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I

Geburt des Herzogs von Saint-Simon. Eintritt in die Armee. Belagerung von Namur. Kriegsmaterial im Keller des Jesuitenklosters. Der Graf von Coëtquen.

 

Ich bin im Jahre 1675 in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar geboren, als das einzige Kind aus der Ehe Claudes, Herzogs von Saint-Simon, Pairs von Frankreich usw., und seiner zweiten Frau, Charlottes de l'Aubespine. Von Diane de Budos, seiner ersten Frau, hatte mein Vater eine einzige Tochter und keine Söhne gehabt. Er hatte sie mit dem Herzog von Brissac, Pair von Frankreich, dem einzigen Bruder der Herzogin von Villeroy, vermählt. Sie war 1684 kinderlos gestorben und seit langem von einem Gatten getrennt, der ihrer nicht wert war. In ihrem Testament hatte sie mich zum Universalerben eingesetzt.

Ich führte den Namen Vidame de Chartres und wurde mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit erzogen. Meine Mutter, die sich durch hohe Tugend und einen außerordentlich scharfen und gesunden Verstand auszeichnete, war unaufhörlich darauf bedacht, mich körperlich und geistig gut auszubilden. Sie befürchtete für mich das Los der jungen Leute, die ihre Zukunft gesichert glauben und sich früh selbständig sehen. Mein Vater, der 1606 geboren war, konnte nicht lange genug leben, um mich vor diesem Unglück zu bewahren, und meine Mutter wiederholte mir immer wieder, wie dringend notwendig es für einen jungen Mann sei, aus sich selbst Henriette de la Guiche, Herzogin v. Angoulême war die Urgroßmutter des letzten Herzogs von Guise. – Der Onkel Saint-Simons, der Marquis Charles de Rouvroy St.-Simon, war am 15. April 1601 geboren und starb am 25. Januar 1690.etwas zu sein, wenn er allein, aus eigenem Antrieb und als der Sohn eines Günstlings Ludwig XIII. in die Welt träte. Die Freunde meines Vaters seien ja entweder tot oder außerstande, mich zu fördern, während sie, meine Mutter, da sie von Kind an bei ihrer Verwandten, der alten Herzogin von Angoulême (der Großmutter mütterlicherseits des letzten Herzogs von Guise), erzogen und an einen Greis verheiratet worden sei, immer nur deren alte Freunde und Freundinnen zu Gesicht bekommen und sich keine gleichaltrigen habe erwerben können. Sie betonte ferner, daß ich ohne alle Verwandte, Oheime, Tanten und Vettern, also ganz auf mich selbst angewiesen sei und um so mehr trachten müsse, von meiner Freiheit einen guten Gebrauch zu machen. Ihre beiden Brüder seien ohne Ansehen, der ältere von ihnen sei noch dazu ruiniert und schikaniere seine Familie mit Prozessen, während der einzige Bruder meines Vaters keine Kinder habe und acht Jahre älter sei als er.

Gleichzeitig ließ sie es sich angelegen sein, meinen Mut zu stärken und mich anzuspornen, so zu werden, daß ich aus eigener Kraft diese bedeutenden Hindernisse überwinden könnte. Es gelang ihr auch, das lebhafte Verlangen danach in mir zu wecken. Mein Geschmack für das Studium und die Wissenschaften half zwar nicht mit, wohl aber die gleichsam angeborene Freude an der Lektüre und an der Geschichte, mithin der Wunsch, durch Nacheiferung und die Vorbilder, die ich darin fand, etwas zu tun und zu werden; und ich habe immer gedacht, daß ich in der Geschichte eine Rolle hätte spielen können, wenn man sie mich ernsthaft hätte studieren und weniger Zeit mit der Wissenschaft verlieren lassen. Lager von Gimbsheim (Gimsheim), 3½ Meilen süd-süd-westlich von Mainz, bezogen am 7. Juli 1694, am 30. mit Gau-Böckelheim vertauscht, das westlicher bei Wörstadt gelegen ist. St.-Simon sagt weiter unten, daß er seine Memoiren in diesem Lager begonnen habe. – Akademie der Herren von Mesmont usw. Akademie wurde die Anstalt genannt, wo der Adel reiten und fechten lernte. Außer dem Stallmeister gab ein anderer Lehrer Kurse in Geschichte, Geographie und Wappenkunde. Die Pariser Akademien, die von dem Oberstallmeister abhingen, wurden 1691 auf zwei beschränkt. – Die Belagerung von Mons begann am 24. März 1691 und war am 8. April zu Ende.

