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7.

Yvonne saß Jan gegenüber.

Der Diener fand an diesem Zustande keinen Gefallen und blieb unsichtbar.

Ob Jan an der Sache Gefallen fand, ließ sich nicht ohne weiteres erkennen. Jedenfalls war auf ein Leben zu zweien Bedacht zu nehmen.

Darauf kam es insbesondere Yvonne an. Indes: auch ihr ging es nicht besser als den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Im Kleinkrieg unbesieglich, haben sie kein Verständnis für große Trümpfe.

Yvonne saß nun Jan gegenüber. Er rauchte nachdenklich eine Zigarette nach der anderen, blies Ringelchen, rauchte durch die Nase Schlötchen und vermied Worte.

Eigentlich war er gefangen.

Was Yvonnes ganze Kriegskunst nicht zuwege gebracht hatte, die ihn immer mehr und mehr einschnürte, bis jeder Ausweg für ihn verschlossen war, vermochten einige rührend hilflose Bewegungen. Er fühlte sich als Barbar. Damit war seine Niederlage als Mann eigentlich besiegelt, bis auf eine Kleinigkeit.

Im Unterbewußtsein empfand Jan Yvonne als Scheusal. Sie hätte ihm eigentlich, nachdem sie ihm die Bedenkzeit genommen hatte, Schonzeit gewähren müssen. Aber zu dieser Erkenntnis war ihr einfaches weibliches Empfinden nicht kompliziert genug. So sah sie kurz auf und sagte lächelnd zu Jan:

»Weißt du, mein Lieber, ich habe immer geglaubt, deine Papiere seien zum Heiraten nicht gut genug und ich würde dich erst mit Gewalt in den alten Jan Traberg zurückverwandeln müssen. Nun ist das ja glücklicherweise unbegründet. Was der Kadi nicht sieht, erfaßt der Kuli niemals. Sag also, liebster Jan, wann heiraten wir?«

Das war Yvonnes großer Fehler, denn die Natur hat es so gefügt, daß, wenn Frauen einmal im Manne ein Ideal sehen, sie ihn als Idol behandeln, und das ist falsch, da »Götze« und »ergötzen« nicht von einer Sprachwurzel kommen. Durch dieses Eingeständnis ihrer Heiratswut brachte sie Jan erst auf den rettenden Gedanken. Sie konnte doch nicht noch einmal hergehen, ihm einen Kriminalkommissar ins Haus schicken und ihm erklären: Jetzt weiß ich es ganz gewiß, es ist Jan Traberg.

Jan legte sich breit in seinen Klubsessel, stippte die Asche der Zigarette ab, während das letzte Ringlein in der Luft zerfloß und sagte:

»Heiraten? Ich? Warum denn? Weswegen?«

Da schnellte Yvonne wie eine Katze auf und flammte ihn an:

»Du willst das doch nicht noch einmal spielen?«

»Wer sagt, daß ich spiele?« entgegnete Jan kühl. »Ich habe keine Kulissen zu deinem Theaterstück, nicht einmal einen Hintergrund.«

»Du warst unehrlich!« fuhr sie auf.

»Na«, sägte er, »ehrlich warst du gerade auch nicht. Aber was hat es für einen Zweck zu streiten? Wir beide werden wie Kameraden leben. Jeder wird sein eigenes Heim haben. Wir werden uns sehen, sprechen, wir werden zusammen vielleicht zu Abend essen. Was willst du mehr von einem armem, geplagten Manne, den du so müde gemacht hast?«

Yvonne schwieg nachdenklich. Allmählich zog die Dämmerung durch den Raum. Es wurde sehr stille.

Dann trennten sie sich. Komischerweise blieben ihre Hände doch lange ineinander, als sie sich konventionell zum Abschied gesucht hatten.

Die nächsten Tage brachten einige Veränderungen.

Yvonne legte ihre geschäftlichen Verpflichtungen nieder und suchte sich einige gute vornehm ausgestattete Räume bei einer Familie, die gesellschaftliche Beziehungen hatte.

Sie fühlte sich ganz behaglich, blühte auf und störte Jan in seinen Tagesplänen nicht. Dagegen war sie hilfsbereit, wo sich eine Möglichkeit bot, und hatte kein Bedenken, einen nicht unbeträchtlichen Scheck von ihm zu nehmen, mit dem sie die Ausstattung weiter betrieb.

