Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Siebentes Such.

Erstes Kapitel.

Wie auf eine schwüle Sommernacht, welche vollgesättigt von elektrischer Materie sich im heimlichen Grollen über den Bergen lange mit sich selbst besprochen, und dann auf einmal mit ungeheueren Donnerschlägen und zündenden Blitzen alle Gluth aus ihrem Busen über die bange Erde geschüttet hat, oft ein unerfreulicher, trüber Morgen folgt, so kam auch jetzt über Georgs Seele schmerzliches Mißbehagen und Reue über sein Vergehen.

Das beißende Gefühl seiner Schwäche, das Bewußtsein, alle die Angelobungen, welche er sich selbst gethan und täglich wiederholt hatte, gebrochen zu haben; der Gedanke, daß er an der heiligsten Gastfreundschaft und an Lina und ihrer unschuldigen Liebe zugleich schändlichen Verrath begangen habe, und die endliche Ueberzeugung, daß er, um den Versuchungen seines eigenen Herzens zu entfliehen, seinen Freund, Lina selbst und sein Asyl verlassen müßte, peinigte ihn ohne Aufhören.

Als jagte ihn sein eigener Schatten, rannte er im Zimmer ruhelos, seufzend und händeringend umher.

Es ist eigen, daß der edlere Mensch bei Verirrungen, welche der rohere kaum als solche anerkennt, eben solche Natternbisse in seiner Seele, wie der gemeinere Verbrecher vielleicht kaum bei der schändlichsten Unthat, fühlt.

Wohl konnte er es sich nicht läugnen, daß sich ihm in der versicherten Gegenliebe Lina's, der wunderholden Jungfrau, ein Eden, der Seeligkeit aufgethan habe; aber nur zu sehr fühlte er, wie von diesem Glücke ihn die Geisel seines Gewissens als einen Unwürdigen hinwegtrieb. So blieb ihm nichts übrig, als stumme Verzweiflung und Selbstverachtung.

Regte sich in ihm auch noch die langgenährte Hoffnung, Aquilina, wenn auch nur nach seinem Tode wieder zu finden, so floß ihm dennoch unwillkührlich Lina und Aquilina in einem Gedanken zusammen.

Bleibe dir selbst treu! – diese Worte, welche einst Aquilina zu ihm gesprochen, und selbst das Pfand ihrer Liebe, der Ring mit dem trüben Steine, welcher, in seinem wunderbaren Aufflammen ihn aus Lina's Armen hinweggeblitzt hatte, entschied jetzt über ihn.

Trennung, Flucht, büßendes Bereuen waren die Ideen, welche sich immermehr seiner bemeisterten, und einigermaßen die Pein seiner Seele beschwichtigten.

In dieser Stimmung setzte er sich hin an das Pult, ergriff die Feder und schrieb:

An Lina!

»Ich muß fliehen, mein Fräulein! könnte ich es vor mir selbst, und den Qualen meines Innern!– Sie fliehen? Ach, daß ich es muß, ich Elender, jedes Mitleids baar und ledig! – dennoch muß ich, denn ich bin zu schwach, um dem Liebesbanne, welcher von Ihnen ausgeht, mich hinreißt, mich betäubt, mich Alles vergessen läßt, selbst die heiligste Pflicht, welche mich an eine Ihrer himmlischen Schwestern immer binden muß, zu widerstehen. Unendlich wird meine Liebe, welche jetzt Sünde ist, zu Ihnen sein, ich will darnach ringen, daß sie zur reinsten Bruderliebe sich verkläre. Daß ich es vermöchte!

Bittere, und dennoch süße Thränen brechen aus meinen Augen! Könnte ich sterben, sterben zu Ihren Füßen!

Ich würde lügen, wenn ich wünschen sollte, daß Sie je meiner vergäßen und dennoch muß ich es wollen! Schwer ist meine Brust belastet von argem Leide. Leben Sie glücklich! entziehen Sie nicht alle Huld einem Unglückseeligen. Muß ich es sagen? – dieses herbe Wort – leben Sie wohl! ich aber werde, ewig Ihrer gedenkend, ewig mich unglücklich fühlen.

Georg Venlot

Er siegelte und überschrieb den Brief. Unruhig und angegriffen warf er sich auf das Sofa und drückte sein Gesicht hinein in die Kissen.


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