Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Sechzehnter Abschnitt

Kaufmännische Klugheit und philosophische Spekulation mit häuslicher Zärtlichkeit gekrönt

Anselm war außer sich vor Freuden. Er hatte häusliches Glück mit einer schönen und zärtlichen Frau so lange gewünscht und sah sich nun am Ziele seiner Wünsche. Er sah den Plan, den er sich von Jugend auf gemacht hatte, gelungen; er sah im Geiste die Folgen desselben bis in sein spätestes Alter in so heiterm Lichte, als ihm dieses seine lebhafte Einbildungskraft nur vorstellen konnte, welche durch die Honigwochen seines Ehestandes mit reizenden Bildern noch lebhafter angefüllt ward.

Der geneigte Leser wird schon bemerkt haben, daß unser dicker Mann das, worauf er verfiel, von ganzem Herzen und mit dem heftigsten Bestreben tat und daß er seit einiger Zeit, auf seine Kosten, recht viel solider und nachdenkender geworden war als vorher. Also liebte er jetzt nicht nur seine junge Frau von ganzem Herzen; sondern als ein weiser Mann bedachte er nun auch die Pflichten eines Hausvaters und nahm sich ernstlich vor, sie in ihrem äußersten Umfange zu erfüllen. So gleichgültig er bisher gegen Geld und Geldeswert gewesen war (welche besagte Gleichgültigkeit ihm dadurch ziemlich war erleichtert worden, daß es ihm in seines Vaters Hause von Jugend auf nie an Gelde fehlte), so sah er doch nun ein, er werde eine zahlreiche Nachkommenschaft haben, und entschloß sich, aus Liebe zu seinen künftigen Kindern reich zu werden.

Zu diesem Behufe faßte er den Vorsatz, sich der Verwaltung der Manufaktur mit verdoppeltem eigenen Fleiße zu unterziehen. Nachdem er dieselbe nochmal examiniert und reiflich darüber nachgedacht, auch mit Philipp in Betreff dieser Sache manchen vergebenen Wortwechsel gehabt hatte, entschloß er sich, die Anzahl der Stühle und der Arbeiter zu verdoppeln und machte seinem Freunde Philipp etwa einen Monat nach der Hochzeit seine Willensmeinung darüber bekannt.

Philipp tat dennoch – wir wissen nicht, ob aus eingewurzelten Vorurteilen oder aus andern Ursachen – alles Mögliche, um unserm dicken Manne die Vergrößerung seiner Manufaktur auszureden. Es ist wahr, er hatte manche scheinbaren Gründe anzuführen. In der Tat schien es, als hätte sich Anselm bis jetzt für reicher gehalten, als er war; wenigstens hatte er so gelebt. Sein Vater hatte durch Fleiß und Frugalität ein ziemliches Kapital zurückgelegt; dahinein war, wie schon bemerkt ist, von unserm jovialischen dicken Manne etwas tief gegriffen worden; denn zu der Art, wie er lebte, konnten die Einkünfte der Manufaktur bei weitem nicht zureichen. Außerdem war die Manufaktur, aus Mangel des Absatzes, in den letzten Jahren nicht so stark gegangen; und Philipp blieb bei der Meinung, sie jetzt zu vergrößern müsse Schaden bringen, zumal da schon ein starker Vorrat an Tüchern auf dem Lager war. Seine Vorstellungen aber halfen nichts. Alles, was er über Anselm erlangen konnte, bestand darin, daß die schon beträchtliche Anzahl der Stühle nur mit einem Drittel vermehrt ward. Weniger konnte aber auch nicht geschehen. Denn Anselm fand, um seine künftig sich vergrößernde Haushaltung zu unterhalten, durchaus nötig, größere Geschäfte zu machen. Darauf ließ sich nun nichts weiter einwenden. Auch fand Anselm, mit seinem offenen Kopfe, sogleich Rat, sich von dem großen Vorrate der Waren loszumachen. Er gab seinen auswärtigen Abkäufern größern Kredit als vorher und schickte einem Korrespondenten in Polen eine große Anzahl Stücke in Kommission. Auf diesen Gedanken war freilich Philipp nicht gekommen; und vielleicht wendete er bloß deswegen viel dawider ein, weil er einen so glücklichen Einfall nicht selbst gehabt hatte. Aber dem sei, wie ihm wolle! Das Warenlager ward nun in ein paar Monaten so aufgeräumt, daß dessen Umfang ferner keinen Grund gegen die Vergrößerung der Manufakturarbeiten abgeben konnte. Die Stühle würden also vermehrt, Vorrat von Wolle und Garn gekauft und eine Menge neuer Arbeiter angesetzt. Anselm war von der Richtigkeit und Notwendigkeit seiner Spekulation durch reifes Nachdenken überzeugt. Er konnte sich wahrlich nicht vorwerfen, leichtsinnig dabei zu Werke gegangen zu sein, da er manche Stunde darüber nachgedacht und jeden Zweifel des den Ideen seines Plans wirklich ziemlich furchtbaren Philipps mit einem Syllogismus beantwortet hatte. Nun konnte ihm Philipp die Prämissen keines einzigen derselben durch einen andern Syllogismus widerlegen; daher war er von der Wahrheit der Resultate so fest überzeugt, daß er sich nicht einen Augenblick bedachte, da sein barer Geldvorrat durch die wöchentliche Bezahlung so vieler Arbeiter bald erschöpft ward, zum Behufe der so heilsamen Vergrößerung seiner Manufaktur kurz nacheinander ein paar beträchtliche Kapitalien aufzunehmen.

