Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Fragmente von Frühjahr 1884 bis Herbst 1885, Band 5
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Frühjahr 1884]

[Dokument: Heft]

25 [1]

Die ewige Wiederkunft.

Eine Wahrsagung.

Von

Friedrich Nietzsche.

Erstes Hauptstück:

“Es ist Zeit!”

25 [2]

(Nizza, März 1884.)

Meine nächsten Aufgaben:

Moral für Moralisten.

Selbst-Erlösung.

Die ewige Wiederkunft.

Dionysische Tänze und Fest-Lieder.

25 [3]

“Das Paradies ist unter dem Schatten der Schwerter.” Orient<alisch>

25 [4]

“Geradezu stoßen die Adler” Olof Haraldssons Saga.

25 [5]

“Wer der Wahrheit zu nahe auf dem Fuße folgt, läuft Gefahr, daß ihm einmal der Kopf eingeknickt wird.” englisches Sprüchwort

25 [6]

Die ewige Wiederkunft

Eine Wahrsagung.

 

Erstes Hauptstück.

“Es ist Zeit!”

 

Zweites Hauptstück.

Der große Mittag.

 

Drittes Hauptstück.

Die Gelobenden.

25 [7]

1.

Meine Freunde, ich bin der Lehrer der ewigen Wiederkunft. Das ist: ich lehre, daß alle Dinge ewig wiederkehren und ihr selber mit —, und daß ihr schon unzählige Male dagewesen seid und alle Dinge mit euch; ich lehre, daß es ein großes langes ungeheures Jahr des Werdens giebt, das, wenn es abgelaufen, ausgelaufen ist, gleich einer Sanduhr immer wieder umgedreht wird: so daß alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Kleinsten und im Größten.

Und zu einem Sterbenden würde ich sprechen: „Siehe, du stirbst und vergehst jetzt und verschwindest: und da ist Nichts, das von dir als ein „Du” übrig bliebe, denn die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. Aber dieselbe Gewalt von Ursachen, welche dich dies Mal schuf, wird wiederkehren und wird dich wiederschaffen müssen: du selber, Stäubchen vom Staube, gehörst zu Ursachen, an denen die Wiederkehr aller Dinge hängt. Und wenn du einstmals wiedergeboren wirst, so wird es nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben sein, sondern zu einem gleichen und selbigen Leben, wie du es jetzt beschließest, im Kleinsten und im Größten.”

Diese Lehre ist noch nicht auf Erden gelehrt worden: nämlich auf der diesmaligen Erde und im diesmaligen großen Jahre.

2.

“Dans le véritable amour c’est l’âme, qui enveloppe le corps”.

25 [8]

Wer in unsrer Zeit jung war, der hat zu Viel erlebt: vorausgesetzt, daß er zu den Wenigen gehört, die noch tief genug sind zu „Erlebnissen”. Den Allermeisten nähmlich fehlt jetzt diese Tiefe und gleichsam der rechte Magen: sie kennen daher auch die Noth jenes rechten Magens nicht, welcher mit jedem Erlebniß “fertig werden” muß, die größten Neuigkeiten fallen durch sie hindurch. Wir Andern haben zu schwere, zu mannichfache, zu überwürzte Kost hinunterschlucken müssen, als wir jung waren: und wenn wir schon den Genuß an seltsamen und unerhörten Speisen voraus haben vor den Menschen einfacherer Zeiten, so kennen wir das eigentliche Verdauen, das Erleben, Hineinnehmen, Einverleiben fast nur als Qual.

25 [9]

Meine Freunde, wir haben es hart gehabt, als wir jung waren: wir haben an der Jugend selber gelitten wie an einer schweren Krankheit. Das macht die Zeit, in die wir geworfen sind, — die Zeit eines großen immer schlimmeren Verfallens und Auseinanderfallens, welche mit allen ihren Schwächen und noch mit ihrer besten Stärke dem Geiste der Jugend entgegen wirkt. Das Auseinanderfallen, also die Ungewißheit ist dieser Zeit eigen: nichts steht auf festen Füßen und hartem Glauben an sich: man lebt für morgen, denn das Übermorgen ist zweifelhaft. Es ist Alles glatt und gefährlich auf unsrer Bahn, und dabei ist das Eis, das uns noch trägt, so dünn geworden: wir fühlen Alle den warmen unheimlichen Athem des Thauwindes — wo wir noch gehen, da wird bald Niemand mehr gehen können.

Ich habe einsam gelebt und mich tüchtig und herzhaft in den Mantel der Einsamkeit gewickelt: das gehört zu meiner Klugheit. Es ist jetzt sogar viel List nöthig, um sich selber zu erhalten, selber oben zu erhalten. Jeder Versuch, es in der Gegenwart, mit der Gegenwart auszuhalten, jede Annäherung an die Menschen und Ziele von heute, ist mir bisher mißrathen; und ich habe die verborgene Weisheit meiner Natur angestaunt, welche bei allen solchen Versuchen sofort durch Krankheit und Schmerz mich wieder zu mir selber zurück ruft.

Es versteht sich von selber, daß ich Alles das kenne, was man die Leiden des Genies nennt: die Verkennung, Vernachlässigung, die Oberflächlichkeit jeden Grades, die Verdächtigung, die Heimtücke; ich weiß, wie Manche uns wohl zu thun glauben, wenn sie uns in „bequemere” Lagen, unter geordnete zuverlässige Menschen zu bringen suchen; ich habe den unbewußten Zerstörungs-Trieb bewundert, den alle Mittelmäßigkeit gegen uns bethätigte, und zwar im besten Glauben an ihr Recht dazu. In manchen allzu erstaunlichen Fällen habe ich mich meines alten Trostes vertröstet: dies ist — französisch zu reden — la bêtise humaine — ein Ding, das mich im Grunde immer mehr ergötzt als verdrossen hat. Es gehört zu der großen Narrethei, deren Anblick uns höhere Menschen am Leben festhalten läßt. Und wenn mein Auge sich nicht täuscht: so ist hundert Mal mehr Dummheit in allem menschlichen Handeln als geglaubt wird. Insgleichen aber ist der Anblick der tiefen feinen ihrer selber sicheren, ihrer selber aber gänzlich unbewußten Heuchelei unter allen guten dicken braven Menschen für den, der sie sehen kann, ein Ding zum Entzücken: und im Gegensatz zur bêtise humaine ist hier die unbewußte Verschlagenheit entzückend.

25 [10]

Die Leidenschaften benutzen wie den Dampf zu Maschinen. Selbst-Überwindung.

25 [11]

Als Knabe war ich Pessimist, so lächerlich dies klingt: einige Zeilen Musik aus meinem zwölften, dreizehnten Lebens-Jahre sind im Grunde von Allem, was ich an rabenschwarzer Musik kenne, das Schwärzeste und Entschiedenste. Ich habe bei keinem Dichter oder Philosophen bisher Gedanken und Worte gefunden, die so sehr aus dem Abgrunde des letzten Neinsagens herauskämen, in dem ich selber zeitweilig gesessen habe; und auch was Schopenhauer betrifft, bin ich den Glauben nicht losgeworden, daß er zwar viel guten Willen zum P<essimismus> gehabt hat, aber auch einen viel besseren Widerwillen: den hat er nicht genug zu Worte kommen lassen, dank jenem dummen Genie-Aberglauben, den er von den Romantikern gelernt hatte, und dank seiner Eitelkeit, welche ihn zwang, auf einer Philosophie sitzen zu bleiben, die aus seinem 26ten Lebensjahre stammte und auch zu diesem Lebensalter gehört — wie wir Alle recht aus dem Grunde wissen, nicht wahr, meine Freunde?

25 [12]

Wie groß das Gefühl der Unsicherheit ist: das verräth sich am meisten in dem Entzücken an kleinen festen Tathsachen (eine Art von  „fait-alisme”, welcher jetzt über Frankreich herrscht) — eine Art Wahnsinn, die auf Erden noch nicht da war: und nicht nur die Wissenschaft, sondern auch ein großer Theil der gegenwärtigen Kunst entstammt diesem Bedürfniß. Es verkleidet sich oft: z. B. in die Forderung der Unpersönlichkeit des Künstlers — das Werk selber soll ihn nicht verrathen, sondern wie ein getreuer Spiegel irgend ein factum bis ins Kleinste wiedergeben, feststellen: aber dies Bedürfniß selber nach solchen facten, die Stand halten, gleichsam wie Schmetterlinge festgeheftet sind vom Sammler — ist etwas sehr Persönliches. Am Mährchen und der Féerie haben wir das entgegengesetzte Gelüst, von Menschen, die selber sich festgeheftet fühlen mit Sitten und Urtheilen. — Zur Seite geht ein grobes Tasten nach nächstem Genuß: „das Nächste” wird das Wichtigste.

25 [13]

Es sind uns, wie noch nie irgendwelchen Menschen, Blicke nach allen Seiten vergönnt, überall ist kein Ende abzusehn. Wir haben daher ein Gefühl der ungeheuren Weite — aber auch der ungeheuren Leere voraus: und die Erfindsamkeit aller höheren Menschen besteht in diesem Jahrhundert darin, über dies furchtbare Gefühl der Oede hinwegzukommen. Der Gegensatz dieses Gefühls ist der Rausch: wo sich gleichsam die ganze Welt in uns gedrängt hat und wir am Glück der Überfülle leiden. So ist denn dies Zeitalter im Erfinden von Rausch-Mitteln am erfinderischesten. Wir kennen alle den Rausch, als Musik, als blinde sich selber blendende Schwärmerei und Anbetung vor einzelnen Menschen und Ereignissen, wir kennen den Rausch des Tragischen d<as> ist die Grausamkeit im Anblick des Zugrundegehens, zumal wenn es das Edelste ist, was zu Grunde geht: wir kennen die bescheideneren Arten des Rausches, die besinnungslose Arbeit, das sich-Opfern als Werkzeug einer Wissenschaft oder politischen oder geldmachenden Partei; irgend ein kleiner dummer Fanatismus, irgend ein unvermeidliches Sichherumdrehen im kleinsten Kreise hat schon berauschende Kräfte. Es giebt auch eine gewisse excentrisch werdende Bescheidenheit, welche das Gefühl der Leere selber wieder wollüstig empfinden läßt: ja einen Genuß an der ewigen Leere aller Dinge, eine Mystik des Glaubens an das Nichts und ein Sich-Opfern für diesen Glauben. Und welche Augen haben wir uns als Erkennende gemacht für alle die kleinen Genüsse der Erkenntniß! Wie verzeichnen wir und führen gleichsam Buch über unsre kleinen Genüsse, wie als ob wir mit dem Summiren des vielen kleinen Genusses ein Gegengewicht gegen jene Leere, eine Füllung jener Leere erlangen könnten —: wie täuschen wir uns mit dieser summirenden Arglist!

25 [14]

Es giebt Menschen, welche man mit erhabenen Gebärden überzeugt, aber mit Gründen mißtrauisch macht.

25 [15]

Mit Feindschaften war es mir niemals lange ernst. Im Augenblick zwar, zumal unter dem Eindrucke eines bedeckten Himmels könnte ich leicht Jemanden tödten — ich habe mich einige Male schon gewundert, daß ichs noch nicht gethan habe. Aber ich lache zu bald wieder, als daß ein Feind sehr viel bei mir gutzumachen hätte. Überdieß bin ich aus letztem Grunde davon überzeugt, daß ich meinen feindselig erregten Gefühlen mehr zu danken habe als den freundschaftlichen.

25 [16]

Der europäische Pessimismus ist noch in seinen Anfängen: er hat noch nicht jene ungeheure sehnsüchtige Starrheit des Blicks, in welchem das Nichts sich spiegelt, wie er sie einmal in Indien hatte, es ist noch zu viel Gemachtes und nicht „Gewordenes” daran, zu viel Gelehrten- und Dichter-Pessimismus: ich meine ein gutes Theil darin ist hinzu erdacht und hinzu erfunden, ist “geschaffen”, aber nicht Ursache, gemacht und nicht “geworden”.

Es gab denkendere und zerdachtere Zeiten als die unsere ist: Zeiten, wie zum Beispiel jene, in der Buddha auftrat, wo das Volk selbst, nach Jahrhunderte alten Sekten-Streitigkeiten, sich endlich so tief in die Klüfte der philosophischen Lehrmeinungen verirrt fand, wie zeitweilig Europäische Völker in Feinheiten des religiösen Dogma's. Man wird sich am wenigsten wohl durch die “Litteratur” und die Presse dazu verführen lassen, vom „Geiste” unserer Zeit groß zu denken: zu alledem beweisen die Millionen Spiritisten und ein Christenthum mit Turnübungen von jener schauerlichen Häßlichkeit, die alle englischen Erfindungen kennzeichnet, bessere Gesichtspunkte — ein Zeugniß gegen sich selber.

25 [17]

Als es mit der besten Zeit Griechenlands vorbei war, kamen die Moral-Philosophen: von Sokrates an nämlich sind alle griechischen Philosophen zuerst und im tiefsten Grunde Moral-Philosophen. Das heißt: sie suchen das Glück — schlimm, daß sie es suchen mußten! Philosophie: das ist von Sokrates an jene höchste Form der Klugheit, welche sich nicht vergreift beim persönlichen Glück. Haben sie wohl viel davon gehabt? Wenn ich denke, daß der Gott Plato's ohne Lust und Schmerz ist und der höchste Weise sich ihm nähert: so ist das ein persönliches Urtheil: Plato empfand das volle Gleichgültigsein als seine größte Wohlthat: sie wurde ihm wohl selten genug zu Theil! Aristoteles dachte sich seinen Gott als rein erkennend, ohne jegliches Gefühl von Liebe: und er selber hatte wohl so seine besten Augenblicke, wenn er kalt und hell (und freudig) den wollüstigen Schwindel der höchsten Allgemeinheiten genoß. Die Welt als System empfinden und das als Gipfel des menschlichen Glücks: wie verräth sich da der schematische Kopf! Und Epikur: was genoß er denn, als daß der Schmerz aufhörte? — das ist das Glück eines Leidenden und auch wohl Kranken.

25 [18]

Die Verbrecher im Gefängniß schlafen gut; keine Gewissensbisse. Verlogenheit. Bei Frauen nervöse Anfälle to „break out” (schreien schimpfen fluchen, Alles zerbrechen)

25 [19]

Viele Halb-Wilde (brave gesunde Jäger Fischler, mit viel unehelichen Kindern) werden in einer civilisirten Gesellschaft zu Verbrechern, namentlich weil Arbeit fehlt, und sie in schlechte Gesellschaft gerathen. Ihre Kinder vornehmlich stellen ein Contingent; verbunden mit Personen des Verbrecher-Typus. Rasche Entartung.

25 [20]

Ich empfinde häufig “Mitleid”, wo gar kein Leiden da ist, sondern wo ich eine Verschwendung und ein Zurückbleiben sehe hinter dem, was hätte werden können. So z.B. in Bezug auf Luther. Welche Kraft und verschwendet auf was für Probleme!

25 [21]

Ein gutes Capitel hätte ich über die Vielheit von Charakteren zu schreiben, die in jedem von uns steckt: und man soll Versuche machen, einige erscheinen zu lassen d. h. eine zusammengehörige Gruppe von Eigenschaften durch klug angeordnete Umstände, Umgebungen, Studien, Entschlüsse zeitweilig zu begünstigen, so daß sie sich aller vorhandenen Kräfte bemächtigen. Andere Eigenschaften werden dabei nicht oder wenig ernährt und bleiben zurück: denen können wir später einmal Luft machen.

25 [22]

Ein gutes Capitel „die Kritik von Eltern, Lehrern, Vaterland, Heimat” — als Anfang der Befreiung, zunächst der Zweifel.

25 [23]

“Von der Kraft des Willens”, den Mitteln, sie zu stärken und zu schwächen.

25 [24]

“über die Verschwendung unsrer Leidenschaften” und wie wir uns leicht an eine dürftige Art ihrer Befriedigung gewöhnen.

Der Ascetism als Mittel, unsre Neigungen zu concentriren und zu stauen.

Balzac und Stendhal empfehlen allen produktiven Menschen die Keuschheit.

In Hinsicht darauf, was produktive Menschen zuoberst und –erst noth<wendig> haben um nicht an den Würmern des Geistes zu leiden — Eier legen, gackern und Eier brüten mit Grazie in inf<initum>, im Bilde zu sprechen

25 [25]

Vom Clima Genua's sagt Michelet “admirable pour tremper les forts”. Gênes est bien la patrie des âpres génies nés pour dompter l'océan et dominer les tempêtes. Sur mer, sur terre que d'hommes aventureux et de sage audace!”

25 [26]

Balzac über W. Scott. 1838 nach 12jähriger Bekanntschaft: Kenilworth in Hinsicht auf Plan das Meisterstück (“der größte, der vollständigste, der außerordentlichste von allen”): les eaux de St. Ronan das Meisterstück und Hauptwerk comme detail et patience du fini. Les Chroniques de la Canongate comme sentiment. Ivanhoe (le premier volume s’entend) comme chef-d'œuvre historique. L'Antiquaire comme poésie. La prison d’Edimbourg, comme intérêt. — “Auprès de lui, lord Byron n’est rien ou presque rien.” — “Scott grandira encore, quand Byron sera oublié.” — “Le cerveau de Byron n'a jamais eu d'autre empreinte que celle de sa personnalité, tandis que le monde entier a posé devant le génie créateur de Scott et s'y est miré pour ainsi dire.”

25 [27]

“Je comprends, comment la continence absoluc de Pascal et ses immenses travaux l'ont amené à voir sans cesse un abîme ä ses côté<s>“ —

25 [28]

Notice biographique sur Louis Lambert “ein Werk, wo ich mit Goethe und Byron habe kämpfen wollen, mit Faust und Manfred“. „Il jettera peut-être, un jour ou l'autre, la science dans des voies nouvelles.”

25 [29]

Über Stendhal “un des esprits les plus remarquables de ce temps”. „Er hat sich zu wenig um die Form gekümmert”, “er schreibt wie die Vögel singen” „notre langue est une sorte de madame Honesta, qui ne trouve rien de bien que ce qui est irréprochable, ciselé', léché.” La Chartreuse de Parme ein wunderbares Buch, ”le livre des esprits distingués.”

25 [30]

“je n'ai pas de continuité dans le vouloir. Je fais des plans, je conçois des livres et, quand il faut exécuter, tout s'échappe.”

25 [31]

In Betreff der Chartr<euse> „ich würde unfähig sein, sie zu machen. Je fais une fresque et vous avez fait des statues italiennes.” „Alles ist original und neu.” Schön wie l'italien, und wenn Macchavell in unseren Tagen einen Roman schriebe, so würde es die Chartreuse sein. „Vollkommen klar.” „Vous avez expliqué l’âme de l'Italie.”

25 [32]

Zu lesen Custinés Roman Ethel. Sie gehören mehr zur Litteratur idée als zur littérature imagée: also zum 18 ten Jahrhundert durch die Beobachtung 'a la Chamfort et à l’esprit de Rivarol par la petite phrase coupée.

Scribe kennt das Metier, aber er kennt die Kunst nicht. Er hat Talent, aber kein dramatisches Genie; es fehlt völlig an Stil!

25 [33]

Einsamkeit, Fasten und geschlechtliche Enthaltsamkeit — typische Form, aus der die religiöse Neurose entsteht. Äußerste Wollust und äußerste Frömmigkeit im Wechsel. Fremdartige Betrachtung gegen sich: als ob sie Glas wären oder 2 Personen.

25 [34]

Balzac „tiefe Verachtung für alle Massen”. „Es giebt vocations, denen man gehorchen muß: irgend etwas Unwiderstehliches zieht mich zum Ruhme und zur Macht.” 1832.

“mes deux seuls et immenses désirs, être célèbre et être aimé.”

25 [35]

Wollte man Gesundheit, so würde man das Genie abschaffen. Ebenfalls den religiösen Menschen. Wollte man Moralität, ebenfalls: Abschaffung des Genies.

Die Krankheit.

Das Verbrechen.                   und ihre Cultur-Mission.

Das Laster.

Die Lüge.

25 [36]

Bevor wir an's Handeln denken dürfen, muß eine unendliche Arbeit gethan sein. In der Hauptsache aber ist das kluge Ausnützen der gegebenen Lage wohl unsre beste rathsamste Thätigkeit. Das wirkliche Schaffen solcher Bedingungen, wie sie der Zufall schafft, setzt eiserne Menschen voraus, die noch nicht gelebt haben. Zunächst das persönliche Ideal durchsetzen und verwirklichen!

Wer die Natur des Menschen, die Entstehung seines Höchsten begriffen hat, schaudert vor dem Menschen und flieht alles Handeln: Folge der vererbten Schätzungen!!

Daß die Natur des Menschen böse ist, ist mein Trost: es verbürgt die Kraft!

25 [37]

Mißverständniß des Raubthiers: sehr gesund wie Cesare Borgia! Die Eigenschaften der Jagdhunde.

25 [38]

Die Abnahme an Geist in diesem Jahrhundert. Die Pantoffel-Manier der englischen Gelehrten. Macchavell hat die Helligkeit des Alterthums. Der französische esprit ist eine Art Rococo des Geistes — aber doch ein véritable goût!

Goethe langweilig und “undulatorisch”.

Die englischen Gelehrten huldigen dem Zeitschriften-Genius und seiner tiefen Mittelmäßigkeit.

25 [39]

Verhältniß von Mittelmäßigkeit zur Tugend – Aristoteles hat den fatalen Thatbestand angenehm empfunden!

25 [40]

Plato — das Ungriechische an ihm, die Verachtung des Leibes, der Schönheit usw. Es ist eine Vorstufe des Mittelalters — Jesuitismus der Erziehung und Despotismus. Er wird charakterisirt durch seinen “indifferenten” Gott —: Lust und Unlust sind ihm schon peinlich. Offenbar fastete er und lebte enthaltsam.

25 [41]

Den Zustand meiner Jugend fand ich sehr gut beschrieben in de Custine, mémoires et voyages. Er war 18 Jahre alt (1811)

je n'aspire qu'à des affections puissantes et sérieuses p. 25.

25 [42]

“Ce n’est pas par vanité, que le génie veut des encouragements, c’est par modestie, par défiance de lui-même.” De Custine.

25 [43]

“L'homme de génie pressent, l'homme de talent raconte: mais nul ne se sent et n’exprime dans le même moment. Le vrai malheureux ne peut que se taire: son silence est l’effet et la preuve m8me de son infortune.” De Custine.

25 [44]

“Tant d'intérêts à ménager, tant de mensonges à écouter avec cet air de dupe, première condition de la politesse sociale, fatiguent mon esprit sans l'occuper.” De Custine.

25 [45]

Madame de Lambert sagte zu ihrem Sohn „mon ami, ne vous permettez jamais que les folies, qui vous feront grand plaisir.”

“un crime, quand on y est poussé par une puissance qui vous paraît irrésistible, trouble moins la conscience qu'une faiblesse volontaire et vaniteuse.” De Custine.

25 [46]

Madame de Boufflers: „il n'y a de parfaits que les gens, qu'on ne connaît pas”.

25 [47]

Gerade die Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft macht die Schwierigkeit erklärlich, die erfindet zu handeln. Er ist in solcher Höhe des Gedankens angelangt, daß, für ihn, das intellektuelle Leben vom aktiven Leben durch einen Abgrund getrennt ist. Il (Werner) est l'Allemagne personnifiée. (1811)

25 [48]

“Geboren in einer Periode, deren Meisterwerk René ist — muß ich mich der unfreiwilligen Tyrannei entledigen, die er auf mich ausübt”: De Custine 1811. Chateaubriand's Einfluß.

25 [49]

“Die Unruhe des Geistes ist unersättlich wie das Laster.” De Custine.

25 [50]

Der Nachtheil des Reisenden (des Cosmopolitismus des Gelehrten auch) gut bei De Custine, I p. 332-3. Beraubt der Billigung und der Überwachung, sucht er eine Stütze in der Verachtung der Menschen. Seine oberflächlichen Studien zeigen ihm das, was auf der Oberfläche ist: Fehler und Lächerlichkeiten. Wird er alt, so ist er unfähig geworden, tiefe Neigungen keimen zu lassen.

25 [51]

Das Alterthum hatte jene kleine Dosis von Christenthum schon in sich, welche dem Aufblühen der Künste gut ist. Der Katholicismus aber war eine barbarische Vergröberung davon: einen Kirchenvater aus einem Plato gemacht!

25 [52]

“noblesse tragique, cette dignité, égalité de style, nos gestes peu naturels, notre chant ampoule” — in England als Affektation erscheinend. Der Franzose empfindet das englische Theater als ignoble.

“Bei Shakespeare herrscht der Sinn des Wahren über den <des> Schönen. Sein Stil, bisweilen erhaben, ist unter seinen Conceptions, selten befreit er sich von den Fehlern seines Jahrhunderts: les concetti, la recherche, la trivialité', l'abondance des paroles.”

25 [53]

Die anziehende Kraft furchtbarer (vernichtender) Dinge: der Schwindel, sich in die Abgründe der Zukunft zu stürzen —

25 [54]

quelque philosophe morose finira peut-être par oser dire de la liberté' moderne, qu’elle consiste dans la double faculté de mentir aux autres et de se mentir à soi-même (1822).

25 [55]

Über Walter Scott: er erkennt mehr das Werk eines „Décorateur, als das eines Malers”. Er malt, was sich den Blicken bietet: die Analyse der Gefühle échappe à cette plume, qui n’est jamais qu'un pinceau. — Seine Poesie ist nicht l’expression immédiate de ce qui se passe dans son âme, er entschlüpft der Manier nicht, weil il ne prend pas lui-même assez de part à ce qu'il dit. “Anschein der Wahrheit.” Man wünscht sublime Züge, wo die Seele sich mit Einem Wort enthüllt. — Er ist der Rossini de la littérature — erwählt mit nicht genug Geschmack die Einzelheiten, die am bemerkenswerthesten sind. Seinen Bildern fehlt die Perspektive — zu viel Objekte im Vordergrund, parce qu'il ne sait pas prendre un parti pour la lumière. Es sind Prozession — nicht eine Handlung, für welche der Künstler allen Anschauern den einzigen richtigen point de vue giebt. An Stelle des Genies histor<ischer> Instinkt. Durch sein Talent, Illusion zu schaffen, wird er der populärste Autor des temps peu consciencieux où nous vivons. Sein Verdienst eine Revolution: er hat besser als irgend jemand vor ihm das Problem des histor<ischen> Romans gelöst. „pour avoir su ramener, si <ce> nèst le sentiment, au moins la mode du vrai dans, le siècle du faux.”

25 [56]

“Die Vernunft macht es wie alle Sklaven: sie verachtet friedliebende Herren und dient einem Tyrannen. Mitten im Kampfe mit heftigen Leidenschaften läßt sie uns im Stich; sie vertheidigt uns nur gegen kleine affections.”

25 [57]

Über das moderne Sklaventhum De Custine II p. 291.

25 [58]

Zur Sonntags-Heiligung: on a rendu le délassement si pénible, qu'il fait aimer la fatigue — — — „sie kommen zurück in ihre Häuser, ganz glücklich zu denken, daß morgen die Arbeit wieder losgeht”

25 [59]

Die großen englischen Schauspieler wie Kean haben die höchste Einfachheit der Gesten und das seltene Talent, mit Wahrheit die heftigsten Affekte auf ihrer höchsten Stufe nachzuahmen.

