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Neuntes Kapitel

Im Schneesturm. Helgestad zeigt sein wahres Gesicht

Noch am selbigen Tag meldeten Fischer, daß sie eine große Jacht vor Reenöen gesehen hätten, und in der Tat zeigte es sich am anderen Morgen, daß es die »Schöne Ilda« war, die wohlbehalten in den Lyngenfjord einlief. Die Freude war groß, als der alte Kaufmann an Land sprang und von Kindern und Freunden empfangen wurde.

Rüstiger und kräftiger hatte er niemals ausgesehen. In seinem Gesicht war Zufriedenheit, denn er brachte seine reich beladene Jacht heim und hinter ihm lagen glücklich abgemachte, gewinnreiche Geschäfte.

In seinem großen Lehnstuhl sitzend und sich ein Glas mischend, ließ er sich erzählen und hatte für alle ein lustiges Wort, nur mit Sture mochte er kein genaueres Gespräch anknüpfen. Er begnügte sich mit allgemeinen Fragen, hörte kopfnickend, daß Olaf am Balsfjord sei und nahm Stures Versicherung grinsend auf, daß mit aller Kraft an dem Gedeihen seines Werkes gearbeitet werde.

Bis tief am Abend blieb die Familie froh beisammen. Aber am anderen Morgen hielt es Sture für Zeit, die erste Gelegenheit zu benutzen, um Helgestad mit seinen Forderungen bekanntzumachen, da er sich schon bei dem gestrigen Beisammensein der Familie dahin ausgesprochen hatte, daß er in der Frühe des zweiten Tages an den Balsfjord zurückwolle und – müsse.

Der alte Kaufmann war schon zeitig auf und hatte seine gewohnte Tätigkeit begonnen. Nachdem er seine Bücher durchgesehen und seine Warenbestände durchmustert, war er unermüdlich mit einer großen Anzahl von Leuten bei der Ausladung der Jacht beschäftigt.

So geschah es denn, daß der Mittag kam und der Abend heranrückte, ohne daß Sture imstande gewesen wäre, sein Anliegen vorzubringen. Helgestad war auch bei weitem nicht mehr so heiter gestimmt, wie bei seiner Ankunft, und zuweilen kam es seinem Gaste vor, als ruhten seine Blicke mit einem durchbohrenden Ausdrucke auf ihm. Ein ängstliches Gefühl ergriff dann den jungen Mann, der sich immer wieder erinnerte, daß Helgestad ihn ganz in Händen habe. Getrieben von der Notwendigkeit, begab er sich endlich abends nach der Rechenstube, wo sich der Kaufmann aufhielt.

»Nur herein, Herr, kommt herein!« rief Helgestad dem Besucher entgegen, der noch wie zögernd die Tür in der Hand hielt. »Stört mich nicht, bin jetzt bereit, mit Euch alles, was Ihr wollt, zu verhandeln; bin gefaßt darauf, manches zu hören, was mir nicht gefällt.«

Sture folgte der Einladung zum Eintreten, wenn auch der Wortlaut nicht vielversprechend war und seine bösen Ahnungen zu bestätigen schien. Nachdem er den angebotenen Platz eingenommen hatte, erzählte er ausführlich, wie es am Balsfjord stand, betonte seinen Fleiß und den Erfolg, konnte aber nicht verschweigen, daß sein Geld zur Neige ging, und daß seine Vorräte einer mächtigen Verstärkung bedürften.

Helgestad hörte ohne Einwand und Vorwurf zu. Es schien ihm sogar Freude zu machen, als er fand, daß die Sägemühle im Bau sei, der schwierige Weg beinahe fertig stehe und zu einer gewaltigen Holzrutsche alle Vorbereitungen getroffen wurden, mit der die größten Stämme bis an den Strom geleitet werden sollten.

»Nuh«, rief er endlich, »kann's mir denken, wie sie alle Mund und Nase aufsperren, und obgleich das Ding greifbar vor ihren Augen wird, doch nicht glauben wollen. Habe schon allerlei davon vernommen, will aber das Wunder selbst sehen und an den Balsfjord kommen, sobald ich hier mit den Arbeiten ein wenig aufgeräumt habe. Dürft mich in wenigen Tagen erwarten, und wollen dann alles zusammen überlegen und abtun, verlaßt Euch darauf. – Werdet doch auch den Markt, den großen Markt an der Lyngenkirche beziehen?« fragte er dann auf einmal.

»Ich glaube nicht«, sagte Sture.

