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Viertes Kapitel.

Eine Woche war vergangen, und während dieser Zeit hatte der Doctor seine Abhandlung vollendet und dem Herrn von Sternau überliefert, die Tante hatte das Haus im Park gemiethet und dem gutmüthigen Gelehrten bei dieser Gelegenheit seinen gesammten Geldvorrath abgenommen.

Es ist besser, sagte sie, wenn Sie mir und Emma die Verwaltung anvertrauen und uns die Ausgaben für das Hauswesen ganz überlassen. Sie haben nur unnütze Last davon und keinerlei Freude. Mein seliger Mann machte mich auch zu seinem Kassenführer und stand sich sehr gut dabei. Er war so freigebig und gutherzig, wie Sie es sind, borgte seinen Freunden und Bekannten, so lange er etwas hatte, und gerieth darüber in eigene Bedrängnisse. Sind Sie erst in Ihrem neuen Amte, so können Sie überhaupt sich nicht mehr mit solchen Dingen einlassen. Gelehrte Herren wissen gewöhnlich mit Geld nicht umzugehen, sie überlassen ihre Einnahmen daher gern ihren Frauen. Ich habe einen berühmten Gelehrten gekannt, der trotz seiner großen Einkünfte zu nichts kam, weil er das Geld nicht achtete. Als er heirathete, wurde er reich, obwohl er nun ein Haus machte, denn die junge, elegante Frau übernahm die Kassenführung. Wer Geld haben wollte, mußte sich an sie wenden, und die Studenten, welche bisher Jeden auslachten, der so dumm war, den Herrn Professor zu bezahlen, erhielten nichts mehr frei; denn der Herr Professor mußte ihnen erklären, daß die Collegiengelder seiner Frau gehörten, ihre Nadelgelder Nadelgeld bezeichnete in alter Zeit einen Betrag, den ein Mann seiner Ehefrau in regelmäßigen Abständen gab. Über dieses Geld konnte sie für persönliche Zwecke frei verfügen, unterlag insoweit also nicht der Vormundschaft ihres Mannes. seien, und daß sie sich an die Frau Professorin wenden müßten, die kein Erbarmen mit ihnen hatte.

So wollen wir es künftig auch machen! rief Emma schmeichelnd, indem sie ihren Arm um ihn legte.

Der Doctor schüttelte lachend den Kopf dazu.

Daß die Lehrer, welche schon für ihre Dienste besoldet werden, sagte er, noch von den Schülern sich bezahlen lassen, ist ein altes Unrecht, das endlich abgeschafft werden müßte, denn es erschwert das Studiren unbemittelter junger Leute. Würdest Du aber einem Bittenden, der nichts begehrt, was Dich in Kosten setzt, und nur etwas lernen möchte, seine Bitte abschlagen können?

Schicken Sie sie nur zu mir, sagte die Tante, ich werde eben so gut mit ihnen fertig werden, wie jene Frau Professorin, zu der bald Keiner mehr kam, denn sie setzte ihnen bündig aus einander, daß ihre Nadelgelder durchaus keine Verluste ertragen könnten, und wer nicht Geld habe, müsse auch nicht studiren, sondern ein Handwerk lernen. Und das, mein Lieber, habe ich neulich erst auch von unserem Cousin, dem Geheimrath von Köller, zu meiner innigen Genugthuung aussprechen hören; aber bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen einen guten Rath ertheilen. Sie haben gegen den Geheimrath einige Meinungen geäußert, welche ihm nicht gefallen haben, die jedoch ganz zu dem passen, was ich jetzt von Ihnen höre.

Ich weiß nicht, was das sein könnte, antwortete der Doctor.

Sie haben davon gesprochen, daß – ich weiß nicht recht, wie Sie sich ausdrückten – allein ich glaube, Sie haben geäußert, daß die Universitäten mit den Zeitforderungen nicht im Einklange ständen, oder hinter der Zeit zurückblieben, kurz, Sternau hat mir erzählt, daß Herr von Köller gemeint, Sie müßten sich vor Unvorsichtigkeiten hüten, besonders dem Minister gegenüber, und das meine ich auch.

O, sagte Johannes mit seinem sanften Lächeln, das ist ja nichts Böses, und man könnte wohl von dem gesammten Schulwesen dasselbe behaupten.

Aber was hilft das Behaupten, wenn man keine Macht besitzt, seine Behauptungen zur Geltung zu bringen? rief die gnädige Frau. Im Uebrigen sind das Dinge, die Sie nichts angehen, und verständig, wie Sie es sind, mein Lieber, werden Sie solche Aeußerungen gewiß vermeiden.

