Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 10. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Die Entführung.

Elise von Landeck war die Wittwe eines kaiserlichen Obersten, der im Revolutionskriege das Leben verlor. Sie lebte unweit einer herzoglichen Residenz auf ihrem Gute Blumenthal mit einer einzigen Tochter, deren Erziehung sie ihr ganzes Daseyn widmete. Sie behandelte sie mehr wie eine ältere Schwester die jüngere behandelt, und wer sie nicht kannte, würde sie auch eher für Schwestern, als für Mutter und Tochter gehalten haben. So frisch, so jugendlich sah Elise noch in ihrem drei und dreißigsten Jahre, so hochblühend, so vollendet Auguste in ihrem sechzehnten aus.

Seit dem Tode ihres Gatten hatte Elise die Residenz nicht besucht. Sie bedurfte keiner fremden Hülfe, um ihrer Tochter eine gesunde Moral, und alle die nützlichen und angenehmen Kenntnisse beizubringen, die sie ehedem selbst in einer prunklosen, aber darum nicht weniger vortreflichen, Erziehungs-Anstalt empfangen hatte.

2 Einige adeliche Familien, die des Sommers ihre benachbarten Güter bewohnten, und bei ihrer Ankunft Elisen jedesmal besuchten, zogen sie dann mit ihrer Tochter von Zeit zu Zeit in ihren kleinen Zirkel, aus dem sie aber stets mit Vergnügen in die Einsamkeit zurückkehrte. Auguste gewann dabei so viel, daß sie nach und nach jene scheue Blödigkeit ablegte, die bei einer reinen, jugendlichen Seele die unvermeidliche Folge einer klösterlichen Lebensart ist.

Bei diesen Besuchen wurde sie bisweilen aufgefodert, sich auf dem Piano hören zu lassen. Ein Wink ihrer Mutter mußte die Aufforderung bestätigen, und so oft dieses geschah, erntete sie, durch die geschmackvolle Reinheit ihres Spieles, den Beifall der Gesellschaft. Auch hierin, wie in der Blumenmahlerei, war ihre Mutter ihre Lehrerinn gewesen. So wenig aber Elise gegen diesen Beifall gleichgültig war, so wenig verhehlte sie sich die Wahrheit der Bemerkung, die ihr bisweilen gemacht wurde, daß ihrer Schülerinn noch einige Monate Unterricht von einem ausgezeichneten Meister fehlten, um ihr musikalisches Talent völlig auszubilden.

Doch dieser Beweggrund würde Elisen nie vermocht haben, ihren ländlichen Aufenthalt zu verlassen, wenn nicht eine Erbschaft von einigen Tausend Thalern, die eine Schwester des Obersten 3 Augusten hinterließ, sie genöthigt hätte, dieses Geschäft in der Residenz zu betreiben, wo ihre Miterben wohnten. Sie entschloß sich also, den eben eingetretenen Winter dort zuzubringen, und diesen Umstand zu benutzen, um den Unterricht ihrer Tochter durch würdige Lehrer vollenden zu lassen.

Sie übergab ihr Landhaus der Hut des biedern Ehrhards, ihres Gärtners, und seiner verständigen Hausfrau, die mit einem alten, schwerhörigen Reutknechte des Obersten, einer Köchinn und einer Zofe, ihr ganzes Hofpersonale ausmachten. Röschen, die Zofe, mußte die Reisenden begleiten; sie war eine arme Waise, die Elise als Kind aufgenommen hatte; ein gutes, aber einfältiges Mädchen, das in seinem zwölften Jahre von der kleinen Auguste als eine Gespielinn, und im 18ten von der erwachsenen Auguste, als eine Freundinn behandelt wurde.

Die Residenz war nur fünf Meilen von Blumenthal entfernt. Elise legte mit ihren Gefährtinnen die kleine Reise glücklich zurück, und bezog eine stille, bescheidene Wohnung, wo sie beinahe eben so eingezogen lebte, als auf dem Lande. Auguste zeigte so vielen Eifer, ihre Zeit wohl zu benutzen, daß ihre Mutter sie oft nöthigen mußte, ihr in die Gesellschaft zu folgen, die sie aus Wohlstand besuchen mußten. Sie bestunden vornemlich 4 aus den adelichen Familien ihrer Nachbarschaft, und den beiden Anverwandten, mit denen sie das Erbe der Tante zu theilen hatte. Unter diesen fand sie bald eine Freundinn in der Frau von Milden, die, wie sie, Wittwe, aber einige Jahre älter, und Mutter eines Sohnes war, der als Fähndrich bei der herzoglichen Garde diente, und einer Tochter, die, wie Auguste, in der ersten Blüthe des jungfräulichen Alters stand.

Dieses Haus war das einzige, das sie mit Vergnügen besuchte. Eben die Sympathie, welche die Mütter vereinigte, stimmte auch die Herzen der Töchter, nach wenig Wochen, in den sanftesten Accord der Schwesterliebe. Auguste nahm ihre Musiklectionen gemeinschaftlich mit Emilien, bei der ihre vorzügliche Stärke eben so wenig Eifersucht erregte, als Auguste sie, wegen Ueberlegenheit in Führung des Pinsels, beneidete. Oft wohnten die beiden Mütter den Uebungen ihrer Töchter bei, und der Fähndrich begleitete zuweilen ihr Spiel mit seiner Violine.

Theodor war ein unverdorbener, edler Jüngling: er verdankte es den Lehren und dem Beispiele seines vor zwei Jahren verstorbenen Vaters, daß die Sirenenstimme der Verführung, die Stimme der Tugend noch nie in seinem Herzen übertäubt hatte. Seine jungen Kameraden nannten 5 ihn oft spottweis den Bruder Cato. Aber die Achtung seiner weisern Obern entschädigte ihn für diesen Spott. Selbst der Prinz Adolph, sein Oberster, dessen Sitten nichts weniger als rein waren, schätzte ihn wegen seiner Pünktlichkeit im Dienste, und liebte ihn wegen seiner einnehmenden Gestalt. Schon mehrmals hatte er der Mutter versprochen, für seinen kleinen Philosophen zu sorgen, und ihn einstweilen zu seinem Kammerjunker gemacht. Auch an dieser schlüpfrigen Stelle blieb Theodor seinen Grundsätzen getreu; er schien die Ausschweifungen des Prinzen nicht zu bemerken, und selbst in seinen vertrautesten Unterredungen mit seiner Mutter berührte er diese Saite nie. Ein Rest von Ehrgefühl, vielleicht die unwillkührliche Achtung, die sich die Unschuld bei nicht ganz verworfenen Menschen, und das war Adolph nicht, ohne es zu wissen, verschafft, hielt ihn sogar ab, sich in Theodors Gegenwart gegen die Gefährten seiner Wollüste mit seiner gewöhnlichen Freiheit heraus zu lassen. Der Frau von Milden waren die Flecken, die den Charakter des Prinzen entstellten, nicht unbekannt. Sie war auch nicht ganz ohne Sorgen für ihren Sohn, und ergriff daher jeden ungezwungenen Anlaß, um ihn gegen die Lockungen böser Beispiele zu waffnen. Allein ihre Unruhe verschwand, sobald sie bei diesen warnenden Unterredungen einen Blick in sein heiteres Auge, 6 und auf die offene Stirn warf, die kein innerer Vorwurf röthete.

Theodor war nur gegen die Reize des Lasters fühllos. Auguste, die er seit zwei Monaten beinahe täglich sah, und an der er, so oft er sie sah, eine neue Tugend, oder eine neue Schönheit entdeckte, konnte seinem Herzen nicht lange fremd bleiben. Er liebte sie, ehe ers wußte, und seine Mutter wußte es vor ihm. Mit stiller Freude beobachtete sie das Aufkeimen einer Neigung, die so ganz mit ihren Wünschen übereinstimmte, und sie erwartete nur sein Geständniß, um Elisen ihren Plan zu offenbaren.

Auguste, das heitere unbefangene Mädchen, fühlte ebenfalls, seit einiger Zeit, daß etwas mit ihr vorging, das sie sich nicht zu erklären wußte. Sie verlor sich oft in dunkeln Gedanken und Gefühlen, aus denen sie, wie aus einem Traume, erwachte, ohne sich dessen besinnen zu können, was sie geträumt hatte. Wenn Theodor ins Zimmer trat, fühlte sie, daß ihr Herz klopfte, und daß ihre Wangen glühten, und wenn er nicht zur gewöhnlichen Stunde erschien, wünschte sie gleichwohl seine Ankunft mit einer Ungeduld, die sie nur mit Mühe verbergen konnte. Ihre Mutter war nicht weniger scharfsichtig, als die Frau von Milden, da sie aber die Gesinnungen ihrer Freundinn noch nicht kannte, so verdoppelte sie 7 ihre Wachsamkeit, und vermied es, mit einer ungezwungenen Sorgfalt, in den Stunden, da der Fähndrich nach Hause zu kommen pflegte, Augusten aus dem Gesichte zu lassen.

Sophie, so hieß die Frau von Milden, bemerkte ihre Unruhe, und beschloß, ihr ein Ende zu machen. Das erstemal, da die beiden Mütter allein beisammen waren, sagte sie zu ihrer Freundinn: Theodor und Auguste kommen sich immer näher; haben Sie Ursach, ihre Liebe zu hindern? ich habe keine. Elise warf sich ihr in die Arme. Lange redeten nur ihre Freudenthränen. Sophie hatte ihr die Aussicht in ein Paradies aufgeschlossen, darin sich ihre Seele verlor. Seit der Geburtsstunde meines Kindes, sagte sie endlich, war ich nicht so glücklich, als ich es in diesem Augenblicke bin, glücklicher, unendlich glücklicher, als ich es hoffen durfte. Sie durften alles für Ihre Auguste hoffen, erwiederte Sophie. Ein weit glänzenderes Glück, als ich Ihnen anbiete, aber kein reineres, konnte ihr zu Theil werden, dafür kann ich Ihnen bürgen. Ich kenne das Herz meines Sohnes.

Nur langsam erholte Elise sich aus ihrer süßen Betäubung, und als die Unterredung ruhiger ward, kamen Beide überein, ihre Kinder sich selbst zu überlassen, und sie blos in der Stille zu beobachten. Diese Beobachtung gab ihnen einen 8 Genuß, dessen ein zärtliches Mutterherz allein fähig ist. Sie sahen den himmlischen Eros, nicht jenen schelmischen Irrwisch, der sich nur allzu oft seine Gestalt anzaubert, sie sahen ihn die beiden Liebenden umschweben, und sie mit einer Blumenkette immer fester und fester umschlingen. Sie lasen in ihren feuchten Augen das Bekenntniß ihrer Gefühle, das Theodor noch nicht auszusprechen wagte, und für das Auguste noch keine Worte gefunden hatte. Ihrer Abrede getreu, schienen die Mütter nicht auf sie zu merken, und so hielten sie von ihren Kindern den Gedanken entfernt, sich vor ihnen zu verbergen.

Auguste und Emilie hatten eine neue Sonate zu vier Händen einstudiert, die sie mit bewundernswürdiger Fertigkeit spielten. Auf seine Schülerinnen stolz, drang ihr Lehrer unaufhörlich darauf, daß sie das Stück in einem Liebhaber-Conzert aufführen möchten, wovon Theodor Mitglied war, und das die beiden Fräulein, von ihren Müttern begleitet, schon einige Male besucht hatten. Dieses Mal sollte es besonders glänzend werden, weil eine fremde Sängerinn, die bei Hofe eine Anstellung suchte, sich darin wollte hören lassen. Die Mädchen machten zwar allerhand Einwendungen, allein ihre Mütter, die dem Lehrer seine gehoffte Freude nicht verderben wollten, vereinigten sich mit ihm, um sie zu widerlegen, und 9 fanden um so weniger Ursache, die Bitte zu versagen, da es etwas ganz gewöhnliches war, daß junge Personen in dieser geschlossenen Gesellschaft ihre musikalischen Talente versuchten.

Nun wurde die Sonate mit größtem Eifer repetirt, und als der große Tag erschien, begaben die beiden Mütter sich mit ihren Töchtern, vom Fähndrich begleitet, in die Versammlung. Sie war zahlreich und auserlesen. Es wurden einige Conzerte aufgeführt, nach denen die Italiänerinn eine Arie sang, die mit dem lautesten Beifall, besonders vom Prinzen Adolph, aufgenommen wurde, der wirklich Kenner war, und das Conzert als Gast besucht hatte. Er war bereits mit einem Anschlage auf die nähere Bekanntschaft der hübschen Brünette beschäftigt, als die beiden Fräulein von Theodorn an das Piano geführt wurden. Es bedurfte nur eines Blicks, um seine ganze Aufmerksamkeit zu Augusten hinzureißen, deren bescheidener Anzug die Reize ihrer Gestalt, und die unschuldvolle Grazie ihres Anstandes noch erhöhte.

Die Sonate wurde gespielt. Die ersten Tacte verriethen einige Schüchternheit, die aber bald besiegt wurde. Die zwei Freundinnen übertrafen sich selbst, besonders Auguste, welche die Hauptparthie spielte. Sie wurden mit einer beinahe andächtigen Stille angehört, und, als das Stück 10 zu Ende war, mit einem enthusiastischen Beifallklatschen, das die Person der Spielerinnen eben so sehr, als ihr Spiel erregten, an ihre Plätze begleitet. Kaum hatte Theodor sie ihren Müttern übergeben, so trat der Prinz zu ihm, und fragte ihn, wer das junge Frauenzimmer sey, das mit seiner Schwester ein so glänzendes Talent dargelegt habe. Theodor, der ohnehin die Erscheinung des Prinzen nicht vermuthet hatte, antwortete mit einiger Verlegenheit: das Fräulein von Landeck, Ihro Durchlaucht! die mit ihrer Mutter sich seit einigen Wochen hier aufhält. – Woher kennen Sie sie?

