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Grün – Weiß – Rot.


2. Im Vatikan.

Seit dem unglücklichen Kampf am Corsini war fast ein ganzer langer und blutiger Monat verflossen.

Mit täglichen Vorposten-Gefechten die Verteidiger der Stadt ermüdend und beschäftigend, waren die Franzosen immer näher und näher gedrungen – sie ließen die Sappe Sappe, die veraltete, mit Ausnahme der Erdwalze jetzt aufgegebene Form der Laufgräben im Festungskrieg. D. H. ihr Werk vollenden, statt im offenen Sturm auf die schwachen Festungswerke um den Sieg zu ringen.

Ob der Herzog von Reggio die geheime Ordre hatte, den Kampf so lange als möglich zu vermeiden, ist unbekannt geblieben. Wahrscheinlicher noch ist, daß der Einfluß des päpstlichen Hofes von Gaëta her ihn bewog, die Stadt so viel als möglich zu schonen. Papst Pius, an und für sich von gütigem und mildem Herzen, wollte die Stadt des heiligen Petrus mit ihren Kunstschätzen und Heiligtümern nicht in einen Schutthaufen verwandelt sehen, und die Kardinäle und vornehmen Adeligen fürchteten für ihre Paläste und kostbaren Sammlungen.

Sie wußten, daß die Stadt in ihre Hände fallen mußte, eine Woche länger oder kürzer konnte nichts zur Sache thun.

Schon am Tage nach der Wegnahme des Corsini hatte die französische Batterie gegenüber den Bastionen zwischen den Thoren San Pancratio und Portense ein heftiges Feuer eröffnet, ohne daß die schwach armierten Wälle es zum Schweigen zu bringen vermochten. Die ganze Artillerie der Stadt bestand aus kaum 50, zum Teil eisernen, zum Teil bronzenen Geschützen, von denen mehrere nicht einmal in besonderem Stande waren. Nur der unermüdlichen Thätigkeit und Ausdauer Garibaldis und seinem in der Gefahr erfinderischen Geiste war es zu danken, daß die Verteidigung fortgeführt werden konnte. In den Einzeln- und Vorposten-Gefechten blieben gewöhnlich die Römer Sieger.

In der Nacht zum 5. hatten die Franzosen ihre erste Parallele eröffnet; ihr Operationsplan, auf eine starke und durch viele Vorteile, wie Wasser, Schatten und gute Deckung gesicherte Position sich stützend, richtete sich offenbar auf den Stadtteil zwischen den genannten beiden Thoren.

Mit dem Mut der Verzweiflung verteidigte die Division Schritt um Schritt diese Stellung, aber schon begann der Zweifel am Erfolg auch die Tapfersten zu entnerven. Nur der General selbst mit einigen seiner Offiziere widerstand mit eiserner Kraft den unerhörten Strapazen und Gefahren und ordnete an allen Stellen die Verteidigung in Person.

Näher und näher rückten die Batterieen der Franzosen, die Arbeiten der Sappe waren bereits bis zu den Wällen vorgedrungen, während das schwere Belagerungsgeschütz drei breite Breschen in die Bastionen und Courtinen zur Linken gerissen; das Hauptquartier des Generals, die Villa Savorelli, war von den Bomben der Feinde durchlöchert, kein Gemach sicher, und die Splitter der springenden Hohlgeschosse töteten Offiziere und Soldaten im Innern des Hauses. Nur wankende Mauern noch standen hier, und dennoch suchten unter dem Kugelregen die Tapfern hier die wenige Ruhe, die sie sich gönnten. Schmetterten die springenden Bomben unter den hinter den Wällen ungedeckt lagernden Soldaten doch oft ganze Gruppen nieder, ohne daß die Nächstliegenden sich in ihrer Erschöpfung mehr darum kümmerten, als daß sie den tödlichen Geschossen sich aus dem Wege rollten.

Scenen wahrhaften Heldenmutes und einer Todesverachtung sondergleichen kamen täglich vor in dieser Zeit, wo das Leben so wohlfeil und nicht der nächste Augenblick sicher war. Im Lauf des 20. waren allein 80 bis 90 Bomben in und um Villa Savorelli krepiert.

Die Anstrengung der wenigen Mannschaften war entsetzlich, kaum, daß sie jede zweite Nacht drei bis vier Stunden unter dem Donner der Kanonen ruhen konnten.

Noch hielt sich das Vascello unter Medicis heldenmütiger Verteidigung, obschon er kaum 300 Mann zu seinem Befehl und allnächtlich harte Stürme auszuhalten hatte.

Am 21. waren die Breschen, welche die französischen Batterieen gerissen, gangbar geworden. Der General traf alle Anstalten zu einer tapfern Abwehr des Sturms; aber in der Nacht führte ein unerklärlicher Verrat die Franzosen durch einen Minengang in das Innere der Werke, und die Besatzung, von panischem Schreck ergriffen, von den Anstrengungen der vorhergegangenen Tage bis zum Umsinken ermattet, verließ in wilder Flucht die Wälle und flüchtete zurück.

Hinter der ersten Linie an dem mehr als tausendjährigen Bollwerk der aurelianischen Mauer hatte das Genie Garibaldis bereits eine zweite Linie geschaffen, die mit dem rechten Flügel an die noch in den Händen der Verteidiger befindliche, freilich nur noch in einem Schutthaufen bestehende Bastion Nr. 1 am Thor von San Pancratio sich lehnte, während die Villa Spada mit der Batterie des Pinohügels die Mitte bildete, und der linke Flügel an der Porta Portese und dem Tiber sich auf die Klöster S. Casimato und Callisto stützte.

General Oudinot hatte also den Kampf aufs neue zu beginnen.

Die Tage vom 22. bis 30. bildeten, wenn auch nicht der Zahl der Geschütze, doch der unermüdlichen Ausdauer und der Wut des Feuers nach einen furchtbaren Artilleriekampf.

Jeder Versuch, die Breschen wieder zu nehmen, wäre bei der Übermacht des Feindes und seinem vorzüglichen Geniewesen, an dem die Verteidiger den größten Mangel litten, ein Wahnsinn gewesen; selbst Garibaldi stand davon ab.

Die vorgeschobenen Vedetten und Posten, durch Erdsäcke und fliegende Deckungen geschützt, standen oft kaum 20 Schritt von einander; man schlug sich von Stunde zu Stunde, bei Tag und Nacht um jedes Haus, um jede Ruine, mit einer wahrhaft kannibalischen gegenseitigen Erbitterung. Da jeder der Soldaten möglichst gedeckt stand und nur der Kopf zum Vorschein kam, um zu zielen und Feuer zu geben, war auch Kopf und Hals allein das Ziel des Gegners und deshalb fast jeder treffende Schuß tödlich.

Die Morgensonne des 29. Juni beleuchtete nur noch die Trümmer der glänzenden Villen, die einen Monat lang die Schauplätze einer heldenmütigen Verteidigung gewesen waren.

