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1. Von der Seele und den geheimnisvollen Kräften der Lebenden

Wie das Mäuslein trinken ging. Ein Mann und sein Weib lagen einmal nachts in ihren Betten. Da fing es den Mann unmäßig an zu dürsten und er klagte es seinem Weibe. Da sagte die: »Laß doch sein, ich hab kein Wasser da.« Nach einiger Zeit wollte das Weib, das nun nicht mehr schlafen konnte, wieder mit dem Manne reden, aber der gab ihr keine Antwort. Sie glaubte, er sei eingeschlafen, geriet aber in große Angst und versuchte ihn aufzuwecken. Sie rief ihn und rüttelte ihn, aber es half alles nichts. Da machte sie Licht und sah zu ihrem Schrecken, daß der Körper tot dalag. Und in diesem Augenblick schlüpfte eine kleine Maus zum offenen Kammerfenster herein und kroch dem Mann in den Mund. Da kam er gleich wieder zum Leben und hatte gar keinen Durst mehr. Die Maus war die Seele des Mannes, sie hatte seinen Leib verlassen und war trinken gegangen.

Die Maus im Pferdeschädel. Zwei Bauernjungen waren mit ihren Pferden nachts auf der Weide. Sie hüllten sich in ihre Decken ein und der eine von ihnen fiel in tiefen Schlaf. Da sah der andere aus dem Mund des Schläfers ein kleines schwarzes Tier hervorkommen und in den Rachen eines Pferdekopfes kriechen, der neben ihnen im Grase lag. Nachher kam das Tierchen zurück und schlüpfte wieder in den Mund des Schläfers; da wachte der auf und sagte zu seinem Kameraden: »O, was für einen schönen Traum habe ich gehabt! Ich bin in einem Hause gewesen, das war schöner als alles, was ich bis jetzt gesehen habe.« Da sagte der andere: »O, da bist du ja in einem schönen Palaste gewesen. Dein Geist war in dem Pferdekopf da. Ich habe ihn selber gesehen, wie er als schwarzes Tier da ein- und ausschlüpfte.«

Die Vorstellung, die in diesen beiden Sagen zu Worte kommt, ist uralt und auch heute immer noch im Volksglauben lebendig: in jedem von uns wohnt, für gewöhnlich unsichtbar in unserem Leib verschlossen, ein geheimnisvolles Wesen, die Seele; alles, was wir tun, wenn wir leben und uns bewegen und handeln, ist ihr Werk, denn ohne Seele liegt der Leib regungslos und wie tot, z. B. manchmal wenn wir schlafen. Da hat die Seele unseren Leib verlassen und geht auf Reisen, und was sie da erschaut und erleidet, sind unsere Träume. Am Morgen kehrt sie wieder in ihr Körperhaus zurück; dann wachen wir auf. – Es gelingt nicht oft, eine Seele bei ihrem Treiben außerhalb des Leibes zu beobachten; sie erscheint dann gewöhnlich als Maus, andere sahen sie aber auch schon in anderer Gestalt: als Rauchwölklein, als Feder, als Hummel, als Schlänglein oder als Kröte.

Erzählungen solcher Träume von gesunden Menschen sind in unseren Sagen verhältnismäßig selten. Meistens ist es ein trauriges Verhängnis, eine Art Krankheit, die den Menschen zwingt, seine Seele des Nachts auf Reisen zu schicken. Das sind die Mahrten oder Truden, unglückliche Mädchen – aber auch von Männern wird es gelegentlich erzählt –, die allnächtlich, meist von zwölf bis eins, mit offenem Munde wie tot daliegen; ihre Seele geht dann »drucken«, sie legt gedankenschnell oft meilenweite Wege zurück und sucht sich ein Opfer, einen Schläfer; auf den stürzt sie sich als lastender Alp, daß er ächzend, sonst aber regungslos daliegt und den Alptraum leidet.

Das weiße Mäuschen. Ein junger Mensch in Hirschhorn in Hessen wurde allnächtlich vom Alp heimgesucht. Seine Mutter konnte es zuletzt nicht mehr mit ansehen und suchte Rat dagegen. Sie verabredete mit ihrem Sohn, er solle ihr ein Zeichen geben, wenn der Alp komme. Und als er abends im Bett lag, breitete sie ein weißes Tuch über ihn und hielt sich in der Nähe. Nicht lange, so schlüpfte der Alp durchs Schlüsselloch herein, der Sohn gab das Zeichen und war im selben Augenblick auch schon seiner unmächtig, fing an zu seufzen und zu wimmern. Da sprang die Mutter hinzu, schlug rasch die vier Zipfel des weißen Tuches zusammen und legte es in eine Schublade der Kommode. Den Schlüssel ließ sie stecken. Zugleich atmete ihr Sohn tief auf, als ob eine zentnerschwere Last von seiner Brust genommen sei; da wußten sie, daß es ihnen geglückt war, den Alp zu fangen. – In derselben Stunde aber starb in Erbach plötzlich ein Mädchen, ohne daß man wußte, was für eine Krankheit es gehabt haben könnte. Es wurde gekleidet und auf die Bahre gelegt und sollte begraben werden. Da traf es sich, daß der Bursche in Hirschhorn, der schon zwei Nächte vom Alp frei geblieben war, am dritten Tage zufällig den Schlüssel von der Schublade abzog, worin das Tuch lag. Sogleich schlüpfte ein weißes Mäuschen aus dem Schlüsselloch und lief zur Tür hinaus. In Erbach wollte man eben den Sarg des Mädchens schließen; da fuhr ein weißes Mäuschen zur Tür herein und in den Mund der Toten, welche alsbald die Augen weit öffnete und nicht wenig erstaunt war, sich im Sarge zu finden.

Das Rockenmädchen. Eine aus der Rockenstube von Lixenlöfering in der Oberpfalz ging beim Heimgehen, wenn der Mond schien, aufs Drucken. Sie lehnte ihren Rocken an die Wand eines nahen Hauses und ließ ihren Leib dabei stehen, die Seele aber ging hinein und quälte einen der Schlafenden. Währenddessen zog einmal ein Wanderer vorbei, der redete sie an; und da er keine Antwort bekam, trat er auf sie zu und rührte sie an. Da fiel der Leib zusammen und war tot. –

Was aber erlebt der vom Alp Gequälte? Ein Schweizer Kaplan ließ sich das von einem, der es nur zu gut kannte, folgendermaßen beschreiben: Das Doggi – so nennt man in der Schweiz das unheimliche Alpwesen – kommt während der Nacht, wo der Mensch im Schlaf und zwar auf dem Rücken liegt. Die Angefallenen werden von einem ungeheuren Gewicht gedrückt, als wenn Felsblöcke auf ihnen lägen. Das Doggi setzt sich ihnen auf das Herz und der arme hilflose Mensch fühlt und hört und scheint ganz wach zu sein, aber er liegt regungslos da und kann weder Hand noch Fuß bewegen. Sein Atem stockt und mancher hat schon vor Schwere und Atemnot den Geist aufgegeben. Zum Glück dauert es gewöhnlich nur einige Minuten. Nach der Befreiung fährt der Mensch auf und holt Atem, nicht selten mit einem Angstschrei, und ist dann gewöhnlich noch mehrere Stunden lang wach, unruhig und scheu.

Aus diesem hier noch ganz realistisch geschilderten Erlebnis wachsen nun die verschiedensten Sagen hervor: Da hat einer einmal die Kraft gehabt, im Augenblick, wo die Trude über ihn kam, zuzugreifen, und was er faßte festgehalten. Bei Lichte besehen war es zwar nur ein Strohhalm aus seinem Lager oder eine Feder aus seinem Kissen, aber das war gewiß nur eine neue Gestalt der Quälerin, und die war damit in seine Macht gegeben. – Zwischen der Seele und dem Leib des Quälenden gibt es geheimnisvolle Beziehungen. Was man der einen antut, davon findet man am nächsten Morgen an der anderen die Spuren; oft ist der Leib, der während der Alpfahrt der Seele doch irgendwo tot liegen müßte, auch gänzlich vergessen: die Trude geht leibhaftig, nur in irgendeiner Verwandlung oder unsichtbar, aufs Drücken aus und kann daher auch leibhaftig gefangen werden. – Solcher Trudengeschichten werden in ganz Deutschland unzählige berichtet; der Glaube an den unheimlichen Beruf der Drückerinnen lebt noch heute überall im Landvolk und das rätselhaft quälende Erlebnis des Alptraums gibt ihm immer wieder neue Nahrung.

Das Doggi. Eine eigene Affäre hat einmal der alte Winkler in Montavon mit dem Doggi gehabt. Winkler ist nun längst gestorben, er war aber bei Lebzeiten ein baumstarker Mann. Er erwartete einmal eines Abends das Doggi und sagte daher zu seinem Weibe: »Heut leg dich zum Ofen und halt ein Licht bereit, ich leg mich ins Bett und erwarte das Doggi. Wenn es dann kommt, so pack ichs, und du komm dann schnell mit dem Licht herbei, wie denn das Ding ausschaut.« Winkler legte sich ins Bett und sein Weib zum Ofen. Nach einer Weile kam wirklich das Doggi zu Winklers Bett und krabbelte vom Fußbrett des Bettes hinauf zu Winklers Brust. Der aber nicht faul, erfaßt es mit beiden Händen und merkt sogleich, daß er es an zwei großen Zöpfen erwischt hat; und ruft dem Weib. Als aber das Weib mit dem Licht zum Bett kam, da vermochte Winkler das Doggi mit aller Gewalt nicht mehr zu halten und mußte es laufen lassen. Es huschte windschnell zur Türe hinaus und man sah noch, wie es seine zwei fliegenden Riesenzöpfe auf der eilenden Flucht um die Türpfosten schlug.

Fluchen vertreibt das Schrättele. Das Schrättele kam zu einem Knecht meiner Mutter in Gestalt einer schwarzen Henne durchs Kammerfenster herein; es hupfte langsam gegen die Bettlade des Knechtes zu und sprang dann in einem Satz auf dessen Brust. Hätte er einen Bettzipfel erwischt oder das Kopfkissen in die Kammer hinwerfen können, so wäre ihm das Schrättele nicht auf den Leib gekommen. So aber blieb dem Burschen nichts übrig als einen kräftigen Fluch auszustoßen. Mit vieler Mühe brachte er einen hervor und richtig lief das Schrättele davon. Denn vor dem Fluchen hat alles Ungerade Respekt und kanns nicht hören.

