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Das sechzehnte Capitel.


Wie Markus Horn schweift durch die Gassen,
Adam von Bamberg nicht kann fassen;
Der letzte Richter wird sich zeigen,
Dem muß das höchste Haupt sich neigen.

Zum ersten Male im Laufe dieser Erzählung führen wir den Leser in das Quartier, welches der Rottmeister Horn während seiner Ausweisung aus dem Vaterhaus in der Alten Stadt Magdeburg auf der Heiligengeiststraße inne hatte, und wo ihm der kleine Pfeifer Fränzel Nothnagel all' die Dienste leistete, welche von einem solchen Springinsfeld zu erwarten waren. Von Bequemlichkeiten war in diesem Soldatenlosament wenig oder gar nichts zu bemerken. Ein hölzerner Tisch und einige Schemel nebst einem ureinfachen Lager bildeten die ganze Ausstattung. Waffen und Kleidungsstücke hingen in buntem Gemisch an den kahlen, weißgetünchten Wänden. Mehr als eine der winzigen runden Fensterscheiben war zerbrochen, und die Lücke durch einen Lumpen verstopft. Fränzel Nothnagel schlief auf einem Strohsack in der Ecke, wenn er nicht in der Wachtstube oder auf dem Walle schlief.

Es war die vierte Nachmittagsstunde des achtzehnten März, und einen Harnisch mit Rothstein und einem wollenen Lappen putzend, kauerte das Pfeiferlein in der Fensterbank und pfiff das Lied vom Kaiser Karl dem »Butzemann« zu seiner Arbeit, hielt Zwiesprache mit den Jungen in der Gasse und erwartete, auf diese Weise nützlich und angenehm beschäftigt, seinen Herrn. Gewöhnlich pflegte der Rottmeister um diese Zeit heimzukehren; aber diesmal zögerte er ungewöhnlich lange.

»Der schleicht wieder wie ein Kater um sein Mädchen«, brummte das schlaue Fränzel. »O je, o je, ich sollt' mein Herre sein, ich wollt' dem Ding' ein' ander' Farb' geben! Hat doch zu viele Gelahrsamkeit im Leib', mein Herr; will'n Kriegsmann sein und is 'n Magister; o je! o je! ... Wart', Du Hund da unten, willst Du mit Dreck schmeißen. Du Lump?! Ich will Dich!«

Von seinem Sitz sprang der Pfeifer auf, warf den Harnisch fort, riß eine Hakenbüchse von der Wand, hielt die Lunte einen Augenblick in den Ofen, wo noch einige Kohlen glimmten und zielte in heller Wuth auf den neckenden Bekannten in der Gasse, der jedenfalls verloren gewesen wäre, wenn nicht eine kräftige Hand dem wüthenden Fränzel die Büchse fortgerissen hätte.

»Du kleiner Satan«, schrie der Fähnrich Christoph Alemann. »Was fällt Dir bei, Du Teufelsbub; – wahrhaftig, das Rohr ist geladen! Wart', du Schlingel, da, da, da, nimm das, Du Hallunk'. Von Wall und Mauer magst Du so viel schießen wie Du willst, aber hier in den Gassen untersteh's! So, – noch einen zu guter Letzt, und nun gib Bescheid, wo ist Dein Herr?«

Der durch die hageldicht regnenden Hiebe halb betäubte Knabe bedurfte erst einiger Augenblicke der Sammlung, ehe er dem Fähnrich Antwort geben konnte.

»So, wenn Du meinst, daß der Rottmeister bald heimkommt, will ich ihn hier erwarten. Da, nimm Geld, lauf hinüber in den goldenen Pfau und hol' Bier – Merseburger vom letzten Faß, hörst Du. Vorwärts, soll ich Dir Beine machen?«

So schnell als ihn seine Füße tragen wollten, stürzte Fränzel Nothnagel fort; der Fähnrich warf sein Barett auf den Tisch und fing an, mit großen Schritten auf und abzugehen, daß der im Erdgeschoß wohnende Schneider bei jedem Tritt der schweren Reiterstiefel hoch aufhüpfte auf seinem Arbeitstische. Herr Christof Alemann befand sich in einer sehr aufgeregten, ungeduldigen Stimmung. Etwas ruhiger wurde er erst, als der Pfeifer mit dem Henkelkrug kam, und mehrere Gläser des schäumenden Getränkes hinuntergegossen waren.

»Ah!« seufzte der Fähnrich aus voller Seele. »Da, Bursch', sauf auch einmal, und nimm die Ablederung von vorhin nicht allzusehr zu Herzen. 'S war gern geschehen!«

»Euer Wohl, Herr Fähnrich!« sprach ehrbar Meister Fränzel Nothnagel. »Ich weiß ja wohl, daß Ihr's nicht übel meinet. Aber lasset Euch nur nicht, ohne wüthend zu werden, so von Eurem Zorn hinreißen; 's ist nicht hübsch von Euch.«

»Sollst Urlaub haben, Bengel!« lachte der Fähnrich. »Auf die Gasse mit Dir! Bläu' durch den Taugenichts, der Dich warf. Fällt die Spieße – Sturm, Sturm, Trarara!«

»O je, Matz Kiebitz, jetzt gib Acht und wahr' Dich!« schrie das entzückte Pfeiferlein und polterte Hals über Kopf, bewaffnet mit einem schreckhaften Knüppel, die Trepp' hinab; eine grausame Schlacht begann in der Gasse und gewährte dem Fähnrich bis zur Ankunft des Rottmeisters eine angenehme Zerstreuung. Als Markus Horn in die Heiligegeiststraße einbog, wurde Matz Kiebitz eben mit der Nase in den Rinnstein, aus welchem er seine Munition entnommen hatte, niedergedrückt, und empor sprang Fränzel und eilte seinem Herrn entgegen, ihm zu melden: der Fähnrich Herr Alemann erwarte den Herrn Rottmeister im Losament.