Die Weltgeschichte und namentlich unsere Memoirenwerke aus den letzten Zeiten seit Franz I., die ich aus eigenem Antrieb las, erweckten in mir den Wunsch, auch meine Beobachtungen und Erlebnisse zu Papier zu bringen, denn ich hoffte Zeuge bedeutender Begebenheiten zu sein und die Geschichte meiner Zeit nach Möglichkeit zu erkennen. Zwar verhehlte ich mir nicht, daß dieses Unternehmen für mich Unannehmlichkeiten im Gefolge haben könne, doch der feste Entschluß, das Geheimnis ganz für mich allein zu bewahren, schien mir allem vorzubeugen. Ich begann die Niederschrift meiner Erinnerungen also im Juli 1694 als Oberst eines Kavallerieregiments, das meinen Namen trug, im Lager von Gimbsheim am Alten Rhein, bei der Armee, die der Marschall Herzog von Lorge befehligte.

Im Jahre 1691 begann ich in der Akademie der Herren von Mesmont und von Rochefort zu reiten, womit noch Unterricht in anderen Fächern verbunden war, ich begann aber auch meine Lehrer und das Studium sehr langweilig zu finden und mich nach dem Eintritt in den Heeresdienst zu sehnen. Die Belagerung von Mons, die der König zu Beginn des Frühjahrs in Person eingeleitet, hatte fast alle jungen Leute meines Alters dorthin gezogen, um ihren ersten Feldzug mitzumachen; und was mich am meisten reizte: der Herzog von Chartres begann dort seine kriegerische Laufbahn. Ich war sozusagen mit ihm erzogen worden, war acht Monate jünger als er und, wenn das Alter diesen Ausdruck bei jungen Leuten von so verschiedenem Range gestattet, in Freundschaft mit ihm verbunden. Ich entschloß mich also, der Kindheit Valet zu sagen und will hier nicht weiter auf die Listen eingehen, die ich anwandte, um meinen Zweck zu erreichen. Ich wandte mich an meine Prinzen von Geblüt, d. h. die Prinzen aus dem Hause Bourbon, die als Seitenverwandte, wenn legitim, zum Throne gelangen konnten. Es waren dies damals der Prinz von Condé ( Monsieur le Prince), sein Sohn ( Monsieur le Duc), dessen Söhne und der Prinz von Conti (François-Louis, verheiratet mit Mademoiselle M. Bourbon und Vater mehrerer Kinder). – Natürliche Söhne Ludwigs XIV. Der König hatte dreizehn illegitime Kinder von seinen drei Maitressen (Fräulein von la Vallière, Frau von Montespan und Fräulein von Fontanges). Sechs waren früh gestorben; zwei andere, die Grafen von Vermandois und Vexin etwas älter (1683). Die überlebenden drei Töchter und zwei Söhne waren: die Prinzessin von Conti (von der la Vallière); der Herzog von Maine; die Herzogin von Bourbon-Condé ( Madame la Duchesse); der Graf von Toulouse und Mademoiselle de Blois (später Herzogin von Chartres), alle von der Montespan. – Blaye, heute Unterpräfektur des Departement Gironde, war ein befestigter Hafen am rechten Ufer der Gironde. Der Herzog war seit 1630 Gouverneur des Platzes. – Simon und Juda, d. i. der 28. Oktober; damals, 1691, ein Sonntag. Sonntags fanden die Vorstellungen statt.Mutter, doch merkte ich bald, daß sie mich hinhielt; daher steckte ich mich hinter meinen Vater, den ich glauben machte, der König würde, nachdem er dieses Jahr eine große Belagerung durchgeführt hätte, das nächste ausruhen. Ich täuschte meine Mutter, die nicht eher entdeckte, was ich eingefädelt hatte, als bis mein Plan schon vor der Ausführung stand, und ich meinen Vater soweit gebracht hatte, daß er sich nicht mehr beeinflussen ließ.