Die Mahrt im Siebrand. Ein junger Bursche wurde allnächtlich von der Mahrt geritten und hatte dabei so entsetzliche Schmerzen auszustehen, daß er auf ein Mittel sann, den Plagegeist loszuwerden. Zu dem Zwecke hielt er sich eines Nachts mit Gewalt wach und ging, als die Zeit gekommen war, wo die Mahrt sich einzustellen pflegte, schnell zur Türe und verstopfte das Schlüsselloch mit Wachs. Dann legte er sich zu Bett und schlief ein. – Als er am andern Morgen aufwachte, stand vor seinem Bett ein großer Siebrand, darin saß ein nacktes Mädchen. Er holte die Mahrt aus dem Siebrand und fragte sie, warum sie ihm so viele Qualen zugefügt habe. Da begann das Mädchen bitterlich zu weinen und sagte, es sei ihre Schuld nicht, daß sie als Mahrt die Menschen reiten müsse. Da sagte der Bursche: »So versprich mir wenigstens, daß du mir fortan Ruhe lassen willst.« Aber das Mädchen klagte, auch das sei ihr nicht möglich; zu wem es sie ziehe, den müsse sie drücken – »aber laß mich nun frei, meine Mutter verlangt schon nach mir!« »Wo wohnt denn deine Mutter?«, fragte der Knecht verwundert. – »Über hundert Meilen von hier.« – »So mach nur schnell, daß du zu ihr kommst; die Tür ist offen.« Da sagte das Mädchen: »Das nützt mir nichts. Durchs Schlüsselloch bin ich gekommen und durchs Schlüsselloch muß ich auch wieder fahren.« Da graute dem Burschen davor, noch länger mit der Mahrt in einem Zimmer zu sein, und er tat das Wachs fort. In demselben Augenblick saß das Mädchen auch schon wieder im Siebrand und sauste damit durch das Schlüsselloch. Neugierig lief der Knecht ihr nach, aber er hörte sie nur noch hoch oben aus der Luft ihm zurufen: »Hörst du nicht? Jetzt ruft meine Mutter: Kukusäj!« Das mag wohl der Name des Mädchens gewesen sein. Der Bursche hat aber seit der Zeit nie wieder von der Mahrt zu leiden gehabt.

Eine Mahrtenehe. Zwei Knechte schliefen zusammen in einer Kammer und einen von ihnen ritt der Mahrt so oft, daß er endlich seinen Kameraden bat, wenn er das nächste Mal wiederkäme, möge er das Astloch in der Kammertür verstopfen, daß sie den Mahrt fingen. Als er nun das nächste Mal im Schlafe jämmerlich ächzte und stöhnte, tat der andere wie er gebeten war, und rief seinen Gesellen beim Namen. Da wachte der auf und faßte schnell zu und hatte einen Strohhalm in der Hand; den hielt er trotz alles Krümmens und Windens so lange fest, bis der andere das Astloch verstopft hatte. Dann legte er den Strohhalm auf den Tisch, und dann schliefen sie beide bis zum Morgen. – Als sie aufwachten, sahen sie ein schönes Mädchen hinter dem Ofen und entzweiten sich fast darüber, wem sie gehören solle. Der das Astloch verstopft hatte, meinte, sie müsse ihm gehören, denn hätte er das nicht getan, so wäre sie gewiß noch entwichen; der andere aber sagte, sie gehöre ihm, denn er habe sie ja gefangen. Endlich gab der erste nach und der zweite heiratete das Mädchen. Sie bekamen Kinder und lebten recht glücklich zusammen. Aber die Frau drang oft in ihren Mann, er möge ihr doch das Astloch zeigen, durch das sie hereingekommen sei; es lasse ihr gar keine Ruhe, bis sie das gesehen. Der Mann widerstand lange Zeit allen Bitten. Aber einmal bat sie ihn doch so inständig und sagte ihm, sie höre ihre Mutter in England die Schweine locken, sie möchte sie nur noch ein einziges Mal wiedersehen – daß er weich wurde und nachgab. Da ging er mit ihr hin und zeigte ihr, wo sie hereingekommen war; aber augenblicklich flog sie da auch wieder hinaus und ist nie wiedergekommen.

 

Nicht nur der Mensch, auch das Vieh hat unter dem unheimlichen Nachtbesuch zu leiden, und zwar sind es gerade die schönsten Tiere im Stall, die der Alp quält. Er nimmt den Kühen die Milch und macht, daß die Pferde die ganze Nacht schlagen und schnaufen, und oft stehen sie dann am Morgen, schweißbedeckt, das Mähnenhaar zu wirren Zöpfen verfitzt, an ihrer Krippe.

Das Federlein. Bei einem Bauern im Vilstale in Niederbayern war es im Pferdestall längere Zeit nicht recht geheuer. Einmal fingen des Nachts alle Gäule an zu wiehern und zu stampfen, als würden sie recht gemartert, ein andermal waren alle ledig und standen verkehrt in ihrem Stand, ein drittes Mal waren ihnen die Mähnen geflochten usw. Endlich ging der Bauer zu seinem Nachbarn, der ein kluger und verständiger Mann war, und fragte ihn um Rat. Da meinte der, das könne gar nicht anders sein, als daß die Trud da im Spiele sei. Darum solle er auf jedes verdächtige Zeichen wohl merken, und wenn er etwas Unrechtes fände, solle er es auf der Stelle verbrennen. Des andern Tags ging nun der Bauer bereits in aller Frühe in den Pferdestall und hielt Umschau. Da sah er, daß dem Rappen wieder die Mähne geflochten war und auf dem Rücken lag ihm ein weißes Federlein. Das nahm der Bauer, wohl etwas zaghaft, und warf es in den Ofen, in dem bereits ein lustiges Feuer prasselte. Als dann die Dienstboten sich um den Tisch zur Morgensuppe versammelten, fehlte eine Dirne. Man suchte nach ihr im ganzen Hause herum, aber nirgends war sie zu finden, und auch später hat sie niemand mehr gesehen.

 

Wer nachts »drücken geht«, gilt darum noch nicht für schlecht, sondern eher für beklagenswert; denn der Hang dazu ist ihm angeboren, er selber hat keine Schuld daran. Alle in der Galliwoche (um den 16. Oktober) geborenen Mädchen, alle die Mädchen, die nach dem Tod eines nachgeborenen Schwesterchens wieder an die Brust gelegt wurden und durchsaugen mußten, werden Truden. Andere meinen, daß unter sieben Töchtern stets eine Trude sei, wie unter sieben Söhnen stets ein Werwolf; oder ein Mädchen werde zur Trude, wo die Mutter bei der Geburt, statt die Wehen christlich zu ertragen, den Teufel zur Hilfe rief, oder wo die Wehmutter sich eines Zaubermittels bediente. Wieder andere geben dem Pfarrer die Schuld; der sei bei der Taufhandlung nachlässig gewesen und habe nicht gesprochen: »im Namen des Vaters und des Sohnes«, sondern: »im Namen des Mahrtes und des Mondes«. – Und wenn nun so ein unglückliches Wesen von Herzen fromm und mitleidig gesinnt ist, so ist sie übel daran. Die Menschen und die Tiere mag sie nicht quälen, und doch ist der Drang in ihr unwiderstehlich, sie fühlt sich von einer übermächtigen Gewalt getrieben und nimmt in ihrer Not wohl auch mit einem Baum vorlieb.

Zu Tode gedruckt. Auf dem Höhenhof bei Waldmünchen (Oberpfalz) heiratete der Bauer. Die Bäurin aber ging alle Nacht aus dem Bett und blieb mehrere Stunden aus. In seiner Eifersucht ging er ihr einmal nach und sah, wie sie immer geradeaus ging, bis zu einem Wald, der ungefähr eine Stunde vom Hof entfernt war. Dort nahm sie einen Baum in die Arme und druckte ihn eine Zeitlang; dann kehrte sie wieder heim. Er folgte ihr noch öfter, und weil sie immer das Gleiche tat und immer an dem gleichen Baum, so ließ er den Baum fällen und in den Hof fahren, damit die Bäurin nicht mehr so weit zu gehen brauche. – In der nächsten Nacht blieb er zu Bett, weil er meinte, seine Frau werde nicht lang ausbleiben, weil ja der Baum im Hofe lag. Die Bäurin aber kam nicht. Und wie es Tag wurde, stand der Bauer, den es nicht mehr ruhen ließ, auf, um nachzuschauen. Da lag die Bäurin tot auf dem gefällten Baum: sie hatte so lange drucken müssen, als sie vorher zum Hin- und Hergehen gebraucht hatte, und hatte sich zu Tode gedruckt.

Der zitternde Eichbaum. Einen Kutscher zu Putbus auf Rügen ritt alle Nacht der Mor, so daß er ganz elend davon wurde. Da gab ihm einer an, er solle seine Hände mit grüner Seife bestreichen, dann könne er ihn festhalten. Das tat er auch; und als der Mor wieder kam, griff er zu. Da ist es ein junges Mädchen gewesen. Die bat ihn inständig, sie frei zu lassen. Er weigerte sich aber und sagte, sie würde dann nur jemand anders quälen; er wolle sie auf ein gefühlloses Wesen aufweisen, das könne sie reiten in alle Ewigkeit. Da flehte das Mädchen, er möge sie aufweisen wohin er wolle, nur nicht auf Stein und nicht auf Wasser. Da ließ er sich erbitten und wies sie auf einen Eichbaum, der stand bei dem Dorfe Neuendorf an der Stelle, wo nun Lauterbach steht. Der Baum ist seit der Zeit verkümmert, und seine Äste haben beständig gezittert, auch wenn es so stilles Wetter war, daß kein Blatt sich regte. Der Erzähler selbst – er ist jetzt achtzig Jahre alt – hat in seinen jungen Jahren den zitternden Baum noch gesehen.