Schnellen Schrittes eilte Markus weiter und trat dem Fähnrich mit dem Ruf entgegen:

»Gottlob, Christof, daß ich Dich finde. Ich war schon in Deinem Haus! Laß uns zusammenhalten, Christof, fest zusammen. O wenn Du eine Ahnung hättest von dem, was geschehen kann, ehe man eine Hand umkehrt. O wüßtest Du, was ich heute vernommen habe! 'S ist mir, als braucht' ich hundert Jahre, es auszusagen.«

»Es ist ein Gewitter in der Luft, das weiß ich«, sprach Christof Alemann. »Und mein Oheim, Herr Ebeling, will nicht sehen und hören, lacht und meint: solch' Geschwätz in den Gassen und Gemurr und Zusammenschleichen in den Quartieren sei schon öfters dagewesen und werd' nichts auf sich haben. Aber 's ist diesmal doch anders; – die alten Grauköpfe werden an dem Wetter so lange zweifeln, bis es ihnen die Schornsteine und Dächer auf die Platten wirft. Und das Schlimmste ist, daß man wohl sagen könnt', wer hinter all' dem dunkeln Wesen steckt und hetzt und treibt, und doch es nicht sagen darf.«

»O horch nur, horch, Christof. Nicht Alles kannst wissen; aber ich will's Dir künden!« rief der Rottmeister, des Freundes Hände ergreifend.

»Du zitterst ja, Markus?! Um Gotteswillen, was ist geschehen, was ist Dir begegnet?«

Mit hastigen, abgebrochenen Worten erzählte nun Markus dem Freunde die Begebnisse des Tages; theilte ihm mit, was mit dem Bamberger im Hause des Rathmanns vorgegangen war, berichtete, was auf dem Jakobsthurm sich ereignet hatte, und was daselbst gesprochen worden war.

Mit kaum zu bändigender Aufregung lauschte der Fähnrich, und als der Erzähler endigte, sprang er jach empor, nach dem Barett greifend:

»Was zaudern wir, Markus? Fort, fort; hinaus auf die Jagd nach dem Verräther! O wie ich diesen Burschen, diesen Adam Schwartze von je gehasset habe. Wie ich ihn gehasset habe mit seinem Lächeln und Flüstern und halben Worten! Auf ihn, nieder mit ihm! O wackerer, treuer, lieber Schütz von Sanct Jakob, gerächt sollst Du werden, ich schwör's bei Allem, was ich selbsten lieb habe!«

»Amen!« sprach feierlich Markus Horn, hielt aber den Fähnrich an der Thür zurück. »Wohin willst Du, Christof? Was wir thun wollen, müssen wir mit Bedacht thun. Seit heut' Morgen ist's, als hab' die Erd' diesen falschen Teufel verschlungen; Niemand weiß von ihm, Niemand hat ihn gesehen. Ist er vor der Stadt im Lager des Feindes? Lauert er innerhalb der Mauern in einem dunkeln Winkel auf seine Stunde? Der Kopf will mir zerspringen über allen Möglichkeiten. Und der tölpelhafte Trunkenbold, Hauptmann Springer, gehet umher, thut als spräche er sein meuterisch Volk zur Ruh', und man darf ihn nicht auf den Kopf schlagen, den falschen Schalk. Wag's nur, ihm die Schuld an dem Murren und aufrührerischen Wesen aufzumutzen; in Eisen kann er Dich werfen lassen, und weder Bürgermeister noch Rath wird dazwischen springen können. O sie sind so fein, die Schurken. 'S liegt in der Luft, wer kann dazu, daß das Volk unruhig ist? werden sie sagen und seufzen und die Achseln zucken. – Wie sollen wir den Bamberger greifen? Auftauchen und erscheinen wird er erst dann wieder, wenn das Wetter losgebrochen ist! Da wird er zur rechten Zeit blutig und feurig aus dem Boden steigen; und Alles, was wir wissen, was wir wider ihn vermögen, wird helfen wie eine Gerte gegen einen gepanzerten Mann. Horch nur, horch, ist das ein Lied, was heut' in dieser Stadt Magdeburg gesungen werden dürfte?«

Durch die Heiligegeiststraße zog, vollständig bewaffnet, ein großer Schwarm Springer'scher Knechte und sang oder brüllte vielmehr aus vollem Halse:

»Gott helf' dem Rautenkränzelein,
Welch's lang' hat mußt verdunkelt sein,
Daß es werd neu gewunden;
Moritz, Herzog zu Sachsenland,
Zu seiner Ehr' mag kommen, Ja kommen!«

»Verrath! Verrath! Klarer, offenkundiger Verrath!« schrie Christof Alemann außer sich. »Verrath! Gott schütze die Stadt! Laß mich frei, Markus – Verrath, Verrath!«

Loß riß er sich, und das Schwert aus der Scheide ziehend, stürzte er in die Gasse hinab, wo schon drohende Volkshaufen die Lobsinger des Kurfürsten umgaben und begleiteten. Der trotzigen Rotte in den Weg warf sich der wüthende Fähnrich und schlug den Ersten, der ihm in den Weg kam, mit der geballten Faust in das Gesicht, daß er drei Schritte zurücktaumelte:

»Was soll das Lied, Ihr Schalksgezücht'? Seid Ihr Knechte dieser Stadt Magdeburg und brüllt in solchem Ton durch die Gassen?! In Eure Quartiere, Ihr Meuterer und Meineidigen!«

»Recht, recht, Herr Fähnrich! Recht, recht, Herr Alemann, Herr Christof!« rief das Volk. »Sagt's den Hunden, Herr Christof Alemann; – was haben sie uns vom Moritz vorzuplärren!«

»Stehet aus dem Wege, Fähnrich!« schrie Einer aus dem Haufen der Söldner. »Wir sein des Hauptmanns Hansen Springer's freie Knecht' und lassen uns nichts gefallen von solch' einem Fäntchen wie Ihr!«

Ein flacher Hieb mit dem Schwert warf den frechen Redner zu Boden; aber mit wildem Geschrei stürzten sich die Kameraden sogleich auf den Fähnrich.

»Nieder mit dem Muttersöhnchen! Nieder mit dem Jungfernknecht!«

Mit Steinen und Knitteln warf und schlug das Volk auf die Landsknechte und schrie:

»Zum Profoß, zum Profoß! An den Galgen mit den Verräthern, den Meutmachern!«

Aus seinem Quartier eilte Markus Horn, der seinen Freund in Gefahr sah, das Leben in so schimpflichem Kampf einzubüßen; aber in demselben Augenblick erschien auch glücklicherweise eine Rotte des Fullendorfers auf der Wahlstatt. Zerstreut oder niedergeworfen wurden die Springerschen Knechte, und die Gefangenen unter Mißhandlungen und Schimpfworten des Pöbels nach der nächsten Wache geschleppt. Voll Lärm und Getümmels war die Stadt; den Fähnrich Alemann hatte Markus aus dem Gesicht verloren; – es war vollständig Abend geworden.