»Kann Euer Ernst nicht sein«, sprach Helgestad. »Ist der Lyngenherbstmarkt der größte von allen. Sondern schon jetzt die Lappen ihre fetten Tiere aus, sammeln Felle und Hörner und fertigen Komager und Decken an, um mit gefüllten Säcken auf dem Platze zu erscheinen. Bringt der Tauschhandel ein mächtiges Geld ein, und ist kein Kaufmann weit und breit, der vom Markte fortbleiben möchte.«

»Aber Sie kennen meine Geschäfte«, erwiderte Sture verlegen, »und überdies sind meine Waren, da ich ganz allein bin, noch wenig geordnet.«

»Nuh«, sagte Helgestad kopfschüttelnd, »ist das eine seltsame Geschichte, nachdem Ihr schon so lange am Balsfjord seid. Sollt aber keine Vorwürfe von mir hören«, setzte er sogleich wie begütigend hinzu, »will zuvor alles selbst sehen. Und jetzt ein Wort über den Fischmarkt in Bergen.« – Sture erfuhr nun, daß er sehr wohl daran getan habe, nicht sofort zu verkaufen. Der Preis war bis über vier Species hinaufgegangen, und Fandrem hatte in seinen Büchern eine hübsche Summe von Stures Konto abgeschrieben.

»Will meine Freundschaft nicht etwa damit rühmen«, fuhr Helgestad in seinem Berichte fort, »daß ich Uve Fandrem den höchsten Preis für Euch abzwang, sage es Euch offen, ist auch mein Vorteil, daß Eure Rechnung, für die ich Bürgschaft geleistet habe, herunterkommt. Kennt Handel und Wandel. Gilt keine Freundschaft dabei, selbst unter Brüdern nicht!« – Er lachte vergnügt, gleichzeitig seine Bücher in den Kasten werfend, und zum Zeichen, daß er das Gespräch abgebrochen zu sehen wünsche, den Gast auffordernd, mit hinüber in die Familienstube zu kommen, um ein frisches Glas zu mischen. –

Wie er es sich vorgenommen hatte, aber beschwerten Herzens trat am nächsten Tage der junge Gaardherr seine Rückreise nach dem Balsfjord an. – Es war ein trüber, dunkler Morgen, als sein kletterndes Pferd das hohe Fjeld erreichte. Alle die einzelnen, runden Felsenkegel waren mit solch schweren, grauen Nebelkappen umhüllt, daß die Sonnenkugel bald nicht mehr durch die kalten Dünste zu dringen vermochte, aus welchen Zeichen ein landeskundiger, erfahrener Mann nicht ohne Besorgnis auf eine böse Wetterveränderung geschlossen und sein Fortkommen möglichst beeilt haben würde.

Sture aber kümmerte sich wenig um die Witterung und ritt lange fort, indem er es seinem Pferde überließ, sich den Weg zu suchen, den er wegen des immer dichteren Nebels nicht mehr auffinden konnte. Er schreckte aber doch empor, als der Regen sich mit Schneeflocken mischte und vor ihm plötzlich eine tiefe Senkung lag, vor der sein Tier schnaubend stillstand. Er prüfte den Wind und glaubte in der Richtung zu sein, aber Wolken und Wirbel von feinem Schnee trieben jetzt auf einmal über ihn hin, drangen erstarrend bis auf seine Haut, stäubten in Millionen feiner Nadeln vom Boden auf und wurden von einem hohlen Wind fortgerissen, der immer eisiger und gewaltiger wurde. Er hatte von dem Fana-Rauk gehört, von den Schneestürmen, die alles Leben töten, und ein unheimliches Gefühl überkam ihn. In den wenigen Minuten, die er am Rand der Schlucht hielt, war er mit Schnee bedeckt, der sich fest an seine nassen Kleider schmiegte und dort fror. Sein Pferd war weiß geworden, und so weit er um sich blicken konnte, war alles dicht von der fallenden, weichen Masse eingehüllt, die so seltsam plötzlich auf ihn herunterrieselte. Da war kein Stehenbleiben und kein Bedenken, Sture wußte, daß er hier nirgends Hilfe zu erwarten hatte und auf seine eigene Kraft gegen die Schrecken der Elemente angewiesen war. Schnell entschlossen sprang er deshalb vom Pferd und es am Zügel fassend, war er im Begriff, in die Schlucht hinabzusteigen, als er unversehens mitten in den Schneewirbeln vor sich eine Gestalt auftauchen sah. Eine spitze Mütze war über ihren Kopf gezogen, ihren Leib umflatterte ein braunes Hemd von Fellen, in ihrem Arm lag ein langer Hirtenstock, und über ihre Schulter ragte ein Gewehr. Es war ein Lappe, der sich nicht rührte, bis Sture ihn erreicht hatte und zu seiner Freude Mortuno erkannte.

