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Fünftes Kapitel.
Der Nachtkreis

Wieder brannte die Landschaft in der Sonne. Die kleine Kavalkade ritt langsam längs der Loire auf Orleans zu. Der Fluß brachte keine Kühlung. Die Zeit floß dumpf und träge hin, wie die weißglühende Landstraße zwischen den Pferdebeinen.

Der Kardinal hatte höhnisch den Mund verzogen, als der König bei der Abschiedsaudienz den Meister Necker als seinen Begleiter nannte: er möge sich seines Kämmerers Vertrautheit mit den burgundischen Verhältnissen zunutze machen und ihn bei den Vorbereitungen zu der Zusammenkunft mitarbeiten lassen. Balue hatte boshaft gefragt, wie lange der Majestät an der fernhaltenden Beschäftigung des Eifersüchtigen gelegen sei: eine Nacht – fünf Nächte – zwanzig Nächte – oder gar für die nicht schwer zu erreichende Ewigkeit? – Doch er war blaß geworden und unsicher unter der Wut, die aus Ludwigs Augen blitzte, und unter seinen scharfen Worten:

»Zur Stunde saufen wir nicht, Eminenz!«

So hatte er übellaunisch und unhöflich den Meister während der ersten Stunde neben sich herreiten lassen. Doch als dann sein zufälliger Blick das graue und finstere Gesicht Olivers streifte, riß ihn ein blanker Gedanke aus der Verärgerung. Er schloß einen Augenblick wie geblendet die Augen. Er begann ein Gespräch; aber Oliver war wortkarg, eingeschlossen von trüben Bildern. Er dachte an Anne, an den Abschied, bei dem kein Wort von den tausend andrängenden Worten ausgesprochen wurde. Er hatte nicht die Nacht, nicht dieser Nacht wundervolle Liebe mit dem Bericht des Erlebten und der ungeheuerlichen Entscheidung schänden wollen und ihr erst am Morgen mit dürren Worten gesagt, daß ihn der König mit triftiger Begründung – um Balue zu überwachen – nach Paris schicke.

»Hat er untersagt, daß ich mitkomme?« hatte sie sehr blaß gefragt.

»Nur Daniel darf mich begleiten.«

Mehr hatten sie nicht zu sprechen. Doch als er sie umarmte und ihr in die Augen schaute, mit seiner ganzen Gewalt alles, was zu sagen war, in einen Blick drängte, sah er in ihren Pupillen fremde, gelbe, grausame Lichter aufblinken. Und als er sich ein letztes Mal umgedreht hatte, sah er ein fremdes schmallippiges Kurtisanengesicht ohne Lächeln und ohne Erbarmen, ohne Liebe und ohne Angst. – Das ist die Fiamminga, hatte er sich gesagt – und das Herz schmerzte ihn wie eine bohrende Nadel. –

Er bemerkte nicht, daß des Kardinals lammfrommer Zelter immer langsamer geworden war und daß er unwillkürlich sein Pferd stets in der gleichen Höhe mit ihm hielt. Jetzt ritt schon das Fähnlein Bewaffneter, das sie begleitete, in einigem Abstand vor ihnen. Nur Daniel Bart hielt sich unentwegt hinter seinem Herrn.

»Der Staub! Der Staub!« klagte Balue, hielt an, lüftete seinen schwarzen, rotgebänderten Hut und trocknete sich die Stirn. Auch Oliver und Daniel zügelten ihre Tiere.

»Sie sehen schlecht aus, Meister«, sagte der Kardinal mit einem schnellen Blick; »fühlen Sie sich krank?«

Oliver hob den Kopf und wollte sich sammeln.

»Ob ich krank bin, Eminenz? – Gewiß nicht.«

»Aber Sie haben vielleicht Kummer«, tastete sich Balue vorsichtig heran.

Der Necker betrachtete ihn erstaunt; dann lächelte er schlau: »Vielleicht, Monsignore – aber unsere Leute gehen uns davon. – Daniel, reite ihnen nach: sie sollen auf uns warten.«

Bart gehorchte. Jetzt lächelte auch Balue.

»Gut, Meister, gut! Wir haben uns vielleicht allerlei zu sagen, was andere nicht interessiert.«

Er klopfte nachdenklich den Hals seines Zelters.

»Wir sind Männer von einiger Erfahrung, glaube ich«, begann er etwas zögernd; »wir werden uns gewiß nicht überraschen oder gar verletzen, wenn wir von den Hintergründen, die uns beiden nicht verborgen geblieben sind, den hypokritischen Vorhang ziehen. – Ich darf also annehmen, daß Sie sich über die eigentlichen Gründe Ihrer plötzlichen Mission nicht im unklaren sind, Herr Oliver?«

»Durchaus nicht«, bestätigte der Necker.

