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Fünftes Gesicht

Pflaster wider das Podagra

Freitag Morgens als wir noch im Gemach am Fenster lagen und von dem unglücklichen Kampf des Grafen von der Hoye redeten, da kam durch den Hof daher ein Mann von einem ehrbaren reputierlichen Ansehen, aber in der Kleidung etwas lottriger als andere Leute. Seine Schuhe waren von geschmeidigem Leder, gleich einem Filz hier und da zerschnitten und zerhackt und ganz leise zugeschnürt; er ging an einem Stecken so vorsichtig und sittsam, als ob er die Steine schonen wollte; bisweilen zuckte er und schrie er Mord! also daß ich nicht wußte, was ihm gebrast, ob ihn vielleicht die Steine bissen. Seine Strümpfe waren weit, die Schenkel nach den Füßen zu dick und oben dünn; ein Pelztuch hatte er vor dem Magen. Sein Kopf sah roth und frisch aus, die Finger aber waren auf sechserlei Art gekrümmt und mit vielen Knötchen wie mit aneinander hängenden Erdäpfeln geziert. Wenn er je zu Zeiten einen ungleichen Tritt that, so entwischten ihm so ungeheure Flüche, daß wir ihn für einen Juden oder Türken oder Commissarius hielten, den die Bauern mit Knütteln butterweich geschlagen hätten. Wir standen oben und sahen ihm zu und wünschten zu erfahren, wer er wäre und weswegen er in die Burg käme. »Ihr Herren, sagte er, ich bin ein armer Mann wegen der unleidlichen Krankheit, die mir den Leib und die Glieder so jämmerlich plagt.« Was denn für eine Krankheit? fragte ich. »Der Reichen Krankheit,« antwortete er, so daß wir meinten, es wäre der Geiz, der ihn besessen hätte. »Ach nein, sagte er, das lose Podagra, das reißt und zippert mir die Glieder dermaßen, daß ich möchte von Sinnen kommen.« »Hoho, sprach Freymund, ist es nur das? Dem wird hier wohl abzuhelfen sein, denn wir haben hier einen berühmten Arzt, den Meister, welcher ein vortrefflicher Medicus und Stadtphysikus ist, der Unzähligen von dieser Krankheit geholfen hat.« Er hieß deswegen den Kranken hinauf kommen; uns aber verlangte zu sehen, was es für einen Ausgang gewinnen würde. Dergleichen Meister sind nicht viel zu finden; damit wir ihm nun aber mehr Glauben beimessen möchten, so zeigte uns Freymund einen Zettel, den der Arzt zur Bezeugung seiner Kunst in die Burg geschickt hatte, der lautete also:

Allen Podagristen viel Hilfe und Heil ums Geld feil. Es ist der große Meister Kelß in der Burg angekommen, der bringt mit sich Mittel, Prügel und Knittel für alle podagristischen Klagenden, Schnappenden, Hinkenden, Leisetretenden, der macht pelzige Füße härter als Horn. Viel Hilfe und Heil ums Geld feil. Wer arm ist, der leide es; wer reich ist, der leide es zweimal.

Der Arzt kam und besichtigte den Schaden. »Gut, gut, sprach er; grade zu gutem Glück ist der Patient jetzt angekommen: denn was in 36000 Jahren sonst nicht geschehen kann, das geschieht heute, denn der Aspekt ist günstig; und wollte Gott, daß alle Podagristen auf einem Haufen beisammen wären, ich wollte ihnen auf diesen Tag mit einem Streiche helfen, sie sollten nimmer Ach rufen. Wiewohl der lang gehoffte Aspekt nicht über uns in unserm Zenith oder in einem Zeichen zur Seite ist, sondern grade unter uns im Nadir, so daß ich auf diesem Ort, wo ich stehe, mit einer Nadel grade dagegen stechen könnte: so ist es doch umsoviel für unser Vorhaben günstiger als contraria contrariis curantur, wie mein berühmter Lehrer Celsus, mein Urahne, sagt, und weil man mit den Füßen auf dem Boden, dem natürlichen Sitz der Krankheit, geht, daher muß denn auch durch den Boden herauf die Arzenei und Wirkung in die Füße kommen, wie der Saft durch die Wurzel in den Baum; denn wenn der Aspekt über uns im Zenith wäre, würde derselbe in dem Hirn operiren, und es würde zu besorgen sein, daß das Podagra sich von den Füßen durch den Leib aufwärts zum Kopfe hinaus zöge.« Da der Arzt so verständlich von der Sache discuriren konnte, so war der Patient ganz zufrieden und es war ihm bereits halb geholfen: denn wer guten Glauben und Vertrauen zu seinem Doctor hat, dem kann auch durch einen Trunk Wassers geholfen werden, wie ich einst den hocherfahrenen Herrn Doctor Sennheim von sich selbst habe sagen hören.

»Vielmal wohledler, aller Ehren würdiger und diamantsteinfester, hoch wohl- und durch und durch gelehrter aller Welt erfahrener Herr Doctor« ..., so redete der arme Patient den Meister an, dem ich zur Seite stand. Während Expertus Robertus den Doctor mit andern Fragen aufhielt, sprach ich zu dem Patienten heimlich ins Ohr: Mein guter Freund, wie werdet ihr eure Worte vergeblich gebrauchen; ihr thut, als wolltet ihr diesen Mann mit Titeln über den Himmel erheben. »Ja freilich, antwortete er, wenn ich ihn nur auf meine Seite bringen und zu meinem Heil gewinnen kann, so sollen mich keine Titel dauern; wißt ihr nicht: in der Krankheit verspricht man dem Arzt die ganze Welt. Und es ist meine Gewohnheit, sprach er weiter (auf lateinisch), mit den Titeln niemals zu geizen, mag einer wohlachtbar oder gefürchtet oder ansehnlich und ehrbar titulirt sein: das kostet mich nichts, ich brauche es nicht auf der Frankfurter Messe zu kaufen; und glaubt mir, durch nichts erlange ich meine Absichten leichter als durch schönklingende Titel, welche mir als baare Münze dienen: denn wer sich vom Schall nähren will, ist jeder andern Nahrung unwerth.« Da er etwas laut redete, und ich ihm bedeutete, daß der Medicus es hören könnte, sprach er: »Wenn er auch ein Doctor ist, er versteht darum doch kein Latein;« worüber ich mich des Lachens nicht enthalten konnte.

»Wann aber, fragte der Meister den armen Patienten, ist euch das Podagra zum ersten Mal angekommen, damit ich die Kur um so besser vorzunehmen weiß.« »Das ist mir unmöglich zu sagen, erwiderte der Patient; ich bin meiner Rechnung bei weitem nicht so gewiß wie jene junge Frau, welche gefragt, wie lange sie noch schwanger zu gehen hätte, antwortete: bis Montag über vierzehn Tage zu Nacht, gleich nach neun Uhr bis halb zehn.« Der Meister, der mich, weil ich etwas zuviel gelacht hatte, für einen Welschen ansah, und der sich bei den Umstehenden mit seiner Wissenschaft gern etwas Namen machen wollte, fragte mich seiner Meinung nach auf französisch: gäle retty mougsiour? – Herr, sprach ich darauf, ihr seid am unrechten, wie einstmals mein Bruder zu Pfalzburg auch gewesen ist; denn wenn ihr mich auf französisch fragen wollt quelle heure est-il? so verstehe ich es nicht, darf's auch nicht verstehen; wenn ihr mich aber auf deutsch fragen wollt gäle rettig? so weiß ich fürwahr im ganzen Deutschland euch keine gälen Rettige zuzuweisen.

Es war gegen acht Uhr früh, als dies geschah, und um neun Uhr sechs Minuten zwei Secunden sollte der Aspekt sein, als auch die Kur in einem Hui vollzogen werden, was durch einen Aderlaß geschehen sollte. Indessen hatte sich das Gerücht am Hofe verbreitet, und es noch ein armer Podagrist erfahren, welcher, obwohl er zu Bett lag und nicht gehen konnte, sich dahin tragen ließ, um des seligen Aspekts auch genießen zu können. Der Barbier sammt seinen Gesellen wurden bestellt sich mit ihren Flieten eilfertig zu halten, die sie, um nicht mangelhaft zu erscheinen, vorher auf der Treppenstufe, die aus Stein gemacht war, gewetzt hatten. Der eine Patient stand da, gestützt von Expertus Robertus und Hans Thurnmeier, vor dem hockte der Barbier auf dem Boden, die Fliete grade auf die Ader haltend, welche unter dem Nagel der großen Zehe hervorguckt. Bei dem andern Patienten standen Freymund und ich nebst dem Barbiergesellen und gaben fleißig Achtung auf die Befehle des Meisters Celsus (denn das war sein Name), damit nichts versäumt würde. Herr Celsus stellte sich unterdessen ans Fenster, las in einem Buch, murmelte und brummte, sah in eine Himmelskugel und maß aus, damit er sein Amt verrichte, wenn der Aspekt diametral unter des einen Patienten Fuß wäre. Von diesem Murmeln und Brummen habe ich einige Worte gehört und verstanden, die ich hernach aber mit seiner Vergünstigung abgeschrieben. Sie lauteten aus deutsch:

