Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

133

Vierzehnter Theil
Dritte Rede

Glücksäligeinsam

Kaccāno

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, in der Aue am Tapodo.

Da verließ denn der ehrwürdige Samiddhi bei Nacht, vor Sonnenaufgang, sein Lager und schritt zum Tapodo hinab, ein Bad zu nehmen. Als er das Bad im Tapodo genommen und sich erfrischt hatte, hing er den Mantel um, nachdem er die Glieder getrocknet.

Wie nun die Dämmerung anbrach, ließ irgend eine Gottheit die ganze Fläche des Tapodo in immer hellerem Glanze erstrahlen und kam bis dorthin wo der ehrwürdige Samiddhi weilte. Dort angelangt stand sie beiseite, und beiseite stehend sprach sie den ehrwürdigen Samiddhi also an:

»Kennst du, o Mönch, des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen?«

»Nein, o Bruder, ich kenne des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen nicht: du aber, Bruder, kennst du des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen?«

»Auch ich, o Mönch, kenne nicht des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen: kennst du aber, o Mönch, den glücksäligeinsamen Sang?«

»Nein, o Bruder, ich kenne den glücksäligeinsamen Sang nicht: du aber, Bruder, kennst du den glücksäligeinsamen Sang?«

»Auch ich, o Mönch, kenne nicht den glücksäligeinsamen Sang; erforsche du, Mönch, des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen, erfasse du, Mönch, des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen, bewahre du, Mönch, des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen: sinnreich ist, o Mönch, des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen, urasketenthümlich.«

Also sprach jene Gottheit. Als sie das gesagt, war sie alsbald verschwunden.

Wie es nun Tag geworden, begab sich der ehrwürdige Samiddhi dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt bot er dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend erzählte da der ehrwürdige Samiddhi dem Erhabenen Wort um Wort die ganze Begegnung, die er mit jener Gottheit gehabt hatte. Dann sprach er also:

»Gut wär' es, o Herr, wollte mir der Erhabene des Glücksäligeinsamen Stämpel und Abzeichen aufweisen.«

»Wohlan denn, Mönch, so höre und achte wohl auf meine Rede.«

»Gewiss, o Herr!« sagte da der ehrwürdige Samiddhi zum Erhabenen aufmerksam Der Erhabene sprach also:

»Kein Sehnen nach vergangner Zeit,
Kein Hoffen auf die Zukunft hin;
Ist abgethan was vorher war
Und was noch künftig kommen wird.

»Und hat man immer Ding um Ding
Gewärtig in der Gegenwart:
Was keiner rauben, rütteln kann,
Durchbohrend finden mag man das.

»Noch heute gilt der heiße Kampf:
Ob morgen todt, wer weiß es wohl?
Es muss die Schlacht geschlagen sein,
Mit seiner Heerschaar Er, der Mord.

»Wer also ausharrt unverzagt
Und unermüdlich Tag und Nacht,
Glücksäligeinsam ist er da,
Der stille Denker, wie man sagt.«

Also sprach der Erhabene. Als der Willkommene das gesagt hatte, stand er auf und zog sich in das Wohnhaus zurück.

Da gedachten denn die Mönche, bald nachdem der Erhabene fortgegangen war, unter sich: ›Diesen Stämpel, ihr Brüder, hat uns der Erhabene im Umrisse dargestellt, ohne die Abzeichen ausführlich zu erläutern, ist aufgestanden und hat sich in das Wohnhaus zurückgezogen. Wer könnte nun wohl dieser kurzen Andeutung Inhalt ausführlich begründen?‹ Da sagten sich nun jene Mönche: ›Der ehrwürdige Mahākaccāno wird selbst vom Meister gepriesen, von den verständigen Ordensbrüdern aber verehrt: wohl wäre der ehrwürdige Mahākaccāno imstande, den Inhalt dieser kurzen Andeutung ausführlich zu begründen; wie, wenn wir uns nun zum ehrwürdigen Mahākaccāno begeben und ihn bitten würden, uns den Inhalt darzulegen?‹ Und jene Mönche begaben sich zum ehrwürdigen Mahākaccāno, wechselten höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und setzten sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprachen nun jene Mönche zum ehrwürdigen Mahākaccāno also:

»Diesen Stämpel, Bruder Kaccāno, hat uns der Erhabene im Umrisse dargestellt, ohne die Abzeichen ausführlich zu erläutern, ist aufgestanden und hat sich in das Wohnhaus zurückgezogen. Da kam uns, Bruder Kaccāno, bald nachdem der Erhabene fortgegangen war, der Gedanke: ›Diesen Stämpel, ihr Brüder, hat uns der Erhabene im Umrisse dargestellt, ohne die Abzeichen ausführlich zu erläutern, ist aufgestanden und hat sich in das Wohnhaus zurückgezogen. Wer könnte nun wohl dieser kurzen Andeutung Inhalt ausführlich begründen?‹ Da sagten wir uns, Bruder Kaccāno: ›Der ehrwürdige Mahākaccāno wird selbst vom Meister gepriesen, von den verständigen Ordensbrüdern aber verehrt: wohl wäre der ehrwürdige Mahākaccāno imstande, den Inhalt dieser kurzen Andeutung ausführlich zu begründen; wie, wenn wir uns nun zum ehrwürdigen Mahākaccāno begeben und ihn bitten würden, uns den Inhalt darzulegen?‹ Mög' es der ehrwürdige Mahākaccāno thun!«