»Ich wußte es«, fuhr Balue sicherer fort; »ich hatte die kräftig dramatische Szene von gestern abend trotz meines schließlichen Zustandes nicht nur mit dem faden Zynismus erlebt, den ich bei solchen Gelegenheiten zu äußern pflege: ich habe sehr wohl Ihre schlimme innerliche Verfassung erkannt und Ihren Widerstand bewundert.«

»Nicht wahr?« lachte Oliver, »war ich gestern abend nicht so etwas wie ein heroischer Moralist? Eine gar seltene Spezies in Ludwigs Menschensammlung, nicht wahr, Monsignore? Denn Ihre gewiß nicht angezweifelte Sittlichkeit zum Beispiel gelangt schon aus Gründen des Zölibats nicht in jene heldischen Bereiche!«

Der Kardinal betrachtete ihn sehr verwirrt.

»Ich begreife Ihre Spaßigkeit nicht ganz«, sagte er achselzuckend; »denn ich sprach sehr ernst und bin gewiß noch nicht am Ende. Und bis zu dieser Minute sahen Sie mir nicht so aus, als ob Sie witzig sein wollten, Meister.«

Oliver ritt weiter.

»Die Sonne brennt unerträglich, wenn wir auf einem Fleck stehen bleiben«, sagte er, »und die Leute werden ungeduldig.«

Balue folgte ihm; als er wieder neben ihm war, sprach er scharf:

»Sie sind nicht der Mann, der so rasch ja und amen sagt.«

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Oliver und schaute mit zusammengekniffenen Augen geradeaus, »und – verzeihen Sie – warum wollen Sie das wissen?«

Der Kardinal lachte.

»Mir scheint gar, Meister, Sie fürchten, daß ich Sie in seinem Auftrag aushorche.«

Oliver hob die Achseln und unterdrückte ein Lächeln. Sie hatten die Eskorte erreicht.

»Wahrhaftig«, flüsterte Balue hastig, »Sie irren sich oder Sie geben sich den Anschein, als verstünden Sie nicht, daß ich Ihre Opposition gern sehe ...«

Jetzt lachte Oliver leise und sah ihn mit einem unverhüllten Blick an. Der Kardinal schüttelte verblüfft den Kopf.

»Was lachen Sie, Meister?« fragte er gepreßt. »Was ...«

Doch Daniel Bart hielt sich wieder so dicht hinter ihnen, daß es dem Prälaten gut schien zu schweigen. Sie ritten weiter, hin und wieder gleichgültige Worte wechselnd. Balue beobachtete den Gefährten aus den Augenwinkeln. Oliver behielt auf den Lippen sein unangenehmes und vieldeutiges Lächeln. Der andere hustete erregt. –

Am Horizont stieg die schlanke Silhouette des Schlosses von Blois in den blauen besonnten Mittag. Sie kamen in die Stadt und waren für die zwei Raststunden Gäste des Bischofs, der den müden und einsilbigen Balue mit seiner geschwätzigen Devotion quälte. Auch während des Nachmittags, als der Trupp ein wenig frischer in einem leisen Wind wieder nordwärts trabte, suchte der Kardinal keine Gelegenheit, das heimliche Gespräch mit Oliver fortsetzen zu können. In Orleans nahmen sie bei dem Statthalter des Königs Nachtquartier.

»Mein Daniel könnte vielleicht mit Ihrem Sekretär die Kammer teilen«, sagte Oliver wie von ungefähr. Balue nickte zufrieden und wählte für sich und den Meister ein Zimmer, das durch einen kleinen Gang von dem Schlafraum ihrer persönlichen Diener getrennt war. Er schützte seine und des Kämmerers Reisemüdigkeit vor, um der Einladung des Königleutnants zu entgehen. Die beiden speisten, von einem Kleriker und Daniel Bart bedient, auf dem Zimmer.

Der Kardinal lehnte sich zurück, satt, mit listigem Ausdruck im Gesicht. Der Meister befahl dem Bart, abzudecken und nicht mehr zu stören. Er verschloß hinter ihm die Tür und wandte sich um; er lächelte wieder.

»Wir sind jetzt so ungestört, Eminenz, wie Sie es nur wünschen können.«

»Sie wünschen es doch auch?« fragte Balue, wieder mißtrauisch. »Sie sollten in Ihrem Interesse alles vermeiden, was mir die Lust nähme, mit der Sprache herauszurücken.«

»In meinem Interesse?« lachte Oliver. »Sie, Monsignore, schienen mir bisher der letzte, der für mich ein Wort einlegen möchte, geschweige denn ein Wort zuviel.«

Der Kardinal trommelte ungeduldig auf die Tischplatte.