»Holla, Freund!« rief er ihm zu, »steh mir bei in meiner Not, und wenn du ein Mittel weißt, aus dem Sturm an ein geschütztes Plätzchen zu kommen, so sprich.«

»Willst du dort hinunter, Väterchen?« fragte der Lappe.

»Es möchte wohl das beste sein«, versetzte Sture. »Nun, so versuche es, vielleicht glückt's dir!« rief Mortuno, indem er grinste und höhnische Gesichter schnitt.

»Höre, Mortuno«, sagte der Verirrte, »von dem würdigen Klaus Hornemann erfuhr ich, daß du ein verständiger, gutgearteter Mensch bist. Ich danke dem Himmel, daß ich dich finde und hoffe, du wirst mir deine Dienste nicht verweigern.«

Einen Moment schien der Lappe zu überlegen, dann nahm er sofort ein ernsthaftes Wesen an, und von dem Stein herunterspringend, auf dem er bis dahin gestanden, ergriff er die Zügel des Pferdes.

»Dort hinunter könnt Ihr nicht«, sagte er; »und wenn Ihr es könntet, hättet Ihr keinen Nutzen davon, denn es ist ein jähes, enges Gesenke, durchströmt von einer wilden Elf. Hält das Wetter an, so würdet Ihr rettungslos im Schnee begraben. Folgt mir, ich will Euch an eine Stelle führen, die besseren Schutz gegen den Fana-Rauk gewährt.«

Nach einer Viertelstunde mühseligen Wanderns und Kletterns stieg vor den beiden aus dem nebelnden Schneewetter ein Fels auf, der wie ein Horn sich überbog und mit einem tiefen Spalt gleichsam seine Eingeweide öffnete. Dies mußte ein Platz sein, wo die Lappen auf ihren Wanderungen wohl öfter mit ihren Herden rasteten und Schutz suchten, wenigstens wiesen Asche und Ruß an dem Gestein darauf hin, daß manches Feuer hier gebrannt hatte. Mortuno zog aus einer Vertiefung trockenes Moos, Birkenzweige und Gras hervor, und bald konnte Sture seine erstarrten Glieder an den knisternden Flammen behaglich erwärmen. Über dem Sattel seines Pferdes hing ein Beutel mit Brot, Fleisch und einer Flasche guten holländischen Genevers. Was konnte der Reisende besseres tun, als diese Schätze auf seiner Wolldecke auszubreiten und sie mit Mortuno zu teilen, der sich nicht lange nötigen ließ, sondern tapfer zulangte.

Als sie das leibliche Bedürfnis gestillt hatten, fragte Sture seinen Gefährten, was sie denn nun beginnen sollten, wenn das schlimme Wetter so anhielte?

Der Lappe zuckte die Achseln und sah ihn mit den kleinen Augen listig an. »Weiß es nicht, mein guter Herr«, sprach er bedächtig. »Schneestürme dauern oft eine Woche, und fällt der weiße Staub hoch genug, so gräbt man ein Loch und schläft, bis es aufhört.«

»Was?« fragte Sture entsetzt, »so böse könnte das Abenteuer werden?«

»Das ist oft geschehen«, erwiderte Mortuno. »Ich habe selbst einmal neun Tage lang in meiner Schneehöhle gelegen und meinen halben Pelz vor Hunger verzehrt. Ja«, fuhr er fort, »wenn Ihr ein Renntier hättet und ein Lappe wäret, kämet Ihr leicht davon. Ha ha! Ihr seid ein stolzer Herr – ein Nordmann, und möchtet jetzt ein Lappe sein. Ist es nicht so, Väterchen?« – Er streckte sich auf den erwärmten Steinen aus und lachte, was er konnte, während Sture ärgerlich in das wilde Wetter hinaussah.

»Wenn ich Olaf wäre oder Helgestad«, sagte er endlich unwirsch, »so würde ich dir deinen Übermut gedenken und dich zwingen, mich zu fuhren. Hüte dich überhaupt, Mortuno«, fuhr er fort. »Wenn Olaf dich trifft, wäre es besser, du lägest in der Elf. Wenn der Sorenskriver dich greift, läßt er dich in Tromsö bis aufs Blut am Pfahl peitschen, und fällst du in Helgestads Hände, so kommst du schwerlich besser fort. Wingeborgs Hund hast du getötet, der Quäner hat dir den Tod geschworen.«

»Hat er, der giftige Wolf, hat er Mortuno schon beim Schopf?« schrie dieser, in die Hände klatschend. »Hierher laß ihn kommen, laß sie alle kommen, Väterchen, wir haben Blei genug, um sie gehörig zu bedienen.«

In dem Augenblick, wo er dies sagte, schlug dicht draußen am Felsen ein Hund an, und die sonderbare Gestalt Egede Wingeborgs zeigte sich am Eingang.