Der Doctor versprach dies, um so eher, da er der lebensklugen Tante Recht geben mußte, und weil sein Respect vor ihr sich noch vermehrt hatte.

Er hatte, nachdem Hertner bei ihm gewesen, sein Kind besucht und sich davon überzeugt, daß der Knabe allerdings leidend und verändert aussah. Während dessen kehrte Emma zurück und er konnte nicht umhin, ihr mit seinen väterlichen Sorgen entgegenzukommen, deren Wirkungen ihn jedoch sehr erschreckten.

Die junge Frau wurde todtenbleich, sie eilte in das Krankenzimmer und blieb so lange in größter Kümmerniß, bis der Arzt kam und ihr erklärte, daß für jetzt gar keine Gefahr vorhanden sei. Frau von Graßwitz hatte dies von Anfang an versichert und schalt nun auf die unüberlegte Art, wie die arme Frau in Angst und Schrecken gesetzt worden sei.

Sie haben Recht, beste Tante, sagte der Doctor demüthig. Ich bin im höchsten Grade bestürzt über Emma's entsetzliche Aufregung.

Eine Mutter, denken Sie doch, eine junge unerfahrene Mutter, die ihr Kind leidenschaftlich liebt, und der man plötzlich mittheilt, es sei abgezehrt und elend! Wie ist es anders möglich, als daß ein so weiches, edles Gemüth außer sich geräth!

Es soll nicht wieder geschehen, es war voreilig und uns bedacht, murmelte er bittend vor sich hin; doch nicht allein Hertner setzte mich in Sorge, sondern auch Marie sagte mir, daß das Kind recht krank gewesen sei, und ich hörte von Peter – von Franz – daß die gute Marie die ganze Nacht über an dem Bett gesessen habe.

Die Frau Majorin lächelte und zuckte die Achseln.

Dergleichen Leute, sagte sie, geben sich gern das Ansehen, als ob sie uns Wunder wie große Dienste leisten. Sie werden mir glauben, mein Lieber, und zwar, wie ich denke, mehr glauben, als Wirthschafterinnen und alten Bedienten, wohl auch mehr als Ihrem würdigen Onkel und seinem Geschäftsgenossen. Wenn wirkliche Gefahr ist, werde ich selbst Emma in schonendster Weise davon unterrichten, aber ich bitte Sie, ängstigen Sie mein liebes Kind nicht wieder so unnöthiger Weise.

Der Doctor drückte der gnädigen Tante reuevoll die Hand, und sie sprach mit ihm über die neue Wohnung im Park und über die dazu nöthigen Geldmittel. Sie haben also noch keine Antwort von dem Herrn Hertner erhalten? fragte sie.

O ja, erwiederte er, Hertner hat geschrieben, daß er im Augenblick mir nicht dienen könne; daß er jedoch mit dem Onkel darüber sprechen werde, an den ich mich gleichfalls wenden solle.

Was haben Sie darauf gethan? Sind Sie bei dem Onkel gewesen?

Ich wollte heut noch an ihn schreiben, sagte Johannes verlegen.

Schreiben hilft bei Geldangelegenheiten viel weniger als hingehen und selbst handeln. Einen Brief beantwortet man mit einigen Entschuldigungen; im Uebrigen ist es wenig höflich von dem Herrn Stadtrath, daß er sich so gar nicht um uns kümmert, von Hertner aber ist es auffallend – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – impertinent, Ihnen zu antworten, er könne Ihnen nicht dienen. Er wirthschaftet mit Ihrem Gelde. Wissen Sie denn, wie er überhaupt wirthschaftet? Was haben Sie denn für Sicherheit? Ich würde mein Vermögen nicht einem Fabrikanten überlassen, einem Speculanten. Wenn er Ihnen nicht einmal dreitausend Thaler zahlen kann, wie muß es denn überhaupt mit ihm stehen?

Hertner ist ein ausgezeichneter industrieller Kopf, erwiederte der Doctor. Der Onkel vertraut ihm ja noch viel mehr an.

Ich würde mich nicht damit einlassen, fuhr Frau von Graßwitz fort. Ich muß Ihnen bekennen, daß neulich bei dem Geheimrath davon die Rede war, der ganz meine Ansicht theilte, eben so Sternau. Es ist schon zu oft geschehen, daß Leute ihr ganzes Vermögen verloren haben, weil sie dies leichtsinnig Banquiers oder Fabrikanten anvertrauten. Man muß sein Vermögen in Händen behalten, selbst darüber zu jeder Zeit verfügen können.