 

Die überlistete Hexe. Ein Bauernknecht zu Warbach in Baden wurde mehrere Nächte von etwas so gedrückt und geplagt, daß er am Morgen immer ganz erschöpft aussah. Als er es einmal seinen Hausgenossen klagte, riet ihm die Bäurin, er solle sich in der nächsten Nacht im Bett ein Messer mit der Spitze auf die Brust halten und darauf einen hölzernen Teller setzen. Der arglose Bursche wollte es auch so machen, aber sein Mitknecht redete ihm zu, da tat er den Teller unter das Messer und richtete das Messer mit der Spitze in die Höhe. – Gegen Mitternacht warf sich wieder etwas auf ihn und das war, wie sich gleich nachher zeigte, die Bäurin selbst, die hatte sich nun in das Messer gestürzt und so getötet. Da erkannte der Knecht, daß sie selber die Hexe war, die ihn immer so geplagt hatte, und daß er jetzt statt ihrer totgestochen wäre, wenn er ihren Rat befolgt hätte. –

Warum hat denn die Trudenhexe den Burschen töten wollen? In der Geschichte scheint es, als sei es einfach ihre teuflische Bosheit gewesen, die ihr den Plan eingab; ursprünglich aber ist es wohl anders gemeint: die unglücklichen Truden sehnen sich danach, von ihrem Hange befreit zu werden, und ihre Sehnsucht malt ihnen auch einen Weg: wenn es ihnen nur ein einziges Mal gelänge, jemanden ganz zu Tode zu drücken, so wäre ihr wahnsinniges Verlangen für immer gestillt. – Und auch davon gibt es allerlei Geschichten.

Wie eine Trude erlöst werden kann. Zu Dalmassing in der Oberpfalz war bei einem Bauern eine hübsche, fleißige, aber stille Magd in Dienst. Da merkten nach und nach die andern Mägde, daß sie jede Nacht fortging, niemand wußte wohin. Wie das dem Bauern gesagt wurde, nahm er die Dirn her und fragte: »Was heißt das mit deinem Herumstreunen bei der Nacht?« Da tat sie einen schweren Seufzer und sagte: »Ach, meine Mutter hat mich als Kind dem Teufel verschrieben, nun muß ich alle Nacht als Hexe gehen.« Das hat den Bauern so erbarmt, daß er sie frug, ob sie denn durch nichts erlöst werden könnte. »Ja,« sagte sie, »wenn ich etwas Lebendiges zu Tode drücken dürfte, das mir aus gutem Herzen freiwillig geschenkt ist, dann wäre ich erlöst.« Da hat der Bauer gleich gesagt: »Meine schönste Kuh darfst du nehmen.« Am andern Morgen ist richtig die schönste Kuh im Stalle tot gelegen; aber die Magd war erlöst und war zum Dank so brav, daß sie dem Bauern immer lieber wurde und er sie zuletzt zur Frau nahm.

 

Mittel, wie man sich den Alp vom Lager halten kann, werden in großer Anzahl und Verschiedenheit angegeben. Da heißt es, man müsse auf der rechten Seite schlafen oder mit dem rechten Fuß zuerst ins Bett steigen, oder man müsse die ganze Nacht ein Licht in der Schlafkammer brennen. Nach dem Abendessen darf der Tisch nicht abgenommen werden, sondern Tischtuch, Schüssel, Löffel und Brot müssen darauf liegen bleiben; wenn dann über Nacht der Alp oder die Mahrt kommt, und den gedeckten Tisch findet, so drückt er die Menschen nicht im Bett und das Vieh nicht im Stall. Besonders beliebte Schutzmittel sind der Trudenfuß und der Trudenstein. Der Trudenfuß, ein fünf-, sechs- oder siebeneckiges Sternzeichen, wird an Haus, Stall, Bett und Wiege angebracht, mit dem Messer ins Holz geschnitten oder mit Kreide gemalt, aber auch aus rotem Lichtmeßwachs nachgebildet und so an den gefährdeten Orten aufgehängt. Den Trudenstein dagegen muß man irgendwo finden; er ist ein Kiesel mit einem natürlichen Loch; wer einen solchen Stein gefunden hat, hängt ihn an einen Bettpfosten oder ans Fußende der Wiege, so ist der Schläfer vor dem unerwünschten Besuch gesichert.

Wie man die Trude in dem Augenblick, wo sie an ihre »Arbeit« gehen will, erwischen oder verjagen kann, davon haben wir schon allerlei gehört. Wer rasch entschlossen zugreift und was er faßt um keinen Preis mehr los läßt, der hat sie in seiner Gewalt, ebenso wer ihr den Weg, auf dem sie in die Kammer kam, versperrt, denn sie darf auf keinem andern wieder fort; vor einem Fluch hat sie Respekt und was man ihr anwünscht, dem kann sie sich nicht entziehen. So raten manche, man müsse sie einladen, am nächsten Morgen wieder zu kommen, dann könne man sehen, wer denn eigentlich der Quälgeist sei. Ist die Trude aber einmal entdeckt, so läßt sie ihr Opfer fortan in Frieden.

Wie einer die Walriderske verwünschte. Ein Mann in Varnhorn, Kirchspiel Visbeck (Oldenburg), hatte immer nachts die Walridersken. Er hörte sie oft kommen, konnte sie aber nicht abwehren. Wenn er mit seinem Stock um sich schlug, fiel es mit einem Male auf ihn, so daß er sich nicht rühren noch regen konnte. Eines Abends nahm er seine Hechel und band sie sich auf die Brust, so daß die Zinken nach oben standen; aber als die Walriderske dann kam, war die Hechel umgedreht und stach ihn selber jämmerlich in die Brust. – Tags darauf klagte er einer Nachbarin sein Leid; da riet sie ihm, er solle nur abends scharf aufpassen und wenn die Walriderske komme, ihr entgegenrufen: »Ich wünsche, daß du alle Nacht auf einem Besenstiel reiten müßtest!« Das merkte sich der Mann; und als er am nächsten Abend vermutete, daß die Walriderske schon in der Stube sei, da rief er schnell: »Ich wünsche, daß du alle Nächte auf dem höchsten Mastbaum reiten müßtest, der in der weiten See zu finden ist!« – Da hörte er eine jammernde Stimme: »Oh, was hast du mich angeführt!« Und die Walriderske ist nie wieder zu ihm gekommen.

Die drei weißen Gaben. Einmal ist die Trud zum Radlbauer Hansl im Dorf Ried bei Sterzing gekommen und ist von den Füßen der Bettstatt auf ihn drauf gehupft, wie er selbst erzählt hat. Und da hat er seine rechte Hand ausgestreckt und hat Haare von ihrem Kopf derwischt und sie daran gehalten. Sie hat sich aber losgerissen und hat das Haar da gelassen. Und als der Hansl das Haar bei Licht besah, so waren es Strohhalme. – Endlich wurde dem Hansl die Kunst geraten, wenn sie wieder komme, so solle er sie auf den morgenden Tag bestellen und wenn sie dann sich einfinde, ihr die »drei weißen Gaben« geben. Das tat er. Die Trud kam richtig ganz allein in die Kuchl zum Hansl, und er kannte sie recht wohl: Es war ein ganz sauberes Mensch aus Sterzing. Sie nahm die drei Gaben (weißes Salz, weißes Mehl und ein weißes Ei), aber er mußte sie ihr mit der linken Hand geben, und sie legte ihm Stillschweigen auf. Darauf hatte der Hansl vor der Trud für immer Ruhe. Der Salzburger-Franzl aber hats verplauscht. Der war damals zehn Jahre alt und diente im Radlhof. Jetzt ist er Wirtshauspächter. (1857)

 

Der Halfter. Im Kirchspiel Wildeshausen in Oldenburg dienten bei einem Bauern zwei Knechte, die schliefen in einem Bett. Der Großknecht, der vorn im Bette schlief, wurde ganz mager, obwohl er sonst gesund war. Als ihn nun einmal sein Mitknecht nach dem Grund davon fragte, da erzählte er ihm: jedesmal wenn sie abends zu Bett lägen, komme eine Walriderske und lege ihm einen Halfter an; dann sei er gleich in ein Pferd verwandelt und sie reite die ganze Nacht auf ihm. Da sagte der andere: »Wenn's weiter nichts ist – ich will mich wohl abends an deine Stelle legen; und wenn sie dann kommt, will ich schon mit ihr fertig werden.« Der Großknecht war das zufrieden; sie sagten niemandem etwas, damit die Walriderske es nicht erfahre. Am Abend legte sich der Großknecht also hinten ins Bett und der andere vorn. Der Großknecht schlief auch gleich ein; der andere aber schlief nicht, sondern legte sich nur ganz still hin. Nach einer Weile hörte er etwas kommen, und sowie die Walriderske bei ihm war und ihm den Halfter über den Kopf werfen wollte, griff er schnell zu und bekam den Halfter zu fassen und warf ihn der Walriderske über den Kopf. Da war sie sofort in ein Pferd verwandelt. Nun setzte er sich hinauf und jagte im Galopp zu einem Schmied und ließ das Pferd beschlagen. Dann ritt er wieder nach Hause, nahm den Halfter ab und ließ die Walriderske gehen. – Als sie nun am anderen Morgen aufstanden, wollte die Frau des Bauern gar nicht aus dem Bett; und als sie zuletzt vom Bauern mit Gewalt herausgehoben wurde, konnte sie nicht gehen, denn sie hatte Hufeisen an den Füßen. Da war die Frau die Walriderske gewesen. – Der Bauer ließ sich von dem Knecht erzählen, wie alles zugegangen sei. Da mußte der Knecht den Halfter hergeben; der Bauer legte ihn seiner Frau an und zog mit ihr als Pferd wieder zu dem Schmied, und der mußte ihr die Hufeisen wieder unterweg ziehen. Den Halfter hat ihr der Bauer aber nicht wieder gegeben.

In dieser letzten sehr entwickelten Trudensage, die in den verschiedensten Teilen Deutschlands ganz ähnlich erzählt wird, begnügt sich die Trude schon nicht mehr damit, den Schläfer zu drücken, sondern sie verwandelt ihn durch ein Zauberband in ein Tier und reitet auf ihm. Damit übt sie Künste, die sonst den Hexen zugeschrieben werden. »Aus jungen Truden werden gern alte Hexen«, sagt man im Lechrain; Hexen und Truden werden in vielen Gegenden überhaupt nicht unterschieden; die Truden gelten dann nur als eine besondere Art von Hexen. Doch während durch die meisten Trudensagen etwas wie Mitleid mit den unglücklichen Mädchen und ihrem krankhaften Triebe durchklingt, erscheinen die Hexen als von Grund aus böse. Um ihre Mitmenschen quälen und necken zu können oder um sich auf Kosten anderer zu bereichern, haben sie ihre Teufelskünste gelernt und Gott im Himmel abgeschworen und gelästert.