O du diamantringwürdiges, goldkettenlöbliches, vieltausend Dukaten löthiges, doctorehrendes und säckelnährendes liebes Podagra, du Poter-Noten-Knoten mächtiges Heilthum, ich bitte dich alljetzt, hilf diesen zwei Dieben! O du Königin aller Reichthum besitzender Menschen, o du knöchelliebende, gelenkübende, stubenwüthende Fürstin! O du hartstrackkrümmendes, fersenpeinigendes, fußsohlenbrennendes, beinmürbemachendes, kniebrechendes, lottelstrumpfhaftes, Schuhschnitt-geweitetes, durch Mark leuchtendes, Geblütgeborenes Fräulein, ich bitte dich alljetzo hilf diesen zwei Dieben! – Was diese Beschwörung gewirkt, wird der Ausgang lehren. Unterdessen hieß der Meister den Barbier die Ohren fleißig spitzen und rief ihm zu: bald, bald, bald, bald! und dann: schlag zu, schlag zu! Der Barbier, nicht unbehende, traf die Ader so fix, daß ihm das Blut ins Gesicht sprang. »Das ist ein gutes Zeichen, sprach Celsus, dem wird es wohl bekommen.« Expertus Robertus und Hans Thurnmeier hielten ihn so lange, bis er verbunden und auf einen Sessel gesetzt ward; darnach zum andern. Celsus trat wieder an das Fenster und sah, wenn der Aspekt grade gegen des andern Patienten Füße kommen möchte; dann rief er wiederum dem Barbier zu: jetzt, jetzt, schlag zu, schlag zu! und in einem Hui war es geschehen. Weil aber bei diesem Patienten das Podagra etwas härter angesetzt hatte, so befahl er auch ihm etwas mehr Blut gehen zu lassen, was denn so lange währte, bis der arme Mann ganz erbleichte und erblaßte, und wir dem Herren Celsus zuriefen, es würde genug sein. »Laßt es nur laufen, rief er, es schadet ihm nicht, es wird ihm sonder Zweifel wohl behagen,« während er in seinem Buch und an der Himmelskugel fortblätterte und drehte und wir ihn erinnerten, der Kranke wäre sehr schwach und würde sterben. »Laßt es nur laufen, bis es genug ist; er wird nicht sterben, es ist nur eine Schwachheit.« Indem aber der Patient die Augen verkehrte und nach dem letzten Athem schnappte, schrieen wir ihm zu, er sterbe. »Laßt sehen!« sprach Herr Celsus; und als er ihn besichtigte, sagte er: »Fürwahr, er, er ist schon gestorben, wahrlich er ist mausetodt, Gott tröste ihn, ich habe mein Bestes gethan; aber gewiß ist die Ursache, daß er gestorben, diese, der Kranke hat auf dem Bett gelegen und nicht auf dem Boden gestanden wie der andere, so daß der Aspekt seine Wirkung in den Füßen nicht hat ausüben können; ging damit zur Thür hinaus: »einen guten Tag, meine Herren!« »Wie? so bald hinaus, Herr Doctor? sprach Expertus Robertus: wo habt ihr eure Kunst gelernt? Seid ihr auch ordentlich zu diesem Titel gelangt, oder habt ihr euch, wie ein Storger, dessen aus eigener angemaßter Gewalt unterfangen?« »Freilich, mein Herr, bin ich Doctor geworden, und es wird mir der hocherlauchte Doctor Brant Sebastian Brant (gest. 1521 zu Straßburg), Verfasser des satirischen Gedichtes »das Narrenschiff«. dessen Zeugnis geben, in dessen Schiff ich neben vielen andern Gefährten bis nach Padua gefahren bin. Auch habe ich noch Zeugnisse bei der Hand, worin mir ein hochsinniger Mann wegen meiner erlangten Ehrentitel Glück wünscht;« dieselben zog er hervor und gab sie dem Alten zu lesen. Während Expertus Robertus aber las, machte er sich unvermerkt zur Thür hinaus, als ob er sich verbrannt hätte, und als der Alte zu Ende gelesen hatte und nach Doctor Celsus sehen wollte, da war er nicht mehr zu finden, sondern schon zur Burg hinaus.

»Ist das nicht frevelhaft vor allen Menschen gehandelt, sprach der Alte: also tödten, also beschönigen, also durchgehen?« »Ist das nicht eine Ursache vom Zaun herabgesucht? sprach Hans Thurnmeier; wer hat sich eher ausgeredet als ein Doctor der Arzenei? Was sollte es wohl für eine Krankheit oder für einen Tod geben, wofür die Herren Aerzte nicht alsobald wüßten eine Ursache zu finden? Man muß ihnen blind glauben, obwohl man es anders sieht und greift; es ist ganz richtig gesagt:

Holländer, die keine Butter essen,
Flamänder, die Eierspeis' vergessen,
Ein Fries', der grüne Käs' verschmäht,
Ein Dänemärker ohn' Gammelmat, Gammelmat ist Pökelfleisch.
Ein Baier, der nie aß ein Muß,
Schwaben, die nicht liebten die Nuß,
Westphalen, die vom Speck nichts halten,
Soester Bauern, die ihre Röck' nicht falten,
Ein Thüring, der kein Weidkraut kennt,
Ohn' Wurf- und Spitzschaufel ein Wend',
Ein Meißner, der kein'n Kranz gern trägt,
Ein Frank', der nicht gern Kanten fegt,
Ein Sachs' der nicht gern Bier mit säuft.
Ein Hess', der nicht gern Beute läuft,
Ein Böhm' ohn' Gepsphe Karva matir,
Schlesier, der nicht trank Weizenbier,
Elsasser Bauern ohne Zwill'ch,
Ein Schweizer, der nicht gern ißt Milch,
Ein junges Kind ohn' Raud' und Grind,
Ein Arzt, der keine Ausred' find,
Schneeweißen Mohr und schwarze Zähn' –:
Auf Erden man nicht leicht wird sehn.«

»Ich fürchte wahrlich, sprach Expertus Robertus zu dem andern Patienten, daß diese Kur dir eben auch nicht viel dienen wird; es ist ein elendes Ding, sich hoher Sachen rühmen und doch in der That nichts leisten können. Darum sagt Doctor Brant:

Wer Arzeneien sich nimmt an
Und doch den Schaden nicht heilen kann,
Der ist kein rechter Biedermann.«

»Es sei wie es wolle, sagte Freymund: der Meister hat sein Bestes gethan, mit dem da ist es genug, denn:

Wenn man den Arzt warum? will fragen,
Muß er doch etwas thun und sagen,
Damit die Kranken nicht verzagen,
Noch sich selber das Herz abnagen;
Ob man sie schon zum Grab müßt' tragen,
So darf doch keiner drüber klagen,
Noch den Arzt zum Haus rausjagen,
Vielweniger mit Fäusten schlagen,
Denn man holt ihn mit Roß und Wagen.«

»Doch ich will dir ein sogenanntes consilium anti-podagricum, ein Bedenken, wie du dich die Zeit deines Lebens gegen die Schmerzen des Podagras weislich verhalten sollst, mittheilen, sprach Expertus Robertus, was ich selbst dreimal probirt und gut befunden habe; komme dem nach, wenn du zu Hause bist, so wird dir geholfen.« Mit diesem geschriebenen Bedenken ließ er den Patienten, welcher sich jetzt übler fühlte als zuvor, heim ziehen: er ist auch seither nicht mehr vom Bett aufgekommen. Auf meine Bitte aber gab mir der Alte eine Abschrift davon, da ich besorgte, es möchte diese spitzsuchende Krankheit wegen der auf Reisen, bei Hofe und anderswo ausgestandenen Hitze, Frost, Nässe von innen und von außen dereinst vielleicht auch an mich gerathen. Dieses habe ich aus mitleidiger Liebe dem krankfröhlichen Leser zu besonderer Hilfe und zum Trost hierher zu setzen nicht umgehen können. Hier folgt das Bedenken wider das Podagra:

Es ist ein elendes Ding um etwas, das einen bösen Namen und Ruf hat und schwerlich den Menschen wieder auszureden, was sie einmal in die Ohren und in das Herz gefaßt haben: denn wer

Um seinen guten Namen springt,
Demselben schwerlich mehr gelingt,
Und war' er schon der ehrlichste Mann,
So hängt ihm doch die Klett' stets an.

Sei ein ehrlicher Mann, thue, was du vor Gott schuldig bist: wenn die Leute sagen, du seist ein Bösewicht, so ist es um dich geschehen, – nämlich bei dem gemeinen unverständigen Manne, bei dem die Thorheit über die Weisheit, der Frevel über den Verstand, die Unvernunft über die Vernunft Meister wird. Also ist es bisher mit dem armen unschuldigen Podagra auch gegangen: denn man hat nicht nur auf dasselbige vielfältig gelästert und gescholten, sondern auch wider alle Billigkeit vorgeben dürfen, daß keine Mittel es zu vertreiben in der Natur zu finden wären. Aber – o uns arme Menschen, wenn es dahin kommt, daß man Uebles von dem reden darf, den man weder recht gehört noch recht verstanden hat! Sollte in dieser Weise nicht der allerfrömmste Mensch von dem allerärgsten Vogel angezapft, ja widerrechtlich verurtheilt und zum Tode gebracht werden können? Darum soll bei dem Amt eines weisen, verständigen Mannes billig das für das Vornehmste gehalten werden, daß er mit seinen Urtheilen verziehe, bis er beide Theile gehört und die Sache ohne Gunst oder Mißgunst reiflich erwogen hat. Wer anders urtheilt, den wird Gott richten. Ein jeder Mensch soll zuvörderst die Sache so ansehen, als ob er die Person nicht wisse oder kenne: denn wo Ansehen der Person ist, da ist Vorzug, da ist Mangel des Rechts und der Gerechtigkeit. Ja der Verklagte soll allzeit vor dem Kläger den Vortheil haben, daß er mit empfindlichen Worten seine Sache vorbringen, sich um einer unbilligen Klage willen nicht unterdrücken lassen, sondern frei in das Kraut hinein reden darf, damit die Wahrheit hervorkomme. Was hat das arme Podagra nicht auch leiden müssen? Man hat ihm bisher Schuld gegeben an Dingen, die die Menschen selbst ohne Wissen und Willen des Podagras angestiftet haben; ja man hat Leute gefunden, die bisher an ihm getadelt und gescholten haben, was man mit höchster Billigkeit an ihm loben und rühmen sollte: man hat, mit einem Wort, bisher nicht ehrlich gefochten mit dem Podagra, man hat es zum Tode verurtheilt und gleichwohl seine Verantwortung niemals hören wollen. Darum, wie ich auch sonst zu reden pflege, hörst du etwas ungleiches von einem, um Gottes willen gemach! glaube es nicht sogleich, bis du ihn selbst und seine Entschuldigung gehört hast; wird er strafbar erfunden, wohlan! so soll er büßen und entgelten: befindet sich's aber, daß ihm Gewalt geschehen ist, so strafe alsdann auch die bösen Lästervögel. Denn sonst ist es unmöglich, auf Erden unter den Menschen Frieden zu halten; ja die Welt müßte so in äußerste Zerrüttung gerathen und zu Grunde gehen. Es ist damit nichts ausgerichtet, daß ein loser Lästervogel böses redet, von einer Person dies und das aussagt und vorgiebt: die Schüler reden auch böses vom Schulmeister darum, weil der Schulmeister in seinem Amt streng und aufrichtig wider die bösen Buben fortfährt. Ein Spottvogel und Bösewicht hasset alle diejenigen, welche zur Ungerechtigkeit nicht Lust haben und ihm bei seinen bösen Stücken hinderlich sind: denn nimmermehr wird es sich finden, daß ein Gottloser den Frommen liebe, oder den Gerechten lobe; er fürchtet sich zu sehr, daß seine losen Werke möchten offenbart und seine leichtfertigen Handlungen gestraft werden. Der Gottlose sähe gern, daß alles drunter und drüber ginge, Recht und Gerechtigkeit unterliegen müßte, nur damit er ungehindert in seinen losen Stücken wider den Gerechten handeln dürfe. Denn ein Ungerechter weiß gar wohl, daß, wo Gericht und Gerechtigkeit im Schwange gehen und bleiben, er wenig wird erhalten können. Darum soll eine Person, die von losen Leuten, von einem Spottvogel, gescholten wird, nicht gleich auch so gehalten werden: wenn aber fromme Leute, die von der Sache Gewißheit haben, böses von einem reden, dann ist's gefährlich, ebenso wie derjenige nicht fromm ist, der von einem leichtsinnigen Vogel gelobt wird; sondern wen gewissenhafte Leute loben, der ist gelobt, und kein Spottvogel wird ihn mit seinem Koth beschmeißen können. Der gottlosen Spottvögel sind allzeit mehr als der Frommen; weil nun ein jeder lobt, was seinesgleichen ist, so ist es unmöglich, daß ein Bösewicht einen ehrlichen Mann rühmt, oder ein frommer Mann einen Ehrliebenden schilt.