Lautlos und wie ein Schatten flog er an Sture vorbei, und mit einem Griff seiner langen Arme hatte er Mortuno an der Gurgel, ehe dieser auf die Beine kommen konnte.

Der ganze Vorgang war so schnell und überraschend, daß Sture erst zur Besinnung kam, als Wingeborg ein langes Messer aus seinem Gürtel riß, das in der nächsten Sekunde wohl in Mortunos Kehle gesessen hätte, wenn nicht Sture dazwischen gesprungen wäre und den Quäner mit aller Kraft von seinem Opfer zurückgestoßen hätte. Mortuno fühlte sich kaum befreit, als er einen Schrei der Angst, des Entsetzens und der Wut ausstieß und, seine Büchse ergreifend, mit einem Sprung hinter dem nächsten Felsblock saß, wo er im Anschlag auf Wingeborg liegenblieb.

»Warum hindert Ihr mein Vorhaben?« schrie jetzt Egede, der kaum seine Wut meistern konnte. »Wahrlich, ein schöner Dank für einen Mann, der sich erbot, Euch in dem Wetter aufzusuchen, da Jungfrau Ilda Besorgnis um Euch hegte.«

»Daß Ihr mich suchtet, danke ich Euch aus vollem Herzen«, erwiderte Sture, »aber einen Mord sollt Ihr doch nicht begehen, solange ich es verhindern kann. Habt Ihr Klage gegen den Lappen, so erhebt sie. Er ist ein Mensch wie Ihr, die Gesetze sind für alle da.«

»Ein Mensch!« rief der Quäner. »Es ist ein Lappe, ein Tier – kein Mensch! Hervor aus deinem Winkel, du Dieb, ich will dich köpfen und rupfen wie eine Lumme!«

Es war natürlich, daß Mortuno dieser liebevollen Aufforderung nicht nachkam, im Gegenteil duckte er sich noch tiefer hinter seinem Stein, ohne den Finger vom Abzug des Gewehres zu nehmen.

»Er wäre ein Narr, wenn er Euch gehorchte«, lachte Sture.

»Gut, so soll er mit mir gehen, wir wollen alle gehen«, sagte Wingeborg. »Ich will ihn vor den Sorenskriver stellen, wie Ihr es recht findet. Nehmt dem feigen Burschen die Flinte ab, dann wollen wir ihm die Hände binden.«

»Auch hierin kann ich Euch nicht zu willen sein«, antwortete Sture, »denn Mortuno hat mir Gutes getan. Ohne ihn irrte ich wohl im Schneesturm umher, oder wäre gar umgekommen. Ich habe mein Brot mit ihm gebrochen, habe meinen Trunk mit ihm geteilt, und so gebt Euch zufrieden, Egede Wingeborg. Hier setzt Euch hin und nehmt vor allem einen Schluck zur Erwärmung.«

»Ha!« schrie Egede grimmig, ohne den dargereichten Becher zu beachten, »Ihr weigert mir Eure Hilfe, den Schelm zu fangen, der soviel Schimpf an meinen Herren getan und Olaf Veigand um ein Haar erschossen hat? Nun, ich will es melden, wo und wie ich Euch getroffen habe. Möchte lieber zehn Fuß im Schnee liegen, als eine Stunde in solcher Gesellschaft sein und mit einem Lappen zusammen schmausen. Pfui, Teufel!«

Unter Drohungen und Verwünschungen ging er fort, und keine Stimme rief ihn zurück. – Sture war empört und ärgerlich, wenn er daran dachte, was dieser elende Kerl von ihm berichten würde. Mortuno aber hatte seine Büchse niedergelegt, nachdem sein Mißtrauen wegen einer etwaigen Rückkehr des Quäners geschwunden war und näherte sich jetzt dem Dänen. Plötzlich warf er sich auf seine Knie nieder, und die Hand seines Beschützers ergreifend, zog er diese an seine Lippen.

»Was soll das sein?« rief der Junker, aus seinen Gedanken auffahrend.

