Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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VII

Daß in Corvey die Mauern noch heil und die Türen nicht ausgehoben oder eingeschlagen waren, wissen wir jetzt; in der Beziehung hatte das Stift es besser als die Stadt; sonst aber ließen die Zustände nach dem Abzug der hohen Bundesgenossen auch bei den guten Benediktinern vieles zu wünschen übrig.

Der Pater Adelhardus gab nunmehr dem Bruder Henricus ausführlichen Bericht darüber.

»Ich rate dir, mein Sohn«, sprach er, »halte dich an die Knochen; ich habe einen harten Kampf gefochten, ehe ich sie hier im Closet in Sicherheit hatte. O gula, gula hominum! ach über der Menschen Freßgierigkeit! Es war nicht einer, nicht ein einziger unter der Brüderschaft, der mir die schmalen Bissen gönnte. Aber sie sollen es verspüren beim nächsten Bräu; cellarius sum, ich bin der Kellermeister! Halte du dich an mich und nimm vorlieb mit dem Schinkenbein; an den Puterhahn hab' ich mich gehalten; doch nur weil seine Besitzergreifung mir die größesten Ängste und Nöte verursachet hat. Wahrlich, sie bliesen alle selber die Kämme auf und waren hinter mir drein mit kalekutischem Gekoller, sed palmam reportavi, ich habe obgesieget!«

»So schlimm steht es hier bei Euch, Vater Adelhard?«

»Woui, mon fils. Ehe sie uns nicht neues Schlachtvieh aus den obern Dörfern zutreiben, ist freilich Hunger der beste Koch zu Corvey. An den Geflügelhof mag ich gar nicht gedenken. Halte dich an den Schinken, Sohn Heinrich: Buchweizen heißt es morgen, und Buchweizen wird es auch übermorgen heißen. Buchweizen, Buchweizen, eine gesunde Zukost; aber ich liebe dich, Henrice, und bin nicht wie die andern: ich gönne dir den Schinken und sehe zur Seite, während du speisest.«

Er sah wirklich weg, wenngleich tief seufzend. Und es blieb freilich von dem Schinken wenig für den andern Tag übrig. Seit langer Zeit hatte kein Corvey'scher Mönch sich mit so gutem Rechte zu seiner »Palme« eine Märtyrerkrone verdient wie der Vater Adelhard von Bruch an diesem Abend.

Jetzo aber schlug der mächtige Knochen wie Holz auf den Teller; der Bruder Henricus war gesättigt, und der Humpen nahm seinen Weg zwischen den beiden braven alten Gesellen wieder auf.

»Du hättest doch zu Hause sein sollen«, sprach der Cellarius. »Wie es bei uns herging, als der Herr von Turenne sein Hauptquartier in Höxter nahm, weißt du noch; aber wie freundlich noch zu guter Letzt der Kommandante, den Turennius uns zurückließ, der Herr von Fougerais, war, das ist dir nun leider entgangen. Hoch ging's her, bei Tage und bei Nacht. Sie konnten nicht von uns lassen, und es wäre auch dumm von ihnen gewesen; denn wir trugen ihnen auf, daß die Tische knackten – o du hättest die Brüder sehen sollen. Das ging so hin – unser griechischgelehrter Vater Agapetus hat es uns aus dem Homero verdeutschet – weißt du, Sohn Heinrich, wie, wie – im Schlosse des Königs Odixus; und das Stift war die Königin Penelope, und die Franzmänner waren die ambitores, die proci, die Freier! Ebibe! trink aus, mein Sohn; deposuimus eos vino, wir haben sie häufig genug zu Boden getrunken; aber sie standen immer am andern Morgen wieder auf. Seine fürstlichen Gnaden von Münster, unser Herr Administrator, können es uns nimmer vergessen, was wir alles angestellt haben, um hochdero Verbündeten den Aufenthalt bei uns kommode zu machen; ob sie uns freilich die Auslagen wieder ersetzen werden, das stehet wohl dahin. Man hat so glorreiche Alliierte eben nicht um ein Stück Haferbrot und einen Trunk aus der Schelpe, was sonst ein gar kühles und gesundes Wasser sein soll!«

»Das meinte der Braunschweiger hohngrienig auch«, sagte der Bruder Henricus.

