Balder Olden
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Balder Olden

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Das eine Jahr, das Peters sich zum Abschluß des Kolonialwerkes gesetzt hatte, begann in der Stunde seines Abschieds von Maud.

Tags darauf saß er auf einem anderen Herrensitz Schottlands, und wieder bestürmte ihn die ungeheure Wirklichkeit des Reichtums.

Parks und unübersehbare Flächen zartesten, süß-lieblichen Grases, Baumalleen. Auf Gummi rollende Equipagen, von hochgezüchteten Halbarabern gezogen. Erker und Türme eines Schlosses, das einmal Königssitz gewesen, mit tiefen Mauern, unhörbaren Dienern; überall zu selbstverständlicher Atmosphäre gewordener Besitz wie bei Maud.

Dort saßen sie zusammen, Sir William Mackinnon, Stanley und Peters, drei bescheidene, unbeamtete Bürger dreier verschiedener Staaten – um einen internationalen Vertrag zu entwerfen.

Peters gab sich konziliant. An Alter übertrafen ihn beide, auch an Einfluß. An Willen und Leistung glaubte er sich überragend. Das wußten die beiden. Die Welt, Deutschland vor allem, glaubte es nicht. Ihr galt Stanley, der tiefer geboren als Peters, ganz aus dem Nichts gestiegen war und, zwanzig Jahre älter, Gründer des Kongostaates, einziger Durchquerer Afrikas, als der wirklich große Mann. Sir William aber, der nichts war als Präsident der Britisch-Ostafrikanischen Gesellschaft, war Sir und Präsident!

Die Grenzen von Kolonien wurden bestimmt, Interessensphären abgesteckt – von drei Privatleuten, die vormittags Fasanen schossen und alles in allem ihre Ferien in Schottland genossen. 242

An seinem Kilimandscharo, den Sir William gierig umkreiste, hielt Peters abermals mit Leidenschaft fest. Das Recht, dem Sultan von Sansibar Zollkonzessionen an der Ostküste abzukaufen, auf der Zugangsstrecke zu »seinem« Hinterland, fiel ihm gleichfalls zu. In anderen Breiten gab er nach.

Stanley und Peters saßen sich manchmal bissig gegenüber.

Ihre Sprache schien kordial, klang humorig an. Aber doch war es eine Auseinandersetzung zwischen Rivalen.

»Sie haben's leicht, guter, alter Peters«, lacht Stanley. »Schön mit Bildung bepackt, haben Sie angefangen, Geld im Sack. Ich bin im Armenhaus aufgewachsen, als Schiffsjunge nach Amerika gekommen. Dort hab' ich mir einen Job als Laufbursch gesucht.«

Peters, seines Onkels hinterlassene Pfunde im Sack, dachte an die leeren Kassen der Ostafrikanischen Gesellschaft, an seine Bittgänge durch Berlin, an die Vagabundenfahrt durch Usagara und Ukami.

»Heut haben Sie Benett und Leopold im Rücken, Stanley! Mit solchen Mitteln würde ich vielleicht auch mein Bißchen leisten.«

Stanley, der erste Weltreporter der Geschichte, bekam von dem Zeitungsverleger Benett unbegrenzte Summen für jede Expedition. Er lachte und ahnte Peters' Budgetsorgen.

»Nicht unzufrieden sein, Peters! Für Ihre dreißig Jahre haben Sie schon einiges geleistet. Als Deutscher sind Sie gehandikapt.«

»Gerade deshalb bin ich nicht Engländer geworden.«

War Stanley nicht Kondottiere neben ihm, dem verkannten Patrioten? Ein gekaufter Soldat, im Dienst des dritten Vaterlandes? 243

Wie leicht Stanley diesen Gedanken erriet! Auch er, von dessen Leistung die geographische Wissenschaft zehrte, hatte Beschimpfung und Verdächtigung zu schlucken bekommen.

Er hob den Finger und drohte Peters wie einem Schulkind:

»Erst der Mann und seine Arbeit, Peters! Danach Christi Lehre! Alles andere blutiger Unsinn.«

»Was sind Ihre nächsten Pläne?« fragte Peters bald darauf.