»Laß mich, Herr, laß mich!« sagte Mortuno, dessen dunkle Augen von einer Dankbarkeit strahlten, die selbst die Züge seines Gesichts weich und freundlich machte. »Du bist gut und treu. Was Mortuno je für dich tun kann, wird er tun.«

»Ich wäre zufrieden, mein armer Mortuno«, entgegnete Sture wohlwollend, »wenn du uns gutes Wetter schaffen könntest, daß wir nicht einschneien.«

»Sei ohne Sorge, Herr«, antwortete Mortuno, indem er aufsprang, »es wird nicht lange schneien, und wenn du willst, können wir sogleich aufbrechen, ich werde dich sicher führen. Schneewolken ziehen nur auf den Fjelden hin, in die Täler dringen sie nicht. In einigen Tagen ist alles wieder Wasser, oft schmilzt es schon in wenigen Stunden; noch manche Woche werden wir mildes Wetter haben. Du sollst sehen, daß am grünen Balsfjord niemand etwas von einem Schneesturm weiß.«

Rasch lief er nun zu dem Pferd, legte den Sattel fest, packte den Vorrat wieder auf und hatte in wenigen Minuten alles zur Reise bereit, die denn auch sogleich angetreten wurde.

Eine halbe Stunde später wurde der Wind milder und das Schneetreiben ließ nach, wie Mortuno es vorausgesagt hatte, und so konnten sie ihren Marsch schneller und bequemer fortsetzen.

Stunden vergingen, und dann deutete der Führer plötzlich durch den Nebel, der flatternd über die Heide zog. »Seht Ihr den Balsfjord!« rief er, »da liegt er. Das ist Euer Land, Herr, da könnt Ihr sitzen und Fische fangen. Uns laßt hier oben in Ruhe unsere Tiere weiden.«

Sture sah hinunter in die Tiefe, welche sich vor ihm öffnete, und wirklich, er erblickte den grünen Fjord. Nicht gar fern erkannte er auch sein Haus, das eben von einem Sonnenblitz beleuchtet wurde, der durch das Gewölk brach.

»Ich danke dir für deine Hilfe, guter Mortuno«, sagte er, »und bitte dich, mich zu begleiten und bei mir auszuruhen.« Der Lappe schüttelte den Kopf.

»Fürchte dich nicht vor Olaf«, fuhr Sture fort. »Ich werde ihn mit dir aussöhnen.«

»Du kannst nicht machen, daß er mir die Hand reicht«, sagte Mortuno, »und ich möchte es auch nicht. – Lebe wohl, Mortuno wird dich nicht vergessen.« – Mit diesen Worten sprang er in die Nebelschicht zurück und kehrte sich an kein Rufen. – –

Sture fand bei seiner Heimkehr, daß Olaf wacker für ihn gearbeitet hatte. Das Packhaus stand fertig da, das Wohnhaus war aufgeräumt, und was an Waren und Vorräten vorhanden, war gut geordnet. Mit dem übrigen Kram, wie es Olaf nannte, hatte er sich nicht eingelassen, und Sture lachte dazu. Allein als er nach den Arbeiten sah, fand er, daß seine Abwesenheit diese nicht gefördert hatte. Die Sägemühle war noch immer nicht fertig, und nur indem er selbst Hand anlegte und vom Morgen bis zum Abend tätig dabei war, gelang es ihm zuletzt, sein Werk in den rechten Gang zu bringen. Mit mechanischem Geschick hatte er Mittel erfunden, seine Mühle weit zweckmäßiger einzurichten, als es hier Sitte war, und die nordischen Arbeiter, die vordem über den klugen Dänen spotteten, sahen jetzt mit Verwunderung, daß sich der Block wirklich der Säge entgegenschieben konnte, und daß mit einem gut gestellten Zahnrad mehr gehoben und gewendet wurde, als zwölf Männer vermochten.

Das war ein Erfolg, der Sture mit den freudigsten Hoffnungen erfüllte. Den Kopf voller Entwürfe kehrte er, nachdem eine Woche vergangen war, von einem Spaziergang durch sein kleines Reich zurück, als er vor seiner Tür Helgestad, Paul Petersen und Egede erblickte, die eben zu Pferde dort anlangten. Sture eilte seinen Gästen entgegen und begrüßte sie zusammen mit dem aus dem Haus tretenden Olaf herzlich.

»Schön ist es, Herr Helgestad, und ich danke Ihnen dafür, daß Sie mich am Balsfjord aufsuchen«, rief Sture. »Setzen Sie sich, ich will sehen, was ich im Hause habe.«

Während die Ankömmlinge mit Olaf plauderten, trat eine Magd herein, welche die Reste einer Hammelkeule auf den Tisch setzte und ein Stück schwarzes Brot daneben aufpflanzte. Sture, der dem Mädchen folgte, mußte sich, einigermaßen verlegen, entschuldigen, daß er nicht mehr zu bieten habe.

