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VIII
Der Tod der Alten

Ende Juli

Ich begann just von neuem Geschmack am Leben zu finden. Solches fiel mir nicht sonderlich schwer, das könnt ihr mir glauben. Ja, und gar, ich weiß nicht, warum, ich fand es schmackhafter als vordem, fett, weich, goldbraun gerad recht und rösch gebraten, knusprig zum Beißen und auf der Zunge zerschmelzend. Der Appetit eines Auferstandenen. Was muß Lazarus lustvoll geschmauset haben! ... Eines schönen Tages nun, ich hatte fröhlich meine Arbeit getan und war just dabei, mit meinen Freunden trefflich zu speisen, da tritt ein Bauer herein; der kam aus Morvais. »Meister Colas«, sagt er, »tags zuvor habe ich Eure Frau gesehen.«

»Schelm, da hast du Glück«, sage ich, »und wie geht's der Alten?«

»Gar wohl, sie ist im Begriffe, sich davonzumachen.«

»Wohin denn?«

»Gar schleunig, Herr, in eine bessre Welt.«

»Sie wird es alsdann nimmer sein«, sagt ein schlimmer Possenreißer.

Und ein anderer:

»Sie gehet, du bleibest, dein Wohl, Colas! Ein Glück kommt nie nicht allein.«

Ich wollte tun gleichwie die andern, ob ich schon bewegt war, und erwiderte:

»Lasset uns anstoßen, Gevatter. Gott meinet es gut mit dem Manne, so er ihm die Frau nimmt, wann der nicht mehr weiß, was damit anfangen.«

Indes, der Wein erschien mir plötzlicherweis kratzig. Ich vermochte nicht mein Glas auszutrinken, und meinen Stock nehmend, ging ich von hinnen, und das gar, ohne mich von der Gesellschaft zu verabschieden. Sie riefen: »Wo gehst du hin? Was ficht dich an?«

Ich war schon weit fort. Ich antwortete nicht, mir war das Herz schwer ... Seht ihr, man mag wohl seine Alte nicht lieben, man mag wohl einander Tag und Nacht an die fünfundzwanzig Jahre in Zorn gebracht haben. Zur Stunde, da der Sensenmann sie holen kömmt, sie, die alsolange in dem allzu engen Bett mit euch gelegen und ihren Schweiß mit dem eurigen vermischet hat, die in ihrem dürren Schoß den Samen eurer Rasse, den ihr da pflanztet, hat wachsen lassen, alsdann fühlet man ein sonderlich Ding, so einem die Kehle zuschnürt. Ist, als wenn ein Stück von uns selbst davongehet. Und wenngleich es auch nicht schön ist, wenngleich es uns gar oft beschwerlich ward, ist man doch voll Mitleids mit ihm und mit sich selbst. Man bejammert es, man bejammert sich Selbsten ... Ja, verzeih mir Gott! Man hat es lieb.

Des andern Tags, bei Einbruch der Nacht, kam ich zu Hause an. Auf den ersten Blick sah ich, daß der große Steinmetz gut Arbeit getan hatte. Unter dem knütterigen Vorhang der runzligen Haut erschien das tragische Antlitz des Todes. Aber mir ward ein noch gewisseres Zeichen davor, daß das Ende nahe sei, dieweil sie, als sie meiner ansichtig ward, zu mir sagte:

»Mein armer Mann, bist du nicht schier ermattet?«

Als ich solchen Ton der Güte vernahm, der mich gar sehr rührete, sagte ich mir: Zweifelsohne, mit der armen Alten ist es aus. Sie wird gutartig.

Ich saß an ihrem Bette nieder und nahm ihre Hand. Dieweil sie allzu schwach war, zu sprechen, dankte sie mir mit den Augen, daß ich gekommen war. Willens, sie zu erheitern, versuchte ich zu scherzen und erzählete ihr, wie ich der allzu eilfertigen Pest einen Possen gespielet hätt. Sie hatte nichts nicht davon vernommen. Sie erregte sich darob also heftiglich (was Teufel, war ich ungeschickt!), daß sie eine Schwäche befiel und wenig gemangelt hätt, so wär sie dabei geblieben.