Wenn wir alle wären Dieb',
Wir hätten all' einander lieb,
Wir wären all' in gleichem Stand,
Und wär' kein Neid im ganzen Land;
Weil aber ich nicht bin wie du,
So wirfst du stets mit Lügen zu.

Es werden bei verständigen Leuten die Anbringereien eines Bösewichts und Lästervogels so gar nicht geachtet, daß es vielmehr dem leidenden Theil zu Statten kommt. Daher hat der weise Plato recht gesagt: Eben darum sollst du glauben, daß dieser ein rechtschaffener ehrlicher Mann sei, weil du hörst, daß er von einem losen Lästervogel geschändet und geschmäht wird. Und der mächtigste römische Kaiser, Julius Cäsar sagte: Es kann mich mein Feind nicht schelten, ohne mich zugleich auch zu loben. Denn darum haßt mich mein Feind, weil ich in seine losen Stücke nicht einwillige, weil ich sie strafe und keine Lust an ihnen habe: das aber wird mir billig zu Lob und Ehren dienen.

Darum sollten denn auch diejenigen, welche das Podagra bisher aus Unbedacht geschändet haben, künftighin billig davon abstehen und demselben ein besseres Lob, sich allein aber die Schuld zuschreiben, da sie sich sonst selbst nur verkleinern, das Podagra aber in Würde setzen werden. Denn lieber Gott! wie leben solche Leute, wie sitzen sie bisweilen! In solcher Ueppigkeit und Schwelgerei, daß sie das Podagra mit den Haaren herbei ziehen, auch wider seinen Willen bei ihnen einzufahren. Daß das Podagra ungeladen bei ihnen einziehen sollte, nein, das wäre wider seine Natur, so grob und ungezogen ist es nicht: man muß es kitzeln, wo man es haben will; und doch wird es unter zehn nicht einem die Freundschaft erweisen, Herberge bei ihm zu nehmen. Sich bei einem groben Tölpel aufzuhalten und hinzuschleppen, der den ganzen Tag der Arbeit nachzieht und ihm nicht eine gute Stunde anthut, das wäre dem Podagra schwer zu vertragen und es würde viel lieber aus der Welt ziehen. Lieber, was sind es für Leute, die das Podagra so austragen und schelten? Verrathen sie dadurch ihre Unart und Bosheit nicht selbst? Sind es nicht diejenigen, welche Tag und Nacht im Luder gelegen, die vor Müßiggang verfault sind, die Arbeit geflohen, den Wollüsten zu Tisch und Bett nachgehangen und so ihre Glieder geschwächt haben, die die niedlichsten Speisen zu Wasser und zu Land lassen herbeibringen, die im Essen nicht den Hunger sondern die Lust, die im Trinken nicht den Durst sondern den Geschmack suchen, die sich nicht zufrieden geben mit dem gemeinen eingewachsenen Landwein, sondern sich an ausländischen kitzeln, die auf den weichsten Betten liegen, sich nach allen Wollüsten kleiden, alles erdenken, was die leckere Gurgel, das juckende Fleisch, die umherschweifenden Augen, das weiche Herz nur immer erdenken mag, die sich so verzärteln, daß dem lieben unschuldigen Podagra oft selbst, wie zart es auch von Natur ist, davor ekelt! Und gleichwohl wollen sie hernach über das arme Podagra schreien und rufen, als wenn es solcher Schmerzen Ursache wäre.

Wer wider Ehrbarkeit auf Wollust sich begiebet,
Dem geht die Wollust hin, die Unehr' aber bleibt:
Hingegen wer mit Müh' was Ehrenhaftes treibt,
Dem geht die Müh' hinweg und bleibet, was er liebet.
Wer Gutes thut und muß dazu noch leiden,
Dem weicht das Leid und bleibt das Gut:
Wer aber mit Lust Böses thut,
Dem bleibt das Bös und Lust wird von ihm scheiden.

Ist es nicht also: wer Gefahr liebt, wird in Gefahr umkommen? Springe in den Rhein, wirf dich ins Feuer; darnach komme und schmäle über das Wasser, daß es Ursach sei an deinem Unglück, an deinem Untergang, – wie wird sich das reimen? Aber so sind die Lästerer geartet, daß sie das, woran sie selbst die Schuld tragen, gemeiniglich auf einen andern legen, damit sie auf diese Weise durchschlupfen und für fromm gehalten werden.

Man sehe doch die Herren Kläger selbst an: sind nicht ihre Leiber, ihr Gesicht, Haut, Beine, Farbe, ihr Ansehen, ihr Gang und alles um und an ihnen Zeichen, daß sie vormals redlich gezecht, mächtig geschoppelt, ritterlich turniert haben? Die guten Herren wollten mitfressen aber nicht mithängen, dies alles thun, aber nicht leiden, was sie doch, wie sie wissen, leiden müssen. Sie sind schuldig an den Dingen, welche sie dem Podagra Schuld geben. Hat einer das Podagra, so wäre er's gern los, hat er es nicht, so treibt er es mit Bescheid-thun, mit um sich tasten, mit waschen und naschen und Flaschen so lange und hat weder Tag noch Nacht Ruhe, bis er es wieder hat. Sie suchen also in der Krankheit die Gesundheit, und in der Gesundheit wollen sie sich doch vor der Krankheit am wenigsten hüten; sie selbst achten ihrer Wohlfahrt nicht, und wollen hernach dies dem Podagra zuschreiben; sie selbst thun sich Leids an, und wollen haben, das Podagra soll ihnen wohl thun; sie wollen lustig in Gesellschaften sein, und hernach dem armen Podagra deswegen übles wünschen und fluchen. Wie sollte es ihnen dann anders gehen? Ihr eigenes Leben, ihre eigene Gestalt bezichtigt sie, ihre böse Gewohnheit verkleinert sie; sie denken nicht, daß sie um des Lebens willen essen und trinken sollen, sondern sie leben um des Essens und Trinkens willen. Niemand ist dem Podagra gehässig als diejenigen, von denen gesagt wird:

Der liebe kühle Wein,
Der thut hierin das Sein'.

Wenn sie die Lüste im Zaum hielten und die Wollüste nicht so arg mißbrauchten, vielleicht würde das Podagra ihnen auch gnädiger sein: wie will aber der nüchtern sein können, der des Zechens gewohnt ist, der von nichts als von gutem Wein weiß zu erzählen? Drum:

Was einer nicht will meiden.
Das soll er billig leiden.

Denn ich halte dafür: wer so lebt, daß er nicht kann gesund bleiben, der ist nicht werth, daß er gesund werde, solange er lebt. Wer die Gesundheit in den Wollüsten sucht, der ist ein Thor, und wer vermeint, daß er ungesund sei, wenn er nüchtern ist, der ist ein Narr. So laßt euch nun nicht Wunder nehmen, ihr guten Herren, daß das Podagra, wenn ihr es durch allerlei Lüste zu euch eingeladen habt und hernach wieder hinaus treiben wollt, euch nicht gehorchen will, sondern sich um so heftiger sperrt.

Ist dem nicht also: sind nicht ihrer viele gewesen, welche sich mit Reichthum, Ueberfluß und Völlerei das Podagra auf den Hals gezogen haben, wenn sie aber hernach verarmten, wiederum sind zur Gesundheit gekommen? Denn:

Wer Geld hat in der Taschen,
Der will allzeit gern naschen.

Oder

Hast Geld vollauf,
Du wagst es drauf.

Das alles hätte nimmermehr geschehen können, wenn nicht vielmehr sie selbst als das Podagra an ihrem Unfall Schuld gewesen wären; es ist diese Regel ganz unfehlbar:

Arbeit', sei nüchtern, wenig tast',
Das Podagra dich bald verlaßt!

Das Podagra ist ein lebendiges Muster der Gerechtigkeit: da ist kein Ansehen der Person, da ist weder Freundschaft noch Feindschaft, weder Gunst noch Mißgunst, Kaiser und Könige, Päpste und Kardinale, Bischöfe und Bader, Herren und Knechte, Reiche und Arme, Edle und Unedle werden da, wo es einzieht, in gleichen Würden, Ehren und Stand gehalten. Allein daß es diejenigen, welche sich herrlich und köstlich pflegen, etwas mehr liebt, das ist eine natürliche Schuldgebühr, welche den Patienten zukommt, die das Podagra mit Liebkosungen und Verzärtelungen hofieren und es reizen bei ihnen zu bleiben, ja es beim Mantel zerren und zupfen.

Daß etliche sagen, das Podagra komme oft aus dem Geblüt auch zu denjenigen Leuten, die in großer Mäßigkeit leben, so ist das nicht falsch, wiewohl es gar selten geschieht: aber solche Ursache ist vielmehr den lieben Eltern zuzuschreiben, welche ihr Geblüt so erhitzt und gekühlt haben, daß es auch noch bei den Nachkommen nachwüthet und tobt, da Gott der Gerechte das Unrechte auch an den dritten und vierten Kindern derer rächt, die sich nicht bekehren und bessern. Gleich kommt von Gleich: wo hat jemals ein Kranich eine Geiß geheckt? Wie kann aber dem Podagra mit Fug aufgedichtet werden, was man von den Eltern ererbt? Denn auf diese Weise müßte sonst der Adel und Reichthum auch vom Podagra herrühren, was ja augenscheinlich falsch ist. Ist es dir nun gefällig, deiner Voreltern Geld und Gut, Stand und Adel zu haben, so laß dir auch gefallen, daß du das Podagra von ihnen hast. Wer den Nutzen zieht, der habe auch die Beschwerden, wer das Gut erbt, der zahle auch die Schulden. Wenn sie ihr Leben in Mäßigkeit versetzen werden, dann ist nicht zu zweifeln, daß das Podagra endlich wieder werde aus dem Geschlecht und dem Stamme weichen. Denn so ungerecht ist das hochweise Podagra nicht, daß es den so hart strafen sollte, der die Schuld von den Eltern ererbt als den, der solche auf das Kerbholz geschnitten hat.

Es giebt andere Krankheiten: Maltzei, fallende Sucht u. s. w., die, wenn sie das Blut des Menschen eingenommen haben, nicht können gelindert noch vertrieben werden, sondern den Menschen in Noth und Tod treiben. So unbarmherzig ist das Podagra nicht: dies läßt sich durch gute Mittel und durch Mäßigkeit im Leben wo nicht gar vertreiben, so doch aufs wenigste begütigen und erweichen; oft bleibt die Genesung lange aus, oft wenige Tage, jenachdem der Patient sich in seinem Gehorsam geduldig oder ungeduldig verhält. Es ist ja also das Podagra keine so schädliche oder abscheuliche Krankheit wie andere; alle andern Krankheiten werden geflohen, gemieden, gefürchtet so sehr, daß oft die besten Freunde einander verlassen müssen, ja Mann und Weib, Eltern und Kinder einander nicht sehen oder ansprechen dürfen. Das ist beim Podagra durchaus nicht; denn wenn man hört, daß es bei einem guten Freunde eingezogen ist, so lacht man seiner, man neckt ihn, scherzt und schimpft mit ihm, man besucht und liebkost ihn, ist lustig mit ihm und wünscht ihm Glück und Heil, daß es ihm wohl bekommen, wohl anstehen, ihn gut tractiren möge. Es ist dabei nicht anders, als wenn man eine zarte Jungfrau zur Ehe vermählt hätte, wo sich die besten Freunde freudig und lustig machen, und wie wenn eine junge Frau mit dem ersten Kind schwanger geht, und es sie ekelt, sie ächzt und klagt, aber die Gespielinnen sie necken und lachen des Possens, der so gut abgelaufen ist: also geht es mit dem, der das Podagra hat, jedoch mit dem unschätzbaren Vortheil, daß nicht erst über neun Monate, sondern etwa über vierzehn Tage oder sechs Wochen das Leid in eine neue Geburt der Freude verkehrt wird. Es ist demnach das Podagra eine rechte Mutter der Freuden, eine Gebärerin der guten Tage, eine Ursache der Ehre und des Ansehens bei den Menschen; und deshalb sind alle diejenigen mit Recht zu schelten, die des Podagras mit Lästerungen und bösen Nachreden nicht schonen wollen.