Der ganze obere Stock des Vascello war zusammengestürzt, ebenso die vordere Wand, so daß die schönen Gemächer und der mit Säulen und Statuen verzierte Korridor zu Tage lagen. Aus dem Schutt schauten hier und dort Säulenstücke und Marmorfiguren, und hinter ihnen blitzte von Zeit zu Zeit ein Schuß nach den französischen Positionen.

Savorelli war nur eine Trümmermasse noch, nur die Villa Spada, vom Terrain geschützt, bot noch einen einigermaßen sicheren Aufenthalt. Hinter ihr erhoben sich die dunklen Gebäude von S. Pietro in Montorio und das große, doch von den meisten Kranken und Verwundeten bereits verlassene Hospital.

Kurz nach Beginn des Tages hatten die Franzosen aus all ihren Batterieen ein furchtbares Feuer eröffnet und setzten es mit einer Heftigkeit fort, wie noch an keinem Tage zuvor. Die Erde erbebte unter dem Donner der Geschütze und die Kugeln besäeten das Travestere so dicht, daß kaum noch ein sicherer Platz zu finden war. Vierzig französische Kanonen arbeiteten unablässig, und das Krachen der einstürzenden Mauern und Gebäude überdröhnte oft den Donner der Geschütze.

In der innern Stadt, wohin nur selten eine Bombe fiel, läuteten die Glocken aller Kirchen, und das Volk lag betend vor den Altären. Es war der furchtbarste Tag der Belagerung, und Entsetzen hatte sich auch der bisher gleichgültigsten Gemüter bemächtigt.

Gegen Abend hörte die Kanonade auf, nur einzelne Kanonenschüsse setzten in der gewöhnlichen Weise den Kampf fort; es verbreitete sich die Nachricht von einer Explosion in einer französischen Batterie, und mit dem gewöhnlichen Leichtsinn der Südländer kehrte alles wieder zu seinen Geschäften und Vergnügungen zurück; man gab sich der Täuschung hin, daß der Feind das Vergebliche seiner Anstrengungen erkannt habe, ja man erzählte bereits von einem neuen Waffenstillstand, den Oudinot angeboten; die Kaffeehäuser waren geöffnet, die Fenster erleuchtet, alles überließ sich nach der überstandenen Gefahr neuen Hoffnungen.

Im ganzen war der vatikanische Stadtteil, obschon diesseits des Tiber gelegen, wenig von der Belagerung beunruhigt worden, teils wegen der Lage, teils wegen der Nähe des mächtigen Kastells St. Angelo, des einzigen wirklich festen Punktes von Rom. Die Franzosen, wahrscheinlich bestimmten Instruktionen folgend, hatten keinen Angriff von der Porta Cavalleggieri bis zur Porta Castello versucht, und das Bombardement die Region ganz verschont, so daß der Monte Vaticano für sicherer galt, als selbst die innern Stadtteile.

Die schöne Herzogin von Ricasoli hatte daher auch keine Anstalten getroffen, den Pavillon Borgia im Vatikan zu räumen.

Die Herzogin hatte bei der Flucht ihres hohen Verwandten und dem Siege der Revolution Rom nicht verlassen, obschon sie bisher im Ruf einer der thätigsten Anhängerinnen der ultramontanen Partei gestanden. Die völlige Ungnade des Papstes am Tage der Ermordung des Grafen Rossi und ihre Verhaftung waren rasch bekannt geworden und hatten ihr sogar eine gewisse Popularität verschafft. Überdies gehörte ein Zweig der Familie ihres Gatten in Toscana der liberalen Partei an.

So kam es, daß der Salon der schönen Herzogin während der Belagerung bald der Sammelpunkt aller hervorragenden Namen und Celebritäten der verschiedenen Fraktionen in Rom wurde und die Triumvirn selbst viel hier verkehrten. Die Herzogin hatte sich offenkundig der liberalen Partei angeschlossen, deren Grundsätze ihre Neigungen und Leidenschaften unterstützten, ohne deshalb alle Verbindung mit den wenigen Gliedern der römischen Aristokratie aufzugeben, die noch in Rom zurückgeblieben. Sie besuchte mit der durch ihre Aufopferung für die Sache der Revolution berühmt gewordenen Fürstin von Belgioso die Hospitäler und die Lager, und in ihrem Salon fanden sich an den dienstfreien Abenden viele Offiziere der römischen Regimenter, der Freikorps und der Nationalgarde mit den Fremden und Künstlern zusammen, die Rom nicht verlassen hatten. Es herrschte hier, von der Dame des Hauses selbst unterstützt, ein sehr freier und ungezwungener Ton.

Auch an dem Abend des 29. flammten die Fenster des Pavillons Borgia in vollem Kerzenschein; es war großer Empfang bei der Herzogin Faustella und die Gesellschaft aus dem Innern der Stadt noch zahlreicher als gewöhnlich, da jeder Neuigkeiten von dem nahen Schauplatz des Kampfes zu hören wünschte.

In den drei aneinander stoßenden Salons drängte die bunte Menge, Herren und Damen, und hatte sich in verschiedenen Gruppen um einzelne Offiziere gesammelt, deren äußere Erscheinung bewies, daß sie eben vom Kampfplatz kamen. Der Wille der schönen Herzogin verlangte ausdrücklich eine ungenierte Toilette.

Die Gerüchte kreuzten einander in wilder Hast. Viele wollten wissen, daß Unterhandlungen angeknüpft worden, andere, daß General Garibaldi für diese Nacht einen allgemeinen Ausfall vorgeschlagen, um die Walllinie wieder zu nehmen und die französischen Batterieen zu erobern.

Um einen Offizier, den die rote Blouse als zum Stabe Garibaldis gehörig kenntlich machte, hatte sich ein größerer Kreis gebildet. Er trug den rechten Arm in der Binde und den Kopf verbunden. Dennoch erzählte er mit Ausdruck und Energie von den Thaten des Tages.

»Laviron ist einen schönen Soldatentod gestorben,« sagte der Redner. »Er trug an dem Tage zum erstenmal die rote Blouse, und sie hat die Kugeln auf ihn gelenkt.«

»Der Name ist mir nicht unbekannt,« sagte ein Herr in Civil, der unter den Zuhörern stand. »Ich muß ihn schon gehört haben, aber an einem anderen Orte.«

Der Legionär warf dem Fragenden einen finsteren Blick zu. »Es war Ihr Landsmann, mein Herr, einer der wenigen Franzosen, welche die Fahne der Freiheit nicht mit der der Tyrannei vertauschen wollten und lieber ihr Vaterland verlassen haben, als daß sie zum Werkzeug eines Bonaparte gedient hätten. Kapitän Laviron war Offizier in der Nationalgarde zu Paris und hat in den Junitagen mit Auszeichnung auf der Seite des Volks gekämpft.«

Der Angeredete, den sein Accent des Italienischen als Franzosen verriet, machte eine hochmütige Gebärde. »Sie ereifern sich unnötig, Signor Maggiore,« sagte er spöttisch, »ich habe nie zu den Freiheitskämpfern gehört, ich bin Legitimist und …«

»Unser Gefangener, mein Herr, und haben daher Anspruch auf jede Rücksicht. Aber ich muß Ihnen bemerken, daß wir wenig Sympathieen für alles empfinden, was dem Präsidenten Louis Napoleon dient, er mag seine Armee aus den Legitimen oder aus den Verrätern der guten Sache rekrutiert haben. Die Familie Bonaparte hat noch stets die Freiheit verraten!«

» Per bacco, Ghirlandi, ich bitte um eine Ausnahme zu meinen Gunsten,« sagte lachend eine Stimme in seinem Rücken.