O, das hat gar nichts zu sagen, das ist ganz sicher, fiel der bedrängte Mann ein. Mein Onkel weiß das am besten.

Dann rathe ich Ihnen auf jeden Fall, wenigstens mit ihm zu sprechen, sagte die Tante. Kann Hertner das Geld nicht geben, so ist es seine Pflicht, dafür zu sorgen. Erklären Sie ihm einfach und bestimmt, was Sie vorhaben. Sie sind doch mündig, mein Lieber, und der Herr Stadtrath ist nicht mehr Ihr Vormund. Ihre Aussichten müssen ihm Freude machen. –

Sie begleitete diese Worte mit einem so spöttischem, scharfem Lächeln, daß der Doctor keinen Widerspruch wagte.

Ja wohl, stieß er endlich hervor, er wird sich freuen, und kann nichts dagegen einwenden. Sie haben ganz Recht, ich werde mit ihm sprechen.

Und das thun Sie heut noch, sagte die Tante in ihrem befehlenden Tone. Der Tag ist schön, machen Sie einen Spaziergang.

Mit Emma! rief er, indem sein Gesicht sich erheiterte. Wir sind lange nicht bei ihm gewesen.

Für Emma ist es zu weit, bestimmte sie, und dann, mein Lieber, paßt es sich auch nicht, daß sie dabei zugegen ist; endlich aber haben wir versprochen, Nachmittag bei Damen Besuch zu machen. Sternau wird uns dazu abholen.

So muß ich denn allein gehen, erwiederte er sanftmüthig lächelnd.

Wenn Sie nicht auf meinen Rath hören wollen, und Ihre Frau nöthigen, ihre Partie deshalb aufzugeben.

Gewiß nicht! rief er erschrocken. Ich will auf keinen Fall ihr eine Freude verderben.

Sie sind gut und verständig, sagte die gnädige Tante zu seinem Lobe. Kommen Sie jetzt, Sternau wird mit uns essen, dann können Sie Ihren Spaziergang machen.

Sie reichte ihm zur Belohnung ihren Arm, und er führte sie freudig in das Zimmer, wo Emma sich befand, und der gedeckte Tisch wartete. Die Frau Doctorin plauderte und lachte mit dem eleganten Cousin, der, als Johannes hereintrat, sich nach ihm umwandte und ihm die Hand entgegenstreckte.

Kommen Sie her, bester Doctor, sagte er, und unterstützen Sie mich bei Ihrer Frau. Ich habe ihr soeben zwei Vorschläge gemacht, und wir stritten darüber, wie sie Ihnen gefallen würden.

Mir? fragte Johannes. Gefallen Sie Dir denn nicht, liebe Emma?

Sie nickte ihm zu. Mir gefallen sie gar nicht übel.

Nun so bin ich gewiß damit zufrieden, sagte er, indem er Sternau ansah.

Sie wissen doch, erwiederte dieser, daß sich die jungen Damen jetzt vorzüglich mit Radiren beschäftigen?

Eine sehr löbliche Beschäftigung, wenn man Fehler gemacht hat, erwiederte der Doctor.

Emma und die Tante lachten ihn aus, und Sternau stimmte ein. Ich konnte es mir wohl denken, sagte die Frau Majorin, daß Sie an Tintenflecke und dergleichen dachten. Radiren heißt auf Porzellan oder Glas allerlei Zeichnungen schaben, was eine höchst artige und geistreiche Beschäftigung ist.

Und da ich dies selbst gelernt und geübt habe, fuhr Sternau fort, auch verschiedener junger Damen erfolgreicher Lehrmeister war, so bot ich mich auch hier zu denselben Diensten an. Cousine Emma meinte jedoch, Sie wüßte nicht, ob ihre Zeit es erlaubte, und ob Sie nichts dagegen einzuwenden hätten.

Nicht das Geringste, rief der Doctor erfreut. Wenn es Dir Vergnügen macht, liebe Emma, und Herr von Sternau Dich unterrichten will, ist es gewiß ein recht artiger Zeitvertreib.

Und obenein wirthschaftlich vortheilhaft, sagte die gnädige Tante. Ich kenne Damen, welche sich ganze Dutzende Teller und Tassen aufs Zierlichste radirten, alle ihre Geschirre damit ausschmückten, und allgemeine Bewunderung erregten.

