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Neuntes Kapitel.
Die Sturmflut

Es war der Anfang des Christmonats gekommen, ohne Kälte oder Schnee zu bringen. Das Meer lag wie immer frei von jeder Fessel und spülte seine Wellen heran an den Sand der Dünen. Im Hause Wilms war alles beim alten; er selbst hatte sich von seinem gefährlichen Schlickgang wieder erholt, und Grete freute sich doppelt ihres Kindes, dem sein Vater wiedergegeben war. Knut aber blieb nach wie vor ernst und ablehnend gegen jeden Beweis der Liebe seiner Verwandten und zwang sich mit seinem trotzigen Wesen oft gerade, ihnen unfreundlich zu begegnen.

Es war ein seltsam milder Tag gewesen; vom Lande her kam am frühen Nachmittag ein beinahe lauer Wind, und über dem wolkenlosen Himmel lag es wie ein leichter grauer Dunstschleier, so daß die sinkende Sonne nicht sichtbar, sondern ihre Stelle nur durch einen rötlichen Schein erkennbar war. Erst da sie sich tiefer senkte, erschien sie wie eine rote Kugel, die in die grauen Wellen tauchen wollte. Wilm war vor die Thür getreten und sah sich nach allen Seiten um. Ein alter Fischer ging vorüber, grüßte und sagte:

»He Wilm, das Wetter gefällt dir wohl nicht!«

»Könnt's nicht sagen, Jakob – ich trau' dem Landwind nicht, und außerdem haben wir Vollmond heute!«

Der Alte warf einen Blick nach dem Abendhimmel und suchte nach der Scheibe des nächtlichen Gestirns, das ganz verblaßt und matt hinter dem grauen Dunst hervorschimmerte; er sprach:

»Den Nebel wird er wohl auseinander treiben, aber du hast recht; es kann eine Flut kommen. Na, unser Herrgott wird's wohl gnädig machen. Gute Nacht, Wilm!«

»Gute Nacht, Jakob!«

Und Wilm trat in sein Haus zurück und ging an den Herd, wo Grete das Abendessen bereitete; er nahm sein Kind und schaukelte es vergnügt in den Armen und vergaß darüber die ganze Welt. Es verging eine geraume Zeit, da pochte es an das Fenster. Wilm stand auf, um nachzusehen, und erblickte Keno Pinhagen, der ihn hinauswinkte. Er trat ins Freie, und der Genosse sprach halblaut:

»Wilm, ich meine, es gibt heute 'ne Sturmflut. Dein Haus steht tief, es könnte überschwemmt werden und dein Weib darüber in Angst und Schrecken kommen, denn sie hat das noch nie erlebt. Laß Grete mit dem Kinde zu uns kommen oder komm selber mit, wir wohnen höher!«

»Ich danke dir, Keno, aber wir stehen überall in Gottes Hand. Und Grete geht nicht von mir, das weiß ich. So schlimm wird's wohl nicht werden!«

Er hielt jetzt wieder Umschau. Der Mond hatte sich herausgekämpft aus dem Nebelflor und leuchtete wie ein Sieger durch die Nacht, der Wind war kühler geworden und kam nun über die See, und die Flut war ungewöhnlich früh im Steigen. Vom Strande her schrillte ein seltsamer, unheimlicher Schrei, so daß beide Männer stumm und erschreckt aufhorchten, dann kam es mit raschem Flügelschlag durch die Luft, und ein möwenartiger Vogel mit weißer Brust kreiste um das Dach des Hauses und wiederholte hier fast angstvoll seine kreischenden Rufe.

»Der Warner!« sagte Wilm – »mein seliger Vater hat ihn einmal gehört im Leben, als die große Flut kam im Jahre 18..!«

»Er zieht um die Wohnungen, die zumeist in Gefahr sind«, fügte Keno Pinhagen halblaut bei: – »komm, Wilm, komm mit den Deinen zu uns!«

»Laß uns, Keno! Daheim ist daheim, und Gott mit uns!«

Er drückte dem Freunde die Hand und trat in das Haus zurück. Grete fragte, wer es gewesen und was er gewollt, aber er gab eine ausweichende Antwort. Da erscholl wieder, diesmal so hell und schneidend, so angstvoll und klagend der Vogelschrei, daß sich Grete unwillkürlich an Wilm schmiegte und zu ihm aufschauend fragte: »Was ist das?«

»Ein Vogel, eine Möwe, die sich von der hohen See verirrt hat und die uns bös' Wetter ankündigt. Höre, Grete, hättest du Angst, wenn die Flut bis an unser Häuschen käme?«

Sie blickte ihn groß und verwundert an:

»Wenn du und das Kind bei mir seid – nein! Aber fürchtest du für heute nacht?«

»Es ist möglich, daß eine Sturmflut kommt!«

In demselben Augenblicke schlug ein heftiger Windstoß gegen das Haus, so daß es in seinem Grunde zu erbeben schien, und durch die Nacht draußen prasselte und krachte es unheimlich.

