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Viertes Kapitel.
Spreu und Weizen.

Was der Subprior Uttmann vermutet, bestätigte sich: der Mann aus dem Meierhofe pflegte den Frater Swob ebenso gut wie Zeisig. Dieser brauchte nur das Heilkraut und sonstige Mittel zur Genesung zu beschaffen; im übrigen war seine beständige Anwesenheit im Kloster nicht mehr vonnöten.

Gegen den Tod ist aber kein Kraut gewachsen. Zeisig mochte noch so eifrig Mischungen auf Mischungen seiner Tinkturen und Abkochungen vornehmen, es half alles nichts mehr, selbst der Stadtbader nicht. Das Frühjahr 1527 schloß dem Kranken die Augen für immer. In den Grüften unter dem Klosterdome ward er feierlich bestattet, in den Herzen der Fratres nimmer vergessen.

»Es geht einer nach dem andern dahin!« hatte Gottschalk betrübt zu Markus gesagt, nicht ahnend, daß sich dieses Wort nach einigen Jahren in verstärktem Maße erfüllen sollte.

Im Meierhof lag Runge, der Förster, krank danieder. Gottschalk stieg hinab, ihm Zuspruch zu spenden. Es ging besser mit dem Kranken; dessen starke Natur allein half über die Gebresten hinweg. Zeisigs Kunst bewährte sich hier nicht, trotz der lateinischen Floskeln, die er dem Förster mit der Medizin zu schmecken gab, sobald kein Sachverständiger zugegen. Das mochte den Kräutermann wohl ebenso verdrossen haben, wie die verleumderische Tat Wünschs und Hübners im vorigen Jahre. Mürrisch und verstimmt saß er vor der Meierei und achtete nicht des Spieles der Kinder, so dem Geschlechte der Runge angehörten. Kleine Kinder lenken wie oft widerhaarige Gedanken ab, und es muß schon schlimm um einen stehen, wenn dies Mittel nicht mehr verfängt. In der Hauptsache mochten es wohl auch Rachegedanken sein, die den Kräutermann annoch beschäftigten, und solche Gedanken sind in der Menschenbrust am zähesten.

Gottschalk trat aus dem Meierhof und fragte:

»Nun, Zeisig! du machst ja heut ein Gesicht wie sieben Meilen böser Weg! Bist doch sonst immer aufgeräumt!«

Zeisig hatte sich ehrerbietig erhoben, erwiderte aber nichts, bis Gottschalk weiter in ihn drang. Da sagte er's ihm: der Magister Heidenreich hätt zu ihm gesagt, er solle dem Wünsch und Hübner nichts Arges nachsinnen; denn es stünde geschrieben: »Liebet eure Feinde.« Das aber brächte er nicht zuwege. Darauf sagte Gottschalk:

»Und der Magister hat ganz recht! Denn es heißt auch ferner: » Segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch verfolgen.« Zeisig! du bist auf keinem guten Wege, so du dem nicht nachkommst und den bösen Feind in deinem Herzen nicht unterdrückst.«

»Ihr sagt also auch so, hochwürdiger Vater? Na, wenn's zween gelahrte Herren sagen, da muß ich's doch versuchen. Aber leicht ist's nit.«

»Glaub ich dir, Zeisig! aber sieh hierher auf diese Kleinen, wie harmlos und ohne Druck der Schuld sie spielen!« – Darauf faßte er ein zweijährig, goldlockig Knäblein, hob's in die Höhe und sagte:

»Schau mal in die blauen Augen dieses herzen Bübleins! schau recht tief hinein! – Findest du darin eine Spur von Arg und Falsch? – Nein? – Nun sieh, Zeisig! werde wie die Kinder!« Dann drückte er das Knäblein an die Brust, trug es auf dem Arme hin und her und konnte sich nicht satt sehen an des kleinen holder Einfalt im Angesicht. Zeisig schwieg; darum fuhr Gottschalk fort:

»Wenn du dereinst vor Gottes Richterstuhle stehest und es wird dir vorgehalten, was alles du gesündiget wider den Herrn, da entschuldige dich nur nicht etwan, daß du sagest: ›Herr Gott, ich hab's nicht gewußt!‹ Denn da wird dir der Herrgott antworten: ›Zeisig, du fauler Knecht! warum lasse ich der Kindlein so viele herumlaufen aller Orten, als nur, daß die Großen jeden Tag erinnert werden, sie sollen's machen wie die Kinder.‹ – Dann kannst du weiter nichts antworten als: ›Ja, Herr Gott! ich hab der Kindlein Vorbild immerdar vor mir gesehen; ich hab aber nimmer gewollt!‹ Darauf herzte er den Kleinen und der gelehrte Herr spielte mit den Kindern, als wäre er ihrer eins.

