillern unsinnig die Cour, und Frommans z.B. behaupten auch, daß er ihn gänzlich anbetet und aufrichtig über alle Schauspieldichter der Erde setzt. Nun hatte er auf Schillers Nahmenstag eine Fete veranstaltet, wo aus der Jungfrau, dem Don Carlos usw. Szenen aufgeführt werden sollten, ja sogar die Glocke dramatisch rezitirt, und man spricht von einer großen Glocke von Pappe, die dazu verfertigt wurde. Die Imhof, die Egloffstein und fast lauter Adeliche waren die Spielenden, der Saal im Stadthause sollte den Schauplatz abgeben, und er hatte ihn vorläufig besprochen, ohne genau anzugeben, daß er ein Theater wollte aufschlagen lassen. Dieses wird von Etter[s]burg herbeygefahren, wie es aber vor dem Stadthause abgeladen werden soll, lassen es der Rath und Bürgerschaft nicht ein, weil es den Saal verderben würde. Kotzebue unterhandelt, aber erlangt nichts, und nun geht das ganze Fest in Trümmern, denn das Anerbieten andrer Locale, welche ihm geschahen, nahm er nicht an, weil sich im Moment die Sage erhob, Goethe habe als Baudirekteur dem Stadtrath das nöthige inspirirt, und er wieder vollständig die Rolle des Verfolgten und Beneideten zu spielen gedachte. Auch geräth ganz Weimar über die Sache in Aufruhr, die Theilnehmenden hatten sich, besonders die Damen, herrliche Sachen angeschaft, viele Ausgaben waren von allen Seiten gemacht. Wer nicht laut zu schimpfen wagt, thut es doch in geheim, es gehn die dummsten Gerüchte und Urtheile herum, Goethe soll neidisch seyn, nicht sowohl auf Kotzebue als vielmehr auf Schiller, weil es dem galt, und er habe sich gleich hieher geflüchtet, wie er immer thue, wenn er dergl. angestellt habe. Nun trift noch ein andres Ereigniß hiemit zusammen. Kotzebue hat ein Stück gegeben: die Kleinstädter, aller Wahrscheinlichkeit nach dasjenige, welches als Tollhaus angekündigt wurde. Goethe hat alle Persönlichkeiten darin gestrichen, und Du kanst Dir denken, auf wen diese gingen – ja, ein Stück der Intrigue darin deutet das Weimarische Publikum auf eine Hausgeschichte von Goethe selbst. Kotzebue hat manches wegstreichen lassen, ist aber auf Einigem bestanden, was Goethe durchaus nicht zugab, nun nahm er das Stück ganz zurück. Über dieses kommt es in einem Conzert bey der Herzogin Mutter zu einem Wortwechsel zwischen G. und K., in welchen sich Frau von Kotzebue mischt und versichert, ihr Mann solle nun gar nichts mehr aufs Theater in Weimar geben. Nicht genug, die alte Kotzebübin schreibt Goethen einen Brief – welchen, das magst Du ermessen. So ist der Gott unter die Fischweiber gerathen. Er hat ihr geantwortet, und das müßte freylich lustig zu lesen seyn. Dies hat die Alte ohne Vorwissen ihres Sohnes gethan, welcher sich dem Teufel hat darüber ergeben wollen, allein es war geschehn.

Schelling hat Goethe diesen Morgen gesprochen, er ist sehr gut gelaunt gewesen, aber sie waren zu kurz beysammen, als daß Scheliing ihn gleich drauf hätte bringen mögen, um alles zu erfahren. Wir glauben freylich auch, daß Goethe an der Saalaffaire nicht unschuldig ist, vermuthlich mit Schiller und dem Herzog einverstanden, aber ist es nicht prächtig von ihm? Was die Kleinstädter betrifft, so steht nun zu erwarten, was Iffland thun wird – erkundige Dich doch gleich bey Unzelinen. Fast sollte ich doch denken, er würde sich hüten, zumal wenn diese Geschichte vorher verlautet und er sich nicht mit der Unwissenheit schützen kann. Da ein Tollhaus darin vorkommt, ist's keine Frage, daß Kotzebue nur den Titel verändert hat. – Er ist heut hier, denn er läßt in seinem Gartenhaus bauen, wo er im Sommer seyn will, nächsten Winter aber wird er den Staub schütteln, die Gegend meiden und nach Berlin oder Paris gehn.