»Davon nachher. Jetzt laß dir weiter erzählen. Siehe – da liegt der Schinken – knochen! Wir hatten sie zu Hunderten in der Rauchkammer, einen bei dem andern; vordem ein Anblick des Ergötzens, nunc lugubris et tristis memoria! weg sind sie! Ja, ja, mein Sohn, via ad coelum nonnisi lacrymis struitur – der Weg zum Himmel gehet durch ein Tränental. Wir hatten sie, Gallos meine ich, auf dem Tische und bei Tische. Weg sind sie, galli et Galli. Die einen in den Mägen der andern; und wie es den Hennen zu Höxter ergangen ist, das werden die nächsten Monden ausweisen. Da waren sie sich alle gleich, die aus dem Languedoc und die aus der Bretagne, die aus der Normandie und die aus der Pikardie, und ihr Haupthahn war nicht besser als sein Volk. Diabolus accipiat animam ejus, der Böse nehme ihn beim Kragen auf seinem Wege nach Wesel. Na, mein Sohn, du rittest mit dem Tilly in deiner Jugend, du weißt Bescheid –«

»Sprechen Sie jetzo das Gratias, mein Pater«, seufzte der Bruder Henricus. »Grade weil ich mit dem Tilly ritt, will das mir in diesem Momento nicht anstehen. Nachher wollen wir uns schlafen legen.«

»Das wollen wir mitnichten«, rief der Pater Adelhardus.»Omnia tempestive, alles zu seiner Zeit. Habe ich mich deinethalben so heischer gesprochen, so berichte mir nun auch, was du uns Gutes mitbringst vom Herzog Rudolfus Augustus.«

»Das mögt Ihr nun nehmen, wie Ihr wollt«, flüsterte der Bruder Henricus. »Er hatte den Wald, den Solling, gewaltig verrammelt. Er stand mit Geschütz, Reitern und Fußvolk vom Ith her bis an den Fluß. Bis hieher und nicht weiter! sprach er, nachdem er mir seine Rüstung hatte vorweisen lassen. Es wäre selbst für den Turennius ein harter Marsch durch den wilden Forst und die Weserberge gewesen.

»Deshalb blieb er auch confortabiliter bei uns und zeigte den Huxarienses, den Höxter'schen, und uns seine und unseres Herrn Bischofen und Administratoren Macht und Gewalt!«

»Nachher fand ich heute die Weserbruck abgebrochen.«

Der Cellarius von Corvey neigte bedächtig das Haupt:

»Es hat alles seine Gründe in dieser Welt. Diesmal sind wir in Holland in Not, sonsten wäre es uns noch länger ganz wohl zu Corvey gewesen; – nicht wahr, Messieurs?... Uns? Uns! lieber alter Sohn Heinrich, wir leben in einer bittern, verworrenen Zeit. Haben wir die Pikenierer und Musketierer des Braunschweigers hier gehabt, so könnten wir wohl auch noch einmal seine Artolleria über den Fluß rücken sehen. Der Herr von Fougerais war ein kluger Mann und marschierte mit dem Bart auf der Schulter ab. Sohn Heinrich, weißt du, was mir ein Himmelstrost ist in diesen schlimmen Tagen?«

»Nun, mein Pater?«

»Daß ich nur Kellermeister zu Corvey bin und nicht Herr Christoph Bernhard von Galen, Bischof zu Münster; und daß nach unseres guten Abts Arnolden seligen Abscheiden Er Administrator vom Stift und hochberühmter Abtei geworden ist und ich nicht Abt. Jetzo können wir zu Bette gehen, mein Sohn!«

Das konnten sie freilich; sie kamen nur fürs erste noch nicht dazu. Sie hörten die nämlichen Glocken, von denen der Helmstedter Student, Herr Lambert Tewes, in der Schenke zum heiligen Veit erweckt wurde aus seinem Schlummer.

»Sankt Vitus, was ist dieses?« rief der Bruder Henricus, die Hand hintere Ohr legend.