Der König bestand darauf, daß niemand, der in seinen Dienst träte, davon entbunden würde, ein Jahr bei einer seiner beiden Musketierkompagnien, gleichviel welcher, zu dienen, ausgenommen die Prinzen von Geblüt und seine natürlichen Söhne. Darauf mußte man, um gehorchen zu lernen, mehr oder weniger lang an der Spitze einer Kavalleriekompagnie oder als Subalternoffizier bei seinem Infanterieregiment dienen, das er vor allen andern auszeichnete und liebte. Dann erst erteilte er die Genehmigung, ein Kavallerie- oder Infanterieregiment zu kaufen. Mein Vater nahm mich also mit nach Versailles, wohin er seit seiner Rückkehr von Blaye, wo er gedacht hatte, daß es mit ihm zu Ende ginge, noch nicht hatte kommen können. (Meine Mutter hatte ihn im Postwagen abgeholt und heimgebracht, er befand sich aber so wenig gut, daß er den König bis dahin noch nicht hatte sehen können.) Er machte ihm seine Aufwartung und stellte mich zugleich als Anwärter für einen Platz bei den Musketieren vor. Es war am Tage St. Simon und Juda, um halb ein Uhr, als der König aus dem Rate kam.

Seine Majestät beehrte ihn mit einer dreimaligen Umarmung, und als die Rede auf mich kam, fand der König mich klein und zart und sagte zu ihm, ich sei noch recht jung; worauf mein Vater zur Antwort gab, ich würde ihm nur um so länger dienen. Hierauf fragte ihn der König, in welche der beiden Kompagnien er mich tun wolle, und mein Vater wählte die erste, weil sein vertrauter Freund Maupertuis ihr Hauptmann war. Denn abgesehen von der Fürsorge für mich, die er sich von ihm versprach, wußte er wohl, wie angelegentlich sich der König bei diesen beiden Hauptleuten, namentlich aber bei Maupertuis, nach den jungen Leuten von Stande in ihren Kompagnien erkundigte, und von welchem Einfluß ihr Urteil auf das erste, so entscheidende Bild war, das der König sich von ihnen machte. Mein Vater täuschte sich nicht, und ich habe Grund gehabt, die gute Meinung, die der König gleich anfangs für mich faßte, dem Einflusse Maupertuis' zuzuschreiben.

Ludwig XIV.

Drei Monate, nachdem ich bei den Musketieren eingetreten war, d. h. im März des folgenden Jahres, hatte sich der König nach Compiègne begeben, um seine Garde und das Schwerereiterkorps zu mustern, und ich hatte eines Tages die Wache bei ihm. Diese kleine Reise gab Anlaß, von einer größeren zu sprechen. Meine Freude darüber kannte keine Grenzen, aber mein Vater, der nicht damit gerechnet hatte, bereute es sehr, daß er mir geglaubt hatte und ließ es mich merken. Meine Mutter war anfangs zwar ein wenig ärgerlich auf mich, daß ich mich so gegen ihren Willen hatte anwerben lassen, dann aber verfehlte sie nicht, ihn zu begütigen und mir eine Ausrüstung von fünfunddreißig Pferden oder Maultieren und was sonst noch zu einer anständigen Lebensführung im Feld gehört, zu verschaffen.