Es gibt Kaufleute, griesgrämige magerbäckige Gesichter, welche für Spekulationen, wodurch der Handel bis ins Unendliche getrieben wird, keinen Sinn haben. Sie begnügen sich, ganz engherzig ihr eigenes Kapital oder wenig darüber in Umlauf zu bringen oder gar nur zu sorgen, es allenfalls mit einer geringen jährlichen Vermehrung zu erhalten. Diese werden nicht ermangeln, über unsern dicken Mann die Achseln zu zucken, daß er den größten Teil seines Vermögens teils auf übermäßigen Kredit weggab, teils gar in ein weit entferntes Land auf einen ungewissen Kommissionshandel wagte und zugleich ein sehr großes Kapital aufnahm, um seine Manufaktur zu einer Zeit beträchtlich zu vergrößern, da der Absatz sehr zu fallen schien. Aber diese altväterischen Schreibstubensitzer erwägen nicht, daß unser Anselm sich in der Notwendigkeit sah, größere Geschäfte zu machen, um seine nun vergrößerte Haushaltung ferner mit Anstand zu führen. Man könnte diesen kurzsichtigen Tadlern, die nicht für recht halten, man dürfe mehr wagen als man selbst besitzt, bloß deswegen, weil man mehr Geschäfte machen will, das Beispiel ansehnlicher Komtore, ja ganzer Handlungsplätze entgegensetzen, wo noch größere und weit aussehendere Spekulationen betrieben und bloß mit der Notwendigkeit, die Geschäfte zu vergrößern, entschuldigt werden.