Kean hatte auch in der Deklamation Einfachheit: im Gegensatz zu der Schule Kemblés, die un chant ampoulé eingeführt hatte très peu favorable aux grands effets tragiques.

„Die Natur auf der That zu ertappen, in Zuständen wo sie am schwersten zu beobachten ist” — sein Talent.

25 [60]

“Das Herz der Franzosen im Theater verhärtet sich wenn man es zu sehr rühren will. Es liebt die Ideen eines Autors zu vervollständigen: in England fürchtet man, etwas zu rathen zuhaben”

25 [61]

“Die Poesie als eine Art Reaktion des Ideals contre le positif: je mehr die Seele gedrückt ist, um so mehr Kraft braucht sie in ihrem élan vers l'idéal. Der revolutionäre Geist wesentlich antipoetisch: denn die Poesie will sich an der Wirklichkeit rächen, dazu thut eine solide Basis noth, gegen welche sie ankämpft. Der conservative Geist ist in so fern günstig der Entwicklung des Génies: die Phantasie fliegt da aufwärts: Poesie und Glaube sind nur die Ahnung einer besseren Welt.” C<ustine>. Zur Erklärung Byron's in einer rechnenden Nation.

25 [62]

“Die eingeborene Pedanterie der Engländer treibt Alles zum Extrem: die Ordnungsliebe wird minutie; le goût pour l'élégance puérilité (“Kinderei”), das Bedürfniß nach Bequemlichkeit wird zum Egoismus, der Stolz zu Vorurtheilen gegen die Nachbarn, die Thätigkeit zur Rivalität usw.

25 [63]

Le comfort drinnen, la „fashion draußen — die tödtlichen Feinde des Glücks und der Ruhe der Engländer. Das Bedürfniß der Mode ist nur das Bedürfniß beneidet oder bewundert zusein.”

25 [64]

Der Fluch, der den Menschen zur Arbeit verdammt, ist ihm auf der Stirn geschrieben. „Les Anglais sont des galériens opulens.”

25 [65]

Kein Geschmack: das Resultat einer großen Intelligenz, die an einen kleinlichen esprit geknüpft ist und hartnäckig in der Neuerung ist. L’esprit de détail, l'attention aux petites choses produit le soin, mais „weder das Große noch das Schöne dans les arts.”

25 [66]

L’esprit frondeur als Element aufgenommen in die Verfassung — das treibt zum Paradoxon. “Man schätzt die Dinge nicht wie Sie an sich sind, sondern nach ihren Beziehungen zur herrschenden Macht.”

25 [67]

Die aufgeklärten Völker urtheilen schlechter über Menschen und Dinge: ihre présumption ist die Ursache.

25 [68]

“Die Meinungen wechseln da vollständig und prompt par pur esprit de parti. Aus Haß gegen ein Ministerium weiß schwarz nennen, ist verhängnißvoller für die Moral als eine weitgetriebene soumission.

Der Gehorsam läßt uns, weit getrieben, auf Rechte verzichten: l’esprit  de révolte läßt uns Pflichten opfern.”

25 [69]

“Die Gewohnheiten regulär, die sentiments romanhaft.”

25 [70]

NB. Das Überhandnehmen der sklavischen Gesinnung in Europa: der große Sklaven-Aufstand.- (ego)

Der Sklave im Regiment.

Das Mißtrauen gegen alle noblesse des Gefühls, Herrschaft der gröbsten Bedürfnisse. Die moralische Verlogenheit.

Das Sklaven-Mißverständniß der Cultur und des Schönen. Mode, Presse, suffrage universel, faits — er erfindet immer neue Formen des sklavischen Bedürfnisses.

Der niedere Mensch sich empörend z. B. Luther gegen die sancti

die Unterwerfung unter die facta, als Wissenschaft der Sklaven.

25 [71]

Die zunehmende Verdummung und Vergemeinerung Europa’s.

Nachwuchs des Adels l'homme supérieur immer mehr angefeindet.

die moralistische Cultur der Spanier und Franzosen im Zusammenhang mit dem Jesuitism. Dieser wird mißverstanden.

Das Fehlen aller moralischen Praktik; Gefühle statt Principien.

25 [72]

“il souffre, il succombe au lieu de combattre et de vaincre. Was soll man mit einem Gefühl gegen eine Passion machen! l'attaque et la défense viendraient de la même source! Wenn der Feind im Herzen ist, dann Autorität, Gewohnheit, dann Gehorsam, Erniedrigung, Regel, Disciplin, Gesetz, Übungen, selbst anscheinend puériles, dann ein Anderer als wir, ein Priester, ein Beichtiger, dessen Stimme unsere schweigen macht: das hat man nöthig, um uns vor uns selber zu retten.” C<ustine>. „Wenn man unsinnig wird, genügt es nicht, um sich nicht zu tödten, daß man geträumt hat, ein christlicher Philosoph zu sein: wie es die Mehrzahl der Protestanten sind, die denken.”

25 [73]

Es thut also noth: eine Art Erzieher und Retter, auch Zufluchts-Stätten außerhalb der gewöhnlichen Welt, hartes Leben, viele Erfindungen der Askese zur Selbst-Beherrschung. Schutz vor der Sklaven-Gemeinheit und dem Pharisäismus.

25 [74]

Höhepunkte der Redlichkeit: Macchavell, der Jesuitismus, Montaigne, Larochefoucauld

die Deutschen als Rückfall in die moralische Verlogenheit

25 [75]

“Die gemeinen Naturen täuschen sich über die noblen: sie errathen deren Motive nicht.”!

25 [76]

„Die Fähigkeit, uns selber zu vergessen, die Hingebung, die Aufopferung — all das Verdienst so seltener Gaben ist verloren für den, welcher nicht weiß, sich geliebt zu machen, wenn er liebt. Diese leidenschaftlichen Seelen werden dann undankbar: sie profitiren von ihrer Civilisation, um sie zu verläumden. Wo können sie denn leben, wenn nicht in den Wäldern und nicht in der Welt!”

25 [77]

„Wo sind die vollständigeren Charaktere in unserer Welt? Die Darstellung der Tugend in moral<ischen> Büchern hat alle Geister gefälscht, alle Herzen verhärtet, welche nur auf Eine Art gerührt werden.”

„il ne faudra pas moins d'une ère toute entière de cynisme littéraire, pour nous débarrasser des habitudes d'hypocrisie.”

25 [78]

„Ruhm dem Starken, den unsere Zeit als den Chef der romantischen Schule preist — Victor Hugo” 1835.

25 [79]

„l'amour exalté de la vérité' est la misanthropie des bons coeurs”

25 [80]

Aus dem Zeitalter der religiösen Heuchelei sind wir in die Zeit der moralischen Heuchelei hinübergegangen. „Eine der Wohlthaten des représent<atif> gouvernem<ent> ist genau dies, die Ehrgeizigen zu zwingen, die Maske der Moral und Menschlichkeit vorzunehmen. Aber warum dann sich ereifern über die Geistlichkeit, welche, so lange sie herrschte, die Civilisation unterstützte mit ganz ähnlichen Mitteln? — Den Priestern soll man nicht ihren Ehrgeiz vorwerfen, sondern wollen ohne zu können. Sie täuschen sich über ihre Zeit: darum thun sie Schaden.”

In der Welt giebt es gar nicht Gute und Böse: diese sind immer à part. Die Übermenschlichen Tugenden sind insociables und ebenso die großen Verbrechen. Aber in allen Gesellschaften giebt es zurückgebliebene und „fortgeschrittene” Geister. Sie haben dieselbe Passion: aber die ersteren bedienen sich, um über ihre persönlichen Absichten zu täuschen, der Worte, deren Hohlheit die Welt schon kennt: und die Anderen reden, zu den gleichen Zwecken, eine Sprache, die die Masse noch täuscht: sie hat den Schlüssel zu diesen Worten nicht.

Das ist der Unterschied zwischen den Mittelmäßigen und den höheren Geistern: die letzteren verstehen im Grunde die Sprache ihrer Zeit: die ersteren bemerken die Lüge nur in der Sprache ihrer Voreltern. Über „ewiges Heil” „Hölle” „Paradies” charité ist man aufgeklärt; unsere Enkel werden es über Philanthropie, liberté, privilégés, progrès sein.

„Die Reformatoren einer Epoche sind die Conservatoren einer anderen. Dasselbe génie kann betrachtet werden comme créateur ou comme radoteur.”

25 [81]

„Das Wahre ist niemals wahrscheinlich.”

25 [82]

„Der luxe sollte nur dort erlaubt sein, wo die Armen guten Humor haben”: er verdirbt die, welche ihn beneiden.

25 [83]

„— les apôtres modernes, les auteurs philosophes, mentent plus que les prêtres qu'ils ont détrônés sans les remplacer.”

25 [84]

Es ist das Zeitalter der Verlogenheit: die moralische Güte ist das, was affichirt wird. Man wehrt sich gegen La Rochefoucauld und das Christenthum —: der große Sklaven-Aufstand.

Festzustellen: der Mensch ist böse — ist das furchtbarste Raubthier, in Verstellung und Grausamkeit.

Festzustellen: daß er noch böse ist, enthält die Hoffnung. Denn der gute Mensch ist die Caricatur, welche Ekel macht: er läuft dem Ende immer voraus.

25 [85]

Die Verdummung, auch in der Wissenschaft. Die Anspruchslosigkeit in der Verehrung Darwins. Die Bescheidenheit in der Politik usw.

25 [86]

Tendenz des Trauerspiels nach Schopenhauer II 495. “Was allem Tragischen den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung giebt, ist das Aufgehen der Erkenntniß, daß die Welt, das Leben, kein wahres Genügen geben könne, mithin unserer Anhänglichkeit nicht werth sei: darin besteht der tragische Geist: er leitet demnach zur Resignation hin.” — Oh wie anders redet Dionysos zu mir! — Schopenhauer: “weil die Alten noch nicht zum Gipfel und Ziel des Trauerspiels, ja der Lebensansicht überhaupt gelangt waren”.

25 [87]

Große Dichter haben viele Personen in sich: manche nur Eine, aber eine große! —

25 [88]

Die Furcht — sklavenhaft. Zeitalter der Verlogenheit
Der mindeste Aufwand an Geist (Nachahmung)
Die Gleichgültigkeit und der Haß gegen das Seltne
Die Häßlichkeit. — Das Durcheinander der Stile.
Das ausbrechende Bedürfniß der Lüge — Epidemie.

25 [89]

Das Wesentliche am Künstler und Genie: der Schauspieler. Kein Mensch besitzt zur gleichen Zeit Ausdruck und Gefühl; Worte und Wirklichkeit. Der tiefe égoisme unter der Sprache der sensibilité.

25 [90]

“Mangel an Delikatesse in der Wahl der Mittel des Erfolgs, Mißbrauch der Invektive, Haß auf das, was da ist, Gleichgültigkeit gegen das, was sein wird — gemeinsam den französischen Schriftstellern der letzten 10 Jahre (1835) Rückkehr zum wilden Leben predigen mit einer Feder, von der man Ruhm und Glück in der socialen Welt erwartet — ist eine Undankbarkeit und eine Kinderei.“

25 [91]

“L’effet ordinaire du désespoir est de rendre l’énergie à ceux, qui sont témoins de cette maladie morale”

25 [92]

“die Frauen immer weniger civilisirt als die Männer: im Grunde der Seele wild; sie leben im Staate wie die Katzen im Hause, immer bereit zur Thür oder zum Fenster hinauszuspringen und in ihr Element zurückzukehren”

25 [93]

Das Moralische d. h. die Affekte — als identisch mit dem Organischen der Intellekt als „Magen der Affekte.”

25 [94]

Die Identität im Wesen des Eroberers, Gesetzgebers und Künstlers — das Sich-hinein-bilden in den Stoff, höchste Willenskraft, ehemals sich als „Werkzeug Gottes” fühlend, so unwiderstehlich sich selber erscheinend. Höchste Form des Zeugung-Triebes und zugleich der mütterlichen Kräfte. Die Umformung der Welt, um es in ihr aushalten zu können — ist das Treibende: folglich als Voraussetzung ein ungeheures Gefühl des Widerspruchs. Bei den Künstlern genügt schon sich mit Bildern und Abbildern davon zu umgeben z. B. Homer unter den „erbärmlichen Sterblichen”. Das “Los-sein-von-Interesse und ego” ist Unsinn und ungenaue Beobachtung: es ist vielmehr das Entzücken, jetzt in unserer Welt zu sein, die Angst vor dem Fremden loszusein!

25 [95]

Ich habe die Erkenntniß vor so furchtbare Bilder gestellt, daß jedes „epikureische Vergnügen” dabei unmöglich ist. Nur die dionysische Lust reicht aus — ich habe das Tragische erst entdeckt. Bei den Griechen wurde es, dank ihrer moralistischen Oberflächlichkeit, mißverstanden. Auch Resignation ist nicht eine Lehre der Tragödie! — sondern ein Mißverständniß derselben! Sehnsucht in's Nichts ist Verneinung der tragischen Weisheit, ihr Gegensatz!

25 [96]

Meine Voraussetzungen: 1) keine End- “Ursachen”. Selbst bei menschlichen Handlungen erklärt die Absicht das Thun gar nicht.

2) die “Absicht” trifft das Wesen der Handlung nicht, folglich ist die moralische Beurtheilung der Handlungen nach Absichten falsch.

3) “Seele” als Vielheit der Affekte, mit Einem Intellekte, mit unsicheren Grenzen.

4) die mechanische Welt-Erklärung hat alles, auch das organische Leben ohne Lust Unlust Denken usw. zu erklären: also keine „beseelten Atome”! — sie sucht für das Auge alles Geschehen anschaulich zu machen. „Berechenbarkeit” zu praktischen Zwecken will sie! —

5) Es giebt gar keine selbstlosen Handlungen!

25 [97]

Die Frage nach unserem “Wohl” ist durch das Christenthum und den Buddhism vertieft: dagegen ist die Engländerei blödsinnig-alltäglich: der Engländer meint “comfort”. Die Welt nicht nach unseren persönlichsten Begleit-Gefühlen messen, sondern wie als ob sie ein Schauspiel wäre und wir zum Schauspiel gehörten!

25 [98]

“Im Zeitalter der öffentlichen liberté: die Franzosen von heute werden schwerfällig und dumm und kalt, wenn sie en public sind: aus Furcht, sich Feinde zu machen, werden sie da zu tiefen Diplomaten und raffinirten Heuchlern. Ohne esprit, ohne Urtheil und klug aus Furcht. Sklaverei des Individuums.” C<ustine>.

25 [99]

An großen Viehheerden zu studiren:

Die steigende Vergrößerung des Menschen besteht darin, daß die Führer, die „Vor-Ochsen”, die Seltenen entstehen. „Gut” nennen sich die Mitglieder der Heerde: das Hauptmotiv in der Entstehung der Guten ist die Furcht. Verträglichkeit, dem-Anderen-Zuvorkommen mit Güte, sich-Anpassen vieles Abwehren und Vorbeugen von Noth, mit stiller Erwartung, daß es uns gleich vergolten wird, Vermeiden der Feindseligkeit, Verzicht auf Furcht-Einflößen – das Alles, lange nur Heuchelei der Güte, wird endlich Güte.

25 [100]

Alles Loben, Tadeln, Belohnen Strafen erscheint mir erst gerechtfertigt, wenn es als Wille der bildenden Kraft erscheint: also absolut losgelöst von der moralischen Frage “darf ich loben strafen?” — mithin völlig unmoralisch. Ich lobe tadle belohne strafe, damit der Mensch nach meinem Bilde sich verwandle; denn ich weiß, daß mein Loben Strafen usw. eine verwandelnde Kraft hat. (Dies vermöge der Wirkung auf Eitelkeit Ehrgeiz Furcht und alle Affekte bei dem Gelobten und Bestraften.) Solange ich noch mich selber unter das moralische Gesetz stelle, dürfte ich nicht loben und strafen.

25 [101]

Von den Mitteln der Verschönerung. Eine Albernheit, die dem alten Kant zur Last zu legen ist: “es gefällt ohne Interesse.” Und da weist Mancher noch mit Stolz darauf hin, daß er beim Anblick einer griechischen Venus usw. Dagegen habe ich den Zustand beschrieben, den das Schöne hervorbringt: das Wesentlichste ist aber vom Künstler auszugehn. Sich den Anblick der Dinge erträglich zu machen, sie nicht zu fürchten, und ein scheinbares Glück in sie hineinlegen — Grundempfindung, daß der glückliche, Sich selber Liebende Mensch kein Wehethäter ist. — Dieses Umdeuten des Thatsächlichen  in's Glückliche „Göttliche” hat nun der Mensch auch auf sich verwandt: diese<s> Mittel der Selbst-Verschönerung und der Verschönerung des Menschen überhaupt ist Moral. Darin ist: 1) Wegsehn 2) Sehen, was gar nicht da ist — Zusammenfassen Vereinfachen 3) Sich verstellen, so daß Vieles nicht sichtbar wird 4) sich verstellen, so daß das Sichtbarwerdende einen falschen Schluß ergiebt. — Das Produkt ist der “gute Mensch”, wozu immer eine Gesellschaft gehört. Es ist also im Wesen der Moral Etwas, das wider die Redlichkeit geht: weil sie Kunst ist. Wie ist es nun möglich, daß es eine “Redlichkeit” giebt, welche die Moral selber zersetzt? — 1) Diese Redlichkeit muß aus dem Thatsachen-Sinn abzuleiten sein: nämlich man hat zu viel Schaden gehabt von dieser Heuchelei der Verschönerung, die Geschädigten reißen die Maske herunter 2) es giebt einen Genuß des Häßlichen, wenn es furchtbar ist: die Emotion des furchtbaren Anblicks der wahren menschlichen Natur ist oft gesucht worden von den Moralisten 3) der christliche Affekt der Selbst-Zerstörung, der Widerspruch gegen alles Verschönernde hat gearbeitet: die Lust der Grausamkeit- 4) der alte Sklaven-Sinn, welcher sich niederwerfen will und schließlich vor der nackten „Thatsache” niederwirft, nachdem nichts übrig geblieben ist, Vergötterung der facta, der Gesetze usw. ein Ausruhen nach langer Arbeit der Zerstörung von Göttern, Aristokratien, Vorurtheilen usw., und Folge eines Blicks ins Leere)

Das Gesammt-Resultat aller Moralisten: der Mensch ist böse — ein Raubthier. Die „Verbesserung” geht nicht auf den Grund, und ist mehr äußerlich, das “Gute” ist wesentlich Decoration, oder Schwäche.

Dabei aber standen die Moralisten selber unter der Nachwirkung der moral<ischen> Urtheile, oder des Christenthums, der Welt-Verneinung: Niemand noch hat ein Vergnügen an diesem Resultat gehabt. Das heißt: sie haben die Werthschätzung der “Guten” selber!

“Man muß den Menschen verschönern und erträglich machen”: dagegen sagte das Christenthum und der Buddh<ismus> — man muß ihn verneinen. Es hat also im Grunde nichts so gegen sich als den guten Menschen: den haßt es am meisten. Deshalb suchen die Priester Selbst-Zerstörung des Genusses an sich mit allen Mitteln.

Die griechischen Philosophen suchten nicht anders “Glück“ als in der Form, sich schön zu finden: also aus sich die Statue zu bilden, deren Anblick wohlthut (keine Furcht und Ekel erregt)

Der „häßlichste Mensch” als Ideal weltverneinender Denkweisen. Aber auch die Religionen sind noch Resultate jenes Triebs nach Schönheit (oder es aushalten zu können): die letzte Consequenz wäre — die absolute Häßlichkeit des Menschen zu fassen, das Dasein ohne Gott, Vernunft usw. — reiner Buddhismus. Je häßlicher, desto besser.

Diese extremste Form der Welt-Verneinung habe ich gesucht. “Es ist alles Leiden”, es ist alles Lüge, was “gut” scheint (Glück usw.) Und statt zu sagen „es ist alles Leiden” habe ich gesagt: es ist alles Leiden-machen, Tödten, auch im besten Menschen.

“Es ist alles Schein” — es ist alles Lüge

“Es ist alles Leiden” — es ist alles Wehe-Thun, Tödten, Vernichten, Ungerecht-Sein

Das Leben selber ist ein Gegensatz zur ”Wahrheit” und zur Güte” — ego

Das Leben-Bejahen — das selber heißt die Lüge bejahen. — Also man kann nur mit einer absolut unmoralischen Denkweise leben. Aus dieser heraus erträgt man dann auch wieder die Moral und die Absicht auf Verschönerung. – Aber die Unschuld der Lüge ist dahin!

Die Griechen als Schauspieler. Ihr “Idealismus”.

Die Ver-Griechung einmal darstellen als Roman. Rückwärts — auch die Sinnlichkeit, immer höher strenger. Endlich bis zur Offenbarung des Dionysischen. Entdeckung des Tragischen: „Bock und Gott”.

25 [102]

Inwiefern die absolute Wissenschaftlichkeit noch Etwas von Christenthum an sich trägt, eine Verkleidung ist — —

25 [103]

A) Zuerst: der Verfall der modernen Seele in allen Formen in wiefern von Socrates an der Verfall beginnt — meine alte Abneigung gegen Plato, als antiantik. die „moderne Seele” war schon da!

B) Darzustellen: die zunehmende Härte

C) — — —

25 [104]

Auf die Schule des romantisme ist in Frankreich gefolgt l'école du document humain. Der Urheber des Ausdrucks ist Edmond de Goncourt.

wissenschaftliche Hysterie – sage ich.

Consequenz: die wissenschaftliche Lust des Menschen an sich selber. —

Das Unwissenschaftliche daran ist die Lust am Ausnahmefall.

25 [105]

Man muß von den Kriegen her lernen: 1) den Tod in die Nähe der Interessen zu bringen, für die man kämpft — das macht uns ehrwürdig 2) man muß lernen, Viele zum Opfer bringen und seine Sache wichtig genug nehmen, um die Menschen nicht zu schonen. 3) die starre Disciplin, und im Krieg Gewalt und List sich zugestehn.

25 [106]

Die Perspektiven der griechischen Morasten: die Moralität die Folge von Urtheilen (und von falschen Urtheilen) – „warum?” falsche Frage und Entwicklung, das eigene Glück als Ziel alles Handelns (es muß das höchste Glück sein als Folge der höchsten Einsicht — voller Hypocrisie folglich) — die Schamlosigkeit im Präsentiren der Tugend (Vergöttlichung bei Plato) das Verleumden aller unbewußten Regungen, die Verachtung der Affekte —

unbewußt streben sie alle nach der schönen Bildsäule — sie wollen vor Allem Tugend repräsentiren, es ist das große Schauspielerthum der Tugend.

aber sie sind Kinder ihrer Zeit — nicht mehr tragische Schauspieler, nicht Darsteller des Heroen-thums, sondern “Olympier”, oberflächlich. Viel plebejischer Ehrgeiz und Parvenu-thum ist darin. “Rasse” soll nichts sein: das Individuum fängt mit sich an.

Viel Ausländerei — der Orient, der Quietismus, die semitische Erfindung von der “Heiligkeit” wirken.

Eifersucht auf die bildenden Künste

25 [107]

Die alte Sittlichkeit hat jenen Grundglauben, daß es mit den Menschen rückwärts geht: daß Glück Kraft Tugend sehr fern von uns sind. Es ist das Urtheil derer, welche die Auflösung sehen und im Starrwerden das Heil.

Ziel aller großen Moralisten bisher: eine endgültige Form “Denkweise“ zu schaffen — in China, im Brahmanenthum, in Peru, im Jesuitism, auch Aegypten; auch Plato wollte es. Eine Kaste schaffen, deren Existenz mit dem Starrwerden der moral<ischen> Urtheile verknüpft ist, als Lebens — Interesse — die Klasse der Guten und Gerechten.

25 [108]

“Die französische Revolution hat eine Gesellschaft geschaffen, sie sucht noch ihr gouvernement”. —

25 [109]

“1789: die Menschen “des guten Willens”, von denen die Bibel redet, schienen zum ersten Male die Herren der Dinge der Erde. Ein Volk, sanft, vertrauend, gewohnt seit Jahrhunderten geduldig zu leiden und von seinen Führern Lösung seiner Noth zu erwarten: eine mittlere Klasse, reich, aufgeklärt, honnet; eine noblesse, welche ihren Stolz hinein setzt, Privilegien fahren zu lassen, von der Philosoph<ie> entzückt, glühend für das öffentliche Wohl; ein Clerus, von liberalen Ideen durchdrungen: ein König bereit die Willkür-Macht zu vernichten und restaurateur de la liberté française zu werden” —

Und warum mißräth Alles? Weil alle diese guten Leute willensschwach waren! le roi trop défiant, trop faible; die Königin in blindem Haß gegen die révol<ution>, die noblesse durch die Gefahr der Krone zu ihren alten Instinkten zurückgerufen, sieht jetzt in ihr einen Irrthum und comme une lâcheté ses concessions premières (ja! das ist die Art der Schwachen!) la maladresse janséniste macht einen unheilvollen Versuch, die Kirche durch den Staat zu organisiren und entfremdet so die Geistlichkeit: und auf dem Lande und den Städten gab es lange aufgehäuften Todhaß gegen die Feudalzeit (jetzt noch größer als die Furcht vor dem „rothen Gespenst”)

25 [110]

Napoleon einer anderen Art Wesen zugehörig, bei denen die Kraft der Berechnung, die Macht der Combinationen, die Fähigkeit der Arbeit unsäglich entwickelter ist als bei uns, während man vergeblich gewisse moralischen Qualitäten suchen würde, die bei uns gewöhnlich sind: — fremd den Ideen der Gerechtigkeit, wenig gemacht die Geschichte und seine Zeit selber zu begreifen, ganz vom persönlichen Interesse beherrscht und dick blind über dies Interesse: Mangel an Unterscheidung von Gut und Böse, cette soif impérieuse de succès, absolute Gleichgültigkeit gegen die Mittel, alles das, was Verbrecher macht —: in moralischer Beziehung nicht besser und schlechter als unsers Gleichen. Aber was ihm am meisten fehlte, die wunderbarste Lücke: la grandeur d'âme (magnanimité) die noble Eigenschaft, die oft im Erfolge selber ihren Ursprung nimmt und sich mit unserem Glück in gleichem Schritt entwickelt und die schrittweise oft vulgären und des moralischen Sinnes entblößten Naturen auf die Höhe der Ereignisse hebt à la hauteur de la destinée imprévue. Gewiß, Größe der Conception existirte bei ihm, wenn das Maaßlose groß heißt (das was außer Proportion zu den Mitteln ist, mit denen wir hier unten handeln)

Größe der Seele ist nicht: daß er, sonst so hart, nicht zu seinen Stunden indulgent war bisweilen bonhomie bienveillante, welche die Menge bei ihren Herren immer mit bonté verwechselt: aber ces rares relâchements eines immer gespannten Geistes, cette facilité intermittente d'un cœur indifférent.

Er sah in Frankreich, „diese rührende Creatur voll sublimer Instinkte, aber unter dem Gewicht seiner Leiden und Fehler niedergesunken” nur seine Beute. Der erste Consul war vor das größte Schauspiel gestellt, er hätte die tiefste und désinteressée émotion fühlen müssen vor dieser Scene, die einzig in der Geschichte ist: denn Caesar fand eine alte und ausathmende Republik vor sich. Aber er dachte an sich!

esprit mal cultivé, imagination méridionale — er nahm bald Cäsar bald Karl den Großen als Modell, imbu surtout du féticisme monarchique, il rêve pourpre, trône et couronne pour les siens, fast wie jene Barbarenchefs, welche glaubten sich zu vergrößern, indem sie den Hof von Constantinopel nachahmten.

