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Die Herren Kuppler – Mohammedanische Mädchen

– Fast immerzu, während ich mich gestern in Kamatipura aufhielt, waren mir die ambulanten Gelegenheitmacher an der Seite, gingen neben mir her, raunten mir ihre Lockworte zu.

Wenn die eingeborenen Kuppler neben einem europäischen Besucher dieses Stadtteiles einherwandeln und ihm Mädchen anpreisen, sind sie immer auf dem Sprung, einem allfälligen europäischen Ausbruch des Unwillens, vielleicht gar einem tätlichen, durch rasches Reißaus-nehmen zu entgehen. Ihre Gangart, ihr Gehaben, ihr Herangehen und gelegentliches scheues Zurückweichen und Wieder-herankommen ist eine sonderbare Mischung von Zudringlichkeit und Fluchtbereitheit.

Trägt man zufällig einen Stock, so streifen ihn diese armen Teufel dann und wann mit einem achtsamen Seitenblick und ihr Augenausdruck gemahnt an den der Hunde, die auf Prügel gefaßt sind.

Es ist zu bedenken, daß die Vertreter des Europäertums, die in den Freudenstadtteil der Hafenstadt Bombay herauskommen, zumeist dem Seefahrer- und dem Kriegerstand angehören und daß sie dem indischen Eingeborenen, dem »Native«, nicht immer mit den zartesten Umgangsformen entgegentreten.

Dazu kommt die moralische Entrüstung, die dem Liebesvermittler im allgemeinen entgegengebracht wird, und im besonderen von solchen, die sich gegebenenfalls seiner Vermittlung recht gerne bedienen. Man labt sich an der Gelegenheit und schmäht den Gelegenheitmacher.

Was mich anlangt, so liegt es mir ja fern, die Herren Kuppler als eine sympathische Erscheinung zu empfinden. Aber man wird im Laufe des Lebens nachsichtig gegen die Untugenden der Mitgeschöpfe, möglicherweise zu nachsichtig. Wenn man das Vergnügen gehabt hat, einen großen Menschenstrom vorüberfluten zu sehen, so weiß man, daß unter der Smoking-Herrlichkeit manch eines Gentlemans, der unser allgeschätzter Tischnachbar ist, ein Herz voll schlimmerer Lumpereien pocht als unter dem kläglichen Kittel indischer Kuppler, die wenigstens aus der anrüchigen Art ihres Gewerbes kein Hehl machen.

Mich dünkt, je älter man wird und je mehr allseits geachtete, wurmstichige Ehrenmänner man hat vorüberstolzieren gesehen, desto weniger Lust hat man, einen Stein auf armselige Schlingel wie diese indischen Gelegenheitmacher zu werfen. Ähnlich ergeht's uns ja auch mit unserer Parteistellung gegenüber dem Freudenmädchen, nachdem man gründlicheren Einblick in das Tun und Empfinden der behördlich nicht kontrollierten Weiblichkeit gewonnen.

Und schließlich: es stünde mir schlecht an, hier in Kamatipura »sittliche Entrüstung« zu äußern; erst bewußtermaßen in die Suklajistreet herauszupromenieren und sich dann darob aufzuhalten, daß man hier eben das Milieu der Suklajistreet samt den regelrecht zugehörigen Figuren – den Herren Kupplern etc. – antrifft.

Auf den Reisen muß man sich's zum Grundsatz machen, als Betrachter und Neugieriger je nach Bedarf den Vorschriften derer zuwiderzuhandeln, die genau darüber informiert sind, wie die Konturen der Begriffe »moralisch« und »unmoralisch« verlaufen und wann wir die Lider sittsam niederzuschlagen, wann wieder zu öffnen haben.

Kurzum, ich pflege mit diesen indischen Kupplern verhältnismäßig höflich umzugehen; und ich erkenne an, daß sie als Führer in manchem Winkel der indischen Riesenstadt, den man ungeführt schwerlich aufspüren könnte, von Wert sind.

Allerdings hat Höflichkeit – oder sagen wir: Mangel an Grobheit, – wie hienieden im allgemeinen so auch gegenüber dem indischen Gelegenheitmacher, ersichtliche Nachteile. Wenn die eingeborenen Kuppler merken, daß sie an jemanden geraten sind, der freundlich dankend ablehnt und voraussichtlich nicht zu Handgreiflichkeiten geneigt sein mag, so gehen sie dem promenierenden Fremdling nicht vom Hals. Die Anhänglichkeit einer Klette bedeutet nichts gegen die unentwegte Zudringlichkeit, mit der diese Liebes-Mittler – barfuß, barhaupt, armselig gekleidet, die Unter-Ernährung in dem braunen Gesicht – neben dem Fremden einhertraben.

