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17. Kapitel.
Das Korps der Freiwilligen.

An jenem Abend spazierte ich bis elf Uhr auf dem Achterdeck und beobachtete das Schiff. Es stand eine lange, hohe See und der Passatwind wehte hart. Als ich endlich meine Koje aufsuchte, geschah dies in der Erwartung, daß man mich bald wieder aufpurren werde, um Segel reffen zu lassen.

Allein, als ich gegen halb vier Uhr morgens aus der Kajütskappe ins Wetter schaute, war die Brise erheblich abgeflaut; die Wache hatte den Großroyal gesetzt und auch das Großsegel stand wieder; noch immer jagte das Schiff mit flotter Fahrt durch das Wasser und ließ eine weite, blendende Schaumspur hinter sich zurück.

Der Morgen brachte ein Segelwetter, wie es nicht feiner sein konnte. Die See war mit hohen, blauen Wogen bedeckt; die Passatwolken jagten wie weißer Dampf am Himmel hin. Um acht Uhr waren vier Fahrzeuge in Sicht, doch zu weit, um die Unterschiffe sehen zu können.

Nach dem Frühstück ging ich, Kate Darnley aufzusuchen.

Vor der Thür der Kajüte stand ein Mädchen und sang. Sie hielt ihr Kleid mit den Fingerspitzen ausgebreitet und hüpfte im Takte der Melodie leicht von einer Seite zur andern. Ihre Genossinnen sahen ihr zu und lachten laut und fröhlich über ihre Kapriolen. Als sie sich zufällig umschaute, bemerkte sie mich; da ließ sie ihr Kleid fallen und eilte davon.

Bei der Großluk traf ich Fräulein Cobbs; auf meinen Wunsch, Fräulein Darnley zu sprechen, rief sie ins Zwischendeck hinunter und gleich darauf erschien Kate an Deck.

Ich bot ihr die Hand und bat sie, mit mir nach dem Achterdeck zu kommen. Sie folgte mir, freilich nicht ohne sich mehrmals scheu umzusehen.

Isaak Coffin, der Matrose mit dem Schnurrbart, hatte den Rudertörn. Ich fing einen Blick von ihm auf, als wir uns ihm näherten, und dieser Blick sagte mir ganz deutlich, was er dachte.

»Die Kerls fühlen sich durch uns beide in ihrem Vorhaben bestärkt,« sagte ich zu Kate. »Der da zum Beispiel glaubt steif und fest, daß wir Partner seien und in diesem Augenblick unsere Zukunft auf dem Eiland besprächen.«

»Die gleiche Ansicht habe ich auch bereits im Zwischendeck äußern hören,« versetzte sie.

»Und wie verhielten Sie sich dazu?«

»Ich schwieg und ließ sie reden.««

»Weiß man denn nicht, daß wir schon von früher her miteinander bekannt sind?«

»Einige wissen's, andere nicht. Das Zwischendeck gleicht einer kleinen Stadt mit ihrem Kastengeist und Kliquenwesen. Die Ladenmamsells bewegen sich in einer höheren Sphäre, als die Köchinnen, und diese dünken sich besser, als die Mädchen für alles, die ihrerseits sich wieder gar herablassend gegenüber den Fabrikarbeiterinnen und den Mädchen von zweifelhaftem Beruf, wie Emma Marks, gebärden.«

»Kate,« begann ich, »ich habe einen Plan.« Und nun teilte ich meiner Freundin mit, was mir in Bezug auf die Ausbildung einer Anzahl der Mädchen zu brauchbaren Hilfen an Deck durch den Kopf gegangen war. »Wie denken Sie über die Idee?« schloß ich.

»Die ist ja sehr seltsam, aber, wenn sie ausgeführt werden kann, nicht schlecht,« antwortete sie, nachdem sie die erste Ueberraschung verwunden hatte. »Wir haben da unten Mädchen, die mehr Kräfte besitzen, als mancher Mann, das ist keine Frage.«

Dann aber kam ihr die komische Seite der Sache in den Sinn und sie lachte laut auf.