Es sind unsere Verwandte.

Ey! so müssen Sie mich Ihnen präsentiren.

Bei diesen Worten nahm der Prinz Theodoren bei der Hand, und gieng mit ihm zu den Damen, denen er über die Liebenswürdigkeit und die Talente ihrer Töchter einige schöne Phrasen vorsagte, die ihm die Bahn zu den schmeichelhaftesten Lobeserhebungen öffnen mußten, womit er diese überströmte.

Die guten Mädchen, besonders Auguste, die noch nie mit einem Großen der Erde gesprochen hatte, standen stillzitternd und schaamroth vor ihm. Er nöthigte sie, sich zu setzen, und richtete das Wort mehrentheils an Augusten, deren holde Schüchternheit ihr einen Reiz gab, der für den 11 Prinzen eine bezaubernde Neuheit hatte. Auch wenn er mit den Müttern sprach, warf er von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf das Fräulein, das zwischen Emilien und Elisen, wie die jüngste der Grazien unter ihren Schwestern, saß. So oft er sie anredete, überzog eine neue Röthe ihre Wangen, sie senkte ihre Blicke und der sanfte Lispel ihrer Antwort vermehrte ihre Reize.

Theodor stand auf Kohlen; die Schläge seines Herzens hemmten seinen Athem, besonders da der Prinz es der Frau von Landeck in den verbindlichsten Ausdrücken verwies, daß sie mit ihrer Tochter nicht bei Hofe erschienen sey. Meine Tochter, antwortete sie, ist auf dem Lande erzogen, und wird in wenig Wochen mit mir auf das Land zurückkehren. Die große Welt ist ihr fremd, und soll ihr fremd bleiben . . . .

Hier gab das Orchester das Signal zu einem neuen Stücke. Theodor taumelte an seinen Posten, und auch der Prinz kehrte an seinen Platz zurück; er war fürs erste zufrieden, die Bekanntschaft angeknüpft zu haben. Doch hingen seine Blicke beständig auf der schönen Gruppe, die er so ungern verlassen hatte, und diese Augenweide machte ihn so zerstreut, daß er die zweite Bravour-Arie der Sängerinn kaum zu hören schien, und blos mechanisch beklatschte.

12 Das Conzert ging zu Ende. Das Vergnügen, das Augustens Triumph ihrer Mutter verursacht hatte, wurde durch ein willkührliches Mißbehagen gestört, und sie warf sich nun die kleine Eitelkeit vor, die sie gehabt hatte, ihre Tochter den Augen des Publikums, oder vielmehr des Prinzen, blos zu stellen, dessen unverwandte Aufmerksamkeit ihr so wenig als Theodorn entgangen war. Des andern Tages hatte der Fähndrich den Dienst bei ihm: kaum erblickte ihn Adolph, so rief er ihm zu: wissen Sie wohl, mein lieber Milden, daß Sie eine allerliebste Base haben? Ich frage, ob Sie es wissen? Einem Philosophen, wie Sie, konnte diese Entdeckung leicht entwischen. Theodor glühte. Nun, nun, fuhr er fort, erröthen Sie doch eben so sehr, als gestern das Bäschen. Was soll ich daraus schließen? – Daß Ihro Durchlaucht mir zu viel Ehre erweisen, wenn Sie mich für einen Philosophen halten. Er war zu verwirrt, um zu fühlen, daß er etwas ganz anders sagte, als er sagen wollte. Ist's möglich, rief der Prinz lachend, ist Cato worden wie unser einer? Nun, nun, das wundert mich nicht. Ein schöneres Geschöpf kann kaum die Phantasie eines Romanschreibers erzeugen. Ich bin so sehr von Ihrem Geschmacke, daß ich leicht Ihr Nebenbuhler werden könnte. Theodor war auf der Folter; er würde wieder etwas schiefes gesagt 13 haben, wenn nicht ein General, der sich anmelden ließ, ihn aus dieser peinlichen Lage erlöst hätte.

Diese Unterredung hatte ihn für den ganzen Tag verstimmt. Er wußte, daß der Prinz der Mann war, der aus Scherz Ernst machen konnte. Er gab sich alle Mühe, seinen Mißmuth zu verbergen, allein, das konnte ihm weder bei seiner Mutter, noch bei Augusten gelingen. Indessen fragte ihn keine nach der Ursache seiner stillen Melancholie; seine Mutter hatte sie errathen, und Auguste hoffte, sie von Emilien zu erfahren. Sie erfuhr nichts, und Theodor glaubte sich betrogen zu haben, als der Prinz in der Folge des schönen Bäschens mit keinem Worte mehr erwähnte.

Theodor hatte sich nicht betrogen. Das Herz des Prinzen, das bei Augustens erstem Anblicke Feuer gefangen hatte, nährte seine Flamme mit einer kühnen, aber stillen Sehnsucht, die er besonders vor dem Fähndrich zu verbergen suchte. Er hatte in seinen Augen das Geständniß seiner Liebe gelesen, und verhehlte sich nicht, daß, wenn Augustens Herz nicht mehr frei seyn sollte, diese Eroberung ihm sehr schwer werden, und eine ganz andere Tactik, als diejenige erfordern würde, deren er sich bisher mit so gutem Erfolge bedient hatte. Er erwartete alles von der Zeit und den Umständen, und suchte sich indessen in den Armen 14 der Donna Sylvia, so hieß die welsche Sängerinn, zu zerstreuen.

Diese Liebschaft, die nicht lange ein Geheimniß blieb, machte Theodoren vollends sicher, und bisweilen lächelte er über sich selbst, daß er sich durch einen Scherz des Prinzen hatte beunruhigen lassen. Sein Umgang mit Augusten wurde täglich inniger, und endlich gestanden sich Beide, in dem süßesten Moment ihres Daseyns, was ihre Herzen sich schon lange gesagt hatten. Keine Furcht trübte dieses Geständniß. Ihre Mütter waren ja Freundinnen, und das Glück ihrer Kinder war ihre einzige Sorge.

Am Abend dieses feierlichen Tages hatten sich die beiden Familien vereinigt, um ein neues Produkt der Vossischen Muse zu lesenS. der heilige Bund der Liebe und Freundschaft. Gesang 7.. Bei der Stelle:

Liebe war ihr Gespräch, unendliche Liebe, des Herzens
Seligstes Glück und höchster Triumph, harmonischer Einklang
Zweyer Seelen, die sich in jedem Gedanken berühren,
Jedem Flug der Empfindung und jeder leisesten Ahnung.

15 legte Theodor das Buch weg, nahm Augusten bei der Hand, und warf sich mit ihr den beiden Müttern, die neben einander auf einem Sopha saßen, zu Füßen. Wir lieben uns, theure Mütter! willigen Sie in unser Glück, und segnen Sie Ihre Kinder. So sprach der edle Jüngling, indeß Auguste die Hände der Mutter ergriff, und sie mit Wonnethränen benetzte.

Elise und Sophie waren nicht überrascht, aber tief gerührt. Gott segne euch, Kinder, sagten sie zu gleicher Zeit, indem sie ihnen ihre offenen Arme reichten. Eure Wünsche sind schon lange auch unsere Wünsche. Herz an Herz wurde nun auch der Schwesterbund der Mütter erneuert, und das Ende des Sommers zur Verbindung des jungen Paares festgesetzt. Bis dahin sollte sie aus triftigen Familien-Ursachen geheim gehalten werden.

Theodor wägte zwar einige Einwendungen gegen diesen Aufschub, zumal, da seine Geliebte nun bald mit ihrer Mutter auf das Land zurückkehren sollte. Sie werden mir einst für diese Entfernung danken, mein Sohn, antwortete Elise. Sie wird Ihnen einen neuen Genuß verschaffen, der nicht nur Ihrer Liebe, sondern Ihrer Tugend eine köstliche Nahrung geben wird. Zweimal in der Woche habt ihr Gelegenheit einander zu schreiben, euch eure Gedanken, eure Gefühle 16 mitzutheilen, und wenn die Seelen vom Zauber der Sinne entfesselt sind, so sehen Sie sich in einem reinern Lichte, und der Bund, der sie vereinigt, wird täglich durch neue Bande der Verwandschaft befestigt. Die Freundschaft, ohne welche die Liebe bloß ein vergängliches Strohfeuer ist, bauet ihr einen ewigen Thron; und diese Freundschaft kann nur ein Werk der Zeit, nur das Resultat eines freien, unbefangenen Tausches unserer Gesinnungen, ja sogar einer ungeheuchelten Enthüllung unserer Fehler seyn. In der Entfernung werdet ihr gegen einander weniger zurückhaltend, und um so fähiger seyn, an eurer Veredlung zu arbeiten. So werdet ihr euch wechselseitig mit neuen Reizen und neuen Tugenden ausstatten, und so oft Theodor uns besucht, wird er Augusten seiner würdiger, und Auguste wird ihn ihrer würdiger finden. Ueber dieses war meine Tochter zu jung, als daß ich sie mit den Pflichten der neuen Laufbahn hätte bekannt machen sollen, die sie nun erwartet. Sie sind mannichfaltig und wichtig diese Pflichten, und das Herz meiner Auguste muß sie mit sich vor den Altar tragen, an dem sie die Erfüllung derselben geloben will.

Die Familie war noch im süßesten Gefühl ihres Glückes vereinigt, als sie eine Einladung zu einem Hofballe erhielt, der nach drei Tagen Statt haben sollte. Sie hätte kaum auf eine 17 unangenehmere Art in ihrer Freude gestört werden können. Die beiden Mütter sahen einander schweigend an, und ihre Kinder, besonders Theodor, suchten ihre Entschließung in ihren Augen zu lesen. Die Frau von Milden war die erste, die das Stillschweigen brach. Wir können die Einladung nicht ablehnen, sagte sie zu Elisen, zumal nach dem Vorwurfe, der Ihnen vom Prinzen im Conzert gemacht wurde. Er ist gewöhnlich der Anordner dieser Feste, an denen der Herzog wenig Geschmack findet.

Theodor schwieg noch immer; er hätte gern eine andere Meinung geäußert, wenn er seine Gründe hätte angeben dürfen. So wie er den Prinzen kannte, mußte er sogar fürchten, wenn die Frauenzimmer der Einladung nicht entsprächen, für den Ursächer dieser Unhöflichkeit gehalten zu werden, Emilie war die Einzige, die sich bei dem Ball zu amüsiren hoffte. Sie liebte den Tanz, und hatte keinen Liebhaber, bei dem sie alle Freuden der Welt vergessen konnte. Auguste hätte das für sie seltne Schauspiel gern mit angesehen, aber ohne eine Rolle dabei zu übernehmen, und ohne sich einen ganzen schönen Abend dadurch zu verderben. Indessen sollte ja Theodor sie begleiten. Dieser Gedanke erleichterte ihr das Opfer, und folgte ihr am ganzen Tage an die Toilette. Sie wollte ihrem Theodor gefallen, 18 vielleicht wollte sie auch seine Wahl im Voraus bei der Welt rechtfertigen. Einer sechzehnjährigen Braut wäre diese kleine Eitelkeit wohl zu verzeihen.

Die Gesellschaft war überaus glänzend, und schon sehr zahlreich, als die beiden Fräulein an der Seite ihrer Mütter in den empyräisch erleuchteten Saal traten. Kaum erblickte sie der Prinz Adolph, so kam er auf sie zu, und empfing sie mit besonderer Auszeichnung. Er führte sie an ihre Plätze, und erbot sich gegen Elisen, sie mit ihrer Tochter seinem Onkel, dem Herzoge, vorzustellen, der nach einer langwierigen Unpäßlichkeit heute zum erstenmale wieder öffentlich erschien. Der Fürst, der in seiner Jugend mit dem Herrn von Landeck unter Einem Regimente gedient hatte, empfing sie mit vieler Güte, und nachdem er sich einige Minuten mit der schönen Wittwe unterhalten hatte, entließ er sie mit dem Wunsche, ihr nützen zu können. In dem Munde des edlen Fürsten waren das keine leeren Worte.

Der Ball begann. Prinz Adolph eröffnete ihn mit der Prinzessinn, Tochter des Herzogs; und sobald er sich auch bei den ersten Damen des Hofes der Pflichten der Etikette entledigt hatte, forderte er Augusten zum Tanz auf. Sie reichte ihm zitternd die Hand, und alles, was er ihr Schönes und Aufmunterndes sagte, konnte sie 19 wohl schaamroth, aber nicht beherzter machen. Nach geendigtem Tanze setzte er sich neben sie, und knüpfte eine Unterredung an, die nicht geeignet war, ihre Verlegenheit zu vermindern. Er fragte nach dem Orte ihres Aufenthalts, nach ihren Beschäftigungen, nach ihren Zeitvertreiben. Natürlich mußte sie ihm die Musik nennen, und nun wiederholte er ihr all die Lobsprüche, die er ihr im Conzerte beigelegt hatte.