»Ist merkwürdig!« rief Helgestad lachend, »habt Wild hier genug, dazu das Meer voll Fische, sieht aber trotzdem traurig in Eurer Küche aus.«

»Wahrhaftig«, antwortete Henrik, »ich fragte in dieser Zeit nicht viel danach, wie mein Tisch bestellt war, und Olaf hat mich nicht daran erinnert. Wir haben beide gearbeitet vom Morgen bis zum Abend, ohne an jagen und fischen zu denken.«

Die Gäste setzten sich ohne weitere Aufforderung zu dem Mahl nieder und machten sich, als sie mit dem Fleisch fertig waren, an das Brot.

»Habt also keine Butter im Hause?« fragte der Kaufmann.

Sture mußte es verneinen.

»Und kein Stück Käse?« fügte Paul nicht ohne Absicht hinzu.

Es war nichts davon vorhanden.

»Ei!« rief der Schreiber lachend, »warum haben Sie Ihren guten Freund Mortuno nicht um einen Lappenkäse gebeten, als Sie mit ihm unter dem Felsen saßen? Hat Herr Sture dir nichts mitgebracht, Olaf?«

»Was soll er mitbringen?«

»Nun, vielleicht einen neuen Hut statt deines zerschossenen. Mortuno ist ein höflicher Mann.«

»Ich will es ihn lehren!« sagte Olaf drohend.

»Er mag sich beglückwünschen«, fuhr der Schreiber fort, »daß er einen so großmütigen Freund traf. Wingeborg kann es noch nicht vergessen.«

»Nuh« rief Helgestad dazwischen, »muß sagen, Herr Sture, hat Euer Benehmen uns allen wenig behagt. Hättet Olafs wegen den Schelm nicht beschützen sollen.«

»Weißt du denn nichts davon?« fragte Paul den Nordländer.

Olaf schüttelte den Kopf.

»Müßt einsehen«, fuhr der Kaufmann fort, »daß es hohe Zeit ist, ein Beispiel zu geben, wird das Gesindel alle Tage frecher und unbändiger. Auch von anderen Orten kommt Klage über die Lappen. Haben am Maursund einen Mann bitter geschlagen, der ihnen verhaßt war, haben einem Fischer sein Haus angesteckt und sind Diebstähle begangen worden, wie sonst niemals. Ist alles das eine Suppe, die uns der Hexenmeister Afraja eingebrockt hat, und Mortuno ist sein bester Gehilfe. Muß ein Beispiel ergehen, wenn sie wieder demütig werden sollen. Mortuno hat Olaf in Lebensgefahr gebracht, mußtet ihn deshalb fangen, anstatt ihm davon zu helfen.«

»So hast du ihm davongeholfen?« fragte Olaf zornig.

»Ich tat es«, sagte Sture. »Schüttle deinen Arm nicht gegen mich, höre mich an, du würdest es auch getan haben.«

Er erzählte, was sich zugetragen hatte und rief zuletzt lebhaft aus: »Solle ich einen Menschen vor meinen Augen von einem Elenden morden lassen? Oder sollte ich den, der sich meiner annahm, als ich verirrt war, fangen helfen? – Niemals will ich dazu meine Hand bieten! – Ihr klagt, daß die Lappen aufsässig werden, behandelt sie menschlich, und sie werden sich fügen.«

»Verwünscht, wer eines Lappen Freund sein kann!« rief Olaf mit einem fürchterlichen Faustschlag auf den Tisch.

Helgestad stand auf und gebot Ruhe. – »Laßt es gut sein«, sagte er, »ist Herrn Stures Sache, zu tun, was er für sein Bestes hält; denken die Leute im Süden anders als im Norden. – Wollen gehen, Herr Sture, und anschauen, was Ihr geschaffen habt. Kommt!«

Sture folgte ihm und nahm alle Selbstbeherrschung zusammen, um seine Unruhe zu überwinden. »Ich muß klug und vorsichtig sein«, flüsterte er sich zu. »Gutes hat dieser Mann schwerlich im Sinn, sonst hätte er den Schreiber nicht mitgebracht. Doch ich denke, ihn zu versöhnen. Er muß mich loben, wenn er sieht, was ich an der Bals-Elf geschaffen habe.«

So sah er denn gelassen zu, als Helgestad in den großen Schuppen blickte, wo es noch ziemlich wüst aussah, und als er brummend den Kopf schüttelte, weil der Kramladen nur ein Gewirr von allerhand Waren zeigte.