Dem Doctor radiren wir ein neues Tintenfaß mit hetrurischen Vasen und den schönsten Apis- und Ammonshörnern, lachte Sternau. Was aber meinen zweiten Vorschlag betrifft, bester Freund, so folgt er aus dem ersten. Die anstrengende sitzende Arbeit erfordert Bewegung, und da es ebenfalls jetzt zu den Lieblingsneigungen der Damen gehört, den Pegasus zu besteigen, so kann gar nichts Besseres geschehen, als wenn Cousine Emma die Zügel ergreift, welche ihr überall gebühren.

Das klingt ganz poetisch, meinte Johannes lächelnd.

Und was kann denn auch poetischer sein in unserer nüchternen Zeit, versetzte Sternau, als eine junge schöne Frau im aufgeschlagenen Schleierhut, im langen ritterlichen Kleide, auf schaumwerfendem Roß durch Wald- und Frühlingsluft jagend? Wenn Sie erst im Park wohnen, lieber Doctor, können Sie jeden Tag eine poetische Morgenstunde damit feiern. Cousine Emma reitet dann alle Tage, die Beschaffung des Pferdes überlassen Sie mir. Ich weiß ein ausgezeichnet schönes Thier, das um billigen Preis zu haben ist.

Der Doctor hörte ganz erstaunt und erstarrt zu. Das Lächeln blieb auf seinen Lippen, aber seinem Gesicht sah man es an, daß er einen tiefen Widerwillen empfinden mußte.

Reiten, o! sagte er endlich, indem er seine Hände rieb.

Sie können alle Tage ein Dutzend Damen im Park finden, rief Sternau. Die feinsten, elegantesten Frauen haben Leidenschaft dafür; auch Cousine Emma hat, als ihr Vater noch lebte, diesen öfter zu Pferde begleitet.

Es ist wahr, Johannes, fiel Emma ein. Ich war damals freilich noch ein Kind, aber mein Vater freute sich daran, und der Arzt meinte, es sei mir gut.

Alle Aerzte empfehlen es, sagte die Tante mit dem Tone der Weisheit; auch ist es ein nobles Vergnügen und durchaus schicklich, denn in England reiten alle Damen.

Es ist aber doch wohl ziemlich gefährlich, erwiederte der Doctor schüchtern, und ich halte es – was sich ihm in den Mund drängte, sprach er nicht aus, aber er setzte leiser hinzu: ich halte es wenigstens für nicht üblich.

Durchaus nicht gefährlich! lachte Sternau. Das Beste thut ein sicheres, ruhiges Pferd, und daran soll es nicht fehlen. Cousine Emma kennt die Handgriffe schon, ich begleite sie als unterthänigster Diener und Beschützer. In vierundzwanzig Stunden ist ein Reitkleid zu haben und was sonst nöthig ist; wir üben zuerst, fahren in den Park, steigen dort auf und in drei Tagen ist die Reiterin vollkommen.

Aber, mein Lieber, sagte die Tante mit ihrem scharfen Lächeln und ihre Augen nahmen den durchdringenden Blick an, der sich auf den immer noch schweigenden Mann einbohrend richtete, Sie müssen doch zugestehen, daß sich keine ernstlichen Bedenken dagegen erheben lassen, wenn Emma damit einverstanden ist. Bei ihrer Kränklichkeit, ihrem Blutandrang, Kopfschmerzen und allerlei Leiden kann es nichts Heilsameres geben, und wenn diese vortreffliche Bewegung in frischer Luft nicht allgemeiner ist, so liegt dies theils an Verweichlichung und Vorurtheilen, theils daran, daß nur vornehme oder reiche Leute sich damit einlassen können. Eine Krämerfrau zu Pferde wäre allerdings höchst lächerlich, dazu muß man der höheren Gesellschaft angehören. Ein geborenes Fräulein von Treuenschild ist jedoch dazu berechtigt, und die Tochter eines Offiziers noch mehr. Was Emma's Vater gern sah, wird doch Ihnen nicht auffällig erscheinen wollen, und wenn es Emma Vergnügen macht, haben Sie gewiß nichts dagegen.

Wenn es ihr Vergnügen macht, o, nein! sagte Johannes.

Seine Augen hefteten sich auf das Gesicht der jungen Frau, und es schimmerte darin mit dem Ausdruck entsagender Liebe zugleich ein eigenthümliches sanftes abmahnendes Bitten.