Der arme Theodor mußte sich in einer ehrerbietigen Entfernung halten, und freuete sich wenigstens eben so sehr, als seine Geliebte, da der Prinz aufstund, und Emilien die Hand zum Tanze bot. Die junge Städterinn folgte ihm mit liebenswürdiger Unbefangenheit, und tanzte besser, als ihre Freundinn. Dem ungeachtet kam er nie zu ihr zurück, als nachdem er zuvor mit Augusten getanzt hatte. Nach und nach verlor sich ihre Schüchternheit, und da der Prinz sie nie verließ, ohne sich mit ihr unterhalten zu haben, so fand er Gelegenheit, ihren hellen Verstand, und ihren gebildeten Geist kennen zu lernen. Ihre Mutter, an deren Seite sie saß, ward immer mit in die Unterredung gezogen, und man kann denken, daß er es nicht versäumte, ihr, als der Erzieherinn einer so vollkommenen Tochter, die feinsten Schmeicheleyen vorzusagen.

Blos um sie den Zudringlichkeiten seines 20 hohen Prinzipals zu entziehen, führte Theodor seine Geliebte einige Male in den Reigen: dann konnten sie sich ein Wort der Liebe zuflüstern, und immer endigte sich das flüchtige Gespräch mit dem Wunsche: wenn doch nur der Ball zu Ende wäre. Der gute Jüngling hatte den Prinzen zu scharf beobachtet, um nicht in seinen blitzenden Augen das Feuer einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu entdecken. Er glich einem Träumenden, der neben seiner schlafenden Geliebten eine lauernde Natter wahrnimmt, und durch eine unsichtbare Hand abgehalten wird, ihr zu Hülfe zu eilen. Erst als er mit Augusten den Wagen bestieg, erwachte er aus dem ängstlichen Traume.

Der Prinz hatte seine Verlegenheit nicht bemerkt; er war zu sehr mit dem holden Mädchen beschäftigt, als daß er sich nach ihm hätte umsehen können. Auch nachdem sie sich entfernt hatte, sah er nur sie; selbst im Schlafe schwebte ihr Bild ihm noch immer vor der Seele, und er konnte den Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, so wenig verbergen, daß er am folgenden Tage, sobald ihm Theodor zu Gesichte kam, mit größter Wärme sich nach seinem schönen Bäschen erkundigte. Sie war, sagte er, die Perle der Gesellschaft. Nie habe ich mehr Reize der Figur und des Geistes vereinigt gesehen. Doch in dem Augenblicke bemerkte er, daß er sich vergaß, und 21 setzte in einem gemäßigtern Tone hinzu: kurz, sie ist das treue Ebenbild ihrer Mutter, dem einzigen Frauenzimmer des Balles, das mit ihr verglichen werden konnte.

Auch die glückliche Liebe hat ihre Besorgnisse. Nicht Auguste, deren reines, zärtliches Herz so ganz sein war, der Prinz allein war es, der bei Theodorn diese Besorgnisse erregte. Er fürchtete, er möchte einen Vorwand suchen, die wieder angeknüpfte Bekanntschaft fortzusetzen, und, wo nicht seiner Liebe, doch dem guten Namen und der Ruhe seiner Braut gefährlich werden. Schon hatte seine Emsigkeit auf dem Balle die Blicke mancher alten und jungen Dame auf sich gezogen. Man hatte sich in die Ohren geflüstert, und es bedurfte nur eines einzigen Besuches des Prinzen, um dem Argwohn und der Verläumdung einen, freien Spielraum zu öffnen. Diese Betrachtungen ängstigten den guten Jüngling nie mehr, als wenn er an der Seite seiner Geliebten den ganzen Werth ihres Besitzes fühlte, wenn er in ihrer Seele keinen Gedanken, keine Empfindung las, die nicht ihm und der Tugend angehörten. Fragte sie dann nach der Ursache seiner Traurigkeit, so drückte er sie schweigend an sein Herz, und sagte: ach! ich fühle, daß ich zu glücklich bin.

Länger als einige Tage konnte er diesen Zustand nicht ertragen. Seine Mutter bemerkte den 22 Kampf seines Herzens, sie wollte sich ihm aber nicht zur Vertrauten aufdringen. Er sollte sie dazu wählen, er that es. Zum erstenmale sprach er mit ihr von den Ausschweifungen des Prinzen, von seinen Aeußerungen, und von den Besorgnissen, die sie bei ihm erregten. – Du sagst mir nichts Neues, mein Sohn, erwiederte Sophie: ich billige deine Unruhe, wie ich deine bisherige Zurückhaltung billigte. Ich fand gleich nach dem Balle einen ungezwungenen Anlaß, diese Seite gegen die Mutter deiner Braut zu berühren, der die Zudringlichkeit des Prinzen aufgefallen war. Sein Charakter war ihr nicht ganz unbekannt. Was ich ihr sagte, und als Freundinn sagen mußte, brachte sie auf den Entschluß, ihre Abreise zu beschleunigen: du solltest es aber so spät als möglich erfahren. Künftige Woche wird sie mit Augusten nach Blumenthal zurückkehren. Theodor erblaßte.

Ich habe ihr versprochen, fuhr Sophie fort, daß wir sie monatlich wenigstens einmal besuchen werden, und der Prinz wird dir die Erlaubniß, deine Mutter zu begleiten, nicht versagen. So schwer es ihm ward, so mußte doch Theodor diesen Maßregeln Beifall geben. Ihr Beweggrund sollte für Augusten ein Geheimniß bleiben. Sie ahnet nichts Arges, und es ist Pflicht für uns, sie in dieser heiligen Unwissenheit zu lassen. So 23 schloß Sophie die Unterredung, bei der Theodor einem Patienten glich, der sich einer schmerzhaften Operation unterwirft, von der, nach dem Ausspruche des Arztes, seine Rettung abhängt. Er ergab sich in sein Schicksal, und tröstete sich mit der heitern Zukunft, die durch die grauen Wolken durchschimmerte, die ihm die Gegenwart trübten.

Hier wäre nun der Ort, zu erzählen, wie die beiden Liebenden die Frist ausfüllten, die ihnen gegönnt war, und die Scene ihrer Trennung zu beschreiben. Allein was liesse sich davon sagen, das die geweihten und ungeweihten Analysten der Liebe nicht schon tausendmal, und immer mit untreuen Worten, gesagt haben.

Auguste war mit ihrer Mutter in Blumenthal angekommen; ihr Briefwechsel mit Theodorn war eröffnet. An jedem Botentage erhielt sie wenigstens eine Zeile von ihrem Geliebten. Ihre Antworten waren der reine, kunstlose Abdruck ihres zarten, unschuldigen Herzens, und mußten es seyn, da keine Romane und keine Regeln die Sprache der Natur bei ihr erstickt oder verbildet hatten.

Prinz Adolph schien, in den Banden seiner welschen Syrene, Augusten vergessen zu haben. Nur einmal, – es war am Tage nach ihrer Abreise – erwähnte er ihrer gegen den Fähndrich. 24 Ihre Verwandten sind verreist, wie ich höre? – Gestern, Ihre Durchlaucht. – Schade! sie würden eine Zierde des Hofes gewesen seyn. Das war alles, und von nun an wurde ihrer nicht mehr gedacht.

Ein Monat war verstrichen; das bunte Gewand des Frühlings schmückte die Fluren, und Auguste zählte jede Stunde, die sie von dem Tage trennte, an dem sie den ersten Besuch ihres Geliebten erwartete. Sein nächster Brief sollte ihr diesen Tag ankündigen. Der Bote kam an, allein er brachte keinen Brief mit. Traurig schlich Auguste in den Garten, und begoß ihre Blumen. Bisweilen mischte sich eine Thräne unter das klare Wasser der Quelle, womit sie ihre Schwestern, die Töchter des Frühlings, tränkte. In melancholische Gedanken verloren, hatte sie nach dieser Arbeit sich in eine Gaisblattlaube gesetzt, deren junge Blätter der Strahl des Abendrothes vergoldete. Auf ihren Arm gestützt, dachte sie mit bange klopfendem Herzen an ihren Geliebten. Der Name Theodor entschlüpfte ihren Lippen, und sie lag in Theodors Armen. Um sie zu überraschen, hatte er am Eingange des Dorfes seine Mutter und Emilien verlassen, und sich auf einem Fußpfade in den Garten geschlichen.

Der Uebergang von der tiefsten Trauer zur höchsten Freude ist eine von jenen geheimnißvollen 25 Erscheinungen, wodurch die Seele ihre geistige Natur beurkundet, und es bedarf eben keiner Ueberraschung in einer Gaisblattlaube. Ein todtes Blättchen, in einer Entfernung von hundert Meilen geschrieben, ist mehr als hinreichend, um Thränen auszupressen oder abzutrocknen. Die beiden Glücklichen lagen sich noch in den Armen, als ihre Mütter, von Emilien begleitet, in den Eingang der Laube traten, und sich an dieser Wonnescene weideten. Sie hatten Recht, beste Mutter! rief Theodor, indem er Elisen in die Arme flog. Auch die Entfernung hat ihre Seligkeiten. Ohne sie wäre mir dieser Augenblick fremd geblieben.

Zween allzu kurze Festtage der Liebe und Freundschaft lebten die beiden Familien beisammen. Dann kehrte die Frau von Milden mit ihren Kindern nach der Stadt zurück. Der Prinz hatte Theodorn, als er um Urlaub anhielt, einen Gruß an Elisen und ihre Tochter aufgetragen, und er konnte, bei seiner Rückkunft, nicht weniger thun, als ihn ihres unterthänigen Dankes für sein gnädiges Andenken versichern. Ohne Zweifel haben Sie sich wohl amüsirt? fragte Seine Durchlaucht. – O ja! antwortete Theodor so leise, daß man es kaum hören konnte, und mit einer Miene, die seine ganze Verlegenheit 26 ausdrückte. Der Prinz schien nicht darauf zu achten, und sprach von andern Dingen.

Der liebliche May war zu Ende, und Elise genoß mit Augusten jener stillen Freuden, welche die Annäherung einer glücklichen Zukunft in der Seele einer guten Mutter erregt, die ihre Arbeit gekrönt sieht, und einer guten Tochter, die täglich mehr inne wird, daß diese glückliche Zukunft ihr von dieser Mutter zubereitet wurde. Sie erwarteten auf den folgenden Tag den zweiten Besuch ihrer Gäste, und Auguste war mit ihrem Mädchen beschäftigt, im ganzen Garten die schönsten Erdbeeren auf das morgende Fest auszusuchen, als Prinz Adolph, von seinem vertrauten Kammerdiener Simbert begleitet, im Jagdhabit auf sie zukam. Um Gottes willen! rufe die Mama, sagte sie leise zum Mädchen, und ging mit glühenden Wangen und schüchternem Schritte dem Prinzen entgegen. Seit gestern, schönes Fräulein, habe ich das Glück, Ihr Nachbar zu seyn. Sie werden mich entschuldigen, daß ich dieses Glück benutze, um Ihnen und Ihrer Frau Mutter meinen nachbarlichen Besuch zu machen. Auguste konnte nichts, als sich verneigen; aber in dieser Verwirrung war sie schöner als jemals. Ich habe Sie überrascht, fuhr der Prinz mit einem sanften Händedruck fort. Fassen Sie sich, holdes Kind! es ist nicht Prinz Adolph, es 27 ist ja ein Nachbar, der mit Ihnen spricht, ein guter Nachbar, der, vom Zwange des Hofes entfesselt, endlich auch einmal die Freuden der Natur und des Privatlebens genießen möchte.

Ihre Durchlaucht . . . . . das war alles, was Auguste ihm antworten konnte.

Ich habe Sie in Ihrer Arbeit gestört, liebes Fräulein! Sie haben Erdbeeren gepflückt.

Darf ich so frei seyn? sie bot dem Prinzen ihr Körbchen dar.

Sie sind schön, sehr schön, versetzte der Prinz, und dennoch beschämt sie das Incarnat Ihrer Wangen. Er nahm eine von den Erdbeeren: Ich empfange sie als das Pfand der Gastfreundschaft, die Sie mir bewilligen.

Elise kam mit schnellen Schritten herbei; sie empfing den Prinzen mit einer unbefangenen Höflichkeit, bei der sie aber doch ihre Befremdung nicht ganz verbergen konnte. Sie wundern sich, mich hier zu sehen, gnädige Frau? Die Aerzte haben mir eine Cur verordnet, der Herzog hat mir erlaubt, sie auf seinem Jagdschlosse Forstenburg zu gebrauchen, und Sie werden mir, wie ich hoffe, erlauben, Sie unter die Nachbarn zu zählen, die mir meine Einsamkeit verschönern sollen.

Das Haus einer einsamen Wittwe, antwortete Elise, wird dazu am allerwenigsten geeignet seyn.

28 Darüber, muß ich Sie bitten, mich allein urtheilen zu lassen, versetzte der Prinz, indem er ihr seinen Arm bot, um, wie er sagte, ihr niedliches Gärtchen näher zu betrachten. – Ueberall fand er Gelegenheit, dem reinen, kunstlosen Geschmacke der Besitzerinn, und der weisen Oekonomie, womit sie das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden wußte, ein Compliment zu machen, das wirklich weniger geschmeichelt war, als er glauben mochte.

Auguste ging an der Seite ihrer Mutter, und bekam auch ihren Theil Weihrauch, als der Prinz erfuhr, daß sie die Wartung der Blumen übernommen habe. Nun hielt es Elise dem Wohlstande gemäß, zu fragen, ob er nicht in ihre Hütte einkehren, und einige Erfrischungen annehmen wolle. Es versteht sich, daß das Anerbieten nicht ausgeschlagen wurde. Der hohe Gast ward in einen zierlichen Saal geführt, der unmittelbar an den Garten stieß, und Auguste war mit bezaubernder Emsigkeit beschäftigt, eine kleine Collation aufzutischen, wobei ihre Erdbeeren die Hauptschüssel ausmachten. Der Prinz konnte nicht satt werden, sie zu betrachten, wollte aber nichts von dem Aufgetischten berühren, bis die neue Hebe, wie er sie nannte, ihre Stelle an der ländlichen Tafel eingenommen hatte.