25 [111]

Zeigen, wo Alles es Grausamkeit giebt: wo Habsucht: wo Herrschsucht usw.

25 [112]

Erste Frage: die Herrschaft der Erde — angelsächsisch. Das deutsche Element ein gutes Ferment, es versteht nicht zu herrschen. Die Herrschaft in Europa ist nur deshalb deutsch, weil es mit ermüdeten greisen Völkern zu thun hat, es ist seine Barbarei, seine verzögerte Cultur, die die Macht giebt.

Frankreich voran in der Cultur, Zeichen des Verfalls Europa's. Rußland muß Herr Europas und Asiens werden — es muß colonisiren und China und Indien gewinnen. Europa als das Griechenland unter der Herrschaft Roms.

Europa also zu fassen als Cultur-Centrum: die nationalen Thorheiten sollen uns nicht blind machen, daß in der höheren Region bereits eine fortwährende gegenseitige Abhängigkeit besteht. Frankreich und die deutsche Philosophie. R. Wagner von 1830-50 und Paris. Goethe und Griechenland. Alles strebt nach einer Synthese der europäischen Vergangenheit in höchsten geistigen Typen — — — —

— eine Art Mitte, welche das Krankhafte an jeder Nation (z. B. die wissenschaftliche Hysterie der Pariser) ablehnt.

Die Gewalt ist einmal getheilt zwischen Slaven und Angelsachsen. Der geistige Einfluß könnte in den Händen des typischen Europäers sein (dieser zu vergleichen dem Athener, auch dem Pariser — siehe die Schilderung Goncourt's in Renée Mauperin) Bisher sind die Engländer dumm, die Amerikaner werden nothwendig oberflächlich (Hast) — — — —

Wenn aber Europa in die Hände des Pöbels geräth, so ist es mit der europäischen Cultur vorbei! Kampf der Armen mit den Reichen. Also ist es ein letztes Aufflackern. Und bei Zeiten bei Seite schaffen, was zu retten ist! Die Länder bezeichnen, in welche sich die Cultur zurückziehen kann — durch eine gewisse Unzugänglichkeit, z.B. Mexico. — — — —

25 [113]

Sklavenhafte Moral und ihr Gegensatz der Werthe.
Herrenhafte Moral.
Grausamkeit und was davon in den Guten ist, und in Gerechtigkeit, Mitleid, Wahrhaftigkeit, Treue, Fleiß usw.
Wollust
Herrschsucht
Habsucht
Neid Krankhafte Tugenden und Tugendhafte — und das Gesunde am Raubthier.

Unverhältnißmäßig wenig Bewußtsein über unsere Wirkungen. (Die Absichten und Zwecke als willkürliches Auslesen von Wirkungen)

Falsche Voraussetzungen über unsere Beweggründe (Grund-Zweifel: ob unsere bewußten Gefühle und Gedanken “bewegen”)

Der Leib als Lehrmeister: Moral Zeichensprache der Affekte.

Der Schaden der Guten: Die Guten als zweiten Ranges, Entartung. Verdummung, Haß auf geistige Entwicklung.

Individuum und Gemeinde.

Das “Individuum” als Vielheit und Wachsthum.

“Böse” als organische Funktion. Mitleiden. Für Andere.

Die Religionen als Moralen mit Voraussetzung anderer Welten: aber herrenhaft oder sklavenhaft.

25 [114]

In wiefern unsere jetzt übliche Ordnung der Werthe auf lauter falsche Voraussetzungen hinausläuft: Ursprung der herrschenden Grundschätzungen. NB!

25 [115]

Die Deutschen verderben, als Nachzügler, den großen Gang der europäischen Cultur: Bismarck — Luther z. B.; neuerdings, als Napoleon Europa in eine Staaten-Association bringen wollte (der einzige Mensch, der stark genug dazu war!), haben sie mit den „Freiheits-Kriegen“ Alles vermanscht und das Unglück des Nationalitäten-Wahnsinns heraufbeschworen (mit der Consequenz der Rassenkämpfe in so altgemischten Ländern wie Europa!) So haben Deutsche (Carl Martell) die saracenische Cultur zum Stehen gebracht —: immer sind es die Zurückgebliebenen!

25 [116]

Die seiende Welt ist eine Erdichtung — es giebt nur eine werdende Welt. — So könnte es sein! Aber setzt die Erdichtung nicht den Dichter als seiend voraus? — Vielleicht ist die erdichtete andere Welt erst eine Ursache davon, daß der Dichter sich für seiend hält und gegenüberstellt. — Wenn das Wesentliche des Fühlens und Denkens ist, daß es Irrthümer (“Realitäten”) ansetzen muß:

Es giebt Fühlen und Denken: wie ist es aber in der Welt des Werdens nur möglich? — Die negativen Eigenschaften Oberflächlichkeit Stumpfheit der Sinne Langsamkeit des Geistes haben sich in positive Kräfte verwandelt (das Böse ist auch hier der Ursprung des Guten.)

ein Bild setzen, fertig machen, auf Grund weniger Indicien, etwas als blei<b>end setzen, weil man die Veränderung nicht sieht.

Die Fähigkeit zu leben begünstigt durch diese dichtende Kraft.

25 [117]

Man hat für “unpersönlich” angesehen, was der Ausdruck der mächtigsten Personen war (J. Burckhardt mit gutem Instinkt vor dem Palazzo Pitti): “Gewaltmensch” — ebenso Phidias — das Absehen vom Einzel-Reize. — Aber die Herren möchten sich gerne verstecken und loswerden z. B. Flaubert (Briefe)

25 [118]

Man muß gut und böse sein! Und wer nicht gut aus Schwäche war, war auch immer böse in hervorragendem Grade.

25 [119]

Nach Absichten einen Menschen abschätzen! Das wäre als wenn man einen Künstler nicht nach seinem Bilde, sondern nach seiner Vision taxirte! Wer hat nicht seine Mutter getödtet, seine Frau verrathen, wenn es auf Gedanken ankommt! Man würde in einer artigen Einsamkeit leben, wenn Gedanken tödten könnten!

25 [120]

Wir enthalten den Entwurf zu vielen Personen in uns: der Dichter verräth sich in seinen Gestalten. Die Umstände bringen Eine Gestalt an uns heraus: wechseln die Umstände sehr, so sieht man an sich auch zwei, drei Gestalten. — Von jedem Augenblick unseres Lebens aus giebt es noch viele Möglichkeiten: der Zufall spielt immer mit! — Und gar in der Geschichte: die Schicksale jedes Volks sind nicht nothwendig in Hinsicht irgend einer Vernunft: es liegen in jedem Volke viele Volks-Charaktere, und jedes Ereigniß nährt den einen mehr als den anderen

25 [121]

Die zahme Barbarei

Die thatsächliche Barbarei Europa's – und zunehmend:

die Verdummung (“der Engländer” als Normal-Mensch sich anlegend) die Verhäßlichung (“Japanisme”) (der revoltirende Plebejer) die Zunahme der sklavischen Tugenden und ihrer Werthe (“der Chinese”)

die Kunst als neurotischer Zustand bei den Künstlern, Mittel des Wahnsinns: die Lust an dem Thatsächlichen (Verlust des Ideals)

die Deutschen als Nachzügler (in der Politik der Centralisation des Monarchischen, wie Richelieu: in der Philosophie mit Kant Skepsis (zu Gunsten der Biedermännerei und Beamten-Tugend), mit Hegel Pantheism zu Gunsten der Staats-Anbetung, mit Schopenhauer Pessimism zu Gunsten der christlichen Mystik „Pascalismus”), die schlechte Ernährung des ganzen europäischen Südens. England's bessere Gesellschaft ist durch Ernährung voran,

“der gute Mensch” als das Heerdenvieh, aus dem Raubthier umgewandelt,

die historische Krankheit als Mangel der bildenden idealen Kraft – „Gerechtigkeit” bleibt übrig und „Unschädlichkeit” im äußerlichen Sinne.

Es ist die zahme Barbarei, die heraufzieht!
die Geltung der Dummen, der Frauen usw.

25 [122]

Man will den Leser zur Aufmerksamkeit zwingen „vergewaltigen”: daher die vielen packenden kleinen Züge des „Naturalisme” — das gehört zu einem demokratischen Zeitalter: grobe und durch überarbeit ermüdete Intellekte sollen gereizt werden!

25 [123]

ich halte diese Gemeinheit Shakespeare’s und Balzac's mit Mühe aus: ein Geruch von pöbelhaften Empfindungen, ein Cloaken-Gestank von Großstadt, kommt überall her zur Nase.

25 [124]

Ich will die Weiber wieder zurückformen: die Sand und M<adame> de Staël beweisen gegen sie. (Sévigné und Eliot sollten mehr sein als Schriftstellerinnen und waren es auch — zum Theil Nothbehelf) Ich verdamme sie zum Handel: der commis soll in Verachtung!

25 [125]

Maler wie Dickens, V. Hugo, Gautier — auch dies heißt das Wort mißverstehn.

Der Gegensatz des Malers ist der Beschreiber (wie Balzac)

25 [126]

(Taine über Balzac:)

“Die Tugend als Umformung oder Entwicklungsstufe einer Leidenschaft oder einer Gewohnheit”: l'orgueil, la roideur dèsprit, la niaiserie obéissante, la vanité, le préjugé, le calcul. Die Laster dienen dazu sie zu bilden (wie ein Parfum mit substances infectes) Der liebt die Armen wie ein Spieler das Spiel: Jener ist treu wie ein Hund. Der rechtschaffene aus Geschäftsstolz, Enge von Geist und Erziehung. Alle die kleinen Misères, die großen Häßlichkeiten des Tugendhaften. Die reinste Quelle der Tugend: la grandeur d'âme (M<arc> Aurel) und la délicatesse d’âme (P<rincesse> de Clèves)

25 [127]

Früher suchte man Gottes Absichten in der Geschichte: dann eine unbewußte Zweckmäßigkeit z. B. in der Geschichte eines Volkes, eine Ausgestaltung von Ideen usw. Jetzt erst hat man, durch Betrachtung der Thier-Geschichte, angefangen, den Blick für die Geschichte der Menschheit sich zu schaffen: und die erste Einsicht ist daß es keinen Plan bisher <gab>, weder für den Menschen, noch für ein Volk. Die allergröblichsten Zufälle sind das Gebieterische im Großen gewesen — sie sind es noch.

Bei jedem noch so zweckbewußten Thun ist die Summe des Zufälligen Nicht-Zweckmäßigen Zweck-Unbewußten daran ganz überwiegend, gleich der unnütz ausgestrahlten Sonnen-Gluth: das was Sinn hätte, ist verschwindend klein.

25 [128]

“Nützlich” ist nur ein Gesichtspunkt für die Nähe: alle fernen Folgen sind nicht zu übersehen, und jede Handlung kann gleich nützlich und gleich schädlich taxirt werden.

25 [129]

  1. Alle bisherigen Werthschätzungen stammen aus Zuständen tiefster Unwissenheit.
  2. In den gegenwärtigen Schätzungen gehn die verschiedensten Moralen durch einander.

25 [130]

Rousseau, in seiner Bevorzugung der Armen, der Frauen, des Volks als souverän, ist ganz in der christlichen Bewegung darin: alle sklavenhaften Fehler und Tugenden sind an ihm zu studiren, auch die unglaublichste Verlogenheit. Der will Gerechtigkeit lehren!)

Sein Gegenstück Napoleon — antik, Menschen-Verächter

25 [131]

Wer bisher mit dem M<enschen> im großen Stile zu thun hatte, taxirte ihn nach den Grund-Eigenschaften: es hat keinen Sinn, die zarteren Nuancen zu berücksichtigen. So that es Napoleon. Er machte sich nichts aus den christlichen Tugenden, nahm sie als gar nicht vorhanden (- er hatte ein Recht dazu)

25 [132]

Dies Jahrhundert, wo die Künste begreifen, daß die Eine auch Wirkungen der anderen hervorbringen kann: ruinirt vielleicht die Künste! z.B. mit Poesie zu malen (Victor Hugo, Balzac, W. Scott usw.

mit Musik poetische Gefühle erregen (Wagner) mit Malerei poetische Gefühle, ja philosophische Ahnungen zu erregen (Cornelius)

mit Romanen Anatomie und Irren-Heilkunde treiben usw.

25 [133]

“ce talent (Philosophie der Geschichte) ne consistait pas, à l allemande, dans l'improvisation risquée de théories sublimes” Taine

25 [134]

Princip: 1) Tiefe Verachtung gegen die an der Presse Arbeitenden. —
die Eroberung derMenschheit: 2) Eine Gattung von Wesen zu schaffen, die den Priester Lehrer und Arzt ersetzen.
“die Herren der Erde.” 3) Eine Geistes- und Leibes-Aristokratie, die sich züchtet und immer neue Elemente in sich hinein nimmt und gegen die demokratische Welt der Mißrathenen und Halbgerathenen <sich> abhebt.

25 [135]

In diesem Zeitalter, wo man begreift, daß die Wissenschaft anfängt, Systeme bauen, ist Kinderei. Sondern lange Entschlüsse über Methoden fassen, auf Jahrhunderte hin! — denn die Leitung der menschlichen Zukunft muß einmal in unsere Hand kommen!

— Methoden aber, die aus unserem Instinkte von selber kommen, also regulirte Gewohnheiten, die schon bestehen

z. B. Ausschluß der Zwecke.

25 [136]

Darstellung der Maschine “Mensch”

Cap. 1. Im Gesammt-Geschick der Menschheit herrschte absolut der Zufall: ab er die Zeit kommt, wo wir Ziele haben müssen!!

Cap. II. die Ziele sind nicht da, die Ideale widersprechen sich — sie sind Consequenzen viel engerer Verhältnisse und auch aus zahllosen Irrthümern geboren. Kritik der Werthe — Selbstzersetzung der Moral.

Cap. III. Bisheriges Mißverständniß der Kunst: sie schaute rückwärts. Aber sie ist die Ideal-bildende Kraft — Sichtbarwerden der innersten Hoffnungen und Wünsche

25 [137]

Ich schreibe für eine Gattung Menschen, welche noch nicht vorhanden ist: für die “Herren der Erde”.

Die Religionen als Tröstungen, Abschirrungen gefährlich: der Mensch glaubt sich nun ausruhen zu dürfen.

Im Theages Plato's steht es geschrieben: “jeder von uns möchte Herr womöglich aller Menschen sein, am liebsten Gott.“ Diese Gesinnung muß wieder da sein.

Engländer, Amerikaner und Russen — — — —

25 [138]

Der große Landschafts-Maler Turner, der statt zu den Sinnen, zur Seele und zum Geiste reden will — philosophische und humanitäre Epopeen. Er hielt sich für den ersten der Menschen, und starb toll. “In Mitte eines Sturms, die Sonne in den Augen, den Schwindel im Kopf” so fühlt sich der Zuschauer. “In Folge der tiefen Aufmerksamkeit auf le moral de l'homme ist seine optische sensibilité désaccordée. Unangenehm fürs Auge! übertrieben, brutal, schreiend, hart, dissonant.” Taine.

25 [139]

“Die Kunst will höhere Bewegungen hervorbringen, das Sinn-Vergnügen ist nur die Basis des Eindrucks, aber es muß mit Freude begleitet sein 1) Gefühl der Liebe für das gemalte Objekt 2) Begriff der Güte einer höheren Intelligenz 3) ein Aufschwung von Dankbarkeit und Verehrung für diese Intelligenz: Ruskin Freund Turners”

25 [140]

NB. Der höchste Mensch als Abbild der Natur zu concipiren: ungeheurer Überfluß, ungeheure Vernunft im Einzelnen, als Ganzes sich verschwendend, gleichgültig dagegen: — —

25 [141]

Ingres: l'inventeur au 19me siècle de la photographie en couleur pour la reproduction des Pérugin et des Raphaël. Delacroix c’est l'antipôle — Bild der décadence dieser Zeit, le gâchis, la confusion, la littérature dans la peinture, la peinture dans la littérature, la prose dans les vers, les vers dans la prose, les passions, les nerfs, les faiblesses de notre temps, le tourment moderne. Des éclairs du sublime dans tout cela.

Delacroix eine Art Wagner.

25 [142]

M<anette> Salomon I p. 197.

Delacroix — er hat Alles versprochen, Alles angekündigt. Seine Bilder? foetus von Meisterwerken; der Mensch, der, après tout, am meisten Leidenschaften erregen wird comme tout grand incomplet. Ein fieberhaftes Leben in allem, was er schafft, une agitation de lunettes, un dessin fou — — er sucht la boulette du sculpteur, le modelage de triangles qui n’est plus contour de la ligne d'un corps, mais l’expression, l épaisseur du relief de sa forme — harmoniste désaccordé, tragische Unterfarben, Höllendämpfe wie bei Dante. Es giebt keine Sonne. — Ein großer Meister für unsere Zeit aber, im Grunde la lie de Rubens.

25 [143]

Das Beste, was gegen die Ehe gesagt ist vom Gesichtspunkt des schaffenden Menschen Man<ette> Salomon I 200 sq. und 312.

25 [144]

1840 geht der romantisme einen Verband mit der Litteratur ein. peintres poètes. Vager Symbolism dantesque bei den Einen. Andere, mit deutschem Instinkt, durch die Lieder jenseits des Rheins verführt, wurden träumerisch, melancholisch, Walpurgis-Nacht. Ary Scheffer an der Spitze, malt weiße und lichte Seelen geschaffen durch Gedichte: Engel. Le sentimentalisme. Am anderen Ende un peintre de prose, Delaroche: geschickter Theater-Arrangeur, Schüler Walter Scotts und Delavigne’s, mit täuschenden Lokal-Farben — aber das Leben fehlt. — Solche Maler im Grund sterile Persönlichkeiten: sie könnten keinen Strom schaffen, keine eigentliche Schule. — Die Landschaft blieb gering geschätzt: sie hatte die Ideen der Vergangenheit gegen sich — Niemand wagte sich an das moderne Leben, Niemand zeigte den jungen Talenten ce grand côté dédaigné de l'art: la contemporanéité. — In dieser Ermüdung, und Verachtung der anderen Gattungen, schlossen sich alle Jungen an die beiden extremen Naturen an — die viel kleinere Zahl an Delacroix (le beau expressiv –), die Meisten an Ingres comme sauveur du Beau de Raphaël, römische Schule.

25 [145]

Rückkehr des Menschen zur nature naturelle, in der sich alte Culturen erfrischen. — Bruch mit der historischen Landschaft.

25 [146]

Wir wollen doch ja uns die Vortheile nicht entgehen lassen, die es hat, das Meiste nicht zu wissen und in einem kleinen Welt-Winkel zu leben. Der Mensch darf Narr sein — er darf sich auch Gott fühlen, es ist Eine Möglichkeit unter so vielen!

25 [147]

Man wird mir, sagen, daß ich von Dingen rede, die ich nicht erlebt, sondern nur geträumt habe: worauf ich antworten könnte: es ist eine schöne Sache, so zu träumen! Und unsere Träume sind zu alledem viel mehr unsere Erlebnisse als man glaubt — über Träume muß man umlernen! Wenn ich einige Tausend Mal geträumt habe zu fliegen — glaubt ihr nicht, daß ich auch im Wachen ein Gefühl und ein Bedürfniß vor den Meisten M<enschen> voraus haben werde — und — — —

25 [148]

Ich mußte Zarathustra, einem Perser, die Ehre geben: Perser haben zuerst Geschichte im Ganzen Großen gedacht. Eine Abfolge von Entwicklungen, jeder präsidirt ein Prophet. Jeder Prophet hat seinen hazar, sein Reich von tausend Jahren.

25 [149]

Die Solidarität des jüdischen Volks als Grundgedanke: man dachte nicht an eine Vertheilung nach den Verdiensten des Einzelnen. Renan I p. 54. Keine persönliche Vergeltung nach dem Tode: das Hauptmotiv der Märtyrer ist die reine Liebe zum Gesetz, der Vortheil, welchen ihr Tod dem Volke bringen wird.

25 [150]

Lue. 6, 25 der Fluch auf die, welche lachen —

25 [151]

“Seid gute Bankhalter!” Dem Armen geben — das ist Gott leihen.

25 [152]

Die Europäer verrathen sich durch die Art, wie sie colonisirt haben —

25 [153]

Jesus, mit der Melancholie der schlechten Ernährung.

25 [154]

“Schön” – c’est une promesse de bonheur. Stendhal. Und das soll “unegoistisch” sein! “désintéressé”!

Was ist da schön? Gesetzt, daß St<endhal> recht hätte, wie!

25 [155]

Man muß sich klar machen, was eigentlich die Meisten interessirt: was aber die höheren Menschen interessirt, das erscheint den niederen uninteressant, folglich die Hingebung daran etwas “Unegoistisches”!

Der Sprachgebrauch der modernen Moralität ist durch die niederen Menschen gemacht, die den Blick von unten herauf zur Moralität heben:

“aufopfernd” — aber wer wirklich Opfer bringt, weiß, daß es keine Opfer waren!

wer liebt, der erscheint schon anti-egoistisch! Aber das Wesen des ego-Gefühls zeigt sich ja nur im Haben-wollen, — man giebt weg, um zu haben (oder zu erhalten) Wer sich weggiebt, der will etwas damit erhalten, was er liebt.

25 [156]

Jesus: will, daß man an ihn glaubt, und schickt Alles in die Hölle, was widerstrebt. Arme, Dumme, Kranke, Weiber eingerechnet Huren und Gesindel, Kinder — von ihm bevorzugt: unter ihnen fühlt er sich wohl. Das Gefühl des Richtens gegen alles Schöne Reiche Mächtige, der Haß gegen die Lachenden. Die Güte, mit ihrem größten Contrast in Einer Seele: es war der böseste aller Menschen. Ohne irgend welche psychologische Billigkeit. Der wahnsinnige Stolz, welcher die feinste Lust an der Demuth hat.

25 [157]

Die höchsten Menschen leiden am meisten am Dasein — aber sie haben auch die größten Gegen-Kräfte.

25 [158]

Den ungeheuer zufälligen Charakter aller Combinationen erweisen: daraus folgt, daß jede Handlung eines Menschen einen unbegränzt großen Einfluß hat auf alles Kommende. Dieselbe Ehrfurcht, die er, rückwärts schauend, dem ganzen Schicksal weiht, hat er sich selber mit zu weihen. Ego fatum.

25 [159]

Den vollkommenen Pessimism imaginiren (Schopenhauer hat ihn verdorben?) Unerkennbarkeit. — in wie fern betrübend? (nur für eine dogmatisch geübte Menschheit!)

der Gedanke des Todes: “Todesfurcht” angezüchtet, “europäische Krankheit” (Mittelalterliche Todes-Sucht)

die Nutzlosigkeit alles Ringens — betrübend unter Voraussetzung moralischer Grundurtheile d. h. wenn etwas festgehalten wird als Maaßstab, — es könnte auch Anlaß zum Lachen sein!

der vollkommene Pessimism wäre der, welcher die Lüge begreift, aber zugleich unfähig ist, sein Ideal abzuwerfen: Kluft zwischen Wollen und Erkennen. Absoluter Widerspruch — der Mensch ein Dividuum zweier feindseligen Mächte, die zu einander nur Nein sagen.

Begehren absolut unentrinnbar, aber zugleich als dumm begriffen und geschätzt (d. h. ein zweites Gegen-Begehren!)

es gehört also zum Pessimism, daß er an gebrochenen, zweitheiligen Wesen hervortritt — es ist ein Zeichen des Verfalls — als Zeit-Krankheit. Das Ideal wirkt nicht belebend, sondern hemmend.

25 [160]

Die Consequenzen absterbender Rassen verschieden z. B. pessimistische Philosophie, Willens-Schwäche

wollüstige Ausbeutung des Augenblicks, mit hysterischen Krämpfen und Neigung zum Furchtbaren

Zeichen des Alters kann auch Klugheit und Geiz sein (China), Kälte.

Europa unter dem Eindrucke einer sklavenhaft gewöhnten furchtsamen Denkweise: eine niedrigere Art wird siegreich — seltsames Widerstreiten zweier Principien der Moral.

25 [161]

“Gleich den unsterblichen Göttern die Freunde, die Anderen alle Aber als Nieten zu achten, des Nennens nicht würdig, noch Zählens.”

25 [162]

Die Deutschen sind vielleicht nur in ein falsches Klima gerathen! Es ist Etwas in ihnen, das hellenisch sein könnte — das erwacht bei der Berührung mit dem Süden — Winckelmann Goethe Mozart. Zuletzt: wir sind noch ganz jung. Unser letztes Ereigniß ist immer noch Luther, unser einziges Buch immer noch die Bibel. Die Deutschen haben noch niemals “moralisirt”. Auch die Nahrung der Deutschen war ihr Verhängniß: die Philisterei

25 [163]

Charakteristik des Europäers: der Widerspruch zwischen Wort und That: der Orientale ist sich treu im täglichen Leben.

Wie der Europäer Colonien gegründet hat, beweist seine Raubthier-Natur.

Der Widerspruch erklärt sich daraus, daß das Christenthum die Schicht, aus der es wuchs, verlassen hat.

Dies ist unsere Differenz mit den Hellenen: ihre Sittlichkeit ist in den herrschenden Kasten gewachsen. Thukydides' Moral ist die gleiche, die überall bei Plato explodirt.

Ansätze zur Ehrlichkeit z. B. in der Renaissance: jedes Mal zum Besten der Künste. M<ichel>Angelo's Conception Gottes als “Tyrannen der Welt” war ehrlich.

Das Übergewicht des Weibes folgt daraus: und folglich eine ganz lügnerische “Schamhaftigkeit.” Es gehört beinah Verderbniß der Weiber dazu (wie in Paris), daß die Schriftsteller ehrlicher werden. — Der sklavenhafte Charakter der Moralität als einer von außen her gekommenen, nicht von uns geschaffenen, erzeugt fortwährend neue Formen ähnlicher Sklavereien z. B. die aesthetische (in Bezug auf das Alterthum) Es gehört fast Verderbniß des Charakters und Schwäche dazu beim Europäer, daß er sich von den Autoritäten emancipirt und “Geschmack” gewinnt.

Unsere “Allschmeckerei” ist die Folge der verschiedenen Moralen: wir sind in der “historischen Krankheit”.

25 [164]

Das “Objektiv-sein-wollen” z.B. bei Flaubert ist ein modernes Mißverständniß. Die große Form, die von allem Einzelreiz absieht, ist der Ausdruck des großen Charakters, der die Welt sich zum Bilde schafft: der von allem “Einzelreiz weit absieht” — Gewalt-Mensch. Es ist Selbst-Verachtung aber bei den Modernen, sie möchten wie Schopenhauer sich in der Kunst “los werden” — hineinflüchten in's Objekt, sich selber “leugnen”. Aber es giebt kein “Ding an sich” — meine Herren! Was sie erreichen, ist Wissenschaftlichkeit oder Photographie d. h. Beschreibung ohne Perspektiven, eine Art chinesischer Malerei, lauter Vordergrund und alles überfüllt. — In der That ist sehr viel Unlust in der ganzen modernen historischen und naturhistorischen Wuth — man flüchtet vor sich und auch vor dem Ideal-bilden, dem Besser — Machen, dadurch daß man sucht, wie Alles gekommen ist: der Fatalism giebt eine gewisse Ruhe vor dieser Selbst-Verachtung.