Goethe hält sich denn doch tapfer gegen die Halunken und prononcirt sich scharf; es kann auch nicht schaden, daß er selbst einmal ins Handgemenge mit ihnen kommt. Er hat sich sehr freundschaftlich nach Dir erkundigt, und Schelling hat mir die stattlich aufgesezte Antwort der Berliner Theaterdirektion signirt Iffland mitgebracht. Die Kostüme zum Ion sind gestochen, und das nächste Heft des Modejournals wird sie mit bringen. Ich werde noch dafür sorgen, daß Tiek als Zeichner genannt wird. [...]

*

110. An August Wilhelm Schlegel

[Jena, September 1802]

Es war auch mein Gedanke den Entwurf zum Memorial im voraus abzusenden, allein ich muß selbst erst die Anweisung abwarten, wie es einzurichten ist, denn dieses kommt auf die deshalb genommene Verabredung mit dem Herzog an. Die Sache steht so: Der Herzog deutete dem Konsistorium in der Mereauischen Angelegenheit ohne weiteres an, die Ehe als aufgehoben einzuzeichnen, und dies geschah auf besondre Verwendung des Erbprinzen von Gotha. Nun kommt es darauf an, ihn zum zweitenmal zu einer solchen Vergünstigung zu disponiren, da er vielleicht eben deswegen abgeneigt seyn könte sie zuzugestehn, weil er es kürzlich that, damit aus der Ausnahme keine Regel werde, weshalb man sich auch schriftlich auf diese nicht berufen muß. Ich habe mich also an einen Mann gewandt, der guten Willen für uns beyde und Macht genug hat es bey ihm durchzusetzen, er hat auch versprochen zu thun, was er vermag, nur hat er mich auf die Möglichkeit einer abschlägigen Antwort bereitet, die mir indessen nicht glaublich scheint, da er es einmal unternommen. Er wird die Sache unmittelbar mit dem Herzog verhandeln, und er ist der einzige, dem sie mitgetheilt worden ist, außerdem ist kein Wort und kein Wink vorgefallen. An seiner Verschwiegenheit ist kein Zweifel, sogar habe ich ihm versprochen ihn gegen niemand zu nennen, weswegen ich im Fall des Errathens auch bitten muß diese Diskretion gegen ihn selbst sowohl wie gegen andre zu beobachten. Die Spur eines Mangels an Diskretion von meiner Seite ist also auf jeden Fall eine falsche Spur, und es ist unartig sie, auf irgend ein Geschwätz hin, nur zu erwähnen. Seit wenigen Tagen ist der Herzog zurück, und ich erwarte täglich weitre Nachricht. Dann kann leicht alles noch vor Ende des Monats entschieden seyn, und da ich die Beschleunigung selbst dringend wünsche, so werde ich sie auch eifrig betreiben. Sollte die Sache auf diese Art nicht durchzusetzen seyn, so überschicke ich sogleich das Memorial, was für den andern Weg erforderlich ist. Seyn Sie also ganz ruhig hierüber und halten Sie jede Spannung fernerhin für unnöthig. Sie haben sie lezthin sogar auf meinen Bruder übertragen, wo sie wirklich überflüssig war, indem er ja hierin eine völlig indifferente Person ist, und schwerlich irgend einen nähern Anspruch an Sie machte. Hätte ich seine Reise voraus gewußt, so würde ich ihn benachrichtigt haben, sich den Besuch zu ersparen.

Die Theilnehmung, welche Sie Schelling in diesem Augenblick bewiesen, ist, was ich von Ihnen erwartete – obgleich mir bey der Erneuerung jener verhängnißvollen Schlechtigkeiten, mit denen ich in den Tagen einer besinnungslosen Angst umringt war, kaum ein Andenken schmerzlicher seyn kann, als daß Sie fähig waren mich damals ohne alle Schonung mit der vollständigen Bekanntmachung derselben zu überfallen und die unglückliche Mutter wiederholt durch die höchste Feindseligkeit zu ängstigen, aber ich will es auf ewig in mir unterdrücken, wenn Sie jetzt thun, was etwa die Umstände an die Hand geben können, und was nicht Grosmuth, die immer nur eine falsche Vorspieglung ist, sondern das einfachste menschliche Gefühl verlangt. Sie sehn aus der Wärme, mit welcher Schelling Ihr Schweigen gegen ihn aufnimmt, daß ich dessen Werth nicht herabzusetzen gesucht habe. Bleiben Sie ferner freundschaftlich mit ihm verbunden, ich trete ganz zurück.