Der Legionär wandte sich um und grüßte höflich. »Es versteht sich von selbst, Bürger Lucian, daß Sie nicht eingeschlossen sind!«

Es war der Prinz von Camino, der sich in das Gespräch gemischt. Der enragierte Revolutionär nickte vertraulich. »Genieren Sie sich nicht, Bester, auf meinen werten Herrn Vetter zu schimpfen, er verdient es vollkommen, und ich wette, der Herr Graf, obgleich er zur französischen Armee gehört, hat gleichfalls nichts dawider.« Er sah sich nach dem Fragenden von vorhin um, aber dieser hatte den Kreis verlassen. »Der neue Verehrer unserer schönen Herzogin ist doch etwas übel zugerichtet,« fuhr der Prinz spöttisch fort. »Die Schuhe der Herren Legionäre scheinen etwas stark mit Nägeln beschlagen zu sein. Aber erzählen Sie uns Interessanteres. Wer ist heute gefallen? Der tolle Basi?«

»Nein, der Tod verschont ihn auf eine wunderbare Weise, obschon er ihn zu suchen scheint. Er war es, der Laviron in seinen Armen auffing, aber keine Kugel traf ihn, obschon sie ihn wie Hagel umsausten. Matucci ist gefallen.«

»Von der Artillerie?«

»Ja. Unsere Batterieen behielten kaum noch einen Offizier. Er kommandierte die erste auf der rechten Seite, als ihm eine Stückkugel den Fuß wegriß. Im schärfsten Kartätschenfeuer von den Forçats an der Villa Spada vorbei getragen, hielt er den blutenden Stumpf mit beiden Händen in die Höhe und rief der Besatzung an den Fenstern » Evviva l'Italia! corragio! corragio!« zu. Mit tausendfachem Echo antwortete ihm zuerst die Legion, dann die Bersaglieri aus der Villa und die Liniensoldaten dahinter, und in höchster Begeisterung stürzten viele herbei und begleiteten ihn im Triumph aus dem Kugelbereich! Auf der Pinobatterie arbeiteten unsere Kanoniere mit wahrem Feuereifer. Todesmutig sprangen sie auf die Merlons, um die eingestürzten Scharten wieder frei zu machen, obgleich der Feind aus jeder Batterie mit einem Geschütz dahin kartätschte und ein mörderisches Büchsenfeuer in die weit geöffneten Scharten unterhielt. Nach dreistündigem Kampf war die Hälfte der Bedienungsmannschaft tot oder schwer verwundet, aber noch kein Geschütz demontiert.«

»Dies sind Züge, die an das alte Römertum erinnern,« sagte einer der Zuhörer. »Hat man bei dem heutigen Kampf nichts von jener Frau gehört, die das Volk die Venus von Rom nennt, und die bei dem Sturm auf Corsini die Fahne voran trug?«

»Sie fehlt keinen Tag und an keinem Ort, wo der Kampf am heißesten ist. Es ist etwas seltsam Dämonisches und Unheimliches in dieser Erscheinung. Sie scheint eine förmliche Leidenschaft dafür zu haben, um sich Tod und Verderben zu sehen, während sie die Leute zu den unsinnigsten Thaten hinreißt. Ich weiß, daß kühne Burschen sich in den sichern Tod stürzten, nur um mit einem Kuß von ihr auf den Lippen zu sterben. Ich selbst sah das schreckliche Schauspiel mehrere Male, wie sie sich mitten im ärgsten Kugelregen niederbeugte und einen Gefallenen auf die Stirn oder den Mund küßte. Man hat ihr den Eintritt in die Lazarette verbieten müssen, denn ihr Anblick regte die Kranken so sehr auf, daß sie den Verband losrissen und in wilde Phantasieen gerieten.«

»Das ist seltsam! schauerlich!«

»Es ist kein Wunder; ihre Schönheit, die wahnsinnige Lust, mit der sie die von ihr Erwählten überschüttet, hat etwas Sinnverwirrendes. Sie hält ihre Bacchanalien im Kugelregen, und obschon noch keiner, der sich ihrer Gunst erfreut, dem Tod entgangen, schlagen sich die Soldaten, selbst Offiziere, um den kurzen Genuß dieser Gunst.«

»Was ist aus dem tollen Schweizer geworden, der früher ihr Begleiter war?«

»Weiß es niemand?«

» By Jove! ich kann den Herren Auskunft geben,« sagte eine scharfe Stimme. »Signor Riccardo, der Neffe des so geschickt erdolchten Grafen Rossi, ist bei dem Sturm auf die Villa Corsini von zwei Kugeln getroffen worden und befindet sich im Hospital von San Pietro in Montorio.«

Ein Rauschen seidener Damengewänder machte die Gesellschaft sich umdrehen. Die Herren verbeugten sich, es war die Wirtin des Hauses, die schöne Herzogin von Ricasoli selbst, welche vorüberging.

»Mylord,« sagte sie zu dem Viscount von Heresford, der soeben gesprochen, »ich bitte um Ihren Arm.«

Der britische Sonderling, der aus Liebhaberei der Verteidigung Roms beiwohnte, beeilte sich, der schönen Frau seinen Arm zu bieten und sie weiter durch die Salons zu führen.

Der Major, der vorhin erzählt, sah ihr kopfschüttelnd nach. » Corpo di bacco! die Ähnlichkeit ist in der That überraschend. Sie wissen doch,« fuhr er mit leiser Stimme fort. »Jene Courtisane, die Venus von Rom …«

»Nun? was ist mit ihr?«

»Sie gleicht wie ein Ei dem andern der Herzogin. Nur der Ausdruck des Gesichts ist ein anderer und dennoch Zug um Zug derselbe.«

Andere bestätigen es. Die Herzogin trat unterdes in eines der offenen Kabinetts und warf sich auf den schwellenden Diwan.