Da war ein indischer Kuppler, der mir ein mohammedanisches Mädchen in Aussicht stellte und mich einlud, mitzukommen.

Er will, scheint's, das Mädchen begehrenswert machen, einen Vorzug des Mädchens hervorheben, indem er betont, daß es mohammedanisch sei; gemäß dem Brauch der Kuppler, das empfohlene weibliche Wesen irgendwie als eine Spezialität, als etwas nicht Alitägliches hinzustellen. Je differenzierter, desto anziehender.

Die Anpreisung »Mohammedanisch!« wird in diesem Sinne allerdings nur auf solche Spaziergänger bestrickend wirken, die mit der Struktur des Freuden-Stadtteils Kamatipura nicht näher vertraut sind. Das mohammedanische Freudenmädchen ist in Bombay keineswegs eine Rarität. Es gibt hier ein hinlängliches Quantum arabischer und auch indisch-mohammedanischer Freudenmädchen.

Und mit der Differenziertheit ist's nicht weit her. In körperlicher Hinsicht ist für gewöhnlich kein namhafter Unterschied zwischen der mohammedanischen Inderin von Kamatipura und den vielen, vielen Hindu-Mädchen, die daselbst das Freudengewerbe betreiben. Der Unterschied ist jedenfalls nicht so groß, daß der Betrachter, der diese beiden Frauentypen vergleicht, die mohammedanische Inderin als etwas Leiblich-exzeptionelles und Apartes empfände.

Oder soll der verlockende Vorzug der Mohammedanerin einfach darin bestehen, daß sie eben Mohammedanerin ist? Dem Besucher von Kamatipura wird es ziemlich gleichgiltig sein, ob von zwei Mädchen-Arten, die beide gleichermaßen in ihrer primitiven Einfalt und Unwissenheit wie törichte, wenn auch gegebenenfalls schlaue Tierchen sind, – ob von den beiden Arten die eine an Brahma, die andere aber an Allah »glaubt«.

Und wenn's dem Besucher auch nicht gleichgiltig wäre, so würde er doch alsbald vermittels einiger Prüfungsfragen die Entdeckung machen, daß die Kamatipura-Bewohnerinnen für gewöhnlich von brahmanischen, beziehungsweise von islamitischen Religions-Anschauungen gar keine oder bestenfalls nur eine sehr blasse Ahnung haben.

Es ist oft sehr schwierig oder ganz unmöglich, aus dem körperlichen Habitus solch eines Kamatipura-Mädchens die Frage zu entscheiden: Hindu-Mädchen oder mohammedanische Inderin? Manchmal ist ein sehr äußerliches Merkmal vorhanden, das die Differential-Diagnose erleichtern könnte: man sieht in Kamatipura Inderinnen, deren Stirn mit farbigen Zeichen bemalt ist; das sind Hindu-Mädchen mit ihren Sekten-Abzeichen.

Wenn lediglich die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsminorität geeignet wäre, ein Mädchen zu einer besonders begehrenswerten Erscheinung zu stempeln, dann hätte die Mohammedanerin freilich einigermaßen den Reiz einer Besonderheit, in Bombay, wo es ungefähr dreimal mehr Hindu als Mohammedaner gibt.

Wie dem auch sei, der Herr Kuppler schien jedenfalls die Meinung zu hegen, daß das Eigenschaftswort »mohammedanisch!«, das er in seiner Anpreisung hervorhob, auf mich eine lockend-verführerische Wirkung ausüben werde.

Aus früheren Erfahrungen weiß ich, daß der Gelegenheitmacher, der den Besucher von Kamatipura zu einem mohammedanischen Mädchen zu führen verspricht, ihn wirklich zu einem mohammedanischen Mädchen führt, – oder auch nicht; er bringt ihn zu einer Mohammedanerin oder betrügerischerweise zu einem Hindu-Mädchen oder sonstwohin.

Mit dieser Erfahrung ausgerüstet verschmähe ich's nicht, zuweilen die Führerdienste eines indischen Gelegenheitmittlers anzunehmen, weil man solcherart denn doch zu interessanten Örtlichkeiten gelangt; ob zu mohammedanischen oder nicht-mohammedanischen, fällt minder ins Gewicht.