»Es geht über das Dach!« sagte Wilm. »Ich will doch hinübersehen, was Knut macht; es ist nicht gut, in solcher Nacht allein zu bleiben!«

Er ging hinaus aus der Küche und trat vor das Haus, um den andern Eingang, welchen Knut hatte durchbrechen lassen, zu gewinnen. Wild und zornig fauchte ihm den Sturm entgegen, aber er stemmte die breite Brust wider ihn und erreichte sein Ziel. Sein Bruder saß einsam am Fenster und rauchte; beim aufglimmenden Schein des brennenden Tabaks war sein Gesicht zu erkennen, so ruhig und trotzig wie immer.

Wilm trat grüßend ein und sagte:

»Es kommt die Sturmflut, Knut – willst du nicht mit zu uns kommen?«

»Ihr fürchtet euch wohl? – Ich nicht! – Laßt mich allein!«

»Knut, sei nicht vermessen! Zwei helfen sich in der Not leichter als einer!«

»Ihr seid ja zwei!«

»So ist's nicht gemeint. – Willst du nicht, Knut?«

»Nein!« rief er trotzig vom Fenster her, und wieder schlug der Sturm zornig gegen das Haus und schleuderte die Latten von dem Dache.

»Dann sei Gott mit dir!« Und Wilm ging hinaus.

Die Flut brauste und donnerte unheimlich, matter Mondglanz goß sich über die Dünen, und am Himmel jagte in graue Fetzen zerrissenes Gewölk. Das Meer war wie eine dunkle, rollende Masse, nur ab und zu schimmerte es mit weißem Glanze darüber. Fast gespenstisch groß und grau ragte der Leuchtturm, wie ein Riese, der den Gewalten des Verderbens sich entgegenstemmt. Wilm atmete tief – er dachte an Weib und Kind und dann warf er einen Blick voll stummer Bitte hinauf nach dem Himmel.

Nun trat er wieder in die Küche ein. Grete kauerte an dem Herde und liebkoste ihren Kleinen, sorglos und unbekümmert um die drohende Gefahr. Er ging zu ihr heran, strich ihr leise mit der rauhen Hand über das Haar und sagte:

»Knut will nicht kommen! Ich aber will einmal nach dem Boden hinaufgehen, damit alles in Ordnung ist, wenn wir ja uns nach oben zurückziehen müssen!«

Er nahm eine Axt, die an der Seite des Herdes lehnte, zündete dann die Laterne an und schritt hinaus, während Grete ihm befremdet nachblickte; sie hatte ihn wohl nicht ganz verstanden, was er mit den letzten Worten meinte. Wilm aber stieg die Bodentreppe hinan, watete durch das Heu, welches hier lag, und ging an den Holzverschlag, welchen Knut angebracht hatte, um die Teilung des Hauses von unten bis oben durchzuführen. Er that einige kräftige Schläge gegen die Planken, und mit der Wucht seines Körpers drückte er sie ein, so daß eine mächtige Lücke entstand.

»Es könnte zu spät werden dafür!« murmelte er, und mit einem gewissen Gefühle der Befriedigung stieg er wieder die Treppe hinab und lehnte schweigend die Axt an den Herd. Und wieder schritt er hinaus, nach dem Stalle, wo die Schafe wehmütig und ängstlich blökten, und als er zurückkam, trug er das eine, und die andern liefen hinterdrein.

»Was soll das, Wilm?« fragte das junge Weib; aber ehe er antworten konnte, dröhnte es seltsam dumpf heran und mit zornigem Klatschen schlug es gegen die Fensterscheiben, daß es naß durch die Fugen hereindrang und das Wasser von dem Fensterrand niederrieselte.