»Nehmen Sie Platz, Mylord, und lassen Sie uns ein wenig plaudern. Die Leiter unserer Regierung sind noch nicht hier, und ich kann den Pflichten der Hausfrau daher einige Augenblicke abmüßigen.«

»Altezza machen mich glücklich mit dieser Bevorzugung.«

»Sie sprachen vorhin von einem Schweizer, einem Neffen des ermordeten Rossi?«

»Signor Stämpfli war einer der Offiziere der Schweizergarde des vertriebenen Papstes.«

»Dann ist es derselbe, Mylord, den ich meine. Wir sind hier allein, und ich will das Schweigen über einen Punkt brechen, den ich mich bisher gescheut, zu berühren. Ich bin Ihnen Dank schuldig, wahrscheinlich mein Leben!«

»Altezza …«

»Still! Ich weiß, daß Sie es waren, Mylord, der an jenem schrecklichen Tage mich bewußtlos aus dem Tiber gezogen und in dem Atelier eines Ihrer Schützlinge, jenes verwachsenen Malers, verborgen hat. Mit mir retteten Sie einen Mann, jenen Offizier.«

»Es war ein Zufall, der mir die Gelegenheit verschaffte, der schönsten Frau Roms einen Dienst zu erweisen, der leider zu wenig Gefahr bot. Dem Schweizer-Offizier war das Glück günstiger gewesen.«

»Er verteidigte mich auf der Brücke gegen den rasenden Pöbel, ich habe es nicht vergessen. Ich kenne die näheren, seltsamen Umstände unserer Rettung nicht, aber ich weiß, daß Sie daran Teil haben und danke Ihnen nachträglich dafür.«

»Altezza sind so gütig.«

»Sie werden begreifen,« fuhr die Herzogin fort, »daß ich einigen Anteil an dem Schicksal des Schweizer-Offiziers nehme. Ich glaubte ihn tot oder entflohen. Einige zufällige Worte, die ich soeben im Vorübergehen vernahm, haben aufs neue mein Interesse geweckt. Sie werden mir einen Dienst erweisen, Mylord, wenn Sie mir sagen wollen, was Sie davon wissen.«

»Signor Stämpfli, Altezza,« berichtete der Brite, »ist auf eine etwas seltsame Weise aus der Freistätte verschwunden, die ihm ein mir befreundeter Künstler gewährt. Man hat ihn erst seit dem Beginn der Belagerung wieder erscheinen sehen in Begleitung einer berüchtigten Dirne, die man die Venus von Rom nennt.«

Die Herzogin zuckte zusammen, das Spiel ihres Fächers verbarg dem scharfen Beobachter wie zufällig ihr Gesicht.

»Beide waren bei dem Sturm auf Corsini. Der Schweizer ist dort bei der Rettung einer barmherzigen Schwester zweimal verwundet worden. Beide, die Nonne und ihr Ritter, befinden sich im Hospital von San Pietro in Montorio. Die Riesenkraft des Schweizers hat ihn seiner Wunden nicht achten lassen, er bewacht die Zelle der sterbenden Schwester mit Meister Michele, dem Maler, wie ein Heiligtum!«

Die Herzogin dachte einen Augenblick nach. »Kann man diesen Abend oder diese Nacht ohne Gefahr das Hospital besuchen?«

»Das Bombardement hat aufgehört; wenn Sie nicht etwa einen Angriff der Franzosen auf die Villa Spada fürchten, Altezza, wüßte ich nicht, was dem entgegenstände! Die Fürstin Belgioso besucht täglich auch jene Spitäler und die Werke.«

»Wie kommen Sie darauf, Mylord, daß ich einen Überfall der Franzosen fürchten soll?«

»Bah! es war eine bloße Meinung.«

»Es ist so wenig Wahrscheinlichkeit für einen Angriff vorhanden, daß ich General Garibaldi erwarte. Er wird mit seiner Gattin und den Herren der Regierung hier eine Zusammenkunft haben. Wie ich sehe, sind die Signori Saffi und Armellini und der Kriegsminister soeben in die Salons getreten. In welchem Teil von San Pietro liegt die Nonne?«

»In einer ehemaligen Kapelle oder Sakristei, die an das nördliche Schiff der Kirche stößt, der Villa Spada gegenüber. Ihre Tertullia wird heute interessant, Altezza!«

»Ich denke es!« Der Ton der Dame hatte etwas Lauerndes, Bedeutungsvolles, als sie dies sagte, aber der Engländer schien nicht darauf zu achten, und ebensowenig auf den fragenden Blick, den sie dem alten grauköpfigen Diener zuwarf, der soeben mit einer demütigen Verbeugung am Eingang des Klosetts erschien.

Die schöne Herzogin hatte sich erhoben. »Ich danke Ihnen, Mylord, und bitte Sie, zur Gesellschaft zurückzukehren; ich habe nur noch einige häusliche Anordnungen für so willkommene Gäste zu treffen.«

Der Viscount verließ das Klosett, in einer Entfernung von drei oder vier Schritt vom Eingang blieb er im gleichgültigen Gespräch mit einem römischen Nobile stehen.

Der alte Diener hatte sich der Herzogin genähert.

»Ist alles bereit?«

»Ja, Altezza, sie sind soeben gekommen; ich habe sie durch den geheimen Gang und den Garten geführt. Der Signor Conte ist bei ihnen.«

»Sie – wen meinst Du?«

»Es sind ihrer zwei diesmal. Der eine verlangt auch Altezza zu sprechen, er hat mir dies für Sie gegeben.«

Die Dame nahm das kleine Paket und öffnete es rasch. »Bei allen Heiligen! das ist der Familienring der Feretti. Von Seiner Heiligkeit selbst!«

Der Diener machte demütig das Zeichen der Segnung. »Gott schütze unsere heilige Kirche und ihr sichtbares Oberhaupt.«

»Wo ist mein Gemahl, der Herzog?«

»Altezza sind wie gewöhnlich in ihrem Zimmer; er jammert und klagt und spielt mit den Hunden.«

»Das ist kein Augenblick zur kindischen Schwäche. Sage, ich lasse ihn bitten! nein, ich lasse ihm befehlen, sogleich in der Gesellschaft zu erscheinen. Laß Eis und Champagner im Überfluß reichen, damit man nichts vermißt. Noch eines, Marco! Um 11 Uhr meine Sänfte an die zweite Gartenthür des Vatikans. Laß vier vertraute Diener bereit sein, die kräftigsten, die Du finden kannst, und wohl bewaffnet. Sie sollen sich mit Stricken und einem Knebel versehen.«

Der Alte schien gewohnt, blindlings die Befehle zu erfüllen. Er verbeugte sich schweigend.

»Nun geh' und sage dem Grafen, er möge sich bereit halten. Ich werde sogleich den Minister benachrichtigen.«

Die Herzogin trat in den nächsten Salon, das kalte, apathische Auge des Lords folgte dem alten Kammerdiener, als er sich durch die Gruppen wand und in einer Seitenthür verschwand, und begleitete dann die Dame, wie sie rechts und links sich leicht in die Unterhaltung mischte und die Neuigkeiten des Tages sich erzählen ließ. Der Kriegsminister Avezzano war zu ihr getreten.