Während der Herr mit den Damen beschäftigt 29 war, unterhielt der Diener, nach hergebrachter Sitte, die Zofe. Er plauderte ihr eine Menge schöner Phrasen vor, die Röschen im buchstäblichen Sinne nahm. Auch das glaubte sie ihm, als er ihr sagte, daß sie schon bei ihrem Aufenthalt in der Residenz durch die frische Blüthe ihrer Wangen, und durch ihr bescheidenes Wesen seine Aufmerksamkeit gefesselt habe, ohne daß er sich damals mit der Hoffnung schmeicheln durfte, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Unvermerkt ging er zum Lobe seines Prinzen über, dessen Großmuth und Güte er bis an die Wolken erhob. Endlich gab er dem leichtgläubigen Mädchen zu verstehen, daß es in allen herrschaftlichen Gärten üblich sey, den vornehmen Fremden, die sie besuchen, einen Strauß anzubieten. Nun, so wird das mein Fräulein auch thun, antwortete sie. – Behüte Gott! dieses wird der Jungfer des Hauses überlassen, und selten geht sie dabei leer aus. Röschen ließ sich die Sache nicht zweimal sagen. Sie sammelte einen Strauß von den schönsten Blumen des Gartens, und als der Prinz, von seinem Besuch entzückt, in Begleitung der beiden Damen durch denselben seinen Rückweg nahm, bot sie ihm mit einem tiefen Knicks den Strauß auf einem Porzellanteller an. Sie bemerkte den strafenden Blick Elisens nicht, sondern bloß den gnädigen Blick des Fürsten, und den doppelten Dukaten, 30 womit er begleitet war. Als aber der hohe Gast sich entfernt hatte, wurde sie von Elisen mit ungewohnter Strenge zur Rede gesetzt. Das Mädchen antwortete mit Thränen: der Herr Kammerdiener habe es ihr befohlen, und Elise konnte hierauf weiter nichts erwiedern, als daß sie blos von ihrer Herrschaft Befehle zu empfangen habe.

Dieser Herr Kammerdiener war ein relegirter Student, der unter dem Regimente des Prinzen Dienste genommen, und sich durch seine schöne Handschrift, besonders aber durch sein musikalisches Talent bei ihm in Gunst gesetzt hatte. Er befreite ihn vom Kriegsdienste, und machte ihn zu seinem Kämmerling. Doch bei diesem Amte blieb es nicht. Simbert, der eben so schlau, als niederträchtig war, hatte den Charakter des Prinzen gar bald auszuforschen, und seinen Lüsten so geschickt zu schmeicheln gewußt, daß er in wenig Monaten der Vertraute seiner Liebschaften, und sehr oft der Unterhändler derselben wurde. Auch jetzt hatte er die Rolle des Merkurs übernommen, und, um recht methodisch zu verfahren, sich vor allen Dingen an das Kammermädchen gemacht, das in den Romanen, nicht nur der poetischen, sondern auch der wirklichen Welt, mehrentheils eine Hauptperson spielt.

Der Besuch des Prinzen weckte bei Elisen alle ihre vormaligen Besorgnisse wieder auf, und die 31 Frau von Milden, die den folgenden Tag wirklich mit Theodorn eintraf, trug nicht wenig dazu bei, sie darin zu bestärken. Auguste erzählte ihrem Geliebten mit holder Unbefangenheit alle Umstände der überraschenden Erscheinung, die sie mit den Worten schloß: er hat versprochen, wieder zu kommen.

Theodor hörte ihr ernst und schweigend zu. Jetzt entfuhr ihm ein Seufzer. Was hast du, lieber Theodor? Was soll dieser Seufzer und diese umwölkte Stirn? Theodor sah ihr steif ins Gesicht. Die Liebe eines Engels blitzte in ihren Augen. Es ist vorbei, meine Freundinn! der Gedanke fuhr mir durch die Seele: daß der neue Nachbar das Glück unserer Liebe stören könnte. – Wie kann er das? der Prinz ist edel und gut. Frage nur meine Mutter: er hat ihr mehr als einmal seine Dienste angeboten. – Himmlische Unschuld! erwiederte Theodor, und schloß das reizende Geschöpf in seine Arme. Nun überließ er sich mit leichterm Herzen der Freude des Wiedersehens. Ganz heiter war ihm der Tag nicht. Auch den beiden Müttern war ers nicht. Sie kamen überein, daß Elise den Besuchen des Prinzen zwar nicht ausweichen, alsdann aber ihre Tochter keinen Augenblick verlassen müsse. Sollte er sie zu oft wiederholen, oder eine unedle Absicht verrathen, so wurde beschlossen, die Verlobung des jungen 32 Paares bekannt zu machen, und die Heurath zu beschleunigen.

Allzu kurz, wie alle Tage der Liebe, war ihnen auch dieser, und als sie am folgenden Morgen sich trennten, mußte Sophie ihren Sohn mit Gewalt aus Augustens Armen reißen. Bange Ahnungen erfüllten sein Herz; er schüttete sie auf dem Rückwege in den Schoß seiner Mutter aus, die eben nicht geschickt war, sie zu zerstreuen, ungeachtet sie alle Kräfte aufbot, es zu versuchen. Selbst Augustens Briefe vermochten es nicht. So oft er einen von ihr erhielt, und ihn seiner Mutter oder Emilien vorlas, schloß er mit den Worten: nein! den Verlust eines solchen Herzens würde ich nicht überleben.

Der Prinz beschränkte seine Besuche nicht auf Blumenthal; seinen übrigen Nachbarn widerfuhr gleiche Ehre. Er verweilte aber bloß bei der Baronin von Rothau, die drei erwachsene Töchter hatte, mit denen sie das letzte Carneval in der Residenz zubrachte. Die Mädchen waren artig, ohne eben schön zu seyn, und der Prinz freuete sich, die alte Bekanntschaft mit ihnen zu erneuern. Diese Vorrede führte ganz natürlich auf das Capitel der Bälle und Redouten, und als die drei Schwestern eine lebhafte Erinnerung der genossenen Freuden äußerten, sagte der Prinz: Sie sind Liebhaberinnen des Tanzes, und mein Arzt hat 33 mir neben der Landluft die Bewegung empfohlen. Ich würde Ihnen sehr dankbar seyn, wenn Sie mir behülflich wären, von Zeit zu Zeit einen kleinen Familienball zu veranstalten. Die Fräulein und die gnädige Mama fanden den Gedanken allerliebst, und der Prinz verließ sie mit dem Versprechen, bei seinem nächsten Besuche das Weitere mit ihnen zu verabreden.

Erst in der folgenden Woche wiederholte der Prinz seinen Besuch in Blumenthal. Er überraschte Augusten am Piano. Ich spielte, so schrieb sie ihrem Theodor, ich spielte unsrer Mutter die Mozart'schen Variationen, die du mir letzthin mitbrachtest. Ich sprang von meinem Stuhl auf, allein er nöthigte mich, fort zu spielen. Seine unaufhörlichen Lobsprüche machten mich ganz verwirrt; er sah mich dabei so starr, so durchschauend an, daß mir recht bange dabei wurde. Vortreflich, göttlich! sagte er, so oft ich eine Variation endigte, und bei jeder ward mein Spiel schlechter. Wie kommt das? da doch ein einziges Bravo von meinem Theodor meine Finger beflügelt und meine Seele so hoch empor hebt, daß ich mir in diesem Augenblick einbilde, was ich spiele, sey mein eigenes Werk. Er blieb über eine Stunde bei uns, und sprach viel mit mir. Ich mußte ihm erzählen, wie ich meine Zeit zubringe. Als ich meiner Bücher erwähnte, fragte er mich, ob ich auch Romane 34 lese? Nun nahm die Mutter das Wort. Dazu hat meine Tochter keine Zeit, sagte sie, und ich schmeichle mir sogar, daß sie wenig Geschmack daran finden würde. Diese Antwort schien ihm zu mißfallen, er schwieg einige Augenblicke, dann sagte er zu meiner Mutter: Sie hatten vor einigen Tagen einen Besuch aus der Stadt? – Die Frau von Milden, Ihre Durchlaucht, mit ihren Kindern. Eine wackere Frau! versetzte er; ihre Tochter ist sehr artig, und der Sohn ein braver Jüngling, der viel verspricht. Wenn er Wort hält, so werde ich väterlich für ihn sorgen. O, er wird Wort halten! dachte ich, und mußte mir alle Gewalt anthun, es nicht laut zu sagen. Ich hätte ihm um den Hals fallen mögen, er muß meine Gefühle in meinem flammenden Gesichte gelesen haben, denn er sah mich mit so bedeutenden Blicken an, als ob er um unser Geheimniß wüßte. Auf einmal ward er nachdenkend, zerstreut, einsylbig, und nahm bald darauf seinen Abschied.

Elise hatte noch mehr gesehen, als ihre arglose Tochter: sie hatte in den Augen des Prinzen die flammende Sehnsucht der Leidenschaft gelesen, die der Wollüstling, auch mit allen Künsten der Verstellung, nie ganz verbergen kann. Sie hatte den Zwang wahrgenommen, womit er ihre lästige Gegenwart ertrug, und das Mißvergnügen, das ihr Urtheil über die Romane bey ihm erweckte. 35 Dennoch hielt sie es für unnöthig, ihre Tochter mit einer Gefahr bekannt zu machen, die sie durch ihre Wachsamkeit abzuwenden hoffte.

Auch das Mal hatte Simbert den Prinzen nach Blumenthal begleitet; der Zufall wollte, daß er Röschen im Garten allein antraf. Er nahte sich ihr, wie ein alter Bekannter, und Röschen wich ihm nicht aus. Der Verweis, den sie des Straußes wegen erhalten hatte, lag ihr auf dem Herzen, und sie konnte dem Drange nicht widerstehen, ihm ihre Noth zu klagen. Ihre gnädige Frau ist doch allzu streng, antwortete der schlaue Wicht. Doch wie kann sie in ihrem Dorfe wissen, was in der Residenz Mode ist. Ich bedaure es herzlich, mein schönes Kind, daß ich Ihnen, in aller Unschuld, einen Verdruß zugezogen habe. – O, die gnädige Frau ist sonst sehr gut; es war das erste Mal, daß ich gezankt wurde, desto weher hat es mir aber auch gethan.

Nun, nun! mein Prinz ist der beste Herr von der Welt; er wird Ihnen Ihren Schmerz vergüten. Wie lange sind Sie schon bei der Frau von Landeck?

Seit meinem dreizehnten Jahre. Als meine Mutter starb, nahm sie mich zu sich, und versprach, für mich zu sorgen. Ich bin nur zwei Jahre älter, als das Fräulein, und wenn die einmal heurathet, so hoffe ich . . . . .

36 Ist sie etwa Braut?

Je nun, gewiß weiß ich es nicht, allein seit unserm Aufenthalt in der Stadt gehen allerhand Dinge vor, die mich so was vermuthen lassen.

Nicht wahr, mit dem Fähndrich von Milden?

Woher wissen Sie das? Es ist noch nicht über meine Lippen gekommen.

Ey, die Wirthinn, bei der wir unsere Pferde einstellen, sagte mir, er sey schon zweimal mit seiner Mutter hier gewesen, und da dachte ich, es könnte so was im Werke seyn. Ich kann mich aber auch betrügen; wenigstens ist das Fräulein eines höhern Glücks werth. Ihre Schönheit, ihre Tugend sind fähig, einen Fürsten zu bezaubern.

Da haben Sie wohl recht, und dabei ist sie so gut, wie die Mama. Lieber Gott! wenn sie eine Fürstinn wäre, ich würde es auch zu genießen haben.

Je nun, wer weiß, was noch geschieht? Unverhofft kommt oft.

Simbert stattete auf dem Rückwege dem Prinzen von dieser Unterredung Bericht ab. Ich sehe schon, antwortete er, der Fähndrich wird mir zu schaffen machen; es ist nur zu gewiß, daß er geliebt wird. Sey's! ich gebe darum das Mädchen nicht auf; sie hat meinen Kopf und mein Herz gefesselt.

37 Der Fähndrich wird ja doch wegzubringen seyn, versetzte der Diener.

Nun ja, wenn ich Aufsehen machen wollte. Allein der Herzog versteht keinen Spaß, und zudem würde ich dadurch wenig bei dem Mädchen gewinnen. Wenn ich sie nur allein sprechen könnte; aber die Mutter hält sie unaufhörlich belagert. Doch vielleicht verschafft mir der Ball eine Gelegenheit. Wenn ich nur selbst recht wüßte, was ich ihr sagen soll. Der Weg, den ich bei andern einschlug, geht hier nicht, das sehe ich nur allzu wohl.

Vielleicht, sagte Simbert, liesse die Mutter sich durch den Antrag einer geheimen Heirath gewinnen. Wenn Ihre Durchlaucht . . . . .

Den Gedanken hatte ich auch schon. Es wäre vielleicht eine Sottise, allein das Mädchen verdiente, daß ich sie machte.

Freilich müßte es das letzte Mittel seyn, das Ihre Durchlaucht wählten. Doch, kommt Zeit, kommt Rath!

Guter Rath ist hier theuer, erwiederte der Prinz. Wirst du mir aber einen guten geben, so soll er dir auch theuer bezahlt werden.