»Viel zu tun dies Jahr! Sudan natürlich. Den guten alten Emin entsetzen, Uganda und Viktoriasee, neues Sudanreich aufbauen. So jung wie Sie, Peters! Viel Geschäft für unsereinen.«

Und er wies auf das geringe Grau an seinen Schläfen.

Sudan und Emin Pascha – das hakte in Peters' Fleisch. Seit zwei Jahren saß Emin Pascha, Statthalter der ägyptischen Regierung, im südlichen Sudan. Ein deutscher Arzt jüdischer Abkunft, den das Schicksal zur großen politischen Figur gemacht hatte.

Nördlich von ihm tobte der Mahdikrieg. Seine Zufahrt, der Nil, war blockiert. Er hatte sich fast verschossen, in zweijährigem Krieg, und brauchte Entsatz.

Wieder Stanley, der schon Livingstone »entsetzt« hatte! Livingstone, der sich am Tanganjikasee wohlgefühlt hatte wie ein Straußenei im Wüstensand.

Während er sich in Sansibar mit Verträgen quälte, sollte Stanley dies herrlichste aller Abenteuer bestehn!

Die Besprechungen gingen rasch zu Ende.

Seinen Anspruch auf Mombassa, Schwelle von Uganda, dem sagenhaft paradiesischen Land, büßte Peters für diesmal ein. Er mußte es hinnehmen – eine 244 Schwalbe auf dem Dach, für die ein anderer Tag kommen würde.

Im Herbst standen England und Deutschland sich dann offiziell in London gegenüber, die Abmachungen dieser Herrengesellschaft in Schottland zu ratifizieren. Peters mit eigenem Stab, war den deutschen Diplomaten als Sachverständiger und Vertreter seiner Gesellschaft zugeteilt.

Im Herbst erließ er ein Manifest an die ausgewanderten Deutschen aller Weltteile.

»Das Deutsche Reich, mehr und mehr erstarkend aus jahrhundertelanger Ohnmacht, beginnt mit Nachdruck hinüberzugreifen über die Weltmeere . . .«

Freilich, inzwischen waren an der Westküste Afrikas, in der Südsee, andere deutsche Kolonialpläne gereift.

Aber hinübergegriffen, der jahrhundertelangen Ohnmacht des Deutschen Reiches in diesem Sinne ein Ende gemacht, hatte er!

Seine Sprache durfte die eines Propheten sein.

Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft konstituierte sich abermals um, war immer mehr vom Auswärtigen Amt durchdrungen und abhängig.

Trotz hoher Titel wurde Peters mehr und mehr Exekutivorgan. Er wollte es sein. Wozu Diktatur? Ihm ging es heut darum, abzuschließen, den dicken Strich unter das Kapitel Afrika seines Lebens zu ziehn.

Wollte man's ihm nicht besonders leicht machen?

Nach ihrer Neuformierung ging ein Ordenssegen über die Ostafrikanische Gesellschaft nieder, der nur Peters verschonte. Alle, die er gezerrt und überzeugt hatte, denen er einen Scheck abgetrotzt, in seinem Werk ein Pöstchen gegeben, klemmten sich den bunten Vogel ins Knopfloch. Nur seins blieb leer! Seinen Namen 245 hatte Herbert Bismarck in letzter Stunde von der Liste gestrichen.

Recht so! Die dekorierten Herren selbst schämten sich vor dem Chef und Schöpfer ihrer Ideen.

Von ihnen hätte keiner, wie nun Peters auf der Durchreise, in ein paar Tagen in Rom einen Vertrag mit dem Vatikan zustandegebracht, der die Entsendung deutschkatholischer Missionen nach Ostafrika sicherte, ihre Beziehung zu den dort schon tätigen Missionen regelte!

Die französischen Patres sogar sollten verpflichtet sein, in den Missionsschulen Deutsch zu lehren.

Kein anderer hätte das zuwegegebracht, so rasch, so reibungslos.

»Eine glänzende Leistung«, gratulierte der preußische Gesandte beim Vatikan. »Der Reichskanzler wird Ihnen dankbar sein.«

Als Peters in Sansibar ankam, – mit einer Suite von sechsundzwanzig Beamten, Kaufleuten, Farmern – beauftragt, dem Sultan Said Bargasch in persönlicher Verhandlung abzutrotzen, was der Fürst an Macht und Rechten über die Einfallstüren der Ostküste besaß, – kam dieser Dank zum Ausdruck.