Diese Vorbereitungen vollzogen sich nicht ohne einen ärgerlichen Zwischenfall, der genau zwanzig Tage vor meiner Abreise passierte. Ein Verwalter meines Vaters Givry, im Hennegau, an der Trouille, 12 km von Mons. – Belagerung von Namur, angekündigt am 24. Mai 1692, Ankunft des Königs am 26., Kapitulation am 5. Juni.namens Tessé, der schon seit mehreren Jahren bei ihm war, verschwand plötzlich und nahm 50 000 Livres mit. Wie sich herausstellte, war dies der Betrag, den wir den Kaufleuten schuldeten, deren gefälschte Quittungen in seinen Rechnungsbüchern figurierten. Er war ein kleiner freundlicher kluger Mann, der gute Eigenschaften gezeigt hatte, Freunde besaß, Advokat am Parlament von Paris und Advokat des Königs am Finanzamt von Poitiers gewesen war.

Der König reiste am 10. Mai (1692) mit den Damen ab, und ich machte die Reise zu Pferde mit der Truppe und der ganzen Dienerschaft wie die anderen Musketiere während der beiden Monate, die sie dauerte. In meiner Begleitung befanden sich zwei Edelleute: der eine, der schon lange unserem Hause angehörte, war mein Hofmeister gewesen, der andere war ein Diener meiner Mutter. Die Armee des Königs sammelte sich im Lager von Givry, und die Truppen des Marschalls von Luxemburg standen fast in unmittelbarer Nähe. Die Damen waren in Mons, zwei Meilen entfernt. Der König ließ sie in sein Lager kommen, wo er sie bewirtete, darauf hielt er vor ihnen die glänzendste Heerschau ab, die vielleicht jemals stattgefunden hat. Die beiden Armeen waren in einer Ausdehnung von drei Meilen in zwei Reihen aufgestellt, so daß der rechte Flügel Luxemburgs den linken des Königs berührte.

Nach einem zehntägigen Aufenthalt in Givry trennten sich die beiden Armeen und setzten sich in Marsch. Zwei Tage darauf wurde die Belagerung von Namur erklärt, wo der König nach fünftägigem Marsche eintraf. Der Dauphin, der Herzog von Orléans, der Prinz von Condé und der Marschall von Humières befehligten alle vier, einer dem andern nachgeordnet die Armee unter Führung des Königs, während der Marschall von Luxemburg, der die seinige allein führte, die Belagerung deckte und den Feind beobachtete. Die Damen waren unterdessen nach Dinant gegangen. Am dritten Marschtage wurde der Prinz von Condé abgeschickt, die Stadt Namur einzuschließen. Der berühmte Vauban, die Seele aller Belagerungen, die der König durchgeführt hat, setzte es gegen den Baron de Bressey durch, daß die Stadt getrennt von dem Schlosse berannt würde. De Bressey, der den Platz ja befestigt hatte, wollte, daß beide Punkte zugleich belagert würden. Eine starke Mißstimmung hatte ihn bewogen, nicht lange vorher die spanischen Dienste zu verlassen. Daß er sich darauf gleich Frankreich zur Verfügung gestellt hatte, war für seinen Ruf nicht gerade von Vorteil gewesen. Er hatte sich durch seine Tüchtigkeit und Fähigkeit ausgezeichnet und war ein vortrefflicher Kriegsbaumeister und Offizier, der sich schnell das Vertrauen des Königs erwarb.

Der Prinz von Condé, der Marschall d'Humières und der Marquis de Boufflers führten jeder einen Angriff durch. Während der zehn Tage, welche diese Belagerung dauerte, ereignete sich indes nichts besonders Bemerkenswertes. Am elften nach Öffnung der Laufgräben gaben die Belagerten das Signal, daß sie unterhandeln wollten, und die Kapitulation wurde annähernd zu den Bedingungen abgeschlossen, die die Belagerten wünschten. Sie zogen sich in das Schloß zurück, und beide Teile kamen überein, daß es von der Stadt aus nicht angegriffen werden solle, ebenso auch die Stadt nicht vom Schlosse aus durch einen Schuß beunruhigt werden dürfe. Während dieser Belagerung hielt sich der König beständig im Lager auf; es war sehr heiß, und der Himmel Die Verwundung des Grafen von Toulouse erfolgte erst am 13. Juni während der Belagerung des Kastells. – Marlagne ( Haute und Basse) sind zwei Forste am linken Ufer der Maas, südlich und südöstlich von Namur.seit dem Aufbruch von Paris fortwährend heiter. Die Armee verlor dort keinen Mann von Bedeutung, ausgenommen Cormaillon, einen jungen sehr hoffnungsvollen Ingenieur und guten Offizier, dessen Tod Vauban sehr bedauerte. Der Graf von Toulouse erhielt eine leichte Quetschung am Arm, ganz in der Nähe des Königs, der von einer Anhöhe, aber doch aus ziemlicher Entfernung, am hellen Tage dem Angriff auf eine halbmondförmige Schanze zusah, die von einer aus den ältesten Leuten bestehenden Abteilung der beiden Musketierkompagnien genommen wurde.