Zeisig schlich beschämt von dannen. Er mußte zur Stadt. Auf dem Wege dahin bewegte er Heidenreichs und Gottschalks Worte in der Brust. Es leuchtete ihm die Wahrheit vollständig ein; mußte es doch so sein, wenn ein Evangelischer und Katholischer ein und dasselbe sagten. Das stimmte ihn friedlich. Stimmung aber, wenn nicht die Tat darauf folgt, ist ein gar flüchtig Ding.

Zeisig war bisher jeder Begegnung mit Hübner um der Versuchung willen ausgewichen. Heute hielt er sich für standhaft, mußte aber bald inne werden, daß er den Teufel an die Wand gemalt. Als er an dem Hause Hübners vorüberkam, sah er diesen in seiner Schreibstube im Erdgestock sitzen. Da zuckte in ihm der Rache Lust wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sollte er hineingehen, dem Feinde eins zu versetzen? Seine Faust ballte sich; er tat drei Schritte vor, der Haustüre zu. Ein kleines Mägdlein kam vorüber, das schaute ihn mit unschuldigen Augen an. Da tat er die drei Schritte wieder zurück; es begann ein heftiges Ringen des Guten mit dem Bösen und dieses hub in seinem Innern zu rufen an: »Wenn es nach dem da gegangen wäre, so fräßen jetzt die Raben an deinem Leibe am Galgen!« – Das trieb ihn abermals zur Haustüre. Ein ander Kindlein stand dort; das mochte sich wohl fürchten vor dem grimmigen Blicke Zeisigs, denn es hob die Händchen empor und sagte: »Bitte, bitte, tu mir nichts!«

Das schnitt dem Kräutermann durch die Seele. Er wendete sich zum Weitergehen, nur einen flüchtigen Blick warf er nach Hübners Fenster. Da bemerkte er in dessen Antlitz ein hämisch-höhnisches Lächeln. Das war zu viel. Wie bei der Entstehung der Gebirge um den Oybinfelsen es gekracht, gezischt und gerauscht haben mag, so wogte es in Zeisigs Brust in wildem Kampfe hin und her. Das Kind floh; Zeisig aber trat ins Haus. An der Stubentür hielt ihn nur noch die praktische Mahnung fest: Wenn's herauskommt, wirst du in dasselbe Loch gesteckt, wo du schon früher unschuldig gesessen. Schon fügte eine andere Stimme hinzu: diesmal aber schuldig.

Es ist etwas Gräuliches um die Rachelust; nicht das Verbot – die Unausführbarkeit wiegt sie vielfach in Schlummer. Sobald sich aber eine passende Gelegenheit findet, wacht sie auf und wächst riesengroß. Solche Gelegenheit bot sich hier durch einen pfiffigen Gedanken den Zeisig gierig faßte. Er eilte hinein, verschloß vor dem erschrockenen Hübner die Nebenstube, allwo dieser der Schreiber drei beschäftigte, und prügelte den vor feiger Angst stumm gewordenen Wucherer unbarmherzig durch. Dabei schrie er, als ob er von Hübner geschlagen würde: »Au weh! Au! Hilfe, Hilfe! Hübner will mir ans Leben!« – – Dann sprang er mit zwei Sätzen hinaus auf die Gasse, von da in eine Nebengasse, allwo er in dem Hause eines Gefreundeten verschwand. Dort wurde ihm sehr leicht ums irdische Herz; die lang gehegte Rache war befriedigt.