Elise hatte dem Briefe ihrer Tochter an Theodorn einen Commentar an seine Mutter beigelegt, darin sie die Erzählung des guten Mädchens berichtigte, und bange Besorgnisse für die 38 Zukunft blicken ließ. Sophie fand diese Besorgnisse nicht ungegründet, allein sie war in ihrer Antwort der Meinung: so lange der Prinz sein Stillschweigen nicht breche, so müsse man auch kein Mißtrauen gegen ihn äußern, sondern das Ansehen haben, als ob man seine Leidenschaft nicht bemerkte. Er hat versprochen, so schloß sie, für unsern Sohn zu sorgen, und wir dürfen ihn ohne die äußerste Noth dieser Stütze nicht berauben. Theodor dachte ganz anders. Die Klugheit seiner Mutter schien ihm eine gefährliche Sicherheit, und selbst sein Glaube an Augustens grenzenlose Liebe konnte ihm gegen die Unternehmungen eines so mächtigen Nebenbuhlers keine hinreichende Gewährschaft leisten.

Der dritte Besuch des Prinzen war ganz kurz. Er komme, sagte er, im Namen der Frau von Rothau, um Elisen und das Fräulein zu einem kleinen Familienfeste einzuladen, das am folgenden Abend auf ihrem Schlosse Statt haben sollte. Ihr Sohn, der Rittmeister, setzte er hinzu, wird Sie abholen, wenn Sie, gnädige Frau, mir die Ehre des Vorzugs nicht gönnen wollen. Elise war überrascht. Ohne mit der Baroninn in einer engen Verbindung zu stehen, hatte sie doch jederzeit gute Nachbarschaft mit ihr gepflogen; und ungeachtet sie in diesem Feste das Werk des Prinzen erkannte, so fand sie doch keinen 39 gültigen Vorwand, die Einladung auszuschlagen. Nur verbat sie sich das Anerbieten des Prinzen, sie abzuholen. Was Ihre Durchlaucht einen Vorzug nennen, würde auf unserer Seite ein Mißbrauch Ihrer Güte, eine unverzeihliche Eitelkeit seyn. Der Prinz bestand nicht weiter darauf, lenkte das Gespräch auf gleichgültige Dinge, ohne jemals das Wort insbesondere an Augusten zu richten, und entfernte sich, um, wie er sagte, der Frau von Rothau von seiner Gesandtschaft Bericht abzustatten.

»Morgen werden wir einem Balle bei der Frau von Rothau beiwohnen. Ich verspreche mir wenig Vergnügen von diesem Feste. Wie kann es für mich ein Fest geben, bei dem ich meinen Theodor nicht finde? Unsere Mutter bliebe auch lieber zu Hause; allein da der Prinz im Namen der Baroninn die Einladung in eigener Person übernommen hatte, so konnte man sie nicht wol ausschlagen. Mit nächster Post werde ich dich und mich durch die umständliche Erzählung dessen, was ich sehen und hören werde, für deine Abwesenheit entschädigen.« So schrieb Auguste an ihren Geliebten; und wenn er sie vollends unsichtbar belauscht, wenn er die Gleichgültigkeit, womit sie von dem Feste sprach, und sich dazu vorbereitete, beobachtet hätte, so würde sie ihn noch mehr, als ihre Briefe in der süßen Ueberzeugung bestätigt haben, daß 40 ihr Herz nur an ihm hieng, und auch nicht den leisesten Wunsch hegte, Jemand anders, als ihm, zu gefallen.

Die Gesellschaft war nicht zahlreich, aber auserlesen, und der Urheber des Festes, der Prinz, hatte nichts versäumt, um es glänzend zu machen. Er eröffnete den Ball mit den Töchtern des Hauses, und selbst nach ihnen wandte er sich nicht gleich an Augusten. Er ließ ihr alle Zeit, sich gegen den Rittmeister, der sie abgeholt hatte, der Pflichten der Höflichkeit zu entledigen. Dann foderte er sie zu einem englischen Tanze auf, nach dessen Endigung er sie dem nächsten Stuhle zuführen wollte. Dieser Platz hätte sie von ihrer Mutter entfernt; sie bat ihn um die Erlaubniß, sich zu ihr zu begeben. Er versuchte es noch mehrmals, sie allein zu sprechen, und nie wollte es ihm gelingen. So sehr er seine Worte im Zaum hielt, so wenig konnte er seinen Augen gebieten, und der heilige Instinct der Unschuld flößte Augusten eine geheime Furcht vor seinen Blicken ein.

Er tanzte eben einen Walzer mit ihr, als plötzlich der Garten, auf den der Saal stieß, in vollen Flammen zu stehen schien. Es war ein Feuerwerk, das der Prinz veranstaltet, und zu dessen Losbrennung er den Schlag zehen Uhr bestimmt hatte. Alles lief an die Fenster; der Prinz that ein Gleiches mit Augusten, für welche dieses 41 Schauspiel eben so neu als überraschend war. Ihre Mutter hatte sie in dem Gewimmel aus dem Gesichte verloren, und der Prinz benutzte diesen Augenblick, um ihr die beflügelten Worte zuzuflüstern: endlich, schöne Auguste, kann ich Ihnen sagen, was ich Ihnen schon seit Monaten zu sagen wünschte: daß ich Sie liebe, unaussprechlich liebe, daß ich Ihnen mit meinem Herzen alles anbiete, was Ihnen seine Liebe verbürgen kann, und daß . . . . . Auguste zitterte; ihr war, als wollte der Boden unter ihr einsinken. Sie machte ihre Hand von der seinigen los, und unterbrach ihn mit leiser, bebender Stimme: Ihre Durchlaucht müssen sich an meine Mutter wenden, sie wird Ihnen in meinem Namen antworten. Er wollte von Neuem ihre Hand ergreifen, allein sie zog sich vom Fenster zurück, als wollte sie andern Zuschauern Platz machen, und eilte auf ihre Mutter zu, die nur wenige Schritte von ihr entfernt war, und sie aufsuchte. Was fehlt dir, mein Kind? du bist ja leichenblaß und zitterst! fragte Elise sie mit ängstlichen Blicken. – Ach nichts! es ist nichts, liebe Mutter. Mir war etwas warm, und die kalte Abendluft am Fenster hat mich angeschauert. Das gute Mädchen wollte seiner Mutter den Abend nicht verderben. Diese ließ ihr eine Schaale Thee reichen, auf die sie sich wirklich wieder wohl befand.

42 Den ganzen übrigen Abend war der Prinz sehr heiter. Er foderte Augusten noch ein paar Mal zum Tanz auf, und erhielt keine abschlägige Antwort, weil sie dem Könige dieses Festes diese Nachgiebigkeit schuldig zu seyn glaubte. Auch ihre Mutter erhielt ihren Antheil an den Ergießungen seiner fröhlichen Laune. Er setzte sich neben sie, und unterhielt sie eine Viertelstunde lang von den Annehmlichkeiten des Landlebens, von den Vorzügen der Familienfreuden, von den erkünstelten Lustbarkeiten der Höfe, von dem Ekel, den sie in seiner Seele zurückgelassen, und von seinem Lieblingswunsche, je eher je lieber die Bürde seines Standes ablegen, und als ein Privatmann auf dem Lande leben zu können. Elise bestritt diesen Wunsch; er wäre, meinte sie, in seinem Alter zu frühzeitig, und seine Erfüllung würde ihm bald lästig werden. Glauben Sie das nicht, gnädige Frau, antwortete er, mein Plan ist kein Hirngespinnst, und wenn er in Erfüllung geht, so soll keine Stimme mächtig genug seyn, mich aus meiner philosophischen Zauberinsel heraus zu locken.

Der Ball nahm ein Ende, und Auguste bestieg den Wagen, der sie davon führte, mit der Freudigkeit eines Gefangenen, dem die Thore des Kerkers geöffnet werden. Des folgenden Morgens erzählte sie ihrer Mutter das Gespräch, das sie mit dem Prinzen gehabt hatte. Diese Scene, setzte 43 sie hinzu, war die Ursache des Schreckens, den Sie an mir bemerkten. Ich verbarg Ihnen die Wahrheit, weil ich Ihre Ruhe schonen wollte. Elise erblaßte, sie sah nun die Gefahr näher, als sie es bisher glaubte. Auguste warf sich ihr in die Arme: ach, beste Mutter! that ich vielleicht unrecht, daß ich ihn an Sie verwies? Ich war so bestürzt, ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Nein! mein Kind, du hättest nicht besser antworten können: allein auch ich bin bestürzt. – Und wenn sich nun der Prinz an mich wendet? Du sagtest ihm: ich würde in deinem Namen antworten. Auguste sah ihre Mutter staunend an: wie! Sie halten es für nöthig, mich zu fragen? Glauben Sie, mein Theodor sey mir um einen Prinzen, selbst um einen Thron feil? – Nein, ich glaube es nicht, mein Kind, allein ich wollte dieses schöne Bekenntniß aus deinem Munde hören. Elise drückte das edle Mädchen an ihren Busen, und ihre hochklopfenden Herzen sagten sich, was ihre Lippen nicht auszudrücken vermochten.

Doch vielleicht, so fuhr Auguste fort, hat der Prinz mich blos auf die Probe setzen, vielleicht hat er mir unser Geheimniß ablocken wollen.

Ich wünsche, daß es dem so wäre. Wenigstens habe ich Ursache, zu vermuthen, daß Theodors Liede seinem Scharfblicke nicht entgangen ist.

44 Da hätte er denn doch einen sehr grausamen Scherz mit mir getrieben.

Nicht alle Fürsten, meine gute Auguste, gleichen seinem Onkel. Wenn seine Aeußerung kein grausamer Scherz war, so wird er sich gegen mich erklären, und dann? . . . . .

Dann wissen Sie meine Antwort. Will er sie aus meinem eigenen Munde hören, nun so trete ich mit heiterer Miene vor ihn hin und sage: ich bin Theodors Verlobte.

Mutter und Tochter saßen noch beisammen, als Röschen mit freudigem Ungestümm hereinstürzte, und Elisen einen Brief übergab. Herr Simbert, der Kammerdiener des Prinzen, hat mir ihn zugestellt mit dem Befehl, ihn gleich zu überliefern. Simbert hatte den Brief mit sechs Carolinen begleitet, die der Prinz Röschen als eine Entschädigung für den Verweis zustellen ließ, den die Geschichte mit dem Strauße ihr zugezogen hatte. Er empfahl ihr über diesen Punkt das tiefste Stillschweigen, und es ward ihr nicht schwer, es ihm anzugeloben. Elise erbrach den Brief, er enthielt folgende Zeilen:

»Aus Ihrem Munde, gnädige Frau, soll ich die Antwort Ihrer reizenden Tochter auf das Bekenntniß empfangen, das ich ihr gestern ablegte. Ich liebe sie, und wünsche mich nicht zu betrügen, wenn ich glaube, daß Ihnen meine 45 Liebe schon lange kein Geheimniß mehr seyn kann. Seit dem vorigen Winter nährt mein Herz eine Leidenschaft, die weder die Abwesenheit, noch die Zerstreuungen des Hofes schwächen konnten, weil sie nicht blos auf die äußern Reize, sondern auf die Tugend Ihrer anbetenswürdigen Tochter gegründet ist. Zum ersten Male, gnädige Frau, fühle ich die Allgewalt der Unschuld, ahne ich die Glückseligkeit einer tugendhaften Liebe. Der holden Auguste war es vorbehalten, mein Herz zu fesseln, und es den Blendwerken der Sinnlichkeit auf immer zu verschließen. Helfen Sie mir diese schöne Arbeit vollenden. Ihr Charakter, gnädige Frau, muß Ihnen für die Reinheit meiner Absichten bürgen. Ich biete Ihrer holden Tochter meine Hand an, und ich kann es, ohne die elenden Gesetze der Staatsklugheit zu verletzen. Mein Onkel hat drei Söhne. Ich bin also frei von der Verpflichtung, mir eine Gemahlinn aufdringen zu lassen, der ich blos meine Hand geben könnte. Dennoch wird es rathsam seyn, meine Verbindung bis zur Zurückkunft des Erbprinzen geheim zu halten. Er liebt mich, und wird mit Vergnügen mein Fürsprecher bei seinem Vater werden. Ein Wort von Ihnen, gnädige Frau, das der Ueberbringer dieses Blatts morgen Abend bei Ihnen abholen soll, wird über mein Schicksal entscheiden. Möge es die Hoffnung bestätigen, 46 die seit gestern meine Seele in die süßesten Träume wiegt! Möge der Anbeter Augustens, der sie nicht zärtlicher liebt, als er ihre Mutter verehrt, sich bald Ihren Sohn nennen dürfen!«

Adolph.

Der Prinz hatte diesen Brief unter der Leitung seines geheimen Rathes geschrieben. Die Wachsamkeit, womit Elise ihm jede Gelegenheit abschnitt, das Fräulein allein zu sprechen; die kunstlose Gleichgültigkeit, womit Beide die Huldigungen und Spielwerke betrachteten, die dem weiblichen Stolze und der weiblichen Eitelkeit zum Köder dienen, und selbst der Rang, den die adeliche Wittwe eines Obersten in der Gesellschaft einnahm, – alles überzeugte den Herrn und den Diener, daß man diese Eroberung nicht nach den gewöhnlichen Regeln, und mit den gewöhnlichen Waffen unternehmen müsse. Es wurde daher beschlossen, die Unterhandlung gerade zu mit dem Anerbieten einer geheimen Heirath zu eröffnen. Was wagen Sie dabei? sagte Simbert, wenn Sie des Mädchens müde sind, so läßt man den Herzog hinter das Geheimniß kommen; er wird Ihnen eine Strafpredigt halten; vielleicht ein Paar Wochen über Sie zürnen, aber die Heirath wird er, als ein Attentat gegen seinen altfürstlichen Stammbaum, ganz unfehlbar vernichten. Um Ihre Rolle recht pathetisch zu spielen, werden Sie Ihr 47 Mißgeschick zu den Füßen Ihrer Prinzessinn beseufzen, beweinen, verfluchen, aber Sie werden frei seyn, und die trostlose Ariadne wird sich am Ende in den Armen eines hungrigen Lieutenants trösten, den Sie zum Hauptmann erheben, und nöthigen Falls durch eine Handvoll Dukaten für das verlorne Kränzchen der Fräulein Braut entschädigen werden.