Geängsteten Herzens schritt der Rottmeister weiter und traf an einer anderen Ecke auf den Meister Sebastian Besselmeier, welcher mit einem andern erregten Volkshaufen einer Rede des Magisters Wilhelm, des Ecksteinpredigers, horchte.

»Hört nur, hört nur, Herr Rottmeister!« rief der Geschichtschreiber. »Wer spricht aus dem fanatischen Narren? Wer hat sich seines armen Hirnes bemächtigt, das Volk zu verwirren? 'S ist Wahnsinn, Wahnsinn; aber sehet nur, wie sie die Hälse recken. Gott schütze die Stadt; es ist ein bös–«

»Wie soll Gott die Stadt schützen, wenn solch' unberufene Mäuler, wie Eures, Meister Sebastian, in seiner begeisterten Diener und Propheten Worte waschen!« rief ein exaltirter Schuhmacher, den wackern Besselmeier mit grimmigem Blicke musternd. »Geht Eurer Wege, Mann, zu Euresgleichen redet Gott nicht durch den lieblichen Mund der Seinen.«

So viele drohende Fäuste wurden gegen Meister Sebastian ausgestreckt, so viel leise gemurrte Drohworte vernahm er, daß er schweigend sich mit dem Rottmeister zurückziehen mußte.

Noch in der Ferne hörten sie die gelle Stimme des Gassenpredigers:

»Im Rath der Thoren sitzen Eure Bürgermeister und Statthalter; unter den Spöttern sitzen die Kriegsobersten; im Laodicäischen Schlamm versunken sind Eure Pfarrer. Wehe, wehe, dreimal wehe der Stadt, wo solch' ein Wesen umgehet. Horchet dem Ton der Posaunen, so geblasen werden vor den Mauern. Niederfallen sollen Eure Wälle und triumphiren wird der Antichrist über die Scheinchristen. Höret den Ton der Posaune! Vor der Thür ist das Verderben, und die Obersten im Rath sitzen und schwelgen und prassen und haben nicht Acht der armen elenden Heerde, so ihnen anvertraut wurde. O ein Geschrei vom Morgen! O ein Geschrei vom Abend! O ein Geschrei über ganz Jerusalem und den Tempel! Eine elende Klage über Braut und Bräutigam! Ein Geschrei über alles Volk! Horchet dem Wort des Herrn, das ertönet durch meinen Mund. Ergreifet die Waffen – das Schwert, den Speer und den Bogen; werfet nieder die Wölf' im Schafskleide, so umgehen unter Euch; werfet nieder Die, so den Herrn verspotten in seinem Diener, den Mann, so sich nennt Albrecht von Mansfeld. Reißet vom Stuhl alle Gewaltigen – denn geschrieben stehet, und so spricht der Herr: Verflucht ist der Mann, so sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für meinen Arm!«

»Und da ist Niemand, der dem Thoren das Maul verbietet!« grollte der ehrliche Meister Sebastian. »Hört, wie sie ihm Beifall schreien. Es möchte, einen Stein erbarmen. Gehabt Euch wohl, Herr Rottmeister; ich will wieder nach Hause. Weiß der Himmel, zwischen seinen vier Wänden hat man keine Ruhe, die Unrast treibt Einen hinaus; in den Gassen aber und auf den Märkten da fällt Einem erst recht das Bangen auf das Herz, und im dunkelsten Keller möchte man sich verkriechen, um nur nichts mehr zu hören und zu sehen von der bösen Welt.«

»Ach, Herr Besselmeier«, sagte Markus, »noch viel schlimmer würde es in dieser bösen Welt aussehen, wenn alle Die, welche es gut und ehrlich meinen, ihr bedrücktes Gemüth in die Einsamkeit tragen würden. Nein, nein, jetzt erst recht soll sich jeder wackere Mann bei Tag und bei Nacht auf seinem Posten finden lassen. Gehabt Euch wohl, Meister!«

»Gehabt Euch wohl und – Gott schütze die Stadt!«

»Gott schütze die Stadt!«

Fürder wandelte Markus Horn ruhelos durch die Gassen seiner Vaterstadt, und je dunkler die Nacht herabsank, desto dunkler wurde es auch in seinem Geiste. So lange die Sonne schien, so lange es Tag war, hatten sich seine Gedanken, so bange und schwer sie waren, von den mancherlei Gegenständen des Lebens abgezogen, hierhin und dahin zerstreut; jetzt richteten sie sich alle wieder auf denselben Punkt, auf den Tod des Schützen vom Sanct Jakobsthurm und alles das, was damit zusammenhing. So verlor er sich schier in der blutigen Finsterniß, in welcher er den Adam Schwartze, der auch seinem Glück Verderben gedroht hatte und noch drohte, suchte. Er zermarterte sein Gehirn mit der Frage, was zu beginnen sei, die im Finstern kriechende Schlange zu fassen. Es war eine schreckliche Rathlosigkeit. Mit blankem Schwert, in voller Rüstung hätt' er Wacht halten mögen vor der Thür Regina's, vor dem Elternhaus; aber die Angst verhinderte ihn daran, die Angst, dem unheimlichen Feind anderwärts freien Spielraum zu gönnen, die Begier, ihn aufzusuchen, ihn zu verfolgen und wenn auch bis in die Eingeweide der Erde.

So irrte Markus von Gasse zu Gasse; aus dem Pfarrspiel zum Heiligen Geist hinüber zur Ulrichspfarre, von dort nach Sanct Katharinen.

Auf dem Breiten Wege neben den Barfüßern hing eine Laterne über einer Kneipenthür, und ein Heraustretender sagte:

»War das nicht mein Rottmeister Horn, mein Magisterchen, das da eben vorbeiging? Ein tapferer Mann, hat sich wohl verdient gemacht um die Stadt heut' Morgen, und ich sag' Euch, Gesellen, schon um dieses Mannes wegen laß ich nicht von der Stadt.«

Eine von der anderen Seite kommende verhüllte weibliche Gestalt horchte auf, als sie den Namen Horn vernahm:

»Wo geht der Rottmeister Horn?« flüsterte sie.