»Meister, Meister, meine Hilfsbereitschaft gilt nicht der Kreatur des Königs, die Sie in meinen Augen bis gestern abend waren, sondern dem gekränkten und beraubten Mann, der den Mut hat, nicht zu vergessen – mehr noch: zu handeln!«

Oliver zog spöttisch die Brauen in die Höhe:

»Die Worte klingen nicht sehr christlich, Eminentissime. – Und wer sagt Ihnen, daß ich nicht immer noch Ludwigs Kreatur bin? – Decken Sie nicht so rasch Ihre Karten auf! – Oder ist es doch nur eine Finte, wenn Sie sich selber als den Gegensatz zu Ludwigs Kreaturen bezeichnen?«

»Ich glaube«, sagte Balue vorsichtig, »Sie mißverstehen mich. Ich diene dem König und leite seine auswärtigen Geschäfte. Aber wenn ich trotzdem meine geistige Unabhängigkeit bewahrt habe und nach Männern suche, die seiner Hypnose noch nicht verfallen sind, so geschieht es, weil ich gewisse Zusammenhänge übersehe, die mich über kurz oder lang vielleicht in Gegensatz zu seiner Politik bringen könnten.«

Der Necker beugte sich über den Tisch und sah dem anderen, der gezwungen lächelte, in die Augen.

»Monsignore«, sprach er langsam, »allein für diese wunderschöne Paraphrase des Begriffes Hochverrat gebührte Ihnen der rhetorische Lehrstuhl an der Sorbonne, wären Sie nicht schon Kardinal. – Ich warnte Sie, Ihre Karten zu schnell aufzudecken.«

Balue wurde rot vor Ärger oder Angst; aber er unterdrückte unbesonnene Antwort und zwang sich zur Ruhe. Er sagte ironisch nach einer kleinen Pause:

»Sie haben eine lebhafte Phantasie, Meister; das hängt mit Ihrem früheren Beruf zusammen. Aber sollten Sie hoffen, gleichsam im Austauschverfahren für den weißen Leib Ihrer Meisterin den grauen Kopf des Kardinals Balue in den königlichen Rachen werfen zu können, so muß ich Ihnen sagen, daß es doch noch viel mehr Anstrengung kosten muß, in meinen Karten zu lesen.«

Oliver drängte sich kichernd, die Hände rechts und links an den Tischecken, weiter vor; Brust und Kopf lagen fast auf der gebeizten Platte.

»Soll ich mich die Anstrengung kosten lassen, Eminenz, oder soll ich warten, bis Ihnen in Paris der Bruder Viole die letzten Neuigkeiten von Herrn de Crèvecœur zustellt – vielleicht die Antwort auf Ihre Meldung über Ihre erfolgversprechende Bearbeitung des Königs, sich bei Herrn Burgund zu Gast zu laden?«

Balue machte eine Bewegung, als ob er aufspringen wollte; doch es war, als hielte er sich an dem Tisch fest; er preßte die Lippen zusammen. Oliver richtete sich auf, mit ernstem Gesicht.

»Wahrhaftig«, sprach er, »ich hätte dem königlichen Untier den Kardinalskopf vorwerfen können, noch ehe ich wußte, daß er grau war. – Man soll nicht die Rhetoriker für harmlos halten, Monsignore, sie schwätzen manchmal zuviel; und vielleicht stellt sich der Jacques Viole so gerne auf die Kanzel wie jener andere harmlose Franziskaner, wie jener brave Fra Fradin, der jetzt nicht mehr die menschlichen Wollüste bekämpfen darf.«

Der Kardinal sah ihn offen an.

»Necker, wir wollen die Gleichnisse lassen und eindeutig sein. Wir wollen auch die unnützen Andeutungen lassen, wie Sie zu Ihrem Wissen kamen. Gewiß ist, daß Sie genug wissen. Sie sind im Vorteil, nicht nur in diesem Augenblick, sondern seit vielen Wochen. Sie haben Zeit gehabt, sich Ihr Opfer auszusuchen. – Haben Sie den König verurteilt oder mich?«

Oliver schwieg. Balue lächelte klug.

»Glauben Sie, Meister, ich wüßte jetzt nicht, wie Sie gewählt haben? – Glauben Sie, ich wüßte jetzt nicht, daß wir auf ein Haar das gleiche Gespräch haben würden, auch wenn ich nicht damit begonnen hätte, Sie auf meine Seite zu ziehen? – Nicht wahr, Herr Oliver: weil Sie vor Ihrem Ehebett keine Fußangel mehr anbringen können, graben Sie hinter ihm die Wolfsgrube.«

Oliver blickte ihn an.

»Der König hat Verdacht gegen Sie«, sagte er kurz.

Der Kardinal stand erregt auf.

»Beliebt es Ihnen, mit mir noch weiter zu spielen, Herr? – Wissen Sie nicht, daß auch Sie sich eine kleine Blöße gegeben haben, als Sie mir zu verstehen gaben, daß Sie dem König von meiner angeblichen Verbindung mit Brüssel nichts sagten? – Das ist genug, um Sie mitzureißen, wenn ich falle.«

Oliver hob die Achseln.

»Sie verlieren die Überlegung, Eminenz«, sagte er gleichmütig. – »Der König hat durch mich Verdacht gegen Sie.«

»Wollen Sie mir damit sagen, daß Sie mir beigegeben worden sind, um mich zu überwachen?«

»Ja.«

Balue lachte spöttisch.