Wann sie wiederum zu Sinnen kam, fand sie die Sprache und (Gott sei Dank, Gott sei Dank) gleicherweis ihre Bosheit wieder. Alsogleich beginnet sie, stammelnd und zitternd (die Worte wollten mitnichten herfür oder es kamen ganz andere raus, als sie vermeinete; und das machte sie gar zornmütig) also, sie beginnet, mich mit Schimpfreden zu überschütten; saget, es sei eine Schande, daß ich ihr nichts vermeldet hätt, ich habe kein Herz, ich war schlimmer denn ein Hund, hätt verdienet, gleichwie ein solcher schier allein ob meinem Misthaufen an der Kolik zu verrecken. Sie brachte noch unterschiedliche Artigkeiten herfür. Man wollte ihren Zorn stillen, man sagete mir:

»Gehe davon, du siehst, du tuest ihr übel. Entferne dich vor einen Augenblick.«

Indes ich lache, beuge mich ober ihr Bett und sage:

»Wohl und gut, jetzo erkenne ich dich wieder! Nunmehr ist noch Hoffnung, du bist noch gleicherweis boshaft ...«

Und ich nehm ihren Kopf, ihren alten wackligen Kopf zwischen meine großen Hände, küsse sie mit ganzem Herzen zweenmalen auf beide Backen. Und am zweiten Mal weinete sie.

Alsdann verblieben wir beide ruhevoll und ohn Redens allein im Zimmer, allwo in der Holztäfelung der Klopfkäfer harten Schlages das Ticktack der Totenuhr hämmerte. Die Leute waren ins Nebenzimmer gegangen. Sie keuchete mühselig, und ich merkete, sie wollte sprechen. Ich sage:

»Quäl dich nicht, Alte. Seit fünfundzwanzig Jahre hat man sich schier alles gesagt. Man versteht sich auch sonder sprechen.«

Sie sagt:

»Man hat sich nichts gesagt. Ich muß sprechen, Colas! Ansonst sollt mir das Paradies ... in das ich nicht werd einkommen ...«

»Freilich, freilich«, sage ich.

»... ansonst sollt mir das Paradies bitterer denn die Galle der Hölle schmecken. Colas, ich war zu dir sauertöpfisch und voll törichten Zorns.«

»Mitnichten, mitnichten«, sage ich, »ein weniges Säure ist gut vor die Gesundheit.«

»... eifersüchtig, aufbegehrend, zänkisch, brummend. Ich erfüllete das Haus mit meiner schlimmen Laun, und ich habe sie dir bei jedweder Gelegenheit zu kosten gegeben.«

Ich tätschelt ihre Hand.

»Das macht nichts, ich habe ein gar dickes Fell.«

Schier atemsohne begann sie von neuem:

»Aber solches geschah, dieweil ich dich liebte.«

»Ha, das hätt ich sollen wissen«, sagte ich lachend.

»Je nun, letztlich macht's jeder auf seine Weis. Aber warumb hast du mir nie nichts gesaget? Die deine war nicht gar deutlich.«

»Ich liebte dich«, fuhr sie fort, »und du, du liebtest mich nicht. Derhalben warest du gütig, und ich war bös. Denn ich hassete dich, daß du mich nicht liebtest, und du, du sorgtest dich mitnichten darumb ... Du hattest dein Lachen, Colas, dein Lachen, gleicherweis wie heute ... Gott, wie habe ich davon gelitten! Du vermummtest dich darein wider den Regen; ich mochte es lassen regnen, allsoviel ich wollte, gelang mir niemalen, dich Schelm zu durchnässen. Ach, wie gar sehr hast du mir wehgetan! Mehrer denn einmal, Colas, vermeinete ich, daran zu sterben.«