Wäre Emma mit ihm allein gewesen, so würde sie der Stimme gefolgt sein, die in diesem Augenblick zu ihr sprach und ihr deutlich sagte, was sie thun sollte. Es regte sich auch ein Gefühl in ihr, als müßte sie erklären, daß ihr an diesem Vergnügen wenig liege, und daß sie früher, nur weil ihr Vater und sein Arzt es so wollten, dazu gekommen sei; dem entgegen regte sich jedoch auch ihre Eitelkeit und etwas Schlimmeres noch als das: ein hartherziger Stolz, der zeigen wollte, welche Gewalt sie über ihren Mann besäße, und welcher sich mit einem dunklen Gefühle übermüthiger Geringschätzung verband, als sie ihn so demüthig stehen sah.

In der Seele eines Menschen regen sich oft die widerstrebendsten Empfindungen zugleich, und wunderbar ist der Kampf an der geheimnisvollen Stelle, die Niemand noch erforscht hat. In der halben Minute, welche die junge Frau zu ihrer Antwort brauchte, wandelte sich Vieles in ihr.

Sie sah sich in dem prächtigen Reitkleide bewundert, angestaunt, beneidet, begleitet von Sternau, der auch seine Blicke bittend und fordernd auf sie richtete. Da saß er neben dem armen, unterwürfigen Doctor, jung, schön, mit großen, glänzenden Augen, die ihren Stolz anfachten, denn sie verstand was jene ausdrückten und verstand das spottende Lächeln, das ihrem Manne galt.

Sie verstand auch was die Tante meinte, die mit einem kleinen Ruck den Kopf in den Nacken zog und eine Falte auf ihrer Stirn bildete. Sie sollte beweisen, daß ihr Wille hier herrsche, daß dieser Mann ihr gehorche, daß er an ihrem Wink hänge, und sie wußte, daß ein solcher genüge, um ihn zu Allem zu bewegen, was sie wollte.

Früher hatte sie, wenn er ihre Wünsche freudig erfüllte und so gern that, was er davon erlauschen konnte; liebevoll Dankbarkeit empfunden. Aus heißer Leidenschaft hatte sie nicht geheirathet, aber auch nicht, wie die Tante sagte, in ihrer Verlassenheit und aus Mitleid, auf Zureden, mit der Aussicht einen wohlhabenden Mann zu bekommen. Johannes hatte trotz seiner Schüchternheit und Bescheidenheit oder vielmehr durch diese Eigenschaften ihr immer einen günstigen Eindruck gemacht, und die Milde seines ganzen Wesens vermehrte diesen eben so sehr, wie die Achtung, welche ihm von allen Seiten gezollt wurde.

Als sie seine Frau war, ging es ihr wie den meisten Frauen, sie lernte ihn erst wirklich kennen und empfand für die Liebe und Güte, welche er ihr zeigte, Gegenliebe. Wäre die Tante nicht gewesen, diese Gegenliebe würde sich ein sicheres Haus gebaut haben; allein seit sie die junge Frau zu leiten und zu beherrschen begann, war Alles anders geworden. Seine Nachgiebigkeit rief keine Zärtlichkeit mehr wach, kein warmes, dankbares Gefühl, nur einen Triumph und das stolze Bewußtsein ihrer Macht. Die Tante demüthigte den Mann ihrer Wahl; bald widersprach sie ihr nicht mehr, dann verband sie sich mit ihr, und je weiter dies ging, je mehr er sich unterwarf, um so kälter wurde es in ihrem Herzen.

Kalt war es auch jetzt darin, denn der Funke, den sein liebevoller, bittender Blick aus dem harten Stein geschlagen, erlosch schnell vor dem Gefühl der Schaam, dem Cousin und der Tante gegenüber nachgeben zu sollen. Was würden sie gesagt haben? Ihre Gesichter drückten es zur Genüge aus. Und wem sollte sie nachgeben? Diesem schwachen Mann, über den schon so viel Spott ausgegossen war, dessen Gestalt, Wesen, Unbehülflichkeit und Furchtsamkeit ihr so oft schon lächerlich gemacht waren?

Sie sagte daher, indem sie sein Lächeln mit einem freundlichen, sicheren Lächeln erwiederte:

Vergnügen macht es mir allerdings, lieber Johannes, auch denke ich es mir höchst angenehm und dabei zuträglich für mich, wenn ich den Vorschlag annehme, und Du nichts dagegen hast.

O! wenn es das ist, ja wohl, dann mußt Du es thun, sagte er.

Und wir können nächstens anfangen bei diesem herrlichen Wetter, rief Sternau. Sie können ja mit uns reiten, bester Doctor.