Hübner ging alsogleich ins Rathaus und verklagte den Zeisig. Weil nun aber im Gefolge des Bösen neues Böses entsteht, d. h. weil Zeisig hartnäckig log und behauptete, Hübner habe ihn geprügelt; – weil ferner die drei Schreiber einmütig aussagten, das müsse schon so sein, denn Zeisig hätte jämmerlich geschrien; weil endlich der Rat dem Hübner aus guten Gründen nicht gewogen war und seine vorjährigen Aussagen gegen Zeisig in der Brandangelegenheit mehr als Verleumdung denn als Irrtum auffaßte, so konnte Hübner nichts machen. Zeisig wurde nicht bestraft. Über so günstiges Gelingen erfreut, plante er ein ähnliches Abstrafen des Wünsch und rieb sich vergnügt die Hände. Aber von der Zeit an konnte er dem Heidenreich und Gottschalk nicht mehr gerade in die Augen schauen; auch kam es ihm vor, als ob alle kleinen Kinder vor ihm ein betrübt Gesicht zögen.

Die Zeiten waren viel zu bewegt, als daß dies kleine Ereignis hätte ein besonder Aufsehen erregen können. Ins Kloster drang die Kunde hiervon nicht, und in der Stadt hatte man anderes zu tun. Die weiteren Forschungen nach des großen Brandes Urheber forderten noch immer und um so mehr Aufmerksamkeit, als die Eigner der zerstörten 27 Häuser gar sehr um ihr Hab und Gut barmten; es verlangte sie nach Ersatz und Sühne. Diese erhielten sie denn auch, aber erst im nächsten Jahre, als der Herbst schon die Blätter gelb färbte.

An einem solchen Herbsttage wanderte Zeisig über Hirschfelde in das enge, schattige Reißetal; dort fand sich wohl, was ihm an Kräutern die Dürre des Sommers in den Bergen hatte vertrocknen lassen; aber das, was die in seiner Brust nach der Rache Befriedigung entstandene Dürre zerstört, fand sich nicht wieder: sein lustiger Pfiff. Zudem war ihm das grüne Wams leidig geworben; statt dessen trug er einen dunklen Rock, und den hatte ihm der Klosterschneider zu eng gemacht, also, daß sich auch sein Leib unbehaglich fühlte.

Stumm trat er ins Tal ein, dessen Enge hinter Hirschfelde nur für den Fluß und einen schmalen Pfad Raum läßt. Von da ging's hinauf zur alten verfallenen Feste Rohnau, so die handfesten Bürger der Stadt ob der Ritter Raublust dereinst berannt und verbrannt hatten. »Die Burgen der Oberlausitz«; von A. Moschkau. Am alten Gemäuer fand er, was er suchte. Dann stieg er auf weichem Moose hinab ins menschenleere, wilde Neißetal. Das hörte niemand; aber Zeisig hörte was, Worte, die ihm das Blut stocken machten. Ein Felsblock, deren viele am Flußrande liegen, verbarg ihn. Von hier aus vernahm er ein Zwiegespräch von Männern. Die heisere Stimme des einen kam unbedingt aus Hübners Mund; die andere kannte er nicht.

»– und das ist frech von Euch,« sagte Hübner. »Ihr habt schon groß Geld bekommen wie's abgemacht war und fordert noch mehr!«

»'s hat nit gelangt,« antwortete der andere; »und 's war auch wenig genug. Die Gefahr, daß sie mich erwischten, war gar groß; sie saßen mir feste auf den Hacken.«

»Ihr habt's dafür dumm angedreht. Ihr solltet nur zwei Häuser angokeln und nun hattet Ihr ein Höllenfeuer angezünd't, daß an die dreißig Häuser verbrannten und manch Stück Vieh und ein Mensch. – Das grüne Wams habt Ihr doch verbrannt?«

»In die Neiße hier hab' ich's geworfen.«

Nach kurzer Pause sagte die erste Stimme wieder:

»Ich will Euch noch zehn Gülden geben; dann ist's aber aus und so Ihr noch einmal frech drängt, laß ich Euch fangen und einen Kopf kürzer machen – – – – Stille, stille! das ist Getratsch! – Mir glauben sie; Ihr aber seid als ein Landstreicher bekannt.« – – –

Zeisig hörte nichts mehr; die Männer mußten sich getrennt haben. Vorsichtig lugte er hervor; von Hübner war nichts mehr zu sehen. Der andere schritt am Flusse hin; den holte er bald ein. Nach landesüblichem Gruße spann Zeisig ein Gespräch an, das wurde fortgesetzt, bis beide am Kloster Marienthal anlangten, so noch heute der Nonnen etliche in sich birgt. Dort lud er den Mann ein, in der Klosterschänke mit ihm eins zu trinken, wiewohl ihn dessen ruppiges Aussehen mit der langen Schmarre anwiderte.