*

111. An Julie Gotter

[Jena] d. 18. Februar [18]03

Wenn Du gemeint hast, mein Schweigen bedeute nichts Gutes, entweder als in so weit es äußerliches Übelbefinden anzeigte, oder innerlichen Mismuth oder Mangel an freundseligen Andenken – so hat sich mein Kind in allen diesen drei Stücken gänzlich geirret. Verhindert bin ich freilich dann und wann worden, wenn ich eben zu schreiben gedachte, ich bin aber übrigens recht wohl, und meinen wenigen Lieben von Herzen zugethan, so daß ich auch Deinen letzten Brief mit der größten Freude über den so durchaus richtigen und braven Entschluß Deiner Mutter gelesen habe. Was sie zu thun gesonnen ist, ist eben das, was ich ihr schon oft, nur in Ansehung Dresdens, vorschlagen wollte, mir aber die Ausführung davon, besonders in Absicht der kranken Tante, unmöglich dachte. Es bewährt sich mir die ganze Vortrefflichkeit Deiner Mutter von neuen dadurch, daß sie für ihre Kinder thut, was, wie ich mir leicht vorstellen kann, ihr sehr schwierig scheinen mußte. Ist in Gotha erst alles geebnet, in Cassell wirds auch nicht fehlen, am wenigsten an einem guten logis ... Die Gegend wird euch sehr erfreuen, das Theater euch doch auch einige Belustigung gewähren, und in Absicht auf Umgang hättet ihr in Dresden wahrscheinlich noch weniger gefunden. Cecilien muß man nun ihrem guten Genius empfehlen, sie muß sich selbst helfen daß Nahl nicht das rechte ist, weiß sie. Mag sie sich nun eine eigne Art herausarbeiten.