»Das wäre vielleicht bedenklich, wenn die Order vor dem Spectaculum von gestern abend gegeben und ausgeführt worden wäre.«

»Falsch«, sagte der Necker; »dann wäre sie so überflüssig wie unsere beschwerliche Reise; dann säßen Sie wahrscheinlich noch kühler, Monsignore.«

»Was führen Sie mich also im Kreise, Herr?« fragte der andere ärgerlich. Oliver schüttelte den Kopf.

»Das tue ich nicht«, lächelte er, »ich zeige Ihnen nur meine Ehrlichkeit von allen Seiten. – Sie sollen einsehen, daß von mir allerlei abhängt. Also werben Sie um mich; denn ich bin der einzige, der den König in eure Falle locken könnte. – Werben Sie nicht mit sentimentalen Argumenten wie bisher, auch nicht mit umschreibender Eloquenz, die bei mir ebensowenig wirkt wie etwa brutale Bestechung, sondern mit klaren politischen Tatsachen.«

Der Kardinal musterte ihn mißtrauisch:

»Wenn ich Sie recht verstehe, Meister, verlangen Sie von mir, in die politische Idee, der ich diene, und in die Konstitution ihrer Machtmittel eingeweiht zu werden. – Aber wer garantiert mir, daß Sie nicht Ihre Kenntnisse zugunsten des Königs verwerten?«

»Ihre eigene Person«, entgegnete Oliver ohne Zögern, »Sie selbst, weil Sie nicht in der Oubliette sitzen, sondern in Orleans, und weil Sie morgen in Paris sein werden und ich mit Ihnen. – Wäre dem nicht so, Eminenz, dann hätte doch gewiß das, was ich weiß, schon in Amboise dem König genügt, an meiner Statt die bewährten Praktiken Herrn Tristans für die notwendigen Fragen und Antworten in Anspruch zu nehmen. – Sie werden es einsehen.«

Balue stand auf und ging überlegend im Zimmer hin und her. Schließlich sagte er, vor dem Necker stehenbleibend:

»Gut, Meister, fragen Sie mich.«

Oliver strich lächelnd das Kinn.

»Ich erkenne immer mehr«, sprach er, »was für einen Diplomaten der König in Ihnen verliert. Und meine Anerkennung ist nicht einmal zu verachten; denn ich hatte einst Gelegenheit, von Rodrigo Borgia hohe spanisch-römische Schule reiten zu sehen. Wählen Sie ihn bei dem nächsten Konklave, und seien Sie sein Staatssekretär, Monsignore. Rom liebt Sie, weil Sie so wacker des siebenten Karl schismabergende Pragmatische Sanktion zerschlugen und in allen Ehren für sich den Kardinalshut und für unseren wahrlich christlichen König den notwendigen Superlativus Regis Christianissimi eroberten. Rom könnte Ihnen eine zutunlichere Tätigkeit verschaffen als die mühselige und nicht ungefährliche Arbeit, ihm seine weltlichen Superlative zu beschneiden. – Und das wollen Sie doch, Eminenz?«

Balue hatte mit säuerlichem Gesicht zugehört und wurde durch die plötzliche Frage nicht überrascht.

»Das will ich nicht allein«, sagte er kalt.

»Gewiß nicht«, bestätigte Oliver; »und dem König ist nicht unbekannt, daß die Fürstenliga reaktiviert werden soll.«

»Sie ist es bereits.«

»Und Sie gehören ihr an, Eminenz?«

Der Kardinal hob die Hand.

»Diese Frage dünkt mich ein wenig zu inquisitionsmäßig, Meister.«

»So vergeben Sie mir«, lachte der Necker und schien in guter und sorgloser Stimmung. – »Burgund natürlich ist der Führer, wie er es gewesen war, des Bundes Kopf und Arm, wie ihn Ludwig apostrophiert, und er weiß vielleicht mehr, als gut ist, Monsignore! Burgund kann sich gewiß auf die Unterstützung des immer oppositionslüsternen Bretonenherzogs verlassen, dem der König im Augenblick ein paar östliche Festungen wegnimmt, wie Sie wissen. Auch Armagnac im Süden wird dabeisein, wenn es gilt, Valois einzukreisen. – Das sind nicht sonderlich geheimnisvolle Fakten, nicht wahr? – Doch wie ist es mit Herrn Karl von Frankreich, des Königs einzigem und darum doch beileibe nicht brüderlichem Bruder? Ist der alte Haß durch den jungen normannischen Herzogstitel neutralisiert?«

»Nein, er gehört zur Fronde.«

»Herr Karl gehört zur Fronde«, wiederholte Oliver nachdenklich, »und der englische Edward ist Burgunds Schwager! – Rate ich nicht gar zu schnell den Weg der Liga zum Ziel, Eminenz?«

Balue schwieg.