»Nur Geduld, Herr Helgestad«, sagte er. »Sie sollen im nächsten Jahr auch hiermit zufrieden sein. Das Schwerste stellte ich voran, und es ist mir gelungen. Sehen Sie, was ich gearbeitet habe. Betrachten Sie den mühevollen Weg: Hier diese Brücken, dort den Damm, den ich bauen ließ, und nun betrachten Sie mein Sägewerk, und welche Anstrengungen ich machte, um die Holzrutsche im nächsten Frühjahr schon zustande zu bringen.« – Er führte Helgestad weiter und mit beredten Worten erklärte er ihm sein mühevolles Beginnen und was er für Vorteile davon erwarte.

Die Blicke des alten Kaufmanns erhellten sich nach und nach, und ein listiges Lächeln zeigte seine steigende Genugtuung. Die neuen Einrichtungen der Sägemühle erhielten seinen besonderen Beifall. Er äußerte, daß es ein gutes Werk sei, besser, wie er es je gesehen habe.

»So hoffe ich«, sagte Sture, »daß Ihr Vertrauen zu mir nicht wanken wird. Ich bitte Sie um neue Unterstützung. Wollen Sie hören, was ich Ihnen dagegen biete?«

»Nuh! Bin neugierig, fangt an!« versetzte Helgestad. »Mein Anerbieten besteht darin«, sagte Sture, »daß ich, dankbar für Ihre großmütige Hilfe, mit Ihnen jeden Gewinn redlich teilen will, der aus diesem Unternehmen fließt. Sind Sie damit zufrieden?«

»Die Hälfte?!« rief Helgestad grinsend. »Ist meine Sache nicht, um die Hälfte zu gehen. Bin auch nicht großmütig, und will darum nicht teilen, sondern haben, was mein ist, und sage es darum mit einem Wort: Bin hergekommen, um nach meinem Recht zu sehen.«

»Was meinen Sie, Herr Helgestad?« fragte der junge Gaardherr verwundert. »Was nennen Sie Ihr Recht?«

Der Kaufmann nahm seinen Hut ab und strich das strähnige Haar zurück. – »Nuh!« sagte er, »ist die Zeit da, wo wir uns richtig ins Gesicht schauen müssen. Habe Eure Wirtschaft kennengelernt, Herr Sture, kalkuliere, kann so nicht weiter gehen. Habt Eure Vorräte verschleudert und mein Geld fortgeworfen. Sind achttausend Species zu zahlen in Bergen, achttausend in Örenäes, wollt jetzt wieder borgen, wird aber alles denselben Weg wandern. Sehe ich den Gaard an, wie er da ist, und denke, er soll zum Verkauf kommen in Tromsö, will ich den Mann sehen, der dafür zwölftausend Species auf den Tisch legt. – Kalkuliere also, darf es nicht zum Verkauf kommen lassen, wenn Ihr es nicht selbst dahin treibt.«

»Ich – Herr Helgestad?« rief Sture verwirrt und starrte bald auf den Kaufmann, bald auf Olaf und Petersen, die soeben bei ihnen anlangten.

»Ihr, Herr«, fuhr dieser kopfnickend fort, »denn wenn Ihr meinen Vorschlag nicht annehmt, kommt es zum Verkauf und Meistgebot. Mögt dann zusehen, was übrig bleibt.«

»Verstehe ich Sie recht«, sagte Sture mit zuckenden Lippen, »so wollen Sie mir allen ferneren Beistand entziehen?«

»Nuh?« antwortete der Alte mit spöttischem Lachen, »müßte geradezu närrisch sein, wollte ich noch einen Heller geben. Verlange statt dessen mein Geld zurück!«

»Es soll geschehen«, versetzte Sture stolz. »Stellen Sie mir eine Frist.«

»Frist? Habt Euch keine Frist festgemacht, steht nichts davon in Eurem Schuldschein vermerkt, Herr. Müßt daher Eure Schuld binnen heute und morgen decken.«

»Wie?« fuhr Henrik heftig auf, »das kann Ihr Wille nicht sein! Das hieße mit berechneter Hinterlist mich um mein Eigentum bringen.«

»Bedenken Sie Ihre Worte; Herr Sture«, sagte Petersen, sich einmischend. »Sie sprechen schwere Beleidigungen gegen Niels aus, der Sie zu harter Strafe bringen kann.«

»Nuh!« rief Helgestad, »verlange nichts als mein Geld und kündige Euch heute in Gegenwart dieser beiden Zeugen die Schuldsumme von sechzehntausend Silberspecies. Wird bis morgen die Schuld nicht getilgt, so stelle ich den Antrag, das Gut in Beschlag zu nehmen.«

»Von Gesetzes wegen ist dieser Antrag ohne Zögern auszuführen«, fügte der Sorenskriver hinzu.