Die Armee wechselte ihre Stellung, um das Schloß zu belagern. Als jeder im Begriff war, den ihm bestimmten Platz einzunehmen, fand das Infanterieregiment des Königs sein Gelände von einem schwachen feindlichen Korps besetzt, das sich dort verschanzte. Es kam alsbald zu einem kleinen ziemlich heftigen Sondergefecht. Der Prinz von Soubise, der Generalleutnant des Tages, eilte herbei und zeichnete sich aus. Das Regiment erwarb sich dabei viel Ehre und hatte geringe Verluste; die Feinde wurden bald vertrieben. Der König war voller Freude; denn er liebte dieses Regiment und hat es unter allen andern Truppen stets als das seinige betrachtet.

Seine und des ganzen Hofes Zelte wurden auf einer schönen Wiese, fünfhundert Schritt von dem Kloster von Marlagne, aufgeschlagen. Das schöne Wetter verwandelte sich in Regengüsse von einer Ausgiebigkeit und Dauer, wie sie noch niemand in der Armee erlebt hatte. Sie verschafften dem heiligen Medardus, dessen Fest auf den 8. Juni fällt, einen großen Ruf. Es goß an diesem Tage in Strömen, und man behauptet, daß das Wetter, das an diesem Tage herrscht, vierzig Tage hintereinander andauert. Der Zufall wollte, daß das dieses Jahr eintraf. Die Soldaten, verzweifelt über diese Sintflut, stießen Verwünschungen gegen den Heiligen aus, fahndeten nach Bildern von ihm und zerbrachen und verbrannten alle, deren sie habhaft werden konnten. Diese Regengüsse wurden zu einer Plage für die Belagernden. Zu den Zelten des Königs konnte man nur auf Pfaden aus Reisigbündeln gelangen, die man täglich in dem Maße, als sie einsanken, erneuern mußte. Die Lager und Quartiere waren ebenso unzugänglich, die Gräben voll Wasser und Schlamm; man brauchte oft drei Tage, um die Kanonen von einer Batterie zur andern zu schaffen. Die Karren wurden nutzlos, so daß der Transport der Bomben, Kugeln usw. nur durch Maultiere und Pferde erfolgen konnte. Dieser nämliche Übelstand beraubte die Armee des Marschalls von Luxemburg des Gebrauches der Wagen. Sie litt schwer unter dem Mangel an Getreide, und diesem außerordentlichen Mißstand konnte nur durch den Befehl abgeholfen werden, den der König seiner Garde gab, täglich abteilungsweise Kornsäcke hinter sich aufs Pferd zu nehmen und sie in ein Dorf zu bringen, wo sie von den Offizieren der Armee des Marschalls in Empfang genommen und gezählt wurden.

Obgleich die Garden des Königs während dieser Belagerung ohnehin fast nicht zur Ruhe kamen, weil sie die Reisigbündel tragen, die verschiedenen Wachen stellen und den andern Tagesdienst versehen mußten, halste man ihnen dieses Geschäft auch noch auf, weil die Kavallerie ebenfalls unausgesetzt in Tätigkeit war, und die Pferde fast kein anderes Futter hatten als Baumblätter.