»Die Bürgerin Ricasoli möge mir erlauben, ihr meine Huldigung darzubringen,« sagte er galant, der Dame die Hand küssend. »Wie könnte Rom seine Leiden ertragen, wenn nicht schöne Frauen sie teilten!«

Die Herzogin hatte mit raschem Blick die Gesellschaft überflogen.

»Wo ist Signor Mazzini?«

»Er arbeitet mit den Sekretären. Wir sind sicher vor ihm. Wissen Sie, daß Garibaldi droht, einen Aufruf ans Volk zu erlassen, wenn wir uns seinem Willen nicht fügen?«

»Man muß ihm zuvorkommen. Es ist alles bereit, Excellenza, der Unterhändler ist eingetroffen und erwartet Sie.«

»Das ist mir lieb; die gemäßigte Partei ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Madame. Aber es wird schwer sein, sich unbemerkt zu entfernen.«

»Ich werde für die Gelegenheit sorgen. Unser Gefangener wird Sie führen. Nur fürchte ich, wird es Aufmerksamkeit erregen, wenn die Signori Saffi und Armellini beide mit Ihnen abwesend sind.

»Armellini wird genügen. Geben Sie ihm einen Wink; Saffi stimmt ihm in allem zu, und Mazzini selbst scheint jede Hoffnung aufgegeben zu haben.«

»Da kommt bereits die Gelegenheit. Fordern Sie ein Gemach, um die Depeschen zu expedieren.«

Der Kammerdiener der Herzogin war wieder eingetreten und näherte sich dem Minister mit zwei Briefen in der Hand. »Ein Offizier hat dies gebracht, Bürger-General und wartet auf Antwort.«

Der Minister öffnete die Depeschen und überflog sie rasch. »Nichts von Bedeutung, Signori,« sagte er zu dem neugierig sich nähernden Kreise, »es erfordert aber einige sofortige Ordres. Sie haben wohl die Güte, Bürgerin Riccasoli, mir einen Ort anweisen zu lassen, wo ich einige Zeilen schreiben kann.«

Die Dame verbeugte sich. »Mit Vergnügen, Bürger-General! mein Kammerdiener wird Sie in mein Kabinett führen.«

Der Minister entfernte sich; gleich darauf, nachdem er sich mit seinen Kollegen besprochen, folgte ihm das Mitglied des Triumvirats.

Die Fürstin Belgioso war soeben eingetreten, mit ihr Aniella Crousa, die treue und hochherzige Gattin des kühnen Verteidigers von Rom, die bisher in der bedrängten Stadt ein sehr eingezogenes, nur der Sorge für die Kranken und Verwundeten gewidmetes Leben geführt hatte. Seit mehreren Tagen hatte sie selbst ihren Gemahl nicht gesehen, da der General die Linien keinen Augenblick verlassen und die wenigen Stunden der Ruhe in einem aus Lanzen und Decken improvisierten Zelt an der Pino-Batterie zugebracht hatte. Sein bestimmtes Verbot hielt sie von der Trastevere entfernt, so sehr ihr mutiges Herz auch nach dem Kampfplatz drängte.

Als die Wirtin des Hauses den Damen entgegenging, begegnete sie dem Grafen Montboisier, dem Gefangenen vom Corsini, der auf sein Ehrenwort hin von den römischen Machthabern jede gesellschaftliche Freiheit genoß.

Der Legitimist aus dem Faubourg St. Germain war in dem Getümmel des Angriffs, das nach dem famosen Schlag des tollen Mönchs über ihn hinwegging, arg zugerichtet worden und erst seit kurzem wieder von den vielen Wunden und Quetschungen geheilt. Sein sonst so sorgfältig gepflegtes Gesicht war von mehreren Narben entstellt, der Hufschlag eines Pferdes hatte ihn so scharf getroffen, daß noch eine leichte Lähmung des Fußes zurückgeblieben war.

Der Graf warf der Herzogin einen bedeutsamen Blick zu und neigte leicht den Kopf.

Sie blieb einen Augenblick bei ihm stehen. »Halten Sie sich bereit, mich um 11 Uhr zu begleiten,« flüsterte sie, im nächsten Augenblick bewillkommnete sie die Fürstin Aniella und Garibaldi.

Der Major, der vorhin von der Erscheinung der Courtisane erzählt hatte, stand jetzt am Büffett und sprach dem Champagner zu. » Per bacco,« sagte er lachend, »es lebe der Vatikan und sein Keller! Man kann nicht sagen, daß die Herren Franzosen uns schlecht bedienen, am Tage mit warmen Kugeln, am Abend mit kaltem Champagner.«

»Die Rache ist ein Gericht, das kalt genossen werden muß!« sagte eine tiefe Stimme neben ihm.

» Demonio! wenn ich nicht irre, hat der treulose Napoleonide selbst den Ausspruch gethan!«

»Er soll es an sich erfahren. Haben Sie das Zeichen, Ghirlandi?«

»Welches?«

Der Fragende strich rasch mit dem Daumen der linken Hand zweimal von der Stirn zur Brust. Er war ein Mann von etwa 40 Jahren, von kleiner Gestalt, mager und braun.

»Hat der Präsident des Bundes Ihnen den Ruf zugehen lassen?«

»Ich war den ganzen Tag im Gefecht und habe den Diktator nicht gesehen, Major Pierri

Der ehemalige römische Mützen-Fabrikant wiederholte das Zeichen. »Die Boten sind in diesem Augenblick im Lager, die Brüder aufzusuchen,« sagte er. »Sie dürfen nicht fehlen!«

»Wann versammelt sich der Bund?«

»Wenn die Glocke elf geschlagen, zum Gericht!«

»Und wo?«

»In San Pietro in Montorio!«

Der Offizier stürzte ein Glas Champagner hinunter. »Ich kenne meine Pflicht und werde da sein. Aber, per bacco! die Brüder des Dolches hätten eine bessere Zeit wählen können, als nach den Strapazen dieses Tages?«

Die Augen des kleinen Mannes funkelten in wildem Fanatismus. »Wehe den Lässigen! Tod den Treulosen!« Seine Blicke suchten ein neues Opfer in der Menge, und er verschwand.


In einem nur schwach erleuchteten Gemach, an der hinteren Seite des Pavillons, waren vier Männer in ernstem Gespräch versammelt.

Drei davon saßen um einen Tisch, der vierte lehnte, als spiele er eine untergeordnete oder besondere Rolle, in einiger Entfernung am Diwan des Gemachs. Dieser Mann war von kleiner Figur und trug eine einfache bürgerliche Tracht, ein dunkler kurzer Mantel lag auf dem Diwan.

Eine schwarze, durch einen langen Seitenbart verlängerte Maske, verbarg sein Gesicht.

Die drei an dem Tisch waren der Kriegsminister der römischen Republik, der Triumvir Armellini und ein hochgewachsener Franzose von soldatischem Aussehen.

Er trug einen einfachen Uniformrock ohne Abzeichen, im Ledergurt, der um den Leib geschnallt, kurze Pistolen. Der graue Mantel der Manaraschen Bersaglieri nebst dem Hut mit der grünen Feder war nachlässig zu Boden geworfen.

