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Der Wald

Als unser Nacken sich am tiefsten beugte, als der Hohn der Sieger uns zuhöchst umschrillte, als die Brust sich krampfte und es salzig aus dem Auge brechen wollte – bin ich Sonntags in den Wald geflüchtet, in den deutschen Wald. Mütterlich hat sich sein grünes Domgewölbe über mich geschirmt: »Da bist du endlich,« hat's genickt und hat's geklungen in den Wipfeln, »du bist lange fortgewesen …«

Seine Gelassenheit erbitterte mich. Sein ruhevolles Rauschen hab' ich überschrien: »Wald, ich halt' es nicht mehr aus – Wald, das Herz will uns verdorren draußen – Wald, sag an, ist das das deutsche Ende?«

Es rauschte weiter voller Ruhe in den Kronen. So singt am Strand der immergleiche Wogentakt in Schlaf.

»Wald, heda, ich will nicht schlafen – Wald, erzähle mir von unserem Schicksal.«

Hub eine kurze Stille an im Wipfelbrausen …

Dann kam eine klare volle Stimme zwischen seinen Säulen auf mich zugesegelt: »Erzählen soll ich? – euer Schicksal soll ich künden? – Wälder können nur vom Walde reden.«

»Tor, der ich war, zu glauben, daß ich Trost in deinen Hallen fände!«

»Gemach, gemach – hör' zu.«

»Deiner Waldgeschichte? – was soll mir die in unserem Leid?«

»Erst höre zu – dann frage.«

Da lag ich folgsam unterm alten Stamm und machte weit die Sinne auf. Dies ist, was der Wald erzählte:

»Einmal war dein Vaterland und ich dasselbe: soweit Erde war, war Wald. Heute ist es nur ein Viertel. Drei Viertel haben mir die Aecker und die Fluren aus der Hand gerungen. Bin ich darum ärmer, sind nicht Flur und Acker meine Kinder? Bin ich darum weniger schön, bleib' ich nicht, ob klein ob groß, doch immer was ich bin?«

»Ja,« sah ich nickend zu ihm auf, »Wald bist du und Wald bleibst du, du bist immer du und ganz.«

»So riesig war ich damals, daß sich Rom verlor in meinen Falten und es Drusus graute vor dem Rauschen meines Grüngewandes. Die Deinen aber bauten sich aus mir die Dächer über ihrem Haupte, wärmten sich vertraut die Hände an dem Feuer, so aus meinen Scheiten schlug, und hoben betend ihre Stirnen auf zu Gott in meinen Hainen.«

»Ja,« schrie's bitter auf in mir, »wir Germanen waren damals frei und –«

»– es blieb nicht, wie es war, mein Sohn. Der Wasserfall der Jahre stürzte durch mein Dunkel. Der unsichtbare Gott in meinem Rauschen dünkte ihnen nicht genug. Sie hieben Kreuze, schnitzten Kruzifixe aus meinen Weichen.«

»Du bist reich, Wald – aus deinen Lenden kannst du Götter ohne Zahl gebären. Sprich weiter, Wald, sprich weiter.«

»Es blieb nicht, wie es war, mein Sohn. Der Wasserfall der Jahre brauste durch mein Dunkel. Statt Kruzifixen schnitzten sie mir Kolben von Gewehren aus den Eingeweiden. Sie zermahlten mich zu Mehl und machten Zeitungen aus meinem Blut. Als die Sparren ihrer ungeflickten Dächer teuer wurden, saßen sie im Regen an den Tischen ihrer kalten Stuben und merkten's nicht und raschelten mit ihren Blättern und fingen Feuer an der Schwärze, welche sie den Blättern aufgepinselt hatten, die sie mir vom Leibe schuppten.«

»Dach und Zeitung, Sparren überm Kopf und Sparren in den Köpfen, – vor deiner Größe, Wald, wird alles gleich. Was sie auch treiben draußen mit Getöse, du wächst derweil in Stille, wächst und wächst –«