Zeisig kannte den Schänkwirt gar gut; ihm teilte er im geheimen das Vorgefallene hastig mit. Nach kurzer Zeit traten drei stämmige Klosterknechte ein und banden den Kerl mit festen Stricken, wie dieser sich auch wehren mochte. Darauf erstatteten der Wirt und Zeisig dem Klostervogte Bericht. Der fragte die Äbtissin, was mit jenem Menschen zu tun sei, denn es schwebte noch ein Streit zwischen der Äbtissin und der Stadt Zittau über die Obergerichte. Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister Jene aber sagte:

»Man überliefre den Mann der Stadt Zittau; wir sind gewillt, uns mit dem Magistrate gütlich zu vergleichen.«

Anderen Tages saß der Brandstifter gefesselt in einer dunklen Zelle des Stadtgefängnisses; in einer anderen der alsbald verhaftete Hübner. Der mochte leugnen so viel er wollte, es half ihm nichts. Die Aussagen Zeisigs stimmten genau mit dem Geständnisse des Brandstifters überein. Die Untersuchung war in vollem Gange.

Die Neiße ist ein gar reißender Fluß; hart vor dem Kloster Marienthal wird er aber gestaut durch ein groß Wehr, so das Wasser nach der Klostermühle drücken soll. Darum steht das Wasser vor diesem Wehre und darum fand man auch dort im Ufergestrüpp ein schlammig Wams, so sich nach etlicher Reinigung als ein zeisiggrünes ergab. Als der Kräutermann später wiederum dort Pflanzen suchen ging, glaubte er, das Wams könne von Nutzen sein. Er gab dem Finder einen Lohn und nahm's mit gen Zittau. Ob dieser indica facti war der Richter erfreut und sagte: »Nun erklärt sich mir alles!«

Noch ein Paar Daumenschrauben und Hübner legte noch vor Jahresschluß ein voll Geständnis ab. Daraus ergab sich: daß Hübner die Bauplätze der bewußten zwei Häuser gern haben gewollt um einen Schundpreis, wozu die Aussagen von deren Besitzern, daß er sie derhalb oft gedrückt, wohl paßten. Jenem Kerl habe er Geld gegeben, die Häuser anzugokeln. Ihn habe er in ein hellgrün Wams gesteckt, auf daß die Leute in der Nacht Dunkelheit beim Feuerscheine denken sollten, Zeisig sei der Brandstifter gewesen. Hätt' auch derhalb viele Leute geflissentlich darauf aufmerksam gemacht. Der Anblick anderweiter Folterwerkzeuge preßte ihm auch das Geständnis heraus, daß er selbst noch etliche Pechkränze heimlich in die entstehende Flamme geworfen habe.

So kam denn alles an den Tag. Die Abgebrannten erhielten zum Ersatze Hübners reiches Hab und Gut und Zeisig einen Händedruck von manch einem wackeren Bürger.

Hierüber ward Hans Wünsch sehr erbost. Sein Erzfeind erntete Lob und hatte seinen Geschäftsfreund, wenn dieser auch ein Schurke war, ans Messer geliefert, also, daß ihm von nun an manche Gelegenheit zu Nebenverdiensten entzogen worden. Er sann auf eine neue Belästigung Zeisigs. Das gelang auch. Zu Ursula sagte er: Zeisig brächte auch giftige und verhexte Kräuter zur Stadt, und weil Ursula dem Zeisig ob des Durchprügelns ihres Lieblings nicht grün war, so ging sie darauf ein und bestimmte der Weiber etliche, auszutragen: der Zeisig brächte giftige und verhexte Kräuter zur Stadt. Da nun aber eines der Weiber in den Augen eines angesehenen Bürgers gar lieblich anzuschauen war, so sagte er dem zu Gefalle auch so aus. Das fand wiederum gar fruchtbaren Boden bei solchen Stadtleuten, die sich auch mit Kräutersuchen befaßten, denen Zeisig aus Brotneid schon längst ein Dorn im Auge gewesen. Solch Gebaren führte schließlich dahin, daß der Rat dem Zeisig verbot, Kräuter etwelcher Art innerhalb des Weichbildes der Stadt zum Kauf feil zu bieten.

