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V.
Entzifferung der Seelen

Tammuz kam wieder zu der Frau Architekt. Beim zweiten Besuch wurde er so freundlich aufgenommen, daß er fragte, welchem Zauber er diese herzliche und offene Art verdanke.

– Sie langweilen die Frauen nicht; Sie machen ihnen nicht den Hof; man fühlt nicht, daß Sie Mann sind, das heißt ein Tier, das darauf lauert, sich auf uns zu wälzen. Deshalb sind Sie reizend: wir nehmen Sie wie ein Kind auf.

– Aber, erwiderte der junge Mann, ich glaubte, in einer so zivilisierten Gesellschaft, wie es die von Paris ist, wartet der Mann, um Begehren zu zeigen, bis die Frau ihm Neigung zeigt.

– Oh, wie roh sind die Männer, wie niedrig, wie schmutzig!

Tammuz fühlte unter diesen Worten einen begründeten Haß, blutenden Groll, ohne die wahre Beziehung zu durchschauen.

– Sie sind es wenigstens gegen eine Frau, die Ihnen sympathisch sein muß, die Prinzessin Simzerla Roussalkys.

– Das ist eine schamlose Person.

– Ein Ungeheuer.

– Eine schmutzige Frau.

– Simzerla, der »Greuel der Verwüstung« Daniel 9,27..

Die ganze Halle tobte mit Gebärde und Blick.

– Wirklich! Warum? fragte Tammuz. Weil sie die Frauen liebt?

– Sie liebt sie schön!

– Wir können es Ihnen nicht sagen, es ist zu schrecklich!

– Es gibt kein Wort dafür!

– Darf ich darauf bestehen? fragte er.

– Unsere Lippen weigern sich.

Erstaunt, hoffte Tammuz eine der Freundinnen Arils unter vier Augen befragen zu können. Er leugnete die Begegnung bei der Rückkehr aus dem Bois nicht, sondern bemerkte nur:

– Sie sieht aus wie ein stolzer und trauriger junger Mann.

– Oh, wenn Sie den Chevalier de Faventine kennen würden: das ist ein kecker Kavalier!

– Ich habe ein Fräulein de Faventine nennen hören, den letzten Sproß einer alten Familie aus den Sevennen.

– Diese Rose, das ist der Chevalier: sie kehrt in diesen Tagen aus Venedig zurück, mit Lucia de Goulaine.

– De Goulaine? fragte er.

– Eine Fechterin, die einzige Frau, die mich mit dem Knopfe des Floretts berührt, sagte Lilith de Vouivre.

– Diese Fechterin hat sicher einen Kreis um sich gruppiert?

– Ja, sie führt die Schar der Vornehmen.

Ein reicher Amerikaner trat ein, wahrscheinlich um einen Auftrag zu geben, und unterbrach das allgemeine Plaudern.

Tammuz folgte Emène in eine Fensternische.

– Welch köstliches Wesen, diese Aril!

– Nicht wahr? Ich verehre sie! Sie ist so gut, und zwar gegen uns alle.

– Zieht sie keine vor?

– Die haben Sie noch nicht gesehen; sie ist verheiratet und Aril geht lieber zu ihr, als daß sie herkommt: es ist Frau Vaël.

– Die Frau eines Unternehmers?

– Ja! Sie kennen sie?

Tammuz erriet, daß die Vorliebe Arils ebenso nützlich wie angenehm war.

Er betrachtete Emène: eine zarte Blonde, mit feinen farblosen Haaren, mit großen blauen Augen, mit dem kleinen unschuldigen Munde, der in seiner Magerkeit noch im Zustande des Wachstums zu sein schien. Er fragte sich, durch welches Ereignis ihres Lebens dieses hübsche Geschöpf, beim ersten Schritt ins Leben, in die Netze einer Aril gefallen war.

– Sie haben keine glückliche Kindheit gehabt?

– Wer hat Ihnen das gesagt?

– Niemand als meine Sympathie, die hellsichtig ist.