Es ist freilich wahr, daß die Kaufleute, welche jetzt Spekulationen bis zu einer Größe treiben, die denjenigen erschrecken könnten, welcher die Sache nicht versteht, gewöhnlich dabei eine Vorsicht gebrauchen, an die unser dicker Mann wohl nicht denken konnte, da er bisher der Wolfischen Philosophie kundiger war als der feinen Handlungsgebräuche. Diese Kaufleute fabrizieren nicht selbst, noch weniger nehmen sie zum Behufe einer Manufaktur ein großes Kapital auf. Sie verschreiben vielmehr, da jetzt der Kredit so leicht gemacht wird, binnen kurzem aus Frankreich, Holland und England, von verschiedenen Orten her, einen Vorrat von Waren, der ihr eigenes Vermögen dreißig und mehrmal übersteigt, welchen sie denn mit kühnem Mute in entfernte Länder verborgen. Gelingt es ihnen: so gewinnen sie ansehnlich, werden als kluge und große Kaufleute verehrt und wagen nun wieder eben so große Posten, bis es einmal nicht gelingt. Dies scheint dann dem gemeinen Haufen ein Unglück; aber der spekulierende Kaufmann, welcher die Gefahr vorhersah, hält es eben nicht dafür. Nicht er, sondern die Menge der fremden Kreditoren haben die Gefahr zu tragen. Er verläßt sich darauf, vorteilhaft mit einem Verluste von vierzig oder fünfzig vom Hundert zu akkordieren, wobei er mit Rechte voraussetzt, daß fremde Fabrikanten eher geneigt sein müssen, einen solchen Akkord einzugehen als einheimische Wechselgläubiger, vor denen er sich hütet. Es müßte bei einem Akkorde, den der klügere Kaufmann über den dreißigfachen Wert seines Vermögens schließet, wunderlich zugehen, wenn er sein wirkliches Vermögen nicht rettete und vielleicht noch mit der Hälfte vermehrte. Dieses, und die Anzahl der Kreditoren, welche macht, daß keiner ganz zugrunde geht, hilft ihm, daß er nach geschlossenem Akkorde ganz unbesorgt sein kann, ferner Kredit zu bekommen und weiter zu handeln; denn das versteht sich. Auf diese feinen Kaufmannskünste, wodurch jetzt die Handlung und durch sie die fabrizierende Industrie bis auf einen Gipfel steigt, daß es beinahe scheinen möchte, beide würden sehr bald wieder herabstürzen müssen, war unser dicker Mann freilich nicht bedacht. Er war ehrlich genug, sein eigenes und seines nächsten Nachbars Vermögen auf eine ganz neue Spekulation zu wagen. Aber da er alles nach der ihm so geläufigen mathematischen Methode untersucht hatte, so glaubte er vorauszusehen, daß seine Spekulation gewiß den sichersten Vorteil abwerfen werde. Wollte er nun diesen Vorteil nicht entbehren, so waren, wie er ebenfalls demonstieren konnte, die Versendung beinahe seines ganzen Warenlagers in Kommission und die Anleihe eines großen Kapitals ganz notwendige Maßregeln.

Die gedachte Anleihe aber ward noch in einer andern Absicht notwendig. Eben zu der Zeit, da unser dicker Mann eine so schnelle Revolution in seinem Manufaktur- und Handlungswesen vornahm, entstand in seinem häuslichen Wesen auch eine Revolution, die sich zwar unvermerkt entspann, aber fast schneller fortging als jene. Die zärtliche Frau Angelika hatte mancherlei Bedürfnisse. Sie mochte sich gern putzen. Daran hatte nun der verliebte Anselm selbst seinen Gefallen und gab alle Kosten gern her, um einen so schönen Körper noch mehr zu zieren. Aber Frau Angelika wollte auch ihren Putz gern zeigen. In Vaals war niemand, für den es der Mühe belohnte; daher mochte sie gern oft in Aachen sein, und dazu wollte sie eine Kutsche mit vier Pferden angeschafft wissen. Anselm besaß selbst zwar eine ziemliche Anlage, sich gern geltend zu machen; indes hatten Philipps ökonomische Zweifel, obgleich alle durch die Kraft logischer Schlüsse widerlegt, doch einen gewissen Eindruck auf unsern dicken Mann hinterlassen. Er fing also jetzt an, vorher zu berechnen, da er sonst nur untersucht und Schlüsse gemacht hatte; und da schienen ihm die Kosten der Anschaffung und der Unterhaltung so beträchtlich, daß er es der Mühe wert hielt, seine arithmetischen Resultate der jungen Frau mitzuteilen. Diese sanfte Seele merkte aber nun erst, daß er, seitdem er auf das Manufakturwesen so sehr achtgab, sich weniger mit ihr beschäftigte. Sie schloß daraus auf eine Abnahme seiner Liebe, da sie sonst sein Alles gewesen war und zerfloß in Tränen, indem sie seinen Wankelsinn zärtlich anklagte. Anselm suchte sie zu beruhigen, aber ihre Nerven waren schwach. Sie bekam verschiedene Zufälle. Als sie sich wieder erholte, erfolgte die zärtlichste Szene der Versöhnung. Die sanfte Angelika begab sich, bloß aus Liebe zu ihrem Anselm, der Forderung der Kutsche und Pferde, ob sie wohl nicht leugnen mochte, sich dieselbe sehr gewünscht zu haben, zumal da bei ihrem nervenschwachen Körper der Arzt ihr den Gebrauch der frischen Luft so sehr empfohlen hatte. Aber sie versicherte, ihren Anselm zu innig zu lieben, um nicht seiner Klugheit, der sie unter zärtlicher Umarmung den Vorzug vor der ihrigen gern zugestand, alles aufzuopfern. Der zärtliche Anselm hingegen, um solche große Entäußerung zu belohnen, ging von Stund an nach Aachen, kaufte, ohne weiter zu rechnen, eine Kutsche und vier engländische Pferde und tat noch eine niedliche leichte Birutsche hinzu, damit sein Liebchen die schöne Witterung recht gemächlich genießen könnte.