»Dort, mein Liebchen,« lachte der Mann. Aber gebt Euch keine Mühe, mein Herzchen, der Markus Horn ist ein Narr und weiß so eines hübschen Kindes Gütigkeit gar nicht zu schätzen – na, na, muß es denn grad' der Rottmeister Horn sein?«

Schon war die Vermummte eilig weiter geschritten, und der Spaßvogel, Meister Jochen Lorleberg, rief etwas zurück in die Schenke, welches allgemeines Gelächter erregte.

Einige hundert Schritte weiter ab fühlte Markus plötzlich seinen Arm berührt, und eine Frauenstimme flüsterte:

»Ihr sucht den Leutnant Adam von Bamberg, Herr Rottmeister?«

Auffuhr Markus aus seinen Träumen, als hab' ihn der Blitz getroffen; er griff nach der Hand, die seinen Aermel gefaßt hatte, und preßte sie, daß die Fragerin einen Schmerzensruf ausstieß.

»Wer seid Ihr? Was wisset Ihr von dem Bamberger? Bei Allem, was Euch theuer ist, antwortet! Wo find' ich den Leutnant Adam Schwartze?

»Lasset nur meine Hand los; sie steckt nicht im Panzerhandschuh. Wo der Leutnant Schwartze zu finden ist, weiß ich, und will's Euch künden, aber nicht hier in der Gasse. Wollt Ihr mir folgen, Herr Markus Horn?«

»Geh voran, wer Du auch seist, ich folge Dir; führe mich, führe mich!«

»So kommt!« sprach die Verhüllte, und schritt schnell den Breiten Weg wieder hinab auf Sanct Bartholomäus zu; hier bog sie, nahe dem Kloster, nach rechts ein, durchkreuzte einige dunkle Gassen und hielt an vor einem Gebäude, vor welchem ein Landsknecht Wache hielt.

»In des Springers Quartier führt Ihr mich?« fragte Markus verwundert und zweifelnd.

»Fürchtet Ihr, mir zu folgen, so bleibt zurück und sucht den Liebhaber der schönen Regina Lottherin selbst,« sprach die Verhüllte mit kurzem Lachen.

»Geh' voran, geh' voran, ich folge,« knirschte der Rottmeister.

Einen Augenblick später warf im Losament des Hauptmanns Hans Springer, in dem Gemach, welches wir bereits kennen und worin die Hängelampe schon brannte, die Vermummte den dunkeln Mantel ab, nahm die wälsche schwarze Halbmaske vom Gesicht, und Markus Horn fand sich der Frau Johanna gegenüber.

Nachlässig sank des Hauptmanns schöne Geliebte in den nächsten Sessel und seufzte, wie Jemand, der nach großen Mühseligkeiten sich wieder in seiner gewohnten Bequemlichkeit findet.

»Nehmt Platz, Herr Rottmeister,« sprach sie. »Der, um welchen es sich handelt, ist's wirklich nicht werth, daß man sich eine Mühe seinethalben macht.«

»O leget mich nicht so auf die Marterbank,« rief Markus. »Redet, was könnet – wollet Ihr – Ihr mir von dem Leutnant Schwartze sagen. O übet Barmherzigkeit und redet!«

»Barmherzigkeit?!« flüsterte die Frau, und schoß einen Blitz aus den wunderlichen Augen. »Ach, ach, reden wir nicht davon, 's ist ein thöricht Wort – Barmherzigkeit! Reden wir von dem Leutnant Adam, das ist ein besser Thema. Ihr verwundert Euch wohl recht, daß ich – ich den Mann Euch in die Hände geben will?«

Markus zitterte vor Ungeduld.

»Sehet, Herr Rottmeister, es geschiehet auch um Euretwillen nicht, auch nicht der süßen kleinen Regina wegen. Dem todten Mann auf Sanct Jakobsthurm zu lieb verräth des Hauptmanns Springer – Beiläuferin den Adam Schwartze! ... Merket es wohl, Herr Rottmeister, nimmer hab' ich den Mann von Sanct Jakob, den großen Schützen, gesehen, nimmer ein Wort mit ihm gewechselt, und doch – nur seinetwegen sollt Ihr den Adam haben! Was heute auf Sanct Jakob geredet wurde, was der Schütz erzählte und wie er starb, weiß ich. Nun, nun, erstaunet nicht, es ist ja ein Pfaff dabei gewesen, und die Frau Johanna ist ein Weib, welches gewöhnlich erfährt, was es wissen will. Obgleich Johanna von Gent den Schützen nicht kannte, hat sie geweint um ihn, und sie dachte doch, daß sie nimmermehr noch eine Thräne finden könnte. Um den todten, unbekannten Schützen von Sanct Jakob schleudere ich diesen erbärmlichen Feigling, diesen Adam Schwartze weg wie diesen Handschuh.«

Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck gleichgiltigster Verachtung im Gesicht, zog sie den erwähnten Gegenstand ab von der kleinen Hand und warf ihn in die Kohlen des Kamins, wo er prasselnd sich krümmte, bis die Gluth ihn verzehrt hatte.

»Wie dumm war ich doch,« fuhr sie fort, »wie dumm war ich, als ich durch diesen Menschen Rache zu nehmen suchte an Denen, die mich wissentlich oder unwissentlich beleidigten, an dieser Stadt, an der Menschheit. Durch diesen Menschen, welcher selbst vergeht vor dem ersten Anhauch der rechten Rache, gleich einem welken Blatt im Anlecken des Feuers! Und wenn ich diese ganze große Stadt in Blut und Flammen begrübe, das entwürdigte, verspottete, verachtete Weib in mir könnte weniger Triumph schreien, als wenn ich den einstigen Bundesgenossen und Vertrauten, diesen Adam Schwartze, den der Schütz von Sanct Jakob verfolgte, Denen ausliefere, so des todten Schützen Werk und Rache vollenden müssen.«

»Sprecht, sprecht, wo ist er zu finden?« rief Markus Horn. »O bedenkt, jeder Augenblick ist so kostbar jetzt.«

Aber die Frau Johanna, die » Cortesana« blickte starr vor sich hin, wie in eine weite Ferne.