»Würden Sie den andern wohl mit gutem Beispiel vorangehen?« fragte ich zögernd.

»Ich bin bereit, alles zu thun, wozu meine Kraft ausreicht, nur dürfen Sie nicht von mir verlangen, da oben hinauf zu klettern,« antwortete sie lächelnd.

»Das sei ferne von mir. Aber steuern sollen Sie lernen, und zwar in wenigen Lektionen, und nach ein paar Tagen schon werden Sie genau Bescheid wissen, wenn der Befehl gegeben wird, dieses oder jenes Ende loszuwerfen. Wie heißt zum Beispiel das hier?«

Ich wies auf die Großbrasse.

Sie schüttelte den Kopf.

»Und dies? Oder dies?«

Sie kannte nicht die Bezeichnung eines einzigen Endes. Dagegen wußte sie die Namen der meisten Segel, auch verwechselte sie nicht mehr den Großmast mit dem Bugspriet.

»Trotzdem aber werden Sie den übrigen als leuchtendes Vorbild dienen, nicht wahr?«

»Gern. Haben Sie bereits mit Fräulein Cobbs gesprochen?«

»Noch nicht; es kann aber sogleich geschehen.«

Die Aufseherin stand am Fallreep im Gespräch mit Brigstock; ich winkte ihr, und sie kam eilfertig nach hinten und die Treppe herauf. Ich begrüßte sie sehr höflich und bat sie, mir einige Minuten ihrer kostbaren Zeit zu schenken, worauf sie mit einem tiefen Knix erwiderte, daß sie mir eine volle Stunde lang zur Verfügung stünde.

Ich beschloß, mich meinem Thema auf Umwegen zu nähern und redete zuerst von Kate. Ich sagte ihr, wer dieselbe sei, und bedauerte, daß es nicht möglich war, sie in der Kajüte einzuquartieren.

»Fräulein Darnley hat sehr recht, wenn sie dies ablehnt,« versetzte die Aufseherin. »Herr Brigstock hatte mir ganz dasselbe Anerbieten gemacht, ich aber sagte nein! Denn wenn ich den Mädchen nicht zeigte, was hier an Bord schicklich ist, was würde sich dann wohl alles zutragen? Nein, Herrn Brigstocks wundervoller Plan darf durch Mangel an Disziplin und Dekorum nicht zu Schanden werden.«

»Herr Brigstock,« sagte ich, »ist ein ganz außerordentlicher Mann.«

»Das ist er,« antwortete sie mit ihrem süßlichsten Lächeln, »das ist er wirklich, einer jener Männer, die weit unterhalb ihrer rechtmäßigen Sphäre geboren sind. Ach, nur zu wahr ist es, daß die Seele sich oft in ganz falscher Verpackung befindet, wie man zu sagen pflegt. Ja, Herr Brigstock ist so recht eigentlich zum Herrscher geboren; wenn ich ihn anschaue, dann sage ich mir zuweilen, hier hat jemand das Uhrwerk aus seiner goldenen Kapsel genommen und in eine silberne gethan.«

Ein Lächeln unterdrückend forderte ich die Damen nunmehr auf, mit mir ein wenig zu promenieren. Wir setzten uns in Bewegung, Kate mir zur Rechten, Fräulein Cobbs zur Linken. Und jetzt begann ich von meinem Plan zu reden. Die Aufseherin hörte mir still zu. Endlich aber warf sie einen schnellen, argwöhnischen Seitenblick auf mich und sagte:

»Reicht denn unsere Mannschaft zur Schiffsarbeit nicht aus?«

»Das muß ich am besten beurteilen können,« antwortete ich kühl. »Zwölf Mann sind keine vollzählige Besatzung für ein Schiff von der Größe des ›Earl of Leicester‹.«

»Sie haben ohne Zweifel recht, Herr Kapitän; die Anzahl der Bemannung ist eine geringe, dafür aber sind die Leute sehr tüchtig.«

»Fräulein Cobbs, ich habe mir Ihre Gegenwart erbeten, um Ihnen diese Eröffnung zu machen. Ich ersuche Sie nun, die Sache bei den Mädchen anzuregen und mir dann mitzuteilen, wie die darüber denken.«

»Die sind doch aber nicht an Bord gekommen, um die Schiffsarbeit zu verrichten!« entgegnete die Aufseherin erstaunt.