»Ein Regenguß!« sagte Grete, vom Herde aufspringend. Wilm aber sprach, und die Stimme bebte ihm leise:

»Nein, mein gutes Weib – das ist die Sturmflut – nun, gnade uns Gott! – Ich will die Tiere nach dem Boden bringen!«

Und er ergriff zwei der Schafe und trug sie die Treppe hinauf und band sie oben eilig fest an den Balken, die das Dach stützten; die beiden andern blökten unten klagend nach ihren Gefährten, und auch sie trug er nach dem Boden. Oben drängten sich die Tiere zusammen und wurden still, unten aber standen die beiden Menschen, ihr Kindlein in der Mitte, und lauschten hinaus in die fürchterliche Nacht.

Und wiederum schlug es klatschend gegen die Fenster, und durch die zerschlagenen Scheiben flutete eine gierige Welle weit heran. Grete schauderte zusammen und zog das Kind enger an ihre Brust.

»Es ist das beste, wir gehen nach dem Boden«, sagte Wilm; »komm!« Und ohne ein Wort zu entgegnen folgte ihm das Weib, indes er mit der Laterne vorausschritt. Dieselbe verbreitete einen dämmerigen Schein über den Raum, in welchem sie sich bargen und der von Heugeruch erfüllt war. Dort lagen die Schafe ruhig und dicht aneinander gedrängt, und fast unmittelbar neben ihnen ließen sich die Menschen nieder.

»Es wird nicht allzuhoch steigen und hier sind wir geborgen, meine ich!«

So suchte Wilm seine Gefährtin zu beruhigen und zu trösten, während sie dabei das dröhnende Anschlagen der Wellen an das Haus vernahmen und spürten. Von unten her, aus der Stube und Küche, kamen seltsame Geräusche, ein Klappern und Klingen, und Wilm wußte wohl, was es zu bedeuten habe. Das Wasser war gestiegen und hatte Geräte, die nicht festgemacht waren, losgerissen: sie stießen jetzt aneinander. Das währte so eine kleine Weile, dann wurde der Lärm ärger, das Dröhnen dumpfer – da unten schwammen jetzt Tisch und Stühle und schlugen gegen die Wand und gegeneinander.

In diesem Augenblicke ward auch ein Geräusch hörbar im Heu, in unmittelbarer Nähe der beiden; es kam von dem zertrümmerten Verschlage her, und da Wilm den schein seiner Laterne hinwandte, sah er das Gesicht Knuts. Gleich darauf fragte dieser:

»Seid ihr alle da?«

»Jawohl!«

»Es wird eine schlimme Nacht, aber Grete soll keine Angst haben, hier herauf kommt das Wasser nicht!« sagte Knut milder, als er seit langer Zeit gesprochen, und das junge Weib erwiderte:

»Ich habe keine Angst, wenn ich meine Lieben um mich weiß, und es ist hübsch, Knut, daß du herauf gekommen bist!«

»Unten ist es nicht mehr auszuhalten – es geht mir bis an den Leib!«

Es wurde wieder still, und man hörte nur das Heulen des Sturmes und das Brausen des Wassers. Von dem Dache riß es die Bretter und trug sie fort, und Wilm stand auf und trat an die Bodenluke, um hinauszusehen. Wohin er blickte, sah er nur die wogende Flut, die beim fahlen Mondlicht zu kochen und zu gären schien. Dort drüben lag das Häuschen des Kapitäns, und seine weißen Wände leuchteten. Es stand an dem höchsten Punkte der Insel und war noch über den Wassern, ebenso das Stationshaus der Rettungsgesellschaft. Um den Fuß des Leuchtturms aber brandete es im zornigen wilden Schwall. Wilm mußte einen Augenblick an Jürgen Kögge denken, der bei solchem Sturm wohl seinen bösen Anfall wieder bekommen könnte, aber er dachte auch daran, wie schlimm es wäre, wenn heute ein Schiff in Not geriete.

Er hatte den Kopf durch die offene Luke gesteckt, um auch nach der andern Richtung besser schauen zu können, unbekümmert um den Sturm, der ihm das strohblonde Haar zerzauste. Da kam ein neuer heftiger Windstoß, der wieder einige Latten von dem Dache riß, und eine derselben schlug im Niedersausen mit der scharfen Kante gegen die Stirn des Mannes, daß das Blut hervorspritzte, er selbst jählings zurückfuhr und besinnungslos auf dem Heu zusammenbrach.