Wie die Truden gehen die Hexen des Nachts in verwandelter Gestalt, am liebsten als Katzen, zu den Menschen, denen sie schaden wollen; wie die Trude in ihrem Siebrand fliegen sie auf einem Besenstiel oder irgendeinem ähnlichen Reittier durch die Luft. Das Ziel ihres nächtlichen Rittes ist meistens die große Hexenversammlung: alljährlich in der Walpurgisnacht, nach anderen auch mehrmals im Jahr oder gar jeden Freitag, sammeln sich die Hexen auf irgendeinem oft weit entlegenen Berggipfel und halten dort ihre ausschweifenden Tänze und Gelage, bei denen oft der Teufel in eigener Person den Vorsitz führt.

Die Müllerin und der Mühlknecht. Eine Müllersfrau war eine große Hexe. Sie ging immer als Katze hinter ihren Gesellen her, und die waren töricht genug, sie nur mit gelinden Schlägen wegzutreiben. Dafür rächte sich dann die Müllerin und brachte alle Gesellen um, der Reihe nach. Hätten sie die Katze blutig geschlagen, so hätte die Müllerin ihnen nichts anhaben können. Zuletzt konnte der Müller keinen Gesellen mehr finden, der bei ihm dienen wollte; nur ein alter Mann meldete sich noch und wollte es versuchen: er sei ja doch schon alt und an seinem Leben sei nicht mehr viel gelegen. Da war der Müller damit einverstanden und der Geselle trat seinen Dienst an. – Einmal abends ging er auf den Hof und wollte Holz holen für seinen Ofen. Er wollte gerade ein paar Scheiter von dem Stoß herunternehmen, da sah er eine Katze, die legte ihre Pfoten auf das Holz und ließ es ihn nicht nehmen. Da rief er: »Halte die Pfoten weg!« aber die Katze folgte nicht. Da hieb er mit seinem scharfen Beile zu und hieb ihr die eine Pfote ab. In dem Augenblick war die Katze verschwunden und anstatt der Pfote lag ein Menschenfinger am Boden, daran steckte ein Trauring und der Name darin war der Name des Müllers. Da merkte der Müller, daß seine Frau eine Hexe war und ließ sie tot »adern«.

Die gebrannte Hexe. Auf der Burg zu Erendegen in Luxemburg spukte es früher so arg, daß man keinen Bauern im Dorf mit allem Golde der Welt dahin hätte bringen können, auch nur eine Nacht auf der Burg zu schlafen. Endlich kam einmal ein Kerl ins Dorf, der erbot sich, auf die Burg zu gehen und da zu bleiben, so lange man es verlangte; nur müsse man ihm alles Nötige geben zum Kuchenbacken. Das bekam er auch und so zog er am Abend auf die Burg. – In einem der schönsten Zimmer machte er Feuer und begann gleich lustig zu backen. Und als er eben damit im Gange war, ging die Tür auf, und eine schwarze Katze kam herein und setzte sich neben das Feuer, als wenn sie sich wärmen wollte. Dann fragte sie ihn, was er mache. »Ich backe Kuchen.« – Aber kaum hatte er das gesagt, so kamen noch sieben Katzen auf einmal durch die Tür, die fragten ihn ebenso, was er da mache, und er antwortete wieder: »Ich backe Kuchen.« Da faßten sich die Katzen mit den Pfoten und fingen an zu tanzen, immer rund herum. Da füllte er die Pfanne mit Butter und wie die geschmolzen und recht heiß geworden war, goß er sie den Katzen aufs Fell und die waren sofort alle zusammen verschwunden. – Am anderen Morgen hieß es im Dorf, des Schuhmachers Frau sei am ganzen Leibe schwarz verbrannt. Da wußte der Soldat genug und sagte den Bauern, nun werde es auf der Burg nicht wieder spuken. Und das war auch so, denn die Katzen wagten sich nun nicht wieder hin.

Der verhexte Hase. Einst ging ein Jäger von Hasbach im Bergischen in der Nähe des Ortes auf die Jagd. Er war noch nicht lange gegangen, da sah er einen Hasen, legte an und schoß. Als sich aber der Rauch verzogen hatte, saß der Hase wohlgemut an der alten Stelle, drehte sich gelassen um und glotzte den Jäger an. Der schoß zum zweitenmal, aber der Hase machte dasselbe Manöver. Noch einmal schoß der Jäger, aber der Hase drehte sich nur wieder herum und sah den Jäger verwundert an. Da wirft der seine Büchse über den Rücken und geht heim und ist fest überzeugt, daß der Hase eine verwandelte Hexe gewesen ist.

Der Hexenspielmann. Ein Schulmeister aus Griesbach im Elsaß war einmal in einem Dorf in der Nähe zu lange beim Kindtaufschmaus geblieben und mußte nun nach Mitternacht noch über den Bastberg heimgehen. Als er gegen die Mitte kam, sah er die Spitze des Berges beleuchtet und hörte droben eine lustige Musik. Er stieg weiter, und ehe er es vermutete, war er auf dem Gipfel des großen Bastbergs. Da standen Tische, die waren reich beladen mit Speisen, und auch Flaschen und goldene Becher standen darauf; und auf dem freien Platz, alleroberst, tanzten viele Herren und Damen. Einer aus der Gesellschaft reichte ihm einen Becher, den mußte er austrinken und dann bekam er eine Geige in die Hand, da mußte er sich zu den Musikanten stellen und aufspielen helfen. Er tat es auch und trank und geigte mit ihnen die ganze Nacht, aber es grauste ihm dabei die ganze Zeit und er wäre am liebsten fortgelaufen. – Als er am andern Morgen vom Hahnenkrähen in den Dörfern geweckt wurde, lag er müde und zerrissen auf einem Steinhaufen. Zu seinen Füßen lag ein Pferdehuf und in der rechten Hand hielt er eine Katze; die kratzte und biß ihn und verlief sich dann mit tollen Sprüngen in den Reben.

Der Hexenritt in der Mainacht. Ein Schmiedegesell von Alflen, Kreis Cochem, freite an einem Mädchen aus Ülmen, die war eine Hexe. Einmal wollte er sie in der Mainacht besuchen, fand aber die Türe des Hauses verschlossen. Da sah er durchs Schlüsselloch und sah, wie drinnen Mutter und Tochter aus der Brandmauer ein Töpfchen nahmen und sich daraus das Gesicht bestrichen. Dann setzten sie sich auf einen Besen und fuhren mit den Worten: »Hui, über Hecken und Stauden!« zum Schornstein hinaus. Der Schmied brach nun die Türe auf, nahm das Töpfchen und fand eine Salbe darin; mit der bestrich er sich auch das Gesicht und sprach dann: »Hui, durch Hecken und Stauden!« Da fuhr er zum Schornstein hinaus und einen langen Weg; aber weil er das Wort nicht richtig ausgesprochen hatte, ging's immer durch Hecken und Stauden, so daß seine Kleider ganz zu Fetzen wurden. Als die beschwerliche Reise zu Ende war, fand er viele Hexen versammelt und auch seine Geliebte und ihre Mutter waren darunter. Die erschraken sehr, als sie ihn sahen, und die Tochter sagte: »Wie, bist du auch hier? Ich rate dir aber, setz dich ruhig hin und sprich kein Wort!« Das tat der Schmied und war auf der Stelle eingeschlafen. Als er aufwachte, sah er von allem nichts mehr, nur eine goldene Kanne lag neben ihm, die hatten die Hexen wohl dort zurückgelassen. Er nahm sie mit und machte sich auf den Heimweg. Da merkte er aber bald, daß er in einem ganz fremden Lande war und die Sprache der Menschen dort gar nicht verstand. Er reiste ein ganzes Jahr und konnte den Rückweg in die Heimat nicht finden. Da gelobte er, wenn er seine Heimat noch einmal wiedersähe, wolle er Einsiedler werden, und als er dann noch ein Jahr gereist war, fand er sich wieder zurecht und kam heim und hat sein Gelübde auch gehalten.

 

Mit der Verwandlung in Tiere und dem Walpurgisritt sind aber die Künste, die man den Hexen nachsagt, noch lange nicht zu Ende. Sie verstehen sich auf alle Art von Zauber, sie können Wetter machen, können aus einem Handtuch Milch herausmelken und vieles andere. Viele dieser schweren Anschuldigungen sind wohl so zu erklären, daß die als Hexen verschrieenen Weiber alte Zauberbräuche üben, die in früheren Jahrhunderten niemandem anstößig gewesen waren, wie das berühmte Handtuch-Melken, das fast immer, wenn von Hexen die Rede ist, unter ihren teuflischen Taten genannt wird.

Die jugendliche Melkerin. Auf einem Bauerngut bei Ratingen in Luxemburg war einst die Bäurin zur Kirche gegangen. Der Bauer unterhielt sich mit seinem Töchterchen über Stall und Küche. Da erzählte ihm das Kind, sie könne schon melken, sie brauche dazu gar nicht einmal den Stall zu betreten, sondern sie könne die Milch aus dem Handtuch in der Wohnstube melken. Der Vater sagte, sie solle ihm das doch einmal zeigen. Da holte sie den Melkeimer und molk an dem Handtuch, daß der Eimer in kurzer Zeit voll war. Nun wollte sie aufhören, weil sonst die beste Kuh im Stall zuschanden gehen würde. Der Vater gebot ihr aber fortzumelken und sich um alles andere nicht zu kümmern. Das Mädchen gehorchte, holte einen anderen Eimer und molk weiter. Nach einiger Zeit hielt sie wieder an und sagte, nun sei die Kuh wirklich gefallen. Da lief der Vater zum Stall und sah seine beste Kuh verendet am Boden liegen. – Dieses Mädchen soll auch Mäuse gemacht haben, aber denen fehlten die Schwänze. Später ist sie mit anderen Hexen auf dem Hexenberge bei Gerresheim verbrannt worden.