Wie manchem ginge es hundsschlecht, wenn ihm das Podagra nicht Hilfe und Mittel gäbe; manchem weicht Fürst und Herr und Bürgermeister aus dem Wege, dem man sonst nicht einen Tritt zu Gefallen thäte. Das macht das liebe Podagra: denn sobald man einen sieht, der das Podagra hat, so ist keiner so hoch geboren und so hohen Standes, der ihm nicht alsbald aus dem Wege ginge, ihm Ehre und Respect anthäte. Mancher fährt in einer Kutsche, reitet auf einem schönen Roß oder auf dem Esel oder wird auf einem Sessel getragen, wie der amerikanische Erzkönig Attabaliba, der sonst zu Fuß wandern mußte: das macht das werthe Podagra. Vor Königen, Fürsten und Herren muß jedermann mit großer Ehrerbietung und Demuth, mit entblößtem Haupte stehen und aufwarten: das ist der Welt Sitte und Schuldigkeit; ist aber einer unter der Gesellschaft, dem das Podagra wohl will, wie bald wird ihm geheißen sich zu setzen, sich zu bedecken, ja Fürsten und Herren selbst befehlen dies, lassen ihnen durch ihre Diener Stühle und Sessel, Kissen und Pfühle herbeibringen und sehen, daß der Podagrist ja nicht unsanft liege oder sitze; ja sie reden mit den Leuten, denen sie sonst nicht die Ehre des Ansehens anthun. Sieh die Granden in Spanien: diese bilden den vornehmsten Stand nach dem König, sie allein haben die Befugnis vor dem Könige den Hut auf dem Haupte zu tragen, sonst keiner. Kann nicht das Podagra, in einer Nacht aus einem elenden Menschen einen spanischen Granden machen, der das Recht hat sich zu bedecken, er sei wer er wolle? Sind das geringe Dinge? Wer wollte sich solche Ehre und Herrlichkeit nicht wünschen? Und nicht nur in Versammlungen sondern auch bei Gastereien werden solche Leute vor andern angesehen, denn gemeiniglich werden sie obenan gesetzt: und wie köstliche niedliche Speisen auch aufgetragen werden, man befleißigt sich doch allzeit dem, der das Podagra hat, etwas besseres, zarteres, leckerhaftes hervorzusuchen und vorzusetzen. Und wenn jedermann mit dem Essen und Trinken zufrieden ist und zufrieden sein muß, so wird es doch nimmermehr für eine Ungebühr gehalten, wenn der Podagrist dawider redet und etwas besonderes fordert, ja man reizt und ermahnt ihn noch dazu, daß er sich nur nicht schämen oder scheuen solle.

Man möchte unhöfliche Leute finden, welche sagen, dies alles geschehe nicht des Ansehens willen sondern wegen der Armseligkeit, mit denen die Podagristen behaftet wären, weswegen man mit ihnen Mitleid und Erbarmen haben müßte. Aber das sind alberne Menschen. Was frage ich viel danach, warum mir gutes geschieht, wenn ich's nur spüre und genieße; wenn ich nur einen Vortheil vor andern Leuten habe, was achte ich viel, woher es kommt. Es ist kein darbender Mensch so unverständig, daß er viel danach frage, warum man ihm gutes thue, das oder jenes gebe: wenn er's nur hat, das ist ihm genug. Was spreche ich aber von Armen? Sehen wir es heutiges Tages nicht an allen Königen und Potentaten der Welt, die ein Reich, eine Landschaft, eine Stadt, einen Ort nach dem andern einnehmen, dabei aber nicht einmal fragen, ja nicht gedenken warum, ob es recht oder unrecht sei, wenn sie es nur in ihre Gewalt bringen und ihren Willen damit erfüllen können? Mag ich mich also umsehen auf der ganzen Welt, wo ich will, so könnte ich doch niemand finden, der einem Könige oder Potentaten ähnlicher wäre in seinem Sinn, als der, welcher das Podagra zum Gehilfen am Leibe hat. O was vor aller Welt für selige Leute, denen das Glück so in Haufen begegnet!

Ich sage dies und weiß, daß es wahr ist: es sind viele arme Leute, welche sich glückselig preisen würden, wenn sie nur das Podagra hätten und dann so herrlich gehalten und geehrt würden. Denn, mein Lieber, was ist besseres als em Reicher?

Die größte Lieb' in dieser Welt
Ist, daß man liebt den, der hat Geld
Und ziehet vor den reichen Mann,
Der Ohren hat und Schellen dran;
Die Reichen ladet man zu Tisch,
Bringt ihnen Wildpret, Vögel, Fisch,
Zum Reichen spricht man: esset Herr!
O Pfennig, man thut dir die Ehr'!

Hingegen:

Wärest du so weis' als Salomon,
So stark und männlich als Simson,
Hätt'st aber weder Gut noch Geld:
Du wärst ein Narr doch vor der Welt.

Was ist zierlicher als ein Reicher? Wer wohnt in schöneren Palästen als ein Reicher? In dessen Wohnung ist alles mit Silber und Gold behängt, als ob es eitel Kirchen und Altäre wären, und es möchte einer tausendmal lieber wünschen, das Podagra an solchen Orten zu haben als mit guten Füßen durch Koth und Dreck in Hunger und Kummer, wie die armen Westreicher heutiges Tages, einhertraben. In Summa, alles was schön und herrlich in einer Stadt ist, das kann in eines Podagristen Hause gesehen und gehört werden. Da sieht man die schönsten Kunstwerke der Maler, da ißt man die neusten Früchte und Speisen, da erzählt man die lieblichsten Zeitungen, hört man die kurzweiligsten Geschichten, da werden alle Händel der Kaiser und Könige durchgegangen und geurtheilt, wer Recht oder Unrecht unter ihnen gethan habe, es sei zu Kriegs- oder Friedenszeiten. Da weiß man, was in China, in Japan, in Calcutta, in Brasilien, in Mexiko, in Florida, in Virginia, in Persien, in der Türkei, in aller Welt geschieht, wenn man schon oft nicht weiß, was im Haus, im Keller oder im Stall mag vorgehen: denn um so geringe Dinge bekümmert sich das Podagra gar nicht.

Wie mancher ist vor Unglück sicher gewesen, der sonst ohne das Podagra in die äußerste Gefahr des Leibes und der Ehre, ja der Seele selbst gerathen wäre: denn so närrisch ist kein Podagrist, daß er sich auf das ungestüme Meer begeben, sich auf der Jagd mit den wilden Thieren herum beißen, Zank und Raufhändel anfangen, oder Mord und Todschlag auf der Gasse anrichten würde. Er darf nicht sorgen, daß ihm ein Ziegel auf den Kopf falle und ihn todt schlage, denn er bleibt unten in der Stube, oder daß er in einem Scharmützel darauf gehe, erschossen oder erstochen werde; sondern er sitzt daheim und hört wohlverwahrt in weichen Betten zu, wie übel es um andere steht; er ist weder mit obrigkeitlichen Lasten noch mit Hofes Undank beladen, sondern steht seinem Hauswesen fleißig vor und läßt keinen Menschen müßig gehen: denn weil der Müßiggang alles Uebels Anfang ist, so treibt und vermahnt er das Gesinde und läßt ihnen keinen Augenblick Ruhe, so lange er sie um sich sieht. Obschon er sich der Hände und Füße nicht bedienen kann, so bedient er sich doch der Zunge, und was Hände und Füße müßig sind, das muß die Zunge wieder einbringen, mit der sie sitzend und liegend oft mehr gewinnen und erzwingen können, als andere mit rennen und laufen, was wohl nicht geschehen würde, wenn sie hin und wieder gehen und die Zeit mit andern unnützen Dingen vertreiben müßten.

Das Alles aber ist sehr gering gegen das, was das Gemüth und die Seele betrifft: denn weil, wie es billig sein soll, die Kunst und Geschicklichkeit allem Reichthum vorzuziehen ist –

Ein jeder mag sein Handwerk loben,
Doch schwimmt die Feder allzeit oben –

so ist bekannt, daß das Podagra viele Menschen zu der höchsten Gelehrsamkeit in Sprachen und Künsten gebracht hat, die sonst nimmer mehr dazu gelangt wären. Denn wenn sie sonst nichts handeln und thun können, so lassen sie sich ein Buch herbeibringen, mit dem sie sich die Zeit im Lesen vertreiben und auf diese Weise geschickter werden. So in allen Künsten: die Musik oder Singekunst, die Kunst,

Die wegnimmt Kümmernis und Leid,
In Spott und Scherz bringt große Freud,
Auch sonst macht einen wohl geschickt,
In Kreuz, Arbeit und Müh' erquickt,

wird von ihnen geliebt und hochgehalten. Wo sind schönere Fugen als bei den Herren Podagristen? In allen Stimmen wissen sie herzusingen in so wunderharmonischer Dissonanz und dissonanzlicher Harmonie, daß, wer ihren Tönen, wenn die Saiten auf das Höchste kommen, zuhört, bejahen kann, er habe von einer einzigen Person in so großer Geschwindigkeit dergleichen Modulationen vom moll zum dur, aus fa sol re in la mi se re nimmermehr mit Ohren gesehen noch mit Augen gehört.

Das Podagra lehrt schön und zierlich reden, und eben dies ist der Mangel, daß ich solche so notwendige Erinnerungen nicht mit mehr Zierlichkeit kann wiedergeben, weil das redeerweckende Podagra mich seiner Gegenwart noch nicht gewürdigt hat, sondern solch hohe Gaben mir noch verborgen hält. Denn meiner Treu! sobald einer das Podagra bekommt: ist es nicht wahr, daß er fast in einem Augenblick zu bereden und zu überreden geschickt ist? Z. B. daß dieser heute sagt, er habe den Fuß verrenkt, morgen, er habe einen Mißtritt gethan; jener, er habe die Nothschön, der dritte, es sei ihm eine böse Luft drüber gegangen; ein anderer, er habe den Fuß ermüdet, er habe sich gestoßen, er sei auf den Fuß gefallen, und was der spitzfindigen Ausreden mehr sind, worüber man sich billig wundern muß. Ja nicht nur rhetorisch sondern auch dialektisch reden sie: wahrhaftig und bei meiner Ehr! wenn einer wäre, der es nicht glauben wollte, während doch viel, viel andere Ursachen vorhanden sind, welche den Schmerz in die Füße getrieben haben.