Allein, versetzte der Prinz, es kann wenigstens der Mutter nicht unbekannt seyn, daß ich bisher so ziemlich locker gelebt habe. Wie kann ich den Verdacht abwenden, den dieser Umstand gegen die Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen, oder doch wenigstens gegen meine Beständigkeit bei ihr erwecken wird? Ein bedenklicher Umstand, ich kann es nicht läugnen, erwiederte Simbert: und da die Oberstinn auf Zucht und Ehrbarkeit, ich glaube gar, auf Religion hält, so weiß ich kein ander Mittel, den Stein des Aergernisses aus dem Wege zu räumen, als wenn Sie die Rolle eines bekehrten Sünders, und mitunter eines empfindsamen Schwärmers, aber freilich cum grano salis, wie mein Rector zu sagen pflegte, bei ihr spielen.

Wenn deine Rezepte anschlagen, so werde ich dich reichlicher bezahlen, als wenn Du mich an einem hitzigen Fieber kurirt hättest.

Ey, Ihre Durchlaucht! was ist Ihre 48 Krankheit anders als ein hitziges Fieber? morgen ist der kritische Tag, den müssen wir abwarten.

Gleich nach Tische ließ der Prinz die Pferde satteln, und begleitete seinen Unterhändler bis in das Wäldchen, das die lieblichen Anhöhen vor Blumenthal krönte. Hier blieb er zurück, und Simbert verfolgte seinen Weg nach dem Dorfe. Er ließ sich bei der Frau von Landeck durch Röschen anmelden, und wurde sogleich vorgelassen. Elise übergab ihm ihre Antwort, und Auguste, die neben ihr an ihrem Nährahmen saß, warf ihm einen heitern, unbefangenen Blick zu, darin der forschende Botschafter die Ratifikation ihres Inhalts las. Er jagte damit in vollem Gallop dem Wäldchen zu, wo sein Herr ihn mit der Ungeduld eines Spielers erwartete, der sein Vermögen auf eine Karte gesetzt hat. Hastig riß er den Brief auf, erblaßte, glühte, knirschte, und reichte das Blatt seinem Vertrauten: Da lies: das Körbchen ist von Golddraht geflochten, aber doch ein Körbchen. Simbert las:

»Eure Durchlaucht wollen mir und meiner Tochter eine Ehre erweisen, die wir ausschlagen müssen. Ich könnte Ihnen sagen, daß die Gründe, wodurch Sie Sich berechtigt halten, den Pflichten Ihres Standes auszuweichen, uns kein Recht geben, den Pflichten des unsrigen zu trotzen; daß ich und meine Tochter wissen, was wir unserm 49 Landesherrn und uns selber schuldig sind; daß Sie selbst, gnädigster Prinz, uns über kurz oder lang verachten würden, wenn wir uns bewegen liessen, den besten Fürsten zu hintergehen, und die ehrwürdigsten Gesetze mit Füßen zu treten. So würde ich Euer Durchlaucht antworten, wenn Auguste frei wäre, und gewiß würden meine Gründe Eingang bei Ihnen finden. Allein ich bedarf ihrer nicht. Ich brauche Ihnen blos zu sagen, daß Auguste seit drei Monaten die Verlobte des Fähndrichs von Milden ist, und daß ihr Herz ihn gewählt hat, um Euer Durchlaucht zu bewegen, einen Wunsch aufzugeben, gegen den die Stimme der Ehre sich eben so laut erhebt, als die Stimme der Pflicht, und ihr edles Herz ist mir Bürge, daß Sie dieser Stimme, die den Großen der Erde vor andern heilig seyn muß, Gehör geben werden u. s. w.«

Deine Rezepte taugten keinen Pfifferling, sagte der Prinz, indem er Simberten den Brief abnahm.

Ey nun, so müssen wir zu heroischen Mitteln unsere Zuflucht nehmen. Das Beste wäre freilich, wenn Euer Durchlaucht den weisen Lehren der Frau von Landeck folgten, und . . . . .

Wenn das dein Ernst ist, so sind wir geschiedene Leute. Der Roman ist nun einmal angefangen, ich will ihn ausspielen. Meine Liebe zu 50 diesem Mädchen ist eine allgewaltige, Geist und Herz fortreißende Liebe, von der ich zuvor keine Ahnung hatte. Kein Hinderniß soll mich abschrecken, kein Opfer soll mir zu theuer seyn, um mir den Besitz dieses bezaubernden Geschöpfes zu verschaffen. So lang es seyn kann, will ich mit Vorsicht zu Werke gehen, ist aber ein Wagestück nöthig, nun, so werde ich's bestehen, und sollte ich . . . . .

Etwa dem Herrn Bräutigam einen unserer allezeit fertigen Raufer auf den Leib hetzen, der ihm den Hochzeitkitzel auf immer vertriebe?

Pfui! dies ist der Rath eines Banditen, der mir überdem wenig Vortheil bringen würde. Mutter und Tochter würden den Anstifter der Schandthat errathen, und als einen Meuchelmörder verabscheuen.

Wollen vielleicht Euer Durchlaucht eine Capitulation versuchen?

Auch das nicht, sie würden nie die Hände dazu bieten. Ich sehe nur allzuwohl ein, daß auch die glänzendsten Anträge nichts, wenigstens bei der Mutter nichts, ausrichten würden.

Nun so muß man, sagte Simbert lachend, das Küchelchen der Henne aus dem Neste holen. Haben Sie das Mädchen einmal in Ihrer Gewalt, so wird die Mutter die geheime Heirath 51 mit beiden Händen ergreifen, da alsdann die Verbindung mit dem Fähndrich ohnedem zerrissen würde, und die schöne Gefangene wird dem Rathe der Mama Gehör geben.

Der Prinz schwieg, und nach einer langen Pause sagte er, wie aus einem Traume erwachend: ich glaube, du hast Recht. Wir müssen die Sache näher überlegen.

Nach einigen Tagen fuhr Elise mit ihrer Tochter zur Frau von Rothau, um ihr einen Dankbesuch abzustatten. Kaum waren sie eine Stunde da, so erschien auch der Prinz, um sich, wie er sagte, nach dem Wohlseyn der Damen zu erkundigen. Diese Erscheinung war kein Werk des Zufalls. Röschen, durch Simberts prächtige Verheissungen verblendet, hatte ihn von dem Vorhaben ihrer Herrschaft unterrichtet. Elise erblaßte, als der Prinz herein trat, und Augustens Gesicht überströmte das glühende Roth des Blitzes. Der Prinz schien ihre Verlegenheit nicht wahrzunehmen; er war freundlicher und unbefangener als je; er zeichnete sie so wenig aus, und sein ganzes Benehmen trug so sehr das Gepräge der absichtslosen Höflichkeit, daß selbst die kluge Elise dadurch getäuscht wurde. Mein Brief hat gewirkt, sagte sie auf dem Rückwege zu ihrer Tochter. Der Prinz scheint der Vernunft Gehör zu geben; nun weiß ich mir es erst recht Dank, 52 daß wir Theodorn und seiner Mutter die ganze Sache verschwiegen haben.

Ein Schreiben, das Auguste bald hernach von ihrem Geliebten erhielt, bestärkte die Mutter und die Tochter in ihrem Wahne. Er beklagte es, daß die Sommerübungen ihn nöthigen würden, seinen monatlichen Besuch in Blumenthal zu verschieben, und fügte hinzu: daß die Garnison der Hauptstadt nur die nahe bevorstehende Rückkunft des Prinzen erwarte, um ein Lustlager zu beziehen, das wenigstens vierzehn Tage bestehen werde. Nun war Elise vollkommen beruhigt, sie hoffte, jede Stunde die Abreise des Prinzen zu erfahren. Die gute Seele ahnete die Gefahr nicht, die, gleich einer still anschwellenden Fluth, im Finstern heran schlich, und sich bereits vor ihrer Schwelle gelagert hatte.

Röschen hatte im Dorfe eine Muhme, die sie sonst nur des Sonntags, seit einiger Zeit aber beinahe täglich besuchte. Simbert hatte das unerfahrne Mädchen in sein Garn gelockt, und das Haus der Muhme, die im Herrn Kammerdiener weniger nicht als einen Freier ihrer Nichte erblickte, war die Werkstätte, in der die Bosheit ihre Anschläge schmiedete. Simbert hatte Röschen wirklich die Ehe auf den Fall versprochen, wenn sein Prinz, dessen Liebe zu Augusten er ihr unter dem Siegel des Geheimnisses 53 anvertraut hatte, das Ziel seiner Wünsche erreichen sollte, und Röschen, die es ganz und gar unmöglich fand, daß ein Fräulein die Hand eines Prinzen ausschlagen könne, sah sich in Gedanken schon wirklich als Frau Kammerdienerinn im vollen Genusse der Gnade des hohen Ehepaars. Simbert nährte ihre Träume durch allerhand kleine Geschenke, die seinen Vorspiegelungen bei der Nichte und der Muhme ein hinreißendes Gewicht gaben.

Zween Tage, nachdem er Elisens Antwort in Blumenthal abgeholt hatte, erschien er am Orte der Zusammenkunft so mißmuthig, so niedergeschlagen, daß Röschen ihn beim ersten Anblick mit Schrecken um die Ursache seiner Traurigkeit fragte. Ach, liebes Kind! erwiederte er, ein feindseliges Verhängniß hat sich unserm Glücke in den Weg gestellt. Das Fräulein, oder vielmehr ihre Mutter, hat meinem Prinzen auf seine Anwerbung eine abschlägige Antwort gegeben. Röschen wurde blaß wie eine Leiche: sie sank kraftlos auf einen Stuhl, und nach einer langen Pause war ein tiefer, schwerer Seufzer die einzige Antwort, die sie aufbringen konnte.

Simbert seufzte auch und wischte sich die trocknen Augen. Vielleicht, sagte er, hat die Furcht vor der Ungnade des Herzogs die Weigerung der gnädigen Frau veranlaßt. In diesem 54 Falle wäre noch Rath zu schaffen, denn ich glaube nicht, daß der Widerstand von dem Fräulein herrührt. Gesetzt auch, daß sie den Fähndrich liebt, so ist es doch nicht wahrscheinlich, daß sie ihn einem Prinzen vorziehen werde, der einer der schönsten Männer des Hofes ist, und ihr ein Glück anbietet, darum eine Prinzessinn sie beneiden würde. Sind aber Beide so verblendet, daß sie dieses Glück mit Füßen treten wollen, so könnte man ihnen keinen größern Dienst erzeigen, als wenn man sie nöthigte, es anzunehmen. Sie würden sich bald eines bessern besinnen, und es dem Freunde oder der Freundinn, die ihnen diesen Dienst erwiesen hätten, zeitlebens verdanken.

Sie können Recht haben, versetzte Röschen; allein wo ist dieser Freund, oder diese Freundinn?

Sie, mein Schatz, können diese Freundinn seyn, und durch eine unschuldige Gefälligkeit unser Glück auf immer befördern.

Sie scherzen, mein Lieber! was kann ich armes einfältiges Mädchen thun? Nichts, gar nichts!

Sehr viel! wiewohl es im Grunde nur auf eine Kleinigkeit ankömmt. Gesetzt, mein Prinz, um den Zorn des Herzogs, der übrigens nicht lange dauern wird, von der Frau von Landeck und ihrer Tochter abzuwenden, faßte den Entschluß, das Fräulein zu entführen, um sich durch 55 den Feldprediger seines Regiments in aller Stille mit ihr kopuliren zu lassen. so könnten Sie, bestes Röschen, ihm zur Erreichung seiner großmüthigen Absicht mehr als irgend jemand behülflich seyn.

Röschen sah den Unterhändler mit großen Augen an: Ich verstehe Sie nicht.

So muß ich deutlicher reden: Sie müssen uns das Haus öffnen, und uns in das Schlafzimmer des Fräuleins führen. Versteht sich des Nachts, wenn sie zu Bette liegt. Das ist es Alles!

Gott bewahre! und wenn das Fräulein um Hülfe ruft, und die gnädige Frau kömmt herbei gelaufen, so bin ich ja verloren. Nein, lieber Herr Simbert! muthen Sie mir das nicht zu.

Für das Rufen soll gesorgt werden. Wir verbinden ihr den Mund, oder setzen ihr einen Dolch auf die Brust.

Heiliger Gott! einen Dolch! meinem lieben, guten Fräulein einen Dolch! Nimmermehr! Herr Simbert; dazu helfe ich nicht. Einen Dolch! das arme Kind würde stracks in Ohnmacht sinken.

Desto besser! so wird sie nicht schreien.

Ein kalter Schauer überläuft mich. Ich hätte nicht geglaubt, Herr Simbert, daß Sie so unbarmherzig seyn könnten.

Unbarmherzig, sagen Sie? ich kenne zwanzig 56 Fräulein, die uns auf halbem Wege entgegen kommen würden. Eine Fürstenkrone ist wohl einer kleinen Ohnmacht werth. Doch Mademoiselle Röschen, wie ich sehe, liebt weder ihres Fräuleins, noch ihr eigenes Glück.