Ich sagte also gestern dem Kuppler, der das mohammedanische Mädchen als Köder namhaft machte, er solle führend vorangehen, ich werde ihm folgen.

Hinter einem Kuppler geht man gelassen, mit geflissentlicher Gemächlichkeit einher, damit man sich nicht sexueller Ungeduld verdächtig mache; man will den Anschein vermeiden: seht, der kann's kaum erwarten, in das Stübchen des Mädchens zu kommen.

Ich hatte übrigens gestern nichts zu dissimulieren; der Umstand, daß ich schon ziemlich oft während meines Reiselebens solcherweise hinter einem indischen Kuppler dahinspaziert war, wirkte auf meine Ungeduld beschwichtigend ein.

Wir verlassen die Suklajistreet und es währt nicht lange, so sind wir vor einer keineswegs einladenden Baracke eines armseligen finsteren Gäßchens angelangt. Dies sei die Wohnung des besagten mohammedanischen Mädchens, erklärt mein Führer. Indem ich den »Lokalaugenschein« nicht vernachlässige und den örtlichen Merkmalen unseres Weges die Aufmerksamkeit nicht versage, folge ich meinem Pfadweiser: zunächst durch einen kurzen Flur, der von der Gasse ins Innere des Häuschens führt, dann eine Treppe empor ins erste Stockwerk, und indem ich mich jetzt nach rechts wende, gelange ich in einen kleinen, sehr kleinen Gang, in den beiderseits je eine Stube mündet.

Die Türen sind offen, ich kann in die Stuben hineinschauen. Die rechts- also gassenwärts-gelegene ist die Empfangsstube, die links-gelegene stellt offenbar das Gemach der Liebe dar. In der rechts-gelegenen Stube sitzen harrend die Mädchen. In der linksseitigen Stube steht harrend das charakteristische breite Bett.

Eine große primitive Bettstatt europäischer Form mit grobem Kotzenüberzug und mit Baldachinpfosten. Wie ein einsiedlerisches Trag- und Lasttier in einer Stallung ist dieses Bett. Es sind sonst nahezu keine Möbel in der Stube; auch keine menschlichen Insassen. Kahl, untraulich, nicht übermäßig sauber ist die Stallung. – Ich habe eine Ahnung, daß ich auf diesem Tragtier nicht ruhen werde. Ob die Ahnung durchaus richtig ist, das wird sich erweisen, nachdem ich die rechtsseitige Stube, welche die Mädchen beherbergt, angeschaut haben werde.

Ich trete ein und stelle fest, daß wir jetzt unser sieben in dem kleinen Raum weilen: auf dem Boden hockt eine Inderin in ärmlicher Hindufrauen-Tracht, ein kleines nacktes braunes Kind steht auf ihrem Schoß; zwei Mädchen – Goanesinnen ihrem Habitus nach – sitzen auf Sesseln; auf einer Art Pritsche ruht mit untergeschlagenen Beinen ein indisches Mädchen; der Führer, der Herr Kuppler, der ebenfalls eingetreten ist, sagt mir, daß dies das verheißene mohammedanische Mädchen ist.

Es ist keinerlei Anlaß, in die Angabe des Kupplers Zweifel zu setzen. Die mohammedanischen Freudenmädchen sind, wie erwähnt, in Bombay keine so besondere Seltenheit, ich brauche also dem anwesenden Mädchen-Phänomen weder mit unerschütterlicher Skepsis noch mit staunender Ergriffenheit gegenüberzustehen.

Ihr Gesicht hat nicht den Bombaytypus. Mein Führer, der zu den vorhandenen weiblichen Sehenswürdigkeiten die erklärenden Randbemerkungen macht, sagt mir, daß sie aus dem Pandschab stammt. Sie ist begreiflicherweise unverschleiert. In Ägypten, Syrien, Konstantinopel etc. habe ich genugsam die Wahrnehmung machen können, daß sich die mohammedanischen Freudenmädchen – auch außerhalb ihrer Wohnung – unverschleiert zeigen.

Das mohammedanische Mädchen, zu dem mich der Kuppler da geführt hat, trägt Hosen; einigermaßen enge, bis zu den Fußknöcheln reichende, aus einem leichten gelben Stoff gefertigte Hosen. – Ein Damen-Toilettestück, das den in mohammedanischen Ländern reisenden Leuten kein ungewohnter Anblick ist.