Laß aber sehen, wo ist die himmlische Kunst des Sternsehens und Wahrsagens besser zu lernen als beim Podagra? Es ist kein Prophet von heute so wahrhaftig, kein Sternseher so scharfsehend, kein Kalenderschreiber so gewiß, der einem Podagristen gleich rathen und wissen könnte, was es für Wetter geben wird. Es ist wahrlich eine recht göttliche Kunst, aus dem Gestirn nicht errathen sondern gewiß wissen zu können, was für künftige Dinge geschehen sollen. Doch die unfehlbaren Perspektiven und Brillen kosten ein sehr schweres Geld, wenn man sie gut haben will: will man aber dies Geld ersparen und doch des Wahrsagens und Prophezeiens gewiß sein, so ist das edle Podagra eine Meisterin darin. Das sieht viel schärfer als ein Luchs, es durchspürt die innerste Kraft und die Heimlichkeiten, welche im Mark mögen verborgen liegen, ja das Allergeheimste von Gewittern, die der Himmel oder die Luft immer mag in sich haben und kochen. Soviel Nerven und Adern, soviel Beine und Blutstropfen, ebensoviel Kalender, soviel unfehlbare Wetterpraktiken, welche nimmer lügen, nimmer trügen und deswegen einen Podagristen in viel besseres Ansehen und Würden bringen als die Sternguckerei: von welcher und auf welche himmlische Kunst heutiges Tages mancher grobe Esel aus Unzufriedenheit, Stolz und Frevel sich einen Buckel lügt und fließend-lügenhaft davon schreibt. Sie bereden sich, daß in der rothen und schwarzen Farbe, in den Schlangen- und Skorpionen-Zeichen, Zwickeln, Stricheln, Ringeln, Kreuzen alle Schätze der Weisheit verborgen liegen, und bilden sich ein, das Wort ›Kolender‹ habe davon den Namen, daß er mit Kohlen und Ruß beschmiert und besudelt sein müsse, und wenn das geschehen, so sei der Sache ihr Recht widerfahren und es sei ihr geholfen. Daher möchte einer nicht unbillig mit Versetzung der Buchstaben also von ihnen schreiben:

Kolender = der Kolen.

Ihr meisterloses Volk, die ihr auf Gottes Kraft,
Auf Gottes Werk und Macht, Himmel und Sterne lüget,
Den einfältigen Mann mit Roth und Schwarz betrüget
Und oft für Sonnenschein 'nen kalten Regen schafft:
Wann doch, wann wollt ihr doch von dieser Thorheit lassen!
Ihr wißt oft leider nicht, wie es im Hause geh',
Ob Nickel oder Heinz drunten beim Weibe steh',
Und wollt doch Gottes Rath mit eurer Brille fassen.
Laßt ab, mein Gott, laßt ab! ich kann mich nicht erholen,
Hört auf, ich lach' mich krank über das schwarz- und roth-
Bemalte Buch, hört auf, ich lach' mich todt!
Hört auf, bringt Kreide her, ich mag nicht mehr die Kohlen!

Doch welch herrliche Ausflüchte sie nunmehr erfunden haben, wenn einer ihrer nachguckenden Nächtlinge so schreibt: solch und solch Wetter, Schnee oder Regen, Sonnenschein oder Nebel werde es da und da geben, jenachdem ein Land dazu geartet ist. Wem könnte es möglich sein in der Sternkunst zu fehlen? Es regne oder schneie, sie treffen es doch; ist das Wetter nicht nach dem Kalender, so ist es des Landes Schuld, welches anders geartet gewesen: es kann nicht fehlen, mein Zeiger ist richtig, aber die Sonne ist nicht recht gegangen. So ist vor Jahren Zickel auch ein Sternseher gewesen. Wenn ein Praktikenschreiber setzt: um drei Königetag werden die Musikanten lustig sein, um Fastnacht viel Leute närrisch werden, um Pfingsten werden viele im Grünen spazieren gehen, im Sommer werde große Hitze sein, im Winter werde manchem Manne die Zeit schwer fallen, – wer ist's, der ihn deswegen einer Unwahrheit zeihen könnte, da wir und jedes Kind es selbst gesehen, gehört und erfahren haben? Aber zum erbarmen!

Es ist ja eine Leichtfertigkeit,
Wo solche Ding' man prophezeit,
Als ob man Gott wollt' zwingen mit,
Daß so es sei und anders nicht:
Von Narrheit ist alle Welt betäubt,
Jedem Narren man jetzt glaubt;
Das geht nun ohne Straf' dahin,
Die Welt will nur betrogen sein.

Diesem unmäßigen Kalenderschreiben, diesem frevelhaften Wettermachen soll noch kann niemand wehren als die hohe Obrigkeit; weil aber diese in den mühsamen Zeiten sonst die Hände allenthalben im Haar hat, so wehret Gott selbst, indem er solche Propheten zu Narren macht und ganz anderes Wetter schafft, als sie in ihren Kalendern prophezeit haben: z. B. daß er kaltes Wetter kommen läßt, wenn sie einen Sommertag setzen, Regen schickt, wenn sie wollen spazieren fahren, sie also ihrer Thorheit in ihren Werken augenscheinlich überzeugt und aller Welt zu erkennen giebt, wie wenig eines Kalenderschreibers Worten zu trauen ist.

Darum denn ist ein Podagrist in seinen Wahr- und Weissagungen viel glaubwürdiger, sein kleiner Finger kann ihm sagen, was im ganzen Lande geschehen soll: und davon beißt keine Maus einen Faden ab. Es sollten sich schämen, ja schämen sollten sich die Astrologen und Praktikenschreiber, welche ihrer Kunst so ungewiß sind, daß auch ein armer, blockstillliegender, durch die Fenster sehender, oft unbelesener podagristischer Martermann es ihnen im Prophezeien weit, weit vorthut. Schämen sollten sich auch, ja schämen sollten sich diejenigen Astronomen und Kalenderschreiber, welche solche Phantastereien und wunderfisigunkischen Possen in ihre Kalender mit einmalen, daß die Welt davor steht und das Maul darüber gleichsam vergißt zuzuthun, ja bald zum Phantasten darüber wird.

Ich rede aber nicht von allen, – die Gelehrten und Erfahrenen behüte Gott! sondern nur von denen spreche ich, welche mit Hintansetzung der Dinge, die zu dieser Kunst eigentlich gehören, andere Sachen vorhaben, eine neue Theologie aus ihren Prophezeiungen erzwingen, eine neue Bibel aus ihren Demonstrationen schmieden und die Offenbarung St. Johannis durch ihre Brillen reformiren wollen. Ich rede und schelte auch nicht auf die edle Kunst an sich selbst, welche richtig gebraucht eine große unergründliche Gabe Gottes ist: denn die rechte Astrologie ist so hoch zu halten, so hoch des Erzvaters Joseph, des Propheten Daniel, der drei Weisen aus dem Morgenlande Kunst je zu halten gewesen ist. Aber, lieber Gott! wo ist derjenige, der noch ein Fünkchen von dieser alten chaldäischen Kunst übrig hätte? Wo ist der heutige Astrolog (ohne einen), der nicht lügt, der nicht die Welt äfft und betrügt?

Lieber! woher kommt es, daß heutiges Tages nicht zwei rechtschaffene Poeten mehr zu finden sind? Wo sind diese Gemüther hin gekommen? Ihre Seelen sind, nach pythagoreischer Weise, in der Praktikenschreiber Leiber gefahren, darum sind diese jetzt so verlogen geworden. Wenn die Poeten der Sage nach ihren Namen haben vom griechischen ποιετν, das ist machen, dichten: so sind ja die Praktikenschreiber die rechten Poeten, denn sie können meisterlich dichten, das ist lügen, reden, was erlogen ist; und diese Behauptung bedarf nicht viel des Beweises, alldieweil die Bauern es mit den Händen greifen können. Sie können es meisterlich machen, das bezeugen ihre Witterungen: denn sie machen das Wetter in ihren Kalendern, wie sie wollen, der Himmel aber macht es, wie er will; und nichtsdestoweniger bleibt ihnen der ruhmwürdige Name, daß sie rechte Wettermacher seien. Je höher nun die rechte Astrologie zu schätzen ist, je seltener ist ein rechter Astrolog zu finden. Was ist aber eigentlich für ein Unterschied zwischen einem erfahrenen Sternseher und einem Sterngucker? Und warum sind dieser so viele in einem Lande, jener kaum einer in der ganzen Welt zu finden? Ich glaube, daß aus dem leicht zu entscheiden ist: ein Löwe zeugt oft in einigen Jahren nicht ein Junges, eine Sau aber wirft das Jahr einige Mal und auf einmal bis an zwölf. Daher kommt es, daß die Welt mit so viel Wust und Unflat überschwemmt ist.

Die Astronomie ist mit Recht hoch zu halten, weil sie nach der Anleitung des Himmelslaufes die Unterschiede und Eintheilungen der Zeiten den gemeinen Mann kennen lehrt und so die Welt vor Unordnung, Verwirrung und Zerrüttung in sich selbst bewahren kann. Und wollte Gott, unsere heutigen Kalenderschreiber alle blieben hierbei: denn wahrlich! mehr als die Zeiten zu unterscheiden werden sie doch nicht wissen, und die sich mehr einbilden, dieselben haben unfehlbar Mangel im Hirn, Mangel im Säckel und in der Tasche, so daß sie Credit und Glauben darüber zusetzen und verlieren müssen. Hingegen ein Podagrist hat Ueberfülle an Credit bei ehrlichen Leuten, jedermann ehrt und respectirt ihn, jedermann lobt und dienet ihm; er aber dient Gott, an welchen er, wenn's das h. Podagra nicht thäte, sonst elementswenig (um recht podagristisch zu reden) denken würde.

Ein Podagrist ist wie das Heiligthum, niemand darf ihn mit Händen berühren; wer zu ihm kommt, der steht von ferne und schaut ihn an mit zimperlichen Geberden, wie Simeon auf der Säule. Da ist weder Weltfreude noch Kurzweil, weder Singen noch Springen, und wenn es besser, christlicher und erbaulicher ist im Klaghaus als im Schlaghaus, im Weinhaus als im Weinhaus zu sein, warum gehen wir nicht zu den Podagristen? warum haben wir nicht alle das Podagra sehr am Leibe, damit uns die Andacht besser komme und nicht so leicht erkalte oder sobald bei uns veralte?