»Und Nemours?« fragte Oliver plötzlich, »der Duc de Nemours, dem der König verziehen hat? Ist der alte Haß noch da?«

»Ja, er gehört zur Fronde.«

Der Necker kniff die Lippen zusammen.

»Herr Karl ...«, sann er, »Jaques Nemours ... Und wer ist – außer uns beiden – von den Herren dabei, die jetzt im Dienst des Königs stehen?«

Balue schwieg.

»Gut«, sagte Oliver geduldig, »ich will meine Frage auf den Großmeister der Armee und auf den Konnetabel beschränken, die beide der ersten Fürstenliga angehörten und jetzt – als einzige der Pardonnierten – sehr hohe und wichtige Ämter innehaben.«

Der Kardinal wandte sich jetzt ab, trat ans Fenster und starrte in die Nacht.

»Graf Dammartin gehört nicht zur neuen Liga«, sagte er dann leise und ab gewandten Gesichts; »aber auf Saint-Pol ist trotz seiner persönlichen Animosität gegen den Burgunder und trotz des Herzogs Mißtrauen gegen ihn zu rechnen, zumal im Augenblick des Erfolges.«

»Der Großmeister nicht, aber der Konnetabel«, flüsterte der Necker. Auch er stand auf und ging nachdenklich mit seinem leisen Schritt zum Fenster, blieb dicht hinter dem Prälaten stehen. »Herr Karl ... Nemours ... Saint Pol ... Balue ...«, murmelte er.

Der Kardinal schrak zusammen und kehrte sich um. Die beiden Männer standen sich nahe gegenüber, ihre Körper berührten sich fast; Balue beugte unwillkürlich den Kopf zurück, heimlich irritiert; denn Oliver sah ihm nicht in die Augen, sondern sinnenden Blickes und ohne die Lider zu bewegen auf die Stirn.

»Warum vergessen Sie sich in der Aufzählung?« fragte Balue schließlich gereizten Tones.

»Ich«, lächelte Oliver und trat einen Schritt zurück, »ich gehöre nicht in den Atemzug der erlauchten Namen. Ich komme erst jetzt.«

Er wurde ernst.

»Es ist gut, daß Sie mir geantwortet haben, Eminenz. Ich kann jetzt nachdenken; ich kann das Aufgebot gegen den König überschauen und seine Kraft abschätzen. – Die Fronde ist stark, Monsignore, sie ist furchtbar, weil sie bis in Ludwigs Paladinschaft reicht, vielleicht sogar bis in sein Bett, vielleicht sogar bis in seine Seele. – Ja«, fuhr er fort und sah den anderen seltsam dringlich an, »seien wir offen, Herr Kardinal: Sie, der Konnetabel und selbst meine unbedeutende Person möchten die Liga für den Valois mörderischer machen, als es nur je für seinen Vater die englische Woge und der große Bedford gewesen waren; denn der siebente Karl hatte seine Xaintrailles, La Hire und Dunois trotz allem und gegen alle, aber den Ludwig Valois wollen seine Minister, Konnetabel und Kämmerer von hinten anfallen, zur guten und sicheren Stunde, wenn die Liga der alten und neuen Feinde ihm die Hände festhält!«

Oliver hatte mit starker Stimme gesprochen. Balue wurde blaß und wich, die Hand abwehrend ausgestreckt, an die Wand zurück. Der Necker folgte ihm langsam, mit dem gleichen brennenden Blick; und wieder sprach er, unbarmherzig – und seine Worte wurden Peitschenhiebe.

»Wir wollen offen sein, Herr Kardinal. Es ist gut und festigt die Gemeinschaft, wenn Verschwörer sich die nackte Seele zeigen. – Was waren Sie, Eminenz, ehe Ludwig Valois Ihre intrigante Begabung entdeckte? – Sie waren ein kleiner Kleriker, kleiner Leute Kind. Sie mußten vierzig Jahre alt werden, bis Ihr Ehrgeiz das Trittbrett fand, den Bischof von Angers, den Sie nicht verehrten, weil er der Verehrung würdig, sondern weil er Rat des Königs war. Sie wurden durch den Bischof Kanonikus, Sie wurden durch ihn Kapitelsschatzmeister, bis es Ihnen gelang, des Königs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sein Sekretär, sein Almosenier zu werden. Sie konnten dem Trittbrett den Fußtritt geben, den Wohltäter in Ungnade bringen und an seiner Stelle Bischof von Angers und Kronrat werden. Sie wurden Kardinal und Minister, durch Ludwig erhoben wie wenige Menschen: gut, Monsignore, den königlichen Wohltäter kann man nicht in Ungnade bringen, sondern nur verraten! – Aber dann, Balue? – Wollen Sie Burgunds oder Englands Statthalter in Frankreich werden? – Und dann, Balue? – Sie werden dann noch immer fünf oder zehn Lebensjahre Zeit haben; denn Sie werden alt ...«

Der Kardinal war aschgrau im Gesicht; er hob die Fäuste.