Grete sah ihn stürzen, und mit einem Aufschrei sprang sie zu ihm, während auch Knut gleichzeitig herbeieilte. Sie wußten beide im ersten Augenblicke nicht, was geschehen war, sie sahen nur das rinnende Blut auf dem fahlen Gesicht und den regungslosen Körper. Knut riß sich das Halstuch ab und band es dem Bewußtlosen um die Stirn, um die Blutung zu stillen, während das Weib in ratloser Angst mit der Linken ihr Kind umklammerte, mit der Rechten den Arm des geliebten Mannes erfaßte und rüttelte, als könne sie damit ihn erwecken. Knut stieg die Treppe hinab und tauchte seine Jacke in das aufsteigende Wasser, und als er wiederkam, wusch er Wilm das Gesicht und befeuchtete ihm die Schläfe, und dazwischen sprach er mit zuckenden Lippen Trostworte zu dem jungen Weibe.

Und dabei tobten die Elemente weiter, und die Fluten stiegen immer höher. Schon schlug der Gischt herein durch die Luke bis herüber auf das Gesicht Gretes, aber sie kümmerte sich darum nicht. Da dröhnte es furchtbar an dem Giebel, daß das Haus in allen seinen Fugen erzitterte, die schwer getroffene Wand barst, und durch die Lücke trieben die sich aufbäumenden Wellen einen Balken, der wohl von einem andern bedrohten Gebäude losgerissen war. Eine wilde, weißköpfige Woge rollte durch die breite Öffnung nach, eben da Grete, um sich ganz dem bewußtlosen Manne widmen zu können, ihr Kind neben sich gelegt hatte. Die gierigen Wasser rissen im Nu das kleine Wesen hinweg, und die zurückrollende Welle schwemmte es hinaus.

Ein maßloses Entsetzen erfaßte das unglückliche Weib. Mit einem grauenhaften Schrei sprang sie auf, um sich ihrem Liebling nachzustürzen, aber mit eiserner Gewalt riß sie Knut zurück, und ehe sie selbst noch wußte, was geschehen sei, hatte er sich bereits hineingeworfen in das wütende Gewässer und auch glücklich das in seinem Bettchen treibende Kind erfaßt. Eine neue Welle hob ihn, sie trieb ihn glücklich gegen das Haus zurück, seine Hand griff nach den Balken des gesprengten Giebels, und mit einem kraftvollen Schwunge hob er sich und stand triefend, hochaufatmend wieder auf dem durchnäßten Heu, das Kind der Mutter entgegenstreckend, die im Übermaß ihrer Gefühle lachend und weinend zugleich verworrene Dankesworte stammelte.

Aber nun war keine Zeit zu Gefühlserörterungen.

»Wir müssen höher hinauf!« keuchte Knut, indem er den Körper Wilms unter den Armen faßte und fortschleifte. Grete folgte mit dem Kinde, das sie fest umklammert hielt. Im Hintergrunde des Raumes führte eine kleine Leiter aufwärts nach einem engen Verschlage, der eigentlich keine besondere Bestimmung hatte und der von dem Erbauer des Hauses wohl vielleicht als letzter Zufluchtsort für solche Gefahr in Aussicht genommen war. Knut gebot Grete, voranzugehen und oben den Kleinen hinzulegen, dann sollte sie wieder herabsteigen und ihm helfen, Wilm hinaufzuschaffen. Sie gehorchte schweigend und rasch, und mit Mühe gelang es endlich, den schweren Körper des Bewußtlosen über die schmale Leiter emporzubringen, während unten eine neue gierige Welle die kalte, nasse Hand durch die Lücke hereinstreckte.

Der letzte Zufluchtsort war klein und eng, so daß der Leib Wilms kaum ausgestreckt liegen konnte und die Gefährdeten eng nebeneinander hockten. Knut begann nun aufs neue seine Bemühungen um den Bruder, und endlich entrang sich der Brust desselben ein tiefer Seufzer, ein müdes Stöhnen. Grete vergaß alle Gefahr um sich her in der Freude des Augenblicks, und binnen kurzem öffnete Wilm die Augen, sah befremdet und irr umher, als vermöge er sich nicht zurechtzufinden aus tiefem Traume; als er aber die Worte seines Weibes, das Schreien des Kindes, das Zureden des Bruders hörte, hob er sich mit halbem Leibe empor und lauschte.