Es ist endlich auch nöthig, daß ich Rechenschaft von mir gebe. Im May oder Junius verlasse ich Jena auf lange Zeit und gehe erstlich in ein Bad in Schwaben, dann aber im Herbst nach Italien, und der Winter wird in Rom zugebracht, so Gott will. Um aber hierzu völlige Freyheit zu haben und auch niemand in seiner Freyheit hinderlich zu seyn, wird vorher, oder ist vielmehr schon, das Band der Ehe zwischen Schlegel und mir aufgehoben – das einer herzlichen Freundschaft und Achtung wird hoffentlich immer bestehen. – Ich zweifle nicht, daß Dir dieses in diesem Augenblick keine Neuigkeit mehr ist. Alles andre hierüber lassen wir aber abseits liegen und halten uns an das, was ich euch unmittelbar mittheile, und was an Dich zu richten, meine junge Freundin, ich nicht das geringste Bedenken trage, noch, so wie alles der Wahrheit nach und in meinem Herzen steht, tragen darf. Indem mir das Schicksal oft seine höchsten Güter nicht versagt hat, ist es mir doch zugleich auch so schmerzlich gewesen, und hat so seinen auserlesensten Jammer über mich ergossen, daß wer mir zusieht nicht gelockt werden kann, sich durch kühne und willkührliche Handlungsweise auf unbekannten Boden zu wagen, sondern Gott um Einfachheit des Geschickes bitten muß, und sich selbst das Gelübd ablegen, nichts zu thun um es zu verscherzen. Nicht als ob ich mich anklagte; was ich jetzt zu thun genöthigt bin, ist bey mir vollkommen gerechtfertigt, nur verleiten kann das Beyspiel nicht. Ich habe nun alles verlohren, mein Kleinod, das Leben meines Lebens ist hin, man würde mir vielleicht verzeihen, wenn ich auch die lezte Hülle noch von mir würfe um mich zu befreyen, aber hierin bin ich gebunden – ich muß dieses Daseyn fortsetzen, so lange es dem Himmel gefällt, und das einzige, was ich dafür noch bestimmtes wünschen kann, ist Ruhe, wahrhafte Ruhe und Übereinstimmung in meinen nächsten Umgebungen. Diese kann ich in der Verbindung mit Schlegel nicht mehr finden; und mein Gemüth hat sich ganz von ihr abgewendet; das habe ich ihm vom ersten Moment an nicht verhehlt, meine Aufrichtigkeit ist ohne Rückhalt gewesen. Es hätte seitdem vielleicht manches anders werden können, allein andre bemächtigten sich seiner, da ich zurücktrat, und nicht die löblichsten Menschen, wie Du weißt, und ich gewann immer mehr Ursache mich für eine entschiedne und öffentliche Trennung zu entschließen, nicht ohne Kampf, weil es mir schrecklich war, auch noch durch dieses gehn zu müssen, das ich aber endlich durchaus für Pflicht hielt; ich konnte und wollte Schlegeln nicht mehr alles seyn und hätte ihn nur verhindert, ihn, der in der Blüthe seines Lebens steht, auf andern Wegen sein Glück zu suchen. Dazu kam, daß meine Gesundheit mir nicht die Hoffnung läßt Mutter zu werden; und so wollte ich ihn auch dessen nicht berauben, was mir ihm zu gewähren versagt war. Kinder hätten unstreitig unsre Verbindung, die wir unter uns nie anders als wie ganz frei betrachteten, unauflöslich gemacht. Das sind die Seiten meines Geschicks, wo das Verhängniß eintritt und von keiner Verschuldung die Rede seyn kann. Dagegen hätte ich behutsamer seyn sollen die Heyrath mit ihm nicht einzugehn, zu der mich damals mehr das Drängen meiner Mutter als eigner Wille bestimmte. Schlegel hätte immer nur mein Freund seyn sollen, wie er es sein Leben hindurch so redlich, oft so sehr edel gewesen ist. Es ist zu entschuldigen, daß ich nicht standhafter in dieser Überzeugung war, und die Ängstlichkeit andrer, dann auch der Wunsch mir und meinem Kinde in meiner damaligen zerrütteten Lage einen Beschützer zu geben, mich überredeten, allein dafür muß ich nun doch büßen. In so weit Du Schlegel kennst, Julchen – ich muß an Dein unbefangnes Gefühl appelliren – glaubst Du, daß er der Mann war, dem sich meine Liebe unbedingt und in ihrem ganzen Umfange hingeben konnte? Unter andern Umständen hätte dieses bey einmal getroffner Wahl nichts verändert, so wie sie hier indessen nach und nach statt fanden, durfte es Einfluß über mich gewinnen, besonders da Schlegel mich selbst mehrmals an die unter uns bestehende Freiheit durch Frivolitäten erinnerte, die, wenn ich auch nicht an der Fortdauer seiner Liebe zweifelte, mir doch misfallen konnten und wenigstens nicht dazu beitrugen meine Neigung zu fesseln. – Jetzt nachdem das Schicksal keines andern Wesens mehr mit dem meinigen verflochten ist, bin ich wohl berechtigt zu thun, was für mich das Rechte und Wahre ist, und auch ganz und gar nicht danach zu fragen, wie das nach außenhin aussehn mag, was an sich gut ist. Daß es so ist, darauf gedenke ich zu leben und zu sterben. In Berlin, wo mir alles misfiel und Schlegel doch zu bleiben gedachte, kam der Entschluß zur Reife, die Krankheit meiner Mutter verzögerte die Ausführung, aber wie Du zulezt bey mir warst, waren schon alle Schritte deshalb geschehn – ich will und darf Dir nicht sagen, wer mir in dieser Angelegenheit fast väterlich beigestanden hat – genug, der Herzog zeigte sich geneigt uns alle langwierigen und widrigen Formalitäten der Sache zu ersparen, und sehr bald wird das letzte Wort darinn gesprochen seyn.