Die ganze Sache war jedoch so dumm angelegt worden, daß Zeisig wohl erfuhr: der Wünsch habe alles angestiftet. Von Stund an begann der Rest der guten Saat Heidenreichs und Gottschalks, so sich noch in ihm erhalten hatte, zu verderben. Weg waren alle guten Vorsätze! Der alte Groll herrschte allein und sann giftig auf Vergeltung gegen Wünsch und Ursula, die ihm auf so ruchlose Art sein Einkommen verkümmert.

Hübner wurde zu Anfange des Jahres 1528 mit Zangen zerrissen und gevierteilt. Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister Der Mithelfer war entwischt.

Im Kloster auf'm Oybin nahm man nur flüchtig Notiz von dergleichen Vorkommnissen. Die eignen Geschäfte und Sorgen beunruhigten an sich schon genug. In Drausendorf, vor Hirschfelde gelegen, besaß das Kloster reiche Güter, so Kaiser Karl IV. anno 1369 ihm zugewiesen. Zwar schwebten diese nicht in Gefahr, wohl aber die Seelen der Dorfbewohner. Der Pfarrer allda war schon anno 27 verschwunden; niemand wußte wohin. Statt dessen hatte sich der Zittauer evangelische Pfarrer Michael Crolauff Moráwek: Dorfchronik unter »Drausendorf«, S. 14. dort niedergelassen, von Heidenreich und dem Magistrat unterstützt. Das hätt' kaum geschehen können, wenn nicht viele der Dorfbewohner selbst der neuen Lehre zugefallen wären, und sich so der geistlichen Pflege der Oybiner Väter entzogen hätten. Auch dieser Tropfen half den großen Stein Paraklets höhlen.

Darum ward Gottschalk beauftragt, nach jenem Dorfe zu wandern, zu sondieren, wie weit ein Abfall zu konstatieren sei, und bei dieser Gelegenheit ein Sondergeschäft im Zittauer Hospitale St. Jakobi zu erledigen. Der Bulle des hierzu gehörenden Wirtschaftshofes sollte gegen Klosterkühe eingetauscht werden.

Frühlings Anfang des Jahres 1528 hatte mehrere Tage hindurch strömenden Regen gebracht, der die Schneemassen des Gebirges schnell schmolz und die Flüsse füllte. Noch war die Straße durch Olbersdorf frei von Wasser. Zeisig stand an seiner Hütte und grüßte ehrerbietig den vorübergehenden Gottschalk. Dann rief er ihm nach, er möge ob der Wassergefahr zurückbleiben. Da aber Gottschalk auf der Wanderung beharrte, so bot sich der besorgte Zeisig an, ihn zu begleiten. Das nahm jener gern an; er wußte, daß des Kräutermannes Einkommen durch des Magistrates Einfuhrverbot sehr geschmälert war; daher er ihm zu verdienen geben wollte. Er sollte mitgehen, im Hospitalgute bezüglich des Bullen Nachfrage tun und die Antwort in den Väterhof bringen, allwo Gottschalk derselben harren wollte, ehe er die Wanderung nach Drausendorf antrat.

Nun sich beide der Stadt näherten, erkannte Gottschalk, wie recht Zeisig hatte. Der wilde Mandaufluß war ausgetreten, die Talwiesen entlang der Stadt bildeten einen großen See und die Flut Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister »Eine große Fluth, daß das Vieh im Hospital ersoffen.« wuchs immer mehr in rasender Hast, also, daß auch Gottschalk eilen mußte, trocknen Fußes in die Stadt zu gelangen. Im domus Paracleti harrte er einstweilen der Botschaft Zeisigs von wegen des Bullenhandels.