»Mein armes Weib«, sagte ich zu ihr, »solches geschah nur, dieweil ich das Wasser nicht mag ausstehn.«

»Du lachest noch fürder, du Schalk. Wohl, wohl, du tuest recht daran, zu lachen. Lachen hält warm. Jetzo, allwo die Erdenkälte mir an den Beinen emporkriecht, da fühle ich, was dein Lachen wert war; leihe mir deinen Mantel. Lach dich satt, lieber Mann. Ich bin dir nimmer bös darumb. Du aber, Colas, vergib mir.«

»Du warst eine brave Frau«, sagte ich, »rechtschaffen, stark und treu. Mag sein, du wärest nicht alleweil annehmlich, aber niemands ist vollkommen; das wär Vermessenheit gen den da oben, der ist allein vollkommen, als man mir sagt (ich bin nicht droben gewesen, nachschauen), und in schwarzen Stunden (ich nenne damit mitnichten die Stunden der Nacht, allwo die Katzen insgesamt grau sind, sondern solche der Jahre des Elends und der mageren Kühe), da wärest du nimmer also unleidlich. Tapfer warst du. Vor keinerlei Mühe scheutest du zurücke, und dein trutziges Wesen erschien mir beinahe schön, so du es, ohne einen Fußbreit zu weichen, gen das widrige Geschick ins Feld führtest. Quälen wir uns itzund nicht länger um das, was vorzeiten war. Genug, daß wir es einmalen für allemal ertragen haben, ohn uns zu beugen, ohn zu jammern und ohn die Spur einer Schande, so wir hätten auf uns laden können, zu tragen. Was geschehen ist, ist geschehen und laßt sich nimmer von neuem anfangen. Die Last ist abgesetzt, nunmehr ist die Reihe am Herrn, sie zu wägen, so er will. Das ist nicht unsere Sache fürder. Uff! Laß uns Atem schöpfen, Alte. Jetzo verbleibet uns nur noch, die Riemen zu lösen, so uns den Rücken scheuerten, uns die klammen Finger und die wunden Schultern zu reiben und unser Loch in der Erde zu richten, um darein offenen Mundes und gleichwie eine Orgel brummend: ›Requiescat! Friede denen, so ihre Arbeit gut vollbracht haben!‹ – den großen Ewigkeitsschlaf zu schlafen.«

Mit geschlossenen Augen, mit verschränkten Armen lauschete sie auf meine Worte, öffnete die Augen, als ich geendet, und reckte ihre Hand aus.

»Gute Nacht, mein Freund, morgen wirst du mich wecken.«

Ließ die Hand wieder sinken.

Alsdann streckete sie sich als eine Frau, so Ordnung liebet, ihrer ganzen Länge nach hin, zog sich die Decken unter ihr Kinn, bis daß sie keine Falte mehr machten, und preßte das Kruzifix an ihre leeren Brüste. Und also lag sie, als eine Frau, die da entschlossen ist und bereit zum Aufbruch, mit zusammengekniffener Nase, starrem Blick und wartete.

Aber vordem, daß ihre alten Knochen der Ruhe genießen durften, sollten sie, zweifelsohne, um durch das Übel gereinigt zu werden, ein letztes Mal im irdischen Feuer glühen. Solches ist unser Los hienieden. Denn just in diesem Augenblicke öffnete sich die Tür von nebenan. Die Wirtin stürzete in das Zimmer und rief schier atemsohne:

»Schnell, kommt schnell, Meister Colas.«

Ich verstand nicht, ich fragte:

»Was gibt's? Sprecht leise.«

Indes sie auf ihrem Bette – die eben die große Reise angetreten – richtete sich auf ihrem letzten Lager, steif wie der von Jesus Auferweckte, noch einmal empor, und gleich als ob sie von der Höhe des Wagens, den sie just hatte bestiegen, beim Zurückwenden und Rückwärtsschauen über unsere Köpfe hinfort vermochte zu sehen, was ich nicht sah, reckete sie die Arme gegen mich aus und rief: »Meine Glodie!«

Jetzo verstand auch ich, durchbohret von diesem Schrei und dem rauhen Husten, so aus dem Nebenzimmer drang. Ich lief, ich fand meine arme kleine Lerche, der war die Kehle gleichsam zugeschnürt, und sie suchete mit ihrem zarten Händlein die Umklammerung zu lösen, war ganz rot und heiß, flehete mit den schreckensvollen Augen um Hilfe und schlug um sich wie ein verwundet Vöglein.

Was diese Nacht geschah, ich vermöchte es nicht zu berichten. Noch jetzo, da ich gute fünf Tage hernach sie mir ins Gedächtnis rufe, sind mir die Beine wie abgestorben. Ich muß mich setzen. Ach, lasset mich Atem schöpfen. Ist es möglich, daß es einen Gott im Himmel gibt, so sich ein Vergnügen daraus machet, diese kleinen Wesen langsam zu quälen, der ihre dünnen Hälschen unter seinen Fingern mag krachen hören, sie sich mag wehren sehen und ihren Blick voll staunenden Vorwurfs aushalten kann? Ich verstehe, daß man einen alten Esel gleich mir einmalen derb zwicket, daß man jemands, so sich wehren kann, einem starken Burschen, einer breitschultrigen Weibsperson, übel mitspielet. Mögest du nur, dafern es dich belustiget, uns aufschreien zu machen, versuchen, ob es dir gelinge. Der Mensch ist nach deinem Bilde geschaffen. So du gleich ihm nicht alle Tage gut wärest, so du voll Laune und Bosheit bist, so du ab und zu aus zerstörender Lust schädigen magst, um deine Kraft zu proben, aus schwarzer Galle, aus übler Laune oder gar zur Kurzweil, – solches nimmt mich allgemach nicht sonderlich wunder. Wir sind alt genug, Potz Kuckuck, es mit dir aufzunehmen. Wann es uns leid wird, vermögen wir dir's zu sagen. Nimmst du aber dieses kleine Lämmlein zum Ziele, das noch seine erste Wolle traget – solches ist zuviel. Nein, das mögen wir nicht zugeben. Gott oder König, wer immer es tat, er mißbrauchte sein Recht. Wir vermahnen dich, Herr, dafern du also fortfahrest, werden wir in Bälde uns genötigt sehen, dich zu unserem größesten Leidwesen abzusetzen. – Aber ich mag nicht glauben, daß solches Ding dein Werk sei. Davor hege ich allzuviel Ehrfurcht für dich. Derlei Untaten können nur zweierlei Ursach haben, Vater: entweder du hast keine Augen oder aber du existierst nicht ... Ei je, das Wort ist nicht zupaß, ich widerrufe es. Der Beweis davor, daß du existierst, ist, indem wir jetzo vertraulich selbander uns bereden. Was mancherlei Betrachtung haben wir schon miteinander gepflogen. Und unter uns, Herr, habe ich nicht genugsam oft recht behalten? Wieviel Malen hab ich in jener Unglücksnacht dich gerufen, beschimpfet, bedrohet, verleugnet, gebeten, angefleht! Habe oft genug meine gefalteten Hände zu dir emporgehoben und dir die geballte Faust gezeiget. Das hat nichts nicht genützet, du hast dich nicht beirren lassen. Aber du kannst zumindest nicht sagen, daß ich das Kleinste versäumete, dich zu rühren. – So du nicht willst, wohl, wohl, laß bleiben. Dafern du nicht geruhest, mich anzuhören, ergebenster Diener. Um so schlimmer für dich, Herr, wir kennen andere, wir werden uns woanders hinwenden.