So sehr sich die schöne Angelika auch ihres Wunsches entäußert hatte, so große Freude machte ihr doch die ganz unvermutete Erfüllung desselben. Die Folge davon waren einige sehr glückliche Tage zwischen beiden Eheleuten, die umso glücklicher wurden, da sich zugleich zeigte, daß Angelika ein Pfand der Liebe unter ihrem Herzen trug, worüber der gute Anselm vor Freuden fast außer sich geriet.

Indes alle Tage waren freilich nicht gleich heiter. Wir haben schon manchmal bemerkt, daß Anselm einen großen Vorrat von Philosophie, folglich von Weisheit besaß. Die wollte er bei seiner Angelika anwenden, ihr seine Wünsche offenbaren und ihr manchen guten Rat erteilen. Aber die liebe Frau war nervenschwach. Die Weisheit eines Mannes war ihr ein zu starkes Hausmittel. Sie bekam davon Vapeurs und Zittern in den Gliedern; und der gute Anselm mußte also diese geistigen Arzeneien nur nach und nach dispensieren und endlich bald damit ganz innehalten, umsomehr, da darauf gewöhnlich bittere Klagen erfolgten, daß er sie nicht mehr liebe. Diese irrige Vermutung gründete sie bei solchen Gelegenheiten darauf, daß er so viel Zeit in seiner Schreibstube mit seinen Manufakturgeschäften zubringe. Anselm, welcher vermeinte, daß er gerade aus Liebe zu ihr und ihren künftigen Kindern sich mit dem undankbaren Geschäfte, reich zu werden, abgäbe, konnte gar nicht begreifen, wie sie ihn so sehr verkennen möchte und wie es zugehe, daß er sie von der rechten Beschaffenheit seiner Liebe nicht zu überzeugen vermochte, ob er ihr gleich oft weitläufig vordemonstrierte, daß sein Fleiß in Handlungsgeschäften nur aus heißer Liebe zu ihr entspringen könne.

Man mußte indes der Frau Angelika die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie ihrem Anselm nie einen Mangel von Liebe vorwarf, als nur, wenn er etwas, was er wollte, gegen ihren Willen durchsetzen oder etwas, was sie verlangte, z. B. ein neues Kleid, ein Stück Juwelen oder andern kostbaren Putz, nicht gleich gewährte. Fiel dergleichen vor, welches nicht selten geschah, so machte sie ihm freilich Vorwürfe, daß er ihr nicht genug Gesellschaft leiste. Sonst aber war sie billig genug, ihn an seinen Geschäften nicht zu hindern; und teils deswegen, teils um Wagen und Pferde, da sie einmal da waren, doch zu gebrauchen, fuhr sie fast täglich während der Kurzeit nach Aachen, wo sie an allen dortigen Lustbarkeiten, Assembleen, Bällen usw. teilnahm, nicht um der Lustbarkeiten willen, sondern um ihre Verwandten zu besuchen und ihren schwachen Körper zu stärken. Dahin wollte sie nun Anselm oft begleiten: und dies ließ sie auch zu, doch erinnerte sie ihn oft, wie mannigfaltig seine Geschäfte wären und daß er doch wenigstens nichts dabei versäumen möchte. Eigentlich war es auch nicht höchstnotwendig, daß Anselm die Lustreisen nach Aachen mitmachte; denn um ihr den Arm zu geben, war ihr gewöhnlicher Begleiter Freund Platter genug, welcher nun ein völliger Hausfreund geworden war. Frau Angelika hatte ihm nämlich ein Absteigequartier in Anselms Hause bereiten lassen, welches er auch, wenn er mit ihr zurückkam, fleißig benutzte.