»Gleichwie etwa, Brüder, wenn ein Mann, der Kernholz begehrt, Kernholz sucht, auf Kernholz ausgeht, über Wurzel und Stamm eines großen kernig dastehenden Baumes hinaufkletterte und im Laubgezweige Kernholz finden wollte: so ergeht es nun hier euch Ehrwürdigen, die ihr vor dem Meister gewesen seid, den Herrn übergangen habt und von mir die Lösung der Frage erwartet. Doch der Erhabene, ihr Brüder, ist der kennende Kenner und der sehende Seher, der Auggewordene, Erkenntnissgewordene, Wahrheitgewordene, Heiligkeitgewordene, der Künder und Verkünder, der Eröffner des Inhalts, der Spender der Unsterblichkeit, der Herr der Wahrheit, der Vollendete. Und es war ja wohl noch an der Zeit gewesen, dass ihr den Erhabenen selbst befragen und diesen Gegenstand der Erklärung des Erhabenen gemäß bewahren konntet.«

»Freilich, Bruder Kaccāno, ist der Erhabene der kennende Kenner und der sehende Seher, der Auggewordene, Erkenntnissgewordene, Wahrheitgewordene, Heiligkeitgewordene, der Künder und Verkünder, der Eröffner des Inhalts, der Spender der Unsterblichkeit, der Herr der Wahrheit, der Vollendete. Und es war ja wohl noch an der Zeit gewesen, dass wir den Erhabenen selbst befragen und diesen Gegenstand der Erklärung des Erhabenen gemäß bewahren konnten. Aber der ehrwürdige Mahākaccāno wird ja selbst vom Meister gepriesen und von den verständigen Ordensbrüdern verehrt: wohl wäre der ehrwürdige Mahākaccāno imstande, den Inhalt jener vom Erhabenen kurz gegebenen Andeutung ausführlich darzulegen. Mög' es der ehrwürdige Mahākaccāno thun und es nicht übel nehmen!«

»Wohlan denn, ihr Brüder, so höret und achtet wohl auf meine Rede.«

»Gewiss, o Bruder!« antworteten da aufmerksam jene Mönche dem ehrwürdigen Mahākaccāno. Der ehrwürdige Mahākaccāno sprach also:

»Den Stämpel, ihr Brüder, den uns der Erhabene im Umrisse dargestellt hat, ohne die Abzeichen ausführlich zu erläutern: diese kurze Andeutung, ihr Brüder, stelle ich ihrem Inhalt gemäß in folgender Weise ausführlich dar. – Wie also, ihr Brüder, sehnt man sich nach vergangener Zeit? ›So war einst mein Gesicht gewesen, so die Formen‹: so wird das Bewusstsein mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein mit Willensbegier gefesselt ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, sehnt man sich nach vergangener Zeit. ›So war einst mein Gehör gewesen, so die Töne‹, ›So war einst mein Geruch gewesen, so die Düfte‹, ›So war einst mein Geschmack gewesen, so die Säfte‹, ›So war einst mein Getast gewesen, so die Tastungen‹, ›So war einst mein Gedenken gewesen, so die Dinge‹: so wird das Bewusstsein mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein mit Willensbegier gefesselt ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, sehnt man sich nach vergangener Zeit. Also, ihr Brüder, sehnt man sich nach vergangener Zeit.

»Wie aber, ihr Brüder, sehnt man sich nicht nach vergangener Zeit? ›So war einst mein Gesicht gewesen, so die Formen‹: so wird das Bewusstsein nicht mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein nicht mit Willensbegier gefesselt ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, sehnt man sich nicht nach vergangener Zeit. ›So war einst mein Gehör gewesen, so die Töne‹, ›So war einst mein Geruch gewesen, so die Düfte‹, ›So war einst mein Geschmack gewesen, so die Säfte‹, ›So war einst mein Getast gewesen, so die Tastungen‹, ›So war einst mein Gedenken gewesen, so die Dinge‹: so wird das Bewusstsein nicht mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein nicht mit Willensbegier gefesselt ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, sehnt man sich nicht nach vergangener Zeit. Also, ihr Brüder, sehnt man sich nicht nach vergangener Zeit.