»Mensch!« keuchte er, »was wagen Sie ...«

Oliver blieb vor ihm stehen.

»Ich wage nur, ehrlich zu sein«, sagte er kalt; »und ich spreche jetzt nicht mehr von Ihnen, nicht vom Grafen Saint-Pol, der aus des Königs Händen sein Konnetabelschwert empfing, sondern von dem dritten und niedrigsten: von mir. Denn Sie und die anderen sind immerhin Hochverräter mit geistigem Ziel, Politiker oder ehrliche Feinde, ich aber bin der Kammerdiener, der den Schlüssel zur Tür hergibt.« –

Schon lächelte Balue aus seinem roten Gesicht, ganz ohne Überleitung von der blassen Wut und der heimlichsten Erschütterung: »Sie sind also eindeutig und ohne Einschränkung bereit, Meister, mit uns zu arbeiten und den König in das herzogliche Lager zu bringen?«

Er streckte ihm die Hand hin. Oliver übersah sie.

»Bleiben Sie doch wenigstens im Zorn, Herr Balue«, sagte er mit Verachtung.

Er drehte sich um und begann sich zu entkleiden.

Um diese Stunde verließ der König das Bankett, das er zu Ehren Stefano Nardinos, des päpstlichen Legaten und Erzbischofs von Mailand, gegeben hatte, ging in sein Turmkabinett und entließ den diensthabenden Kämmerer mit der Weisung, daß er noch arbeite und nicht gestört sein wolle. Doch er wartete nur, bis sich die Tür hinter dem Höfling geschlossen hatte und schob in der Täfelung das Paneel zur Seite, das die Wendeltreppe zu dem geheimnisvollen, über dem Arbeitszimmer liegenden Gemach verhüllte.

Anne hörte seine Schritte und richtete sich auf. –

Als Herr de Beaune, der ihr sofort nach Olivers Aufbruch gemeldet hatte, daß die Majestät sie des Abends zu empfangen wünsche, vor einer halben Stunde mit dem gleichen höflichen Ernst erschien und sie abholte, verließ sie nicht ihre zugleich nüchterne und lässige Sicherheit – die Energie, die der Meister ihr mitgeteilt hatte: sich der Waffe des Körpers zu bedienen. Sie wurde in das obere Turmzimmer geführt, in das kreisrunde Behältnis der königlichen Lüste. Sie verzog ein wenig den Mund und wurde noch sicherer: der Raum war ein einziger Alkoven. Die fensterlosen Wände, mit gelbem, goldgefädeltem Brokat bekleidet, wölbten sich zur gleichfarbenen Decke wie ein Zelt oder wie ein Betthimmel. Der Boden war mit Rehleder in der Farbe alten Goldes überspannt und nur zu einem schmalen Streifen längs der Wände sichtbar. Zarte, helle Seidenteppiche ließen fast die Konturen des Podestes verschwinden, auf dem das breite, niedrige, mit Blaufuchsfellen belegte Lager ruhte. Matte Ampeln mit wohlriechendem Öl gaben ein silberblaues Licht, das in der Rautenfläche des venezianischen Deckenspiegels wie milchige Tropfen von einem Märchenmond hing.

Da das Gemach keinen Stuhl und kein Sitzpolster aufwies, hatte sich die Frau auf das Bett gesetzt, das unter ihr nachgab und sie kupplerisch auf den Rücken lockte. Die zärtlichen weichen Haare der Felle, die wie der ganze Raum unbestimmt und verwirrend nach Zibetpuder und Myrrhe dufteten, schmiegten sich an ihren Nacken und streichelten ihre Hände. Sie hob die Augen auf und sah am Plafond sich selbst, den hingestreckten Körper und die lasterhaft verschwommene, opalfarbene Fläche des Gesichts. Es gefiel ihr, sich zu betrachten, die Glieder unter dem glatten hellen Samt des Kleides zu bewegen, mit den Händen der Form der Brüste und der Hüften nachzutasten und des Gesichtes wollüstiges Lächeln neugierig aufzuspüren. Als sie des Spieles müde war – nicht einmal verwundert, daß kein beunruhigender oder bekümmernder Gedanke sich an den Mut und an das Selbstvertrauen des Körpers heranschlich – und träge den Kopf zur anderen Seite drehte, sah sie auf einem niederen Tischchen, dessen Platte mit gebleichtem Schweinsleder überzogen war, eine mächtige Silberplatte mit kleinen goldenen Schalen voll erlesener Speisen: zarte Lachs- und Rohrdommelpasteten, Wildbretwürfel in Säften von blauen Muskattrauben und Ingwer, mit Majoran und Rosmarin gewürzte Lampreten, likörgetränkte Torten nach florentinischen Rezepten, Becher mit schweren süßen Weinen aus der Languedoc, aus Spanien, Sizilien, Zypern und Ungarn, Fingerschalen mit Wasser, das nach Mandeln roch. Anne, durch die Arbeit der Sinne hungrig, reckte sich quer über das Bett, griff nach den Speisen und trank hastig und wahllos drei, vier der Becher aus. Dann wieder rollte sie sich auf den Rücken, im Gaumen noch den aufreizenden Geschmack der Gewürze, das Hirn dumpf von Wein und den einhüllenden Düften, Farben und Stoffen.