»Zeitungen melden Eure Abberufung wegen Vollmachtsüberschreitung.«

Dies Telegramm erwartete ihn.

Dann kamen die Zeitungen selbst.

»Der Fall Peters!« »Abberufung von Carl Peters!«

Peters' Vertrag mit dem Vatikan wurde ratifiziert. Aber der Dank war eine gigantische, in der ganzen Welt sichtbare Nase.

Es war recht so, das machte den Abschied leicht. 246

Aber warum dieser Haß, diese ewigen Knüppel zwischen die Beine?

Bleich und sterbenskrank, begrüßte ihn der deutsche Generalkonsul, Dr. Arendt, bleich und reserviert.

Er hatte keine Instruktion, die Gesellschaft zu fördern, sollte nur aufpassen und berichten.

Er hörte Peters' Pläne an.

»Luftschlösser! Hoffnungslos! Aus dieser Geschichte wird nichts, Doktor! Machen Sie sich Liebkind bei Bismarck, dann kommt wenigstens eine Karriere für Sie heraus. Haben sie redlich verdient.«

Wohlwollend ausgedrückt . . . Aber immer derselbe Verdacht, der Peters den Atem nahm.

An seinem Erfolg zweifelte er nicht.

Die sollten sich wundern, wenn er das fertige Produkt überreichte, nur um Adieu zu sagen.

In seinem Palast saß Said Bargasch, ein alter, frierender König, der wohl wußte, warum Peters gekommen war.

Prunkvoll, von den Großen seines Reiches umgeben, in der kühlen Halle, vor der das Meer blaute, empfing er den deutschen Geschäftsmann.

In Würde, Herablassung – Angst!

Während Peters grausam seine Anstalten traf, dies Sultanat zu vernichten, »von innen zu verspeisen«, klang in seinem Ohr das Negerlied Mathias Claudius':

»Ohhh! Die weißen Männer!! Klug und schön!
Und ich hab' den Männern ohn' Erbarmen
Nichts getan.
Du im Himmel! Hilf mir armen
Schwarzen Mann!« 247

Said Bargasch wollte alles weit hinausschieben. Vielleicht entzweiten sich England und Deutschland? Vielleicht hatte Allah Gnade?

Aber jede Woche Zögern stärkte furchtbar die Macht des Belagerers, der in der Rickscha, von livrierten Boys gezogen, durch die Straßen seiner Hauptstadt fuhr, ein prächtiges Wohnhaus mit Empfangsräumen errichtete, die europäischen Konsuln an seinen Tisch zog.

Im Handumdrehen hatte Peters Stationen in Dar-es-Salam und Pagani errichtet, um diese Häfen kaufmännisch zu beherrschen.

Said Bargasch wußte, was das bedeutet: Sansibar unterwarf sich, oder es wurde ausgeschaltet!

Er sandte Notschreie nach England. In London schrie man »Vergewaltigung des Sultans!«

Aber Peters hatte nur Rechte ausgenützt, die durch die Kongoakte in seinem Vertrag von London feststanden.

»Ich treibe Eisenbahnen ins Innere, bis zu den Seen«, drohte er dem Sultan.

Und wirklich kam gleich danach Kunde aus Dar-es-Salam, daß ein Schienenweg traziert wurde.

War sein Hafen nicht mehr der Eingang zur ganzen Ostküste, dann wurde aus dem Sultan ein kleiner Negerhäuptling . . . .

Er begann, Peters zu empfangen, wurde gesprächig.

»Du bist ja ein halber Muselmann!« rief er bald erstaunt.

Peters hatte während dieser Wochen Belagerung Koran gelernt, viele Suren, hatte die Geschichte von Said Bargaschs Haus studiert, dessen Henker er war. Die glorreiche Geschichte der Abussaidi! 248

Diese Mine hätte der schreibende Analphabet Stanley nicht zu treiben vermocht!

»Vielleicht läßt er sich zum Islam bekehren?« träumte Said Bargasch.

Dann war alles gerettet! Er zeigte Peters ein erhabenes Lächeln.

Lieblichstes Lächeln aber zeigte ihm Mohammed bin Salim, des Sultans erster Minister und Liebling. Dieser ganze Muselmann und der halbe Muselmann Peters wurden innige Freunde, wie man im Orient nach Austausch von Morgengaben Freund wird.