Das Podagra ist nicht eine so grausame, allgemein grassirende, greuliche, unverständige, ungerechte Krankheit als es andere sind, wo oft das eine Glied sündigt und bubenstückt, das andere hingegen, das doch unschuldig ist, büßen und bezahlen muß. Nein, das Podagra hält besser Recht: es kann den rechten Kegel treffen, ja den König selbst und wirft oft alle Neun auf einen Streich; gar selten wird es sich anderswohin begeben als in die Finger und Zehen, in Hände und Füße, nämlich in diejenigen Glieder, welche es verschuldet und verdient haben. Wer hätte je das Podagra an der Nase, an einem Zahn oder am Bart gefühlt? Nein, die Hände wissen davon zu sagen, die in den thörichten Jahren griffen nach schwarzen Haaren; die Hände, die im Finstern getastet, im Busen genascht, getascht, gegriffen und gestrippt haben; die Hände, die so manches zierliche Glas mit Hamischen, mit Hambacher, mit Reichenweiher und Reichsfelder, mit Bacharacher und Dreckshauser, mit Neckar- und Klingenberger Wein angefüllt, mit zehn Fingern gefaßt, umfangen, zu Munde geführt, dem Gespan zugebracht haben, die müssen jetzt nach vollzogener Rechnung die Zeche bezahlen.

Wer sich in der Jugend wohl haltet,
Bleibt im Alter wohl gestaltet.

Sieh' nur, ob er nicht noch das Geld oder die Münze baar oder bündelweise im Knöchel trägt. Die Füße, die oft hingegangen, da andere gelegen, die müssen jetzt liegen, da andere stehen; das Ständchen-Winken, das Ständchen-Trinken – was sollte es anders geben als hinken? Wo sollte es anders seinen Ausbruch nehmen, als wo es hergekommen und seinen Anfang genommen hat?

Wie unverschämt tritt mancher starke Flegel einher, als ob der Boden für ihn allein gemacht wäre und er denselben unterdrücken wollte; er nimmt nicht in Acht, daß die Erde unser aller Mutter sei, aus der wir ursprünglich herkommen und worein wir endlich alle wieder müssen verscharrt werden. Ein Podagrist hat viel reifere Gedanken: sieh', wie leise geh't er herein, daß man wohl sagen könnte, er wollte, wie Brutus seiner Mutter, der Erde, einen Kuß geben mit den Füßen. Das sind gehorsame Kinder, die der Mutter so schonen, damit ihr kein Weh geschehe.

Wer in der Jugend gafft nach weißen Beinen,
Der in dem Alter schaut nach breiten Steinen.

Das Podagra – was besonders allen damit behafteten Personen höchst tröstlich ist – bleibt auch getreu bis in den Tod, es verläßt den Menschen in keiner Noth. Andere zufällige Krankheiten sind heute da, morgen dort, anders begehrt man's auch nicht: diese aufrichtige Krankheit aber verläßt ihren Mann nicht bis ins Grab. Ein treuer Freund ist nicht mit Geld zu bezahlen, in Noth und Tod kannst du dich auf ihn verlassen, denn er wird dich nimmermehr verlassen. Was ist damit anders gesagt, als daß man von dem Podagra solche Freundschaft zu gewärtigen habe?

Das Podagra ist eine ansehnliche Krankheit, von hoher Dignität, man sehe, ob sie bei einem Karrenzieher, bei einem Sackträger einkehre; nein, es sei denn, daß sein Vater ein Herr und seine Mutter dessen Magd gewesen. Aber bei Fürsten und Herren, bei Reichen und vermögenden Personen will das Podagra einziehen und wohnen: die sich in der Jugend ritterlich im Turnier gehalten, sich um dasselbe wohl verdient, alle Winkel durchstrichen, alle Kammern durchschlichen, alle Gläser ausgewischt, alle Schüsseln ausgefischt haben, wodurch sie denn zu billiger Belohnung wiederum so bekramt werden.

Die Franzosen nennen es les gouttes, das Tröpflein; ich will lieber sagen das Schöpflein als das Tröpflein; aber viel Tropfen geben auch einen Schoppen, darum hüte dich vor den Tropfen, dann wird dich das Podagra nicht mehr zopfen.

Was kann einer, der das Podagra hat, nicht lernen? Alle Künste, alle Welthändel und Geschichte, ja lernen ohne Mühe, ohne Kosten und Gefahr. Ziehe nach Asien, wen's gelüstet: wird er nicht wegen der Türken und Sarazenen in Gefahr des Leibes und der Seele kommen? Gehe hin nach Afrika: wird er nicht in Gefahr des Leibes und Lebens gerathen? Fahre hinein nach Amerika: wirst du nicht ebenfalls in Gefahr des Leibes und Lebens kommen und dem Fitzliputzli gar ins Loch gerathen? In unserm Europa, in Spanien, Italien, Frankreich: wirst du nicht in Gefahr Leibes und der Seelen gerathen wegen der grausamen Feinde hinten und vorn, innerlich und äußerlich, unten und oben, hüben und drüben? Du wirst alle deine Mittel verzehren und doch wenig Gottesfurcht dabei lernen und lehren: aber habe du das Podagra, so wirst du Nachts in deiner Sicherheit liegen, Tags außer aller Gefahr sein vor Mördern, wilden Thieren und vor Wasser, du wirst lernen können, was du willst und ohne Fußverstauchung wissen, was die Brahmanen mit des Königs Braut in Calcutta machen, wenn sie die erste Nacht bei ihr schlafen, damit der König kein Hindernis finde; du wirst sehen, was der König von China in Quinsay, seiner Stadt, mache, wiewohl keinem sobald erlaubt wird dahin zu kommen. Das muß ein scharf-grad-durchsichtiges Perspectiv sein, das muß ein geschickter Doctor sein, der einem zu Speier diejenigen krummen Dinge zeigen kann, um deren willen er sonst nach Venedig und Konstantinopel, nach Astrachan, Ispahan und Kairo, nach Ormus, Kusco und Mexiko reisen müßte. Und wenn nachmals etliche aus Unverstand oder Unwillen wider das Podagra ohne Grund vorgeben wollen, diese und dergleichen Sachen wären nur Zeichen davon, daß das Podagra dem menschlichen Geschlecht viel mehr zum Verdruß und Untergang als zur Gunst und Wohlthat entstanden wäre, da es die Gestalt verstelle, das Blut erschöpfe, die lebhafte Farbe verzehre, die Kräfte vertrockne, den Schlaf abwehre, das Gesicht verzehre, Lust und Freude, Schimpf und Scherz verjage, die Finger, die Glieder, Schultern, Kniee, Schenkel, ja den ganzen Leib verkrümme, schwäche und breche: – so giebt doch dieses Vorgeben nur zu erkennen, daß solche Leute mehr auf des irdischen Leibes Lust als auf die edle Seele und das Gemüth achten. Es geht dem lieben Podagra wie christlichen Leuten, die von einem Bösewicht hinterwärts verkleinert und ausgetragen werden; dieselben kann man doch nimmermehr mit Fug schelten ohne sonderliches Lob und Ehre: denn indem das Podagra dem sterblichen Leibe schadet, nutzt es der unsterblichen Seele; indem es das Fleisch züchtigt, stärkt es die Seele; indem es die Weltlust austreibt, bringt es Lust nach himmlischen Dingen. Es ist ja kein Mensch so unverständig, der nicht wüßte, daß der Leib der Seele Feind ist, und die Seele nicht kann erhalten werden, es sei denn daß der Leib leide. Die Bürde des Leibes ist so schwer, daß der Mensch sich nicht hinauf zu Gott begeben mag, er habe denn diese Bürde zuvor abgelegt; der Leib ist gleichsam ein Nebel, der die geistigen Augen der Seele verhindert, daß sie nicht hinauf zur Sonne der Gnade gelangen könne. Ach was muß die arme Seele nicht leiden um des elenden Leibes willen, damit er seinen Unterhalt, seine Befriedigung, seine Lust und Freude auf Erden habe! Denn daher kommt Angst, Sorge, Bekümmernis des Gemüths, Einfälle, Argwohn, Furcht, Einbildung, Betrübnis, Begierden, Liebe, Haß, Neid und anderes mehr, was der armen Seele dieses Leben so sauer, so blutsauer macht, daß sie gleichsam in einem glühenden Ofen ohne Aufhören muß sieden und wallen. Woher kommt Krieg, Aufruhr, Streit, Zank, Schmach, Todtschlag, Raub, Brand und andere Plagen als von der unersättlichen Lustseuche des Leibes? Denn um des Geldes willen thut und leidet man alles: das Geld aber begehrt man wegen der Erhaltung des lieblosen Leibes, und jemehr wir diesem zu Gefallen thun, umsomehr sind wir der armen Seele zuwider. Die äußeren Sinne des Menschen sind wie die unbändigen und ungezäumten Pferde, die an einen Wagen gespannt ohne irgendwelche Regierung laufen, wohin sie wollen, eins da das andere dorthin. Wo aber die Seele ihre Wirkung auszuüben vermag, da dient sie den äußerlichen Sinnen als ein treuer Fuhrmann, der sie in die rechte Bahn leitet; und gleich wie solche geile Pferde ohne einen Fuhrmann sich selbst einander zu Boden rennen und verderben, so wird der Leib ohne Beistand der Seele sich in den Untergang stürzen. Darum entschlagen sich die weisen Leute allzeit der Welt und deren Lüsten, um der Lust der Seele genießen zu können: denn wer der Seele Heil in Acht nimmt, der achtet nicht, was Adel, Reichthum, Glück und Wollust den Menschen für einen blinden Dunst vor die Augen bringen. Ja die freie Seele achtet weder Schmach, noch Armuth, noch Elend, noch Tod und begehrt mit allem Ernst, was dem Leib zuwider, ihr aber nützlich ist; was aber allein dem Leibe dient, das muß unwidersprechlich der Seele zuwider werden. Es leide nun der Leib, was er wolle, wenn die Seele wohl ist, so steht alles wohl; wenn aber die Seele in Gefahr ist, wehe dann dem herrlichen Leib, der sich so quälen und der so leiden muß! Die Seele ist das Bild Gottes, ohne die Seele ist der Leib mehr einem Strick oder wilden Thier als einem Menschen zu vergleichen. Wie köstlich nun die Seele nach genannten Gründen vor dem Leibe zu achten ist, ebenso herrlich ist das Podagra zu achten, weil es die Seele in ihrer Vollkommenheit erhält. Zudem ist das Podagra dem Leibe selbst, den die thörichten Menschen so hoch achten, nicht allezeit zuwider. Was steht einem Menschen übler an, als wenn er einen feisten, ausgemästeten ungeheuren großen Leib hat wie ein Schwein, das da schnauft und bläst und daliegt, als ob es vor Fett ersticken wollte? Was ist einem lieben Weib verdrießlicher, als wenn es einen so unbehilflichen schweren Mann an und um sich leiden muß, der, wenn er soll zu Pferde sitzen, zehn Mann bedarf, die ihn darauf heben und halten? Wer kann solche unliebliche dicke Leiber in eine feinere, geschmeidigere Form bringen, wenn nicht das Podagra? Das nimmt und verzehrt die überflüssigen Feuchtigkeiten des Leibes und macht den Menschen fein fertig, während er sonst wegen seiner Unbehilflichkeit in nicht geringe Gefahr des Lebens gerathen müßte. Was scheut der weltliche Mensch mehr als den Tod? Was läßt den Menschen länger leben als das Podagra? Denn es zieht alle gefährlichen Flüssigkeiten in die Finger und in die Füße, die sich sonst auf die Leber, aus der Leber in die Milz, in die Nieren, in die Galle, in den Magen, aus dem Magen in das Haupt und herab in das Herz setzen und dem Menschen in einem Augenblick den Garaus machen würden.