Bisher haben wir an unserm dicken Manne immer viel jovialischen Mut und noch nicht die geringste eigensinnige Laune bemerkt. Wir wissen also selbst nicht, wie es zuging, daß er sich einer so notwendigen Anordnung seiner guten Frau einigermaßen widersetzte. Sie mußte doch auf ihren öftern Gesundheitsreisen nach Aachen jemand zum Begleiter haben; und dazu schickte sich niemand besser als Platter, weil derselbe ihr und ihrem Manne nun schon lange bekannt war und während der Kurzeit ohnedies täglich in Aachen gegenwärtig sein mußte, indem er Anteil an einer von den dortigen Pharobanken hatte. Da sie nun beide nicht selten erst nach Mitternacht, sie vom Balle und er Vom Spieltische, nach Hause kamen, so war nichts natürlicher und zugleich bequemer, als ihm ein Absteigequartier im Hause zu geben, damit zugleich Frau Angelika umso leichter den folgenden Tag wieder einen Begleiter nach Aachen und auch wohl in den Frühstunden eine Gesellschaft fände.

Indes hatte der gute Anselm wohl einige Gründe anzuführen, warum er mit dieser sonst so bequemen Einrichtung nicht ganz zufrieden war. Es würden seine Gründe bei der so sanften, so zärtlichen und besonders, wie wir oben gesehen haben, zu allem moralisch Guten so geneigten Frau Angelika auch gewiß Eingang gefunden haben, wenn nicht unglücklicherweise, sobald er anfing, diese Gründe auseinanderzusetzen, sie immer sogleich ihre Nervenschwäche angetreten hätte. Anselm war ein zu guter Arzneikundiger, um nicht die Natur solcher Krankheit bald einzusehen, welche nicht irritiert sein will; daher er sich bald entschließen mußte, seine sonst guten Gründe lieber bei sich zu behalten. Seine Frau erkannte auch den ganzen Wert dieser medizinischen Vorsicht und belohnte ihn, wenn er schwieg, mit so manchem freundlichen Blicke, daß sich sein Geist wenigstens manche Viertelstunde aufheiterte und dadurch das gesunde und runde Ansehn seines Körpers äußerlich keinen Abgang litt.

Zu leugnen ist indes nicht, daß sein lange vorher überdachter Plan des größten Lebensgenusses im häuslichen Glücke, dessen Ausführung er sich vor wenigen Monaten als schon gelungen vorgestellt hatte, jetzt noch nicht ganz in Erfüllung zu gehen schien. Er faßte sich aber in Geduld wie ein Philosoph und tröstete sich mit der Hoffnung, alles werde in seinem Hauswesen anders und besser werden, wenn dasselbe nur erst mit einem jungen gesunden Erben vermehrt sein und wenn die mütterliche Zärtlichkeit dadurch neue Nahrung erhalten würde. Obgleich dieser Zeitpunkt leicht zu bestimmen war, so rechnete er ihn doch mehrmal umständlich aus; es gab dann selige Viertelstunden, in denen er beinahe noch angenehmere Aussichten hatte, als der fromme Lavater in die weite Ewigkeit. So froh aber auch seine Hoffnungen für die Zukunft waren, so drückte ihn zuweilen sein gegenwärtiger Zustand ein wenig; und es trat ihn sogar mitunter einiger Unmut an: eine Empfindung, wovon er, so lange er denken konnte, noch keine Erfahrung gehabt hatte.

Also war ihm Zerstreuung nötig. Er hätte sich freilich mit seinen Manufakturgeschäften genugsam zerstreuen können und auch wohl zerstreuen sollen, da ihn seine liebe Frau, wie schon gesagt, nicht selten erinnerte, nichts darin zu versäumen. Wir glauben aber, schon genug zu erkennen gegeben zu haben, daß unser guter dicker Mann zwar ein Geschäft, wovon die Idee in seinem Geiste einmal lebhaft ward, mit großem Eifer zu betreiben anfing, daß aber das Ausdauren eben seine Sache nicht war. Daher ward ihm auch nach wenigen Monaten die Vergrößerung seiner Manufakturgeschäfte, ob er sie gleich selbst veranlaßt hatte, ziemlich zur Last und täglich lästiger, je mehr sich Schwierigkeiten fanden und häuften, welche er nicht vorhergesehen hatte. Er blieb also fast ganz von seiner Schreibstube weg und überließ das meiste seinem Philipp. Dies schien ganz vernünftig zu sein. Denn da Philipp die Schwierigkeiten, die sich jetzt fanden, alle vorausgesehen hatte, so war zu vermuten, er würde denselben besser ausweichen können als Anselm, welcher nie an Schwierigkeiten gedacht hatte.