Auf dem Tisch lagen einige Papiere und der Plan von Rom.

»Sie wissen besser als ich, General,« sagte der Fremde, »daß die Stadt sich keine drei Tage mehr halten kann. Sie wäre längst in unserer Gewalt, wenn wir hätten Ernst machen wollen. Der Herzog hatte Truppen genug, um ihnen das Wasser und die Zufuhr abzuschneiden.«

»Wir können die Tiberlinie wählen, wenn Trastevere verloren,« sagte der Triumvir.

»Das beabsichtigte Garibaldi, wir wissen es. Aber lassen Sie sich von Ihrem Herrn Kollegen belehren, Signor, daß der Angriff dann auf einer andern Seite der Stadt erfolgen wird, die wir bis dahin sorgfältig geschont haben.«

»So bleibt uns der Weg in die Legationen offen.«

»Ancona ist in den Händen der Österreicher, Bologna verloren. An der südlichen Grenze stehen die spanisch-neapolitanischen Truppen. Nur der Wunsch, die Stadt zu schonen und nicht gezwungen zu sein, unerbittliche Strenge gegen Sie alle obwalten zu lassen, bewegt den Herzog zur Wiederholung seiner Vorschläge.«

Der Kriegsminister hatte bisher nicht gesprochen. Sein unentschlossener Charakter war bekannt und hatte viel zum unglücklichen Ausgang der Belagerung beigetragen. »Signor Armellini hat Recht,« sagte er. »Ist auch Rom verloren, so sind wir doch stark genug, um uns nach einem festeren Punkt zurückzuziehen.«

»Das ist der Plan Garibaldis, der Ihnen gestern vorgelegt worden ist; wir sind vollkommen davon unterrichtet. Er verlangt, daß man mit allen Schätzen, welche die Stadt enthält, nach der vollständigen Beraubung der Kirchen und Klöster sich in die Gebirge wirft und an einem andern Ort die Regierung proklamiert. Der Plan ist kühn, aber unsinnig. Sie wissen das so gut wie ich. Ihr Spiel ist zu Ende, stürzen Sie Rom nicht ins Verderben, sondern nehmen Sie die Hand der Versöhnung, die Ihnen Ihr gesetzliches Oberhaupt durch unsere Vermittelung bietet.«

»Die Bedingungen sind hart!«

»Unbedingte Unterwerfung, dafür volle Amnestie.«

»Wer bürgt uns dafür?«

»Dieser Herr.« Der militärische Unterhändler wies auf den Mann in der Maske. »Er ist mit der Vollmacht Seiner Heiligkeit versehen. Der Vertrag wird unter der Garantie Frankreichs vollzogen werden. Eine genügende französische Besatzung in Rom wird die Aufrechterhaltung für beide Teile sichern.«

Der Mann in der Maske bewegte sich unruhig, als wolle er Einspruch thun.

»Sie wissen,« sagte der Unterhändler zu diesem, »daß dies die unabweisliche Bedingung ist. Frankreich kann eine Einmischung Österreichs oder Neapels nicht gestatten und die päpstliche Regierung bedarf eines starken Schutzes, denn es werden, selbst nach der Übergabe, bedenkliche Elemente genug in Rom bleiben. Dies, meine Herren, ist der Entwurf der öffentlichen Kapitulation; hier der geheime Vertrag, den Sie zu unterzeichnen haben.«

»Aber wenn Mazzini sich weigert?«

»Er ist zu sehr Politiker, um nicht einzusehen, daß nach der Überwältigung Sardiniens und Ober-Italiens hier nichts mehr zu machen ist. Überdies überstimmen Sie ihn.«

Die beiden Mitglieder der Regierung unterhielten sich einige Augenblicke flüsternd mit einander und verglichen die beiden Verträge.

»Sie haben uns überzeugt, mein Herr,« sagte der Minister, »und wir willigen ein. Wir haben gethan, was möglich war, und haben jetzt Pflichten gegen Rom, auch wenn wir unser eigenes Leben willig auf dem Altar des Vaterlandes opfern wollten. Aber ich fürchte, daß man uns des Verrats beschuldigen wird, die Verteidigung der Stadt aufgegeben zu haben, während nur die erste Linie in ihren Händen ist. General Garibaldi wird sich weigern, seine Stellung aufzugeben.«

»Eine Stunde, nachdem der unterzeichnete Vertrag in den Händen des Herzogs ist, wird die zweite Linie angegriffen und genommen werden. Fällt der General dabei, so sind Sie aller Verlegenheit quitt.«

»Im entgegengesetzten Fall wird er seine Zustimmung zur Übergabe verweigern, ich kenne ihn. Er wird das Volk zur Verteidigung aufrufen!«

»Das ist's, was vermieden werden muß. Es wird Ihre Aufgabe sein, ihn zu isolieren. Dem fait accompli der Kapitulation kann er nichts entgegensetzen. Deshalb ist es gut, daß man ihm nur diese untergeordnete Rolle in dem Kampf gegeben, von seiner Verwegenheit wäre alles zu erwarten gewesen. Er darf den Befehlen Rosellis zum Rückzug nicht ungehorsam werden, wenn die zweite Linie genommen ist.«

»Und wenn er sich weigert, von der Kapitulation Gebrauch zu machen?«

»So lassen Sie ihn ziehen! Er kann sich nur in die Gebirge wenden und dort erwarten ihn die Österreicher und Neapolitaner. Mag er mit ihnen fertig werden, wie er kann, meinetwegen Venedig erreichen, wenn es ihm glückt, wenn wir ihn nur hier los sind. General Roselli mag dafür sorgen, daß so wenig Truppen als möglich sich ihm anschließen. Der Herzog wird an den Obersten Manara schreiben, um ihm besondere Bedingungen anzubieten.«

Der Minister erhob sich. »So möge es denn geschehen. Europa sei unser Zeuge, daß wir nicht anders handeln können und die Ehre der Republik gewahrt haben, so lange es möglich war.«

Er nahm mit einem Seufzer, der etwas an theatralischen Effekt streifte, die Feder, die ihm der Franzose bot, ohne das leichte oder spöttische Lächeln desselben bei der Berufung auf das Urteil Europas zu beachten, und unterzeichnete den geheimen Vertrag.

Der Triumvir Armellini folgte und fügte zugleich den Namen seines Kollegen bei, der in den Salons zurückgeblieben.