Konnte Peters, der seine Zinsen und sogar sein Gehalt in die Repräsentation der Gesellschaft steckte, in die Livreen seiner Diener, Empfangsabende und Dinnerparties, wirklich so üppig Backschisch streuen? Oder fing er den Sohn Salims mit Versprechungen?

Dann wurde diese Freundschaft kein Glück für den andern, denn Mohammed starb an Gift, als er das Seine geleistet hatte. Auch Peters wurde mit Gift verfolgt, aber er war nun gewarnt.

»Sage mir, ob mein verstorbener Minister dir Geld schuldet?« fragte der Sultan an Mohammeds Sarg.

Keine Rede von Geld, wo nur Freundschaft geherrscht hat!

Als die Verhandlungen in Gang waren, traf Frieda von Bülow ein, flammenden Herzens, die Hände gierig nach Arbeit, jünger und schöner geworden, seit ihr Leben voll Spannung und Leidenschaft war.

Wie strahlte dies blonde Haupt einer geistreichen weißen Frau unter der Glut der Äquatorsonne!

Wie verstand sie es, Peters' Empfangshaus zum Zentrum der weißen Gesellschaft zu machen!

Friedas Vater war Konsul gewesen. Sie wußte, 249 durch Blut und Tradition, was »Frau« im diplomatischen Dienst bedeutet.

Peters hielt diese große Bundesgenossin so kurz, wie man eine liebende Frau halten muß, von der man viel erwartet. Seine Wünsche, die sie erraten mußte, waren ihr Befehle.

Das erste deutsche Krankenhaus entstand in alten Arabervillen, machte von sich reden, wurde ein Laufgraben mehr gegen den Palast.

Die Baronin ließ ihre glanzvolle Konversation, die den englischen Konsul gefangennahm, aus den dreißig deutschen Herren ein Ganzes machte, wenn sie von der Einlieferung eines neuen Patienten hörte.

»Ein Weißer?«

»Ja, ein Weißer! Vierzig Grad Fieber!«

»Na, freuen Sie sich, Baronin?« höhnte Peters.

Sein Hohn war Sporn und Peitsche.

O'Swald, der österreichische, und Holmwood, der englische Konsul, wurden, dank dieser Diplomatie am Teetisch und im Krankenhaus, Peters' Bundesgenossen. Wen hätte das Lächeln dieser einzigen weißen Dame nicht zum Bundesgenossen gemacht?

So bekam Said Bargasch immer dasselbe zu hören, von Peters und Mohammed, von Österreich und England:

»Siehe, erhabener Herrscher, dein Palast liegt offen vor den Kanonen jeder Kriegsflotte. Laß die Schiffe Deutschlands nicht gegen dich, sondern für dich sein!«

Dann Peters:

»Du ahnst nicht, wie ich dich vergrößern werde, o Schützer der Armen! Pflanzungen, Eisenbahnen, Handelshäuser werden Afrika erschließen und reichen Gewinn bringen! An allem hast du teil, wenn du mir 250 die Rechte gibst, die ich brauche. Deine Soldaten werden Wache vor meinen Staaten stehn! Meines Kaisers Kriegsschiffe werden unsere Häfen schützen! Versäume nicht den Augenblick, Erhabener, in dem ich dir als Freund nahe!«

In den Berichten nach Deutschland mußten andere Erwägungen mitsprechen.

»Das Leben des Sultans ist sicherlich nicht mehr allzu lange bemessen. Es wird einem geschickten Leiter der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft nicht schwer fallen, nach seinem Tod Thronzwistigkeiten zu entfachen . . .

Das wird der Augenblick für eine endgültige und uneingeschränkte Ergreifung der Festlandsküste . . .«

Drei Dampfschiffe besaß der Sultan; auch sie stachen Peters ins Auge.

»Mit deinen Schiffen versehe ich den Warenverkehr an unserer Küste. Sie sollen der Keim einer herrlichen Flotte werden, die uns Reichtümer zuträgt. Laß mir die Schiffe, Erhabener!«

Nach Berlin wurde geschrieben:

». . . hier liegt die Handhabe, den Sultan zu zwingen, uns später auch den Zoll von Sansibar unter ähnlichen Bedingungen wie die Zölle auf dem Festland abzutreten. Das heißt in Wirklichkeit: die deutsche Oberherrschaft anzunehmen.«

Zwei Monate kaum hielt Said Bargasch stand. Dann war seine Kraft zerbrochen durch täglichen Sturm, Drohung und Versprechen, Schmeichelei und Brutalität.