»Ich will sie ja auch nicht dazu zwingen,« versetzte ich. »Wir haben noch eine lange Reise vor uns. Die Besatzung ist minderzählig. Der Fall kann eintreten, daß sie die notwendige Arbeit nicht mehr bewältigt. Nun sind die neunzig Frauensleute da, die kaum wissen, wie sie den Tag totschlagen sollen. Soll es nicht ein Zeitvertreib für sie sein, sich im Handhaben des Ruders unterrichten zu lassen und die Namen der Enden, Segel und Raaen auswendig zu lernen?«

Sie sah mich an, als möchte sie mir am liebsten ins Gesicht lachen. Dann sagte sie:

»Die Idee ist nicht übel. Ich glaube wohl, daß viele von den Mädchen sich gern zu dem Scherz verstehen werden. Ich fürchte aber, sie werden Ihnen nicht viel nützen, wenn Sie einmal im Ernstfalle ihre Hilfe beanspruchen. Was meinen Sie, Fräulein Darnley?«

»Ich meine, daß es Kapitän Morgan nicht schwer werden kann, sich eine Schar von etwa zwanzig brauchbaren Helferinnen heranzubilden. Nur in die Takelung wird keine hinaufsteigen wollen.«

Fräulein Cobbs kicherte.

»Wer soll die Mädchen unterrichten?« fragte sie.

»Das übernehme ich selber.«

»Werden Sie auch dabei sein?« wendete sie sich lachend an Kate.

»Es soll ein stolzer Moment für mich sein,« antwortete diese, »wenn ich zum ersten Mal am Ruder stehen und dieses schöne Schiff nach meinem Willen lenken werde.«

Ich dankte ihr mit innigem Blick für dieses Wort:

Wir redeten noch ein Weilchen hin und wider, dann verabschiedete ich mich von den Damen. Fräulein Cobbs nahm von mir, dem Kapitän, den bestimmten Auftrag mit, im Zwischendeck meine Idee bekannt zu geben und mir dann mitzuteilen, wie die Mädchen sich dazu stellten.

Ich suchte meine Kammer auf und machte mich hier daran, Kapitän Halcrows zurückgelassenes Eigentum durchzusehen, zu verschließen und einzusiegeln. Das war meine Schuldigkeit; zugleich nahm ich mir vor, alles, was ich etwa davon für mich verbrauchen sollte, zu notieren, um es später erstatten zu können, wenn ich jemals dazu Gelegenheit finden würde.

Bei dieser Beschäftigung dachte ich an die ›Hebe‹ und an das, was ich auf derselben hatte im Stich lassen müssen – eine bescheidene Ausrüstung und eine kleine Summe Geldes.

Hernach machte ich die vorschriftsmäßigen Eintragungen in das Logbuch und studierte die Karte der Südsee. Mittlerweile wurde die Uhr halb zwölf und ich ging mit Halcrows Sextanten an Deck.

Brigstock stand im Gespräch mit Härtung an der Luvreeling.

Ich warf einen forschenden Blick in den Wind und dann nach oben.

»Steuermann Harding,« rief ich, »lassen Sie das Vormars-Leesegel setzen.«

Der Mann eilte nach vorn.

»Wir müssen's aus diesem Wind herausschinden, so lange wir ihn haben,« sagte ich zu Brigstock. »Besser zwei Strich abfallen als zwei Strich abtreiben.«

Ich beobachtete die Leute auf der Vormarsraa; sie verrichteten ihre Sache mit Eifer und Geschick.

Darauf begann ich die Observation; Brigstock stand dabei und sah zu.

»Acht Glasen!« rief ich.

Als die Glockenschläge verklungen waren, trat Brigstock an mich heran.