»O Du todter Mann auf Sanct Jakob,« sagte sie, Du Gewaltiger in der Liebe und in dem Haß. Lebtest Du noch, ich wollte Dir folgen, wie eine treue Hündin, und wenn Du auch nie ein Wort zu mir sprächest. Hinter dem Zelt wollt ich Dir das Roß striegeln, wollt' ich Dir, um Deiner Liebe zu jenem unbekannten Mädchen willen, dienen wie die demüthigste Magd, weil Du haßtest, wie Du liebtest. Ist es nicht gleich einer Offenbarung über mich gekommen! Auf, auf, Herr Rottmeister Horn, auf, auf, und los auf den falschen Verräther Adam Schwartze. Legt ihn nieder in den Staub; ich geb' ihn Euch, daß der Todte auf Sanct Jakobsthurm Ruhe hab' in seinem dunkeln Grabe. Dem Todten zu Ehren sollt Ihr den Jämmerling erschlagen dürfen. Auf, auf mit Waffen und Männern, auf gegen den armseligen Narren Adam Schwartze!«

»Sagt, wo ich ihn finde, und wenn ich auch Eure Worte nur halb begreife, das fass' ich, daß Ihr einst schwer gekränket, nun in blutigem Groll gegen alle Welt aus dem Staub aufschaut, und – ein unglückselig, mühselig, verloren Weib – Trost und Genügen allein bei dem sucht, was schrecklich ist, und was Andere nur mit Grauen und Zittern sehen und hören. Sagt mir, wo ich den Adam finde; aber wahrlich, wahrlich, aus jeder andern Hand nähm' ich ihn lieber, als aus der Eurigen!«

Die Frau Johanna lachte gell auf:

»Narr, Narr, wenn ich Dich nun gehen ließe, ohne gesprochen zu haben? Wenn ich nun sagte: lauf und such' selbst?! Was dann, mein stolzer Gesell? Die Augenblicke sind wohl köstlich! Wenn ich nun schwiege, Herr Rottmeister Horn?!«

Einen kurzen Augenblick sah Markus in die Augen des Weibes; ein zu arger Schauder ging ihm durch die Seele; er drückte das Barett in die Stirn und wandte sich gegen die Thür.

Sprachlos blickte ihm die Johanna von Gent nach. Sie machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten; aber sie ließ die ausgestreckte Hand wieder sinken. Auf der Treppe schien es Markus noch, als würde sein Name von einer Frauenstimme gerufen; aber er hielt nicht an. In der Gasse stand er wieder, so rathlos als je; aber er murmelte:

»Gott schütze mich vor solch einer Genossin bei irgend einem Werk. Welch eine wunderliche Unhuldin! Welch ein schrecklich Weib! Schütze Gott Jedermann vor solchen Augen!«

Mit unwiderstehlicher Gewalt trieb es jetzt den Rottmeister nach der Schöneneckstraße. Es war ihm, als könne er nirgends mehr frei athmen, als dort, wo die süße, unschuldige Geliebte, wo die alten, frommen Eltern wohnten; die ganze übrige Stadt schien ihm mit einer Atmosphäre von Feuer erfüllt zu sein. Es war ungefähr elf Uhr; am westlichen Himmel flimmerten einige einzelne Sterne über den schwarzen Giebeln und Dächern, von Osten her aufsteigend, hatte ein dunkles Gewölk das Firmament überzogen. Von einer wehmüthig-ruhigen Stimmung fühlte sich Markus Horn, der in seinem jungen Leben so viel Hartes und Wildes erlebt hatte und selbst so hart und wild gewesen war, jetzt überkommen. Die beiden Nachbarhäuser, in welchen sich seine Jugend friedlich abgesponnen hatte, lagen dunkel und still da. Nur in dem Gemach des Vaters schimmerte noch die Lampe.

Traurig blickte Markus empor zu dem Licht.

»Wenn er doch wüßte, wie es in mir ausschaut«, dachte er. »O, zuweilen wär's doch recht gut, wenn man einander gegenseitig in die Herzen blicken könnte. Oft ist's aber auch nicht nöthig und man weiß doch schon, was das Andere denkt. Was auch kommen mag, Regina, Regina, mein bist Du in alle Ewigkeit! Dich kann ich nimmermehr verlieren. Zusammengewachsen sind unsere Herzen, und Niemand soll sie trennen in Zeit und Ewigkeit.«

Gegen das Haus des Buchdruckers Michael Lotther hatte er sich gewandt und trat einige Schritte auf es zu. Da stieß sein Fuß in der Dunkelheit auf einen im Wege liegenden Gegenstand, und als er sich danach niederbeugte, griff seine Hand an einen menschlichen Körper, welcher, wie es schien, leblos auf den kalten Steinen ausgestreckt lag.

»Halloh, was ist das? Wen haben wir hier, einen Leichnam oder einen Trunkenen, so den Weg nach Haus nicht finden kann?«

Ein Leichnam oder ein Trunkenbold war im Jahre Fünfzehnhunderteinundfünfzig grade nichts Seltenes in den Gassen von Magdeburg, und so hätte Markus Horn bei der Dunkelheit sich jedenfalls nicht weiter um den Liegenden bekümmert, wenn nicht grade jetzt vom Ulrichsthor her eine von der Wacht abgelöste Abtheilung Knechte unter Fackellicht herangerückt wäre. In demselben Augenblick erhob sich der Liegende mit einem schweren Seufzer und stand schwankend auf den Füßen. Der Fackelträger der marschirenden Rotte schritt in demselben Augenblick grade auf den Rottmeister und den Unbekannten zu und hob den Brand, um Beiden bei seinem Schein in's Gesicht sehen zu können. In's Gesicht blickte auch Markus Horn mit einem wilden Aufschrei dem Leutnant Adam von Bamberg! ...

Adam Schwartze war's, der bewußtlos vor dem Hause des Buchdruckers Lotther lag, und selbst Markus Horn in seiner Wuth erschrak vor dem Gesicht, in welches er beim rothen Licht der flackernden Fackel blickte. Doch dauerte dieser Schreck nicht lange; im nächsten Augenblick stürzte er mit blankem Schwert auf den gehaßten Feind und Nebenbuhler, auf den gefürchteten Verräther seiner Heimathstadt los.