So ohne weiteres ist diese Geschichte allerdings nicht zu verstehen. Aber wir haben aus Österreich genauere Beschreibungen, wie denn dies Melken eigentlich gemacht wird: Hexen können die Milch, die eine fremde Kuh im Euter hat, aus den Zipfeln eines Grastuches heraus melken. Sie schleppen zu diesem Zweck das Grastuch auf der Wiese hin und her, auf der die Kuh zu weiden pflegt, hängen es dann auf einen Baumast und melken die herunterhängenden Zipfel. – Das erinnert stark an einen Brauch, der von den Tschechen berichtet wird: die Tschechen schmücken eine von ihren Kühen mit grünen Zweigen, bedecken sie mit einer reinen Decke und führen sie so aufs Feld an einen Kreuzweg. Dort nehmen sie nach Gebet die Decke ab, fangen darin den Tau des Wiesengrases und der Getreidesaaten auf und legen die Decke wieder auf die Kuh und führen sie dann nach Hause. Dort hängt man die Decke an einen Türpfosten auf, gibt ihr die Gestalt eines Kuheuters mit vier Zitzen und windet dann den Tau in ein Gefäß aus. Von dem auf diese Weise erlangten Tau mischen sie einiges in das Getränk der Kühe, wodurch diese gesund und milchreich werden sollen; mit einem anderen Teile waschen sich die Mädchen, um gesund und schön zu bleiben.

Vergleicht man diese Berichte untereinander, so ist es allerdings wohl einleuchtend, daß die Vorstellung vom Handtuchmelken der Hexen in dem gleichen alten Fruchtbarkeitszauber wurzelt. Die ganze Schuld der »Hexe« ist ursprünglich nur, daß sie hartnäckig an einem frommen Brauche ihrer Vorfahren festhielt, den ihre aufgeklärtere oder wenigstens andersgläubige Zeit nicht mehr verstand oder verstehen wollte und als einen schädigenden und teuflischen Zauber verfolgte. Und ganz ähnlich steht es mit dem Vorwurf des Wettermachens: die Hexe übt einen Zauber, mit dem die früheren Geschlechter jahrhundertelang den ersehnten Regen heranzulocken glaubten; bei ihr aber wird es ein boshaftes Mittel, durch das sie ihren Feinden ein Gewitter über den Hals schickt.

Die junge Wetterhexe. Ein Mädchen von etwa zehn Jahren nahm einen Pfahl und rührte damit im Brunnen umeinander. Fragt sie der Nachbar: »Was tust du da?« »Ha,« sagt sie, »tut es meine Mutter auch; sie nimmt einen Stecken und rührt damit im Brunnen hinum und herum, dann kommt das Wetter.« Da wurden Mutter und Kind verbrannt.

Die überlistete Wetterhexe. Ein junger Bauer hatte ein Weib aus einem alten Hexengeschlecht zur Frau und wollte sie auf irgendeine Weise los werden; da drang er so lange in sie, bis sie ihm gestand, daß sie sich auf Zauberei verstehe. Nun fragte er sie, ob sie wohl ein Gewitter erregen könne, das an einer bestimmten Stelle einschlage, und die Frau bejahte das und erbot sich sogar, ihn sofort davon zu überzeugen. Der Mann nahm sie gleich beim Wort und bezeichnete einen dürren Pflaumenbaum, der solle bis in die Wurzel vom Blitz zerschmettert werden. Arglos machte sich die Frau ans Werk. Sie drehte sich im Baumhof unter allerlei Gemurmel und seltsamen Gebärden so lange auf einem Absatz, bis eine kleine Grube im Boden entstanden war. In diese Grube ließ sie ihr Wasser und ging dann murmelnd drum herum. Das Wetter war bis dahin ganz heiter gewesen. Jetzt aber stieg aus dem Grübchen von dem Wasser ein seltsamer blauer Dunst auf, bis die ganze Grube leer war. Da war auch schon der ganze Himmel mit dunklem Gewölk überzogen, das sich zusehends verdichtete. Der Mann fragte erstaunt, ob es nun bald einschlüge, aber die Frau verneinte es mit einer Gebärde und ging weiter, murmelnd und immer schneller, um die Grube. Als nun der Donner schon zu rollen anfing, fragte der Bauer noch einmal: »Schlägt es nun bald ein?« Noch nicht, bedeutete ihm die Frau und murmelte noch immer leise vor sich hin, blieb aber dabei vor der Grube still stehen. Nun begann ein schwerer Regen zu fallen, der Donner krachte gerade über ihnen und dem Mann wollte es schon unheimlich werden. Da rief die Frau: »Jetzt gleich!« und rang erschöpft nach Atem. Auf diesen Augenblick hatte der Mann aber nur gewartet, er ergriff ein bereit gehaltenes Seil, das er vorher mit Weihwasser besprengt hatte, schlang es um seine Frau und band sie damit rasch an den Baum fest. Dann flüchtete er eiligst unter Dach. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugeworfen, da gab es einen fürchterlichen Donnerkrach, ein Meer von Blitzen fuhr auf den Baum herunter und zerschmetterte ihn. Als dann der Bauer wieder heraustrat und nach seiner Frau sah, fand er nichts mehr von ihr als eine große stinkende Kohle. So wurde die Zauberin von ihrem eigenen Mann überlistet.

 

Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, fahren in Wind und Wetter die Toten über die Erde hin. Da nun andererseits das Gewitter mit seinen Stürmen Hexenwerk ist, und die Hexen schon auf ihrem Walpurgisritt unsichtbar durch die Luft reiten, so liegt die Vorstellung nahe, daß auch die Hexe selber – oder ihr männliches Gegenstück, der Zauberer – im Gewitter oder im Wirbelwind verborgen sein kann.

Ein Hexengewitter. Bei Oggersheim in Baden währte einmal ein starkes Gewitter so lange, daß ein Jäger, der gerade auf der Landstraße ging, auf den Gedanken kam, es möchte wohl durch Hexerei entstanden sein. Er lud deshalb sein Gewehr mit einer geweihten Kugel und schoß mitten in die schwärzeste Wolke. Da fiel ein nacktes Weibsbild aus der Wolke tot auf die Erde und das Gewitter verzog sich augenblicklich.

Die Windsbraut. Jemand war unterwegs, da kam die Windsbraut daher. Er wurde zornig und rief: »Komm nur wieder, du Hexe!« und warf sein Messer hinein. Da nahm der Wind ihn mit und führte ihn zweihundert Stunden weit und setzte ihn vor einem Wirtshause ab. Hier aber harrte seiner schon ein Mann, der nur ein Auge hatte, das andere war ihm ausgestochen. Der zeigte ihm sein Messer und sagte: »Schau her, was du mir getan hast!« Er warnte ihn für die Zukunft und ließ eine Windsbraut kommen, die ihn wieder heimführte.

Hexenwerk. Zu Junglinster in Luxemburg war eine Hexe, die sagte einst zu ihrer Magd: »Gib acht, daß das Fett nicht verbrennt. Ich bin gleich wieder da. Ich muß nur noch einen in die Mosel stoßen.« In der Türe stehend, sagte sie: »Wutsch, iwer Hecken an Traisch!« und fort war sie. Am Moselufer stieß sie einen Fuhrmann mit seinen vier Pferden und seinem Fuder Heu in den Strom und dann war sie wieder in ihrer Küche.

 

Die Zaubermacht der Hexen geht so weit, daß sie einem allerlei bösartige Krankheiten anschaffen können, Geschwülste, Eiterbeulen und Lähmungen, wie den Hexenschuß. Durch bloßes Ansehen, durch den »bösen Blick« können sie es einem Kinde antun, daß es alle Frische verliert und elend hinschwindet. Überhaupt ist ihre Bosheit gar nicht zu Ende zu erzählen. Sie sind darum aber auch nach ihrem Tode unrettbar dem Teufel verfallen und schon im Leben vogelfrei.

Das verhexte Haar. Ein Schäfer aus der Vogtei Greeten von Budersberg ließ sich einst die Haare schneiden und warf sie in den Hausflur. Bald darauf bekam er eine weiche, kropfartige Geschwulst am linken Knie, so daß er nicht mehr gehen konnte. Auch alle Heilungsversuche hatten keinen Erfolg. Endlich ließ er die Geschwulst aufschneiden – da war ein Päckchen Haar darin und der Schäfer erkannte, daß es seine eigenen Haare waren, die er vor kurzem weggeworfen hatte. Das hatte ihm eine Hexe angetan, die damals in seinem Hause übernachtete. Hätte er auf die Haare gespuckt, so hätte die Hexe keine Gewalt über ihn bekommen. Seitdem sind die Leute in der ganzen Gegend klüger geworden und pflegen auf die abgeschnittenen Haare zu spucken, ehe sie sie wegwerfen.

Eine Hexe ist ewig verloren. Zu einem siebenjährigen Mädchen in Flohingen (in Baden) sprach eines Tages seine Taufpatin: »Wenn du morgen in der Frühe aufstehst, so laß das Beten, kämme und wasche dich auch nicht, sondern komm gleich zu mir herüber, da will ich dir etwas Schönes lehren.« Das Kind machte es so und lernte von der Frau Milch aus einem Handtuch melken. Daran hatte es solche Freude, daß es beim Heimkommen gleich seinem Vater die neue Kunst zeigte. Da öffnete der Vater ihr eine Ader und ließ sie sich verbluten und beschwor sie dabei, ihm kund zu tun, ob sie in den Himmel oder in die Hölle gekommen sei. – Als das Mädchen tot war, kam ein Rabe auf das Haus geflogen und schrie:

Wer Gott einmal verschworen
Ist auf immer und ewig verloren!

Das Ende der Hexe. Ein Bauer hatte eine Frau, die war im ganzen Ort als Hexe verschrien. Da wollte er gerne erfahren, was daran wahr sei, und beobachtete sie genau in allem, was sie tat. Aber auf diese Weise brachte er nichts heraus. Deshalb sagte er öfters zu ihr: »Ach, wenn ich doch nur hexen könnte!« Lange antwortete sie darauf gar nichts, aber zuletzt, als er es sich immer wieder wünschte, sagte sie doch: »So komm heut nacht zwischen 11 und 12 mit mir in den Hof, da will ich dir das Hexen lehren.« Und am Abend gingen sie beide in den Hof, nahmen jedes eine Mistgabel, und nun mußte der Mann hinter der Frau her um den Dunghaufen gehen und nachsprechen, was sie sagte. Sie sagte aber:

Ich verleugne Herrn Jesum Christ.