Die französischen Romanschriftsteller schildern Ausnahmen und zwar theils aus den höchsten Sphären der Gesellschaft, theils aus den niedrigsten — und die Mitte, der bourgeois, ist ihnen allen gleich verhaßt. Zuletzt werden sie Paris nicht los.

25 [165]

Negativer Charakter der “Wahrheit” — als Beseitigung eines Irrthums, einer Illusion. Nun war die Entstehung der Illusion eine Förderung des Lebens — —

25 [166]

Man soll in der Historie ja nicht nach Nothwendigkeit in Hinsicht auf Mittel und Zweck suchen! Es ist die Unvernunft des Zufalls die Regel! Die große Summe der Ereignisse repräsentiren Grund-Begierden eines Volks, eines Standes — das ist wahr! Im Einzelnen geht alles blind und dumm zu. Wie in einem Bache ein Blatt seinen Weg läuft, ob es schon hier und da aufgehalten wird.

25 [167]

Die Personen des Thucydides reden in Sentenzen des Thukydides: sie haben, nach seinem Begriff, den höchstmöglichen Grad von Vernunft, um ihre Sache durchzuführen. Da entdeckte ich den Griechen (manche Worte aus Plato dazu)

25 [168]

Erst Bilder — zu erklären, wie Bilder im Geiste entstehen. Dann Worte angewandt auf Bilder. Endlich Begriffe, erst möglich, wenn es Worte giebt — ein Zusammenfassen vieler Bilder unter etwas Nicht-Anschauliches, sondern Hörbares (Wort) Das klein Bischen Emotion, welches beim “Wort” entsteht, also beim Anschauen ähnlicher Bilder, für die Ein Wort da ist — diese schwache Emotion ist das Gemeinsame, die Grundlage des Begriffs. Daß schwache Empfindungen als gleich angesetzt werden, als dieselben empfunden werden, ist die Grundthatsache. Also die Verwechslung zweier ganz benachbarten Empfindungen in der Constatirung dieser Empfindungen — wer aber constatirt? Das Glauben ist das Uranfängliche schon in jedem Sinnes-Eindruck: eine Art ja-sagen erste intellektuelle Thätigkeit! Ein „Für-wahr-halten” im Anfange! Also zu erklären: wie ein “für-wahr-halten” entstanden ist! Was liegt für eine Sensation hinter „wahr”?

25 [169]

“Il n'a pas peur d’être de mauvais goût, lui.” Stendhal.

25 [170]

Die Frau bei den Griechen von Homer bis Pericles immer mehr zurückgedrängt: dies gehört zur Cultur der Griechen — eine gewisse Gewalt geübt gegen die weichen milden Gefühle. Ausbrechen der Gegenströmung z. B. Pythagoras und die Thiere. Der Schwache Leidende Arme — es giebt Sklaven-Aufstände, die Armut treibt zum Äußersten (Thucydides) Sonst sind alle großen Verbrechen die des Bösen aus Stärke.

25 [171]

Grund- Irrthum: wir legen unsere moral<ischen> Gefühle von heute als Maaßstab und messen darnach Fortschritt und Rückschritt. Aber jeder dieser Rückschritte wäre für ein entgegengesetztes Ideal ein Fortschritt.

“Vermenschlichung” — ist ein Wort voller Vorurtheile, und klingt in meinen Ohren beinahe umgekehrt als in euren Ohren.

25 [172]

Für die stete Wiederholung — – — usw. den Rhythmus der Reim-Dichtung sind wir musikalisch zu anspruchsvoll (vom mißverstandenenen Hexameter noch abgesehen!) Wie wohl thut uns schon die Form Platens und Hölderlins! Aber viel zu streng für uns! Das Spiel mit den verschiedensten Metren und zeitweilig das Unmetrische ist das Rechte: die Freiheit, die wir bereits in der Musik, durch R<ichard> W<agner>, erlangt haben! dürfen wir uns wohl für die Poesie nehmen! Zuletzt: es ist die einzige, die stark zu Herzen redet! — Dank Luther!

25 [173]

Die Sprache Luthers und die poetische Form der Bibel als Grundlage einer neuen deutschen Poesie — das ist meine Erfindung! Das Antikisiren, das Reim-wesen — alles falsch und redet nicht tief genug zu uns: oder gar der Stabreim Wagners!

25 [174]

Eine Kriegs-Erklärung der höheren Menschen an die Masse ist nöthig! Überall geht das Mittelmäßige zusammen, um sich zum Herrn zu machen! Alles, was verweichlicht, sanft macht, das “Volk” zur Geltung bringt oder das “Weibliche”, wirkt zu Gunsten des suffrage universel d. h. der Herrschaft der niederen Menschen. Aber wir wollen Repressalien üben und diese ganze Wirthschaft (die in Europa mit dem Christenthum anhebt) ans Licht und vor's Gericht bringen.

25 [175]

Goethe’s vornehme Isolirtheit — es bedarf für die Höchstgeborenen eine Art Burgen- und Raubritterthum. Ich will mich Napoleon's annehmen: er gehört in seiner Verachtung der “christlichen Tugenden” und der ganzen moralischen Hypokrisie zum Alterthum (Thucydides). Friedrich der Große vielleicht — aber als Deutscher zu sehr Mensch der Hintergedanken mit Hinter-seelen.

25 [176]

Die Tartüfferie der Macht seit dem das Christentum siegreich war. Der “christliche König” und “Staat”. Geschichte des Machtgefühls.

25 [177]

Der Character der Europäer zu beurtheilen nach ihrem Verhältniß zum Ausland, im Colonisiren: äußerst grausam

25 [178]

Die Ritterlichkeit als die errungene Position der Macht: ihr allmähliches Zerbrechen (und zum Theil: Übergang in's Breitere Bürgerliche). Bei La Rochefoucauld ist Bewußtsein über die eigentlichen Triebfedern der noblesse des Gemüths da — und christlich verdüsterte Beurtheilung dieser Triebfedern.

Fortsetzung des Christenthums durch die französische Revolution. Der Verführer ist Rousseau: er entfesselt das Weib wieder, das von da an immer interessanter — leidend dargestellt wird. Dann die Sklaven und M<istre>ss Stowe. Dann die Armen und die Arbeiter. Dann die Lasterhaften und Kranken — alles das wird in den Vordergrund gestellt (selbst um für das Genie einzunehmen, wissen sie seit 500 Jahren es nicht anders als den großen Leidträger darzustellen!) Dann kommt der Fluch auf die Wollust (Baudelaire und Schopenhauer), die entschiedenste Überzeugung, daß Herrschsucht das größte Laster ist, vollkommene Sicherheit darin, daß Moral und désintéressement identische Begriffe sind, <daß das> “Glück Aller” ein erstrebenswerthes Ziel <sei> (d. h. das Himmelreich Christi). Wir sind auf dem besten Wege: das Himmelreich der Armen des Geistes hat begonnen.

Zwischenstufen: der Bourgeois (in Folge des Geldes parvenu) und der Arbeiter (in Folge der Maschine)

Vergleich der griechischen Cultur und der französischen zur Zeit Louis XIV. Entschiedener Glaube an sich selber. Ein Stand von Müssigen, die es sich schwer machen und viel Selbstüberwindung üben. Die Macht der Form, Wille, sich zu formen. „Glück” als Ziel eingestanden. Viel Kraft und Energie hinter dem Formenwesen. Der Genuß am Anblick eines so leicht scheinenden Lebens. — Die Griechen sahen den Aeg<yptern> wie Kinder aus.

25 [179]

Der Mensch, als organisches Wesen, hat — Triebe der Ernährung (Habsucht)
Triebe der Ausscheidung (Liebe)
NB Hier nur die Innere Welt ins Auge gefaßt! (wozu auch die Regeneration gehört)

und im Dienste der Triebe einen Apparat der Selbstregulirung (Intellekt) (dahin gehört die Assimilation der Nahrung, der Ereignisse, der Haß usw.

25 [180]

Mein Begriff von „Aufopferung”. Ich mag diese Hypocrisie nicht! Natürlich, um durchzusetzen, was mir am Herzen liegt, werfe ich viel weg: manches auch, das mir “auch am Herzen liegt”! Aber die Hauptsache ist immer: dieses Wegwerfen ist nur Folge, Neben-Consequenz — die Hauptsache ist, daß mir Etwas mehr als alles Andere am Herzen liegt.

25 [181]

Die Fülle pöbelhafter Instinkte unter dem jetzigen aesthetischen Urtheil der französischen Romanschriftsteller. — Und zuletzt: es giebt viel Verborgenes, was sie nicht heraussagen wollen, ganz wie bei R<ichard> W<agner> 1) ihre Methode ist leichter bequemer, die wissenschaftliche Manier der Stoff-Masse und der Colportage, es bedarf des großen Principien-Lärms, um diese Thatsache zu verhüllen — aber die Schüler errathen es, die geringeren Talente 2) der Mangel an Zucht und schöner Harmonie in sich macht ihnen das Ähnliche interessant, sie sind neugierig mit Hülfe ihrer niedrigen Instinkte, sie haben den Ekel und die Aegide nicht 3) ihr Anspruch auf Unpersönlichkeit ist ein Gefühl, daß ihre Person mesquin ist z. B. Flaubert, selber seiner satt, als “bourgeois” 4) sie wollen Viel verdienen und Skandal machen als Mittel zum großen momentanen Erfolg.

25 [182]

Die Psychologie dieser Herren Flaubert ist in summa falsch: sie sehen immer nur die Außen-Welt wirken und das ego geformt (ganz wie Taine?) — sie kennen nur die Willens-Schwachen, wo désir an Stelle des Willens steht.

25 [183]

Ich will einmal zeigen, wie Schopenhauers Mißverständniß des Willens ein “Zeichen der Zeit” ist — es ist die Reaction gegen die Napoleonische Zeit, man glaubt nicht mehr an Heroen d. h. Willensstärke. (In “Stello” steht das Bekenntniß: “es giebt keine Heroen und Monstra” — antinapoleonisch)

25 [184]

Die Malerei an Stelle der Logik, die Einzel-Beobachtung, der Plan, das überwiegen des Vordergrundes, der tausend Einzelheiten — alles schmeckt nach den Bedürfnissen nervöser Menschen, bei R<ichard> W<agner> wie bei den Goncourts.

R<ichard> W<agner> gehört in die französische Bewegung: Helden und Monstra, extreme Passion und dabei lauter Einzelheiten, momentaner Schauder.

25 [185]

 (Psychologie)

25 [186]

Der Anblick großer Gebärden als Ursachen großer Handlungen — Folge von Corneille und Racine.

25 [187]

Voltaire, als er Mahomet mißverstand, ist in der Bahn gegen die höheren Naturen; Napoleon hatte Recht, sich zu entrüsten.

25 [188]

Napoleon: Religion als Stütze guter Moral, wahrer Principien, guter Sitten. Et puis l'inquiétude de l'homme est telle, qu'il lui faut ce vague et ce merveilleux qu’elle lui présente. Es ist besser, er sucht es da, als bei Gaunern und Cagliostro's.

25 [189]

Die Bergpredigt: il se disait ravi, extasié de la pureté, du sublime et de la beauté d'une telle morale.

25 [190]

“J'ai refermé le gouffre anarchique et débrouillé le chaos. J'ai déssouillé la révolution, ennobli les peuples et raffermi les rois. J'ai excité toutes les émulations, récompensé tous les mérites et reculé les limites de la gloire. Tout cela est bien quelque chose!”

25 [191]

Zur Erklärung der Erfolge Muhamet's in 13 Jahren: vielleicht gab es lange Bürgerkriege vorher (meint Napoleon) unter welchen sich große Charaktere, große Talente, unwiderstehliche Impulsionen usw. gebildet hatten

25 [192]

Die “erste Ursache” ist, wie “das Ding an sich”, kein Räthsel, sondern ein Widerspruch.

25 [193]

Die Nachtheile der Vereinsamung, da der sociale Instinkt am besten vererbt ist — die Unmöglichkeit, noch sich selber zu bestätigen durch anderer Zustimmung, das Gefühl von Eis, der Schrei “Liebe mich” — die cas pathologiques wie Jesus. Heinrich von Kleist und Goethe (Käthchen von Heilbronn)

25 [194]

Andrea Doria — Eins liegt ihm am Herzen, dem opfert er Alles Andere. Verräther seiner Freunde, Freund seiner Feinde. Ganz vereinsamt und eisig. Der Hund. Grausam gegen seine Neffen.

25 [195]

Idealisten — z. B. am Himmel das Maaß, die Ordnung, die ungeheure Art von System und Einfachheit schaudernd-bewundernd, stellen die Dinge fern, sehen das Einzelne hinweg. Die Realisten wollen den entgegengesetzten Schauder, den des Unzählig-Vielen: deshalb überhäufen sie den Vordergrund, ihr Genuß ist der Glaube an den Überreichthum der schöpferischen Kräfte, die Unmöglichkeit, zählen zu können.

25 [196]

Vielheit der Eigenschaften und deren Band — mein Gesichtspunkt. Die Doppel-Zwillings-Kräfte z. B. bei Wagner Poesie und Musik; bei den Franzosen Poesie und Malerei; bei Plato Poesie und Dialektik usw. Die Vereinzelung einer Kraft ist eine Barbarei – „umgekehrte Krüppel”.

25 [197]

Der Natur-Geschmack des vorigen Jahrhunderts erbärmlich. Voltaire Ferney. Caserta. Rousseau Clarens!

25 [198]

Die höheren Naturen haben alle Verbrechen begangen: nur daß sie nicht so thierisch-sichtbar sind. Aber Verrath, Abfall, Tödtung, Verleugnung usw.

25 [199]

Den ganz großen Menschen ist die Lippe über ihr Innerstes geschlossen — keine Möglichkeit, jemandem zu begegnen, dem sie sich öffneten — Napoleon z. B. Düster —

25 [200]

Wie sich die aristokratische Welt immer mehr selber schröpft und schwach macht! Vermöge ihrer noblen Instinkte wirft sie ihre Vorrechte weg und vermöge ihrer verfeinerten Über-Cultur interessirt sie sich für das Volk, die Schwachen, die Armen, die Poesie des Kleinen usw.

25 [201]

Man muß die Grade wieder aufrichten und es unmöglich machen, daß ein dummes Weib einen höheren Rang von Moral beanspruchen kann.

25 [202]

Die Gegensätze sich paarend wie Mann und Weib zur Zeugung von Etwas Drittem — Genesis der Werke der Genie’s!

25 [203]

Mißverständniß der gloria, als Motiv der Schaffenden gedacht!! Vanité ist Heerden-Instinkt, Stolz Sache des Vor-Ochsen.

25 [204]

“l'amour, nach Napoleon, l'occupation de l'homme oisif, la distraction du guerrier, l’écueil du souverain.”

25 [205]

Charakter des Franzosen: immer les Gaulois d'autrefois: la légèreté, la même inconstance et surtout la même vanité. Wann werden wir sie endlich gegen ein wenig Stolz eintauschen können!

25 [206]

“Die Menschen sind nicht undankbar: aber der Wohlthäter erwartet meist zu viel”.

Er sagt, die Menschen verändern sich, im Guten wie im Bösen. Er meint, die allermeisten Handlungen sind nicht Charakter-Handlungen, sondern Moment-Handlungen, welche nichts für den Charakter beweisen.

25 [207]

Die Wohlthaten, die wir empfangen, sind bedenklicher als alle Unglücke: man will Macht auf uns ausüben. — Es sollte zu den Vorrechten gehören, Wohl zu thun. Die griechische Empfindung, welche das „Zurückgeben können“ streng nahm, war vornehm.

25 [208]

Das Unglück in der großen Hypocrisie aller alten Moral-Philosophen. Sie übten die Phantasie der Menschen darauf ein, von einander Tugend und Macht zu trennen. Macht erscheint als Anspruch auf Glück — das ist noch antik daran, Nachklang der aristokratischen Grundform. Von Sokrates an wird trotzdem die aoeth falsch verstanden, — sie mußte sich immer wieder erst begründen und wollte es doch nicht individuell thun! sondern tyrannisch “gut für Alle!” Versuch kleiner Staaten-Gründungen im Staate: wie jetzt bei den Muhamedanern Nord-Afrikas.

25 [209]

Ich bin keinem begabten Menschen begegnet, der mir nicht gesagt hätte, er habe das Gefühl der Pflicht verloren oder es nie besessen. Wer jetzt nicht starken Willen hat —

25 [210]

Die ehemaligen Mittel, gleichartige dauernde Wesen durch lange Geschlechter zu erzielen: unveräußerlicher Grundbesitz, Verehrung der Älteren (Ursprung des Götter- und Heroen glaubens als der Ahnherren)

Jetzt gehört die Zersplitterung des Grundbesitzes in die entgegengesetzte Tendenz: eine Zeitung (an Stelle der täglichen Gebete) Eisenbahn Telegraph. Centralisation einer ungeheuren Menge verschiedener Interessen in Einer Seele: die dazu sehr stark und verwandlungsfähig sein muß.

25 [211]

Es bedarf einer Lehre, stark genug, um züchtend zu wirken: stärkend für die Starken, lähmend und zerbrechend für die Weltmüden.

25 [212]

“Hungriger Männer Schnack ist langweilig.”

25 [213]

Die Tartüfferie (unter allen herrschenden Schichten) in Europa (oder die Moral unter dem Eindruck des Christenthums)

Die Hysterie in Europa (Müssiggang, geringe Nahrung, wenig Bewegung — bricht in religiösen Wahnsinn aus wie bei den Indern. Mangel an geschlechtlicher Befriedigung.) Vortheil, daß sich die religiosi nicht fortpflanzten.

Die Pedanterie des Sclaven und Nichtkünstlers als Glaube an die Vernunft, die Zweckmäßigkeit. Tritt auf als Nachwirkung der aesthetischen Zeitalter (welche lehren alles einfacher sehen als es ist: Oberflächlichkeit der griechischen Moralisten, insgleichen der Franzosen des 18ten Jahrhunderts

Jetzt bei den Engländern als Moral (die Zufriedenheit mit der Comfort-Existenz, das Problem, glücklich zu leben, scheint ihnen gelöst: das spiegelt sich wieder in ihrer Denkweise.

Das Sklavenmäßige als Verlangen nach Autorität. Luther.

25 [214]

Meine Vollendung des Fatalismus:

  1. durch die ewige Wiederkunft und Präexistenz
  2. durch die Elimination des Begriffs „Wille”.

25 [215]

Physikalisches Problem, den Zustand zu erfinden, der + und — ist.

25 [216]

Der Mangel an mächtigen Seelen, auch bei den Weisen.

Tartüfferie der Erkennenden vor sich selber: “Erkenntniß um ihrer selber willen!”

Objektivität — als modernes Mittel, sich loszuwerden, aus Geringschätzung (wie bei Flaubert)

die Logiker und Mathematiker und Mechaniker und ihr Werth. Wie viel Schwindel auch da herrscht!

Die Schauspielerei der Alten: Socrates, der Pöbel sieht in der Tugend sein Ideal d. h. das Glück in der Befreiung von schmerzbringenden über heftigen pöbelhaften Begierden. Die Begierdenlosigkeit als Ziel der Erkenntniß. (“Alles hat wenig Werth” muß als Resultat kommen)

Der Mangel der mächtigen
der vornehmen
der reichen und vielfachen
der gesunden
Seele bei den Philosophen bisher.

25 [217]

Wikingszüge, Staatsverfassung und Sitten der alten Skandinavier. Von Stinnholm. Übers<etzung> v<on> Frisch. (Hamburg, Perthes 1879.

25 [218]

Werth des Antisemitismus, die Juden zu treiben, sich höhere Ziele zu stecken und ein Aufgehen in nationale Staaten zu niedrig zu finden.

25 [219]

Die Bewaffnung des Volks — ist schließlich die Bewaffnung des Pöbels.

25 [220]

Menschen wie mir zu nützen ist schwer: ich lerne immer mehr, wie viel Oberflächlichkeit und Dreistigkeit in den Handlungen steckt, mit denen man mir “wohl zu thun” glaubt.

Ich liebe seit lange keinen Menschen mehr: die paar vorzüglichen Talente, denen ich förderlich sein kann, will ich mir nicht durch Albernheiten einer tückischen Gans rauben lassen — dies Förderlich-sein ist beinahe meine einzige Genugthuung, die ich bisher aus dem Verkehre gehabt habe.

25 [221]

Die Aufgabe ist, eine herrschende Kaste zu bilden, mit den umfänglichsten Seelen, fähig für die verschiedensten Aufgaben der Erdregierung. Alle bisherigen Einzel-Fähigkeiten in Eine Natur zu centralisiren.

Stellung der Juden dazu: große Vorübung in der Anpassung. Sie sind einstweilen die größten Schauspieler darum; auch als Dichter und Künstler die glänzendsten Nachmacher und Nachfühler. Was ihnen anderseits fehlt. Wenn erst das Christenthum vernichtet ist, wird man den Juden gerechter werden: selbst als Urhebern des Christenthums und des höchsten bisherigen Moral-Pathos.

25 [222]

Das 20te Jahrhundert hat zwei Gesichter: eines des Verfalls. Alle die Gründe, wodurch von nun an mächtigere und umfänglichere Seelen als es je gegeben hat (vorurtheilslosere, unmoralischere) entstehen könnten, wirken bei den schwächeren Naturen auf den Verfall hin. Es entsteht vielleicht eine Art von europäischem Chinesenthum, mit einem sanften buddhistisch-christlichen Glauben, und in der Praxis klug-epikureisch, wie es der Chinese ist — reduzirte Menschen.

25 [223]

Der Grundtrieb des englischen Philosophirens ist Comfortismus.

25 [224]

Wenn es zu deiner Gesundheit nöthig ist, wohlan! was liegt daran! Aber mache keinen Lärm darum! Es ist lächerlich, begeistert von grünen Gemüsen zu reden — wer so thut, hat wenig im Kopfe!

25 [225]

Die Erd-Regierung ist ein nahes Problem. Die radikale Frage ist: muß es Sklaverei geben? Oder vielmehr: es ist gar keine Frage, sondern die Thatsache: und nur der verfluchte englisch-europäische Cant macht — — —

In Wahrheit giebt es immer Sklaverei — ob ihr es wollt oder nicht! Z. B. der preußische Beamte. Der Gelehrte. Der Mönch.

25 [226]

Der Tod. Man muß die dumme physiologische Thatsache in eine moralische Nothwendigkeit umdrehen. So leben, daß man auch zur rechten Zeit seinen Willen zum Tode hat!

25 [227]

Die ewige Wiederkunft.

Meinen Brüdern geweiht.

Aber wo seid ihr, meine Brüder?

Einleitung.

Was haben eigentlich bisher Philosophen gewollt? Rückblick von den Brahmanen an.

Ich will den Gedanken lehren, welcher Vielen das Recht giebt, sich durchzustreichen — den großen züchtenden Gedanken.

25 [228]

Die Frage der Ehe. Einrichtung zu treffen für den Schaffenden: denn da ist ein Antagonismus zwischen Ehe und Werk.

25 [229]

Hauptthema. Die Intelligenz muß Herr sein über das Wohlwollen: es muß neu abgeschätzt werden, und der grenzenlose Schaden, der fortwährend durch Akte des Wohlthuns gethan wird. Ironie der Mutter liebe.

25 [230]

Über „Völker” führen die Sprachen irr: die auch am meisten der höheren Erkenntniß schaden.

25 [231]

Die Irrthümer über das Gleiche und Ähnliche 1) weil es gleich aussieht 2) weil es gleich sich bewegt 3) weil es gleiche Töne von sich giebt.

25 [232]

Die Nothwendigkeit der Sklaverei.

25 [233]

Der Bildner (Abweisung des bisherigen „Idealismus” und seiner Spielerei mit Bildern. Es handelt sich um den Leib.

25 [234]

In Europa sind die Juden die älteste und reinste Rasse. Deshalb ist die Schönheit der Jüdin die höchste.

25 [235]

Die Affen sind zu gutmüthig, als daß der Mensch von ihnen abstammen könnte.

25 [236]

Die Zähmung des Menschen ist bisher als “Moral” mißverstanden.

25 [237]

Eine unbeschreiblich milde feste entschlossene und herzliche Betrachtung aller Dinge im I Zarathustra.

25 [238]

“Philosophie der Zukunft”

1. Die moralische Tartüfferie.

2. Die Nothwendigkeit der Sklaverei (der Mensch als Werkzeug-)

3. Der Verfall Europa's.

25 [239]

Die Freiheit des Willens von 2 entgegengesetzten Antrieben aus gelehrt: “liberum arbitrium kann nie gezwungen werden, denn wo Zwang ist, ist keine Freiheit, und wo keine Freiheit, da ist kein Verdienst” — aber die anderen schließen: “da giebt es keine Schuld “. Die Ersten wollen aus Stolzgefühl, die anderen aus “Sündengefühl” und “Demuth” den Satz vom freien Willen.

25 [240]

Es gab in Deutschland bisher noch keine Cultur, sondern immer nur mystische Separatisten. Immer nur Einzelne – das ist Trost!

25 [241]

Die Musik als Nachklang von Zuständen, deren begriffliche Ausdruck Mystik war — Verklärungs-Gefühl des Einzelnen, transfiguration. Oder: die Versöhnung der inneren Gegensätze zu etwas Neuem, Geburt des Dritten.

25 [242]

Zur Signatur des Sklaven: die Werkzeug-Natur kalt, nützlich, — ich betrachte alle Utilitarier als unwillkürliche Sklaven. Menschen-Bruchstücke — das zeichnet die Sklaven.

25 [243]

Erster Grundsatz: keine Rücksicht auf die Zahl: die Masse, die Elenden und Unglücklichen gehen mich wenig an — sondern die ersten und gelungensten Exemplare, und daß sie nicht aus Rücksicht für die Mißrathenen (d.h. die Masse) zu kurz kommen

Vernichtung der Mißrathenen — dazu muß man sich von der bisherigen Moral emancipiren.

25 [244]

Wir müssen das Christenthum auch noch aus vieler Musik heraushören und es überwinden.

25 [245]

Einzelne Werkzeuge.

1. Die Befehlenden Mächtigen — welche nicht lieben, es sei denn die Bilder, nach denen sie schaffen die Vollen Vielfachen Unbedingten, welche das Vorhandene überwinden

2. Die Freigelassenen Gehorsamen — Liebe und Verehrung ist ihr Glück (Aufhebung ihrer Unvollständigkeit im Anblick des Höheren)

3. Die Sklaven „Knechtsart” — Behagen ihnen zu schaffen, Mitleiden unter einander

25 [246]

Im ersten Theil ist der Verfall und seine Nothwendigkeit klarzumachen! In wiefern der Sklave Herr geworden ist, ohne die Tugenden des Herrn zu haben

der Adel ohne das Fundament der Abkunft und Reinhaltung

die Monarchen, ohne die ersten Menschen zu sein.

25 [247]

Zu 1) die Verzweiflung und Unsicherheit in aller Form kommt an Zarathustra heran — er giebt die Erklärung.

“Du bist ein Sklave” sagt er zum Könige, auch zum Philosophen.

Wer soll der Erde Herr sein? Das ist der Refrain meiner praktischen Philosophie.

Was ist da zu verwundern? Ihr habt den Sklaven zum Herrn gemacht. Refrain.

“der kleinste Mensch“

“wo geschahen mehr Thorheiten als bei den Mitleidigen” sagt Zarathustra zum Weibe

“Vaterland und Volk” — wie die Sprache irre führt!