Die Frau Majorin lachte laut auf, und Emma stimmte ein, denn die Zumuthung hatte etwas boshaft Lächerliches und war darauf berechnet.

Der Doctor sah nicht aus wie ein Cavalier, und er bestätigte dies selbst in seiner Harmlosigkeit.

Ich habe in meinem Leben nicht geritten, sagte er, als einmal in Italien auf einem Esel, der mich beinahe abgeworfen hätte. Seit dieser Zeit habe ich mich davor gehütet.

Es giebt auch nichts Komischeres, als so ein Ritter von der traurigen Gestalt, lachte die Tante. Bleibe Jeder bei dem, was Gott für ihn bestimmt hat. Nachmittag wollen wir zum Schneider schicken und Dein Reitkleid bestellen, Emma, Du wirst ganz allerliebst aussehen.

So setzten sie sich zu Tische, und die Unterhaltung fuhr in derselben Weise fort. Sternau erzählte lustige Geschichten von reitenden Damen und von schlechten Reitern, welche in allerlei Fährlichkeiten geriethen. Er zog den Doctor mit ins Gespräch und scherzte mit ihm über seinen unglücklichen Eselritt. Die Absicht war unverkennbar, ihn dabei ins Lächerliche zu ziehen, und die Frau Majorin unterstützte ihn redlich, während Emma wenigstens mitlachte. Sie that damit eigentlich nur das, was ihr Mann selbst that, der sein Abenteuer an den Wasserfällen von Terni mit gutem Humor erzählte, aber sie empfand einen dumpfen Unmuth dabei, der erst nach einiger Zeit immer mehr von dem Gefühl, die Spöttereien zu vermehren, überwältigt wurde.

Wir werden uns jetzt in Bereitschaft setzen unsere Besuche zu machen, sagte die Tante endlich. Sie, mein Lieber, machen inzwischen Ihren Spaziergang, wie Sie sich vorgenommen haben.

Du willst uns also nicht begleiten, Johannes? fragte Emma.

Wenn Du es wünschest, erwiederte er, so begleite ich Dich gern.

Das ist ja nicht möglich, mein Lieber, rief die gnädige Tante im strengen Ton, Sie müssen heut noch Ihre Geschäfte abmachen.

Was in dem Herzen der jungen Frau vorging, war die Folge seiner lebhaften, freudigen Antwort, die einen so sehnsüchtigen Klang hatte, daß wiederum dadurch ein Funke an ihr Herz schlug, der in ihren Augen widerglänzte. Es war ihr so, als geschähe ihr nichts lieber, als wenn er sich jetzt der Tante widersetzte, und in ihren Mienen lag etwas Aufmunterndes und Einladendes zu einem solchen Attentat. In der nächsten Minute war alles vorbei, denn der gute Doctor sagte mit doppelter Freudigkeit:

Sie haben ganz Recht, beste Tante. Nein, es geht nicht an, ich muß meine Geschäfte heut noch abmachen.

Emma wandte sich von ihm ab, und so wandte sich auch etwas in ihr, und als sie ihren Cousin anblickte, sah sie, daß er wußte was sie dachte, und sie verstand, was der Hohn um seinen Mund ausdrückte, was seine dunklen, kühnen Augen ihr erwiederten. Es war ein stummes Einverständniß, denn indem sie ihrem Gatten Lebewohl sagte und ihm ihre Lippen bot, fühlte sie, daß es ein Judaskuß sei, und daß sie im Begriff war ihn zu verrathen.

Sie wußte nicht, daß die Freudigkeit, mit welcher der arme Doctor wie immer, so auch diesmal, der Tante Recht gab, daher stammte, weil ihr Anschauen in einer Weise, wie er es fast vergessen hatte, sein Herz unendlich beglückte. Er erinnerte sich, daß er Geld nöthig habe für sie, um ihr eine glänzende Wohnung und glänzende Geräthe zu verschaffen, um alle die kostbaren Spielereien zu bezahlen, welche man von ihm forderte, und er hätte Alles, was er besaß, gern für diesen Sonnenblick hingeworfen; seine Brust öffnete sich weit, aller Nebel darin verschwand vor dieser Wärme.

Emma fühlte nichts davon; als er sich entfernte, that es ihr wohl, und als Sternau ihre Hand nahm und sie leise an seine Lippen zog, zog sie ihre Finger nicht zurück.

Ihre Blicke trafen zusammen; plötzlich lachte die junge Frau scharf auf, wandte sich um und verließ das Zimmer.



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