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Nachbericht.

Von den beiden Aphorismensammlungen, die den zweiten Band des »Menschlichen, Allzumenschlichen« ausmachen, stammt Vieles, seiner Conception und ersten Aufzeichnung nach, schon aus dem Sommer und Herbst 1876 sowie dem folgenden Winter. Besonders aus den Sorrentiner Niederschriften ist Vieles benutzt, das im ersten Bande des »Menschlichen, Allzumenschlichen« noch keinen Raum gefunden hatte.

Die » Vermischten Meinungen und Sprüche«, von denen dieses in erster Linie gilt, arbeitete mein Bruder in den letzten Monaten des Jahres 1878 in Basel aus; eine befreundete Dame, Frau M. B., stellte auf Grund seiner endgültigen Niederschriften ein sorgfältiges Druckmanuskript her, das der Autor nochmals durcharbeitete. Von Mitte Januar bis Ende Februar 1879 wurde das Werk bei Richard Oschatz in Chemnitz gedruckt und, im Verlag von Ernst Schmeitzner daselbst, in der zweiten Hälfte des März ausgegeben unter dem Titel »Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Anhang: »Vermischte Meinungen und Sprüche.«

Der Anschluß an das ein Jahr zuvor erschienene Buch »Menschliches, Allzumenschliches« sollte ursprünglich, noch enger als durch diesen Titel, durch Weiterzählung der Aphorismennummern, ja sogar der Seitenzahlen ausgedrückt werden. Auch noch eine andere Verknüpfung ward geplant, aber gleichfalls wieder aufgegeben: Das Buch »Menschliches, Allzumenschliches« war in seiner ersten Auflage »dem Andenken Voltaire's geweiht zur Gedächtnisfeier seines Todestages, des 30. Mai 1778«; in Anknüpfung hieran gab der Autor während des Druckes der »Vermischten Meinungen und Sprüche« deren ursprünglich letztem Aphorismus 407 den Schluß: (– Nennen wir an dieser Stelle noch einmal den Namen Voltaire. Welches wird einmal seine höchste Ehre sein, ihm erwiesen von den freiesten Geistern zukünftiger Geschlechter? Seine »letzte Ehre« – – –). Diesen Schluß strich der Autor während der Correktur, und an seine Stelle trat Aphorismus 408 »Die Hadesfahrt«.

Die Ausarbeitung der andren Aphorismensammlung » Der Wanderer und sein Schatten« geschah im Frühjahr und Sommer 1879, besonders während eines längeren, im letzten Drittel des Juni begonnenen Aufenthaltes zu St. Moritz, daher auch ursprünglich der Titel »St. Moritzer Gedankengänge« lauten sollte. Im Anfang September 1879 sandte mein Bruder seine revidirten Niederschriften von dort aus nach Venedig an Herrn Peter Gast, der während dieses Monats die Herstellung dieses Druckmanuskriptes besorgte. Dieses wurde, nachdem der Verfasser es nochmals durchgesehen, corrigirt und vermehrt hatte, von Ende Oktober bis Ende November in derselben Officin wie die »Vermischten Meinungen und Sprüche« gedruckt, und um die Jahreswende erschien »Der Wanderer und sein Schatten. Chemnitz 1880. Verlag von Ernst Schmeitzner.« Die Rückseite des Titelblattes trug den ursprünglich für die Vorderseite bestimmten Satz »Zweiter und letzter Nachtrag zu der früher erschienenen Gedankensammlung »Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister.«

Nachdem E. W. Fritzsch in Leipzig den Verlag der Schriften meines Bruders zurückerworben hatte, wurden die noch vorhandenen Exemplare beider Aphorismensammlungen vereinigt als »Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Zweiter Band. Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede.« Diese Vorrede, geschrieben im September 1886 in Sils-Maria, wurde mit dem neuen Haupttitel und den beiden neuen Untertiteln – »Erste Abtheilung: »Vermischte Meinungen und Sprüche«. Zweite Abtheilung: »Der Wanderer und sein Schatten« – bei C. G. Röder in Leipzig gedruckt, und der so gebildete zweite Band »Menschliches, Allzumenschliches« erschien zugleich mit der neuen Ausgabe des ersten Bandes im Oktober 1886.