»Halt ich Dich nun – Dich, Dich!« schrie er. »Vertheidige Dein elend' Leben; zieh' vom Leder, oder ich steche Dich nieder wie einen tollen Hund. Im Namen des Schützen von Sanct Jakob, zum Kampf fordere ich Dich auf dieser Stelle, die Dein Fuß nimmermehr betreten soll, Du falschherziger Schalk!«

Adam Schwartze zog aber sein Schwert nicht, er sah den Rottmeister an, als habe er nicht das geringste Verständniß von den Worten desselben. Herandrängten sich die Landsknechte.

»Hoho, wer ist's, der sich hier den Hals abschneiden will? Sollen wir leuchten, Ihr Herren? Lustig, lustig, wenn Ihr heut' Abend Polterabend feiert, so machen wir vielleicht morgen Hochzeit!«

»Das ist ja der Rottmeister Horn von den Kindelbrück'schen!« schrie einer aus dem Haufen. »Sehet erst zu, wem er an die Kehle will, ehe Ihr ihm freien Raum laßt. Hier, leuchte her, Bros Weisheit!«

Ambrosius Weisheit senkte seine Fackel gegen Adam Schwartze.

»'S ist ja unser Leutnambt!« schrie er. »Christus, wie sieht der aber aus. Potz Blitz und Donner, er scheint nicht bei sich zu sein. Was haltet Ihr Gesellen, sollen wir sie ihr Spiel treiben lassen?«

Die freche Rede des Burschen steigerte die Wuth des Rottmeisters auf's Höchste.

»Was erkühnt Ihr Euch?« schrie er. »Aus dem Wege, sag' ich, oder der Profoß wird morgen ein Wort zu Euch sprechen.«

»Hoho,« höhnte Ambrosius weiter, »hütet Euch nur selbst vor dem Profoß. Was geschiehet Dem, so von der Schaarwacht mit blanker Waff' ergriffen wird im Angriff auf einen Anderen? He, Weibel, sagt's doch dem Herrn, was darüber im Artikelbrief stehet. Uebrigens haben wir Springer'schen mit Euch Kindelbrückern nichts zu schaffen; gehet Eurer Wege, aber lasset auch unsern Leutenambt ungeschoren. Ihr sehet, er will nicht mit Euch fechten – hat zu viel getrunken oder ist ihm sonsten was passiret, was ihm die Sinne verrückt hat.«

»Im Namen der Stadt, ich fordere Euch auf, mir Hilfe zu leisten bei der Verhaftung dieses Mannes, Adam Schwartze genannt, angeklagt auf Hochverrath und Mord!«

»Halloh?!« schrien die Knechte. »Was ist das? Hoho, habet uns nicht zum Narren, Herr Rottmeister. Zeiget den Befehl! Oho, ohne den geschriebenen Befehl lassen wir unsern Leutenambt nicht in der Hand eines Kindelbrück'schen. Faßt den Leutenambt unter den Arm! Zurück da, Herr Rottmeister; wir wollen nichts mit Euch zu schaffen haben!«

Und wie auf ein gegebenes Wort stimmte die ganze Rotte an:

»Den Herzog Moritz lobt mein Mund,
Er kommt wohl auf die selbig' Stund
Mit seinem reisigen Zeuge,
Und bringt auch viel der Landsknecht' mit,
Ich weiß, daß ich's nicht leuge,
       Ja leuge.«

Speere und Büchsen wurden drohend dem andringenden Markus vorgehalten. Von dem Lärm und dem Gesang gelockt, stürzten andere Knechte und Bürger von allen Seiten heran.

»Zu Hilfe im Namen der Stadt! Nieder, nieder mit den falschen Schelmen!« schrie der Rottmeister. Es entstand ein Kampf, in welchem es Todte und Verwundete gab, und der sich aus der Schöneneckstraße über den Breiten Weg gegen die Elbseite fortwälzte und die ganze Stadt in Aufruhr brachte. Mehr und mehr trat es klar hervor, daß sich das Kriegsvolk der Stadt in zwei große Parteien getheilt hatte, von denen die eine treu bei dem Banner mit der kranztragenden Jungfrau aushalten wollte, die andere aber je eher je lieber mit den Belagerern gemeinschaftliche Sache gemacht hätte. Griff die rechte Hand zu, so war die Canzlei des Herrgotts verloren, und das Schicksal, welches die Stadt Magdeburg achtzig Jahre später zu Grunde richtete, mochte sie jetzt schon überkommen. Aber Gott schuf es, daß die Hand, welche vielleicht allein fähig war, solch böses Ende herbeizuführen, erlahmte, er wollte seine Canzlei auf Erden diesmal nicht also zu Grunde gehen lassen.

Gegen Sanct Bartholomäus wälzte sich die Gassenschlacht. Dem Rottmeister Horn hatte sich Christof Alemann angeschlossen, und manch ein guter Mann fand sich zu ihnen. Die Hauptleute ließen an den verschiedenen Sammelplätzen die Trommeln Alarm schlagen; zu ihren Sammelplätzen liefen die Bürger mit ihren Wehren. Die Bürgermeister, der Oberst Ebeling Alemann, die fremden Herren, die Geistlichen durcheilten die Gassen und riefen zum Frieden. Seltsamerweise that der Feind nichts, sich solchen Zustand der Stadt zu Nutze zu machen: er hielt sich ganz still in seinen Lagern, Schanzen und Gräben, sei's, daß er die Bedeutung des Lärms verkannte, sei's, daß ihn seine Niederlage am Morgen allzusehr herabgedrückt hatte.

Halb getragen, halb geführt, befand sich der Bamberger noch immer inmitten der Leute seines Fähnleins. Nach dem Zeisigbauer schleppte man ihn unter wildem Jauchzen und Jubeln, und willenlos ließ er sich fortziehen. Niemals noch war ein so kräftiger heller Geist auf so schreckliche Art gebrochen worden. Er, der das Meiste dazu gethan hatte, die Elemente zu entfesseln, hatte erst zweifeln müssen an seiner Kraft, sie nach seinem Willen zu bändigen; dann war er vor ihnen zurückgewichen, machtlos und kraftlos, und in der jetzigen Stunde schlugen die Wellen über seinem Haupte zusammen, und er war einem Schiffbrüchigen im Augenblicke des Ertrinkens gleich. Den Leutnant Adam Schwartze hatte unseres Herrgotts Canzlei nicht mehr zu fürchten.