Es ist wahr: so lange der Mensch das Podagra in Händen und Füßen hat, so lange ist er vor dem Tode gesichert und kann nicht sterben; er esse und trinke, was er immer wolle, er lebe gleich hin, wie er immer wolle. Die Untugenden und Laster sind das abscheulichste Ding, was an einem Menschen zu finden ist: es ist aber kein Weltweiser, kein Geistlicher so geschickt die Laster zu vertreiben und auszurotten als das Podagra: denn es wehrt nicht nur, daß der Mensch in keine Laster falle, sondern es zieht auch diejenigen wieder heraus, die vorher im alten Schlamm gelegen haben. Ohne diese treue Rettung müßte oft mancher Mensch mit Leib und Seele verderben.

Das Podagra wehrt dem Hauptlaster, der Hoffahrt und dem Ehrgeiz und lehrt, wie nicht auf die schöne Gestalt, die Stärke des Leibes, auf Adel, Ehre und Herrlichkeit der Welt zu achten ist und schafft dadurch, daß die Menschen sich selbst erkennen lernen und wissen, daß sie Menschen und mehr nicht als Menschen seien.

Das Podagra lehrt durch seine Gegenwart, wie man sich des Neides, des Eifers, des Verleumdens und Lästerns, des Vorwitzes und anderer ungebührlicher Dinge enthalten solle: denn wie sollte ein vernünftiger Mann in fremden Händeln vorwitzig sein, zu fremden verhaßten Dingen sich gebrauchen lassen, da er in seinem eigenen Zustande nicht kann Mittel finden?

Das Podagra hat diese Kraft,
Daß es sanftmüth'ge Menschen schafft.
Wer sich fürchtet vor des Podagras Wüthen,
Mag sich vor Neid und Eifer hüten.

Das Podagra nimmt hinweg allen bösen Willen des Menschen, so daß er weder auf Trug noch List, weder auf Feindschaft noch Zwietracht, noch Zank, Streit und Krieg sinnt, sondern allein dafür sorgt, wie er seine Sachen gut abwarten könne. Denn wer mit sich selbst zu thun hat, der vergißt gar leicht eines andern, wenn er bei Vernunft ist.

Drei Dinge hingegen sind es, welche dem Podagristen Schmerzen verursachen: die Gurgelfreude, die Buhlerei und der Jähzorn. Wenn das Podagra Einzug bei einem Menschen hält, so denke sich der Mensch, es stehe selbst vor ihm und frage, was man von ihm begehre und warum man es berufen habe? Antwortest du nun, du begehrest seiner nicht, so wird es dir also begegnen und sagen: Mein lieber Freund, du hast mich geladen, da bin ich. Ich habe dir durch viele Exempel schon genugsam zu verstehen gegeben, daß du der starken Getränke, des Zechens und Zehrens, des Naschens und Taschens, der Buhlerei und Leckerei, des Jähzorns sollst müßig gehen: hast du es gewußt und doch nicht gehalten, so leide nun jetzt die Streiche, die dein Ungehorsam wohl verschuldet hat und sei ein andermal witziger als du mit deinem Unfall bisher gewesen bist. – Ist das nicht eine große Treue, wenn man einen so vor Schaden warnt? Wie könnte der beste Freund mehr thun bei einem Menschen, als wenn er ihn von seinem Untergang abmahnt und abhält? Ist das nicht eine große Thorheit, wenn man weiß, welches Uebel aus einem Dinge entstehen werde, und will sich dennoch nicht davor hüten? Also du essest oder trinkest, du buhlest oder wühlest, du zürnest oder lachest: denke an das Podagra, so wirst du nimmermehr zuviel thun! Darum bleibt es einmal unverwerflich dabei, daß das Podagra ein heiliges Ding ist, weil es den Menschen von den größten Lastern, der unmäßigen Sauferei und Buhlerei abhält, ja durch seine Macht vermittelt, daß die Weiber und Jungfrauen desto sicherer bei Ehren und in besserer Ruhe leben und bleiben können. Thu' du dawider, wage es drauf, so keck als du bist: siehe aber zu und erwarte, wie dir das Podagra auf frischer That lohnen wird, so daß du endlich die Weiber und Jungfrauen weder sehen noch um dich wirst leiden wollen, weniger als ein Karthäuser.

Die das Podagra schelten, thun es entweder aus Zorn, aus Haß oder aus Ungeduld: dies sind drei große Untugenden, vor denen sich ein rechter Christ billig hüten sollte.

Wenn Zorn den Menschen überwind't,
Dann weiß er minder als ein Kind;
Der Zorn hindert des Weisen Muth,
Wer zornig, weiß nicht was er thut;
Wer sich ergiebt der Ungeduld,
Derselbe fällt in Sünd' und Schuld.

Wir Menschen insgesammt sind so geartet, daß, wenn es uns immer nach Belieben und Willen ginge, wir uns und unsere Untüchtigkeit nimmermehr recht erkennen noch Gott fürchten lernen, sondern mit stetigen Weltgedanken wie das dumme Vieh umgehen würden, so daß weder Recht noch Billigkeit, weder Gesetz noch Ehre bei uns fruchten würde. Aber das Podagra lehrt die Augen aufthun, gen Himmel sehen, die Welt und ihr Wesen verachten und betrachten, wie so gar elende Menschen wir alle sind, wie vergebliche Hoffnungen wir uns machen, wie all unser Sorgen, Dichten und Trachten umsonst und vergebens sei; es lehrt bedenken, was die Frommen für Gnade, die Gottlosen für Strafe zu gewärtigen haben; es lehrt einen Mann von Herzen beten, Gott von Herzen anrufen, ehren und loben: ja erkennen, daß der Herr sei über Gesunde und Kranke, über Himmel und Erde. Was kann nun dem Menschen nützlicheres, seligeres gegeben werden als die Erkenntnis seines Schöpfers, und daß in guten wie in bösen Tagen er ihm still halten und für seine väterliche Heimsuchung danken und ihn, wenn er von den Schmerzen erlöst wird, loben soll? Wenn man von Geduld reden will, mein Lieber, wo ist diese mehr zu finden, als bei einem Podagristen? Wer hat jemals einen Podagristen fluchen hören während seiner größten Schmerzen? Aber bald wird man von ihm hören, daß er bete. O der heiligen Leute, der edlen Geduld, die sonst nicht bei jedermann daheim ist! Ist das nicht große Geduld, daß, wenn einem ein feuriges Drähtlein, ein feuriges Messer von einem Glied durch das andere geht, zwickt und pickt, zwackt und packt, reißt und beißt, sengt und brennt, er dazu die Ohren muß spitzen und schwelgen, als ob man ihm den Rücken kratze? Ist aber einer noch hitzig, ungehobelt, hartnäckig und wollte sich sperren und deswegen poltern, pochen und widerstreben: den kann das Podagra in einem Tage so gelinde und geschmeidig machen, daß er sich ließ um einen Finger wickeln; und wer wollte nicht gern in herzbrennender Geduld still halten und büßen, auf daß er einen so heiligen Namen erlange? Zeig mir einen bösen Buben, den das Podagra nicht fromm gemacht hat; einen unehrbaren, den es nicht ehrlichen Leuten gleich gemacht hat; einen stolzen und hochmüthigen, den es nicht sanft und demüthig gemacht hat; einen gehässigen, den es nicht freundlich gemacht hat; einen widerspenstigen, den es nicht gehorsam gemacht hat; einen hartnäckigen, den es nicht unterthänig gemacht hat; einen muthwilligen, den es nicht eingezogen gemacht hat; einen strengen, den es nicht gütig gemacht hat; einen gebetlosen, den es nicht andächtig gemacht hat; einen geizigen, den es nicht barmherzig gemacht hat? In Summa Summarum: Glauben haben, Hoffnung haben, Liebe haben, Geduld haben, zeitliche Dinge verachten, nach himmlischen Dingen trachten, mit Verstand und Vernunft alles angreifen, das Gute vom Bösen unterscheiden, Gott über alles lieben, ehrlich sein gegen jedermann, niemand Schaden thun, wider Recht nichts handeln, des Armen sich erbarmen, übles nicht mit üblem vergelten, weder durch Geschenke, noch Vortheil, noch Gunst, noch Hoffnung von dem Rechten abweichen, sondern in allen Dingen die Gerechtigkeit vor Augen haben, das Irdische aus den Sinnen schlagen, allein nach Gott und dem Ewigen fragen, das Böse willig leiden, die böse Lust tödten, sich an seinem Gemahl allein genügen lassen, aber anderer Leute müßig gehen, nicht leicht jemand hassen und neiden, ja in allen Dingen Maß halten, sich selbst erkennen lernen, das Ende bedenken, – das alles sind Werke und Wirkungen der edlen Tugend, der Herrscherin Podagra. Es ist also schließlich allzeit besser, der Leib leide als die Seele, und es ist der Mensch am gesundesten zu der Zeit, wenn er am Podagra krank liegt. Wer wollte diese himmelweisende Zuchtmeisterin nicht gern um sich haben? Muß man doch von einem Arzt oft höllische Pein und Marter leiden mit Feuer, mit Eisen, Wasser, Gift und Galle, mit Arzeneien, welche ärger und schrecklicher sind als der Tod selbst, die zudem oft wenig, meistentheils nichts helfen, wobei aber Hab und Gut muß zugesetzt werden. Hingegen das Podagra vergeht für nichts, um nichts, von sich selbst, ist sich selbst Arzenei, wenn man es nur leiden mag und ihm will gehorchen nicht zu seinem Schaden, sondern zu seinem großen Gewinn.

Alle andern Krankheiten sind so geartet, daß sie den Menschen endlich in den Tod bringen, ja ihm oft Sinne und Gedanken so ganz nehmen, daß er an seine Seligkeit nicht denken kann: das Podagra macht solch gefährliche Dinge gar nicht, sondern es weiß zu seiner Zeit wie ein treuer Vater, wenn es lange genug gestäupt hat, wiederum nachzulassen; es züchtigt, aber mit Maß, zur Buße und zur Besserung des Lebens.

Obwohl nun tausend herrliche Dinge und Tugenden sind, die aus dem edlen Podagra herrühren, so will ich doch derselben dies Mal geschweigen und nur noch dies einzige sagen: das Podagra ist eine rechte Heldenkrankheit, eine Krankheit in Glück und Unglück, eine hochgeborne hochedle Krankheit. Denn nicht zu sprechen von Kaisern, Königen, Fürsten, Grafen und Herren, die heute leben und ohne das Podagra nicht leben können oder wollen: wer möchte nicht gern durch das Podagra in die liebliche Gesellschaft des alten Königs Priamus, des Archesilaus, des Bellerophoutes, des Oedipus, des Presthenes, des Lykon gezogen werden? Wer möchte sich weigern, wovor sich die vortrefflichen Helden Prothesilaus und Ulysses nicht geweigert haben? Man sage von Achilles, was man wolle, daß er ein arbeitsamer, geschwinder Fürst gewesen sei, der nimmer Ruhe gehabt habe: so sage ich doch, daß das Podagra bisweilen seiner so sehr Meister geworden ist, daß er nicht hat können vom Lager kommen. Und wenn niemand wäre als Erasmus von Rotterdam allein, der seine trefflichsten Sachen im Podagra geschrieben hat: sollte nicht ein weiser Mann lieber mit solchen Helden alles leiden, als mit einem Halunken und faulen Gesellen die Zeit in ungeschmackter stinkender Fröhlichkeit hinbringen?