Indes würde unserm dicken Manne, dessen Geist immer mehr als eine Beschäftigung haben mußte, diese seine Untätigkeit doppelt zur Last geworden sein zu einer Zeit, wo er einen neuen Gegenstand nötig hatte, um nicht allzu lebhaft an manches zu denken, was in seinem Hause vorging. Glücklicherweise war damals eben erst Kants Kritik der reinen Vernunft und die darauf gegründete Metaphysik der Sitten in der Gegend von Vaals und Aachen bekannt geworden, wohin die neuen literarischen Erfindungen etwas später durchzudringen pflegen. Dies war Philosophie und etwas Neues. Wegen beider Ursachen mußten diese berühmten Werke unsern dicken Mann mit großer Macht an sich ziehen. Er studierte sie mit anhaltendem Eifer und vergaß eine Zeitlang darüber seine Manufaktur und den Hausfreund seiner Frau. Besonders die Lehre vom kategorischen Imperativ zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich; und er verfolgte dieselbe mit dem reifsten Nachdenken, bis er sich von der Richtigkeit derselben völlig überzeugte. Vielleicht trug selbst die Lage seines Hauswesens etwas dazu bei, diese Überzeugung mehr zu beschleunigen; denn es ist wohl kein Imperativ kategorischer, absoluter und autonomischer als der Wille einer schönen und nervenschwachen Frau. Da nun sowohl die Kritik der praktischen Vernunft als der Hausfrieden, welcher leicht hätte sehr kritisch werden können, unserm dicken Manne Geduld empfahl: so hatte er denn auch Geduld.

Die liebe Frau Angelika gab ihm freilich hin und wieder guten Anlaß, diese christliche Tugend zu üben. Nachdem teils die Kurgesellschaft in Aachen, und folglich die Assembleen und Bälle, ziemlich dünne geworden waren, teils der Fortgang ihrer Schwangerschaft ihr dieselben unbequem machte: blieb sie zu Hause; und nun war Freund Platter, der fast nicht aus dem Hause wich, ihre beständige Gesellschaft, sowohl in ihrem Zimmer, als wenn sie ausfuhr, um an schönen Herbsttagen frische Luft zu schöpfen. Der Ehemann beschäftigte sich zwar damals vorzüglich mit der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe; aber er ward doch dabei auf manches sehr aufmerksam, was in der Sinnenwelt seines Hauses vorging, und ward darüber abermal etwas griesgrämig. Freilich, wenn man nicht sicher gewußt hätte, daß Ehefrau Angelika ihren runden Anselm liebte, hätte es zuweilen den Schein haben können, er wäre ihr nicht allein gleichgültig, sondern sogar zuwider. Denn wahr ists, daß sie ihn zuweilen anfuhr, wenn er ihre Leseübungen mit Platter durch seine Gegenwart störte oder bei einer Spazierfahrt der dritte Mann zu sein Lust hatte. Das wußte ihm aber nicht nur Freund Platter als eine von den Grillen vorzubilden, die er sehr mißbilligte, welche aber der jetzige Zustand der guten Frau einigermaßen entschuldigen mochte, sondern auch die gute Frau riß ihn zuweilen selbst aus seinem Unmute, wann sie ihn herzlich umarmte und mit den zärtlichsten Namen bewillkommnete. Zufall war es, daß sie gerade immer zu eben der Zeit auch etwas von ihm verlangte, welches er denn einer so zärtlichen Frau nicht abzuschlagen vermochte. Jezuweilen gab ihm zwar ein übler Genius den Verdacht ein, als ob die Liebkosungen und die Forderungen einen Zusammenhang hätten, aber wenn er alles mit reifem Nachdenken überlegte, fand er, daß ein solcher unbilliger Argwohn, zufolge der hier angewendeten Kritik der reinen Vernunft, nur ein Gedankending oder ein leerer Begriff ohne Gegenstand sei; ja zuweilen war er gar geneigt, ihn für ein Unding oder für einen leeren Gegenstand ohne Begriff, für ein Nihil negativum – das heißt, für das, was die meisten philosophischen Disputationen sind – zu halten. Er schlug sich also die Grillen aus dem Sinne und fand es viel besser, sich an der reinen Anschauung der zärtlichen Liebkosungen seiner lieben Gattin zu weiden.