Da fiel der Bauer ein:

Und ich schlag tot, was vor mir ist!

Und gab ihr mit der Mistgabel einen Schlag, daß sie augenblicklich tot niederfiel.

 

Unbedingt verwerflich ist die Zauberei übrigens nicht immer. Die Hexe zwar hat ihre Kunst direkt vom Teufel, andere aber verdanken sie ihrer Wissenschaft wie die Geistlichen, sie ist eine Belohnung des Himmels für hervorragende Frömmigkeit; oder es gehört auch nur ein besonderes Maß von Klugheit und genaue Kenntnis der Formeln und Gebräuche dazu, um geheimnisvolle Fernwirkungen zu erreichen. Es gibt unzählige verschiedene Arten von Zauber und ebenso viele Sagen von Zauberern und ihren Taten; hier seien nur ein paar von ihnen angeführt, die als die typischen Zaubersagen immer wiederkehren.

Wie die Hexe die Gabe hat, die eigene Seele aus dem Leibe fortzuschicken, damit sie frei von aller körperlichen Hemmung tun kann, was sie gelüstet, so kann man auch einem anderen durch Zauber die Seele entlocken. Das führt zu der Vorstellung vom Festbannen – der seelenlose »gefrorene« Leib des Gebannten steht unbeweglich, bis der »Gfrörer« ihm die Seele zurückgibt – und zu den verschiedenen Arten des Liebeszaubers und der Bräutigamsschau. Wer nur irgendein Stück von der Person, die er bezaubern will, in seine Gewalt bringt, ein Haar, abgeschnittene Nägel, oder einen Fetzen von ihrem Kleid, der hat damit Macht über den ganzen Menschen, und selbst ohne ein solches äußeres Mittel wirkt der Zauber zwingend von Mensch zu Mensch.

Der festgesetzte Dieb. Ein Schmied, der in einem einsamen Hause der Gemeinde Dönberg im Bergischen wohnte, verstand die Kunst des Festbannens. Einmal wurden ihm Bohnenstangen gestohlen. Da setzte er den Dieb fest, und der stand am nächsten Morgen mit seinen Bohnenstangen auf dem Rücken vor dem Hause. Es war sein eigener Nachbar. – Einen solchen Bann muß man aber vor Sonnenaufgang lösen; sonst stirbt der Festgesetzte und sein ganzer Leib wird schwarz.

Wie einer den Bann zu spät löste. In einem luxemburgischen Dorf war einst einem Jüngling bei der Beichte die Lossprechung verweigert worden. Um sich zu rächen, beschloß er, dem Pastor im Walde aufzulauern und ihn zu erschlagen. Als der nun arglos durch den Wald daherkam, stürzte der Jüngling auf ihn los; da rief der Pastor: »Bleib stehen, bis ich zu Hause bin!« Da mußte er festgebannt stehen bleiben. Am andern Morgen schickte der Pastor einen Mann in den Wald, den Jüngling heimzuschicken. – Da stand er da, ohne Leben und kohlschwarz: die Sonnenstrahlen hatten ihn beschienen und er war zum Teufel geworden. Denn so ergeht es jedem Festgebannten, sobald die Morgensonne auf ihn scheint.

Allerlei Liebeszauber aus der Oberpfalz. 1. Ein Mann aus Tiefenbach erzählte: Ich arbeitete einst im Feld. Mit einemmal kam es mir an, daß ich nicht mehr bleiben konnte. Ich ließ alles liegen und stehen und lief vom Feld weg zu meiner Geliebten. Die gestand mir dann, daß sie mich hatte kommen lassen. Sie hatte nämlich ein Stückchen von meinem Zeug gesotten.

2. In Eschelkamm stand ein Küfnergeselle mit einem Mädchen in trautem Verhältnis. Er mußte auf die Wanderschaft und bat daher das Mädchen um ein Andenken und wär es auch nur eins von ihren Haaren. Sie hatte aber gehört, man solle kein Haar hergeben. Da sie aber ihrem Geliebten seine Bitte nicht abschlagen wollte, so ging sie hinaus und nahm aus dem Milchsiebchen ein Haar und gab es ihm; dafür bekam sie von ihm ein goldenes Ringlein. – Es waren etwa drei Tage verstrichen, da ergriff sie eine unendliche Sehnsucht nach dem Geliebten: es war ihr, als sollte sie zum Fenster hinaus. Auf einmal sah sie das Milchsiebchen zur Tür hereinkommen und zum Fenster hinausfliegen und damit kam sie zur Ruhe. Ihr Geliebter aber wartete in einem entfernten Dorf auf sie und war nicht gerade erfreut, wie ihm statt der Erwarteten das Siebchen zugeflogen kam. – Später hat er ihr dann gestanden, er sei zu einer Hexe gegangen und habe das Haar besprechen lassen, daß, wer es getragen, ihm nachlaufen müsse.

3. Einmal zog eine Abteilung Soldaten durch Waldmünchen. Da tat es ein Soldat einem Mädchen an, so daß es ihm unverweilt nachlaufen mußte. Auf dem Wege ritt ein Reiter gegen sie und frug, warum sie solche Eile habe? »Ich weiß selbst nicht warum; ich muß halt laufen«, sagte sie. Da merkte der Reiter, was hier im Spiel war, und rief ihr zu, sie solle ihr Schurzband lösen. Das Mädchen aber verstand ihn nicht und lief atemlos weiter. Da holte er sie ein und löste selbst das Band und sieh – das Schürzchen ward augenblicklich in der Luft hinweggeführt. Das Mädchen aber kam zur Ruhe und ging wieder nach Hause.

Die Bräutigamsschau. Am Christabend sagte eine Gamburger Frau zu ihrer Magd, sie solle in der Nacht um zwölf Uhr, wenn alles in der Mette sei und sie im Haus allein, sich ganz ausziehen und dann rückwärts gehend die Stube kehren, von der Tür nach dem Fenster zu, und ihr nachher erzählen, was sie gesehen habe. Das Mädchen wußte nicht, was die Frau damit wollte, aber sie tat es doch. Unter dem Kehren sah sie plötzlich ihren Herrn am Tische sitzen und lief voll Scham in ihre Kammer. Als ihre Frau nachher zurückkam, machte die Magd ihr Vorwürfe: sie hätte ihr doch sagen sollen, daß ihr Herr nicht mit zur Mette gehe; nun sei er bei ihrem Kehren in der Stube am Tisch gesessen. Da erschrak die Frau heftig und sagte: »Der Herr war mit mir in der Kirche. Nun lebe ich nicht lange mehr, denn du hast deinen künftigen Mann gesehen.« – Kurze Zeit darauf starb auch die Frau infolge des Schreckens, und ein Jahr später wurde das Mädchen von dem Witwer geheiratet.

 

Wie beim Handtuchmelken oder beim Aufrühren des Brunnenspiegels zum Zweck des Wasserzaubers beruht die Wirksamkeit der Zauberhandlung oft auf der einfachen »Analogie«, d. h. auf ihrer Ähnlichkeit mit der erstrebten Fernwirkung: der gewünschte Vorgang wird wie im Bilde nachgeahmt, und die geheimnisvollen Beziehungen zwischen Bild und Dargestelltem sorgen dafür, daß sich das im erreichbar Nahen Vorgebildete in der Ferne in der gewünschten Weise wiederholt.

Bestrafte Untreue. Ein Soldat in Danzig hatte einem Mädchen die Ehe versprochen und sie verführt und hatte sie dann verlassen, als er ihrer überdrüssig geworden war. Das Mädchen gemahnte ihn an sein Versprechen, er aber wies sie barsch ab. Da geriet sie in große Wut und ging zu einer ›weisen Frau‹, d. h. zu einer Kartenschlägerin, und fragte sie um Rat, wie sie sich am besten blutig rächen könne. Die Frau sagte ihr, sie solle aus einem neuen Kartenspiel den Herz-Buben herausnehmen und das Herz in der linken Ecke mit einer Nadel durchstechen und dazu die Worte sprechen:

Weil du mir das Herz zerbrochen
Hab ich dir das Herz zerstochen.

Das Mädchen tat's, und wie sie das Herz auf der Karte durchstach, quoll aus dem kleinen Loch ein dicker Blutstrahl hervor. – Der Soldat fast zu der Stunde gerade mit seinen Kameraden beim Bier. Da schrie er plötzlich laut auf: Jesus Maria! und fiel von der Bank, während er die Hand krampfhaft auf sein Herz drückte. Die andern zogen ihm gleich die Kleider ab; da sahen sie eine tiefe, frisch blutende Wunde in seinem Herzen, die ihm doch niemand geschlagen hatte.

 

Die Fähigkeit, sich in Tiere zu verwandeln, teilen die Zauberer mit den Hexen; sie können aber auch als irgend beliebige tote Gegenstände erscheinen, indem sie sich entweder selbst tatsächlich so verwandeln, oder sie verblenden nur dem Zuschauer die Augen, daß er etwas anderes zu sehen meint, als was in Wirklichkeit da ist. Damit ist ihnen die Möglichkeit zu den verwunderlichsten Kunststücken gegeben:

Der Holzblock. In Breitenbach in Sachsen war ein Wilddieb, der konnte sich und was er sonst wollte in jede beliebige Figur verwandeln. Einst hatte er gerade einen Hirsch geschossen; da sah er von fern einen Jägerburschen herankommen. Schnell verwandelte er sich in einen Holzblock und den Hirsch in einen Busch. Der Holzblock war oben glatt wie abgesägt und der Jäger setzte sich darauf und schnitt eine Rolle Tabak darauf klein. Und gerade an der Stelle, wo er am derbsten einschnitt, war der Kopf des verzauberten Wilddiebes, der sich doch nicht rühren durfte. So oft er später dies Abenteuer erzählt hat, soll er allemal gesagt haben: »Da hab ich aber die Zähn müssen zambeiß!«