Die Garden, die an alle möglichen Auszeichnungen Rote Truppen wurden die schweren und leichten Reiter der Garde wegen der Farbe ihrer Uniformen genannt. Die Grenadiere hatten im März 1692 die rote Uniform abgelegt, um sich wie die Gardes du Corps blau zu kleiden. – Der Brigadier befehligte fünf bis sechs Bataillone, oder zehn bis zwölf Schwadronen, die zu einer Brigade vereinigt waren. Dieser Grad, der nach dem Oberst und vor dem Generalmajor kam, war die erste Stufe der Hierarchie der Officiers généraux und der nicht verkäuflichen Stellen.gewöhnt waren, hatten wenig Freude an diesem Zustande. Sie beklagten sich und murrten. Der König blieb aber unerbittlich und verlangte Gehorsam. Das Säcketragen mußte also fortgesetzt werden. Als am ersten Tage die Abteilung der schweren und der leichten Reiter der Garde am frühen Morgen zum Korndepot kam, fingen die Leute an zu murren, reizten einander durch Reden auf und gingen so weit, die Säcke hinzuwerfen und sich einfach zu weigern, sie zu tragen. Cresnay, bei dessen Brigade ich war, hatte mich höflich gefragt, ob ich so freundlich sein wolle, mich der Abteilung anzuschließen, welche die Säcke zu tragen hatte, sonst würde er mich zu irgendeiner andern kommandieren. Ich nahm das erstere an; denn ich fühlte, nach all dem Lärm, den die Sache bereits hervorgerufen hatte, würde ich mich dadurch lieb Kind machen. Wirklich kam ich auch mit der Musketierabteilung gerade in dem Augenblick an, als die roten Truppen den Dienst verweigerten und lud vor ihren Augen meinen Sack auf. Marin, Brigadier der Kavallerie und Leutnant der Gardes du Corps, der an Ort und Stelle war, um das Aufladen der Säcke zu überwachen, bemerkte mich im selben Augenblick und rief voll Zorn über die Weigerung der Soldaten, indem er auf mich deutete und mich mit Namen nannte, da ich diesen Dienst nicht unter meiner Würde fände, würde auch die Ehre der schweren und leichten Reiter nicht darunter leiden, wenn sie meinem Beispiel folgten. Diese Worte und dazu die strenge Miene Marins hatten eine so prompte Wirkung, daß auch nicht ein Mann von diesen roten Truppen zu sehen war, der nicht augenblicklich seinen Sack aufgeladen hätte; und von da ab gab es in diesem Punkte nicht die geringste Schwierigkeit mehr. Marin sah die beladene Abteilung abmarschieren Der Gouverneur der Zitadelle von Namur gab das Zeichen, daß er zu verhandeln wünsche, am 30. Juni morgens.und ging alsbald zum König, um ihm das Vorgefallene und die Wirkung meines Beispiels zu melden. Damit leistete er mir einen Dienst, der mir mehrfach verbindliche Worte von Seiten des Königs eintrug. Solange die Belagerung dauerte, war er darauf bedacht, mir, so oft er mich sah, Liebenswürdigkeiten zu sagen. Ich war Marin dafür um so mehr verbunden, als ich ihn gar nicht kannte.

Am siebenundzwanzigsten Tage nach Öffnung der Laufgräben, d. h. Dienstag, den 1. Juli, ließ der Gouverneur des Platzes, der Prinz von Barbançon das Signal geben, daß er zu unterhandeln beabsichtige. Es war auch wirklich Zeit für die Belagerer, die infolge des schlechten Wetters, das nicht aufhören wollte und alles in Morast verwandelt hatte, am Ende ihrer Kräfte und ihrer Mittel waren. Sogar die Pferde des Königs lebten von Laub, und keines von diesen zahlreichen Truppen- und Troßpferden hat sich je ganz davon erholt. Soviel steht fest, daß man ohne die Gegenwart des Königs, dessen Wachsamkeit die Seele der Belagerung war und der, ohne es zu fordern, das Unmögliche ausführen ließ, niemals zum Ziel gelangt wäre, – so mächtig war der Wunsch, ihm zu gefallen und sich auszuzeichnen. Trotzdem war es ganz unsicher, was geschehen wäre, wenn der Platz sich noch zehn Tage gehalten hätte, eine Möglichkeit, an der niemand zweifelte. Die körperlichen und geistigen Anstrengungen, die der König bei dieser Belagerung durchmachte, zogen ihm den schmerzhaftesten Gichtanfall zu, den er noch erlebt hatte. Das hinderte ihn jedoch nicht, von seinem Bett aus für alles zu sorgen und wie in Versailles zur Verhandlung der innern und äußern Angelegenheiten seinen Rat zu versammeln, wie er es während der ganzen Belagerung getan hatte. Der capitaine de la porte befehligte die 50 Torwachen des Königs; er war das ganze Jahr in Funktion, trug den Kommandostab und begleitete den König überallhin.