Er hatte hierzu besonders an einem Tage Gelegenheit, den er zu den vergnügtesten seines Lebens rechnete. Schon vom ersten Morgen an war seine liebe Angelika, obgleich immer nervenschwach, in der heitersten Laune. Sie hatte mit ihm die angenehmste Mittagsmahlzeit Kopf bei Kopf, wie man es in neufränkischem Deutsch geben würde, gehalten; denn Freund Platter war schon den vorigen Tag verreiset, und Angelika forderte diesmal auch nach der Mahlzeit die Gesellschaft ihres lieben Anselms. Sie fuhr mit ihm in der offnen Birutsche im heitersten Wetter spazieren und saß nachher mit ihm Hand in Hand unter dem liebreichsten Kosen. Gegen Abend kam sie freilich unvermerkt auf andere Materien und eröffnete eine Bitte, die ihn einigermaßen überraschte. Die Sache war folgende: Freund Platter hatte im vorigen Sommer am Spieltische verloren und auch noch sonst manche kleinen Schulden gemacht. Darüber hatte er einem Wucherer eine Verschreibung von 5000 Speciestalern oder 12 000 Aachener Gulden ausgestellt. Sie war fällig; aber der Inhaber erbot sich, dem Schuldner auf vier Monate Frist zu geben, wenn Anselm sich dafür verbürgen wolle. Dies war es, worum Frau Angelika ihn bat, und wobei er anfänglich ein wenig stutzte. Frau Angelika bekam zwar einige Anfälle von Nervenschwäche, umarmte aber bald ihren mit Alkali-Fluor ihr beispringenden Anselm auf das herzlichste und gab ihm dabei zu bedenken, daß man ja nicht bare Bezahlung, sondern nur Unterschrift von ihm verlange, daß Platter gegen vier Monate gewiß wieder andere Spielschulden würde einkassieren können, ja, daß es auf den schlimmsten Fall keine Mühe kosten würde, die Zahlungszeit weiter zu verlängern. Dabei stellte sie ihm rührend das Edle der Handlung vor, einen hilfsbedürftigen Freund aus so großer Verlegenheit zu retten. Hier traf sie Anselms schwache Seite. Denn Mangel an Gutherzigkeit war sein Fehler nicht, und er konnte auch edelmütig sein, wenn nur seine eigene Gemächlichkeit dabei nicht in Kollision geriet. Er verbürgte sich also, nach einer kurzen Überlegung, unter den zärtlichsten Liebkosungen seiner Frau, die ihm die Verschreibung vorlegte. Die kurze Überlegung, die Anselm diesmal anstellte, führen wir nicht ohne Ursache an. Sie zeigte, daß er weder ein bloßer Bel-esprit, noch ein bloßer Philosoph war. Er erinnerte sich, daß es die Regel eines jeden soliden Kaufmannes ist, sich nicht auf eine Frist zu verbürgen, wenn er nicht gewiß weiß, daß er alsdann Kasse zur Zahlung haben wird; daher kam seine anfängliche Unentschossenheit. Er besann sich aber, daß er ja, noch ehe die vier Monate vorbei wären, den ersten Zahlungstermin von sechstausend Speciestalern für die auswärts verkauften Tücher zu erwarten hätte, ohne das, was gegen die Zeit von den in Polen in Kommission liegenden eingehen müßte. Er glaubte also, allenfalls eine solche Summe der Rettung eines Freundes aufopfern zu können, und fand sich noch dazu durch die Liebkosungen seines Weibchens mehr als belohnt. Dabei unterließ er nicht, seiner Klugheit insgeheim ein kleines Kompliment zu machen, daß er auf den glücklichen Gedanken gekommen war, seine Geschäfte zu vergrößern und besonders sein Lager von Tüchern zu einer günstigen Zeit nach Polen zu senden; denn hierdurch war er nun besser in den Stand gesetzt, seinem Freunde Platter zu dienen, welcher Freund denn auch nicht ermangelte, am folgenden Tage sich einzufinden. Anselm empfing von ihm eine Gegenverschreibung wegen der Bürgschaft für 12 000 Aachener Gulden. Platter vereinigte seinen lebhaftesten Dank mit den süßesten Liebesbezeugungen Angelikens, wodurch Anselm fühlte, er sei einer der glücklichsten Menschen.


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