Sie ließen sich manchmal im Theater auf guten Plätzen sehen.

Jan wurde seines Lebens froh. Nur zuweilen bedrückte ihn der Gedanke, daß dieser Jan van Kerken lebe.

Freilich, jetzt konnte ihm der Teufel drei Karten entgegenhalten, den alten Jan Traberg mit seiner nicht berühmten Vergangenheit, den falschen van Kerken, den er selbst spielte und den richtigen, wenn er ihn über seinen Weg jagte. Vielleicht war er ausgewandert. Brennende Neugier erfaßte Jan, mehr von diesem Unbekannten zu wissen. Aber es war gefährlich, Nachforschungen anstellen zu lassen. So mußte dieser Plan in der Sorge schlafloser Nächte überwunden werden.

Eben dachte Jan an einem Vormittage, etwa gegen die elfte Stunde wieder daran, als Yvonne anrief. Sie sagte Guten Morgen, war guter Dinge, und bat ihn dringlich, etwa gegen ein Uhr zu kommen. Er möge sich so fein wie möglich machen, denn sie würden von ihrer Wohnung aus zur Hochzeit einer Freundin fahren.

Jan tat erst etwas gestört, fügte sich, stürzte sich mit aller Umständlichkeit in Frack und Zutaten. Wohlgefällig besah er sich im Spiegel und war in bester Laune. Es tat gut, wieder einmal etwas anderes zu sehen als Arbeit und Theorie.

Es fiel ihm auf, daß der Aufgang zu Yvonnes Wohnung etwas undefinierbar Festliches hatte. Als er eintrat, fand er zu seinem Erstaunen bereits Gäste vor. Gemütlich begrüßte ihn sein alter Bekannter von ehedem, von der politischen Geheimpolizei.

Es war Jan nicht ganz wohl. Man bemerkt zuweilen auf einem Schlachthofe, daß in Ahnung des Kommenden ein Bulle von unklaren Gefühlen überwältigt, freilich vergeblich, das Weite sucht. Vielleicht war es etwas Aehnliches, das Jan im Vorzimmer zaudern ließ. Der Kommissar gab ihm jedoch keine Zeit zum Nachdenken.

»Es ist ungemein liebenswürdig von Ihrem Fräulein Braut, nachdem ich in die unangenehmen Seiten ihrer Auseinandersetzung verwickelt war, mich nun auch an dem freundlichen Abschluß teilnehmen zu lassen. Es ist für uns ja nichts Ungewöhnliches, daß gerade aus Zufällen heraus manches menschliche Glück entspringt.«

Mit diesen salbungsvollen Worten faßte er Jan van Kerken vertraulich unter dem Arm.

Im nächsten Zimmer war auch schon der Geistliche bereit. Jan fand liebe Freunde, die das Brautpaar und vor allem ihn zu seinem Schritte beglückwünschten.

Noch war es nicht zu spät!

Jan konnte dieser Versammlung der guten Gesellschaft auf die Frage des Geistlichen ein überzeugtes »Nein« bekunden. Damit war er frei – aber wieder ein interessantes Objekt für die politische Polizei.

Er rang nach logischen Zusammenhängen, während er eine Wand von Freundlichkeit vor sein Gesicht zog. Nichts half. So sagte er sein »Ja« mit dem stillschweigenden Zusatz: Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen ...

Zu Hause stellte er fest, daß Yvonne seine Papiere dem Schreibtisch entnommen und alles Notwendige besorgt hatte ...

So endete Jan van Kerkens Brauttag.

Thea hatte sauersüße Glückwünsche gesandt.

Dies war zwischen den Zeilen eine Fehdeansage.

In den nächsten Monaten war sie spürbar. Die amtlichen Empfehlungen verstärkten sich, die Arbeit mehrte sich, der Erfolg seiner wirklichen überzeugten Tätigkeit stellte sich mehr und mehr ein. Aber es bröckelte in seinen gesellschaftlichen Beziehungen, ohne daß man sagen konnte, wer daran rüttelte.

Der Boden wurde heiß, ohne daß zu sehen war, wer das Feuer schürte.


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