Er fiel absolut und ohne Reserve in Peters' Gewalt.

Ein Vertrag wurde auf fünfzig Jahre geschlossen, vom Sultan und Peters unterzeichnet, der erschütternd das Ende der Abussaidi ausspricht. So tief waren 251 selbst die kleinen Häuptlinge im Innern nicht unter das Joch des weißen Mannes gebeugt wie dieser große Sultan und Schützling des mächtigen England.

Steuern und Zölle, Gerichtsbarkeit und Verwaltung, Staatshoheit im Innern, Vertretung nach außen . . .

Das Recht, in seinem, des Erhabenen, Namen weitere Verträge abzuschließen . . .

Übergabe aller befestigten und nichtbefestigten öffentlichen Gebäude . . .

Eisenbahnen, Kanäle und Telegraphen . . .

Ausschließliches Privileg auf alle Minen, Ablagerungen von Blei, Kohlen, Eisen, Gold, Silber, Edelsteinen, Mineralien oder Mineralölen . . .

Notenausgabe . . .

Der Sultan war jetzt Herr seiner kleinen Insel, vom Festland verschwunden. Das hatte Peters vermocht. Nicht ein blinder Schuß war abgegeben worden!

Was Said Bargasch erhielt, war ein Versprechen auf Zollüberschüsse, so hoch wie seine bisherigen Zollgewinne. Dazu eine Gründeraktie der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, Nennwert: Einhunderttausend Mark!

»Eine platonische Konzession« nannte Peters selbst diese Leistung.

Noch war das Jahr nicht um, seit er von Maud Abschied genommen!

 

Eine Frau wie die Bülow liebt den sinkenden Helden feuriger noch als den siegenden.

Solange sie Peters im Marsch sah, mitreißend in seinem fanatischen Elan – skrupellos in seinen Mitteln, aber mit dem Gestus des Patrioten, der nicht 252 für sich siegt, – bewunderte sie ihn und zwang sich zu seiner würdigen Erfolgen.

Aber als die unglaubhafte Unterwerfung des Sultans erfolgt war, der Vertrag zur Ratifizierung nach Berlin gesandt, das Dankkabel der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft stündlich fällig war wie Bismarcks Glückwunsch, – und nicht kam, von Tag zu Tag nicht kam! – mußte ihr Mitleid für Peters köstlicher werden als ihre Anbetung.

Sie kannte ihn, wußte, daß seine hohlen Augen von schlaflosen Nächten kamen, sie sah das Zittern seiner Hände, das er so ängstlich verbarg, weinte um ihn, wenn er ungerecht wurde und gerade ihr grausame Kälte zeigte. So schön war diese Insel Sansibar! Von blauem Meer umflutet, von Zimt und Nelkensamen duftend übertaucht. Ein Postament für Peters' Größe und Ruhm.

Weit und kühl die Halle seines Hauses, ehrfürchtig die Haltung, in der jeder ihm nahte.

Stolz war sie, weil sie doch – trotz seiner Härte – neben ihm war, überall als seine Gefährtin angesehn, immer, auch in der letzten Beschämung, die er ihr gab, seine Vertraute!

Sansibar mußte trotzdem beiden zur Galeere werden, Alp für jeden bösen Traum der Zukunft.

Weil es kein Telegramm gab, weil die Stummheit des Außen sie auf diese Insel einsperrte und Peters' schäumende Willenskraft in Ketten legte.

Berge von Papier beschrieb er in endlosen Nächten am Schreibtisch, Eingaben, Kommentare zu seinen früheren Berichten, wütende Drohungen. Was er in der Nacht über weiße Blätter hingefiebert, zerriß er am Morgen. 253

Kein Zweifel – diese Feindseligkeit gegen seine Person, die man auf sein Wirken übertrug, hatte jetzt die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft selbst infiziert wie strahlender Krebs.