Der Platz, einer der festesten der Niederlande, genoß den Ruhm, nie seinen Herrn gewechselt zu haben. Er trauerte ihm jetzt auch sehr nach, und die Einwohner konnten ihre Tränen nicht zurückhalten. Auch den Einsiedlern von Marlagne ging das Ereignis sehr nahe, so nahe daß sie ihren Schmerz nicht verbergen konnten, obgleich der König, den der Verlust ihres Getreides, das sie nach Namur hineingerettet hatten, rührte, ihnen die doppelte Menge und überdies noch reichliche Almosen geben ließ. Sie nahmen bei sich nur den Kardinal von Bouillon, den Grafen von Gramont und den Pater de la Chaise, den Beichtvater des Königs, sowie dessen Bruder, den Hauptmann der Torwache, auf. Der König gestattete den Transport der Geschütze durch ihren Park nur für den äußersten Notfall und als es nicht mehr möglich war, ihn anderwärts zu bewerkstelligen. Ungeachtet all dieses Wohlwollens konnten sie nach der Einnahme des Platzes keinen Franzosen auch nur sehen, und einer von ihnen verweigerte einem Türhüter des königlichen Vorzimmers, der sich auf sein Amt berief, eine Flasche Bier, obwohl er ihm anbot, sie gegen eine Flasche Champagner einzutauschen.

Nach der Einnahme von Namur erregte ein Vorfall Aufsehen, der bei einem andern Fürsten böse Folgen gehabt hätte. Bevor nämlich der König in die Stadt einzog, wo er sich während der Belagerung des Schlosses nicht wohl hätte aufhalten können, visitierte man alles auf das genaueste, obwohl nach der Kapitulation die Minen, die Magazine, mit einem Worte alles gezeigt worden war. Als man nach Einnahme des Schlosses eine letzte Durchsuchung vornahm, wollte man auch bei den Jesuiten visitieren. Sie öffneten, verfehlten aber nicht, ihre Überraschung und noch etwas mehr zu zeigen, daß Über das im Jesuitenkloster zu Namur entdeckte Kriegsmaterial ist in Dangeaus Tagebuch (Bd. IV, S. 113) unter dem 21. Juni 1692 zu lesen: » On a trouvé chez les jesuites de Namur 1250 bombes, toutes chargées dont ces bons pères avoient tenu le cas fort secret. Le Roi, mécontent de leur conduite làdessus, a chassé le recteur et l'a envoyé à Dôle.« Vgl. auch den Mercure vom Juli 1692, II. Teil, S. 270-273. – Man wird sich erinnern, daß ein ähnlicher Fall auch in unseren Tagen vorgekommen ist. Nach dem Sturz der Monarchie in Portugal wurden in Lissabon im Oktober 1910 von den Klöstern d'Estrell und Merces aus Bomben auf die vorüberziehenden Truppen geworfen, so daß die Klöster vom Militär gestürmt werden mußten. – Mariembourg, Städtchen 60 km von Namur und 42 km von Dinant. Der Hof befand sich dort am 6. Juli. Am 16. traf er in Versailles ein.man ihren Versicherungen nicht traute. Als man jedoch überall nachforschte, wo sie es nicht erwarteten, da fand man ihre Keller voll von Pulver, wovon zu sprechen sie sich wohl gehütet hatten. Was für eine Absicht sie damit hatten, ist unsicher geblieben. Man nahm ihnen das Pulver weg, und da es die Jesuiten waren, bei denen man es gefunden hatte, erfolgte nichts weiter darauf.

