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XX.
Magy's Naturphilosophie.

Bevor wir zu diesen specielleren Arbeiten übergehen, müssen wir noch ein neueres Werk erwähnen, welches zwar hauptsächlich darauf ausgeht, die allgemeinsten Principien der Physik zu bestimmen, aber auch zu einer genaueren Definition des Gegenstandes der Metaphysik viel beiträgt; wir meinen »Wissenschaft und Natur« (La science et la nature) von Magy (1868).

Descartes hatte zwei Substanzen angenommen: die körperliche, deren Wesen die Ausdehnung, und die geistige, deren Wesen das Denken. Spinoza hatte Ausdehnung und Denken als die zwei Attribute einer einzigen Substanz angesehen. Leibniz, der den Raum und die Zeit auf eine Form unseres Erkenntnisvermögens zurückführte, wollte nur das Wirkende, die Kraft für eine Substanz halten. Dem Körperlichen liegt nach seiner Meinung allerdings etwas Substanzielles zu Grunde, weil sich in ihm ausser der Ausdehnung ein Vermögen des Wirkens findet, welches die Quelle der Bewegung ist. Das Wesen der Kraft liegt nun, wie er weiter lehrt, in Empfindung und Streben, was Descartes mit einem Worte das Denken nannte.

Malebranche, der das System Spinoza's verabscheute, entfernte sich in seiner Anschauungsweise weniger von demselben als Leibniz. Es gäbe, so lehrte er, zwei Arten von Vorstellungen, die Grössen Vorstellungen, der Gegenstand der Mathematik, und die Idealbegriffe, mit denen die Metaphysik sich beschäftigt; (im Grunde kommt das auf die gewöhnliche Unterscheidung in Materie, die Descartes der Ausdehnung gleichsetzte, und Geist, dessen Eigentümlichkeit ist, sich durch die Rücksicht auf ein Gut zu bestimmen, hinaus). Diese beiden verschiedenartigen Elemente wären in Gott vereinigt. In Gott müsste man sich nicht nur das Denken, die höchste Vollkommenheit, sondern auch die Ausdehnung vorstellen, zwar nicht die materielle und sinnliche Ausdehnung, welche das Körperliche zeigt, sondern eine intelligibele Ausdehnung, in welcher die materielle ihren Ursprung hätte.

Bordas-Dumoulin hat in seinem »Cartesianismus« die Gedanken des Malebranche angenommen und sie verallgemeinert. Was Malebranche von Gott gesagt hatte, müsse man von jeder Substanz sagen; jede Substanz wäre also aus zwei Elementen zusammengesetzt: das eine, einer genauen Wertbestimmung und Berechnung fähige, sei die Grösse; das andere, welches sich jeder exakten Messung entziehe, sei die Vollkommenheit oder, da Vollkommenheit soviel als Vollendung ist, das Leben oder die Kraft, welche dieselbe erzeugt. In der unorganischen Welt herrscht die Grösse oder Ausdehnung vor, in der organischen Welt die Kraft. Unter den Wissenschaften gibt es solche, die sich nur mit dem Quantitativen beschäftigen, Arithmetik und Geometrie; es gibt andere, in denen das Quantitative nur Träger und Zeichen ist für die Begriffe der Kraft und Vollkommenheit, das sind die Wissenschaften von den lebenden Wesen, Naturgeschichte und Medicin, und noch mehr diejenigen, welche Gegenstände geistiger und moralischer Art behandeln, Metaphysik, Theologie, Moral und Politik. Von den beiden genannten Klassen von Begriffen sind die ersteren leichter zu erlangen und leichter zu behandeln; man kann sie genau durch Zeichen, Ziffern oder Buchstaben darstellen, so dass man, indem man diese Zeichen nach gewissen sehr einfachen Regeln behandelt, unfehlbar zu wahren Resultaten gelangt; eine Eigentümlichkeit, die ihren Grund darin hat, dass die Quantität ihrer Natur nach in gleiche Teile teilbar ist. Daher kommt nun die beständige Neigung des Geistes, alles seinen Grössenbegriffen unterzuordnen und überall nur Ausdehnung und Mechanismus zu sehen. Im Gegensatz dazu entziehen sich die Idealbegriffe jeder strengen Bestimmung, jeder genauen Darstellung durch irgend ein Symbol; aus diesem Grunde ist der Traum des Descartes und Leibniz von einer philosophischen Weltsprache, mittelst der sich alles beweisen und berechnen liesse, nichtig.

Magy hat nun in seinem Buche Ideen, welche denen des Bordas-Dumoulin ähnlich sind, vertreten und mit Geist entwickelt, indem er sie auf die Natur anwandte; nur nennt er seine beiden Principien nicht mit den von Malebranche entlehnten Ausdrücken Grösse und Vollkommenheit, sondern Ausdehnung und Kraft. Weiter sucht Magy zu erklären, wie man sich denken könne, dass durch die Bewegung das zweite der beiden Principien aus dem ersten sich ergiebt; er nennt das die dogmatische Anwendung des Raumes. Statt endlich die beiden Principien als wesentliche Elemente jeder Substanz zu betrachten, hat er, wie schon Leibniz zu zeigen versucht, dass das erstere, welches den sinnlichen Erscheinungen entspricht, nur subjektiv ist, oder wie Leibniz sich ausdrückte, ideal, während das intelligibele Princip, die Kraft, den Kern aller Wirklichkeit bildet.

Man kann sagen, dass Bordas-Dumoulin, welcher seine beiden Principien unter allen Umständen für untrennbar hielt, sich als Physiker in der Metaphysik gezeigt hat, wie einst die Stoiker, wie Spinoza und bis zu einem gewissen Grade selbst Malebranche; und dass Magy, indem er in seiner allgemeinen Physik das höhere Princip als unabhängig von dem niederen nachwies, sich hauptsächlich als Metaphysiker gezeigt hat. Wenn er einmal die Metaphysik zum besonderen Gegenstande seines Nachdenkens machen wird, so wird er sicher, nachdem er die volle Selbständigkeit des höheren Princips klar gestellt hat, auch verstehen, im Anschluss an Leibniz, die wesentlich geistige Natur desselben zu erklären.

Nennen wir endlich unter den Arbeiten, die der Metaphysik unserer Zeit zur Ehre gereichen, die »Vorlesungen«, die während langer Jahre vom Abbé Noirot in Lyon gehalten worden, von denen wir bedauerlicherweise zur Zeit nur Auszüge haben; ferner ein umfangreiches Werk, in welchem man zahlreiche geistvolle und klare Gedanken findet, das ein Schüler des Genannten Blanc Saint-Bonnet vor längerer Zeit unter dem Titel: »De l'unite spirituelle« veröffentlicht hat; mehrere Publikationen von Lefranc, Charma u. A.


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