Dann reichte er die Feder an den Unterhändler. »Wir haben nur die Vollmacht des Herrn Herzogs gesehen, Signor, aber wir kennen Ihren Namen noch nicht.«

Der Franzose hatte mit raschem Federstrich das Papier unterzeichnet und schob es dem Minister zu. Die Unterschrift lautete:

»Im Namen und in Vollmacht des Generals en chef der römischen Expedition Oudinot, Herzogs von Reggio,

General Graf Regnaud de St. Jean d'Angely

Der Minister verbeugte sich höflich. »Ich bedaure, General, nicht eher gewußt zu haben, daß ich mich in der Gesellschaft eines so ausgezeichneten Kriegers befunden. Unsere Verhandlungen wären gewiß rascher zu stande gekommen.«

Der französische Divisionär antwortete mit einer Verbeugung. »Dieser Herr hier hat die Vollmacht, im Namen Sr. Heiligkeit des Papstes zu unterzeichnen.«

Der Triumvir reichte selbst die Feder dem Verhüllten, unter dem er irgend einen der geistlichen Beamten des päpstlichen Hofes vermutete, aber er fuhr bestürzt zurück, als er die mit festen Zeichen hingeworfene Unterschrift las.

»Wie, Euer Eminenz selbst wagten sich nach Rom?«

Der Verhüllte hatte die Maske abgenommen, und das massive Kinn, das spöttische Gesicht mit den scharf geschnittenen Zügen und den rastlosen Augen des Kardinals Antonelli kamen zum Vorschein.

»Es ist nicht das erste Mal,« sagte er lächelnd, »daß ich in Rom bin, seit ich die Ehre hatte, von Ihnen verjagt zu werden. Aber das Inkognito ist unnötig, nachdem Sie unterzeichnet haben. Ich danke Ihnen im Namen Seiner Heiligkeit und werde Ihre Bereitwilligkeit nicht vergessen.«

»Sie mögen morgen die Verhandlungen eröffnen; man wird im Hauptquartier Ihren Bevollmächtigten das Original der Kapitulation vorlegen,« erklärte der Graf. »Es wird Zeit sein, daß wir aufbrechen, Eminenz.«

»Sie werden sicher durch unsere Posten kommen?«

»Wir besitzen die Mittel dazu.«

In diesem Augenblick klopfte es zweimal in Doppelschlag an die Thür, der Kardinal selbst öffnete sogleich.

Es war die Herzogin von Riccasoli, die eintrat.

»Verzeihen Sie, Signori, daß ich Sie unterbreche,« sagte die Dame, »aber die Abwesenheit des Herrn Ministers beginnt Aufmerksamkeit zu erregen, und man hat bereits nach ihm gefragt.

»Wir sind zu Ende, Madame,« sagte der Triumvir, »Rom verdankt Ihrem Beistand seine Rettung.«

»Und Seine Heiligkeit, Ihr Oheim, die Wiederherstellung seines weltlichen Regiments in der Hauptstadt der Christenheit,« fügte der Kardinal hinzu.

Die Herzogin hatte einen ziemlich erstaunten Blick auf den Kirchenfürsten geworfen, dessen Intrigue sie die Niederlage im Quirinal verdankte und den sie bisher zu ihren hartnäckigsten Gegner gezählt hatte; aber ein lächelnder Wink des Kardinals gab ihr die Versicherung, daß alles geändert, und sie wieder in voller Gunst sei. Der Kardinal näherte sich ihr und übergab ihr abseits ein kleines, mit seidenem Band gebundenes Paket – es waren die Briefe, die der Mascherato untergeschoben und deren Lektüre das Oberhaupt der Christenheit bei der Audienz im Quirinal am Tage der Ermordung des Grafen Rossi so gewaltig erbittert hatte.

»Nehmen Sie, Madonna, es ist ein Zeichen des Friedens. Se. Heiligkeit haben alles verziehen in Betracht Ihres für die gute Sache bewiesenen Eifers und schreiben Ihnen dieses selbst. Ihre Berichte und die des Herrn Grafen von Montboisier haben vorzügliche Dienste geleistet. Man erwartet im Hauptquartier mit Ungeduld heute die versprochenen Notizen und Zeichnungen der neuen Verteidigungs-Anstalten des Rebellen Garibaldi, um danach die Dispositionen zu treffen. Wenn Sie mir dieselben aushändigen wollen, so werden sie noch zeitig genug ankommen.«

Die Herzogin fuhr etwas betreten zurück. »Wie? man hat sie nicht erhalten? Wir haben sie bereits vor zwei Stunden auf dem gewöhnlichen Wege abgesandt!«

»Dann werden sie wahrscheinlich längst im Hauptquartier und nach unserer Entfernung angekommen sein. Ich hoffe, Ihnen recht bald offen meine Hochachtung bezeugen zu können.«

Die Dame beugte mit einem süßen Lächeln das zierliche Haupt, um seinen Segen zu empfangen und führte dann demütig seine Hand an ihre Lippen. »Ich bin glücklich, Euer Eminenz endlich zu meinen Freunden zu zählen und rechne auf Ihren Beistand.«

Der General Avazzano hatte indes mit dem französischen Divisionär noch einige Bestimmungen wegen der öffentlichen Kapitulation verabredet und war eben im Begriff sich zu entfernen, als die Herzogin ihn zurückrief.

»Einen Augenblick, Excellenza. Ich bitte um eine Gefälligkeit, einen Befehl von Ihrer Hand, der meine Leute die Posten im Trastevere passieren läßt und die Übergabe eines Kranken aus dem Lazarett an sie befiehlt.«

»Das wird kaum nötig sein, wenn Altezza sich für einen solchen interessieren, wird er froh genug sein, in bessere Pflege zu kommen.«

Die Herzogin hatte ihn zur Seite geführt. »Es ist eine Privatangelegenheit, der Kranke ist mein ehemaliger Diener und weiß um manche Geheimnisse. Er dürfte sich weigern, den Personen, die ich sende, zu folgen, und man würde Gewalt brauchen müssen, was auffallen könnte.«

Der Minister nickte vertraulich. »Ich verstehe; den Gefallen kann ich Ihnen leicht thun.« Er nahm aus seinem Portefeuille eine Passierkarte und schrieb einige Worte darauf. »Die Parole diesseits der Tiber ist ›La Plata!‹ Habe ich die Ehre, Sie zu der Gesellschaft zurückzuführen?«

»Ich nehme Ihren Arm, Excellenza. Es wird weniger auffallen, wenn Sie mit mir erscheinen. Leben Sie wohl, Signori, Marco und der Graf werden sogleich hier sein, um Sie durch den Vatikan zurück zu begleiten.«

Sie verließ mit dem Minister das Zimmer. Der Triumvir folgte.