Das Geräusch der zurückgeschobenen Paneeltür machte sie wach, der rasch steigende Schritt auf der Treppe ließ ihr Herz klopfen; sie hob den Oberkörper auf und stützte die Hände hinter dem Rücken auf die Felle. Sie suchte nach der Tür. Jetzt öffnete sich links in der Wandbekleidung ein mannshoher schmaler Spalt. Anne streckte die Brüste vor und lächelte. Der König stand im Zimmer und sah sie an, ernst, befremdet.

»Sie haben ein anderes Lächeln heute, Madame«, sagte er leise und rührte sich nicht von der Stelle.

Die Frau antwortete nicht, entblößte die Zähne ein wenig mehr und schloß halb die Augen, den Kopf sacht zurückbiegend. Ludwig betrachtete ihren Mund und hob die Brauen.

»Erinnern Sie sich, Madame«, fragte er kühl, »daß Sie die letzte Nacht in den Armen Ihres Mannes lagen?«

Anne öffnete groß die Augen; aber sie lächelte noch.

»Sire«, sprach sie und richtete sich in den Knien auf, »da Sie mir nicht die Hände küssen wollen, erlauben Sie, daß ich die Ihren küsse.«

Der König verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

»Madame«, sagte er ein wenig lauter, »erinnern Sie sich, daß Sie vor zwanzig Stunden in den Armen Ihres Mannes lagen?«

Die Frau lächelte nicht mehr; ihre Augen wurden hart.

»O gewiß, Majestät, und Ihr Befehl hat ihn innerhalb dieser zwanzig Stunden zwölf Reisestunden von diesem Zimmer entfernt, in das Sie mich haben rufen lassen.«

Sie ließ sich wieder zurücksinken. Ludwig verzog den Mund.

»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Madame. – Und darf ich fragen, ob Sie gerne kamen?«

»Sire«, entgegnete Anne spöttisch, »wenn es Sie aufreizt und Sie es hören möchten, so antworte ich Ihnen gerne, daß ich blutenden Herzens gekommen bin.«

Ludwig grinste und wies auf die Speisen:

»Aber Sie hatten Ihres Herzens ungeachtet Appetit? – Doch«, fuhr er wieder ernst fort, »wenn ich Sie jetzt bäte, sich zu entkleiden?«

»So würde ich es tun«, sagte sie ruhig.

Der König kreuzte die Arme und sah auf den Boden; dann warf er rauh die Worte hin:

»Ziehen Sie sich aus!«

Anne hob sich auf, trat auf die Bettstufe und riß mit sicherem Griff die Verschnürung der Ärmel und des Mieders auf. Dem Mann zitterten die Lippen, als ihre weiße Haut aus dem Spalt des Kleides leuchtete.

»Lassen Sie, Madame«, sagte er gepreßt und wandte den Kopf ab, »ich glaube an Ihre Bereitwilligkeit. Aber ich verwundere mich, wie sie zustande kam. – Ich habe sonderbare Gedanken.«

Er sah sie mit vollem Blick an.

»Sagen Sie mir, Dame Necker, ob Sie gestern gleich willfährig gewesen wären?«

Anne kreuzte die Hände über der nackten Brust und blieb aufgerichtet stehen.

»Ja, Sire«, sagte sie.

Ludwig hob erstaunt den Kopf.

»Wenn ich den Meister mit Gewalt entfernt und Sie mir zu folgen gezwungen hätte, so würden Sie sich mir gegeben haben? Ohne Widerstand? – Madame, sagen Sie die Wahrheit.«

Anne lächelte ein wenig starr:

»Wenn es eine Gewalt gegeben hätte, der der Meister gewichen wäre, dann würde ich gestern so bereit gewesen sein, wie ich es jetzt bin.«

Der König machte einen kleinen Schritt auf sie zu; doch als ob ihn eine unsichtbare Hand zurückdrängte, wich er langsam wieder an die Wand. Seine Stirn faltete sich unter der Arbeit des Hirns.

»Madame«, fragte er leise und fast verlegen, »hat Sie je ein anderer Mann erkannt als er?«

Anne schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht schien jetzt verändert, es war glatt, weiß, ohne Regung, wie eine Maske, gleichsam fremd zum eigenen atmenden Körper und doch auch, als ob ihre Sinne über die Grenzen des Raumes hinweg nach einer Verbindung spähten, lauschten und tasteten. Der König beobachtete sie mit äußerster Aufmerksamkeit.

»Frau Anne«, sprach er wieder fast flüsternd, wie fürchtend, seine Stimme könnte andere, zarte, wichtige Lautschwingungen zerreißen, »Anne, haben Sie jemals ohne ihn gedacht und gehandelt und zu unterscheiden versucht, was böse ist und was gut ist?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ist immer sein Wille in Ihrem Willen und seine Seele in Ihrer Seele?«

Sie nickte.