»Ist das Ihr Ernst, Keppen Morgan?« sagte er. »Ich meine das mit die Mädchens.«

»Gewiß,« versetzte ich kurz.

»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen noch weiter fragen thue, wo Sie doch Kapitän sind; aber was sollen die Weibsleute uns nützen?«

»Hat Fräulein Cobbs mit Ihnen gesprochen?«

»Das hat sie.«

»Dann lassen Sie sich von ihr auch meine Gründe sagen.«

»Wir haben hier zwölf tüchtige Seeleute an Bord, Keppen Morgan, vollbefahrene Matrosen, die es nicht nötig haben, sich von Frauenzimmern helfen zu lassen – nehmen Sie mir das nicht übel, Herr.«

»Ich beabsichtige, mir eine Art Hilfsmannschaft von willigen und kräftigen Mädchen zu schaffen, nun wissen Sie's, Herr Brigstock. Bin ich noch Kapitän, oder nicht? Antworten Sie!«

Dabei schaute ich ihm fest in die Augen.

»O,« rief er mit einer verschrobenen Verbeugung höflichen Protestes, »ich bitte, Keppen Morgan, das kann doch nichts ändern an unsere Abmachung mit Sie!«

Ich drehte ihm den Rücken und ging, das Besteck auszurechnen.

Nach dem Mittagessen meldete mir Fräulein Cobbs, daß die Emigrantinnen sämtlich an Deck gekommen seien, um zu hören, was ich Ihnen zu sagen haben würde.

Ich sprang die Kampanjetreppe hinauf. Die Matrosen der Wache hatten ihre Kameraden, die zur Koje waren, herbeigerufen, um mit anzusehen, was sich nun ereignen würde. Sie selber ließen ihre Arbeit im Stich, und so standen alle Mann auf einem Haufen mittschiffs beim Fallreep. Ich hütete mich wohl, hierüber ein Wort zu verlieren, wußte ich doch, daß die Disziplinarverhältnisse hier an Bord sich nach den Anschauungen regelten, die im Logis darüber herrschten.

Dazu erfüllte mich der Anblick der Janmaaten mit einiger Unruhe. Ein Matrose vermag allein durch seine Positur auszudrücken, ob er meuterisch gesonnen ist oder nicht, und schweigenden Mundes Flüche und Verwünschungen zu schleudern, lediglich mit seinen Blicken.

Aber mein Entschluß stand unerschütterlich fest. Ich trat an das Geländer des Achterdecks und blickte hinab auf die vielen, mit gespannter Erwartung mir zugewendeten Gesichter. Kate stand in der Mitte der Schar, Alice Perry ganz vorn, fast unmittelbar unter mir. Neben ihr gewahrte ich die Jüdin, Emma Marks.

In wenigen Worten eröffnete ich den Mädchen, daß ich die Zahl der Mannschaft für unzulänglich erachtete, und forderte sie auf, aus ihrer Mitte ein kleines Hilfskorps zu formieren, das bereit wäre, sich im Steuern und in der Handhabung der Fallen, der Brassen und des übrigen laufenden Guts unterrichten zu lassen.

Brigstock, der auf meiner Leeseite stand, hörte aufmerksam zu. Joe Harding machte seine Bemerkungen zu einigen der Matrosen.

»Meine Damen,« fuhr ich fort, »es handelt sich dabei mehr um einen unterhaltenden Zeitvertreib für Sie, als um thatsächliche Schiffsarbeit. Immerhin aber möchte ich auch darauf hinweisen, daß unsere Besatzung nur zwölf Mann stark ist, und daß dieses Schiff durch die Unberechenbarkeit der Dinge, die sich auf See ereignen, sehr wohl in eine Lage kommen mag, in der die zuverlässige Hilfe eines geschulten Korps aus Ihrer Mitte für uns alle sehr segensreich werden, ja, uns vielleicht vom Untergang retten kann.«

»Was würde von denen, die sich freiwillig melden, verlangt werden?« fragte Emma Marks.