25 [248]

“Deutschland, Deutschland über Alles” — ist vielleicht die blödsinnigste Parole, die je gegeben worden ist. Warum überhaupt Deutschland — frage ich: wenn es nicht Etwas will, vertritt, darstellt, was mehr Werth hat, als irgend eine andere bisherige Macht vertritt! An sich nur ein großer Staat mehr, eine Albernheit mehr in der Welt.

25 [249]

Letzte Rede: Hier der Hammer, der die Menschen überwindet

ist der Mensch mißrathen? wohlan, erproben wirs, ob er diesen Hammer aushält!

dies ist der große Mittag der Untergehende segnet sich er wahrsagt vom Untergang Zahlloser Einzelner und Rassen ich bin das fatum

ich habe das Mitleiden überwunden — jauchzen des Künstlers beim Geschrei des Marmors.

die Thiere und die Pflanzen ertragen diesen Gedanken (er wendet sich an seine Thiere)

“Fort von mir!” — lachend geht er davon.

Im letzten Theile wird Zarathustra immer fremder, ferner, stiller in seinen Reden. Endlich versinkt er in das tiefste Schweigen — 7 Tage lang. Während dem entsteht die Empörung, der stumme Druck bei den Jüngern.

— ihre Loslösung, das Auseinanderfliehen, Gewitter und Sturm. Das Weib will ihn tödten, als seine letzten Jünger entschlossen sind, ihm ihr Nein zu sagen.

25 [250]

Leo Gfrörer — “Gustav Adolf”

Walter Rogge „parlament<arische> Grössen”

25 [251]

Für das Princip „Deutschl<and> D<eutschland> über Alles” oder für das deutsche Reich sich zu begeistern, sind wir nicht dumm genug.

25 [252]

Es hat nicht jeder das Recht, über jedes zu reden: ebenso wie nicht jedes in jede Hand genommen werden darf. Ich nenne <das> “die Maul- und Klauen-Seuche”

25 [253]

Wie kann man nur dem Einzelnen Freiheit geben wollen gleich Luther in den höchsten Dingen! Zuletzt ist der Instinkt der Heerde stärker und sie fallen sofort wieder in die Knechtschaft (z. B. die Protestanten vor den erbärmlichsten kleinen Fürsten, — ein Bedientenvolk

25 [254]

Die Werthschätzungen der Kirche sind die von Sklaven. Die tiefe Verlogenheit ist europäisch. Wer auf Europäer im großen Umfange wirken will, hat bisher die moral<ische> Tartüfferie nöthig gehabt (z. B. der erste Napoleon in seinen Proklamationen, neuerdings R. Wagner vermöge seiner Attitüden-Musik).

Das “Wohl der Meisten” als Princip selbst bei Fürsten!

25 [255]

Die Zukunft ist kaum in's Auge bisher gefaßt worden, außer bei den Römern.

25 [256]

Im Orient erstarrten Völker unter der Herrschaft Eines Sittengesetzes. Europa lebendig geblieben unter der Herrschaft von 2 entgegengesetzten.

Die Geschichte Europas seit der römischen Kaiserzeit ist ein Sklavenaufstand.

25 [257]

Ohne Platonismus und Aristotelismus keine christliche Philosophie.

25 [258]

Begriff des Mystikers: der an seinem eigenen Glück genug und zuviel hat und sich eine Sprache für sein Glück Sucht, — er möchte davon wegschenken!

25 [259]

Man vergleiche die Wikinger zu Hause und in der Ferne: ehernes und goldenes Zeitalter, je nach dem Gesichtspunkt. Ebenso der große Mensch der Renaissance! Der Wurm des Gewissens ist eine Sache für den Pöbel, und eine wahre Verderbniß vornehmer Gesinnung.

Jeder großgesinnte Mensch hat alle Verbrechen gethan; ob juristisch, das hängt mit der Milde und Schwäche der Zeit zusammen. Aber man denke an Luther usw. Und Christus — der die, welche ihn nicht liebten, in der Hölle braten ließ!

Daß man viele schlimme Handlungen thut und aushält, emporgehalten durch Größe der Denkweise, welche sich nicht fürchtet vor der Verurtheilung des Rufes — eine ursprüngliche Festigkeit und Größe, abgesehen von angelernten Werthschätzungen. (Bei Rée fehlen alle ursprünglichen Menschen)

Bismarck zu charakterisiren.

Ebenso Napoleon — ein Wohlgefühl sonder Gleichen gieng durch Europa: das Genie soll Herr sein, der blödsinnige “Fürst” von ehedem erschien als Caricatur. — Nur die Dümmsten opponirten, oder die, welche den größten Nachtheil von ihm hatten (England)

Man versteht große Menschen nicht: sie verzeihen sich jedes Verbrechen, aber keine Schwäche. Wie Viele bringen sie um! Jedes Genie — was für eine Wüstenei ist um ihn!

Wer der Mensch “seines Verbrechens” wird, steht eben nicht erhaben genug über dem Urtheil.

25 [260]

Der Weg der Freiheit ist hart. I Th<eil>

25 [261]

Das hohe Individuum giebt sich alle die Rechte, welche der Staat sich erlaubt — zu tödten, zu vernichten, zu spioniren usw. Die Feigheit und das schlechte Gewissen der meisten Fürsten hat den Staat erfunden und die Phrase vom bien public. Der rechte Mann hat es immer als Mittel in seiner Hand benutzt, zu irgend einem Zwecke.

Die Cultur ist nur in vornehmen Culturen entstanden — und bei Einsiedlern, welche um sich Alles niederbrannten mit Verachtung.

25 [262]

Idealismus des Sclaven, der der Lügner ist: grösster Typus davon ein Papst!

25 [263]

Der moderne Socialismus will die weltliche Nebenform des Jesuitismus schaffen: jeder absolutes Werkzeug. Aber der Zweck ist nicht aufgefunden bisher. Wozu!

25 [264]

Die Nihilisten sollten sich nicht erniedrigen durch europäische Ziele: sie wollen nicht mehr Sklaven sein —

25 [265]

Es hat nicht jeder das Recht zu jedem Problem z. B. Dühring, Luther — dafür Gedanken- und Preßfreiheit. —

25 [266]

Es galt mir als Zeichen von „Armut am Geiste”, Schopenhauer und Hartmann in Einem Athem <zu> nennen.

25 [267]

Krankheit und Gedrücktheit bringen eine Art von Irrsinn hervor: ebenso harte mechanische Arbeit.

25 [268]

Der Bauer als die gemeinste Art von noblesse: weil er am meisten von sich abhängig ist. Bauernblut ist noch das beste Blut in Deutschland: z. B. Luther Niebuhr Bismarck

Wo ist eine vornehme Familie, in deren Blut nicht venerische Ansteckung und Verderbniß ist?

Bismarck ein Slave. Man sehe nur die Gesichter der Deutschen an (man begreift die Verwunderung Napoleons, als er den Dichter des Werther sah und einen Mann zu sehen bekam!): alles, was männliches überströmendes Blut in sich hatte, gieng in's Ausland: über die erbärmliche zurückbleibende Bevölkerung, das Bedienten-Seelen-Volk, gieng vom Ausland her eine Verbesserung, zumal durch Slavenblut.

Der märkische Adel und der preußische Adel überhaupt (und der Bauer gewisser norddeutscher Gegenden) enthält gegenwärtig die männlichsten Naturen in Deutschland.

Daß die männlichsten Männer herrschen, ist in der Ordnung.

25 [269]

Wir sind ja keine albernen Keuschheits-Fasler: wenn man ein Weib braucht, wird man schon ein Weib finden, ohne darum Ehen zu brechen und Ehen zu gründen.

25 [270]

  1. Grundsatz: es giebt keinen Gott. Er ist so gut widerlegt, als irgend ein Ding. Man muß ins „Unbegreifliche” flüchten, um seine These durchzusetzen. Folglich ist es von jetzt ab Lüge oder Schwäche, an Gott zu glauben.
  2. Grundsatz: die männlichsten Männer sollen herrschen, und nicht die Halb-Weiber, die Priester und Gelehrten: — gegen die katholische Schwärmerei Comte’s
  3. Grundsatz: jenseits der Herrschenden, losgelöst von allen Banden, leben die höchsten Menschen: und in den Herrschenden haben sie ihre Werkzeuge.

Krieger, Land-Bauern, Stadt-Industrie, am tiefsten die Händler.

25 [271]

Der Bauer in Luther schrie über die Lüge des “höheren Menschen” an den er geglaubt hatte: “es giebt gar keine höheren Menschen” — schrie er.

25 [272]

Bismarck wollte mit dem Parlament für den leitenden Staatsmann einen Blitzableiter schaffen, eine Kraft gegen die Krone und unter Umständen einen Hebel zur Pression auf das Ausland: — er hat da auch seinen Sünden- und Unfallsbock.

25 [273]

Nach dem Grade der Unabhängigkeit von Ort und Zeit nimmt die noblesse zu. Menschen der höchsten Cultur, aus starken Leibern, stehen über allen Souveränen.

25 [274]

Der zahme Mensch und der gezähmte Mensch — das ist die große Masse.

25 [275]

Wer das Opfer Einer Leidenschaft ist, steht nicht hoch genug:

er sollte ihr ent — — —

25 [276]

Die Zukunft unserer Erziehungs-Anstalten

der recht verstandene R. Wagner

der recht verstandene Schopenhauer. Ihn ekelt an, was mich anekelt.

25 [277]

Entschluß. Ich will reden, und nicht mehr Zarathustra

25 [278]

Die Bösen, das sind mir namentlich die, welche als Könige usw. das falsche Bild des mächtigsten Menschen geben, auf Macht von Heeren, Beamten gestützt (selbst Genie’s ohne innere Vollendung wie Friedrich der Große und Napoleon), welche die Frage wozu? entstehen lassen.

25 [279]

bien public ist das Sirenenlied: damit werden die niedrigen Instinkte geködert.

25 [280]

Die noble Einfachheit des Spaniers, sein Stolz.

25 [281]

Lob der Nihilisten: lieber vernichten und selber zu Grunde gehn!

25 [282]

“Stil”.

Nachahmung — als Talent des Juden. „Sich anpassen an Formen” — daher Schauspieler, daher Dichter wie Heine und Lipiner.

25 [283]

Ehedem suchte man sein zukünftiges Heil auf Kosten seines gegenwärtigen. So lebt jeder Schaffende in Hinsicht auf sein Werk. Und die große Gesinnung will nun, daß in Hinsicht auf die Zukunft des Menschen ich auf Kosten gegenwärtigen Behagens lebe

25 [284]

Das Lob des dévouement und héroisme zu verachten — aus Verachtung gegen die Lobenden des Mitleidens bin ich beinah hart geworden.

25 [285]

Mein Haß gegen die großen Phrasen in Bezug auf mich. Wer könnte es mit seiner Phantasie erreichen, was ich alles mir bisher im Leben zugemuthet habe und welche Opfer ich gebracht habe, auch unter was für Widerständen ich meinen harten Gang weiter gegangen bin, eingerechnet, daß ich, was Länge und Stärke körperlicher Martern betrifft, vielleicht zu den erfahrensten Menschen gehöre. Und nun mich plötzlich wieder zu sehen in dem verkleinerten Aspekt durch die verkleinernden Augen von Verwandten Freunden, kurz von Jemanden , überschüttet von Verdächtigungen, ebenso wie von Vorwürfen der Schwäche, nebst Ermahnungen. — Und wer hätte auch nur das Recht mich zu ermuthigen!

25 [286]

den Deutschen einen höheren Rang unter den Völkern geben — weil der Zarathustra deutsch geschrieben ist. —

25 [287]

Egoismus! Aber noch Niemand hat gefragt: was für ein ego! Sondern jeder setzt unwillkürlich das ego jedem ego gleich. Das sind die Consequenzen der Sklaven-Theorie vom suffrage universel und der „Gleichheit”.

25 [288]

Bei der Schönheit bleibt das Auge sehr an der Oberfläche. Aber es muß Schönheit noch in jedem inneren Vorgange des Leibes geben: alle seelische Schönheit ist nur ein Gleichniß, und etwas Oberflächliches gegen diese Menge von tiefen Harmonien.

25 [289]

Meine Rede gegen die Bösen (welche den Sklaven schmeicheln –)

die Weltverleumder

die Guten (welche glauben, daß Wohlthun leicht sei und für Jedermann)

(gegen die Pfaffenluft, auch die Pfarrhäuser-Luft

25 [290]

Zeitalter der Versuche.

Ich mache die große Probe: wer hält den Gedanken der ewigen Wiederkunft aus? — Wer zu vernichten ist mit dem Satz “es giebt keine Erlösung”, der soll aussterben. Ich will Kriege, bei denen die Lebensmuthigen die Anderen vertreiben: diese Frage soll alle Bande auflösen und die Weltmüden hinaustreiben — ihr sollt sie ausstoßen, mit jeder Verachtung überschütten, oder in Irrenhäuser sperren, sie zur Verzweiflung treiben usw.

25 [291]

Man verstehe doch recht: die Nächstenliebe ist ein Recept für solche, welche schlimm gefahren sind in der Mischung der Eigenschaften. Ihre Verehrer wie Comte geben zu verstehen, daß sie sich satt haben.

25 [292]

Man hat mit der grandiosen Paradoxie “der Gott am Kreuze” allen guten Geschmack in E<uropa> auf Jahrtausende verdorben: <es> ist ein schauerlicher Gedanke, ein Superlativ des Paradoxen. Ebenso wie die Hölle bei einem Gott der Liebe. Es kam da ein esprit barroco auf, gegen welchen das Heidenthum sich nicht mehr aufrecht halten konnte

25 [293]

Daß wir wieder Homer empfinden, betrachte ich als den größten Sieg über das Christenthum und christliche Culturen: daß wir die christliche Verzärtelung, Verhäßlichung, Verdüsterung, Vergeistigung satt haben

25 [294]

Man muß an der Kirche die Lüge empfinden, nicht nur die Unwahrheit: so weit die Aufklärung ins Volk treiben, daß die Priester alle mit schlechtem Gewissen Priester werden— —

— ebenso muß man es mit dem Staate machen. Das ist Aufgabe der Aufklärung, den Fürsten und Staatsmännern ihr ganzes Gebahren zur absichtlichen Lüge zu machen, sie um das gute Gewissen zu bringen, und die unbewußte Tartüfferie aus dem Leibe des europäischen Menschen wieder herauszubringen.

25 [295]

“Die Todesfurcht ist eine Europäer-Art von Furcht.” orientalisch.

25 [296]

Die neue Aufklärung. Gegen die Kirchen und Priester gegen die Staatsmänner
gegen die Gutmüthigen Mitleidigen
gegen die Gebildeten und den Luxus
in summa gegen die Tartüfferie. gleich Macchavell.

25 [297]

Socrates: der gemeine Mensch: schlau: durch klaren Verstand und starken Willen Herr über sich werdend: Humor des Siegreichen: im Verkehr mit Vornehmen immer merkend, daß sie nicht sagen können warum (es gehört zur Vornehmheit, daß die Tugend ohne Warum? geübt wird –) Vorher die Wissenschaft bei lauter vornehmen Männern!

In der Beurtheilung seines Todes: eine Art Falschheit, weil er seinen Willen zum Tode verbirgt: sodann bringt er eine Schmach über sein Vaterland. Doch mehr Egoist als Patriot.

Die Dialektik ist plebejisch ihrer Herkunft nach: der Fanatismus Plato's der einer poetischen Natur für ihr Gegenstück. Zugleich merkt er, als agonale Natur, daß hier das Mittel zum Siege gegeben ist gegen alle Mitkämpfer, und daß die Fähigkeit selten ist.

25 [298]

Vom Range. Die schreckliche Consequenz der „Gleichheit” — schließlich glaubt jeder das Recht zu haben zu jedem Problem. Es ist alle Rangordnung verloren gegangen.

25 [299]

Unsere Voraussetzungen: kein Gott: keine Zwecke: endliche Kraft. Wir wollen uns hüten, den Niedrigen die ihnen nöthige Denkweise auszudenken und vorzuschreiben!!

25 [300]

Sinn der Religion: die Mißrathenen und Unglücklichen sollen erhalten werden, und durch Verbesserung der Stimmung (Hoffnung und Furcht) vom Selbstmord abgehalten werden.

Oder bei den Vornehmen: ein Überschuß von Dank und Erhebung, welcher zu groß ist, als daß er einem Menschen dargebracht werden könnte

25 [301]

Ausbruch meines Ekels gegen die Unverschämtheit, mit der selbst Gänse sich das Recht geben, über “Gut” und “Bös” bei den großen Menschen zu reden.

25 [302]

Bauernjungen, zu Priestern gemacht, nach dem Kloster riechend

25 [303]

die deutsche Philosophie, welche nach dem Tübinger Stift riecht

25 [304]

“Nichts ist wahr, alles ist erlaubt”.

25 [305]

Zarathustra “ich nahm euch Alles, den Gott, die Pflicht, — nun müßt ihr die größte Probe einer edlen Art geben. Denn hier ist die Bahn den Ruchlosen offen — seht hin!

— das Ringen um die Herrschaft, am Schluß die Heerde mehr Heerde und der Tyrann mehr Tyrann als je.

— kein Geheimbund! Die Folgen meiner Lehre müssen fürchterlich wüthen: aber es sollen an ihr Unzählige zu Grunde gehen.

— wir machen einen Versuch mit der Wahrheit! Vielleicht geht die Menschheit dran zu Grunde! Wohlan!

25 [306]

I Theil. Der Berg zuletzt umdampft von Trübsal und Noth

alle Arten Unmögliche flüchten zu ihm — ein Heer von Narren um mich!

— Von der Sclaven-Religion

— vom Range.

— die Gottlosen, aus Ehrlichkeit kommen zu ihm

25 [307]

  1. Grundsatz. Alle bisherigen Werthschätzungen sind aus falschem vermeintlichem Wissen um die Dinge entsprungen: — sie verpflichten nicht mehr, und selbst wenn sie als Gefühl, instinktiv (als Gewissen) arbeiten.
  2. Grundsatz. Anstatt des Glaubens, der uns nicht mehr möglich ist, stellen wir einen starken Willen über uns, der eine vorläufige Reihe von Grundschätzungen festhält, als heuristisches Princip: um zu sehn, wie weit man damit kommt. Gleich dem Schiffer auf unbekanntem Meere. In Wahrheit war auch all jener “Glauben” nichts Anderes: nur war ehemals die Zucht des Geistes zu gering, um unsere großartige Vorsicht aushalten zu können.
  3. Grundsatz. Die Tapferkeit von Kopf und Herz ist, was uns europäische Menschen auszeichnet: erworben im Ringen von vielen Meinungen. Größte Geschmeidigkeit, im Kampfe mit spitzfindig gewordenen Religionen, und eine herbe Strenge, ja Grausamkeit. Vivisection ist eine Probe: wer sie nicht aushält, gehört nicht zu uns (und gewöhnlich giebt es auch sonst Zeichen, daß er nicht zu uns gehört z. B. Zöllner.)
  4. Grundsatz. Die Mathematik enthält Beschreibungen (Definitionen) und Folgerungen aus Definitionen. Ihre Gegenstände existiren nicht. Die Wahrheit ihrer Folgerungen beruht auf der Richtigkeit des logischen Denkens. — Wenn die Mathematik angewendet wird, so geschieht dasselbe, wie bei den „Mittel- und Zweck”-Erklärungen: es wird das Wirkliche erst zu recht gemacht und vereinfacht (gefälscht — —)
  5. Grundsatz. Das am meisten von uns Geglaubte, alles a priori ist darum nicht gewisser, daß es so stark geglaubt wird. Sondern es ergiebt sich vielleicht als eine Existenz-Bedingung unserer Gattung — irgend eine Grund-Annahme. Deshalb könnten andere Wesen andere Grundannahmen machen z. B. 4 Dimensionen. Deshalb könnten immer noch all diese Annahmen falsch sein — oder vielmehr: in wie fern könnte irgend Etwas “an sich wahr” sein! Dies ist der Grund-Unsinn!
  6. Grundsatz. Es gehört zur erlangten Männlichkeit, daß wir uns nicht über unsere menschliche Stellung betrügen: wir wollen vielmehr unser Maaß streng durchführen und das größte Maaß von Macht über die Dinge anstreben. Einsehen, daß die Gefahr ungeheuer ist: das der Zufall bisher geherrscht hat —
  7. Grundsatz. Die Aufgabe der Erdregierung kommt. Und damit die Frage: wie wir die Zukunft der Menschheit wollen! — Neue Werthtafeln nöthig. Und Kampf gegen die Vertreter der alten „ewigen” Werthe als höchste Angelegenheit!
  8. Grundsatz. Aber woher nehmen wir unseren Imperativ? Es ist kein “du sollst”, sondern das „ich muß” des Übermächtigen, Schaffenden.

25 [308]

Die Philosophen haben gesucht, die Welt in 1) Bilder (Erscheinungen) oder 2) Begriffe aufzulösen oder in 3) Willen — kurz in irgend Etwas uns am Menschen Bekanntes — oder sie der Seele gleichzusetzen (als “Gott”)

Das Volk hat “Ursache und Wirkung” von dem als bekannt geltenden Verhältniß des menschlichen Handelns in die Natur gelegt. „Freiheit des Willens” ist die Theorie zu einem Gefühl.

Eine Sache, deren subjektive Herkunft erkannt ist, ist damit noch nicht bewiesen als „nichtseiend”, z.B. Raum, Zeit usw.

Die Wissenschaft der Mathematik löst die Welt in Formeln auf. Das heißt, sie — — —

Man muß dagegen festhalten, was Begriffe und Formeln nur sein können: Mittel der Verständlichung und Berechenbarkeit, die praktische Anwendbarkeit ist Ziel: daß der Mensch sich der Natur bedienen könne, die vernünftige Grenze.

Wissenschaft: die Bemächtigung der Natur zu Zwecken des Menschen —

— das Überschüssige Phantasiren bei Metaphysikern Mathematikern abschneiden: obwohl es nothwendig ist, als ein Experimentiren darauf hin, was vielleicht zufällig dabei erwischt wird.

Die größte Masse geistiger Arbeit in der Wissenschaft verschwendet — auch hier noch waltet das Princip der größtmöglichen Dummheit.

Grundsatz bei der Erklärung aller menschlichen Geschichte: die Anstrengungen sind unendlich viel größer als der Ertrag.

25 [309]

Grundsatz: wie die Natur sein: zahllose Wesen zum Opfer bringen können, um Etwas mit der Menschheit zu erreichen. Man muß studiren, wie thatsächlich irgend ein großer Mensch zu Stande gebracht worden ist. Alle bisherige Ethik ist grenzenlos beschränkt und lokal: blind und verlogen gegen die wirklichen Gesetze außerdem noch. Sie war da, nicht zur Erklärung, sondern zur Verhinderung gewisser Handlungen: geschweige denn zur Erzeugung

Wissenschaft ist eine gefährliche Sache: und bevor wir nicht ihrethalben verfolgt werden, ist es Nichts mit ihrer „Würde.” Oder gar wenn man in die Volksschule Wissenschaft trägt: und jetzt gar die Mädchen und die Gänse anfangen, wissenschaftlich zu schnattern; das liegt daran, daß sie immer mit moralischer Tartüfferie betrieben wurde.

Damit will ich ein Ende machen.

Alle Voraussetzungen der bestehenden „Ordnung” widerlegt.

  1. Gott widerlegt: weil alles Geschehen weder gütig noch klug noch wahr ist;
  2. weil “gut” und „böse” keine Gegensätze sind und die moralischen Werthe sich verwandeln
  3. weil “wahr” und „falsch” beide nöthig sind — Täuschenwollen wie Sich-täuschen-lassen eine Voraussetzung des Lebendigen ist
  4. “unegoistisch” gar nicht möglich. „Liebe” falsch verstanden. „Gebet” gleichgültig; “Ergebung” gefährlich.

25 [310]

Daß unsere Sinnesorgane selber nur Erscheinungen und Folgen unserer Sinne sind und unsere leibliche Organisation eine Folge unserer Organisation, scheint mir etwas Widerspruchsvolles oder mindestens ganz unbeweisbares. Daß tartarus stibiatus mich erbrechen macht, hat mit allen „Erscheinungen” und “Meinungen” nichts zu thun.

Die Photographie ist ein genügender Gegenbeweis gegen die gröblichste Form des “Idealismus”.

25 [311]

Woher der Sinn für Wahrheit? Erstens: wir fürchten uns nicht, abzuweichen 2) er vermehrt unser Machtgefühl, auch gegen uns selber.

25 [312]

die Welt “vermenschlichen” d. h. immer mehr uns in ihr als Herren fühlen —

25 [313]

Fühlen, Begreifen, Wollen wären in Bezug auf die unsäglich kleine Bewegtheit der Atome gar nicht möglich, wenn nicht zu ihrem Wesen gehörten, das Zusammennehmen, Vergröbern, Verlängern, Gleichansetzen.

Das Bild und der Begriff entsteht, indem eine produktive Kraft einige gegebene Reize gestaltet: eine “Erscheinung” macht

25 [314]

In der Mathematik giebt es kein Begreifen, sondern nur ein Feststellen von Nothwendigkeiten: von Verhältnissen “welche nicht wechseln” von Gesetzen im Sein.

Eine mechanische Weltanschauung d.h. eine solche, bei der zuletzt auf ein Begreifen verzichtet wird, wir “begreifen” nur, wo wir Motive verstehen. Wo es keine Motive giebt, da hört das Begreifen auf.

Meine Absicht in Betreff auch der zweckmäßigsten Handlungen ist zu zeigen, daß unser “Begreifen” auch da ein Schein und Irrthum ist.

25 [315]

Capitel: über das “Begreifen” von Handlungen.

25 [316]

Das Ideal ist, das complicirteste aller Maschinenwesen construiren, entstanden durch die dümmste aller möglichen Methoden.

25 [317]

Vor dem Kunstwerk kann man sich gehn lassen. Vor dem großen Menschen nicht! Daher die Pflege der Künste bei den Unterworfenen, die sich eine Welt der Freiheit schaffen — die Künstler sind meistens solche, welche nicht Herrscher sind.

Die Herrscher lieben die Kunst, weil sie Abbilder von sich wollen.

25 [318]

Lange p 822 “eine Wirklichkeit, wie der Mensch sie sich einbildet, und wie er sie ersehnt, wenn diese Einbildung erschüttert wird: ein absolut festes, von uns unabhängiges und doch von uns erkanntes Dasein — eine solche Wirklichkeit giebt es nicht.” Wir sind thätig darin: aber das giebt dem Lange keinen Stolz!

nichts trügerisches, wandelndes, abhängiges, unerkennbares also wünscht er sich — das sind Instinkte geängstigter Wesen und solcher, die noch moralisch beherrscht sind: sie ersehnen einen absoluten Herrn, etwas Liebevolles Wahrheit-Redendes — kurz diese Sehnsucht der Idealisten ist moralisch-religiös vom Sklavengesichtspunkte aus.

Umgekehrt könnte unser Künstler-Hoheits-Recht darin schwelgen, diese Welt geschaffen zu haben

“subjektiv nur”, aber ich empfinde umgekehrt: wir haben's geschaffen!

25 [319]

Formend — das ist der Trieb des Sittlichen: Typen zu bilden: dazu sind Gegensätze der Schätzung nöthig.

Formen sehen oder ausrechnen ist unser größtes Glück — es ist auch unsere längste Übung.

25 [320]

In allen ästhetischen Urtheilen stecken sittliche. P<eter> G<ast> ist zu gutmüthig, um Ein Wollen seinem Satze aufzuprägen, er giebt nach.