Röschen weinte und schwieg. Simbert sah auf seine Uhr. Es ist Zeit, daß ich zu meinem Herrn zurückkehre. Leben Sie wohl, Mademoiselle! Zu Ende der Woche reisen wir nach der Stadt zurück. Sie werden mir daher erlauben, übermorgen und vielleicht auf immer Abschied von Ihnen zu nehmen. Ueberlegen Sie unterdessen wohl, was ich Ihnen gesagt habe, und wenn Sie mich nicht glücklich machen wollen, so machen Sie mich wenigstens nicht unglücklich. Versprechen Sie mir die heiligste Verschwiegenheit über Alles, was ich Ihnen gesagt habe. Röschen reichte ihm schluchzend die Hand. Simbert drückte einen heißen Kuß darauf, wandte sein Gesicht weg, als wollte er seine Thränen verbergen und verschwand.

Das arme Mädchen wankte mit schwerem Herzen nach Hause. Sie mußte alle ihre Kräfte zusammennehmen, um den Eindruck zu verbergen, den diese Unterredung auf sie gemacht hatte. Sie wußte nicht, wozu sie sich entschließen sollte. So oft ihr guter Engel ihr seine Warnungen zuflüsterte, ward er durch die Sirenenstimme der Leidenschaft, und durch die Lockungen des 57 Versuchers übertäubt, in dessen Aufrichtigkeit ihre unerfahrne Jugend keinen Zweifel setzte. Noch war sie unentschlossen, ob sie Simberts Einladung zu einer letzten Zusammenkunft Folge leisten wolle, als der Prinz des andern Tages in Blumenthal erschien. Er ließ Elisen und ihrer Tochter nicht Zeit, sich von ihrer Verwirrung zu erholen. Mit einer Freundlichkeit, die sie noch vermehrte, sagte er zu ihnen: unmöglich kann ich in die Stadt zurückkehren, ohne von meinen lieben Nachbarinnen Abschied zu nehmen. Morgen, spätstens übermorgen, werde ich abreisen. Elise stammelte einige Worte der Höflichkeit, die gerade so viel sagten, als sie sagen sollten. Das Fräulein rückte einen Stuhl vor, den sie ihm anbot. Ich kann mich nicht aufhalten, antwortete er. Ich habe noch einige Abschiedsbesuche zu machen; Sie müssen mir verzeihen, daß ich den zu Blumenthal allen Andern voransetzte. Er küßte den beiden Damen die Hand, und wurde von ihnen bis an den Wagen begleitet. Eine Geistererscheinung hätte sie nicht mehr überraschen können. Der fliegende Wiski war bereits aus ihren Augen verschwunden, und noch standen sie unter dem Thorweg, und ihre Blicke schienen sich zu fragen: ob sie träumten oder wachten.

Röschen hatte im Nebenzimmer die Abschieds-Scene belauscht. Die Worte des Prinzen: 58 morgen, spätstens übermorgen, werde ich abreisen, fuhren ihr wie ein feuriger Pfeil durchs Herz. Simbert, mit seiner traurig schmachtenden Miene, wie er den glühenden Kuß auf ihre Hand drückte und seine Thränen verbarg, trat plötzlich vor ihre Phantasie, und breitete seine Arme nach ihr aus. Ihr Herz klopfte immer schneller und schneller; es legte es ihr als eine Grausamkeit aus, daß sie Anstand nehmen konnte, den liebenswürdigen Mann, der sie glücklich machen wollte, noch einmal zu sehen. Der Besuch ward beschlossen, und wäre es nur, um ihm zu sagen, daß sie unter den vorgeschriebenen Bedingungen die Seinige nicht werden könne. Sie ging zur Muhme. Simbert war nicht da. Das war ihr unerwartet; sonst kam er ihr immer zuvor. Sie saß traurig am Fenster, und bemühte sich, die Seufzer zu ersticken, die, so oft sie vergebens hinaus sah, sich aus ihrem Busen hervordrängten, indeß die beschäftige Matrone in der Stube aus- und einging, ohne sich weder um die Nichte, noch um den künftigen Neffen zu kümmern. Denn daß Simbert dieses werden wolle, hat er ihr selbst, aber freilich nur ins Ohr, anvertraut, und wie man leicht denkt, kein ungünstiges Gehör gefunden.

Endlich erschien er, und Röschen folgte ihm mit klopfendem Herzen in das Gärtchen, das 59 hinter dem Hause lag, und schon mehr als einmal der verschwiegene Schauplatz ihrer Zusammenkünfte war. Ich mußte mich wegstehlen, liebes Röschen, sagte er, und kann mich nur einige Augenblicke aufhalten. Ich war den ganzen Tag mit den Anstalten zu unserer Abreise beschäftigt. Doch Sie bedürfen nur eines einzigen Wortes, um zu entscheiden, ob wir uns bald, oder nie wieder sehen werden. Röschen schwieg. Sie hatte alles vergessen, was sie dem Geliebten sagen wollte, um ihn zu bewegen, seine Capitulationspunkte zu mildern. Wie! Sie schweigen, fuhr Simbert fort. ists möglich, daß Sie sich in vier und zwanzig Stunden nicht entschließen konnten, ob Sie die glückliche Gattinn eines fürstlichen Beamten werden, oder, deutsch zu sagen, die Magd einer Offizierswittwe bleiben wollen? Röschen erbebte: ach! Sie wissen ja, daß Ich Ihnen gut bin, sagte sie weinend. – Ich glaubte es, erwiederte er, bis ich einen Beweis Ihrer Liebe verlangte. Wollen Sie mir ihn geben? Wenn mein Prinz das Fräulein nicht heurathet, so können auch wir uns nicht heurathen. Ich erhalte das Amt nicht, das er mir versprochen hat, und werde den Augenblick verwünschen, da mein Herz einer Undankbaren sich hingab, die es zu spät bereuen wird, daß sie mit diesem Herzen ihr Glück von sich stieß, ihr Glück, sage ich, und 60 hier ist der Beweis. Lesen Sie. Er zog ein Papier hervor, darin der Prinz ihr ein Jahrgeld von zweihundert Gulden versicherte, falls er das Fräulein von Landeck heurathen würde.

Sie las, und wollte ihm mit zitternder Hand das Blatt zurückgeben. Behalten Sie's, sprach er, es hängt lediglich von Ihnen ab, ob ich übermorgen seinen Werth verlieren, oder ob Ihnen das erste Jahr voraus bezahlt werden soll. Gestehen Sie mir, daß man einen kleinen Dienst nicht großmüthiger belohnen kann. Denn was verlangt man am Ende von Ihnen? Daß Sie Ihrem Fräulein, das Sie lieben, die Thür in die Brautkammer eines Prinzen öffnen sollen. Wahrlich! Mademoiselle, Ihre Verblendung schmerzt mich eben so sehr, als die Härte, womit Sie meine Liebe verschmähen. Die Zeit ist kostbar, was wollen Sie thun? – Was Sie wollen, versetzte sie leise, und sank dem Satan in die Arme. Er drückte sie fest an seine Brust und bedeckte ihre glühenden Wangen mit Küssen.

Nun wurde der Plan des Bubenstücks verabredet. Simbert wollte am folgenden Abend um Mitternacht mit zween Gehülfen sich vor der Hinterthür des Hauses einfinden. Röschen sollte ihnen aufschließen, und sie in Augustens Schlafzimmer führen. Dieses war um so leichter, da 61 das Mädchen in einem Cabinet schlief, das damit zusammenhing, und außer dem alten, schwerhörigen Reitknecht Niemand diesen Theil des Hauses bewohnte. An der Hinterthür sollte ein Wagen bereit stehen, der die schöne Beute mit den Räubern auf das fürstliche Jagdschloß bringen sollte. Ist sie nur einmal dort, sagte Simbert, so wird sich das Uebrige alles geben. Das wissen Sie besser als ich, erwiederte Röschen; nur darf meinem Fräulein kein Leid geschehen, das müssen Sie mir schwören. Simbert schwor; was hätte er nicht geschworen? Auf einmal rief sie ängstlich: allein, was wird aus mir werden? Die gnädige Frau wird mich zur Rede setzen. – Auch dafür ist gesorgt. Mit Tagesanbruch wird der Prinz an sie schreiben, und sich im Namen seiner Braut ihre getreue Rosine zur Bedienung ausbitten. Sie wird ihm gewiß die Bitte nicht versagen: dann sind auch wir vereinigt, um uns nie wieder zu trennen.

Um allen weitern Bedenklichkeiten des armen Mädchens auszuweichen, beschleunigte Simbert seine Abreise. Beim Abschiede steckte er ihr einen hübschen Ring an den Finger, um, wie er sagte, ihr ebenfalls ein Pfand seines Versprechens zurück zu lassen. Dieser Talismann that seine volle Wirkung. Röschen fühlte sich plötzlich in eine Braut verwandelt, und, vom Zauberkelch 62 täuschender Hoffnungen berauscht, eilte sie mit flüchtigen Schritten nach Hause.

Doch die Nacht, diese ernste Bundsgenossinn des Gewissens, verdunkelte nach und nach die lachenden Bilder, die ihrer trunkenen Seele vorschwebten. Ihre glänzenden Masken verschwanden, und bald erblickte sie nichts mehr, als scheußliche Gespenster, die sie angrinzten, oder ihr die Donnerworte: was hast du gethan? in die Ohren brüllten. Sie verschloß ihre Augen, und sah sie doch. Sie verbarg den Kopf in ihr Kissen, und hörte sie doch. Sie versuchte es, sich vor ihrem innern Richter zu entschuldigen, und fand keine Entschuldigung. Der Versucher, dessen Sophismen sie bethört hatten, war fern von ihr, und so oft sie ihn herbei rief, erschien auch er ihr in einer veränderten Gestalt. Es war nicht mehr jener einnehmende Schmeichler, dessen süße Worte ihr Herz durchglühten. Es war ein hohnlächelnder Dämon, der an einer magischen Kette sie an den Rand eines Abgrunds fortriß, und wirklich den Arm aufhob, um sie hinunter zu stürzen. Fieberfrost durchschauerte ihre Adern, und der Schweiß des Todes rieselte von ihrer Stirne. Sie weinte, sie stöhnte, sie betete. Nichts konnte ihre Marter lindern, und die Nacht verstrich ihr, ohne daß sie einen Augenblick Ruhe genossen hätte.

63 Als sie durch Augustens Zimmer ging, saß diese bereits an ihrem Schreibtische; sie meldete ihrem Theodor den Abschiedsbesuch des Prinzen, und freuete sich der Hoffnung, ihn nun bald wieder zu sehen. Ohne ihr heiteres, morgenröthliches Gesicht von dem Blatte abzuwenden, bot sie Röschen einen guten Morgen. Der Anblick der Holdseligen, ihr sanfter, liebeathmender Gruß war ein neuer Dolchstich in ihr Herz. Sie eilte, wie eine verfolgte Missethäterin, an ihr vorüber, und begab sich hinunter zu Elisen, die allein in der Wohnstube war, und eine Morgenbetrachtung las. Um Gottes Willen! wie siehst du aus? Röschen! rief sie im Tone einer Mutter ihr entgegen. Schon einige Tage schleichst du wie eine Leiche umher. Was fehlt Dir, mein Kind? dieses Wort brach ihr das Herz. Sie stürzte zu Elisens Füßen nieder, und rief mit gerungenen Händen: Ach, gnädige Frau! beste, gnädige Frau! vergeben Sie mir. ich will Ihnen alles gestehen. Ihre Thränen und Schluchzer hinderten sie, mehr zu sagen. Elise meinte, sie rede irre; sie suchte sie zu beruhigen und aufzurichten. Nein! nein! rief sie, lassen Sie mich! nur auf den Knieen darf ich zu Ihnen sprechen. Jetzt eröffnete sie ihr das ganze Geheimniß der Bosheit. Und so oft Elisens Miene ihr Entsetzen verrieth, unterbrachen neue Thränen und der jammernde Ausruf: 64 vergeben Sie mir! ihre Erzählung, die sie durch das Billet des Prinzen und durch den angeblichen Trauring bestätigte.

Fasse dich, mein Kind, sagte Elise, indem sie sie umarmte, und danke Gott, daß er dir den Gedanken eingab, statt ein Verbrechen zu begehen, es zu verhindern. Verhindern? erwiederte sie, ach! wie kann ich das? Sie werden diese Nacht kommen. Laß sie kommen, sagte Elise nach einem ernsten Stillschweigen: ich erlaube dir, sie einzulassen. Röschen sah sie mit starren, fragenden Blicken an. Glaube mir, es ist mein Ernst: nur mußt du sie, statt zu meiner Tochter, in mein Zimmer führen. Aber Auguste, das versprich mir, darf nichts von meinem Vorhaben ahnen.

Röschen fiel von neuem auf die Knie, und gelobte den heiligsten Gehorsam. Elise hätte sich mit ihrer Tochter in die Stadt flüchten, sie hätte den Schutz des Herzogs anflehen können, allein sie wollte kein Aufsehen machen, und ihr Glaube an die Menschheit, vielleicht auch eine gewisse Exaltation, die das abgeschiedene Landleben so gern in reinen Seelen erzeugt, gab ihr den Entschluß ein, sich, statt ihrer Tochter, entführen zu lassen. Dieses, dachte sie, wäre das sicherste Mittel, sie vor den Nachstellungen des Prinzen auf immer zu sichern, und vielleicht die schlafende Tugend in seinem Herzen wieder aufzuwecken. Von einem 65 Briefe erwartete sie diese Wirkung nicht, da der Bösewicht, der seinen Leidenschaften schmeichelte, den Eindruck des ersten vernichtet hatte.