Sofort, wie ihre Taille der ersten Liebkosung eines Armes nachgegeben hätte, öffnete sich diese Seele, und mit einem feinen Stimmchen seufzte sie mehr, als sie sprach:

– Mama ist vor sieben Jahren gestorben; Papa war ihr vorangegangen zum lieben Gott. Mein Onkel nahm mich auf, doch er beschäftigte sich nicht mit mir … Mein Onkel feiert die ganze Zeit Feste … Meine Erzieherin liebt feines Backwerk: indem ich ihr Geld für Näschereien gebe, mache ich, was ich will … Zuerst ist mir ein junger Mann gefolgt … er hat mir süße Worte gesagt … die ersten für mein Ohr … und eines Tages, als ich zuhörte, hat er mich genommen … Oh, was ist das für eine traurige Sache, von einem Manne genommen zu werden … Jener war boshaft, aber man hat mir gesagt, daß sich in einem gewissen Punkte alle Männer boshaft benehmen … Dann habe ich Aril getroffen: sie hat mir süße Worte gesagt und hat mich nicht genommen … Sie schmeichelt mir sehr sanft und überrumpelt mich nicht … Ich leide oft: wenn man liebt, wird man bald egoistisch und möchte die Geliebte ganz für sich haben … aber wenn ich überlege, glaube ich wohl, daß Aril das Recht, die Pflicht hat, zu mehreren lieb zu sein …

Ein Mitleid malte sich im Gesicht des Tammuz: er wollte es gerade ausdrücken, als Frau von Vouivre neben ihnen auftauchte, das Auge von einem bösen Schein erleuchtet.

– Emène, ich glaube, du beichtest … ich habe Lust, frische Luft zu schöpfen, und nehme dir den Konfessor weg … ich werde ihn dir zurückbringen … Mein Wagen langweilt sich unten: paßt Ihnen eine Fahrt ins Bois, Herr Orphiker?

Es lag in der Einladung ein Stachel von plötzlich eingetretener Eifersucht und leidenschaftlicher Herausforderung.

Sie gingen auf englische Art, ohne sich von Aril zu verabschieden.

In der nach dem Bois rollenden Viktoria sprach die Baronin in der Hast, mit der sich das Herz eines Vertrauens entladet, das notwendig geworden ist.

– Sie haben eine Macht seltener Verführung, Tammuz: ich vergesse fast, daß Sie ein Mann sind … ich hoffe, daß Sie mich nicht wieder daran erinnern werden. Ich bin aufrichtig wie ein Edelmann und, während dieser gewöhnlich ein Schurke wird, auch aufrichtig in der Leidenschaft: Aril selbst unterliegt Ihrer Herrschaft! Sie werden bald als Zweiter über die Brüderschaft der Orchideen herrschen: ziehen Sie Aril vor, aber ziehen Sie mich den andern vor! Es liegt mir daran, ich bitte Sie: wollen Sie?

– Ich habe es als erwünscht vorausgesehen: Sie sind deutlich die vollkommenste und interessanteste der Orchideen.

– Ja, nach Aril bin ich es, die man lieben muß! Für Aril würde ich gern sterben: und Sie?

Tammuz machte ein verdutztes Gesicht.

– Sie werden sehen: Sie verführt sogar die Männer.

– Sie hat auch einen Hof von Männern?

– Was denken Sie: die sind zu roh! Aber Sie sehen gar nicht roh aus; man kann Ihre Freundin sein, ohne daß Sie einen Augenblick der Schwäche mißbrauchen; das ist ein großes Verdienst.

– Nein, das ist eine große Gleichgültigkeit gegen die Macht der Liebe. In Wirklichkeit ist diese Bagatelle so wertlos … oh, diese Bagatelle, wie man sagt: welch ein Nichts!

Ein versteckter Blick zeigte ihm, daß die Gynandre die Eigenliebe der Frau bewahrte, die der Hingabe eine Wichtigkeit ohnegleichen beimißt.

Plötzlich fragte Tammuz:

– Zu der Rasse der großen Katzen gehörend: wie haben Sie sich unterordnen können? Wie sind Sie unter dem Tierbändigerblick der Aril zum Haustier geworden?

– Ach, das frage ich mich selbst: bevor ich ihr begegnete, war ich immer Mann.

– Werden Sie wenigstens vorgezogen?

– Nein … Emene wird Ihnen gesagt haben …

– Nun?