Ich kann Dir nicht ausdrücken, wie ruhig ich seit dem Moment bin, wo wir uns entschieden hatten, ich bin fast glücklich zu nennen, und meine Gesundheit hat beträchtlich gewonnen. – Alle Lästerungen, die es ferner nach sich ziehn möchte, gesprochne und gedruckte Pasquille, und was dahin gehört, das kann mich nicht anrühren. Ich habe nur die Meinigen gebeten, mich nicht mit Betrachtungen zu zerreißen, die aus einer andern Welt genommen sind, als in der ich existire. Von der andern begehre ich nichts und ich kenne sie obendrein so gut, daß ich sogar weiß, es würde doch nur von mir abhängen meine Ansprüche an sie auch wieder geltend zu machen, sobald ich es wollen könnte. Sonderbar ist es, daß, Einmal in die Stürme einer großen Revolution verwickelt mit meinen Privatbegebenheiten, ich es gleichsam jetzt zum zweitenmal werde, denn die Bewegung in der literarischen Welt ist so stark und gährend wie damals die politische. Die Schufte und ehrlosen Gesellen scheinen eben die Oberhand zu haben. Von Kotzebue an, der in Berlin fast Minister geworden, ist ein göttlicher Zusammenhang der Niederträchtigkeit in der Welt, ich sage ein göttlicher, denn die Vorsehung wird sich gewiß noch verherrlichen, indem sie ihn auflöset. Schlegel ist nicht so inconsequent, daß er sich im mindesten irgend etwas von dem, was geschieht, anfechten ließe, und er hat diese Gesinnung in ihrem ganzen Nachdruck noch so eben in einem Brief an Schelling erklärt, was mich denn vollends in meiner Ruhe befestigt.

Wenn mir meine jetzige Lage es erlaubte, so würde ich Dich in 8-10 Tagen sehn, um welche Zeit Hr. v. Podmanitzky nach Gotha reiset, aber da der lezte Spruch noch nicht geschehn ist und ich der persönlichen Erscheinung durch den Vorwand meines Übelbefindens auszuweichen hatte, so kann ich mich nicht von hier entfernen. Podmanitzky wird euch besuchen und viel von mir und Schelling erzählen. Sage auch Minchen, daß ihr ein Besuch von ihm bevorsteht, denn Manso hat ihm in Breslau eine Karte an sie gegeben. Dieser bitte ich außerdem noch zu bestellen, wenn ihr der Inhalt dieses Briefs mitgetheilt wird, sie allein hätte mich wegen der Scheidung unschlüssig gemacht, ich hätte sie nicht gern dementiren wollen, nachdem sie sich einmal so kühn zu meinem Bürgen aufgeworfen hatte, und den Frauen gesagt, »wenn sich die Schlegel scheiden läßt, so laßt ihr euch alle scheiden«. Sie soll sich ja nicht wieder so weit verbürgen, man kann nie wissen, was geschieht und ein Mensch zu thun gezwungen wird – nur das läßt sich verbürgen, »dieser oder jene mögen thun, was sie wollen, so werden sie doch etwas behalten, was aller Freundschaft werth ist und ich nicht von meinem Herzen reißen will«.

Meine theure Chanoinesse bitte ich zu grüßen. Sie erfährt nichts Neues, ich habe ihr meine Absicht nicht verhehlt, da ich sie mündlich sprach. Mama Schläger braucht man wohl nichts davon zu sagen.

Was euch betrifft, so rechne ich mit Zuversicht auf die Fortdauer eurer Liebe. Die Welt laßt reden, ihr seyd nicht dazu bestellt mich zu vertheidigen und ich mag auf mir selbst beruhn. Übrigens brauch ich nicht zu versichern, daß hundert ausgestreute Lügen keine Wahrheit sind, daß unter andern an der ganzen Geschichte mit der Unzelmann nicht ein Wort wahr, ferner daran daß ich mit Schlegel entzweyet, ferner daß ich die Scheidung nicht gewollt. Ich habe sie vielmehr sehr gewollt, obgleich ich mich nicht leichtsinnig dazu entschlossen habe, und selbst thöricht zögerte.

Ich denke darauf, wie ich euch noch sprechen könte, ehe wir uns auf so lange trennen – eine Zusammenkunft am dritten Ort ist vielleicht das Beste.

Außer den ernsthaften Mittheilungen hätte ich Dir noch hundert komische Dinge zu erzählen. Es geht hier in der Societät so bunt durch einander, daß es alle Tage neue Allianzen und neue Brüche giebt, alles steht auf den Kopf – daß zwischen Niethammer, Asverus, Vermehren und Hufeland ein geistreiches Kränzchen statt findet, gehört in dieses Fach. Möller ist völlig verrückt worden, was er bisher nur halb war. Hegel macht den Galanten und allgemeinen Cicisbeo. Mich amüsirt es alles wie eine Comödie, besonders da es Podmanitzky gut vorzutragen weiß, durch den ich es gemeiniglich höre. Er... [Bogenende.]


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