Zwei Tage nach dem Abzug der feindlichen Garnison begab sich der König nach Dinant, wo sich die Damen aufhielten, und kehrte mit ihnen nach Versailles zurück. Ich hatte gehofft, der Dauphin würde den Feldzug beenden und mit den Musketieren zurückbleiben; ich schlug daher nicht ohne Bedauern mit der ganzen Kompagnie wieder den Weg nach Paris ein. Der Hof hielt sein Nachtquartier einmal in Mariembourg, und die Musketiere lagerten ringsum. Ich hatte eine enge Freundschaft mit dem Grafen Coëtquen geschlossen, der bei derselben Kompagnie stand. Er verfügte über ein außerordentliches Wissen, von dem er angenehmen Gebrauch machte und hatte viel Geist und Sanftmut, was den Verkehr mit ihm sehr erfreulich gestaltete. Dabei war er ziemlich menschenscheu und recht träge; von seiner Mutter, der Tochter eines Kaufmanns von Saint-Malo, her, war er außerordentlich reich, – sein Vater lebte nicht mehr. An jenem Abend von Mariembourg sollte er mehreren von uns ein Abendessen geben. Ich begab mich zeitig in sein Zelt, fand ihn dort auf seinem Bett liegen, jagte ihn im Scherz herunter und legte mich an seine Stelle. Mehrere von uns und einige Offiziere waren dabei zugegen. Coëtquen ergriff zum Spaß sein Gewehr, das er entladen glaubte, und legte auf mich an. Wie groß war aber die Überraschung, als man den Schuß krachen hörte. Zum Glück für mich lag ich in diesem Augenblick ganz flach ausgestreckt. Drei Kugeln fuhren drei Zoll über meinem Kopfe vorbei, und da das Gewehr ein wenig hoch angelegt war, gingen die nämlichen Kugeln dicht über den Köpfen unserer beiden Gouverneure weg, die hinter dem Zelte auf und abgingen. Coëtquen fiel infolge des Unheils, das er seiner Meinung nach angerichtet hatte, in Ohnmacht; wir hatten alle Mühe, ihn wieder zu sich zu bringen, und er konnte sich mehrere Tage lang nicht von seinem Schrecken erholen. Ich erzähle dies als eine Mahnung, daß man nie mit den Waffen Scherz treiben darf.

Der arme Kerl überlebte diesen Vorfall nicht lange. Er trat bald in das Regiment des Königs, und als er im folgenden Frühjahr im Begriffe war, seinen Truppenteil aufzusuchen, erzählte er mir, er habe sich von einer Wahrsagerin, die ihr Geschäft heimlich in Paris betreibe, die Zukunft vorhersagen lassen, und diese habe ihm verkündet, er würde ertrinken und zwar bald. Ich schalt ihn wegen einer so gefährlichen und närrischen Neugier aus und beruhigte mich mit der Unwissenheit dieser Art Leute, sowie mit der Erwägung, das wirklich traurige und düstere Gesicht meines Freundes, der abschreckend häßlich war, habe ihr diese Voraussage eingegeben.

Wenige Tage darauf reiste er ab, fand in Amiens einen Mann, der dasselbe Metier trieb und erhielt von ihm die nämliche Prophezeiung. Als er dann mit dem Regiment des Königs auf dem Marsch war, um zur Armee zu stoßen, wollte er sein Pferd in der Schelde tränken und ertrank dort im Angesicht des ganzen Regiments, ohne daß man ihm hatte Hilfe bringen können. Dieser Unfall betrübte mich ganz außerordentlich und war für seine Freunde wie für seine Familie ein unersetzlicher Verlust.

Die Musketiere haben mich etwas lange aufgehalten. Bevor ich fortfahre, muß ich zurückgreifen und zweier Hochzeiten gedenken, die zu Beginn dieses Jahres, die eine am 18. Februar, die andere einen Monat später, gefeiert wurden.


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