Er vernahm das Brausen des Sturmes und das Rollen des Wassers, und das brachte ihn vollends zur Besinnung. Er wollte aufspringen, aber Knut hielt ihn zurück:

»Laß sein, bleib liegen – du kannst nichts thun!«

»Wie ist das gekommen mit mir? – Wie hoch steht die Flut?« fragte Wilm.

»Eine stürzende Sparre hat dich getroffen, und die Flut ist zum Giebel hereingeschlagen, aber ich glaube, sie wird nicht höher steigen«, sagte Knut, Grete aber, die sich ganz zu ihrem Manne niedergebeugt hatte, hielt ihm das Kind entgegen; er fühlte, daß das Bettchen, in dem es lag, naß war, und fragte: »Bis an den Kleinen ist das Wasser gekommen?«

Das junge Weib rief: »O Wilm, die Wellen hatten ihn schon hinausgerissen, und er schien verloren, da warf sich Knut ihm nach in die furchtbaren Fluten und hat ihn wiedergebracht!«

Da hob sich Wilm aufs neue empor und streckte dem Bruder die Hand entgegen:

»Knut, wie soll ich dir jemals vergelten?«

Dieser murrte wie immer: »Laßt sein! – Redet nicht! Was ich gethan habe, hätt' ein andrer auch gethan!« Aber diesmal konnte er nicht wie sonst entrinnen, und Grete brach in überströmenden Dank aus:

»Nein, heute mußt du standhalten und mußt uns anhören, Knut! Du bist der bravste, der edelste Mensch, wenn du dich auch rauh und hart stellen magst. Stoß unsern Dank und stoß uns selber nicht zurück! Du hast Wilm das Leben gerettet, du hast unser Kind uns wiedergegeben – meinst du denn, wir könnten das je vergessen? – Sieh, wir wollen dir's danken mit unsrer ganzen Liebe, o weise sie nicht zurück! Heute hat uns der Herrgott zusammengeführt in Not und Graus, vielleicht läßt er uns auch gemeinsam sterben – sollte in dieser furchtbaren Stunde nicht auch die Rinde von deinem Herzen schmelzen und die Liebe und Güte, die in deiner Seele lebt, siegen können? O laß uns versöhnt, freundlich aus dieser engen Kammer gehen, sei es zu neuem Leben – sei es zum Tode!«

Grete hatte das Kind in Wilms Hände gelegt, sie selbst aber umschlang den Hals ihres Schwagers und lehnte sich sanft an ihn. Da zog es wie ein Schauer durch seinen Leib, und indem er sie leise von sich drängte, sagte er mit seltsam weicher, halberstickter Stimme:

»Nein – ich hasse euch nicht! Aber laßt mir Zeit, mich wiederzufinden – ich will's versuchen!«

»Laß den Eingang vermauern, den du dir hast brechen lassen, damit nicht die Zwietracht der Brüder ferner vor den Augen aller zum Himmel schreie – Knut!«

So flehte das Weib und faßte wieder mit ihren Händen nach der Hand des Mannes, und Wilm sprach:

»Bruder – laß uns Brüder werden! Thu' wenigstens, was sie bittet!«

»Ja denn – in Gottes Namen! Aber habt Nachsicht mit mir, wenn ich mich noch nicht völlig ändern kann. Ich habe noch den Schatten von Klaus vor der Seele!«

Aber er ließ sich gefallen, daß sie seine Hände hielten, und es war still in dem engen Raume, selbst das Kind hatte aufgehört zu weinen: Ein Engel ging, nach dem Volksmunde, durch die kleine Kammer, und drei Menschenherzen empfanden einen Hauch reinen Glückes mitten in Todesnot und Gefahr.

Aber auch der Himmel schien versöhnt. Das Toben des Sturmes ließ nach, und die Wellen brandeten nicht mehr gegen den Giebel des Hauses. Die See ging allgemach zurück, und als Knut nach einiger Zeit auf der Leiter hinabkletterte nach dem Bodenraum und hinausspähte, konnte er den andern melden, daß das Wasser mit großer Schnelle sank. Selbst die Schafe waren verschont geblieben, und ihr Blöken klang traurig durch die unheimliche Nacht. Noch ab und zu schlug eine Welle höher herauf, aber sie zerstiebte machtlos und wurde zurückgerissen von den eignen Gefährten, die drei Menschen jedoch sandten ein freudiges Dankgebet zu dem, der sie so wunderbar erhalten hatte.


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