»Sie hätten bei gutem Wetter gelegentlich den Rudertörn zu nehmen und an Deck zur Hand zu gehen, wenn die Seeleute auf den Raaen liegen und die Segel reffen oder festmachen.«

»Sollen sie für die Arbeit bezahlt kriegen?« fragte die Jüdin weiter.

»Die Reeder werden sich ohne Zweifel für solche Dienstleistungen erkenntlich zeigen.«

»Dort oben hinauf klettert doch aber sicher keine!« rief Fräulein Cobbs, die unter dem Vorsprung des Achterdecks stand.

»Oho!« lachte Alice Perry, die Hände schallend in einander schlagend und die strahlenden Blicke auf mich richtend.

Ich nahm nun meine Rede wieder auf und erzählte einige Anekdoten von Frauen, die, als Matrosen verkleidet, Dienste an Bord von Schiffen genommen und große Seereisen gemacht hatten. Auch unter unserer Mannschaft, sagte ich, befänden sich wohl einige, die von jungen Matrosen zu berichten wüßten, die sich schließlich als Mädchen entpuppt hätten.

»Da haben Sie recht, Keppen Morgan,« rief der Koch, ein Mann mit Namen Wambold. »Jetzt sind's drei Jahre her, da lag ich im Hospital zu Kalkutta zusammen mit einem Leichtmatrosen, der die Cholera hatte. Der starb, und da fand man, daß er ein Frauenzimmer gewesen war.«

Nachdem ich meinen Vortrag noch eine Weile fortgesetzt und unter anderem auch darauf hingewiesen hatte, daß die rüstige Bewegung an Deck es sei, die dem Gang und der Haltung der Seeleute jene eigentümliche Leichtigkeit und Grazie verleihe, die den Augen der Landbewohner so wohlgefiel, daß somit auch die Mitglieder meines Freiwilligenkorps diese besondere Grazie gewinnen würden, was ihnen unter den Australiern doch nur zum Vorteil gereichen müßte – nachdem ich noch diesen Köder hingeworfen hatte, hieß ich diejenigen, die einverstanden wären, die Hände hochhalten.

Ich hatte auf etwa ein Dutzend Bereitwilliger gerechnet, man denke sich daher mein Erstaunen, als mit einem Schlage mindestens siebzig Arme in die Höhe fuhren.

»Meine Damen,« sagte ich mit aller mir zu Gebote stehenden Liebenswürdigkeit, »ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihr Entgegenkommen. Die Hälfte von denen, die sich hier melden, genügt mir vollkommen. Wenn Sie gestatten, treffe ich sogleich eine vorläufige Auswahl. Die Erlesenen bitte ich, sich hierher auf das Achterdeck verfügen zu wollen. Die übrigen dürfen sich dadurch nicht zurückgesetzt fühlen, sie bleiben als Reserve, wenn neue Rekruten nötig werden sollten.«

Die erste, die ich erkor, war Alice Perry. Mit freudigen Sprüngen kam sie die Treppe herauf, übermütig die Locken schüttelnd und Brigstock lachend zunickend, der sie ernst und würdevoll betrachtete.

Die zweite war Emmy Read, eine stämmige junge Person von siebenundzwanzig Jahren. Eine nach der andern kamen sie auf meinen Wink herauf, bis dreißig der kräftigsten und geeignetsten um mich versammelt standen, darunter manch' eine, die, nach dem muskulösen Arm und dem breiten Rücken zu urteilen, es mit jedem der Seeleute aufzunehmen im stande gewesen wäre, sei es im Ernst, sei es im Scherz. Kate war die einunddreißigste.

Von den Partnerinnen hatte sich keine gemeldet.

Brigstock spazierte hinten am Heck immer quer über das Deck; dabei ließ er mich kaum aus den Augen. Meine Mädchen standen in dichter Gruppe zu Luward bei der Kreuzwant.

»Ein prächtigeres Korps angehender Seeleute kann es auf der ganzen Welt nicht geben,« sagte ich, sie mit Wohlgefallen musternd. »Meine Damen, Sie erweisen mir eine große Ehre, aber auch sich selber – glauben Sie mir das – einen wichtigen Dienst. Die erste Lektion erteile ich Ihnen heute nachmittag. Mit der Zeit werde ich mir unter Ihnen einen Bootsmann und zwei Bootsmannsmaaten aussuchen.«

»Der Bootsmann will ich sein!« rief Alice Perry in hellem Eifer.