25 [321]

Der große Stil besteht in der Verachtung der kleinen und kurzen Schönheit, ist ein Sinn für Weniges und Langes.

25 [322]

Zarathustra wartend

  1. Anzeichen der größten Verwirrung. “Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt”
  2. Er verkündet seine E<wige> W<iederkunft>. Unwille, Klage — bis zum Attentat. Zarathustra lacht, ist glücklich, denn er bringt die große Krisis
  3. die Weltmüden ziehn davon, die Schaar wird kleiner. Ihr theilt er seine Lehre mit, um zum Übermenschen den Weg zu finden und doch guter Dinge zusein

Heiter wie im Feldlager. Festzüge usw.

25 [323]

Die ewige Wiederkunft. Mittag und Ewigkeit.

  1. Es ist Zeit!
  2. Der grosse Mittag.
  3. Die Gelobenden.
Wahrsagung von der ewigen Wiederkunft

25 [324]

Sehen und Hören setzt voraus ein Sehen-lernen, Hören-lernen ganz bestimmter Formen.

25 [325]

Daß in der morphologischen Kette der Thiere das Nervensystem und später das Gehirn sich entwickelt: giebt einen Anhaltepunkt — es entwickelt sich das Fühlen, wie sich später das Bilder-schaffen und Denken entwickelt. Ob wir es schon noch nicht begreifen: aber wir sehen, daß es so ist. Wir finden es unwahrscheinlich, Lust und Schmerz schon in alles Organische zu versetzen: und es ist immer noch auch beim Menschen der Reiz eine Stufe, wo beides nicht da ist.

25 [326]

Wir sind mißtrauisch, vom “Denkenden” “Wollenden” Fühlenden in uns auszugehen. Das ist ein Ende und jedenfalls das Verwickeltste und Schwerst-Verständliche.

25 [327]

Die Entstehung der subjektiven Raum- Zeit- Kraft-Causalitäts- Freiheitsempfindung, gesetzt sie sei erkannt: ebenso die Entstehung des Bildes (d. h. von Formen Gestalten), der Begriffe (d. h. Erinnerungszeichen für ganze Gruppen von Bildern mit Hülfe von Lauten): alle diese subjektiven Erscheinungen machen keinen Zweifel an der objektiven Wahrheit von den logischen mathematischen mechanischen chemischen Gesetzen. Eine andere Sache ist unsere Fähigkeit, uns auszudrücken über diese Gesetze: wir müssen uns der Sprache bedienen.

25 [328]

Die Sprache vollerer Naturen finden — ihr Bild der Welt wiederstrahlen —

25 [329]

Den Charakter zu einer Denkweise finden, wie meine ist: mechanisch, der Zufall, die Lust an schönen Gebilden, am Zerbrechen (weil es Werden ist) kluges Benützen, den Zufall ausbeuten, unverantwortlich, tapfer, ohne Steifigkeit

25 [330]

Mittheilung von Zuständen — da reicht die Prosa lange nicht aus — die Wissenschaft aber kann nur den wissenschaftlichen Zustand mittheilen und soll nichts Anderes!!

Von der Vielheit der Sprache (durch Bilder Töne) als Mittel des volleren Menschen, sich mitzutheilen.

25 [331]

Zarathustra nachdem seine jünger erschreckt sich abgewendet haben und er lachend Übermenschlich-sicher seine Mission ausgedrückt hat: — — mit tiefster Zärtlichkeit sie zu sich rufend, gleichsam zurückkehrend aus der höchsten Entfremdung und Ferne: väterlich.

25 [332]

Zusammenhang des Aesthetischen und Sittlichen: der große Stil will Einen starken Grundwillen und verabscheut am meisten die Zerfahrenheit.

Der Tanz und eine leichte Entwicklung aus einer Phase in die andere ist äußerst gefährlich — ein Schwertertanz. Denn die grobe Consequenz und Hartnäckigkeit geben dem Individuum sonst die Dauerhaftigkeit.

Am schwersten vereinigt: Ein Wille, Stärke des Grundgefühls und Wandel der Bewegungen (Verwandlungen)

25 [333]

Alles Organische, das “urtheilt”, handelt wie der Künstler: es schafft aus einzelnen Anregungen Reizen ein Ganzes, es läßt Vieles Einzelne bei Seite und schafft eine simplificatio, es setzt gleich und bejaht sein Geschöpf als seiend. Das Logische ist der Trieb selber, welcher macht, daß die Welt logisch, unserem Urtheilen gemäß verläuft.

Das Schöpferische — 1) Aneignende 2) Auswählende 3) Umbildende Element — 4) das Selbst-Regulirende Element — 5) das Ausscheidende.

25 [334]

Es giebt durch viele Generationen von Arten hindurch eine Nothwendigkeit, die schon im ersten Keim liegt: gesetzt daß die Bedingungen der Ernährung sich günstig hinzufinden, ist das organische Geschöpf für alle seine Zukunft bedingt: der Zeitpunkt des Eintretens der einzelnen neuen Formen (z. B. Nerven) hängt von den Zufällen der Ernährung ab.

NB. Steigerung des Lebens nach der Dauer der Gestirne.

25 [335]

Der große Mensch fühlt seine Macht über ein Volk, sein zeitweiliges Zusammenfallen mit einem Volke oder einem Jahrtausende: diese Vergrößerung im Gefühl von sich als causa und voluntas wird mißverstanden als “Altruismus” —

— es drängt ihn nach Mitteln der Mittheilung: alle großen Menschen sind erfinderisch in solchen Mitteln. Sie wollen sich hineingestalten in große Gemeinden, sie wollen Eine Form dem Vielartigen, Ungeordneten geben, es reizt sie das Chaos zu sehn

— Mißverständniß der Liebe. Es giebt eine sklavische Liebe welche sich unterwirft und weggiebt: welche idealisirt und sich täuscht — es giebt eine göttliche Liebe, welche verachtet und liebt und das geliebte umschafft, hinauf trägt. —

— jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um, durch Züchtung und anderseits durch Vernichtung von Millionen Mißrathener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zu Grunde zu gehen an dem Leid, das man schafft, und dessen Gleichen noch nie da war! —

— Gesinnung der Mißrathenen, sich zu opfern: das der Sinn der Orden, welche sich Keuschheit geloben.

— der Genuß an Formen in den bildenden Künsten: sie theilen einen Zustand des Künstlers mit (ruhig-verehrend). Der Musiker ist von den Affekten bewegt, ohne daß er Objekte dazu sieht — und theilt seinen Zustand mit. Viel umfänglicher als die Zustände des Malers.

25 [336]

Zur Psychologie.

  1. Jedes “ethische” Gefühl, das uns zum Bewußtsein kommt, wird vereinfacht, je mehr es bewußt wird d. h. es nähert sich dem Begriff an. An sich ist es vielfach, ein Zusammenklingen vieler Töne.
  2. Die “innere” Welt ist unfaßbarer als die äußere: das Miterklingen vieler Obertöne läßt sich durch die Musik deutlich machen, die ein Abbild giebt.
  3. Damit in einer mechanischen Weltordnung etwas gewußt werden kann, muß ein Perspectiv-Apparat da sein, der 1) ein gewisses Stillestehen 2) ein Vereinfachen 3) ein Auswählen und Weglassen möglich macht. Das Organische ist eine Vorrichtung, an welcher sich Bewußtsein entwickeln kann, weil es selber zu seiner Erhaltung dieselben Vorbedingungen nöthig hat.
  4. Die innere Welt muß in Schein verwandelt werden, um bewußt zu werden: viele Erregungen als Einheit empfunden usw. Vermöge welcher Kraft hören wir einen Akkord als Einheit und noch dazu die Art des Instrumentklanges, seine Stärke, sein Verhältniß zum Eben-Gehörten usw.?? Die ähnliche Kraft bringt jedes Bild des Auges zusammen.
  5. Unsere fortwährende Einübung von Formen, erfindend, vermehrend, wiederholend: Formen des Sehens, Hörens und Tastens.
  6. Alle diese Formen, welche wir sehen, hören, fühlen usw. sind nicht vorhanden in der Außenwelt, welche wir mathematisch-mechanisch feststellen.
  7. Meine Vermuthung, daß alle Eigenschaften des Organischen selber uns deshalb aus mechanischen Gründen unableitbar sind, weil wir selber erst antimechanische Vorgänge hineingesehen haben: wir haben das Unableitbare erst hineingelegt.
  8. Vorsicht, das sehr Complicirte nicht als etwas Neues zu behandeln.

25 [337]

Für einen vollen und rechtwinkligen M<enschen> ist eine so bedingte und verklausulirte Welt, wie die Kants, ein Greuel. Wir haben ein Bedürfniß nach einer groben Wahrheit; und wenn es diese nicht giebt, nun, so lieben wir das Abenteuer und gehen aufs Meer

— zu beweisen, daß die Consequenzen der Wissenschaft gefährlich sind, meine Aufgabe. “Es ist vorbei mit gut” und “böse” —”

— im Zeitalter des suffrage universel ist der Ton der Unehrerbietigkeit am höchsten, mit der jetzt der Philosoph behandelt wird: alle Gänse schnattern ja bereits mit! — man lese z. B. das philosophische Geschnatter der George Sand oder der Frau John Stuart Mill. Nun, ich ziehe vor, seine Stellung gehaßt und gefährlich zu machen: man soll ihm fluchen, wenn man ihn nicht anders zu ehren weiß!

—der Kampf mit der Sprache.

25 [338]

Es wird erzählt <daß> der berühmte Stifter des Christenthums vor Pilatus sagte „ich bin die Wahrheit”; die Antwort des Römers darauf ist Roms würdig: als die größte Urbanität aller Zeiten.

25 [339]

“Gott” im Alterthum anders empfunden, ganz und gar ohne den monotheistisch-moralischen Beigeschmack. — Priap in den Gärten, als Vogelscheuche. Ein Hirt dankbar für die Fruchtbarkeit der Heerde z. B.

Die Masse Dankbarkeit in der griechischen Religion. Später, im Pöbel, überwuchert die Furcht: Epicur und Lucrez.

25 [340]

Grundsatz. Wenn es sich um bien public handelte, so wäre der Jesuitism im Recht, ebenso das Assassinenthum; ebenso das Chinesenthum.

25 [341]

Grundsatz. Mit allen Kräften die stillstehenden ewigen Werthschätzungen umwerfen! Große Aufgabe.

25 [342]

Die Revolution, Verwirrung und Noth der Völker ist das Geringere in meiner Betrachtung, gegen die Noth der großen Einzelnen in ihrer Entwicklung. Man muß sich nicht täuschen lassen: die vielen Nöthe aller dieser Kleinen bilden zusammen keine Summe, außer im Gefühle von mächtigen Menschen.

An sich denken, in Augenblicken großer Gefahr: seinen Nutzen ziehen aus dem Nachtheile Vieler: — das kann bei einem sehr hohen Grade von Abweichung ein Zeichen großen Charakters sein, der über seine mitleidigen und gerechten Empfindungen Herr wird.

25 [343]

Wenn ein inferiorer Mensch seine alberne Existenz, sein viehisch-dummes Glück als Ziel faßt, so indignirt er den Betrachter; und wenn er gar andere Menschen zum Zweck seines Wohlbefindens unterdrückt und aussaugt, so sollte man so eine giftige Fliege todtschlagen.

Der Werth eines Menschen soll beweisen, was für Rechte er sich nehmen darf: die “Gleichstellung” geschieht aus Mißachtung der höheren Naturen und ist ein Verbrechen an ihnen.

Dadurch, daß ein Mensch die Förderung einer Familie, eines Volkes usw. auf sich nimmt, gewinnt er an Bedeutung, vorausgesetzt, daß seine Kraft es ihm erlaubt, sich eine solche Aufgabe zu setzen. Ein Mensch, der nichts hat, als viehische Begierden im Leibe, sollte nicht das Recht zur Heirath haben.

Die Rechte, die ein Mensch sich nimmt, stehn im Verhältniß zu den Pflichten, die er sich stellt, zu den Aufgaben, denen er sich gewachsen fühlt.

Die allermeisten Menschen sind ohne Recht zum Dasein, sondern ein Unglück für die höheren: ich gebe den Mißrathenen noch nicht das Recht. Es giebt auch mißrathene Völker.

Die alberne „Humanität”! Gegen die Thiere gerechnet, mag sich der Mensch als Mensch bei „Seines-Gleichen” fühlen. Aber als Mensch vor Menschen —

25 [344]

Die Entartung der Herrscher und der herrschenden Stände hat den größten Unfug in der Geschichte gestiftet! Ohne die römischen Cäsaren und die römische Gesellschaft wäre der Wahnsinn des Christenthums nicht zur Herrschaft gekommen.

Wenn die geringeren Menschen der Zweifel anfällt, ob es höhere Menschen giebt, da ist die Gefahr groß! Und man endet zu entdecken, daß es auch bei den geringen, unterworfenen, geistesarmen Menschen Tugenden giebt und daß vor Gott die Menschen gleich stehn: was das non plus ultra des Blödsinns bisher auf Erden gewesen ist! Nämlich die höheren Menschen maßen sich selber schließlich nach dem Tugend-Maaßstab der Sklaven — fanden sich „stolz” usw. — fanden alle ihre höheren Eigenschaften als verwerflich!

— als Nero und Caracalla oben saß, entstand die Paradoxie: der niedrigste Mensch ist mehr werth als der da oben! Und ein Bild Gottes brach sich Bahn, welches möglichst entfernt war vom Bilde der Mächtigsten — der Gott am Kreuze!

— die Römer haben bisher das größte Unglück Europas verschuldet, das Volk der Unmäßigkeit — — sie haben Extreme zur Herrschaft gebracht und extreme Paradoxien, wie den “Gott am Kreuze” — man muß erst die Unterscheidung lernen: für die Griechen, wider die Römer — das heiße ich antike Bildung

25 [345]

Ursachen des Pessimismus

25 [346]

Man muß den Stolz des Unglücks lernen —

25 [347]

Seneca als eine Culmination der antiken moralischen Verlogenheit — ein würdevoller Spanier, wie Grazian

25 [348]

Die Wurzel alles üblen: daß sklavische Moral gesiegt hat, der Sieg der Demuth, der Keuschheit, absoluten Gehorsams, Selbstlosigkeit — — die herrschenden Naturen wurden dadurch 1) zur Heuchelei 2) zur Gewissensqual verurtheilt — die schaffenden Naturen fühlten sich als Aufrührer gegen Gott, unsicher, und gehemmt durch die ewigen Werthe

— die Barbaren zeigten, daß Maaßhalten-können bei ihnen nicht zu Hause war: sie fürchteten und verlästerten die Leidenschaften und Triebe der Natur: — ebenso der Anblick der herrschenden Cäsaren und Stände.

— es entstand anderseits der Verdacht, daß alle Mäßigung eine Schwäche sei oder Alt- und Müdewerden (so hat La Rochefoucauld den Verdacht, daß “Tugend” ein schönes Wort sei bei solchen, welchen das Laster keine Lust mehr mache)

— das Maaßhalten selber war als Sache der Härte, Selbstbezwingung, Askese geschildert, als Kampf mit dem Teufel usw. das natürliche Wohlgefallen der aesthetischen Natur am Maaße der Genuß am Schönen des Maaßes war übersehen oder verleugnet, weil man eine antieudämonistische Moral wollte

In summa: die besten Dinge sind verlästert worden (weil die Schwachen oder die unmäßigen Schweine ein schlechtes Licht darauf warfen) — und die besten Menschen sind verborgen geblieben und haben sich oft selber verkannt.

25 [349]

NB. Hohn über die Könige mit den Tugenden kleiner Bürgersleute

25 [350]

Man redet so dumm vom Stolze — und das Christenthum hat ihn gar als sündlich empfinden machen! Die Sache ist: wer Großes von sich verlangt und erlangt, der muß sich von denen sehr fern fühlen, welche dies nicht thun — diese Distanz wird von diesen Anderen gedeutet als “Meinung über sich”: aber Jener kennt sie nur als fortwährende Arbeit, Krieg, Sieg, bei Tag und Nacht: von dem Allen wissen die Anderen nichts!

25 [351]

Die Lehre mhden agan wendet sich an Menschen mit überströmender Kraft — nicht an die Mittelmäßigen.

Die egcrateia und aschsiz ist nur eine Stufe der Höhe: höher steht die “goldene Natur”.

“Du sollst” — unbedingter Gehorsam bei Stoikern, in den Orden des Christenthums und der Araber, in der Philosophie Kant's (es ist gleichgültig, ob einem Oberen oder einem Begriff).

Höher als “du sollst” steht “ich will” (die Heroen); höher als “ich will” steht “ich bin” (die Götter der Griechen)

Die barbarischen Götter drücken nichts von der Lust am Maaße aus — sind weder einfach, noch leicht, noch maaßvoll.

25 [352]

Zu Zarathustra: “die Goldenen” als höchste Stufe.

25 [353]

NB. Die Schlichtheit im Leben, Kleiden, Wohnen, Essen, zugleich als Zeichen des höchsten Geschmacks: die höchsten Naturen bedürfen des Besten, daher ihre Schlichtheit!

Die üppigen bequemen Menschen, ebenso die prunkvollen sind lange nicht so unabhängig: sie haben an sich selber auch keine so ausreichende Gesellschaft.

In wie fern der stoische Weise und noch mehr der Mönch ein Exceß ist, eine barbarische Übertreibung —

25 [354]

— die Fürsten sind unter allen Umständen Menschen zweiten Ranges: die ganz hohen Menschen herrschen über Jahrtausende und können sich nicht für die gegenwärtigen Dinge so interessiren. Die Fürsten sind ihre Werkzeuge oder schlaue Hunde, welche sich als Werkzeuge stellen.

Über dem Bilde des Fürsten (als Werkzeug des Weisen) das Bild des höchsten Weisen zu zeigen.

25 [355]

Rangordnung: der die Werthe bestimmt und den Willen von Jahrtausenden lenkt, dadurch daß er die höchsten Naturen lenkt, ist der höchste Mensch.

25 [356]

Das, was gemeinhin dem Geiste zugewiesen wird, scheint mir das Wesen des Organischen auszumachen: und in den höchsten Funktionen des Geistes finde ich nur eine sublime Art der organischen Funktion (Assimilation Auswahl Secretion usw.)

Aber der Gegensatz “organisch” “unorganisch!”' gehört ja in die Erscheinungswelt!

25 [357]

Die großen geistigen Thätigkeiten krankhaft als Beherrschtsein von Einem Gedanken; Mangel von Spontaneität — eine Art Hypnotismus. Sie entnerven und machen willensschwach unter anderen Umständen.

Ob bei dem Gehorsam nicht oft so etwas ist wie Hypnotismus?

25 [358]

NB. Grundsatz: jedes Erlebniß, in seine Ursprünge zurückverfolgt, setzt die ganze Vergangenheit der Welt voraus. — Ein factum gut heißen, heißt Alles billigen!

Aber indem man Alles billigt, billigt man auch alle vorhandenen und gewesenen Billigungen — und Verwerfungen!

25 [359]

Der größte Theil unserer Erlebnisse ist ungewußt und wirkt.

25 [360]

Die Herrschaft über sich ist das Gleichgewicht vieler aufgehäuften Erinnerungen und Motive — eine Art Frieden unter feindlichen Kräften.

voluntas ist ein zuletzt mechanisches unbedingtes Übergewicht, ein Sieg, der ins Bewußtsein tritt.

25 [361]

Die Einübung des Auges in Formen: muthmaaßlich auch des Ohres und Getastes. Ebenso zeigt uns der Traum, wie sehr wir andere Personen sein könnten — wir machen es sehr gut nach.

25 [362]

Die schöpferische Kraft — nachbildend, bildend, formend, sich übend — der von uns repräsentirte Typus ist eine unserer Möglichkeiten — wir könnten viele Personen noch darstellen — wir haben das Material dazu in uns. – Unsre Art Leben und Treiben als eine Rolle zu betrachten eingerechnet die Maximen und Grundsätze — — — wir suchen einen Typus darzustellen, instinktiv — wir wählen aus unserem Gedächtniß aus, wir verbinden und combiniren die facta des Gedächtnisses.

25 [363]

Der Einzelne enthält viel mehr Personen, als er glaubt. “Person” ist nur eine Betonung, Zusammenfassung von Zügen und Qualitäten.

25 [364]

Das Mißverständniß der Handlung, durch falsche untergeschobene Motive.

25 [365]

NB. In wie fern unser bewußtes Leben durch und durch falsch und ein Schleier ist.

25 [366]

Lügen, um zu lügen, ist der primitive Hang: in allen pöbelhaften Zeitaltern.

Herrschen, um zu herrschen, und nicht, wie Helvétius meint, um die Genüsse zu haben.

25 [367]

— allgemeiner Mangel an Kenntniß der Natur

25 [368]

Der Philosoph weiß nicht, welche Motive ihn zum Forschen drängen.

25 [369]

Von der Oberflächlichkeit des Bewusstseins

25 [370]

Pessimismus des 19ten Jahrhunderts als Folge der Pöbel-Herrschaft.

Le plaisir im 18ten Jahrhundert.

25 [371]

Ursache und Wirkung ist keine Wahrheit, sondern eine Hypothese — und zwar eine solche, mit der wir die Welt uns vermenschlichen, unserem Gefühle näher bringen (“Willen” wird hineinempfunden)

— mit der atomistischen Hypothese machen wir die Welt unserem Auge und unserer Berechnung zugleich zugänglich

— es ist das Maaß des wissenschaftlich starken Geistes, wie sehr er aushält, den Wahn absoluter Urtheile und Schätzungen abzuweisen oder noch nöthig zu haben. Nämlich nicht unsicher werden! Und eine solche Hypothese mit einem zähen Willen festhalten und dafür leben!

25 [372]

Man hat immer die Hauptsache vergessen: warum will denn der Philosoph erkennen? Warum schätzt er die “Wahrheit” höher als den Schein? Diese Schätzung ist älter als jedes cogito, ergo sum: selbst den logischen Prozeß vorausgesetzt, giebt es etwas in uns, welches ihn bejaht und sein Gegentheil verneint. Woher der Vorzug? Alle Philosophen haben vergessen zu erklären, warum sie das Wahre und das Gute schätzen, und Niemand hat versucht, es mit dem Gegentheil zu versuchen. Antwort: das Wahre ist nützlicher (den Organismus erhaltender) — aber nicht an sich angenehmer

Genug, gleich im Anfang finden wir den Organismus als Ganzes, mit “Zwecken”, redend — also schätzcnd

25 [373]

der Wohlgeschmack einer Speise ist die Folge ihrer Zuträglichkeit!

25 [374]

Inwiefern der Mensch ein Schauspieler ist.

Nehmen wir an, der einzelne Mensch bekomme eine Rolle zu spielen: er findet sich nach und nach hinein. Er hat endlich die Urtheile, Geschmäcker, Neigungen, die zu seiner Rolle passen, selbst das dafür zugestandene übliche Maaß von Intellekt: —

einmal als Kind, Jüngling, usw. dann die Rolle, die zum Geschlecht gehört, dann die der socialen Stellung, dann die des Amtes, dann die seiner Werke —

Aber, giebt ihm das Leben Gelegenheit zum Wechsel, so spielt er auch eine andere Rolle. Und oft sind in Einem Menschen nach den Tagen die Rollen verschieden z. B. der Sonntags-Engländer und der Alltags-Engländer. An Einem Tage sind wir als Wachende und Schlafende sehr verschieden. Und im Traume erholen wir uns vielleicht von der Ermüdung, die uns die Tags-Rolle macht, — und stecken uns selber in andere Rollen.

Die Rolle durchführen d. h. Wille haben, Concentration und Aufmerksamkeit: vielmehr noch negativ — abwehren, was nicht dazu gehört, den andringenden Strom andersartiger Gefühle und Reize, und — unsere Handlungen im Sinne der Rolle thun und besonders interpretiren.

Die Rolle ist ein Resultat der äußeren Welt auf uns, zu der wir unsere “Person” stimmen, wie zu einem Spiel der Saiten. Eine Simplifikation, Ein Sinn, Ein Zweck. Wir haben die Affekte und Begehrungen unserer Rolle — das heißt wir unterstreichen die, welche dazu passen und lassen sie sehen.

immer natürlich 'a peu près.

Der Mensch ein Schauspieler.

25 [375]

Wir haben viele Typen in uns. Wir coordiniren unsere Inneren Reize so wie die äußeren zu einem Bilde oder einem Verlaufe von Bildern: als Künstler.

Die Oberflächlichkeit unserer Typen, wie unserer Urtheile, Begriffe, Bilder.

25 [376]

Der Raum beim Haschisch-rauchen viel ausgedehnter, weil viel mehr gesehn wird im gleichen Zeitraum als sonst. Abhängigkeit des Raumgefühls von der Zeit.

25 [377]

Man muß “erkennen an sich” ebenso widerspruchsvoll finden wie “erste” Ursache und wie “Ding an sich”.

Der Erkenntniß-Apparat als Verkleinerungsapparat: als Reduktions-Apparat in jedem Sinne. Als Mittel des Ernährungs-Apparates.

25 [378]

Die Instinkte als Urtheile auf Grund früherer Erfahrungen: nicht von Lust- und Unlust-Erfahrungen: denn die Lust ist erst die Form eines Instinkt-Urtheils (ein Gefühl von vermehrter Macht oder: wie wenn sich die Macht vermehrt hätte) Vor den Lust- und Unlustgefühlen giebt es Kraft- und Schwächegefühle im Ganzen.

25 [379]

Als nachahmendes Thier ist der Mensch oberflächlich es genügt ihm, wie bei seinen Instinkten, der Anschein der Dinge. Er nimmt Urtheile an, das gehört zu dem ältesten Bedürfniß, eine Rolle zu spielen.

Entwicklung der mimicry unter Menschen, vermöge seiner Schwäche. Das Heerdenthier spielt eine Rolle, die ihm anbefohlen wird.

25 [380]

Wollen das ist befehlen, etwas Seltenes deshalb, schlecht vererbt.

25 [381]

Starker Wille erklärlich bei kalten Menschen und schwacher Wille bei heißen. Das Erstaunliche ist: ein glühender Affekt und ein kalter heller Kopf und Wille.

25 [382]

Die Gefahr des Menschen steckt darin, wo seine Stärke ist: er ist unglaublich geschickt darin, sich zu erhalten, selbst in den unglücklichsten Lagen. (Dazu gehören selbst die Religionen der Armen Unglücklichen usw.) So erhält sich das Mißrathene viel länger und verschlechtert die Rasse: weshalb der Mensch, im Vergleich zu den Thieren, das krankhafteste Thier ist. Im großen Gange der Geschichte muß aber das Grundgesetz durchbrechen und der Beste zum Siege kommen: vorausgesetzt, daß der Mensch mit dem allergrößten Willen die Herrschaft des Besten durchzusetzen sucht.

25 [383]

Ich erlaube nur den Menschen, die wohlgerathen sind, über das Leben zu philosophiren. Aber es giebt mißrathene Menschen und Völker: denen muß man das Maul stopfen. Man muß ein Ende machen mit dem Christenthum — es ist die größte Lästerung auf Erde und Erdenleben, die es bisher gegeben hat — man muß mißrathenen Menschen und Völkern das Maul stopfen.

Man muß mit dem Christenthum ein Ende machen — es war und ist die größte Lästerung auf Erde und Erdenleben, welche es bisher gab —

25 [384]

Aus der Ferne gesehen: Schopenhauer's Philosophie giebt zu verstehen, daß es unsäglich viel dümmer zugeht als man glaubt. Darin steckt ein Fortschritt der Einsicht.