»Auch jetzt?«

Sie nickte.

»Auch in Ihrem Körper, wenn er sich mir gibt und sich mir gegeben hat?«

Sie sagte gequält, mit einer traumhaften, kehligen Stimme:

»Ja ... ja ... ja ...«

Der König sah über sie hinweg; er sah mit gleichsam erwartungsvollem Blick im Zimmer sich um, als möchte er den Necker finden können. Er hätte in diesem Augenblick wohl gewünscht, ihn körperlich zu entdecken: er wäre nicht einmal erstaunt, sondern von dem beunruhigenden Wahn seiner Unfaßbarkeit, der ihn jetzt verwirrte, befreit gewesen. Doch sein Auge sah nur den matten Goldton der Wände, die regungslose Frau und hinter ihr die erstarrte Wollust des Bettes wie ein ironisches und irritierendes Fresko. – Seine Hand hob sich unwillkürlich und schlug das Kreuz. – Ich fasse ihn nicht; ich begreife ihn nicht; Gott sei bei mir! – Ist er der Böse? Liebt er mich? Versucht er mich? Will er mich verderben? – Was will er? – Ludwig sagte es laut:

»Was will er?«

Die Neckerin schwieg. Der König beugte sich vor, streckte die Hand aus und berührte ihren Arm. Sie zuckte zusammen.

»Ich wollte mich nur vergewissern, ob Ihr Körper vor mir steht«, sprach er weich, wie eine Entschuldigung, und strich sich mit der Hand über die Stirn. Anne wurde aus irgendwelchen Gründen rot und sagte die seltsame Antwort:

»Sie haben seine Augen, Sire.«

Sie sprach die Worte mit langsamer, gleichsam erwachter Stimme. Ludwig lächelte in seltener Güte:

»Der König liebt Oliver; also liebt der König auch Sie, Anne. – Wollen Sie mir dieses Gespräch und dieses Gemach verzeihen, Anne?«

Sie hob verwirrt die Schultern. Er senkte den Kopf und sprach noch leiser:

»Wollen Sie mir sagen, ob sich der Meister über unser Gespräch und über unseren Anblick verwundern möchte?«

»Ja«, antwortete sie erschüttert.

Der König tastete mit der Hand nach dem Mechanismus der Tapetentür und öffnete sie.

»Ich verwundere mich auch«, sagte er ernst; »wir kennen uns selber nicht. Wie können wir meinen, den Nächsten zu kennen. – Und glauben Sie«, fügte er hinzu, sich über ihre Hand beugend, »glauben Sie, er würde sich jetzt freuen?«

»Ja«, flüsterte Anne und hatte Tränen in den Augen.

Der König stand schon in der Tür.

»Ich weiß nicht, ob er dieser Freude würdig ist«, sprach er über die Schulter, »ich weiß auch nicht, ob er Gutes oder Böses im Sinn hat; aber ich weiß, daß ich wert der Freude bin, die ich jetzt empfinde. – Schlafen Sie wohl, Madame – und seien Sie schweigsam.«

Er schloß hinter sich die Tür.

Um diese Stunde sprach Oliver in die Dunkelheit:

»Schlafen Sie, Monsignore?«

»Ich schlafe nicht, Meister.«

Der Necker trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Was wird mit der Person des Königs geschehen?« fragte er gepreßt. »Wird sein Leben in Gefahr sein?«

Er hörte des Kardinals erstaunte Bewegung.

»Das ist eine absonderliche Frage«, antwortete Balue. »Rührt sich jetzt schon Ihr Gewissen? – Doch beruhigen Sie es nur: die Liga ist nicht so unvernünftig, sich mit dem Tod des Königs und dem Abscheu Europas zu belasten. – Wie man ihn behandelt und wie lange man ihn festhalten wird, hängt von den Umständen ab, vor allem von der Stimmung Burgunds. – Indes werden wir wohl Umstände und Stimmung ein wenig beeinflussen können.«

Er lachte häßlich. Oliver rief mit einem plötzlichen wilden Haß:

»Sie fürchten nicht, Herr Kardinal, daß ich Sie hier einsperren lassen und noch des Nachts nach Amboise zurückreiten könnte!«

Balue lachte:

»Nein, das fürchte ich nicht! Denn mir scheint, Sie möchten dort stören und nicht so bald vorgelassen werden. – Lassen Sie es sich gesagt sein: der König bedeutete mir heute morgen nicht sonderlich diskret, daß ich Ihre Assistenz eher zu lange als zu kurz in Anspruch nehmen darf. – Und sagen Sie dies Ihrem Gewissen.«

Oliver antwortete nicht mehr. Wie in den beiden vergangenen, schlaflosen und verquälten Stunden biß er in die Kissen, um nicht zu schreien.


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