– Nun, alles oder nichts!

– Die Freierinnen der Penelope, ohne Hoffnung, ohne Schmausen, hätte Homer nicht verstanden.

– Rühren Sie nicht an meine Wunde … Was ich neben Aril bin, gleicht der Vouivre, der unabhängigen Vouivre wenig!

Vertrauensvoll, mit leiser, etwas von der Erinnerung schleppender Stimme, erzählte sie von ihrer Kindheit, die sie in einem Schlosse verlebt hatte. Ein wildes Mädchen, nahm sie die Nester aus, zerriß sich die Röcke, hielt die Erzieherinnen zum Narren, bis sie im siebzehnten Jahre einen Krautjunker heiratete, um nach Paris zu kommen. Jetzt war sie seit vier Jahren Witwe.

– Sie haben sich kein Kind gewünscht?

– Oh! rief sie mit aufrichtigem Entsetzen. Der Gedanke, zu gebären, erschreckte sie, kaum geäußert.

– Ihre erste Hochzeitsnacht hat Sie ohne Zweifel vom Normalen abgekehrt.

– Meine erste Hochzeitsnacht … ich weiß nicht, ich war betrunken …

Tammuz strich mit der Hand über seine Stirn; ein solcher Umstand übertraf seine Vermutungen.

Sie erklärte:

– Unter meinen Brautjungfern war eine hübsche: wir haben Champagner getrunken und küßten uns in meinem Hochzeitgemach, während die Tanzerei weiterging … nein, wahrhaftig, ich weiß nichts über das erstemal … Aber das zweite … die anderen … Oh, der Mann! Oh, das Kind!

– Ihr Gatte war …

– Weder gut noch schlecht, weder schön noch häßlich … Ich habe ihn geheiratet, um nach Paris zu kommen, selbständig zu werden und Feste zu feiern … Ich wollte einen Chaperon; die Bedingung meines Wunsches nahm ich auf mich, und siehe da, ein Mann, der schreckliche Mann enthüllte sich, mit diesem Wort »Ehepflicht« bewaffnet …

– Sie haben ihn später nicht lieben gelernt?

– Ich habe ihn gehaßt … Manchmal auf der Jagd, mich an die letzte Nacht erinnernd, den nächsten Abend fürchtend, habe ich meine Büchse angelegt … habe auf ihn gezielt … Einmal haben wir einander zur selben Zeit aufs Korn genommen.

Diese einfachen Worte, die ein so düsteres Drama ausdrückten, machten den jungen Mann bestürzt.

– Wenn Sie ein solches Temperament haben, begreife ich nicht, wie Aril Sie fesseln kann: hat sie allein Wert in Ihren Augen?

– Oh, es gibt wohl noch eine andere; aber die ist zu fein … um nichts in der Welt möchte ich ihr etwas Böses tun! Rose de Faventine … nein, niemals werde ich die nach Lesbos entführen.

– Werden alle Orchideen das gleiche edle Gefühl haben?

– Alle außer Aril, aber ich wache darüber.

– Eifersüchtig auf beide! sagte Tammuz.

– Umkehren, rief sie dem Kutscher zu.

– Und Lucia de Goulaine?

– Lucia ist eine Fechterin, etwas Virago für unsere Schar schlanker Frauen, aber nicht schamlos, ein wahrer Edelmann.

– Edelmann?

– Nun ja, wenn man keine anständige Frau mehr ist, kann man immer noch ein anständiger Mann sein.

– Das ist weniger.

– Ja, seltener! Erklären Sie mir, wie Sie es gemacht haben, daß Sie von Aril und uns allen so schnell angenommen wurden.

– Sagen Sie mir lieber, wie Aril mich so bald angenommen hat.

– Nergal hat Sie in solchen Farben gemalt!

Als sie ans Rundell der Champs Élysées kamen, schützte Tammuz eine Verabredung vor, um nicht wieder zu Aril hinaufgehen zu müssen.

– Kommen Sie morgen, kommen Sie jeden Tag zur Teestunde, von fünf bis sieben: Sie werden uns allen Freude machen, Sie werden uns auch Gutes tun, besonders mir, wenn Sie mir treu bleiben … indem Sie mich vorziehen.


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