Während Auguste sich mit ihren Blumen und mit ihren Vögeln beschäftigte, unterrichtete Elise ihre Vertraute von Allem, was sie zu thun hatte. Sie gab ihre Befehle mit einer Ruhe, die dem Mädchen eine heitere Zuversicht einflößte, welche ihr nicht erlaubte, an sich selbst, und an die Folgen zu denken, die ihr Bekenntniß für sie haben konnte. Der Tag verstrich unter den gewöhnlichen Beschäftigungen. Kein Blick, keine Miene verrieth die ernsten Arbeiten ihrer Seele. Beim Abendessen war sie heiter, und unterhielt Augusten von ihrem Theodor und von der stillen Feyer, womit der Tag ihrer Verbindung begangen werden sollte. Nur im Augenblicke des Schlafengehens, als das holde Mädchen sich mit vollem Herzen in ihre Arme warf, hatte sie Mühe, ihre Bewegung zu verbergen, und die Thräne wegzublinzen, die ihr ins Auge stieg.

Röschen begleitete sie in ihr Schlafzimmer. Sie übergab dem Mädchen eine Florkappe und eine seidene Douillette mit dem Befehle, sie ihr im Augenblick umzuwerfen, da sie sich ohnmächtig anstellen würde. Sie zog ihr bestes Nachtgewand an, und blieb halb angekleidet. Um diese Vorsicht zu verbergen, empfahl sie Röschen, mit 66 aller Sorgfalt zu verhindern, daß Simbert und seine Gefährten ihr mit keinem Lichte zu nahe kämen. Sie selber löschte das ihrige aus, so bald ihre Anstalten getroffen waren, und Röschen sich in das Nebengemach begeben hatte.

Die Nacht war kühl und dunkel; sie erwartete die zwölfte Stunde in einem Armstuhle. Beim ersten Schlage befahl sie dem Mädchen, sich an ihren Posten zu begeben, nachdem sie die Thüren von Augustens Zimmer, die auf die Hausflur und in Röschens Kammer führten, in aller Stille abgeschlossen hatte. Nun legte sie sich zu Bette, und erwartete mit klopfendem Herzen den entscheidenden Augenblick.

Elisens Wohnung lag am Ende des Dorfes und stieß auf eine Nebenstraße, in welcher Simbert und seine Gefährten bereits mit einem wohlverschlossenen Wagen angelangt waren. Röschen war, der Abrede gemäß, ohne Licht. Kaum öffnete sie die Thür, so trat Simbert ihr mit einer Blendlaterne entgegen. Ist Alles bereit, mein Schätzchen? – Alles; erwiederte sie schluchzend. Er sprach ihr Muth ein, ergriff sie beim Arme und schlich mit ihr die Hintertreppe hinauf. Seine Begleiter, zween Bediente des Prinzen, folgten ihm. Alle hatten Masken vor dem Gesicht und waren in weite Mäntel gehüllt. Vor Röschens Kammer hielten sie einen Augenblick still. 67 Simbert wiederholte ihnen seine Befehle; der dringendste vor allen war: alles Geräusch zu vermeiden.

Röschen öffnete ihre Kammerthür, die an den Vorsaal stieß; sie ließ Simberten vorangehen. Das Bewußtseyn ihrer guten That hatte sie verlassen. Sie bebte, gleich einer Verbrecherinn, die den Rabenstein betritt. Beim Eintritt in Elisens Zimmer reichte Simbert ihr die Laterne und nahte sich dem Bette. Der Umhang war vorgezogen; Simbert schlug ihn zurück. Elise schien aus einem tiefen Schlafe aufzufahren. Bist du's, Röschen? Was willst du? sagte sie mit leiser, erschrockener Stimme. – Seyn Sie ruhig, gnädiges Fräulein, es soll Ihnen kein Leid geschehen. Bei diesen Worten faßte Simbert sie an den Armen. – Ach Gott! Räuber! rief sie, und schien in Ohnmacht zu sinken.

Simbert zog ein seidenes Tuch hervor, und wollte ihr den Mund verbinden. Das will ich thun, sagte Röschen, indem sie die Laterne auf eine seitwärts stehende Commode setzte. Sie verband ihr den Mund, und zog ihr die Florkappe über das Gesicht, die sie aus ihrer Kammer mitgenommen hatte. Gott! sie ist ohnmächtig, rief sie. – Desto besser! erwiederte Simbert. Nur hurtig fortgemacht, damit wir sie in den Wagen bringen, ehe sie zu sich kömmt! Sie ward aus 68 dem Bette gehoben, und Röschen warf ihr die Douillette um; dann nahm sie die Laterne, und ging den Räubern voran, die ihr in tiefster Stille, gleich Meuchelmördern, folgten, die das Opfer ihres Bubenstücks heimlich begraben wollen. Elise ward in den Wagen gelegt. Simbert setzte sich neben sie. Einer von den Bedienten nahm den Rücksitz ein, der Andere stieg zu Pferde, um voran zu reiten. Die Gläser und Vorhänge wurden aufgezogen, und der Wagen rollte mit der Schnelligkeit des Blitzes davon.

Nach einigen Minuten schien Elise aus ihrer Ohnmacht zu erwachen. Wo bin ich? Hülfe! Hülfe! rief sie, so laut ihr Mundschleyer es ihr erlaubte. Sie stellte sich an, als wollte sie ihn wegreißen. Simbert hielt ihr die Hände. Ihre Mühe ist vergebens, gnädiges Fräulein. Fassen Sie sich, wir sind keine Räuber; wir führen Sie Ihrem Glücke entgegen. – Wohin? – In die Arme eines fürstlichen Gemahls, antworte Simbert. Elise warf sich schweigend in die Ecke des Wagens zurück, und sprach kein Wort mehr auf dem ganzen Wege. In weniger als einer halben Stunde hielt der Wagen im Hofe des Jagdschlosses still. Elise wurde dem Scheine nach halb ohnmächtig herausgehoben, und in ein Zimmer des Erdgeschosses gebracht, das mehrere Wachslichter erleuchteten. Man setzte sie auf eine 69 Ottomanne. Simbert wollte ihr den Mund los binden; sie stieß ihn zurück, und löste die Binde selbst ab, ohne die Florkappe wegzunehmen. Der Elende verließ sie mit einer stummen Verbeugung, und sie hörte ihn die Thür verschließen, die nach dem Hofe führte.

Kaum hatte er sich entfernt, so kam der Prinz aus seinem Nebenzimmer mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Elise richtete sich auf, riß die Florkappe ab, und stand wie ein strafender Schutzengel vor dem erstarrten Sünder. Er hatte die Lippen zum Sprechen geöffnet; sie blieben geöffnet, aber seine Zunge war gelähmt. Nicht vor mir, Prinz, sagte Elise, mit ernster feierlicher Stimme, sondern vor sich selbst sollten Sie erschrecken. Mir sollten Sie danken, daß ich Ihnen ein Verbrechen erspart habe. Das Wort Verbrechen trieb eine glühende Röthe auf sein todblasses Gesicht. Ein Verbrechen, sage ich, das, auch mißlungen, Ihnen, wo nicht die Ahndung des Gesetzes, doch gewiß die höchste Ungnade Ihres Oheims zuziehen würde, wenn ich seine Gerechtigkeit um Hülfe anrufen wollte. Doch nicht bei ihm, bei Ihnen selbst, Prinz, will ich Sie verklagen. Ihr Herz war einst edel und rechtschaffen; ihm überlasse ich Ihre Bestrafung. Hier sind die Zeugen, die vor einem fremden Richter gegen Sie sprechen würden. Sie 70 übergab ihm das Billet und den Ring, die Röschen von Simberten empfangen hatte.

Nun bekam der Prinz die Sprache wieder. Bei Gott! rief er, Sie sind ein großes Weib! Eine Mutter, wollen Sie sagen, versetzte Elise. Doch es ist Zeit, daß ich nach Hause zurück kehre. Meine Tochter darf nichts von meiner Abwesenheit erfahren; ich bitte Euer Durchlaucht, die Befehle zu meiner Rückreise zu geben. Der Prinz klingelte, schloß die Thür auf, und sagte zum heraneilenden Bedienten: laß den Augenblick wieder anspannen. Wenn Sie mir vergeben haben, sagte er dann zu Elisen, so werden Sie mir erlauben, Sie zurück zu begleiten. Ich habe Ihnen vergeben: allein ich bedarf der Einsamkeit, und ich denke, auch Sie werden gerne mit sich allein seyn. Der Prinz ergriff ihre Hand und drückte sie an sein Herz. Diese Stunde werde ich nie vergessen, und wenn ich Ihnen nicht ganz gleichgültig werde, so hoffe ich, Sie sollen sich ihrer Folgen freuen. Noch einige Minuten saß er neben Elisen auf der Ottomanne. Schweigend warf er von Zeit zu Zeit einen schamvollen Blick auf das verklärte Antlitz der Heldinn; aber sein Blick konnte nicht darauf verweilen. Die Majestät der Tugend schreckte ihn zurück. Der Wagen fuhr vor; der Prinz begleitete sie bis an den 71 Schlag. Ehrerbietiger hätte er sich von keiner Königinn beurlauben können.

Ihre Rückkehr wurde beinahe eben so schnell bewerkstelliget, als ihre Hinreise. Ein heiliges, namenloses Gefühl der Andacht und der Wonne wiegte sie in eine himmlische Entzückung, aus der sie nicht eher erwachte, als bis der Bediente des Prinzen den Schlag öffnete, und Röschen mit weinenden Augen und lachendem Munde sie bewillkommnete. Sie war kaum anderthalb Stunden abwesend, die das gute Mädchen in der bängsten Unruhe zugebracht hatte. Nun war ihre Freude grenzenlos, besonders als Elise ihr sagte, daß sie alle Ursach habe, mit dem Erfolg ihres Schrittes zufrieden zu seyn. Ich werde es nie vergessen, mein Kind, setzte sie hinzu, daß ich diesen Erfolg deiner Treue zu danken habe. Röschen sank ihr zu Füßen; sie umarmte ihre Knie. Hätte Elise in diesem Moment ihr Blut gefordert, es würde für sie geflossen seyn. Sie mußte ihr das heiligste Stillschweigen über die ganze Begebenheit angeloben. Man kann leicht denken, daß der Prinz seinen Gehülfen die gleiche Verpflichtung auflegte.

Am folgenden Tage reiste er wirklich in die Residenz zurück. Sein erstes Geschäft war, daß er Simberten fortschaffte. Er schickte ihn als Oberförster auf seine Güter. Betrachte das 72 Aemtchen nicht als eine Belohnung, sagte er zu ihm; da ich dich zum Schurken machen half, so muß ich dir Gelegenheit geben, ein ehrlicher Mann zu werden. Benutzest du sie nicht, so wirst du einen unerbittlichen Richter an mir finden.

Auguste war dasmal früher als ihre Mutter. Gleich dem Säugling, der in seiner Wiege des erquickenden Schlafes genießt, indeß die wachende Mutter jede Gefahr von ihm abwendet, hatte sie von der Scene der verwichenen Nacht nicht das mindeste geahnet. Als Elise herunter kam, lief sie ihr mit offenen Armen entgegen. Sie müssen recht gut geruhet haben; so frisch, so blühend sind Sie schon lange nicht aufgestanden. – Das macht, mein Kind, ich hatte einen süßen prophetischen Traum, der mein Blut erfrischte. Mir träumte, daß ich dich deinem Theodor in die Arme führte, und es war mir, als geschäh' es an meinem Geburtstage, den wir zu Ende des Monats feiern werden. Ich erlaube dir, deinem Geliebten meinen Traum zu erzählen.

Auguste lag noch am Busen ihrer Mutter, als Röschen ihnen die Nachricht von der Abreise des Prinzen überbrachte, die sie im Dorfe erfahren hatte. Nun wird auch Theodor uns bald wieder besuchen können, rief Auguste frohlockend. Auch auf ihrer Mutter Stirne glänzte die Freude. 73 Sie fand in dieser Abreise eine Gewährschaft, daß der Prinz seiner Leidenschaft entsagt habe.

Theodor ließ sich nicht lange erwarten; er kam mit seiner Mutter und Schwester auf den Flügeln der Liebe nach Blumenthal. Nach den ersten Entzückungen des Wiedersehens erzählte er Elisen, daß der Prinz am Tage nach seiner Ankunft ihn rufen ließ, und ihm das Patent eines Stabsrittmeisters bei seinem Dragonerregimente zustellte. Ich höre, Sie werden sich bald mit der liebenswürdigen Auguste verheirathen. Mein Regiment kantonnirt nur zwo Meilen von Blumenthal; es muß Ihnen angenehm seyn, in der Nachbarschaft Ihrer Familie zu leben. Sie bekommen ein seltenes Mädchen zur Frau, und eine noch seltnere Frau zur Schwiegermutter. Bringen Sie ihnen meinen Gruß, und bleiben Sie stets Ihres Glückes würdig. Theodor blieb es.

Schon dreimal feierte Auguste, im Kreise der Ihrigen, das Jahrgedächtniß ihrer Verbindung, und jedesmal sagte sie in ihrer Mutter und in Theodors Armen: ich bin glücklich, noch glücklicher als im vorigen Jahre. Auch Prinz Adolph hielt Wort, und seine Rückkehr zur Tugend wurde vom Herzog durch die Hand seiner reizenden Tochter belohnt. 74

 


 


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