Die Disposition, nach welcher mein Bruder den Inhalt des ersten Bandes vom »Menschlichen, Allzumenschlichen« in neun Capitel geordnet hat, ist ebenfalls für die beiden Aphorismensammlungen des zweiten Bandes maßgebend gewesen, die ja auch, wie oben dargestellt, ursprünglich als »Anhang« und »Nachtrag« zu jenem erschienen. Der Autor selbst hat diesen inneren Parallelismus äußerlich nicht bemerkbar gemacht, sondern dem Leser überlassen, den Inhalt beider Schriften als fortlaufende Ergänzung und Erweiterung des Hauptwerks zu erkennen. Einer der früheren Herausgeber zerlegte die beiden Theile des zweiten Bandes gleichfalls in je neun Capitel und versuchte deren Verwandtschaft mit den Capiteln des ersten Bandes dadurch zu kennzeichnen, daß er ihnen Überschriften gab, die sich an die des ersten Bandes nüancirend anlehnen.

Im Anschluß an die dabei von ihm getroffene Eintheilung möge folgende Tabelle auch hier den Parallelismus der Dispositionen der beiden Bände »Menschliches, Allzumenschliches« veranschaulichen:

Band I Band II
Vermischte Meinungen Wanderer
1. Von den ersten und letzten Dingen Aph. 1-32 Aph. 1-17
2. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen Aph. 33-91 Aph. 18-71
3. Das religiöse Leben Aph. 92-98 Aph. 72-86
4. Aus der Seele der Künstler und Schriftsteller Aph. 99-178 Aph. 87-170
5. Anzeichen höherer und niederer Cultur Aph. 179-230 Aph. 171-233
6. Der Mensch im Verkehr Aph. 231-269 Aph. 234-264
7. Weib und Kind Aph. 270-293 Aph. 265-274
8. Ein Blick auf den Staat Aph. 294-324 Aph. 275-294
9. Der Mensch mit sich allein Aph. 325-408 Aph. 295-350

Bei den Aphorismen aus dem Nachlaß » Gedanken über Richard Wagner, Musik und Bayreuth« muß ich besonders aus die Jahreszahlen aufmerksam machen. Im Januar 1874 hat er, wie er an Rohde schreibt, zuerst versucht »mit der größten Kälte der Betrachtung« das Problem des Bayreuther Unternehmens zu prüfen. Er fügt hinzu: »Dabei habe ich viel gelernt und glaube jetzt Wagner viel besser zu verstehen als früher.« Diese kühle Prüfung, wobei er sich seiner eigenen Ueberzeugung in Hinsicht auf Wagner erst wirklich bewußt wurde, that aber damals seiner Liebe und Verehrung zum Meister noch keinen Abbruch, wenigstens glaubte er es, daß es möglich sei im Einzelnen Wagner's Ansichten und Absichten zu kritisiren, weil Wagner als Ganzes genommen jedem Angriff gewachsen wäre.

Die zurückgebliebenen Aufzeichnungen zu »Richard Wagner in Bayreuth« 1875/76 bringen die Empfindungen eines Gesammturteils über Wagner zum Ausdruck und sind deshalb weniger kritisch, sondern zum größten Teil von warmer Begeisterung erfüllt. Dann folgten die Aufführungen der Festspiele im Sommer 1876, die meinem Bruder deutlich die vollständige Unverträglichkeit seiner eigenen Ansichten mit der Kunst Wagner's bewies, was jene wenigen Wochen Zusammenseins im Herbst 1876 in Sorrent und die Zusendung des Parsifal-Textes in noch höherem Grade zeigten. Darüber erzählt die Einleitung zum dritten Band der Taschenausgabe Ausführlicheres.

Die Rückblicke aus dem Sommer 1878 führen uns das Bestreben meines Bruders vor Augen, sich selbst klar zu machen, was ihm an Wagner von Anfang an fremd gewesen war und weshalb sich schließlich ihre Wege so vollständig trennen mußten.

Weimar, Februar 1906.
Elisabeth Förster-Nietzsche


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