Luxemburger Sage von einem Blendzauber. Die in der französischen Revolution verfolgten Geistlichen erfreuten sich eines besonderen göttlichen Schutzes. So geht die Sage von einem gewissen Wellenstein, der oft auf wunderbare Weise den Händen seiner Feinde entging. Einmal rief ein Bauer ihm zu: »Herr Wellenstein, Sie sind verloren. Da unten kommen zwei französische Gendarmen geritten!« – »Die fürchte ich nicht,« sagte der Geistliche und stellte sich mit erhobenen Händen einen Schritt seitwärts ins Gebüsch. Die Reiter kommen heran und wie sie gerade bei dem Geistlichen angelangt sind, steigen sie ab, um ein wenig auszuruhen, und binden ihre Pferde an den rechten und linken Arm des Geistlichen. Das Bäuerlein war außer sich vor Staunen. Als die Reiter nach einer Weile wieder abzogen, ließ der Geistliche die Arme sinken, trat aus den Bauer zu und sagte: »Die konnten mir nichts anhaben. Sie nahmen mich für einen Baum.«

Schlichtriel, der Hexenmeister. Zu Mittweida bei Leipzig lebte vor langen Jahren ein Mann, der mehr als Brot essen konnte; Schlichtriel hieß er. Sein Haus auf der Freiberger Straße wird noch heute gezeigt. Von wem er die schwarze Kunst gelernt hatte, weiß man nicht; aber er übte sie zuweilen an seinen Mitbürgern aus. Eines Abends sahen die Leute von Mittweida einen Hahn, der einen schweren Zaunpfahl in seinem Schnabel herumschleppte. Da kam aber gerade eine Magd vom Felde herein, die hatte einen Futterkorb voll Klee auf dem Rücken. Darunter war, ohne daß sie es wußte, ein vierblätteriges Kleeblatt. Darum konnte sie der Zauber nicht blenden, und sie sah, daß der Hahn keinen Pfahl, sondern nur einen Strohhalm im Schnabel trug. Sie klärte die Leute über die Täuschung auf. Schlichtriel aber, dem sie einen Spaß verdorben hatte, sann auf Rache. – Als nun dieselbe Magd einstmals über die Bachbrücke an der Freibergerstraße ging, schien es ihr, als ob das Wasser des Baches bis zur Brücke steige und sie schon überschwemme. Sie raffte schnell ihre Kleider zusammen, damit sie nicht naß werden sollten; aber das Wasser stieg immer höher und die Magd mußte ihre Röcke immer höher heben. Die Leute am Rande des Baches aber sahen nichts von dem Wasser und lachten die Magd gehörig aus. So hatte Schlichtriel sich gerächt.

Beim Zaubern kommt alles darauf an, daß man die richtige Zauberformel weiß. Wie schlecht es einem gehen kann, der da nur in einem Wörtlein irrt, sahen wir bei der einen Sage vom Walpurgisritt. Darum gibt es eine große Menge von Büchern, in denen die Zauberformeln und Gebräuche genau verzeichnet stehen. Solche Bücher werden noch heute in einigen Gegenden Deutschlands viel gelesen und auch noch verkauft, aber möglichst heimlich, denn die Regierung und die Geistlichen haben das Zaubern verboten. Wer etwa das sechste und siebente Buch Moses, das Buch Jesirah oder gar Doktor Faustens Höllenzwang besitzt, der hält sie hoch in Ehren und zeigt sie nicht gern einem Fremden. Es kann aber auch gar zu leicht ein großes Unheil daraus entstehen, wenn ein Unverständiger über ein Zauberbuch gerät.

Das alte Buch. Ein Geistlicher zu Crailsheim hatte in einer gewölbten Stube alte große Bücher, die mit Ketten an die Decke und an die Wände geschlossen waren. Als einmal die Magd in dieser Stube allein war, machte sie eins der Bücher neugierig auf und las eine Stelle daraus her. Da wimmelte plötzlich die ganze Stube von Mäusen, so daß die Magd vor Schrecken um Hilfe rief. Auf das Geschrei kam der Geistliche herbei und ließ sich von ihr schnell erzählen, was geschehen war. Dann las er dieselbe Stelle von hinten nach vorn ab und darüber verloren sich die Mäuse alle wieder.

Das Klammergspreng. Vor ein paar hundert Jahren ist am Röderhof (im Böhmerwald) ein Bauer gewesen, der hat sich aufs Zaubern verstanden. Er hat ein Büchel gehabt; wenn er in dem gelesen hat, so ist das geschehen, was er hat haben wollen. – Einmal ist er an einem Sonntag in die Kirche gegangen und der Knecht hat allein das Haus gehütet. Der hat in des Bauern Sachen zu streunen angefangen und ist auch über das Zauberbüchel gekommen. Er hat es aber nicht gleich gekannt, was das ist. Mit dem Büchel hat er sich zum Tisch gesetzt und hat darin zu lesen angefangen. Wie er so gelesen hat, ist auf einmal ein Rabe auf der Ofenstange gesessen, bald darauf noch einer und noch einer, und er hat immerzu gelesen und hat die Schwarzen nicht bemerkt. Auf den Ofenstangen ist schon kein Platz mehr gewesen und die Raben haben die ganze Ofenbank eingenommen. Wie da endlich einer auf den Tisch geflogen ist, hat er in die Höhe geschaut und hat eine große Angst gehabt, weil es in der Stube schon ordentlich schwarz gewesen ist. Er hat immerfort gelesen und hat gemeint, er wird sie anbringen; es sind aber immer noch mehr gekommen. Die haben sich aus den Schüsselkorb, auf das Bett und auf die Fensterbrettln gesetzt. – Da geht auf einmal die Tür auf und der Bauer rennt herein, ganz erhitzt und erschwitzt, weil er von der Kirche her recht gelaufen ist. Es ist ihm schon in der Kirche vorgegangen. Da ist ihm so zweierlei geworden, und dann ist ihm auch eingefallen, daß er das Zauberbüchel nicht gut aufgehoben hat. Es hat ihm keine Ruhe mehr gelassen und er ist mitten unter der Meß fortgelaufen. Je näher er zum Hof gekommen ist, desto besser ist er gerannt. Er hat gleich gesagt: »Kommt's meine Schwarzen, tut's mir den Hof schön, pflastern mit großen Steinen.« Darauf hat er gleich dem Knecht das Büchel aus der Hand gerissen und hat angefangen zurückzulesen. – Er hat kaum angefangen gehabt, sind die Raben schon fertig gewesen. Sie sind über ihn her; er müsse ihnen gleich sagen, was sie tun sollen, sonst würd es ihm schlecht gehn. Da hat er einen halben Strich Linset genommen und hat ihn auf der Wiese ausgestreut. Er hat gesagt, sie sollen die Linset fein sauber zusammenklauben und hat gleich wieder mit dem Zurücklesen angehebt. Er war aber erst halb damit fertig, da sind sie schon wieder da gewesen und haben eine neue Arbeit verlangt. Er solle ihnen etwas zu tun geben, daß man ewig an sie denken wird, habens gesagt. – Jetzt hat sich der Bauer nimmer zu helfen gewußt. Endlich ist ihm doch etwas eingefallen. In der Nähe ist ein See gewesen, der Klammersee, den, hat er gesagt, sollen sie durcharbeiten, so tief, daß kein Wasser mehr drin stehen bleibt. Die Schwarzen sind gleich abgefahren und er hat angefangen zu lesen und ist richtig gerade fertig geworden, als die Teufel schon wieder herein gewollt haben. Der Bauer ist zu Tode froh gewesen, wie er sich von diesen bösen Geistern hat befreit gehabt und er hat seitdem das Büchel nicht mehr von sich lassen. – Das, was die Rabengestalten damals gearbeitet haben, kann man noch heute sehen. Der Hof des Röderbauern ist noch heute gepflastert und alle Jahre kommen viele Touristen zum Klammerloch, das im Volksmunde »Klammergspreng« heißt, und bewundern den Wasserfall, den das herausströmende Bächlein da bildet.

 

Zahlreich sind die Sagen vom zauberkundigen Jäger, dem Freischützen. Er versteht nicht nur das Wild zu bannen, daß es ihm nicht entfliehen kann, sondern er hat auch Kugeln, mit denen er unfehlbar alles trifft, was er nur treffen will. Wer diese Kugeln erlangen und Freischütz werden will, darf sich vor Gott und Teufel nicht fürchten, und muß irgendeinen Schuß tun, der seine Verwegenheit beweist.

Der Wildanbanner. Bei dem Forstner Frühholz in Lichtenberg am Lech war im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ein Jagdgehilfe, der konnte mehr als ein anderer kann. Ging er zu Holz, so mußte alles Wild zu ihm hinlaufen, und dann suchte er sich aus, welches das feisteste war, das nahm er und dann schoß er es nieder. Wenn ihn das Wild nur von weitem schmeckte, dann liefen ihm gleich die Zähren nur so aus den Augen herunter.

Drei Freischützensagen. 1. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war auf dem Dörrhof bei Rauhenberg in Baden ein Jäger, der hatte die drei Freischüsse getan und konnte nun alles schießen, was er nur wollte. Die Freischüsse tat er so, daß er auf ein Tuch kniete und das erstemal gegen die Sonne, das zweitemal gegen den Mond und das drittemal gegen Gott selber schoß, wobei vom Himmel drei Blutstropfen auf das Tuch fielen. – Nachdem er gestorben war, ging er sogar am Tage im Wald beim Dörrhof in seiner Jagdkleidung um, mit Gewehr, Büchsenranzen und Jagdhund. Später ist er vom Schinder gebannt worden.

2. In der Gegend von Hildesheim ist ein alter Förster gewesen, der hat, was er auch aufs Korn genommen, nie gefehlt. Nun hat er einen Burschen gehabt, der hat auch gern nie fehlende Schüsse haben mögen; darum hat er den Alten gebeten, er möge es ihm beibringen. Da hat ihm der Förster gesagt, wenn er das nächstemal zum Abendmahl gehe, solle er die Oblate nicht hinunterschlucken, sondern unbemerkt aus dem Munde nehmen und einstecken. Das hat er auch getan. Und als er aus der Kirche heimgekehrt ist, ist er mit dem Förster nach dem Wald gegangen; da hat der Förster die Oblate genommen und an einen Baum genagelt und hat den Burschen geheißen, seine Flinte darauf anzulegen. Der nimmt die Büchse; aber wie er eben anlegt, sieht er unfern Herrn Christus am Baume stehen, so daß ihm die Büchse fast aus der Hand fällt und er nicht wieder schießen mag. Aber der Alte hat ihn gescholten, er sei ein feiger, einfältiger Geselle. Da hat er doch noch einmal angelegt, hat losgedrückt und die Oblate ist von der Kugel mitten durchbohrt und ganz blutig gewesen. Seit der Zeit aber hat er nie wieder sein Ziel gefehlt.