»Es blieb nicht, wie es war, mein Sohn. Was sie Valuta nennen, brach zusammen. Das triebe ihre Preise in die Höhe, sagten die, so Wald besaßen – ach, sie selber sind besessen – und forderten das Zehn-, das Zwanzigfache. Da ballten Frierende und Obdachlose gegen mich die Fäuste.«

»Du aber wuchsest weiter, immer weiter.«

»Die Profitgier schnitt mir tief ins deutsche Waldfleisch nächst dem Herzen. Felsennackig hab ich's über meinen Rücken rieseln fühlen, wie einst in Griechenland.«

»Keine Sorge, Wald, du bist durch manchen schlimmeren Windbruch durchgewachsen, ohne zu verderben – erzähle weiter, Wald, erzähle weiter.«

»Ich bin zu Ende.«

»Und die Zukunft?«

»Du fühlst sie selbst: ich wachse, wachse.«

»Ja, du hast es schön, Wald. Und tröstlich ist, was du erzählst – für dich. Ich danke dir für die Erzählung. Ach, wenn du auch von unserem Schicksal künden könntest!«

Hub wieder eine kurze Stille an im Wipfelbrausen. Und wieder kam die klare volle Stimme auf mich zugesegelt: »Euer Schicksal künden? tat ich's nicht?«

»Nein, du sagtest, Wälder könnten nur vom Walde reden.«

»Das war Schalkerei. Ich sprach von euch.«

»Von uns?«

»Aus der gleichen Erde sind wir aufgeschossen, ich und ihr. Ihr seid ich und ich bin ihr. Waldbesitzer heißt ihr euch. Bin ich nicht mit größrem Rechte Menschbesitzer? Wenn ihr mich besitzt, besitz ich euch. Der deutsche Wald, der deutsche Mensch sind auf Gedeihen und Verderb einander in die Eh' gegeben. Darum war meine Geschichte, die ich jetzt erzählte, auch die eure. Du mußt's nur richtig übertragen.«

»Wie soll ich's übertragen, daß du meinen Ahnen Haus und Dach gabst?«

»Ihr bautet, wo ihr hinkamt auf der Erde, anderen Völkern Haus und Dach.«

»Und daß du uns die Hände wärmtest?«

»Am Feuer eurer Forschung hat die kranke Welt gesessen.«

»Und daß Gott aus deinen Hainen sprach?«

»Aus den Heilbezirken eurer Denker, eurer Dichter gingen Wege hin zur ganzen Menschheit.«

»Und daß wir Kolben für Gewehre aus dir schnitzten?«

»Haben nicht jahrhundertelang die Völker ihre Heere sich aus eurem Volk geschnitzt?«

»Und daß wir dich zu Druckpapier zermahlten?«

»In euren Büchern liest der Erdkreis.«

»Und als die Profitgier tief ins Waldfleisch nächst dem Herzen schnitt?«

»Schneiden euch die Feinde zarter ins lebendigste Gewebe, daß ihr's kalt und kahl schon überm Rücken rieseln fühlt?«

»Und unsere Zukunft?«

»Ist die meine: ich wachse. Mensch, geh hin und sag den deinen: »Macht es wie der Wald und wachset. Deutsches Volk, es wäre eine Schande, wenn du's deinem Wald nicht gleichtun könntest. Wachse über deinen großen Windbruch, wachse durch alle Unbild deiner Zeit und deiner Feinde. Schwätze nicht, durchwachse alle tausend Wunden, die sie dir geschlagen haben. Durchwachse sie mit Schweigen – sei getrost, du stirbst so wenig wie dein deutscher Wald!«

»Ja, Wald, das will ich ihnen sagen,« rief ich, »aber daß sie mir auch glauben, gib mir Brief und Siegel, denn sie werden mir erwidern: »Ach, ein Wald ist nur ein Wald, er kann's nicht fühlen, wenn wir jubeln, er weint nicht, wenn wir weinen –«

Sieh, da quoll mir von dem Baume, unter dem ich wachen Sinnes gelegen, golden eine harzne Träne auf die Hand, und ein Abschiedsraunen war in allen Kronen: »Wachset, wachset, wachset …!«


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