Es verrann Stunde auf Stunde; Zeisig kam nicht. Unwillig hierüber ging er selbst nach dem Hospitale. Der Grund des langen Ausbleibens erwies sich als ein triftiger.

Als Zeisig am Hospitalgute anlangte, war die Flut bereits so hoch gestiegen, daß die Viehställe unter Wasser standen. Darüber verlor das Gesinde schier den Kopf; es band die Tiere los und suchte sich selbst zu retten. Ochsen, Kühe und Kälber verließen brüllend den Stall, und weil das Rindvieh nicht übermäßig mit Verstand begabt, rannte es im Wasser fort, hinaus auf die anstoßenden, überschwemmten Wiesen, die altgewohnte Weide. Kaum hatte Zeisig dies gesehen, so jammerte ihn des armen unvernünftigen Viehes. Mutig watete er bis über die Knie ins Wasser und zerrte mit einem Stricke allmählich zwei Kühe, einen Ochsen und drei Kälber heraus. Der übrigen konnte er nicht mehr habhaft werden, die Flut wuchs in erschreckender Schnelle.

Als er die Tiere aufs Trockne gebracht, hörte er plötzlich durch alles Getöse einen markdurchdringenden Schrei. Er sah nach dem Ort, von wo er kam und erblickte den Väterhofschreiber Wünsch auf der Wiese, verzweifelnd ankämpfend gegen die mächtige Strömung.

Am Hospitale macht die Mandau einen jähen Bogen nach rechts, so daß die Fluten sich am linken Ufer und an der Gebäude Gemäuer aufstauen. Die Bögen der kurz oberhalb gelegenen Brücke waren zum Teil mit allerhand Zugeschwommenem verstopft; die Flut nahm derhalben vor der Brücke große Höhe an. Diese Erscheinung besah sich müßig der neugierige Wünsch vom Ufer aus. Da wurden plötzlich die Baumstämme, Bretter und andere Hindernisse durch die Brückenbögen gedrückt; gewaltige Wassermassen stürzten hervor, spülten den Wünsch vom Ufer weg und rissen ihn pfeilschnell in die Fluten auf den Wiesen. Dort schrie er laut, nachdem er einiges Wasser verschluckt.

Hier also stand der Erzfeind Zeisigs, dem Tode nahe; ein kurzer Kampf und er mußte ertrinken. Ein kurzer Kampf vollzog sich auch in Zeisigs Brust. Der Mann, der ihn verleumdet fast bis zum schmachvollen Tode am Galgen; der ihm seine Einkünfte verkümmert, daß er darben mußte; der ihm, wo er nur konnte, Haß und Schaden zufügte – den sollte er retten? – »Tut wohl denen, die euch verfolgen!« tönte in seinem Innern dagegen, »auch diesem!« – Was? dem Halunken, der Sabinen angetastet zween Male und mich verhöhnt? – »Segnet, die euch fluchen!« – Nimmermehr! fort mit solchem Gelichter! – – Er wendete der Flut den Rücken. Da packte ihn aber die Reue und ein groß Erbarmen über die Gefahr des sonst Verhaßten. Die Saat Gottschalks und Heidenreichs sproßte mächtig empor. Das alles ging viel schneller von statten, als sich's beschreiben läßt. Rasch entschlossen sprang Zeisig auf die Wiese zurück; das Wasser reichte ihm schon bis an die Brust. So schnell als möglich watete er dem Punkte zu, wo er Wünschen untersinken sah; den faßte er mit kräftiger Faust beim Schopfe und hob ihn empor. Krampfhaft klammerte sich der halb Bewußtlose an den Körper seines Retters an, also, daß dieser nur noch einen Arm frei behielt. Die Flut stieg immer höher, warf auch den Kräutermann samt seiner Last um und es schien, als seien beide verloren. Da raffte Zeisig die letzten Kräfte zusammen. Noch zwanzig Schritte mühevollen Anstemmens und er konnte den Wünsch aufs Trockne niederlegen.