»Hörst du etwas, Henrice?«

»Es klingt wie Sturm.«

»So summt es mir schon tagelang im Kopf – ich meine, es liegt in der Corvey'schen Luft. Collusio Diaboli, Täuscherei und Blendwerk des Teufels! Wir wollen schlafen gehen.«

»Nein, nein, das ist keine Gaukelei der Luftgeister. Sie läuten Sturm zu Höxter«, rief der Bruder Henricus. Er war zu dem hohen Fenster mit den kleinen runden Glasscheiben getreten und hatte einen Flügel geöffnet.

»Hören Sie, mein Vater?«

»Sohn Heinrich, du hast wieder einmal recht. Hilf mir auf; o über die Heringskrämer, sie werden wohl auch einen Brand zu löschen haben. Sehen wir, ob der Himmel im Westen rot wird.«

Auf den Bruder Henricus gestützt, wackelte der brave Vater Adelhardus durch den langen Korridor in den westlichen Flügel des Gebäudes, und beide Alte sahen neugierig nach der Stadt hin. Das Himmelsgewölbe war und blieb aber dort dunkel; und es war gleich schwarze Nacht im Morgen und im Abend.

»Dann ist es etwas anderes; und nun werden der Herr Prior, samt Subprior und Propst doch wohl aus den warmen Nestern herfürmüssen«, brummte der Cellarius, zwischen Schadenfreude und eigener Unbehaglichkeit schwankend.

»Ich habe es mir wohl gedacht; es sah böse aus in Höxter, als ich heut abend von der Fähre kam. Die Gassen gefielen mir nicht, und was darin geredet und geflüstert wurde, gefiel mir noch weniger.«

»Rebellion? Tumult in der Stadt? Seditio ante portas?«

»Unseren teuern Brüdern zu Sankt Niklas war's auch nicht wohl zumute.«

»Also das alte Spiel! Trumpf Luther, – Trumpf Papst! der Herr schütze uns; Schellenkönig – Eckerdaus! Stich Münster – Stich Braunschweig! – zieht Ihr die Lärmglocke von Corvey, Frater Henricus; – treibt mir die Klostermannschaft in die Hosen; ich will die Väter und Brüder hervorpochen. O Herr von Zitzwitz, ach Herr von Metternich, der Herr gibt es den Seinen im Traum. Ho, ho, heraus! Heraus! all'arme! all'arme! Huxar im Aufstande!«...

Nun war es doch spaßig, in diesem Moment in diesem Korridor der großen Abtei Corvey zu stehen und darauf zu achten, wie auf den Waffenruf das sonore Schnarchgetön hinter den Zellentüren plötzlich stillestand – als ob ein Mühlwerk angehalten wurde. Dann aber polterte und grummelte es hinter diesen Türen, dann öffneten sich die ersten derselben – dann wimmelte es hervor, und zwar aus allen.

»Sankt Veit und Benedictus, was gibt es denn nun schon wieder?«

Der Vater Adelhardus ließ sich auf keine Antwort ein; er weckte den Herrn Prior zum andernmal. Der Bruder Heinrich von Herstelle aber, ein Mann, dem es ganz gleichgültig war, ob in seiner Abtei die fünf ersten Bücher der ›Annalen‹ des Tacitus wiedergefunden worden waren, verstand es dagegen noch ganz trefflich, eine Lärmglocke zu ziehen und eine Wachtmannschaft in den Harnisch und an die Spieße zu bringen.

Corvey lief durcheinander:

»Sankt Veit, die Braunschweiger sind über den Fluß! Sankt Benedikt, der Fougerais ist umgekehrt. Sie sind im Handgemenge in Höxter! Aus den Betten für das Stift! auf für Christoph Bernhard, – auf für Corvey!«

Die ältesten Greise wankten hervor. Der Propst Ferdinand von Metternich kam; es kam der Subprior Florentius von dem Felde, und zuletzt kam auch der Herr Prior Nicolaus von Zitzwitz.

»Das war mir eine schwere Mühe«, erzählte nachher der Vater Adelhardus. »Elinguis stabat, gleich einem Ölgötz, gleich einem Stocke stand er und rieb sich die Augen. Vae turbatori; wer auch die Schuld davon tragen mag, – mir vergißt er die Molestierung in seinem Leben nicht.«

Dem sei nun wie ihm wolle; – so kam Corvey auf die Beine!..... Höxter und Corvey!


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