Ich war alleinig mit der alten Wirtin, die Nachtwache zu halten. Martine, die unterwegs von den Kindswehen war überrascht worden, war, Glodie bei der Großmutter lassend, in Dornecy geblieben. Was aber konnte ich täppisch alter Mann zu ihrer Linderung tun? Wann wir gen Morgen sahen, daß unser Herzblatt, unsere arme kleine Dulderin, im Verscheiden lag, versuchten wir's mit den äußersten Mitteln. Mit meinen Armen hob ich ihren kleinen matten Leib, der nicht schwerer war denn eine Feder, empor (er hatte schon nimmer die Kraft, sich zu wehren, der Kopf hing nieder, und das Körperlein, hin und wieder von Stößen durchzucket, gleichwie ein Sperling, atmete schier nicht mehr). Ich schaute durchs Fenster. Der Wind blies, es regnete. Eine Rose ob ihrem Stengel neigte sich, als wollte sie eintreten, gen die Scheibe. Mir war's, als kündete sich solcherart der Tod. Ich schlug das Zeichen des Kreuzes, und ohngeachtet des allen schritt ich ins Freie. Der ungestüme feuchte Wind schlug unter der Tür wider mich an. Schier unbewußt barg ich den Kopf meines Vögeleins unter einer meiner Hände, sorgend, der Sturm könne sein Lichtlein ausblasen. Wir machten uns des Wegs. Zuvorderst schritt, Geschenke tragend, die Wirtin. Wir gingen in den Wald hinein, so sich längs des Weges hinzieht, und entdeckten in Bälde am Rande eines Sumpfes eine alte bebende Espe. Hoch und gerade, gleich einem Turm, beherrschte sie ein ganzes Volk junger, biegsamer Binsen. Einmalen, zweimalen, dreimalen wandelten wir rings um sie herum. Die Kleine stöhnte, und der Wind in den Blättern klapperte gleichwie sie mit den Zähnen. Um das Händlein des Kindes wanden wir ein Band das andere End um einen Zweig des bebenden Baumes; dazu sagten die zahnlose Alte und ich wieder und wieder:

»Zittre, bebe, Baum, du Lieber,
nimm mein Fieber.
Laß dich bitten, dich beschwören
in dem Namen, hoch in Ehren,
des dreieinigen großen Gottes.
Aber so du meiner spottest,
bleibst gar taub, läßt mich im Stich,
wehe dir, dann fäll ich dich!«

Alsdann grub die Alte ein Loch zwischen den Wurzeln, goß darein einen Schoppen Wein, tat zwo Knollen Knoblauch und eine Scheibe Speck darzu und legte oben drauf noch einen Heller. Nunmehr machten wir noch drei Runden um meinen Hut, den hatten wir zur Erde gelegt und mit Schilf gefüllt. Bei der dritten Runde spuckten wir hinein und sagten einmal übers andere:

»Erstick am Krupp, krächzende, kriechende Kröte!« Am End kehrten wir um; wann wir zum Ausgang des Waldes gelangten, knieten wir vor einem Weißdorn nieder. Ihm zu Füßen betteten wir das Kind und beteten bei der heiligen Dornenkrone zum Gottessohn.

 