Der Gelegenheitmacher sagt mir, daß die Hindu-Frau, die mit dem Kind auf dem Boden kauert, die »Missis« sei, die Inhaberin dieses Mädchenpensionats. Die beiden Mädchen, die auf den Sesseln sitzen, bestätigen, daß sie Goanesinnen sind, – also sogenannte Portugiesinnen. Es ist geradezu selbstverständlich, daß alle diese Kinder Indiens braune Hautfarbe, sehr dunkle Augen und tiefdunkles Haar haben.

Jetzt kommt noch ein Mädchen herein, das ähnliche Körpergestaltung und Tracht hat wie das mohammedanische Mädchen.

Der erläuternde Kuppler berichtet, daß dieses girl ebenfalls Mohammedanerin ist.

Mir fällt die Augenform der zwei Hosenträgerinnen auf: längliche, etwas schiefgestellte Augen (vielmehr Lidspalten); schief insofern als der äußere Augenwinkel ein wenig höher als der innere Augenwinkel liegt Die Augenlidränder sind mit einem dunkeln Färbemittel behandelt und erscheinen als bläulichschwarze Umrahmung des Augapfels.

Die Mädchen und die Mistreß bleiben in der Stellung, die sie bei meinem Eintritt innegehabt, und warten in passiver Neugier, wie das Ergebnis meiner prüfenden Blicke ausfallen werde.

Europäische Mädchen hätten in irgend einer Weise reagiert, wenn sich vor ihnen solcherart ein fremder Besucher aufgepflanzt hätte und sie mit inspizierendem Auge eine Weile besichtigt hätte, als stünde er in einer Schaubude. Europäische Mädchen hätten sich mit einladender Koketterie in Worten oder Blicken, mit irgend einer Form der Begrüßung zur Geltung gebracht oder mit einer mokanten Abwehr oder mit posiertem Majestätisch-tun.

Doch die Inderinnen, denen ich hier gegenüberstehe, bewahren die Haltung abwartender Ruhe. Ihr Gehaben verrät weder Teilnahmslosigkeit, noch Aufgeregtheit, nicht Unlust, nicht Frohsinn, – nichts von all dem: in ihrem Gehaben ist lediglich beobachtender Gleichmut, ernsthafte Gelassenheit; einigermaßen die Haltung, die mit einem beliebten Wort als »orientalische Ruhe« bezeichnet wird. Sklavinnen, die getrost dem Käufer entgegensehen.

Die dunkeln Mädchenaugen, die aufmerksam und ruhig in meinen Mienen forschen, scheinen zu verkünden: Wirst Du eine von uns wählen? – Das wäre zu wünschen. – Wir hätten für Geldmünzen gute Verwendung. – Hoffentlich bleibst Du; wenn nicht, – auch recht. Wir können's nicht ändern. – Wie sollten wir Dich zum Verweilen bestimmen? – Wir verstehen Deine Sprache nicht, Du verstehst unsere nicht, wir können Dich nicht anreden. – Wir können Dir nicht vertraulich-dreist entgegenkommen, denn Du bist der europäische Sah'b. – Wir wissen nicht, wie Du unsere Intimitäten aufnehmen würdest, Du bist uns etwas Unbekanntes, Unberechenbares, Rätselhaftes. –

– Meine Blicke schweifen in der Stube umher, von Mädchen zu Mädchen, und hinüber zu der unerquicklichen Liebeskammer mit der gröblichen Liebesbettstatt, und wer in meinen Blicken hätte lesen können, der hätte darin gefunden: Nein, nein, das geht mir sehr wider den Geschmack. – Und übrigens, was hätte es für einen Sinn? – Lediglich deswegen, weil hier das Eigenschaftswort »mohammedanisch« vorkommt? – Man braucht sich doch nicht mit all dem Zeug zu vermischen, das einem der Zufall und der Kuppler auf den Weg hinlegt, mit allem und allem, mit ganz Asien – – –

In den Augen der anwesenden Mistreß und der mohammedanischen Mädchen und der Goanesinnen war zu lesen: Es scheint, daß er fort will. – Er bleibt nicht. – Nun entlohnt er den Kuppler und wendet sich mit höflichem Gruß zum Gehen. – – –

Gleichmütig-ernsthaft wie bisher, ohne Zeichen irgendeines Affektes, betrachten die Inderinnen mein Weggehen.


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