In diesem Augenblicke war Gottschalk hinzugetreten; er hatte die letzten Anstrengungen im Wasser wohl bemerkt. Als Zeisig seiner gewahrte, stellte er sich triefend und außer Atem achtungsvoll vor ihm hin. Dieser aber legte seine Hände auf Zeisigs Achseln, sah ihm mit warmem Blicke ins Angesicht und sagte: »Ich weiß, was du getan nach kurzem Kampfe in deiner Brust, nach langem Kampf in der Flut! – Zeisig! das wird dir im Himmel wohl belohnet werden!«

Der Angeredete wurde rot; nun er Lob erhielt, schämte er sich der früheren Rachetat gegen Hübner, die er verschwiegen. Er wußte nicht, was er sagen sollte und erwiderte nur:

»Hochwürd'ger Vater – aber – der Bulle ist ersoffen!«

»Laß gut sein und komm mit in den Väterhof, sobald sich Wünsch hier erholt hat.«

Das geschah bald; der dankstammelnde Wünsch kroch ins Bette, Zeisig in trockne Kleider. Ursula brachte ihm, was Küche und Keller vermochte.

Das war Zeisigs Rache gegen Wünsch.

Man sollte meinen, mit dem höhern geistigen Aufschwunge, welchen Zeisig durch diese Tat gewonnen, hätte nun billig jedweder Stachel des Grolles auch gegen Ursula verschwinden müssen. Dies war auch der Fall; aber der Schalk, der in dem Kräutermann stak, trieb diesen an, der Gründlerin wenigstens ein lustig Schabernäcklein anzutun. Hierzu bot sich Gelegenheit, als die Herbstjagd ihre Beute in den Väterhof schickte. Dort lungerte Zeisig eines Abends im Hofe herum. Eine Stiege hoch, am Fenster der Speisekammer, hing ein fettes Häslein. Zeisig bemühte sich, selbiges mit einer Stange herunter zu angeln, um es dann auszuweiden und den mit Stroh ausgestopften Balg wieder hin zu hängen. Die Dunkelheit der sechsten Abendstunde ließ es ihm nicht gelingen, sintemalen der Hase an einem Mauerhaken festgebunden war. Da verstellte der Schelm seine Stimme zu der des Hans Wünsch und rief zum Fenster hinauf:

»Liebwerte Ursula Gründlerin!«

»Was gibt's denn, Hans?« fragte diese vom Fenster herab.

»Das Häslein dort an Eurem Fenster ist gar so feist; nehmt es herein, daß es nicht gestohlen werde.«

»Ihr habt recht, Wünsch«, antwortete Ursula und knüpfte den Hasen ab. Sowie aber Zeisig den Lampe in Händen der gläubigen Gründlerin schwebend sah, gab er ihr mit der Stange einen Klaps auf die Finger, also, daß die Getäuschte mit einem Schreckensrufe den Hasen fahren ließ. Das wollte der Schalk. Er raffte die Beute auf und trug sie zu seinem Gefreundeten auf die Bütnergasse, allwo er sich nach Hübners Durchprügelung dereinst versteckt gehabt. Dort stopfte er den Balg schleunigst mit Stroh aus und hängte den mit Blitzesschnelle wieder an den bewußten Haken. Darauf verspeiste er mit dem Genossen vorzüglich des fellberaubten Häsleins gebratenen Körper.

Ursula war naturgemäß sehr bös geworden. Zunächst begab sie sich auf den Hof. Als sie dort nach langem Suchen nichts fand, betrat sie Wünschs Stube und machte dem zärtliche Vorwürfe ob jenes Streiches. Hans wollte von nichts wissen, so daß es fast zu einem kleinen Bruch zwischen beiden gekommen wäre. Die Disputationes hierüber dauerten lange, dieweil sie um der Nähe willen des im Väterhofe nächtigenden Vaters Gottschalk im Flüstertone geführt werden mußten. Von dem wurden sie auch unterbrochen. Der Pater hieß der Ursula ein Mittel wider Leibschmerz aus dem Medizinladen zu holen, so man zu Ende des vorhergehenden Jahrhunderts eingerichtet hatte. Fast wäre sie bei der Rückkehr an Zeisig angerannt, als der nach dem Aufhängen des ausgestopften Balges aus dem Hofe trat.