Diese Gesellschaft, deren Vorsitzender er war, deren Mitglieder seine Trommel zusammengebracht, Mann um Mann geworben – diese Gesellschaft, die er in Krämpfen erdacht, geboren und geleitet –, schrieb ihm nicht! Antwortete nicht! Behandelte ihn, wie ein Reisender behandelt wird, der einen Privatmann im Schlafzimmer mit Offerten bedrängt.

War er denn gezeichnet? Trug er ein Kains-Mal, daß eine Welt ihn mit Füßen trat, für die er stritt und siegte?

Hatte es das je gegeben, daß der erfolgreichste Mehrer eines Reiches, der nichts für sich wollte als klaren Schluß, ehrenvollen Abgang ins Privatleben – keines Briefes wert war!

Peters vertiefte sich in die Geschichte der Landeseroberer von Dschingis Khan über Kolumbus bis zu seinen Tagen. Seltsam und grauenvoll – sie waren alle mit Schmach und Ketten belohnt worden.

Von Dschingis Khan an, der Kultur durch einen Weltteil getragen hatte, ein Städtebauer, Staatenbildner, Gesetzgeber! Nach siebenhundert Jahren noch war er Kinderschreck und galt als die Inkarnation grausamer Tyrannei. Grauen! Was Peters jetzt widerfuhr, an Undank und Verkennung, war tief bestimmt in den Büchern der Geschichte. Da ging eine große Linie der Entehrung von Kopf zu Kopf, von Mann zu Mann, der Fenster aufgerissen und den Willenskreis seiner Zeit vergrößert hatte! Wochen des Harrens wurden Monate.

Ende Oktober erhielt Peters endlich den Befehl, 254 irgendeine gleichgültige Nebenbestimmung seines Vertrages so zu ändern, daß aus dem Sinn, seiner Überzeugung nach, Unsinn wurde.

Von dieser Quacksalberei wurde die Ratifizierung abhängig gemacht. Er mußte sie unternehmen.

Said Bargasch, schon gottergeben unter Peters' Willen, wurde mißtrauisch, als neues Verhandeln anfing.

War dieser »bwana mkuba« Peters bei sich daheim kein so großer Bwana, daß man ihn wieder zu ihm schickte? War es Schwäche gewesen, sich dem Ruhmreichen zu unterwerfen?

Aber es lagen gerade zwei deutsche Kanonenboote in Angesicht des Palastes vor Anker.

Diesmal galt nur Drohung mit Granaten!

Das Argument wog. Aber jetzt suchte Said Bargasch seine Bundesgenossen im Lager des Feindes, wie er es bei diesem Feind gelernt. Sein Premierminister Mohamed hatte Peters gestützt! Der neue deutsche Konsul versprach dem Sultan Hilfe!

Und sie drahteten gemeinsam eine Beschwerde nach Berlin, die den Herren in der Regierung und den Herren im Direktorium bewies, daß ihr Mißtrauen gegen Peters berechtigt war. War der ein Diplomat, der überall Porzellan zerschlug, nirgends Freundschaft fand?

»Ich bin der Vertragskontrahent des Sultans«, drohte Peters seiner Gesellschaft.

»Ich ganz persönlich! Ich kann die erworbenen Konzessionen auf eine andere deutsche Gesellschaft übertragen, die eventuell zu bilden wäre.«

»Wie, wenn dies letztere geschähe?«

Antwort –: Schweigen.

Maud schrieb unterdes Briefe! Mauds erste Briefe, seit sie sich kannten, trafen in diese grausame Zeit! 255

Peters öffnete sie ohne Lust, seit »das« Jahr überschritten war.

Sie schrieb Unerwartetes. Nichts Zärtliches, nichts von Sehnsucht, Berichte von Geschäften.

Daß Georges in Kalifornien Spekulationen riesigen Umfangs begonnen, Verlust über Verlust buchte.

Dieses alternden Herrn, der sein Leben untätig verbracht, hatte sich eine verhängnisvolle Unternehmungslust plötzlich bemächtigt. Er spekulierte in allem – in jeder Ware, in Land, in Schiffen. Mobilisierte sein Vermögen, das sich jahrzehntelang friedlich verzinst hatte, warf Mauds Reserven mit in die Wagschale.

»Georges ist kein Geschäftsmann«, schrieb Maud. »Aber er wird ganz jung in dieser Tätigkeit. Ich gebe ihm gern mein bißchen Hilfe.«

Dann immer wieder Verluste!