3. In Mecklenburg erzählt man: Ein Jäger, der Freischütz werden wollte, wandte sich an einen Förster, der die Kunst verstand. Der Förster versprach es ihm, wenn er die drei erforderlichen Probeschüsse tue. An einem bestimmten Tage nahm der Förster ihn mit ins Holz, stellte ihn an einer kleinen Blöße an und gab ihm die Weisung, auf das erste Wild, das er aus dem Dickicht ihm über die Blöße bringen würde, zu schießen. Bald darauf kommt der Förster auf einem Rehbock aus dem Dickicht geritten; der Jäger schießt nicht, weil er den Förster zu treffen fürchtet. Darauf kommt der Förster zurück und macht ihm Vorwürfe: zweimal könne er ihm noch ein Wild vorbringen, einmal wenigstens müsse er schießen, wenn ihm sein Leben lieb sei; daß er ihn treffe, brauche er nicht zu fürchten, er sei schußfest. Das zweitemal kommt der Förster auf einem Hirsch vorüber, aber der Jäger schießt wieder nicht. Das drittemal kommt er auf einem wilden Schwein und ruft ihm zu: »Schieß, oder es kostet dir dein Leben!« Der Jäger schießt nicht und das Schwein verschwindet mit dem Förster, der auch nicht wiederkam. Dem Jäger geschah weiter kein Leid; aber Freischütz ist er nicht geworden. –

Dem Förster scheint in der letzten Sage sehr viel daran zu liegen, daß der Jäger den Freischuß tut, und dieser Wunsch ist vielleicht ebenso wie das Verschwinden des Försters am Schluß damit zu erklären, daß er vom Teufel geholt wird, wenn er ihm nicht innerhalb einer bestimmten Frist eine neue Seele überliefert. Diese Meinung: daß der Freischütz seine Kunst dem Teufel mit Menschenseelen bezahlen muß, steckt unausgesprochen wohl auch in der folgenden Sage.

Die Zauberkugel. Einem Förster wurden alle seine Jungjäger, wenige Tage, nachdem sie ihren Dienst angetreten, an einem bestimmten Platz erschossen. Als dann ein neuer Bursch zu dem Förster kam, und sich in seinen Dienst meldete, führte ihn der Förster an die Unglücksstätte und warnte ihn: er dürfe niemals dahin gehen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Der Bursch versprach zu folgen, ging aber schon nach wenigen Tagen absichtlich an die verbotene Stelle. Dort nahm er sein Mittagsbrot hervor, setzte sich neben einen freistehenden Baumstock und legte seinen Hut mit dem Deckel nach unten auf diesen Stock. Gleich darauf fiel eine Kugel in den offenen Hut hinein. Der Bursche nahm die Kugel, lud sie in eine Flinte und schoß sie in derselben Richtung zurück wie sie gekommen war. Als er nach Hause kam, fand er seinen Herrn, den Förster, erschossen.

Der Glaube an den Werwolf mit seinem Zaubergürtel ist heute vor allem noch in Norddeutschland lebendig. »Man soll nicht alles aufheben, was man findet,« hört man in Luxemburg oft sagen, und dabei denken die Leute an die alte Zeit, wo man Gürtel hatte, mit denen man sich in einen Werwolf verwandeln konnte. Wer einen solchen Gürtel fand und umtat, war alsbald ein Werwolf und mußte von da an jeden Tag zu der Stunde, wo er den Gürtel gefunden hatte, ihn anlegen und eine Stunde als Werwolf umhergehen und alles zerreißen, was ihm in den Weg kam. – Ursprünglich ist das Werwolflaufen wohl auch als eine Art Krankheit, als ein Schicksal wie das Drückengehen gedacht; davon weiß das Volk z. B. noch in Oldenburg, wenn es behauptet, unter sieben Söhnen sei stets ein Werwolf; und auch die Meinung, daß man den Werwolfsgürtel irgendwo zufällig finde und damit unter den Zauber gerate, scheint darauf hinzudeuten. Meistens aber hat sich die Vorstellung heute geändert. Wie die Trude zur Hexe, so ist der Werwolf zum Zauberer geworden, der aus freien Stücken, um andern zu schaden, den Zaubergürtel umlegt.

Der Werwolf zu Rodingen. Ein reicher Bauer aus Rodingen in Luxemburg hatte mehrere Knechte, die nach damaligem Brauch jeden Abend die Pferde auf die Weide führten. Dabei waren dem Bauern schon mehrere Pferde und Füllen weggekommen. – Eines Abends lagen die Knechte wie gewöhnlich draußen bei den Pferden und weil sie müde waren, schliefen sie bald ein. Nur zwei schliefen nicht. Der jüngste Knecht hatte bei seinem Mitknecht einen verdächtigen Gürtel bemerkt und stellte sich nun, als schliefe er, um den andern zu beobachten. Wie der alles um sich her schlafen sah, legte er sich den Gürtel um und machte sich als Werwolf über ein etwas abseits weidendes Füllen her, zerriß es und fraß es auf. Dann, schnallte er den Gürtel wieder los und legte sich neben seinen Gefährten. Bald aber fing er entsetzlich an zu wimmern und klagte den wach gewordenen Knechten über Leibschmerzen. Da rief der jüngste: »Da kann man schon Bauchgrimmen haben, wenn man ein ganzes Füllen im Leibe hat!« – »Hätte ich das gewußt,« schrie der andere, »so hätte ich dich zuerst gefressen!« – Der jüngere Knecht verließ am folgenden Tag den Dienst, aus Furcht, doch einmal dem Werwolf zum Opfer zu fallen.

Der Schäfer zu Keispelt. Zu Keispelt in Luxemburg war einmal ein Schäfer, der in dem Rufe stand, ein Zauberer zu sein, und deshalb von allen Leuten gemieden wurde. Der ging einmal mit seinen zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, auf die Weide. Als es Mittag war, sagte er zu ihnen: »Kinder eßt, was ich mitgenommen habe. Ich will nachsehen, ob ich nicht das Schaf wiederfinde, das gestern verloren ging. Und wenn ein Wolf kommt, habt keine Angst, sondern werft ihm nur Lieschens rote Schürze vor, so tut er euch nichts.« Damit ging er fort. – Nach einer Weile kam wirklich ein Wolf dahergetrollt und die Kinder begannen vor Angst zu zittern; aber sie dachten an den Rat ihres Vaters und Lieschen warf dem Wolf ihre rote Schürze vor. Da zerriß der Wolf die Schürze in tausend Fetzen und ging seiner Wege. – Eine Stunde später kam der Schäfer zurück. Er legte sich müde aufs Moos und schlief bald ein. Wie er nun so mit offenem Munde schlief, sahen die Kinder, daß der Vater Fetzen von Lieschens Schürze zwischen den Zähnen stecken hatte. Darüber erschraken sie sehr und meinten, ihr Vater müsse wohl selber der Wolf gewesen sein. Aber sie nahmen sich vor, keinem Menschen etwas davon zu sagen, weil man sonst ohne Zweifel den Vater totschießen würde. – Nachher zu Hause mußte Lieschen aber doch erzählen, wo ihre rote Schürze geblieben war, und da gab ein Wort das andere, da erzählte sie auch, wie der Vater Fetzen von ihrer Schürze zwischen den Zähnen gehabt hatte. Die Sache kam vor den Richter, und der Schäfer gestand auf der Folter, er habe vom Teufel einen ledernen Gürtel bekommen: so oft er den umschnallte, sei er ein Wolf geworden. Da wurde der Schäfer verbrannt und seine Asche in den Wind gestreut. –

In dieser Geschichte haben wir den gleichen Konflikt zwischen dem unwiderstehlichen Trieb und einem menschlichen Gefühl, wie wir ihn schon aus den Trudensagen kennen: der Werwolf fürchtet, seine eigenen Kinder zu zerreißen, und gibt ihnen deshalb selber im voraus den rettenden Rat; und nachdem er die Schürze zerrissen hat, ist sein Wolfshunger für das Mal gestillt, wie der Trudentrieb sich auch an einem Baum befriedigen läßt. Die andere dem Trudenglauben entsprechende Meinung: ein Werwolf werde von seinem Triebe für immer geheilt, wenn ihm jemand freiwillig ein Tier schenkt, das er töten darf, findet sich in einer Schweizer Sage. Sie hat sich da allerdings schon recht verändert, und das moderne Gesellschaftsgewand, in dem sie da erscheint, steht zu dem altertümlichen Kern der Sage in wunderlichem Gegensatz.

Das Untier auf dem Arbberg. Vor vielen Jahren hieß es in Zermatt, auf dem Arbberg sei ein Bär in die Schafweide eingebrochen. Da zogen die Leute in Eile auf den Berg und fanden dort in der Tat einen gewaltigen Bären, der brüllte vor Hunger und bedrohte wütend die erschreckten Schafe. Noch aber hatte er keins von ihnen geraubt. Da ergriff ein Bauer ein kränkelndes Schäfchen und warf es dem Bären hin und rief: »Da friß, das schenk ich dir. Aber laß uns die andern in Ruhe!« Der Bär nahm das Schäfchen in die Zähne und trabte mit ihm davon. – Einige Jahre später ging derselbe Bauer einmal nach Sitten auf einen Jahresmarkt. Da begegnete ihm ein gutgekleideter Mann, der begrüßte ihn freundlich und lud ihn zum Mittagessen ein. Der Zermatter kannte ihn nicht und sagte, es müsse wohl irgendeine Verwechslung sein, aber der Fremde bestand darauf, er müsse mit ihm essen. Da ging der Bauer mit dem Fremden in sein Haus. Und als er nach dem Essen dankend Abschied nehmen wollte, stand der andere auf und sagte: »Warten Sie, mein Freund. Ich habe Ihnen noch einen großen Dank abzustatten. Vor Jahren bin ich in meiner Bosheit oft als Bär gegangen und habe den Menschen vielen Schaden angetan; da haben Sie mir einmal ein Schäfchen geschenkt. Das ist mir so zu Herzen gegangen, daß ich mich von meiner Bosheit bekehrte und nun ein wohlhabender und glücklicher Mann geworden bin. Das habe ich Ihrer Großmut zu danken.« 2.


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