25 [385]

Unseren Glauben an den Leib, unsere Gefühle von Lust und Schmerz und dergleichen muß man festhalten: man muß hierin nicht versuchen, umzuwerfen. Der Widerspruch einiger Logiker und Religiösen hat sie selber nicht davon losgemacht — er kommt nicht in Betracht. Die Verurtheilung des Leibes als Merkmal der mißrathenen Mischung

ebenso die Verurtheilung des Lebens: Zeichen der Besiegten.

25 [386]

Vom Ursprung der Kunst. Die Fähigkeit zu lügen und sich zu verstellen am längsten entwickelt: Gefühl der Sicherheit und der geistigen Überlegenheit dabei beim Täuschenden.

Bewunderung des Zuhörers: beim Erzähler, wie als ob er dabei gewesen wäre. Ebenso Sicherheit des Zuhörers, zu wissen, daß es Täuschung ist und daß diese gefährliche Kunst nicht zu seinem Schaden geübt wird. Bewunderung über menschlicher Beihülfe. — Beim Dichter häufig Entfremdung seiner Person: er fühlt sich “verwandelt”. Ebenso beim Tänzer und Schauspieler, mit nervösen Krisen, Hallucinationen usw. Künstler auch jetzt noch lügenhaft und gleich Kindern. Unfähigkeit, zwischen “wahr” und „Schein” zu scheiden.

25 [387]

Vom Ursprunge der Religion. Menge von Hallucinationen und von allen möglichen Hysterien, nicht nur “diabolischen”. Die Sichtbarkeit der Götter ist Voraussetzung. Die Religionsstifter fühlen sich selber durch Krämpfe, Amnesie, Verlust des Willens begläubigt.

25 [388]

Der Glaube an die Furchtbarkeit des “Nach dem Tode” ist antik und die Grundlage des Christenthums. Die Armen-Vereine mit ihrer “Brüderliebe” die andere Grundlage. Das Verlangen nach Rache an allem, was Macht hatte, die dritte. — Eine populäre Form des stoischen Weisen, der glücklich ist im größten “Unglück”: die plötzlichen Heilungen von Hysterischen, die Schmerzlosigkeit bei Verwundungen — —

25 [389]

Wille — ein Befehlen: insofern aber diesem bewußten Akte ein unbewußter zu Grunde liegt, brauchen wir uns auch nur diesen wirksam zu denken. Aber bei einem Befehl an einen Gehorchenden? Das Wort des Befehls wirkt nicht als Wort, nicht als Laut, sondern als das, was sich verbirgt hinter dem Laut: und vermöge dieser Aktion wird etwas fortgeleitet. Aber die Reduktion der Laute auf “Schwingungen” ist doch nur der Ausdruck desselben Phänomens für einen anderen Sinn — keine “Erklärung”. Hinter der “sichtbaren” Schwingung verbirgt sich wieder der eigentliche Vorgang.

Die Wissenschaft ist darauf aus, die selben Phänomene durch verschiedene Sinne zu interpretiren und alles auf den deutlichsten Sinn, den optischen, zu reduziren. So lernen wir die Sinne kennen — der dunklere wird durch den helleren erleuchtet.

Die Bewegungen von Molekülen sind eine Consequenz des Gesichtssinnes und des Tastsinnes. — Wir verfeinern die Sinne — wir erklären Nichts. Hinter jedem “Willen” “Fühlen” setzen wir einen Bewegungs-Prozeß voraus, der für das Auge dasselbe wäre.

25 [390]

Der Schmerz: nicht der Reiz als solcher, sondern im Intellekt erst gemacht zum Schmerz. Man muß sich ihn durch Vererbung wachsen denken — eine Summe von vielen Urtheilen: “dies ist gefährlich, bringt Tod, verlangt Defensive, größte Aufmerksamkeit”, ein Befehl “weg davon! gieb Acht!” eine große plötzliche Erschütterung als Resultat.

25 [391]

Der physische Schmerz ist erst die Folge eines seelischen Schmerzes: dieser aber: Plötzlichkeit, Angst, Kampfbereitschaft, eine Menge von Urtheilen und Willensakten und Affekten in Einen Augenblick concentrirt, als große Erschütterung und in summa als Schmerz empfunden und projicirt an die Stelle hin.

Affekte aller Art, deren Urtheile und die resultirenden Willensakte sind Eins im Augenblick des Schmerzes: die Attitüden der Vertheidigung sofort mit dem Schmerz da. Folge einer großen Nerven-Erschütterung (des Centrums): welche lange nachklingt.

25 [392]

Verwandlung aller Vorgänge in optische Phänomene: und endlich wieder dieser Phänomene in reine Begriffs- und Zahlen-Phänomene.

Dies ist der Gang in der Geschichte: man glaubt zu verstehen, wenn man will: wenn man fühlt: wenn man sieht: wenn man hört: wenn man es in Begriffe umsetzt: wenn man es in Zahlen und Formeln umsetzt.

Also: die Verwandlung aller Vorgänge in unsere uns bekannte Welt, kurz: in uns — das ist bisher “Erkenntniß”.

25 [393]

Der Mensch als eine Grenze darzustellen.

25 [394]

Der Werth der Atomistik ist: Sprache und Ausdrucksmittel zu finden für unsere Gesetze.

25 [395]

Die Wissenschaft der Natur ist “Menschen-Kenntniß” in Bezug auf die allgemeinsten Fähigkeiten des Menschen.

25 [396]

Die Vergangenheit ist für jeden von uns eine andre: insofern er eine Linie hindurchzieht, eine Vereinfachung (wie bei Mitteln und Zwecken).

25 [397]

Werthschätzungen entstehen aus dem, was wir als Existenzbedingungen glauben: wandeln sich unsere Existenzbedingungen oder unser Glaube darin, dann auch die Werthschätzungen.

25 [398]

Erhaltung der Gemeinde (des Volkes) ist meine Correktur statt “Erhaltung der Gattung”.

25 [399]

Furcht vor dem Tode ist vielleicht älter als Lust und Schmerz, und Ursache vom Schmerze.

25 [400]

Schmerz — ein Vorwegnehmen der Consequenzen einer Wunde, die Gefühl der Kraftverminderung mit sich bringt? — Nein, eine Erschütterung.

25 [401]

Vom Haschisch-Genuß und vom Träumen weiß man, daß die Schnelligkeit der geistigen Vorgänge ungeheuer ist. Offenbar bleibt uns der größte Theil davon erspart, ohne bewußt zu werden.

Es muß eine Menge Bewußtseins und Willen's in jedem complizirten organischen Wesen geben: unser oberstes Bewußtsein hält für gewöhnlich die anderen geschlossen. Das kleinste organ<ische> Geschöpf muß Bewußtsein und Willen haben.

25 [402]

Der heftigste Reiz ist an sich kein Schmerz: sondern in jener Erschütterung, welche wir fühlen, ist das nervöse Centrum erkrankt, und das erst projicirt den Schmerz an die Stelle des Reizes. Diese Projektion ist eine Schutz- und Defensiv-Maßregel. In der Erschütterung sind eine Menge Affekte: Überfall, Furcht, Gegenwehr, Arger, Wuth, Vorsicht, Nachdenken über Sicherheitsmaßregeln — die Bewegungen des ganzen Körpers resultiren hieraus. Schmerz ist eine tiefe Gemüthsbewegung, mit einer Unmasse von Gedanken auf Einmal; eine Erkrankung durch Verlust des Gleichgewichts und momentane Überwältigung des Willens.

25 [403]

Ich setze Gedächtniß und eine Art Geist bei allem Organischen voraus: der Apparat ist so fein, daß er für uns nicht zu existiren scheint. Die Thorheit Häckels, zwei Embryons als gleich anzusetzen!

Man muß sich nicht täuschen lassen durch die Kleinheit — das Organische nicht entstanden.

25 [404]

Was für Eigenschaften man haben muß, um Gott zu entbehren — was für welche, um “die Religion des Kreuzes”? Muth, Strenge des Kopfes, Stolz, Unabhängigkeit und Härte, keine Grübelei, Entschlossenheit usw. Vermöge eines Rückgangs siegt immer wieder das Christenthum. — Gewisse Zeitumstände müssen günstig sein.

25 [405]

Regulative Voraussetzungen.

  1. Die Entbehrlichkeit Gottes.
  2. Gegen die Tröster und Kreuzes-Tröstungen.
  3. Das Bewußte als oberflächlich.
  4. Kritik der guten Menschen.
  5. Kritik der Genie’s.
  6. Kritik der Religionsstifter.
  7. Kritik der Mächtigen.
  8. Die Rassen und die Colonisation.
  9. Der Geschlechtstrieb.
  10. Die Sklaverei.
  11. Kritik der griechischen Cultur.
  12. Geist der Musik.
  13. Geist der Revolution.
  14. Erdregierung.
  15. Feste.
  16. Das Mitleiden.
  17. Strafe, Lohn, Bezahlung.

Meine Aufgabe: die Menschheit zu Entschlüssen zu drängen, die über alle Zukunft entscheiden!

Höchste Geduld — Vorsicht — den Typus solcher Menschen zeigen, welche sich diese Aufgabe stellen dürfen!

25 [406]

Unsere Ableitung des Zeitgefühls usw. setzt immer noch die Zeit als absolut voraus.

25 [407]

Alle unsere Religionen und Philosophien sind Symptome unseres leiblichen Befindens: — daß das Christenthum zum Sieg kam, war die Folge eines allgemeinen Unlust-Gefühls und einer Rassen-Vermischung (d. h. eines Durch- und Gegeneinander im Organismus)

25 [408]

Ehrfurcht vor den Instinkten, Trieben, Begierden, kurz alledem, dessen Grund man nicht völlig durchschaut! Es sind Kräfte da, welche stärker sind als alles, was formulirt werden kann am Menschen. Aber ebenso Furcht und Mißtrauen gegen dies Alles, weil es das Erbe sehr verschiedenwerthiger Zeiten und Menschen ist, das wir da in uns herumschleppen!

— daß die höchste Kraft, als Herrschaft über Gegensätze, den Maaßstab abgiebt: —

der menschliche Leib ist ein viel vollkommeneres Gebilde als je ein Gedanken- und Gefühlssystem, ja viel höher als ein Kunstwerk — —

25 [409]

— das Kunstwerk als ein Zeugniß unserer Lust an der Vereinfachung, an dem Fort-Schaffen durch Concentration unter Ein Gesetz

— der Intellekt ein Abstractions-Apparat

— das Gedächtniß: alles, was wir erlebt haben, lebt: es wird verarbeitet, zusammengeordnet, einverleibt.

25 [410]

Entwicklung der Grausamkeit: Freude im Anblick des Leidenden — auch bei blutigen Culten als Götter freude vorausgesetzt (die Selbstverstümmelung).

der Anblick des Leidens erregt das Mitgefühl, und der Triumph des Mächtigen, Gesunden, Sicheren genießt sich als Lust an diesem eigenen Leiden — wir sind stark genug, um uns wehethun zu können! Die Lebens-Sicheren genießen also die Tragödie (vielleicht bei den Griechen der Glaube an Wiederkunft? als Gegengewicht)

25 [411]

Unterschied von niederen und höheren Funktionen: Rangordnung der Organe und Triebe, dargestellt durch Befehlende und Gehorchende.

Aufgabe der Ethik: die Werthunterschiede als physiologische Rangordnung von “höher” und “nieder” (“wichtiger, wesentlicher, unentbehrlicher, unersetzlicher” usw.)

25 [412]

Die Hinter-Absichten bei den Philosophen z. B. die Scheinbarkeit der Welt (Brahmanen, Eleaten, Kant) hervorzuziehen: irgend eine Unzufriedenheit moral<ischer> Natur, als etwas Lügenhaftes: ein Werthurtheil. — Für einen sehr Übermüthigen könnte sogar der Schein als solcher entzücken.

25 [413]

Die Vertröstungen auf das jenseits haben den Werth, Viele Schwer- und Mühsam-Lebende im Leben zu erhalten: die Mißrathenen zu propagiren: was (wie bei Rassen-Mischungen) werthvoll an sich sein kann, weil später einmal eine Rasse rein wird.

Der ganze innere Widerstreit der Gefühle, das Bewußtsein der übermächtigen Triebe, die Schwäche vor der Außenwelt — das sind sehr häufige Thatsachen, aber der Charakter des Lebens bringt es mit sich, daß die zahlreichsten Exemplare mißrathen. Womit haben sich nun die An-sich-Leidenden das Leben doch acceptabel gemacht?

25 [414]

Wie theuer machen sie sich bezahlt dafür, daß sie verehren!

25 [415]

I Th<eil>. alle Arten von Anzeichen der Weltflucht sammeln: und deren Motive:

25 [416]

Mit dem Schlusse seines Lebens hat — R<ichard> W<agner> sich durchgestrichen: unfreiwillig gestand er ein, daß er verzweifelte und sich vor dem Christenthum niederwarf.

Ein Überwundener! — Das ist ein Glück: denn welche Confusion hätte sonst sein Ideal noch hervorgebracht! Die Stellung zum Christenthum entschied mich — zugleich über allen Schopenh<auerianismus> und den Pessimismus.

W<agner> hat vollkommen Recht, wenn er sich vor jedem tiefen Christen in den Staub wirft: er steht wirklich viel tiefer als solche Naturen! — Nur soll er sich nicht beikommen lassen, die ihm überlegenen höheren Naturen zu seiner Attitüde herabzuziehen!

Sein Intellekt, ohne Strenge und Zucht, war sklavisch an Sch<openhauer> gebunden: gut!

25 [417]

“Le public! le public! Combien faut il de sots pour faire un public?”

25 [418]

Ducis sagte “tout notre bonheur n’est qu'un malheur plus ou moins console”.

25 [419]

Ich will etwas über die Propheten und Psalmen und Hiob sagen: und das neue Testament.

25 [420]

Der Glaube an die Lust im Maaßhalten fehlte bisher — diese Lust des Reiters auf feurigem Rosse! .

25 [421]

25 [422]

25 [423]

25 [424]

25 [425]

25 [426]

Leid- und Lustmachen: mitleiden, wehethun — das setzt alles schon eine Werthschätzung von Leid und Lust voraus. “Nützlich“, “schädlich” sind höhere Begriffe: es kann sein, daß ich wehethun (und “auf schlechte Weise” wohlthun!) muß, um zu nützen. Gar im weiteren Sinne: es könnte sein, daß ich die ganze Immoralität brauchte, um im großen Sinne zu nützen.

Aber was ist ursprünglicher, Lust und Leid — oder “nützlich und schädlich”?

Ist vielleicht alles Schmerz- und Lustempfinden erst eine Wirkung des Urtheils “nützlich, schädlich” (gewohnt, Sicher, ungefährlich, bekannt usw.)?

Im Urtheil über gewisse Dinge sehen wir Ekel verschwinden: die Harmonie der Töne ursprünglich ohne Lust. Der Genuß an Linien vielfach unbegreiflich. Der Genuß an Formeln, an dialektischen Bewegungen entsteht erst.

Wenn aber Lust und Unlust erst Resultate von Werth-schätzungen sind so liegen die Ursprünge der Werthschätzung nicht in den Empfindungen. Die Urtheile “höhere” und “niedere Funktionen” müssen schon in allen organischen Gebilden da sein, lange vor allen Lust- und Unlust-Empfindungen.

Die Rangordnung ist das erste Resultat der Schätzung: im Verhältniß der Organe zu einander müssen schon alle Tugenden geübt werden — Gehorsam, Fleiß, Zu-Hülfekommen, Wachsamkeit — es fehlt ganz der Maschinen-Charakter in allem Organischen (Selbst-Regulirung).

25 [427]

NB. das Princip der Erhaltung des Individuums (oder “die Todesfurcht”) ist nicht aus Lust- und Unlust-Empfindungen abzuleiten, sondern etwas Dirigirendes, eine Werthschätzung, welche schon allen Lust- und Unlust-Gefühlen zu Grunde liegt.

— Noch mehr gilt dies von der “Erhaltung der Gattung”: aber dies ist nur eine Folge des Gesetzes der “Erhaltung des Individuums”, kein ursprüngliches Gesetz.

— Erhaltung des Individuums.- d. h. voraussetzen, daß eine Vielheit mit den mannichfaltigsten Thätigkeiten sich „erhalten” will, nicht als sich-selber-gleich, sondern “lebendig” — herrschend — gehorchend — sich ernährend — wachsend —

Alle unsere mechanischen Gesetze sind aus uns, nicht aus den Dingen! Wir construiren nach ihnen die „Dinge”.

Die Synthese “Ding” stammt von uns: alle Eigenschaften des Dinges von uns. „Wirkung und Ursache” ist eine Verallgemeinerung unseres Gefühls und Urtheils.

Alle die Funktionen, welche die Erhaltung des Organismus mit sich bringen, haben sich allein erhalten und fortpflanzen können.

Die intellektuellen Thätigkeiten haben sich allein erhalten können, welche den Organismus erhielten; und im Kampfe der Organismen haben sich diese intellektuellen Thätigkeiten immer verstärkt und verfeinert, d.h.— — —

NB. — der Kampf als Herkunft der logischen Funktionen. Das Geschöpf, welches sich am stärksten reguliren, discipliniren, urtheilen konnte — mit der größten Erregbarkeit und noch größerer Selbstbeherrschung — ist immer übrig geblieben.

25 [428]

Grundsatz: das, was im Kampf mit den Thieren dem Menschen seinen Sieg errang, hat zugleich die schwierige und gefährliche krankhafte Entwicklung des Menschen mit sich gebracht. Er ist das noch nicht festgestellte Thier.

25 [429]

Welche „Tugenden” der Kampf der Thiere gezüchtet hat?

(Gehorsam bei der Heerde — Muth Initiative Einsicht bei den Führern.)

25 [430]

Die Rangordnung hat sich festgestellt durch den Sieg des Stärkeren und die Unentbehrlichkeit des Schwächeren für den Stärkeren und des Stärkeren für den Schwächeren — da entstehen getrennte Funktionen: denn Gehorchen ist ebenso eine Selbst-Erhaltungs-Funktion als, für das stärkere Wesen, Befehlen.

25 [431]

Ob es im menschlichen Organismus, zwischen den verschiedenen Organen, „Mitleid” giebt? Gewiß, im höchsten Grade. Ein starkes Nachklingen und Um-sich-greifen eines Schmerzes: eine Fortpflanzung des Schmerzes, doch nicht des gleichen Schmerzes. (Aber ebenso steht es ja auch bei den Individuen unter einander!)

25 [432]

Wir können alles das, was noththut, um den Organismus zu erhalten, als „moralische Forderung” fassen: es giebt ein „Du sollst” für die einzelnen Organe, das ihnen vom befehlenden Organe zukommt. Es giebt Unbotmäßigkeit der Organe, Willens- und Charakter-Schwächen des Magens z. B.

— Es herrscht da nicht eine mechanische Nothwendigkeit — — —? es wird manches befohlen, was nicht völlig geleistet werden kann (weil die Kraft zu gering ist) Aber oft äußerste Anspannung des Magens z. B. um seine Aufgabe zu vollenden — ein Willens- Aufgebot, wie wir dies selber an uns kennen bei schweren Aufgaben. Die Anstrengung und ihr Grad ist nicht aus bewußten Motiven zu begreifen: Gehorsam ist am Organe nicht ein sich abspielender Mechanismus — — —?

25 [433]

Das “Höher” und “Niedriger”, das Auswählen des Wichtigeren, Nützlicheren, Dringlicheren, besteht schon in den niedrigsten Organismen. “Lebendig”: d.h. schon schätzen: —

In allem Willen ist schätzen – und Wille ist im Organischen da.

25 [434]

Die ganze vorhandene Welt ist auch ein Produkt unserer Werthschätzungen — und zwar der gleichgebliebenen. —

25 [435]

Die hohen Menschen: die Nothwendigkeit des Mißverständnisses, die allgemeine Zudringlichkeit der Menschen von heute, ihr Glaube über jeden großen Menschen mitreden zu dürfen. Ehrfurcht — — —

— das dumme Gerede vom Genie usw. Das Gefühl der unbedingten Überlegenheit, der Ekel vor der Prostration und Sklaverei. Was sich aus dem Menschen machen läßt: das geht ihn an. Die Weite seines Blicks

25 [436]

(nicht von Ursachen des Wollens, sondern von Reizen des Wollens sollte man reden)

Wollen d<as ist> befehlen: befehlen aber ist ein bestimmter Affekt (dieser Affekt ist eine plötzliche Kraftexplosion) — gespannt, klar, ausschließlich Eins im Auge, innerste Überzeugung von der Überlegenheit, Sicherheit, daß gehorcht wird — “Freiheit des Willens” ist das “Überlegenheits-Gefühl des Befehlenden” in Hinsicht auf den Gehorchenden: „ich bin frei, und Jener muß gehorchen”.

Nun sagt ihr: der Befehlende selber muß — — —

25 [437]

Die Moralen Kants, Schopenhauers gehen, ohne es zu merken, schon von einem moral<ischen> Kanon aus: der Gleichheit der Menschen, und daß was für den Einen Moral ist, es auch für den Anderen sein müsse. Das ist aber schon die Consequenz einer Moral, vielleicht einer sehr fragwürdigen.

Ebenso setzt die Verwerfung des Egoismus schon einen moral<ischen> Kanon voraus: warum wird er verworfen? Weil er als verwerflich gefühlt wird. Aber das ist schon die Wirkung einer Moral und keiner sehr durchdachten!

— Und daß man eine Moral will, setzt schon einen mor<alischen> Kanon voraus! Man sollte doch Ehrfurcht haben vor dieser einverleibten Moral der Selbsterhaltung! Sie ist bei weitem das feinste System der Moral!

Die thatsächliche Moralität des Menschen in dem Leben seines Leibes ist hundert Mal größer und feiner als alles begriffliche Moralisiren es war. Die vielen “Du sollst”, die fortwährend in uns arbeiten! Die Rücksichten von Befehlenden und Gehorchenden unter einander! Das Wissen um höhere und niedere Funktionen!

Der Versuch zu machen, alles Zweckmäßig-Scheinende als das allein Leben-Erhaltende und folglich allein Erhaltene zufassen — —

Wie der Zweck sich zum eigentlichen Vorgang verhält, so das moral<ische> Urtheil zu dem wirklichen vielfältigeren und feineren Urtheilen des Organismus — nur ein Ausläufer und Schlußakt davon.

25 [438]

  1. Wir wollen unsere Sinne festhalten und den Glauben an sie — und sie zu Ende denken! Die Widersinnlichkeit der bisherigen Philosophie als der größte Widersinn des Menschen.
  2. die vorhandene Welt, an der alles Irdisch-Lebendige gebaut hat, daß sie so scheint (dauerhaft und langsam bewegt) wollen wir weiter bauen — nicht aber als falsch wegkritisiren!
  3. unsere Werthschätzungen bauen an ihr, sie betonen und unterstreichen. Welche Bedeutung hat es, wenn ganze Religionen sagen: “es ist alles schlecht und falsch und böse!” Diese Verurtheilung des ganzen Prozesses kann nur ein Urtheil von Mißrathenen sein!
  4. freilich, die Mißrathenen könnten die Leidendsten und Feinsten sein? Die Zufriedenen könnten wenig werth sein?
  5. man muß das künstlerische Grundphänomen verstehen, welches Leben heißt — den bauenden Geist, der unter den ungünstigsten Umständen baut: auf die langsamste Weise

— — — der Beweis für alle seine Combinationen muß erst neu gegeben werden: es erhält sich.

25 [439]

Vor Allem: ohne Eile! Langsam! die Eroberung erst sicher stellen! Nach dem Vorbilde Rußlands! Und guter Dinge sein auf jeder Station!

25 [440]

Der Anblick der Massen und der Lehrer der Massen verdüstert

25 [441]

Warum die Ethik am meisten zurückgeblieben? Denn noch die letzten berühmten Systeme sind Naivetäten! Ebenso die Griechen! Die Lehren des Christenthums von der Sünde sind hinfällig geworden wegen des Hinfalls Gottes.

— unsere Handlungen gemessen an unserem Vorbilde! Aber daß wir ein Vorbild haben und ein solches, ist schon Folge einer Moral.

— der Jude, der sich an seinem Gotte maß — das hatte im Hintergrunde den Willen, sich selber zu verachten, und sich auf Gnade und Ungnade vor ihm niederzuwerfen. — Selbst Jesus wehrte sich dagegen, gut genannt zu werden. “Keiner ist gut, als Gott”, sagte er. Daß ihn Niemand einer Sünde zeihen konnte, ist etwas anderes: dies beweist nichts gegen die Kritik vor seinem Gewissen. Ein Mensch, der sich absolut gut fühlt, müßte geistig ein Idiot sein.

— dieses Auf-Gnade-und-Ungnade-sich-niederwerfen ist im Christenthum orientalisch: nicht vornehm!

— das Sklavenhafte an den jetzigen Juden, auch an den Deutschen —

— Dies Sich-gleich-setzen, im Mitleiden, ist bereits die Consequenz eines moral<ischen> Urtheils: kein Grundphänomen und nicht überall: überdies ist es in der Seele des Heerden-Wesens ein anderes als in der Seele des Mächtigen: eigentlich nur ein Gefühl unter Gleichen —: für den Geringeren ist der leidende Höhere ein Grund zum Wohlgefühl und Übergefühl.

— “die philosophischen wie die religiösen Systeme sind darüber einig, daß die ethische Bedeutsamkeit der Handlungen zugleich eine metaphysische sein müsse” usw. usw. Schopenhauer, Gr<undlage> der Moral p. 261. Perikles vor dem Tode: die Gedanken nehmen eine moralische Richtung.

Nun, im Falle des Pericles: er erwägt seinen Nachruf bei seinen Bürgern. Der Schüler des Anaxagoras war Freigeist. — Es liegt auf der Hand, daß, weil diese Systeme das Leben der Seele glauben, sie im Momente des Todes ein Urtheil über den Werth des vollbrachten Lebens veranlassen: — was für ein ferneres Leben werden wir haben?

Belohnung der Guten und Bestrafung der Bösen im Jenseits war das Zuchtmittel, welches die Religionen anwendeten, eine Art Vollendung der Welt-Ordnung, ein Ausgleich gegenüber den Thatsachen.

25 [442]

Der Charakter eines guten Menschen “an sich selbst”: “daß er weniger als die übrigen einen Unterschied zwischen sich und Anderen macht” Schopenhauer 1. c. 265.

25 [443]

Die bisherigen Ethiker haben keine Vorstellung, wie sie unter ganz bestimmten Vorurtheilen der Moral stehen: sie meinen alle schon zu wissen, was gut und böse ist.

Socrates wußte es nicht: aber alle seine Schüler definirten es d.h. sie nahmen an, es sei da, und es handle sich, es gründlich zu beschreiben. Wie! Wenn ich sagte: ist es denn da? Hat man schon überlegt, wonach hier zu messen ist? Und andererseits: vielleicht wissen wir überhaupt nicht genug, um den Werth der Handlungen abschätzen zu können! Genug, daß wir versuchsweise für lange Zeiten nach Einer Moral leben!

25 [444]

Wie viel betrüben wir uns über Leiden, die wir nicht gelitten, sondern verursacht haben! Aber es ist unvermeidlich; und wir sind nicht deshalb mit uns unzufrieden, außer in Zuständen der Schwäche und des Mißtrauens in unser Recht dazu!