Hätte Markus Horn ahnen können, in welchem Zustand sich sein gehaßter Feind befand, in die Scheide würde er sein Schwert gestoßen haben und den Elenden den finstern Mächten, die sich seiner bemächtigt hatten, gern und ganz überlassen haben. Aber er ahnte es nicht, und so trieb es ihn immerfort dem Unglückseligen nach, und der Widerstand, den er auf seiner Bahn fand, entflammte seinen Grimm nur noch mehr. Seine halbe Rotte hatte sich allmählich um ihn zusammengefunden; Jochen Lorleberg, Peter Rauchmaul, Bernd Kloden, Veit Brachvogel, Alle folgten ihrem Rottmeister auf den Fersen, und das Pfeiferlein Fränzel Nothnagel fehlte nicht im Gedränge, sondern setzte auch das Seinige dran, den Leutenambt Schwartze den »Springer'schen« zu entreißen.

»Stülpt sie um! Schmeißt sie nieder! Reißt ihnen die Hosen ab! Fallt ihnen in die Bärte!« schrie man hin und zurück und ließ den Worten die entsprechenden Thaten folgen.

Wir kennen bereits das Zeisigbauer mit seiner Bewohnerschaft, wir kennen die Schenke zum lustigen Gugelfrantz. Fackeln und Waffen, welch ein Aufruhr erfüllte den verrufenen Platz und die umliegenden Gassen um die Mitternachtsstunde vom achtzehnten auf den neunzehnten März 1551!

In die Kneipe zum lustigen Gugelfrantz warf die hochgehende Fluth den Leutnant Adam Schwartze. Besinnungslos lag er hier auf einer Bank, während seine Vertheidiger, das Haus von oben bis unten füllend, den Verfolgern das Eindringen wehrten, und mit Steinen, Knitteln, Spießen, Schwertern, Faustkolben und andern Waffen ihr Bestes thaten. Die ruchlose weibliche Bevölkerung dieses Stadtviertels erfüllte die Luft mit solch höllischem Geschrei, daß Einem die Ohren gellten. Das Getümmel zu erhöhen, goß sie Töpfe mit sehr fraglichem Inhalt aus den Fenstern auf die Köpfe der Streiter, unbekümmert drum, wen es treffen mochte, da sie ihre Feinde und Freunde auf beiden Seiten der kämpfenden Parteien hatte.

In diesem Lärm, diesem dämonischen Durcheinander in dem Zeisigbauer kam Markus Horn wieder zur Besinnung, fand er seine Ueberlegungskraft wieder. Er sah ein, daß er auf dem Wege war, sich einer schweren Schuld gegen die Vaterstadt schuldig zu machen. Er sah ein, daß er sich von seiner Wuth und seinem Eifer viel zu weit hatte hinreißen lassen. Ein Blick auf diese wogenden, wilden, meisterlosen Massen, auf diese Waffen und Feuerbrände rief ihm den alten Reim in's Gedächtniß zurück:

Ein Jeder Aufruhr machen kan
Und grosse Lermen fangen an,
Dieselben aber stillen fein,
Kann niemandt, dann Gott allein.

Auch der Fähnrich Christof Alemann drängte sich zu dem Rottmeister durch und schrie ihm, um sich in dem Tumult verständlich zu machen, in's Ohr:

»Was fangen wir an, Markus? Was ist zu thun? Auf diese Weise fassen wir ihn nicht, und der Teufel mag das Volk bändigen, wenn das so fortgeht.«

»Wir müssen zurück!« rief der Rottmeister, auf dieselbe Weise wie der Fähnrich die Hände an den Mund haltend. »Suche das, was von Deinen Reitern sich hier umtreibt, zusammenzubringen. Ich will's mit meinen Leuten ebenso machen.«

Christof Alemann nickte und traf glücklicherweise auf einen städtischen Trompeter, der sein Instrument über dem Rücken hängen hatte und, unbekümmert um das Getöse, in einem Winkel mit einer Dirne schäkerte. Die Zinke riß der Fähnrich dem Mann von der Schulter, schwang sich auf einen Haufen zusammengerollter Fässer und ließ von da herab den Sammelruf der Magdeburg'schen Reisigen erschallen. Hell klangen die schmetternden Töne über allen Lärm, und jeder Schreihals hielt einen Augenblick das Maul. In demselben Moment ließ sich Markus Horn's kräftige Stimme vernehmen:

»Hie für die Stadt! Hie für die Stadt! Wer für die Stadt ist, trete hie her!«

Fränzel Nothnagel's schrille Pfeife quiekte den Sammelruf der Kindelbrück'schen Knechte, und eine drängende Bewegung kam in die Haufen. Was an ehrlichem Kriegsvolk im Zeisigbauer anwesend war, folgte dem Ruf der Trompete und der Pfeife, und bald sahen sich Markus und Christof von einer tüchtigen Schaar guter Gesellen umgeben.

»Im Namen der Stadt lasset ab von den Meuterern, von den meineidigen Lumpen, so die Stadt an den Kurfürsten verkaufen wollen!« rief Markus. »Morgen wollen wir weiter sehen, für wen Gott in dieser Sach' ist.«

»Nach dem Neuen Markt! Nach dem Neuen Markt!« schrie Christof Alemann. »Alle ehrlichen Leut' für die Stadt, für die Stadt!«

»Rottmeister, jetzt sind wir zusammen! Wenn wir sie jetzt noch einmal mit stürmender Hand anliefen?!« rief Bernd Kloden. »Was meinet Ihr? Ich glaub', wir kämen jetzo 'nein und möchten ihnen ihren Leutenambt entreißen.«

Noch einmal schwankte Markus; aber er widerstand der Versuchung.