Als wir hienach gen Hause zurückkehrten, schien die Kleine tot. Indes, wir hatten getan, was wir vermochten. Während all dieser Zeit wollte meine Frau nicht sterben. Die Liebe zu ihrer kleinen Glodie hielt sie am Leben. Sie schlug um sich, sie schrie: »Heiliger Gott, Maria und Josef, nein, ich gehe nicht davon, Ich wisse denn zuvor, was du mit ihr tun willst und ob sie, ja oder nein, wird gesund werden. Gesund soll sie werden. Herr Gott im Himmel, ich will es also. Ich will es, ich will es, ich will es, und so geschieht's.« Indes, es war zweifelsohne noch nicht vollkömmlich geschehn: denn darnach sie es gesagt hätt, begann sie von neuem. Gott, wieviel Atems sie aufbrachte! Und da hatte ich zuvor vermeint, sie wäre nahe daran, den letzten auszuhauchen! War dieses der letzte, alsdann hatte er eine treffliche Länge ... Aber, Breugnon, du schlimmer Kerl, du lachst, schämst du dich nicht? – Was soll's, Freund, ich bin nun, als ich bin. Lachen hindert mich nicht, Leid zu haben. Indes, kein Leid kann einen rechtschaffenen Franzosen hindern, zu lachen. Und ob er lache oder jammere, vor allem muß er sehen. Es lebe der zweiköpfige Janus, der allweil die Augen offen hat. Also ward mir darum nicht minder peinvoll, mit anzuhören, wie meine arme alte Gefährtin sich abmühte und keuchte. Und wenngleich ich in derselbigen Herzensangst war denn sie selbsten, wollte ich sie beruhigen, sprach ihr zu, als wie man zu Kindern spricht, und wickelte sie gar sorglich in ihre Decke. Indes, sie schrie:

»Du Taugenichts! Wärst du Manns genug, alsdann hättest du wohl Mittels gefunden, sie zu retten! Dich selbst zu retten, hast du trefflich verstanden. Wozu taugst du wohl eigentlich? Statt ihrer bist du's, so tot sein müßte.«

Ich antwortete: »Meiner Treu, ich billige deine Meinung wohl, Alte, du hast überaus recht. Ich gäbe meine Haut willig her, so jemands sie haben wollte. Aber es scheint, sie kommt da oben mitnichten zupaß: man findet sie wohl allzu abgenutzt. Ich tauge zu nichts nicht mehr (das ist wohl wahr) – als gerad wie du, zu leiden. Wohlan, leiden wir selbander, ohn viel Worte zu machen. Möglich, daß unsere Kleine alsdann soviel mehr oder weniger wird zu leiden haben.«

Da lehnte sie ihren alten Kopf an den meinen, und das Salz aus unsern Augen mischte sich ob unsern Wangen. Im Zimmer aber ringsum wurde der drückende Schatten von den Schwingen des Todesengels fühlbar.

Plötzlich aber verschwand er. Das Licht kehrete wieder. – Wer vollbrachte das Wunder? – War es der Gott da droben, oder waren es gar die aus den Wäldern? Jesus, der Allerbarmer alles Leidens – oder die Erde, die Gewaltige, die alles Übel zerbläst und einsaugt? Hatten unsre Gebete es bewirkt oder die Angst meines Weibes oder etwan dies, weil ich die Espe bestochen hätt? Wir werden es niemalen erfahren; und da ich in der Ungewißheit verbleibe, danke ich (das ist das Sicherste) der ganzen Gesellschaft und schließe gar die mit ein, so ich nicht kenne (möglich, das sind just die Besten). Sicher aber in jedwedem Fall und allein wichtig ist, daß von selbigem Augenblick an das Fieber sank, der Atem gleichwie ein munteres Bächlein durch das zarte Kehlchen strömte und meine kleine Tote, der Umarmung des Erzengels entfliehend, auferstund.

Da schmolzen unsere alten Herzen in inniglichem Fühlen. Gemeinsam stimmten wir das »Nunc dimitte, Herr!« an, und meine Alte ließ nunmehr, ermattet, vor Freude weinend, ihren Kopf wie einen sinkenden Stein auf das Kissen zurückfallen und seufzte:

»Jetzo kann ich endlich gehen!«

Gleich darauf wurde ihr Blick unsicher. Das Gesicht fiel ein, als hätt ein plötzlicher Windstoß ihren Atem entführt. Und ich, über ihr Bett gebeugt, darin sie nimmer war, blickte gleichsam in die Tiefe eines Loches im Wasser, in dem die Form eines eben untergegangenen Körpers einen Augenblick eingeprägt verbleibt, um alsobald kreisend wieder zu verwischen. Ich schloß ihr die Lider, küßte ihre wachsbleiche Stirn, faltete ihre Hände, die arbeitsamen Hände, die sich zu Lebzeiten nie täten Ruhe gönnen; und die verlöschte Lampe, deren Öl ausgebrannt war, sonder Gram verlassend, ging ich mich bei der neuen Flamme niedersetzen, die jetzo das Haus erhellen sollte. Ich sah sie schlafen. Mit gerührtem Lächeln wachte ich bei ihr und dachte (kann man seinen Gedanken wehren?): Ist es nicht gar seltsam, daß man sich also an dies kleine Geschöpflein hänget? Ohn sie erscheint alles nichtig, mit ihr ist alles gut: selbst das Ärgste kann uns nichts anhaben. Ach, jetzo kann ich ruhig sterben, mag mich der Teufel holen! Dafern nur sie am Leben bleibt, da pfeife ich auf das übrige ... Immerhin ist es ein weniges stark! Wie denn! Da stehe ich, lebe und befinde mich wohl, bin Herr über meine fünf Sinne und noch etliche andere dazu und überdies über den trefflichsten aller, meinen gesunden Menschenverstand. Habe niemalen mit dem Leben geschmollt, trage in meinem Leibe zehn Ellen Gedärme, so allzeit genugsam leer, um dem Leben ein Fest zu bereiten, habe einen klaren Kopf, eine sichere Hand, feste Waden und Kniegelenke, bin ein guter Arbeiter und witziger Burgunder Kopf – und da bin ich besten Willens, das alles für solch kleines Tierlein herzugeben, von dem ich schier nichts weiß? Denn am End, was ist es denn Großes? Ein artiges kleines Frätzlein, ein ergötzliches Spielzeug, ein stammelndes kleines Wesen, das sich erst versucht, das noch nichts ist – aber das möglicherweis einmalen etwas sein wird ... Und für dieses »möglicherweis« soll ich mein »Ich bin und bin hier, und bin hier, bei Gott, recht wohl« mit Steinwürfen von hinnen treiben. – Ja, so ist's! Denn dieses »möglich« ist doch die schönste meiner Blumen, ist die, für die ich lebe. Wann die Würmer sich an meinem Fleisch haben vollgefressen, wann es mit der fetten Kirchhofserde gänzlich verschmolzen ist, dann werde ich, o Herr, in einem anderen Selbst auferstehn, schöner, glücklicher und besser als ich. – Ei, potz Blitz! Was weiß ich eigentlich davon! Warumb soll es just besser sein denn ich? – Weil es mit den Füßen auf meinen Schultern steht und weil es, über meinem Grabe wandernd, weiter sehen wird denn ich ... O ihr, die ihr aus mir ersteht, die ihr das Licht werdet trinken, darein meine Augen, die es so überaus geliebt haben, sich nimmer baden werden; mit euren Augen genieße ich die Ernte der kommenden Tage und Nächte, sehe ich die Jahre und die Jahrhunderte einander folgen, genieße gleichermaßen das, was ich voraussehe, als das, so mir verborgen bleibt. Alles ziehet an mir vorüber, aber so geschieht's, maßen ich selbst mich fortbewege. Von euch getragen, schreite ich immer weiter, immer höher. Ich bin nimmer an meine kleine Scholle gebunden. Jenseits meines Lebens, jenseits meines Ackers dehnen sich die Furchen. Sie umfassen die Erde, sie durchschreiten den Weltenraum. Gleich einer Milchstraße überziehen sie mit ihrem Netz das tiefblaue Himmelsgewölbe. Ihr seid meine Hoffnung, meine Sehnsucht und mein Samen, den ich mit vollen Händen ausstreue in die Unendlichkeit.


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