»Bald verlasse ich Aryshire«, schrieb sie bald. »Dies Schloßleben wird kostspielig für eine einsame Person. Jetzt hat Daddys Kupferbaisse das Schlößchen gegessen. Ich werde sehr glücklich sein, wenn ich wieder im Hotel oder auf Schiffen zu Hause bin.«

Peters wagte nicht, sich Maud verarmt und heimatlos vorzustellen. Daß sie reich war und nicht ahnte, was Geld bedeutet, war ja für ihn armen Burschen gerade ein flammender Reiz gewesen.

Ihr gleich zu werden an Sorglosigkeit und Über-den-Dingen-stehen – Sporn seines verhetzten Lebens!

Lieber dachte er an Maud, wie er sie kennengelernt – ein Ungeahntes, dahin selbst Träume sich nie verirrt.

Nach Einzelheiten fragte er nicht. Ehe Antwort kam, war er ja längst wieder bei ihr!

Aber seine Nerven tobten, wenn er dachte, sie könnte 256 ratlos und ohne Schutz sein. Vielleicht schrie sie nach ihm und unterdrückte den Schrei?

Ganz plötzlich stand sie ja allein im Leben, das nun auch ihr, seinem verzärtelten Liebling, Unbill zeigte!

Von Anfang Juni bis Ende Juli hatte die Erledigung des Sultans gedauert.

Von Ende Juli bis Ende Dezember dauerte das »blöde« Warten, diese sinnlose Folterung eines tapferen Herzens, das immer Sturm schlug.

Was Peters in diesen Monaten an Saft des Lebens einbüßte, ahnte ganz allein die Bülow.

Zu helfen wagte sie längst nicht mehr.

Sie mußte fühlen, daß ihre Liebe ihm Qual wurde.

Nie dachte er an sein Berliner »Friederchen«, glanzvolle Repräsentation dieser großen Sommermonate! Obwohl er sie täglich sah.

Vielleicht hatte er auch diese Frau schon zertreten? Sie strahlte nicht mehr, aller Glanz dahin. Eine Krankenschwester, die ihre Kraft in hoffnungsloser Liebe vertut.

Nicht auch an dies Schicksal noch denken! Ihre krankgeweinten Augen nicht sehn!

Auf einer Küstenfahrt lernte Peters die von ihm ergatterten Häfen kennen, die auf seinen Befehl ins Erdreich gepflanzten Stationen, Gärten, Felder.

Herrlich reich und voll Zukunft war diese Welt!

Was ging's ihn an?

Zu Weihnachten kam er in seinen Käfig Sansibar zurück.

Die Bülow stand nicht im Hafen, den die Sirene von Peters' Dampfer anbrüllte. Gottlob, sie allein hätte gesehen, wie elend er war, der nur auf einen Brief wartete. Sie lag im eigenen Krankenhaus mit vierzig Grad Fieber. Irgendwo an der Küste lag noch einer, vielleicht 257 schon halb im Arm des Todes: Brecht Bülow, der goldene Bursche, der manchmal Peters' einziger Freund schien. Fast ein bißchen Ersatz für den verlorenen Jühlke. Mußte nicht gerade er sterben?

Hier mußte alles sterben. Nicht, weil die Sonne zu heiß brannte, nicht weil ein Dutzend Fiebersorten epidemisch war, sondern weil die verräterische Pinsel- und Schlafmützenhorde in Berlin jedem die Galle ins Blut hetzte, das Herz zerquetschte und alle Nerven zu Faser riß.

Auch Frieda Bülow lebte ja längst im Hader mit dem Frauenverein, den sie erfunden und geschaffen hatte.


Ein Kabel lag auf Peters' Schreibtisch! Ein Stück Papier wenigstens. Endlich Greifbares!

Nichts von Ratifikation der Sansibarverträge! Nichts von Dank!

Der Befehl, zur Berichterstattung sofort nach Hause zu kommen.

Ein Befehl in preußischem Ton, den eins der Berliner Peters-Kreatürchen kunstvoll herablassend und aufs billigste stilisiert hatte.

Noch achtzehn Tage in Glut und Wut, bis endlich ein Dampfer ging!

Abermals achtzehn Tage Warten.

 


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