Sture hörte schweigend zu. Verachtung und Zorn erfüllten seine Seele. – »Ihr Herren«, sagte er endlich, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, »was ich höre, wird mir schwer zu glauben; denn es kommt mir vor, als sei ich von Anfang in ein mir gestelltes Netz gefallen, an dessen Maschen jeder geholfen hat. – Auf deine Freundschaft, Olaf«, fuhr er fort, »würde ich Häuser gebaut haben, aber auch du scheinst dich über meine Not zu freuen.« »Bist du in Not«, antwortete der Nordländer, »so hast du sie verdient.«

»Womit verdient?«

»Du bist ein Däne und bist falsch! Geh hin, woher du gekommen bist, oder lauf zu deinen Lappenfreunden.«

»Bist du so gewissenlos, mich jetzt noch zu verhöhnen?!« sagte der verlassene Mann. – »Was wollen Sie noch von mir?« fuhr er hastig fort, indem er sich zu Helgestad wandte. »Sie wollen mein Gut! Wohlan denn, nehmen Sie den Raub hin! Unrecht und Schande können niemals Segen bringen.«

»Nuh!« sagte Helgestad, völlig unempfindlich gegen diese Vorwürfe, »seid, wie immer, viel zu hitzig. Habe Euch Lehren gegeben, habt aber meine Warnungen nicht geachtet, und also kein Recht, mir Vorwürfe über Euren Unverstand zu machen. Ist's nicht so? Biete Euch noch jetzt die Hand zu Eurem Vorteil«, fügte er hinzu, als er Sture sprachlos stehen sah. »Will den Gaard von Euch kaufen. Zahle zwanzigtausend Species bar, rechne die sechzehntausend ab und übernehme alle Schulden. Könnt die viertausend zu jeder Stunde bekommen, könnt damit heimkehren nach Kopenhagen, und zahle Euch zudem heraus, was Ihr in Bergen für Eure Fische gut habt. Nehmt Vernunft an und schlagt ein in meine Hand!«

Eine lange Pause trat ein.

»Ich kann Ihnen auf der Stelle keine Antwort erteilen«, sagte Sture endlich, mühsam Atem holend. »Überrascht wie ich bin, bedarf ich der Überlegung.«

»Habt ein Recht dazu und Zeit bis morgen«, antwortete der Kaufmann. »Können uns beide bedenken, will an meinen Vorschlag nicht gebunden sein.«

»Da ich jedenfalls bis morgen Herr in meinem Eigentum bin«, fuhr Henrik bitter fort, »so bitte ich Sie, bis dahin meine Gäste zu sein, so gut ich es geben kann. Zwischen heute und morgen liegt eine Nacht, und oft schon war vom Becher bis zum Mund ein weiter Weg.«

Ins Haus zurückgekehrt, befahl er, das kärgliche Mahl zu rüsten, und während dies geschah, hörte er mit finsterem Schweigen zu, wie Helgestad den übrigen eine lange Schilderung der Verbesserungen gab, die er alsbald hier vorzunehmen gedachte. Überhaupt sprach er ganz so von dem Gut, als ob es schon sein unbestrittenes Eigentum sei.

Der Hausherr ließ dies jedoch bald alles unbeachtet, denn seine Gedanken waren mit dem Mann beschäftigt, von dem allein er Hilfe hoffen konnte: mit Afraja! Er konnte es kaum erwarten, bis seine Gäste die Kammer aufsuchten, nachdem das Abendbrot verzehrt war; denn unverzüglich wollte er sich an den Ort begeben, den Afraja damals als Stelldichein ausersehen hatte. Zwar hegte sein Verstand gerechte Zweifel an dem Erscheinen des alten Hexenmeisters, denn wie sollte Afraja wissen, daß Helgestad am Balsfjord sei? Und wenn er wirklich erscheinen sollte, wie wollte dieser alte Mann so bedeutende Geldmittel sogleich herbeischaffen? – Allein die bittere Not überwand alle solche Regungen und ließ ihn auch der Gefahr trotzen, daß jemand erfuhr, er habe als freier Mann und Christ bei einem Lappen geborgt. Sture fühlte, daß er jetzt, wo der Haß gegen den unglücklichen Stamm sich überall mehr als jemals regte, unmöglich offen die Hilfe des Zauberers eingestehen konnte, ohne wie ein Aussätziger behandelt zu werden.


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