Als der Kardinal und der französische General allein waren, wandte sich der Kirchenfürst zu dem Soldaten. »Sie ist eine gefährliche Intriguantin,« sagte er mit gedämpfter Stimme, »sie trägt nach beiden Seiten und hat das falsche Blut der Borgia. Es gab einen Augenblick, wo ich sie besiegte und ihr eine tiefe Beschämung bereitete, und die Borgias vergeben nie, sie sind am gefährlichsten, wenn sie das Lächeln auf ihren Lippen tragen. Ich werde mich hüten vor ihrer Rache. Auch dieser Verräter sind wir trotz ihrer Unterschrift nicht sicher. Erst wenn Garibaldi aus Rom ist, können wir uns Roms Herren nennen. Sie müssen deshalb den Rückweg ins Lager allein machen, General, ich werde mich im Garten des Vatikan von Ihnen trennen und Rom nicht eher verlassen, als bis es in Ihren Händen ist.«

»Aber setzen sich Euer Eminenz dabei nicht zu großen Gefahren aus?«

Der Kardinal lächelte spöttisch. »Ich kenne Rom, wie meinen Handschuh, und scheue keine Gefahr, wo es die Wiederherstellung der Macht der heiligen Kirche gilt. Seien Sie meinetwegen unbesorgt, General.«

Das Zeichen an der Thür verkündete, daß der Vertraute der Herzogin da sei, um sie abzuholen. Als er eintrat, hatte der Kardinal-Staatssekretär des päpstlichen Stuhls bereits sorgfältig die Maske wieder vorgenommen.


Die schöne und heroische Gattin Garibaldis saß neben der Fürstin Belgioso, einst Christine von Trivelgio, im Gespräch mit Lucian Bonaparte und mehreren Offizieren, Deputierten und Tonangebern des Klubs, als die Herzogin den General Avezzano wieder zur Gesellschaft führte.

»Der Bürger-Minister,« sagte sie lächelnd, »war mit seinen Depeschen so eifrig beschäftigt, daß ich wirklich Mühe hatte, ihn denselben zu entreißen. Die Republik ist ungalant und erkennt die Rechte der Frauen nicht an. Signora Garibaldi wird dies selbst erfahren haben.«

»Die Frau darf in dem Herzen des Mannes nur Anspruch haben auf den zweiten Platz,« erwiderte die schöne Kreolin mit einem leichten Seufzer, »der erste gehört seinem Vaterland und der Freiheit!«

»Das sind die Worte einer Heldin des Altertums, die Tugend einer Mutter der Gracchen, Signora,« lächelte die Herzogin, »aber wir sind arme Römerinnen des neunzehnten Jahrhunderts und schon zufrieden, wenn wir unsern Patriotismus in der Pflege unserer tapfern Verteidiger zeigen können, ohne den Schmerz und die Sorge zu verbergen, die wir für sie empfinden.«

»Und glauben Sie, Bürgerin,« sagte die Kreolin mit einem ernsten Blick auf die Spötterin, »daß Aniella Crousa weniger Liebe für ihren Gatten empfindet, weil ihr Äußeres nicht zeigt, daß jeder Kanonenschuß, der an ihr Ohr schlägt, mit tausend Ängsten ihr Herz trifft? – Der Frau des Tapfern gebührt es, sich tapfer zu zeigen!«

Wie sehr trotz der stolzen Sprache ihr Herz in weiblichem Empfinden schlug, zeigte jedoch schon der nächste Augenblick; denn als ihr Auge zufällig auf den Eingang des Salons fiel, sprang sie hastig und ohne Rücksicht auf die Umgebung empor und eilte der Thür zu.

»José! wo ist José, mein Gemahl?«

In der Thür des Salons stand in seinem schwarzen, zur Erde wallenden Mantel und dem roten Turban der riesige Neger des Generals, sein unzertrennlicher Begleiter, der ihn niemals verließ.

Ein rascher Blick hatte die liebende Frau überzeugt, daß der Schwarze allein war.

Tödliche Blässe überflog das Gesicht der jungen Frau, ihre Hand griff krampfhaft nach der Lehne des nächsten Sessels.

» Santa Virgen, La Muerte, was ist geschehen – der General …«

Die Sennora hatte unwillkürlich sich der Sprache ihrer Heimat, des Portugiesischen bedient. Der Schwarze antwortete ihr in derselben Weise.

» Filhinha ruhig sein, nix gescheh'n dem großen General! Bei den Gebeunen Deines Vaders! Alles gut! Der General schicken La Muerte, sein Herzblatt zu holen, weil er nicht selbst kommen kann, denn er sein das Leben von tausend Leben!«

Die Dame faltete mit einem dankenden Blick zum Himmel die Hände über die Brust. »Du hättest ihn dennoch nicht verlassen sollen, La Muerte, Du weißt, was Du mir geschworen, und jeder andere Bote hätte den Bescheid ausrichten können. Wo ist mein Gatte, Dein Herr?«

»Der große General sein in seinem Zelt. Er erwarten die Senhora, um sie zu sehen vor dem großen Kampf!«

»Großer Gott, so steht ein neues Blutvergießen bevor? La Muerte, Du wirst ihn beschützen!«

»Der schwarze Nigger wird sterben für den Mann, den der Lübling seiner Seele gewählt. Die Stunden La Muertes sind gezählt, darum hat er den Auftrag übernommen, um vorher noch zu sprechen mit dem Stern seines Auges!«

»Was redest Du für Dinge? sprich nicht so, Du betrübst Aniella!«

Der riesenhafte Mohr senkte das Haupt. »Der große Obi ist dem Sohn von hundert schwarzen Königen erschienen in der vergangenen Nacht. La Muerte hat in den feuersprühenden Wolken den Pardo gesehen, Kind, den er im Diamantenthal hat das Fleisch nagen schauen von Gliedern seinigen, weil er getötet hat kleine Piccaniny von Herrin sein.«

»Unglücklicher! woran erinnerst Du mich!«

»Der Pardo fluchen dem Mohren, aber kleine Piccaniny schauen aus den Wolken und rufen ihn zu sich. La Muerte muß gehen, damit er das Piccaniny wartet, wenn seine Mutter kommt.«

Die Sennora schüttelte unwillig das Haupt, sie dachte, daß der Neger eine jener Visionen habe, an denen er wiederholt litt seit dem Tage, da er in Montevideo ihr die Überreste ihres Kindes überbracht, ohne doch etwas Näheres über das Schicksal desselben mitteilen zu wollen.

»Wenn mein Gemahl mich zu sehen wünscht, so muß ich eilen, ihm zu gehorchen. Hast Du einen Vetturin mitgebracht?«

»Das Pferd der Filhinha steht vor der Thür. La Muerte wird begleiten sein Kind!«

Die Kreolin wandte sich zu der Gesellschaft, die sich neugierig um das Gespräch gesammelt hatte. »General Garibaldi, mein Gatte,« sagte sie entschuldigend, »ist verhindert, zu erscheinen und beruft mich zu sich. Ich sage Ihnen Lebewohl, Bürgerin Riccasoli, und meinen Dank für den freundlichen Empfang.«

Mehrere Offiziere erboten sich sofort, sie zu begleiten, aber die Kreolin lehnte es lächelnd ab. »Ich denke,« sagte sie, »es ist niemand in dieser Stadt, der der Gattin Giuseppe Garibaldis das Geringste zu Leide thun würde, und Aniella Crousa kennt nach ihrem Gemahl keinen Menschen, dem sie mehr vertrauen könnte, als diesem Mann, unter dessen schwarzer Haut ein Herz voll Treue schlägt!«

Sie reichte dem Neger die Hand und verließ mit ihm den Pavillon.


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