»Nein, nein, Bernd«, rief er, »wir ziehen zum Neuen Markt; thue Dein Möglichstes, die Genossen zusammenzuhalten. Zum Sammeln, zum Sammeln, Bürger und Landsknecht'! Hie für die Stadt! Hie für die Stadt!«

Hunderte von Stimmen antworteten dem Ruf:

»Hie für die Stadt! Hie für die Stadt!«

Von dem lustigen Gugelfrantz zurück wichen die Angreifer unter dem Hohn- und Spottgeschrei der Vertheidiger:

»Da gehen die städtischen Jungfernknechte! Vivat der Kurfürst Moritz. Vivat der Kaiser Karolus! Hoho, hoho, da gehen die Schneider und Schuster und klemmen wie die Hund' den Schwanz zwischen die Bein'. Vivat dreimal der Mauritius von Sachsen! Vivat der Leutenambt Schwartze! Vivat Hänsel Springer, der freien Knechte Patron!«

»Das Spiel ist noch nit zu End'!« schrie's aus dem zurückweichenden Haufen. »Bei Taglicht soll's weiter gespielt werden, und neben jeden Meutmacher und falschen Judas soll ein räudiger Hund an den Galgen gehängt werden.«

Ein paar Hakenbüchsen feuerten die Parteien zum Beschluß des nächtlichen Kampfes noch aufeinander ab, doch ohne einander großen Schaden zuzufügen. Nach dem Neuen Markt zogen Markus und Christof mit ihren Haufen, und ebendaselbst sammelten sich alle Knechte und Reisige, welche wohlmeinend zu der Stadt Magdeburg standen und ihren geleisteten Eidschwur halten wollten. Hier traf Markus die Bürgermeister, den Ebeling Alemann, den Hauptmann Kindelbrück und manchen Herrn vom Rath und aus der Geistlichkeit, welche im Schein der Pechpfannen sorgenvoll zusammenstanden oder hin- und herschritten. Auch seinen alten Vater traf er, und im Kreis der Krieger und der Bürger stattete er wahrhaftigen und ungeschminkten Bericht ab über das, was geschehen war. Da entstand große Bestürzung unter den Zuhörern, und der Hauptmann Springer, der ebenfalls anwesend war, hatte manchen ernsten und bösen Blick auszuhalten; er hielt sie aber alle frech und muthig aus, fluchte und wetterte und schrie: das komme davon, weil man ihm alles schlechte und verlaufene Lumpenpack und Gesindel unter sein Fähnlein gesteckt habe. Was könne er – Hans Springer – dazu, wenn die Meuterer seinen Namen als Schanddeckel gebrauchten? Seinen Kopf wolle er für seine Treue auf den Block legen; aber man möge sich doch wohl hüten, ihn ohne klare Zeugnisse des Abfalls anzugreifen, – nicht allein stehe er in der Stadt, und wolle man ihm der Welt Lohn nach der Welt Art auszahlen, so möge man auch darauf gefaßt sein, in ein Wespennest zu greifen.

Das Letztere wußte man leider nur allzu gut, und Niemand in unseres Herrgotts Canzlei, in dieser großen, tapfern lutherischen Stadt Magdeburg, die so gut und gewaltig aushielt im Kampfe für den freien Glauben, wagte es, den Profoß zu rufen für den Hauptmann Hans Springer. Bei bösen Blicken blieb's, und vor Blicken hatte der Elsässer nicht den geringsten Respect. Dennoch befand er sich während dieser unruhvollen Nacht in der ungemüthlichsten Stimmung. Seine Rathlosigkeit wuchs von Minute zu Minute, und der gelehrte Doctor Erasmus Alberus, welcher den Mann durch und durch kannte, verglich ihn nachher mit einem Kriegselephanten in der Schlacht, von welchem der gewandte Führer herabgeschossen sei. Das Stichwort der Empörung hatte der Hauptmann am Morgen, wie wir wissen, von seinem Leutnant noch empfangen und danach mit Aufhetzen, Wühlen, halben Worten und Hinweisungen das Seinige zur Erregung und zum Losbruch der meuterischen Elemente gethan. Aber nun hatte Gott die Bösen verwirrt, und der Hauptmann Springer, der so ziemlich allein in Magdeburg wußte, wie es um den Leutnant Adam stand, wußte sich weder zu rathen noch zu helfen und hätte, nach seiner Art, am liebsten nach dem Weinkruge gegriffen, um in der gewohnten halben Betäubung allen Teufeln den Verlauf der Sache anheimzustellen. Dazu merkte er recht wohl, daß man ihn nicht aus den Augen lasse, und daß er keinen Schritt mehr thun könne, ohne eine Begleitung ehrbarer Rathsleute und Innungsmeister hinter sich zu haben, und fehlten die, so fand sich gewißlich der Hauptmann Hans Kindelbrück zu ihm und unterhielt ihn höchst angenehm über die Ereignisse der Vergangenheit und das, was die Zukunft bringen möge. So ward es dem armen Hänsel Springer auch unmöglich gemacht, Rath und Hilfe bei seiner klugen und schönen Freundin, der Frau Johanna, zu suchen; er war auf dem Neuen Markt vor der Dompropstei wie in einen Zauberkreis gebannt und mußte aushalten, wie es ihm auch in Händen und Füßen zucken mochte. Niemals in seinem wechselvollen Leben war der Hauptmann Hans Springer in einer unbehaglicheren Lage gewesen. Er verwünschte sich, den Leutnant Schwartze, die Stadt Magdeburg mit Pfaffheit, Rath und Gemeinen auf's Fürchterlichste, aber doch ganz im Stillen. Viel Spieße, Schwerter und Büchsen funkelten im Fackellicht auf dem Neuen Markt, aber von diesen Waffen hätten sich für den Hauptmann Springer keine erhoben, wenn er den verrätherischen Ruf: »Hie für Herzog Mauritius!« jetzt erhoben hätte. So schwieg er fein still oder wetterte laut und gewaltig gegen die »meuterischen Hunde«, die seinen Namen in der Stadt mißbrauchten. Bis ein Uhr Morgens blieb man auf dem Neuen Markt zusammen, damit jeder gute Mann im Nothfall sogleich zur Stelle sei. Die mit Ketten zugesperrten Straßen und Gassen waren von starken Abtheilungen bewaffneter Bürger oder zuverlässiger Knechte besetzt. Bei Sanct Bartholomäus hielt Markus Horn mit seiner Rotte Wacht, auf dem Alten Markt Christof Alemann mit einer Reiterschaar. Franz Robin schützte das Brückthor; auf den Wällen und Mauern befehligte der biedere Schweizer Herr Galle von Fullendorf. In allen Häusern beteten die Alten, die Frauen und Kinder, daß Gott seine Stadt nicht verlassen möge in der großen Noth. Alle Augenblicke kam es hier und da zu einem Zusammenstoß, einzelne Häuser wurden geplündert, und der Magister Flacius Illyricus verlor auf der Goldschmiedebrücke den Mantel und den Geldbeutel.

Niemand wußte, was daraus werden sollte, und Jedermann erwartete mit Angst und Bangen den Morgen.


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