»Wollen sehen,« lächelte ich. »Zu diesem Posten brauche ich eine erste Kraft.«

Darauf führte ich die Schar achteraus zum Ruder. Hier stand der Matrose Sampson, ein zäher, knochiger Geselle, mit einem Gesicht wie von Leder, und Augen, die so tief lagen, als hätten die Stürme all' der Jahre sie ihm in den Kopf hineingepreßt. Als die lachende und schwatzende Schar heranschwirrte, wußte er augenscheinlich nicht, ob er grinsen oder sauer dreinschauen sollte, und als Ausweg kaute er gewaltsam auf dem Prüntje, das ihm wie ein Kloß in der Backe stak, stierte auf den Kompaß, lugte hinauf nach den Segeln und hantierte mit dem Rade, das ihn auch genugsam beschäftigte, da der hohe Seegang mächtig an dem Rudergeschirr riß und stieß.

Die Mädchen lauschten mit Interesse den Erklärungen, die ich ihnen über den Mechanismus des Steuerapparates gab.

Dicht neben mir stand eine hochgewachsene Person, die Tochter eines Bootsführers aus Deal. Als ich mit meiner Erklärung zu Ende war, fragte sie, ob sie sich einmal an das Rad stellen dürfe. Ich maß sie prüfend mit dem Blicke, nickte und gebot Sampson, nach Lee zu treten, im Notfall zuzugreifen, sonst aber die Speichen nicht anzurühren.

Dieses Mädchens Name war Susanna Corbin. Sie packte die Speichen, als sei sie mit dem Ruder in der Hand groß geworden. Das Rucken und Stoßen des Rades machte ihr zu schaffen; ihr Busen hob sich, sie preßte die Lippen zusammen; aber sie hielt fest und steuerte länger als fünf Minuten so stetig und sicher, daß Sampson nicht ein einziges Mal zuzugreifen brauchte.

»Was sagen Sie nun?« rief ich triumphierend den andern Mädchen zu.

»Ehe Sie die Susanna zum Bootsmann machen, lassen Sie mich auch probieren, nicht wahr, Keppen Morgan?« bat Alice Perry.

»Darf ich nun einmal versuchen?« fragte Kate.

Sie stellte sich hinter das Rad, das ihr von Susanna überlassen wurde. So hübsch ihr das Steuern aber auch zu Gesichte stand, so war das Schiff jedoch schon im nächsten Moment drei Strich vom Kurse gewichen, so daß Sampson zuspringen mußte.

Ich verhieß den Mädchen eine weitere Lektion in der Seemannskunde noch an demselben Nachmittag und schickte sie nach vorn. In fröhlichem Tumult polterten sie die Treppe zum Hauptdeck hinunter. Kate behielt ich noch zurück.

»Ich glaube, Brigstock macht sich allerlei Gedanken,« sagte sie.

»Schadet nicht,« versetzte ich. »Ich denke aus diesen Mädels tüchtige Seeleute gemacht zu haben, noch ehe wir Kap Horn erreichen.«

»Wäre es nicht ein Gebot der Klugheit, Brigstock und der Mannschaft ganz reinen Wein einzuschenken?«

»Ganz gewiß, wenn ich nur sicher wäre, daß es den Matrosen allen ebensolcher Ernst mit dem Kolonisieren ist, wie Brigstock. Ich mag nicht, daß sie ihren Vorsatz ändern. Ich habe mir vorgenommen, dieses Schiff mit dem Beistande der Mädchen nach Sydney zu bringen und dadurch der Held eines Seeabenteuers zu werden, wie es interessanter nicht in sämtlichen Annalen der Schiffahrt gefunden werden kann.«

»Den Mädchen macht die Sache ja ein großes Vergnügen,« sagte Kate lachend. »Wie aber, wenn es zum Reffen und Festmachen der Segel kommt?«

»Abwarten,« versetzte ich. »Mit einem Mädel wie Alice Perry, unternehme ich alles. Und wenn wir unsere Kolonisten los geworden sind, dann sollen Sie Obersteuermann dieses Schiffes werden.«

Später am Tage fragte ich Brigstock, ob sich wohl an Bord eine Bootsmannspfeife vorfinden würde. Er meinte, es befände sich vielleicht eine in der Seekiste, die der Bootsmann zurückgelassen. Ich ersuchte ihn, nachzusehen. Da zog er ein Gesicht.