Nunmehr begann der Streit ob des Hafens wieder von neuem. Wünsch ging mit ans Fenster und rief dort: »Da ist er ja!« Da gab sich Ursula zufrieden, drohte dem Wünsch mit dem Finger und sagte besänftigt: »Du loser lieber Schelm, was hast du mich erschreckt!«

Am folgenden Morgen freilich fand sie die Bescherung. Nunmehr überzeugt, daß Wünsch unschuldig, wollt' sie sich voll gerechten Zornes an Gottschalk wenden. Der aber war nicht zu sprechen. Das Mittel hatte nicht gewirkt, darum er nun der Tage etliche Bett und Zimmer hüten mußte. Derhalb ging sie zu hoher Obrigkeit und vermeldete allda den frechen Diebstahl.

Nun hatte aber das Verhängnis an dem Hause auf der Bütnergasse einen Ratswächter vorbeigeführt, gerade als jene beiden in dulci jubilo des Häsleins edelste Überreste verzehrten. Das jubilum und Häsleinsgeruch drangen bis auf die Gasse, also, daß der schnüffelnde Wächter schier verwundert wurde über solch üppig Leben in so kleinem Hause. Ursulas Anzeige brachte ihm dieses große Ereignis in Erinnerung; sein klarer Geist fand das Richtige. Zeisig ward geholt und abermals eingesteckt.

Wohl tat's nunmehr der Ursula leid. Hätt' sie gewußt, daß der Retter ihres Hans den Schabernack verübt – sie würde sicher ein Auge zugedrückt haben. Nun aber war's zu spät. Die heilige Hermandad läßt sich nicht so leicht was aus den Fingern rücken, und das mit Recht! – denn, wenn nun alle Häslein von den Fenstern so mir nichts dir nichts weggestohlen werden dürften – wann solle man dann noch Häslein essen?

Das leuchtete auch dem Richter ein. Einer großen Untersuchung und peinlichen Verhöres bedurfte es nicht erst; Zeisig hatte von vornherein alles rund heraus gestanden. Nun war man sich ob dieses besonderen Falles noch nicht klar, ob Zeisig geprügelt, gehängt, geköpft, gerädert oder gespießt werden sollte.

Als Ursula von so schrecklicher Aussicht gehört, drang sie voll Angst in Vater Gottschalks Zimmer ein; der mußte sie anhören und hörte sie auch. Trotz seines Leidens begab er sich mit dem annoch glaubenstreuen Ratsherrn Schönlein, der den Kranken besuchte, zum Bürgermeister. Dem erzählte er mit warmen Worten auch von Zeisigs edler Tat im Frühjahre. Das mit dem Hasen sei nur ein harmloser Schabernack gewesen, wie deren dem wunderlich lustigen Kräutermann zu Dutzenden im Kopfe herumspazierten.

Der Bürgermeister hatte das Herz auf dem rechten Flecke sitzen. Noch als Gottschalk zugegen, ließ er Zeisig kommen und fragte ihm die ganze Geschichte der Rettung ab; war doch Hospital und Vorwerk der Stadt Eigentum geworden, somit auch das gerettete Vieh.

»Wie viel Vieh hast du damals aus dem Wasser gezogen?« fragte er weiter. Zeisig antwortete:

»Zwei Kühe, einen Ochsen und vier Kälber.«

» Vier? Der hochwürdige Vater hier sprach nur von drei Kälbern.«

»Nu ja – – – ich hatt' den Hans Wünsch mit in Anschlag gebracht.«

Darum mußten beide hinter den Büchern lächeln. Zeisig kam sehr gelinde davon. Er erhielt einen scharfen Verweis, 10 Gülden und ein Schreiben hohen Magistrats. Erstres galt dem Hasen, das Geld der Viehrettung und das Schreiben enthielt in Anbetracht der mutigen Rettung des Hans Wünsch die Erlaubnis, hinfüro wieder Kräuter in das Weichbild der Stadt einführen zu dürfen, mit Ausnahme der giftigen.

So war Zeisig, wie manch einer noch in und um der Stadt, mit dem Herzen an den Oybin gekettet, mit dem Kopfe an die neue Lehre.

Das ist auch bis heutigen Tages bei den Leuten so geblieben.

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