25 [445]

Bisheriger Verlauf der Philosophie: man wollte die Welt erklären, aus dem, was uns selber klar ist — wo wir selber glauben zu verstehen. Also bald aus dem Geiste oder der Seele, oder dem Willen, oder als Vorstellung, Schein, Bild, oder vom Auge aus (als optisches Phänomen, Atome, Bewegungen) oder Leibe, oder aus Zwecken, oder aus Stoß und Zug d. h. unserem Tastsinn. Oder aus unseren Werthschätzungen heraus, als Gott der Güte Gerechtigkeit usw., oder aus unseren aesthetischen Werthschätzungen. Genug, auch die Wissenschaft thut, was der Mensch immer gethan: etwas von sich, das ihm als verständlich, als wahr gilt, zur Erklärung benutzen alles Anderen — Vermenschlichung in summa. Es fehlt noch die große Synthese und auch die Einzel-Arbeit ist noch ganz im Werden z. B. die Reduction der Welt auf optische Phänomene (Atome) Wir legen den Menschen hinein — das ist Alles, wir schaffen immerfort diese vermenschlichte Welt. Es sind Versuche darüber, welches Verfahren am meisten Schluß-Kraft hat (z. B. mechanisch)

25 [446]

Jemandem nicht zürnen, der uns schadet, weil alles nothwendig ist — das wäre selber schon Folge einer Moral: welche hieße „du sollst dich gegen das Nothwendige nicht empören”. — Es ist unvernünftig: aber wer sagt: „Du sollst vernünftig sein!“

25 [447]

Redlichkeit, als Consequenz von langen moralischen Gewöhnungen: die Selbst-Kritik der Moral ist zugleich ein moralisches Phänomen <ein> Ereigniß der Moralität.

25 [448]

Die Methode der mechanischen Weltbetrachtung ist einstweilen bei weitem die redlichste: der gute Wille zu allem, das sich controlirt, alle logischen Control-Funktionen, alles das was nicht lügt und betrügt, ist da in Thätigkeit.

25 [449]

Die vorläufigen Wahrheiten.

Es ist etwas Kindisches oder gar eine Art Betrügerei, wenn jetzt ein Denker ein Ganzes von Erkenntniß, ein System hinstellt — wir sind zu gut gewitzigt, um nicht den tiefsten Zweifel an der Möglichkeit eines solchen Ganzen in uns zu tragen. Es ist genug, wenn wir über ein Ganzes von Voraussetzungen der Methode übereinkommen — über vorläufige Wahrheiten nach deren Leitfaden wir arbeiten wollen: so wie der Schiffahrer im Weltmeer eine gewisse Richtung festhält

25 [450]

Das, was im Menschen am besten entwickelt ist, das ist sein Wille zur Macht — wobei sich ein Europäer nicht gerade durch ein paar Jahrtausende einer erlogenen, vor sich selber verlogenen Christlichkeit täuschen lassen muß.

25 [451]

Philosophie als Liebe zur Weisheit. Hinauf zu dem Weisen als dem Beglücktesten, Mächtigsten, der alles Werden rechtfertigt und wieder will.

— nicht Liebe zu den Menschen oder zu Göttern, oder zur Wahrheit, sondern Liebe zu einem Zustand, einem geistigen und sinnlichen Vollendungs-Gefühl: ein Bejahen und Gutheißen aus einem überströmenden Gefühle von gestaltender Macht. Die große Auszeichnung.

wirkliche Liebe!

25 [452]

Befehle “so sollt ihr schätzen!” sind die Anfänge aller moralischen Urtheile — ein Höherer Stärkerer gebietet und verkündet sein Gefühl als Gesetz für Andere.

Aus dem Nutzen her würde man nicht das Verehren ableiten können. Zuerst sind Menschen verehrt worden: der Glaube an Götter tritt in den Vordergrund, wenn der Mensch immer weniger „verehrenswerth” erscheint — also der Glaube an “Urväter” oder an die Entscheidungen ehemaliger Richter.

25 [453]

Zarathustra im 2ten Theil als Richter

die grandiose Form und Offenbarung der Gerechtigkeit, welche gestaltet, baut und folglich vernichten muß (sich selber dabei entdeckend, überrascht, plötzlich das Wesen des Richtenden zu erkennen)

Hohn dagegen: “zerbrecht den Guten und Gerechten” — schreit das Weib, das ihn mordet

25 [454]

“Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muß” — es kommt auf das tempo an: die Griechen bewunderungswürdig: ohne Hast,

— meine Vorfahren Heraclit Empedocles Spinoza Goethe

25 [455]

25 [456]

NB. “Ich bedarf dessen Allen nicht: aber ich nehme es wie ein Geschenk. Ich weihe es als der Nehmende” — so Zarathustra über viele Güter des Lebens.

25 [457]

Wir wollen Erben sein aller bisherigen Moralität: und nicht von Neuem anfangen. Unser ganzes Thun ist nur Moralität, welche sich gegen ihre bisherige Form wendet.

25 [458]

“Könnt ihr schwören? seid ihr eurer gewiß genug dazu?” fragt Zarathustra.

25 [459]

Das Princip, vermöge dessen der Mensch über die Thiere Herr geworden ist, wird auch wohl das Princip sein, welches “den höchsten Menschen” festsetzt: Macht, Klugheit, Warten-können, Verabredung, Strenge, Krieger-Affekte.

25 [460]

Alle Werthschätzungen sind Resultate von bestimmten Kraftmengen und dem Grad Bewußtheit davon: es sind die perspektivischen Gesetze je nach dem Wesen eines Menschen und Volkes — was nah, wichtig, nothwendig ist usw.

Alle menschlichen Triebe, wie alle thierischen sind unter gewissen Umständen als Existenz-Bedingungen ausgebildet und in den Vordergrund gestellt worden. Triebe sind die Nachwirkungen lange gehegter Werthschätzungen, die jetzt instinktiv wirken, wie als ein System von Lust- und Schmerzurtheilen. Zuerst Zwang, dann Gewöhnung, dann Bedürfniß, dann natürlicher Hang (Trieb)

25 [461]

Das Gefühl — eine Folge von Werthschätzungen. Sensorium commune

25 [462]

Weil wir die Erben von Menschengeschlechtern sind, die unter den verschiedenstcn Existenz-Bedingungen gelebt haben, enthalten wir in uns eine Vielheit von Instinkten. Wer sich für “wahrhaftig” giebt, ist wahrscheinlich ein Esel oder ein Betrüger.

Die Verschiedenheit der thierischen Charaktere: durchschnittlich ist ein Charakter die Folge eines Milieu — eine fest eingeprägte Rolle, vermöge deren gewisse Facta immer wieder unterstrichen und gestärkt werden. Auf die Länge hin entsteht so Rasse: d. h. gesetzt daß die Umgebung sich nicht ändert.

Bei dem Wechsel der Milieu's entsteht ein Hervortreten der überall nützlichsten und anwendbarsten Eigenschaften — oder ein Zugrundegehen. Es zeigt sich als Assimilations-Kraft auch in ungünstigen Lagen, zugleich aber als Spannung, Vorsicht, es fehlt die Schönheit in der Gestalt.

Der Europäer als eine solche Über-Rasse. Ebenso der Jude; es ist zuletzt eine herrschende Art, obwohl sehr verschieden von den einfachen alten herrschenden Rassen, die ihre Umgebung nicht verändert hatten.

Überall beginnt es mit dem Zwang (wenn ein Volk in eine Landschaft kommt). Die Natur, die Jahreszeiten, die Wärme und Kälte usw. das Alles ist zunächst ein tyrannisirendes Element. Allmählich weicht das Gefühl des Gezwungenseins —

25 [463]

Wir sind Gestalten-schaffende Wesen gewesen, lange bevor wir Begriffe schufen. Der Begriff ist am Laute erst entstanden, als man viele Bilder durch Einen Laut zusammenfaßte: mit dem Gehör also die optischen inneren Phänomene rubrizirte.

25 [464]

NB. Die Begriffe “gut” usw. sind aus den Wirkungen entnommen, welche “gute Menschen” ausüben: —

— selbst bei der Selbst-Beurtheilung. —

25 [465]

Der Mensch unerkannt, die Handlung unerkannt. Wenn nun trotzdem über Menschen und Handlungen geredet wird, wie als ob sie erkannt wären, so liegt es daran, daß man über gewisse Rollen übereingekommen ist, welche fast jeder, spielen kann.

25 [466]

Die Entwicklung der Raubsucht
der Lüge und Verstellung
der Grausamkeit
des Geschlechtstriebes
des Mißtrauens
der Härte
der Herrschsucht
zu hochgeschätzten Dingen

— andererseits die Veränderung der Werthschätzung böser Qualitäten, sobald sie Existenz-Bedingungen sind.

vielleicht Rückführung aller Begehrungen auf den Hunger.

25 [467]

Vivisection — das ist der Ausgangs-Punkt! Es kommt Vielen jetzt zum Bewußtsein, daß es manchen Wesen weh thut, wenn erkannt werden soll!! Als ob es je anders gewesen wäre! Und was für Schmerzen!! Feiges weichliches Gesindel!

25 [468]

Ausgangspunkt: es liegt auf der Hand, daß unsere stärksten und gewohntesten Urtheile die längste Vergangenheit haben, also in unwissenden Zeitaltern entstanden und fest geworden sind — daß alles, woran wir am besten glauben, wahrscheinlich gerade auf die schlechtesten Gründe hin geglaubt worden ist: mit dem „Beweisen” aus der Erfahrung haben es die Menschen immer leicht genommen, wie es jetzt noch Menschen giebt, die die Güte Gottes aus der Erfahrung zu “beweisen” vermeinen.

25 [469]

„Zu — Gericht — sitzen.”

Von allen Urtheilen ist das Urtheil über den Werth von Menschen das beliebteste und geübteste — das Reich der größten Dummheiten. Hier einmal Halt zu gebieten, bis es als eine Schmutzigkeit, wie das Entblößen der Schamtheile, gilt — meine Aufgabe. Um so mehr als es die Zeit des suffrage universel ist. Man soll sich geloben, hier lange zu zweifeln und sich zu mißtrauen, nicht “an der Güte des Menschen” sondern an seiner Berechtigung, zu sagen „Dies ist Güte!”

25 [470]

“Der Sinn für Wahrheit” muß, wenn die Moralität des “Du sollst nicht lügen” abgewiesen ist, sich vor einem anderen Forum legitimiren. Als Mittel der Erhaltung von Mensch, als Macht-wille.

— ebenso unsere Liebe zum Schönen ist ebenfalls der gestaltende Wille. Beide Sinne stehen bei einander — der Sinn für das Wirkliche ist das Mittel, die Macht in die Hand zu bekommen, um die Dinge nach unserem Belieben zu gestalten. Die Lust am Gestalten und Umgestalten — eine Urlust! Wir können nur eine Welt begreifen, die wir selber gemacht haben.

25 [471]

Das Gutheißen unserer Begrenztheit des Erkennens — die Vortheile dabei: es ist viel Muth und Lust da möglich. Das Seufzen und die Pascalsche Scepsis sind schlechtes Blut.

— das Christenthum als die Wirkung des entarteten schlechten Blutes

25 [472]

bonus = jan: der Glänzende, Hervorscheinende?

malus man-lus (Manlius) = man der Verrückte?

böse d. h. bass der Starke?

gut Gothe (Gott) „der Göttliche” ursprüngliche Bezeichnung der Vornehmen Gothen.

(oder gobt der Geber? wie optimus?) wird der Gott als der Gute (optimus) oder der Gute als göttlich bezeichnet?

optimus op-  der Schenkende?

25 [473]

Archimedes beim Baden ein Grundgesetz der Hydraulik findend

Goethe: „mein ganzes inneres Wirken erwies sich als eine lebendige Heuristik, welche, eine unbekannte geahnete Regel anerkennend, solche in der Außenwelt zu finden und — in die Außenwelt einzuführen trachtet”.

25 [474]

Die Pharisäer thaten Recht, Jesus zu verurtheilen. Ebenso die Athener.

25 [475]

Goethe. “Ein Jeder leidet, der nicht für sich selbst genießt. Man handelt für Andere, um mit Anderen zu genießen.”

25 [476]

Goethes Erklärung des “deutschen Gemüths” “Nachsicht mit Schwächen, fremden und eignen.”

25 [477]

Wer so steht wie ich, verliert, mit Goethe zu reden, „eines der größten Menschenrechte, nicht mehr von Seinesgleichen beurtheilt zu werden”.

25 [478]

“Die Meisterschaft gilt oft für Egoismus” Goethe.

25 [479]

Vellejus Paterculus I 9,3 virum in tantum laudandum, in quantum intellegi virtus potest.

25 [480]

Goethe: „wir Alle sind so bornirt, daß wir immer glauben Recht zu haben; und so läßt sich ein außerordentlicher Geist denken, der nicht allein irrt, sondern sogar Lust am Irrthum hat.”

25 [481]

Chi non fa, non falla „irrt nicht”.

25 [482]

“Magna ingenia conspirant.”

25 [483]

Die moral<ischen> Werthurtheile sind vielmehr dreiste Werthzulegungen — und Werth — Aberkennungen — im Grunde eine sehr geringe Leistung der Urtheilsfähigkeit.

25 [484]

Die Wege der Freiheit.

— Sich seine Vergangenheit abschneiden (gegen Vaterland, Glaube, Eltern, Genossen

— der Verkehr mit den Ausgestoßenen aller Art (in der Historie und der Gesellschaft)

— das Umwerfen des Verehrtesten, das Bejahen des Verbotensten — die Schadenfreude in großem Stile an Stelle der Ehrfurcht

— alle Verbrechen thun

— Versuch, neue Schätzungen

Gerechtigkeit als bauende ausscheidende vernichtende Denkweise, aus den Werthschätzungen heraus: höchster Repräsentant des Lebens selber.

Weisheit und ihr Verhältniss zur Macht: einstmals wird sie einflußreicher sein — bisher war der Irrthum, die Pöbel-Werthschätzung auch im Weisen noch zu groß!

25 [485]

Um Gerathenes und Mißrathenes zu unterscheiden, ist der Leib der beste Rathgeber, mindestens ist er am besten zu studiren.

25 [486]

Die verschiedenen moral<ischen> Urtheile sind bisher nicht auf die Existenz der Gattung „Mensch” zurückgeführt: sondern auf die Existenz von „Volk” „Rassen” usw. — und zwar von Völkern, welche sich gegen andere Völker behaupten wollten, von Ständen, welche sich scharf von niederen Schichten abgrenzen wollten.

25 [487]

Man soll jedem die Frage zugestehn: ist meine Existenz, gegen meine Nicht-existenz gerechnet, ein Ding, das gerechtfertigt werden kann?

25 [488]

Grundeinsicht: die “guten” und die “bösen” Eigenschaften sind im Grunde dieselben — beruhen auf den gleichen Trieben der Selbst-Erhaltung, der Aneignung, Auswahl, Absicht auf Fortpflanzung usw.

25 [489]

Der Weise und die Künste. (Er hat sie alle in sich)

Der Weise und die Politik.

Der Weise und die Erziehung.

Der Weise und die Geschlechter.

— als ein Wesen, dessen Einfluß spät erst zu spüren ist. Unabhängig, geduldig, ironisch —

25 [490]

Weisheit und Liebe zur Weisheit.

Fingerzeige zu einer Philosophie der Zukunft.

Von

Friedrich Nietzsche

25 [491]

Die nothwendige Verborgenheit des Weisen: sein Bewußtsein, unbedingt nicht verstanden zu werden, sein Macchavellismus, seine Kälte gegen das Gegenwärtige.

— die absolute Unverträglichkeit der Weisheit mit dem “Wohl der Massen”: “Preßfreiheit” “öffentlicher Unterricht” — das Alles verträgt sich bloß bei gröblichster Täuschung über den Charakter der Weisheit. Sie ist das gefährlichste Ding der Welt!

— natürlich gilt mir eine Ehe ohne alle Sanction als einzig für den Weisen berechtigt. Es ist eine Komödie, wenn er sich anders dazu stellt, was unter Umständen rathsam z. B. Goethe.

— Grundsatz, daß alle Zustände darauf eingerichtet sind, ihn unmöglich zu machen: die Ehrfurcht vor dem Weisen ist untergraben durch die Religionen, durch das suffrage universel, die Wissenschaften! Man muß erst lehren, daß diese Religionen Pöbel-Angelegenheit sind, im Vergleich zur Weisheit! Man muß die vorhandenen Religionen vernichten, nur, um diese absurden Schätzungen zu beseitigen, als ob ein Jesus Christus überhaupt neben einem Plato in Betracht käme, oder ein Luther neben einem Montaigne!

25 [492]

Von der Rang-Ordnung.

Wo “moralisch” geurtheilt wird, höre ich die feindseligen Instinkte, Abneigungen, verletzte Eitelkeiten, Eifersucht Worte wählen — es ist eine Maskerade in Worten —

— ich fand es unmöglich, die “Wahrheit” zu lehren, wo die Denkweise niedrig ist.

Zukünftiges Zeitalter der großen Kriege. Das Mißtrauen auf die Dauerhaftigkeit. Das Bestechen aller Parteien und Interessirten, die Anwendung aller schlechten Mittel

25 [493]

—nur die Liebe soll richten— — Refrain

die schaffende Liebe, die sich selber über ihren Werken vergißt —

25 [494]

Zu demonstriren, daß einige Menschen bei Seite gehen müssen

25 [495]

Wir heißen eine Eigenschaft an einem Thier “böse” und finden doch seine Existenz-Bedingung darin! Für das Thier ist es sein “Gutes” — es ist gesund und stark darin, zum Zeichen dafür! — Also: man nennt Etwas “gut” und “böse” im Verhältniß zu uns, nicht zu sich! d. H. die Grundlage von „gut” und “böse” ist egoistisch.

Aber der Egoismus der Heerde!

Jedes Nützliche ist nothwendig auch ein Schädliches, im Verhältniß zu anderen Dingen. “Ein guter Mensch” — das ist Eine Seite angesehn. Auf die Ferne beurtheilt, ist es ein Heerden-Mensch, schwach, und leicht zu täuschen und zu Grunde zu richten, auch geistig gehorsam, nicht schöpferisch.

25 [496]

Sich niederwerfen vor dem, was man nicht hat, wenn man sich schlecht fühlt bei allem, was man hat z. B. Wagner: er glaubt ans Glück der unbegrenzten Hingebung, des unbegrenzten Zutrauens, das Glück des Mitleidenden, des Keuschen — Alles das kennt er nicht aus Erfahrung! Daher die Phantasterei!

25 [497]

Die schlechte Manier zu verehren, etwa Shakespeare und Beethoven, um den Gedanken vorzubereiten, er sei die Vereinigung von Beiden.

25 [498]

Es hat mich freier gemacht — jede tiefe Verunglimphfung, jede Verkennung: immer weniger will ich von den Menschen: immer mehr kann ich ihnen geben. Das Abschneiden jedes einzelnen Bandes ist hart, aber ein Flügel wächst mir statt des Bandes.

— unbedingt in seinem Rechte sein: Mitleiden meine Schwäche, die ich überwinde. Es ist gut, wenn der abscheulichste Mißbrauch meines Mitgefühls und meiner Schonung mich endlich belehrt, daß ich hier nichts zu thun habe.

25 [499]

— die „Umwandlung” eines Menschen durch eine herrschende Vorstellung ist das psychologische Urphänomen, auf welches das Christenthum gebaut ist; es sieht darin „ein Wunder”. Wir — — —

Ich glaube ganz und gar nicht daran, daß ein Mensch auf Ein Mal ein hoher wertvoller Mensch wird; der Christ ist mir ein ganz gewöhnlicher Mensch mit ein paar anderen Worten und Werthschätzungen. Auf die Dauer wirken freilich diese Worte und Werke und schaffen vielleicht einen Typus: der Christ als die verlogenste Art Mensch. Daß er moralisch redet, das verdirbt ihn durch und durch: man sehe Luther. Ein greulicher Anblick, weichlich-sentimental, furchtsam, aufgeregt — — — komisch! wie der “Wahrheitssinn” erwacht und gleich wieder einschläft!

— ich scheide mich von jeder Philosophie ab, dadurch daß ich frage: „gut?” „wozu!” und „gut?” warum nennt ihr das so?

Das Christenthum hat “gut” und “böse” acceptirt und nichts hier geschaffen.

25 [500]

Weisheit und Liebe zur Weisheit

Prolegomena zu einer Philosophie der Zukunft.

Von

Friedrich Nietzsche.

Amor fati.

25 [501]

Kalt, schlau, lustgierig, schadenfroh — man kann fast alle Prozeduren eines Philosophen auf Charakterfehler zurückführen — —

25 [502]

Es kommt vor, daß <wir> einen uneigennützigen Menschen schätzen und auszeichnen: nicht etwa weil er uneigennützig ist, sondern nur weil er ein Recht darauf zu haben scheint, einem anderen Menschen auf seine eigenen Unkosten zu nützen: und an einem, der zum Herren geschaffen ist, wird Selbstverleugnung und Uneigennützigkeit — — — Es fragt sich immer, wer es ist und wer Jener ist. Der unbedingte Hang zur Uneigennützigkeit würde uns nur als Zeichen der Heerden-Natur gelten

25 [503]

Von der höchsten Stufe der Moralität: sie wendet den Blick gegen sich selber, versuchsweise.

25 [504]

Die Liebe zur Weisheit.

Die Missrathenen und Blutverderbten. (Gegen das Christenthum)

Der Weise, und die Güter des Lebens.

25 [505]

Diese perspektivische Welt, diese Welt für das Auge, Getast und Ohr ist sehr falsch, verglichen schon für einen sehr viel feineren Sinnen-Apparat. Aber ihre Verständlichkeit Übersichtlichkeit, ihre Praktikabilität, ihre Schönheit beginnt aufzuhören, wenn wir unsere Sinne verfeinern: ebenso hört die Schönheit auf, beim Durchdenken von Vorgängen der Geschichte; die Ordnung des Zwecks ist schon eine Illusion. Genug, je oberflächlicher und gröber zusammenfassend, um so werthvoller, bestimmter, schöner, bedeutungsvoller erscheint die Welt. Je tiefer man hineinsieht, um so mehr verschwindet unsere Werthschätzung — die Bedeutungslosigkeit naht sich! Wir haben die Welt, welche Werth hat, geschaffen! Dies erkennend erkennen wir auch, daß die Verehrung der Wahrheit schon die Folge einer Illusion ist — und daß man mehr als sie die bildende, vereinfachende, gestaltende, erdichtende Kraft zu schätzen hat — was Gott war

“Alles ist falsch! Alles ist erlaubt!”

Erst bei einer gewissen Stumpfheit des Blicks, einem Willen zur Einfachheit stellt sich das “Schöne”, das „Werthvolle” ein: an sich ist es, ich weiß nicht was.

25 [506]

Ist der Hang zum Wahren wirklich der Sinn des guten Menschen? was für eine gründliche Verlogenheit gehört z.B. dazu, um das neue Testament zu machen!

25 [507]

Alle Physik ist nur Symptomatik.

25 [508]

Es ist unmöglich, die Existenz von Individuen zu erweisen. Es ist nichts an der “Persönlichkeit” fest.

25 [509]

Es wäre eine Erklärung unserer „Welt” aus „falschen Annahmen” möglich. Alles nur perspektivisch, nur in Hinsicht auf die Erhaltung kleiner organischen Wesen.

25 [510]

“Der gute Mensch” ein gefährliches Ding, ein Zeichen der Erschöpfung — mattwerdender Egoismus.

25 [511]

Marc Aurel's Bekenntnisse sind für mich ein komisches Buch.

25 [512]

Der religiöse Affekt ist die interessanteste Krankheit, der der Mensch bisher verfiel. Sein Studium macht einem die gesunden Menschen beinahe langweilig und widrig.

25 [513]

Man muß das Sein leugnen.

25 [514]

Die Entstehung des Gedächtnisses ist das Problem des Organischen. Wie ist Gedächtniß möglich?

Die Affekte sind Symptome der Formation des Gedächtniß-Materials — fortwährendes Fortleben und Zusammenwirken.

25 [515]

In wie weit Einer auf Hypothesen hin leben, gleichsam auf unbegrenzte Meere hinausfahren kann, statt auf „Glauben” ist das höchste Maaß der Kraftfülle. Alle geringeren Geister gehen zu Grunde.

25 [516]

Katzen-Egoismus.

Es giebt einen Hunde-Egoismus im Menschen und einen Katzen-Egoismus: die wählen entgegengesetzte Mittel. Der erste ist hingebend und begeistert —

25 [517]

Lust und Unlust sind Bejahungen und Verneinungen.

Urtheile sind 1) Glauben „das ist so” und 2) „das hat den und den Werth”

Lust und Unlust sind Wirkungen der Gesamt-Intelligenz, Folge von kritischen Urtheilen, die wir als Lust oder Schmerz fühlen.

25 [518]

— nach P. Secchi kann der Raum nicht unbegrenzt sein, da kein aus einzelnen Körpern zusammengesetztes Ding unendlich sein kann und weil ein unendliches von zahllosen Sternen bevölkertes Himmelsgewölbe wie die Sonne nach seiner ganzen Ausdehnung leuchtend erscheinen müßte —

75 [519]

Maupertuis schlug vor, um das Wesen der Seele zu erforschen, möge man Vivisectionen mit Patagoniern machen. Jeder ächte rechte Moralist behandelt sich als Patagonier.

25 [520]

Die Werthschätzungen nicht von Lust und Unlust abhängig: es ist der Werth nach der Erhaltung des Ganzen gemessen: also nach etwas Zukünftigem, was vorgestellt wird, nach Zwecken.

Lust und Unlust sind erst Folgen von Zweck-Urtheilen.

Alle Erhaltungs-Tendenzen sind nicht aus der Mechanik abzuleiten: sie setzen eine Vergegenwärtigung des Ganzen vor — seine Ziele, Gefahren und Förderungen; das niedrigere, gehorchende Wesen muß sich bis zu einem Grade auch die Aufgabe des höheren vorstellen können. Mit Lust und Unlust wird das einzelne Erlebniß charakterisirt in Hinsicht auf die Erhaltung. Werthschätzungen von Ereignissen in Bezug auf ihre Folgen.

25 [521]

Unverständige Meinungen haben überall Bürgerrecht. Unverständliches erst in mir

25 [522]

Die Welt des Guten und Bösen ist nur scheinbar.

25 [523]

Gegen die Genügsamkeit

Zarathustra I

Das Kleinwerden und Schämen der Mächtigen

— der Mangel, erhebende Menschen zu sehen.

— die Häßlichkeit der Plebejer

— der Neid und die Kleinlichkeit des Plebejers

 der Sieg der moralischen Tartüfferie. — die Gefahr, daß die Weltregierung in die Hände der Mittelmäßigen fällt — das Ersticken aller höheren Naturen.

ego als Ablenkung vom eudämonologischen Gesichtspunkt — historisch.

25 [524]

gegen die Gleichheit gegen die moral<ische> Tartüfferie gegen das Christenthum und Gott gegen das Nationale — der gute Europäer.

25 [525]

Ein Gott der Liebe könnte eines Tags sprechen, gelangweilt durch seine Tugend: „versuchen wir's einmal mit der Teufelei!” Und siehe da, ein neuer Ursprung des Bösen! Aus Langeweile und Tugend!

25 [526]

Eine Meinung, gesetzt auch daß sie unwiderlegbar ist, braucht noch nicht wahr zu sein.


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