»Keppen Morgan,« sagte er, »die Heiligkeit des Eigentums darf nicht verletzt werden, das präge ich täglich die Leute ein, die mit mich auf der Insel gehen wollen. Was sollten die wohl denken, wenn sie mir dabei beträfen, wie ich in dem Bootsmann seine Kiste krame?«

Ich sah auf seinen Anzug, den er dem Nachlaß des Steuermanns entnommen, wie ich erfahren hatte, und antwortete ernsthaft:

»Herr Brigstock, ich billige Ihre Grundsätze vollkommen und möchte nicht, daß Ihr Einfluß auf die Leute beeinträchtigt würde. Wenn es Ihnen aber dennoch möglich wäre, mir eine Bootsmannspfeife zu verschaffen, so würden Sie mich zu Dank verpflichten.«

Nach einer halben Stunde brachte er mir eine alte, silberne Pfeife; ich bedankte mich und fragte nicht weiter.

Dann bat ich die an der Achterdeckstreppe herumlungernden Mädchen, mir Fräulein Darnley achteraus zu schicken. Sie sprangen bereitwilligst davon und riefen Kates Namen allenthalben an Deck und in die Großluk hinunter. Dabei rannten sie in ihrem Eifer fast die Aufseherin über den Haufen.

Bei dieser Wahrnehmung regte sich eine Empfindung in mir, die ich heute, gelegentlich meiner Ansprache an die versammelten Frauenzimmer, schon einmal gespürt – die Empfindung, daß eine Parteispaltung an Bord eingetreten sei; auf der einen Seite Brigstock und seine utopistische Schar, auf der andern ich selber und die große Masse der Emigrantinnen.

Kate erschien an der Kajütsthür, in der ich stand und sie erwartete. Sie sah ganz blaß und erregt aus.

»Was ist's?« fragte sie.

»Bitte, treten Sie ein.«

Ich führte sie in den Hintergrund der Kajüte.

»Was hat Sie so erschreckt?« forschte ich.

»Ein Dutzend Mädchen kreischen und schreien in allen Tonarten meinen Namen, da soll ich nicht erschrecken?« versetzte sie.

»Also deswegen?« lächelte ich.

»Sie können sich gar nicht vorstellen, wie einem zu Mute ist, wenn man plötzlich und unerwartet von allen Ecken und Enden des Schiffes gerufen wird, und wie gerufen wird! Was wünschen Sie von mir? Sehen Sie nur, wie alles hereinstiert.«

Ich zog die Pfeife hervor und blies ein Signal. Das schrille, durchdringende Getriller lockte noch mehr Mädchen herbei, aber keine wagte, die Kajüte zu betreten.

»Haben Sie das gehört?« fragte ich.

»Ob ich's gehört habe!« antwortete sie, die Hände von den Ohren nehmend.

»Schön. Sie sollen nun einige Signale pfeifen lernen, damit Sie auf diese Weise unsere Freiwilligen zu den Lektionen und später auch zum Dienst herbeirufen können. Bitte blasen Sie.«

Sie nahm die Pfeife und blies; nach kurzer Uebung erkannte ich, daß sie bald eine Meisterin auf diesem Instrument sein würde. Der Unterricht währte eine halbe Stunde. Die Mädchen draußen, die anfangs gekichert und sich amüsiert hatten, begannen ungeduldig, zu werden. In der Thür stand eine mit hagerem, rotem Gesicht, sie hieß Katharine Hale.