»Wie aber, ihr Brüder, hofft man auf die Zukunft hin? ›So will ich einst mein Gesicht haben, so die Formen‹: so hat man das Herz auf die Erlangung des Unerlangten gerichtet; und weil das Herz darauf gerichtet ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, hofft man auf die Zukunft hin. ›So will ich einst mein Gehör haben, so die Töne‹, ›So will ich einst meinen Geruch haben, so die Düfte‹, ›So will ich einst meinen Geschmack haben, so die Säfte‹, ›So will ich einst mein Getast haben, so die Tastungen‹, ›So will ich einst mein Gedenken haben, so die Dinge‹: so hat man das Herz auf die Erlangung des Unerlangten gerichtet; und weil das Herz darauf gerichtet ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, hofft man auf die Zukunft hin. Also, ihr Brüder, hofft man auf die Zukunft hin.

»Wie aber, ihr Brüder, hofft man nicht auf die Zukunft hin? ›So will ich einst mein Gesicht haben, so die Formen‹: so hat man das Herz nicht auf die Erlangung des Unerlangten gerichtet; und weil das Herz nicht darauf gerichtet ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, hofft man nicht auf die Zukunft hin. ›So will ich einst mein Gehör haben, so die Töne‹, ›So will ich einst meinen Geruch haben, so die Düfte‹, ›So will ich einst meinen Geschmack haben, so die Säfte‹, ›So will ich einst mein Getast haben, so die Tastungen‹, ›So will ich einst mein Gedenken haben, so die Dinge‹: so hat man das Herz nicht auf die Erlangung des Unerlangten gerichtet; und weil das Herz nicht darauf gerichtet ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, hofft man nicht auf die Zukunft hin. Also, ihr Brüder, hofft man nicht auf die Zukunft hin.

»Wie aber, ihr Brüder, wird man bei gegenwärtigen Dingen aus der Fassung gebracht? Gesicht, ihr Brüder, und Formen: beides ist gegenwärtig; weil es aber gegenwärtig ist, wird das Bewusstsein mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein mit Willensbegier gefesselt ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, wird man bei gegenwärtigen Dingen aus der Fassung gebracht. Gehör, ihr Brüder, und Töne, Geruch, ihr Brüder, und Düfte, Geschmack, ihr Brüder, und Säfte, Getast, ihr Brüder, und Tastungen, Gedenken, ihr Brüder, und Dinge: beides ist gegenwärtig; weil es aber gegenwärtig ist, wird das Bewusstsein mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein mit Willensbegier gefesselt ist, hat man daran Befriedigung; und weil man daran Befriedigung hat, wird man bei gegenwärtigen Dingen aus der Fassung gebracht. Also, ihr Brüder, wird man bei gegenwärtigen Dingen aus der Fassung gebracht.

»Wie aber, ihr Brüder, wird man bei gegenwärtigen Dingen nicht aus der Fassung gebracht? Gesicht, ihr Brüder, und Formen: beides ist gegenwärtig; weil es aber gegenwärtig ist, wird das Bewusstsein nicht mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein nicht mit Willensbegier gefesselt ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, wird man bei gegenwärtigen Dingen nicht aus der Fassung gebracht. Gehör, ihr Brüder, und Töne, Geruch, ihr Brüder, und Düfte, Geschmack, ihr Brüder, und Säfte, Getast, ihr Brüder, und Tastungen, Gedenken, ihr Brüder, und Dinge: beides ist gegenwärtig; weil es aber gegenwärtig ist, wird das Bewusstsein nicht mit Willensbegier daran gefesselt; und weil das Bewusstsein nicht mit Willensbegier gefesselt ist, hat man keine Befriedigung daran; und weil man keine Befriedigung daran hat, wird man bei gegenwärtigen Dingen nicht aus der Fassung gebracht. Also, ihr Brüder, wird man bei gegenwärtigen Dingen nicht aus der Fassung gebracht.

»Das, ihr Brüder, betrachte ich als den ausführlich dargelegten Inhalt jener Andeutung, die uns der Erhabene in kurzer Fassung gegeben hat. Wenn es euch Ehrwürdigen nun recht ist, so gehet hin und befragt den Erhabenen selbst hierüber: wie es uns der Erhabene erklärt wollet es behalten.«

Da waren nun jene Mönche über des ehrwürdigen Mahākaccāno Rede erfreut, erhoben sich befriedigt von ihren Sitzen und begaben sich dorthin wo der Erhabene weilte, begrüßten den Erhabenen ehrerbietig und setzten sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend berichteten da jene Mönche dem Erhabenen Wort um Wort die ganze Begegnung, die sie mit dem ehrwürdigen Mahākaccāno gehabt hatten: »Da hat uns, o Herr, der ehrwürdige Mahākaccāno auf solche Weise, in solcher Art, mit solchen Bestimmungen den Inhalt dargestellt.«

»Weise, ihr Mönche, ist Mahākaccāno, wissensmächtig, ihr Mönche, ist Mahākaccāno. Wolltet ihr mich, ihr Mönche, um Aufklärung angehn, ich würde den Gegenstand genau so erläutern, wie ihn Mahākaccāno erläutert hat: denn eben das ist der Inhalt, und den sollt ihr derart bewahren.«

 

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.


 << zurück weiter >>