»Ich dachte, wir sollten noch 'ne Lektion kriegen,« rief sie herein. »Soll Fräulein Darnley bloß allein was lernen?«

Ich fragte nach der Zeit. Die hinter ihr stehende Person sah zur Uhr empor, und sagte, es sei halb fünf Uhr.

»Vorwärts denn, aufs Achterdeck!« rief ich und stieg mit Kate die Kampanjetreppe hinan.

Hier formierte ich mein Korps in zwei Reihen und begann die Lektion. Ich wies ihnen die verschiedenen Leinen des laufenden Gutes, trat zur Nagelbank, wo dieselben an den Coffeynägeln belegt, das heißt festgelegt, waren, gab die Benennungen und erklärte Gebrauch und Zweck. Die Sache machte ihnen Spaß, trotzdem aber ließen sie es an Aufmerksamkeit nicht fehlen. Ich war darauf gefaßt, daß es eine geraume Zeit dauern würde, ehe sie alles begriffen hatten; viele waren auch recht schwerfällig und unbeholfen in der Auffassung, und zwar leider gerade die kräftigsten und körperlich brauchbarsten. Allein, viel brauchte ja nicht gelernt zu werden; es handelte sich nur darum, Bescheid zu wissen, wenn der Befehl kam, diese oder jene Raa zu brassen, das und das Fall loszuwerfen, oder daran zu holen, und dazu war noch Zeit genug.

Die Matrosen und ihre Partnerinnen beobachteten uns neugierig. Der Unterricht dauerte bis sechs Uhr; meine gelehrigsten Schülerinnen waren Alice Perry, eine junge Person mit einer Brille, Namens Clark, und die Fischertochter aus Deal, Corbin.

Nach beendeter Lektion nahm ich den Hut ab, bedankte mich und sagte bedeutungsvoll:

»Alles dieses geschieht Ihrer persönlichen Sicherheit wegen.«

Sie schwärmten die Treppe hinab und gleich darauf war das Hauptdeck lebendig von fröhlichem Treiben, Lachen und Rufen.

»Du, Emmy!« hieß es. »Wo ist die Großbrambrasse?« Oder: »Fräulein Marsdale, zeigen Sie mir doch das Kreuzmarsfall!« Oder: »Susie, wo ist die Steuerbord-Großbrasse belegt?«

Und ab und zu tönte Janmaats dröhnendes Gelächter dazwischen.

Beim Abendbrot fragte mich Brigstock respektvoll, wie meine Freiwilligen sich angelassen hätten. Ich antwortete, daß ich durchaus zufrieden sei.

»Die Leute vorn thun sich einbilden,« sagte er, »daß die Frauenzimmer Ihnen um den Unterricht gebeten hätten, damit sie als Matrosen anmustern könnten, wenn sie in Australien keine Stellung finden thäten.«

»Merkwürdig,« versetzte ich, »daß eine so einfache Idee so schwer zu verstehen ist.« Ich war überzeugt, daß er mich nur sondieren wollte. »Wenn infolge unserer schwachen Besatzung einmal Not am Mann ist, wird uns die Hilfe der Weiber ganz zu paß kommen.«

Er saß und grübelte, dann sagte er wieder:

»Was meinen Sie wohl, das uns passieren könnte, ehe wir unsere Insel erreichen thun?«

Ich stand im Begriff, ihm rückhaltlos alles mitzuteilen, denn der Gedanke durchflog mich, daß Kates Rat doch wohl richtig wäre; aber ich unterließ es. Ich sagte ihm nur kurz, daß ich, wie er ja wisse, die Mannschaft für minderzählig erachte. Wir hätten das Kap Horn zu passieren und würden wahrscheinlich Gott danken, in jener stürmischen Gegend über eine Hilfsmannschaft verfügen zu können, und wenn dieselbe auch in Unterröcken einherginge. Uebrigens erwarte ich, daß er und Harding mir bei meinen Bemühungen zur Hand gehen werde.

Er antwortete nicht, sondern kaute sein Hartbrot und trank sein schwarzes Theewasser in tiefem Schweigen.


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