Ob auch schon das Podagra ein verhaßter Name ist bei vielen Menschen, das hindert nichts; ein böser Name soll einem ehrlichen Manne nichts schaden, noch seine gerechten Sachen böse machen: wie es hingegen einem Bösewicht nichts nützen mag bei verständigen Leuten, wenn er auch einen noch so vortrefflichen Namen hat.

Wer nun das Podagra am Leibe hat, der behalte und pflege es wie einen unsterblichen Gast des Leibes und lasse sich ja durch keinen weisen Meister bethören, daß es durch einen Aspekt könne vertrieben werden. Denn eben der aspexit ist des Podagras Vater und der inspexit ist seine Mutter: zu viel angucken, zu viel einschlucken, zu viel die Nase bücken, zu viel die Hände drücken, zu viel die Haut jucken – macht in dem Bett hucken.

Wenn du hast mit Bankettiren,
Frauendienst und Ueppigkeit
Zugebracht die junge Zeit,
Mußt dem Podagra hofieren:
    So ist patientia
    Nur das beste Mittel da. – –

Dies war das herrliche Mittel, das der Alte dem armen Patienten für das Podagra schriftlich zustellte. Möge es nun probieren, wer da will und vermeint, daß er davon Nutzen haben könne.

Mit der Abschrift dieses Recepts hatte ich den ganzen Vormittag bis zum Mittagsmahl zugebracht. Nachmittags um ein Uhr hörte man ein Getümmel und Geschrei im Hof, und als der Burgvogt fragen ließ, was und wer es wäre? ward ihm gesagt, daß etliche Leistenbekleider an einander gerathen wären und mit den Knieriemen einander eine gute Fahrt fein trocken abgezogen hätten, so daß zwei zu Boden gefallen. Das wurde dem Haushofmeister hinterbracht, der sie sogleich vor sich fordern ließ und zornig zu ihnen sprach: »Wie, ihr Halunken mit einander, seid ihr so verwegen, daß ihr in meines allergnädigsten Königs und Herren Burg und Zwinger solche Händel anfangt? Wie seid ihr so frevel, daß ihr Seiner Maj. Burgfrieden so habt verachten und brechen dürfen! Wißt ihr nicht, was denen daraus steht, die so Ungebührliches in solcher Herren Häuser thun und in denselben den Frieden brechen? Wißt ihr auch, daß es euch wird die Hände kosten, wenn ihr sonst nichts habt? Meint ihr, es sei mit Herren zu scherzen wie mit euresgleichen? Meint ihr, weil es den Herrschaften selbst erlaubt ist in ihren Festen und Burgen alle Freiheiten zu üben: prügeln, peinigen, Frauenzimmer besuchen und andere fürstliche Tugenden in Essen und Trinken, Mummenschanz und Gastereien, daß es euch darum auch erlaubt sei dergleichen anzustellen? O weh nein, es ist ganz anders: Fürsten und Herren lehren uns aus ihren Handlungen, daß sie einen andern Himmel und Herrgott haben, als so lose Leute; sie sind Herren und haben solche Gesetze selbst gegeben, und mögen sie sie halten oder nicht, darüber hat mit ihnen niemand zu disputiren. Aber ihr Bösewichter, wisset ihr nicht, wie Neptun vor Jahren des Aeolus Unterthanen tractirte, als sie in seiner Residenz den Burgfrieden brechen wollten? Quos ego! Laßt mich nur nicht hinter euch! Sonst wenn ich euch dem Thürmer übergeben muß, so solltet ihr mir euer Lebtag nicht wieder aus dem Loch kommen.« Wiewohl nun die Beiden bereits ihre Stöße davon hatten, die sie auf dem Rücken fühlten, weswegen sie sich nicht wenig schämten aufzusehen, hob der eine, in Anbetracht daß der beleidigte Theil immer einen günstigen Richter erwartet, also an zu reden: »Gnädiger Herr, seid ihr der Herr Burgvogt oder seid ihr der gnädige Herr selbst? Aber es gilt gleich, ihr seid wohl ein gnädiger Herr, und darum hoffe ich, werdet ihr mich gnädig anhören. Denn ich habe allzeit gehört, daß ihr ein gnädiger Herr seid und daß ihr mich gnädig anhört und darum will ich eben sagen, wie es ist und bitte Ew. Gnaden um Gottes willen, ihr wollet mich anhören, denn es ist mir und meinem Gesellen hier gräßlich großes Unrecht geschehen. Ew. Gnaden können fragen lassen, wie's gekommen ist, sie werden hören, wie es uns ergangen ist, Ew. Gnaden können es selbst sehen, wir bluten wie die Säue und bitten Ew. Gnaden, sie wollen uns anhören und uns Recht widerfahren lassen, daß die zwei Stümper da uns so tractirt haben, die zwei da; wir haben ihnen kein Leids angethan, und so haben sie uns zerschlagen; ich bitte Ew. Gnaden um Gottes willen, sie wollen uns hören und sie darum strafen ein ander Mal zum Exempel.«

»Ihr ahligen Lecker, sprach der Burgvogt, einer mit dem andern; ich hätte Lust, euch alle vier in die Eisen schlagen und in den Thurm werfen zu lassen; vielleicht habt ihr beide die Händel selbst angefangen und wollt euch jetzt nun mit den blutigen Köpfen weiß brennen. Welcher St. Velten hat euch eurer Sinne so beraubt, so frech und kühn gemacht, daß ihr da in den Burgfried kommt und den Frieden brecht? Wo kommt ihr her? Wer seid ihr? Seid ihr Junker, oder Bürger, oder Bauern, oder wer seid ihr?« Da hob einer der Schuhflicker an (der meines Erachtens ein Studentenschuster oder Calefactor gewesen, weil er beredt war wie der vorige und zuweilen ein lateinisch Wort mit den Leisten unterwarf), einen tiefen Seufzer auszulassen um damit anzuzeigen, wie große Gewalt er gelitten und wie gar gerechte Sache er hätte: »Gnädiger Herr, ihr werdet ebensowohl unser gnädiger Herr sein, wenn ihr auch Burgvogt seid; ich will euch antworten auf eure Fragen: wir sind keine Junker, auch nicht Bürger, auch keine Kaufleute, auch keine Bauern, sondern wir sind so etwas, ein Theil und etwas weniger, ein Theil und etwas mehr, wir sind also halb und halb: wir sind eines mittelmäßigen Standes und Schuster bei der alten löblichen hohen Schule Löwen in Brabant, und ich insonderheit habe dem vortrefflichen Manne Lipsius seine Schuhe gemacht und seine Leisten noch im Sack, die ich nicht möchte für 1000 Kronen hergeben und hoffe, sie werden noch dermaleinst als ein Heiligthum verehrt werden. Wenn Ew. Gnaden billigen Zorn haben, so will doch ich und mein Gesell dort entschuldigt sein, und wir wollen keine Schuld daran haben, denn wir sind ganz unschuldig; es ist an uns Gewalt geschehen, so daß ich nicht glaube, man werde uns Schuld geben können. Ich bitte Ew. Gnaden, sie wollen sich nicht über mich und meinen Gesellen erzürnen, denn wir wollen unschuldig sein und wollen's nicht gethan haben. Ich habe vielmals gehört, wenn ich dem Lipsius, diesem Wunder von Gelehrsamkeit, die Schuhe über den Leisten geschlagen hatte und sie ihm zurück brachte, daß er gesagt: wenn einem einer eine Maulschelle giebt, so mag er ihm einen Tatsch dagegen geben, wenn man einen schlägt, so mag er wieder schlagen, wenn mir einer eins giebt, so soll ich's ihm wieder geben, dann seien wir quitt. So haben wir es auch gemacht: diese beiden Bärenhäuter die haben uns angelaufen und angelaufen und angelaufen, daß wir uns kaum haben erwehren können; ich hoffe demnach, Ew. Gnaden werden uns nicht verdenken, daß wir uns ihrer gewehrt haben; ich möchte den Mann sehen, der sich könnte uns ungewonnen geben. Doch wenn Ew. Gnaden es nicht können gut sein lassen, daß wir uns in der Burg miteinander geschlagen haben, so wollen wir beide protestirt haben, daß wir unschuldig sind, daß wir nicht angefangen, sondern uns nothwendig unserer Haut haben wehren müssen. Es ist eine abgedrungene Nothwehr gewesen, wir haben Ehren halber nicht anders gekonnt, es ist unserer Reputation ein Großes daran gelegen bei unserer Kunst; was hat ein ehrlicher Mann sonst mehr als seine Reputation, sie ist ja der größte Schatz, den ein Mensch haben kann: Reputation verloren, alles verloren. Die Perlen, die aus Indien kommen, sind nicht mit der Reputation zu vergleichen; ich halte mehr auf die Reputation als auf alle à la mode- Hüte, die in Frankreich sind. Man sage mir nichts von den westphälischen Schinken, man rede mir nichts von dem schwarzwälder- und holländischen- noch vom Münster- Käse, man sage mir nichts von den welschen Knackwürsten, man sage mir nichts von kleinem spanischen Brot oder à la mode-Pasteten, man sage mir nichts vom rheinischen Wein –: die Reputation geht mir weit darüber. Ein ehrlicher Mann soll sich die Reputation höher angelegen sein lassen als sein Kleid, ja als das Leben selbst. Ich habe oftmals zu Brüssel am Hofe gehört, was die Spanier dazu sagen: es giebt kein Leben ohne Reputation.«

Eine ziemliche Anzahl Volks, das wegen des ersten Geschreis herzu gelaufen war, stand da und hörte dem Herrn Schuhflicker mit großem Gelächter zu, daß er die Reputation mit dem Käse, den westfälischen Schinken, den Knackwürsten und dem Rheinwein verglich, und einer der Umstehenden sagte (wie denn dem alten Brauch nach ein jeder will seine Meinung und sein Urtheil dazu sprechen): »Ich glaube, wenn dieser Schuster sterben soll, er wird unter die berühmten Männer dieser Zeit gerechnet werden; nimmer glaube ich, daß Cicero den Milo so vertheidigt hat, es wäre ihm sonst gewiß ein besseres Urtheil widerfahren. Gewiß wird er von dem Lipsius, von dem er zuvor erzählt, etliche Casus bekommen, Patronen daraus geschnitten und das Latein und diese herrlichen Sprüche daraus gelernt haben: er weiß auf alles zu begegnen, als ob er dem Demosthenes auch die Schuhe gestickt hätte; ich glaube wahrhaftig, er hat in seiner Jugend bei einem Maurer, der den Thurm zu Babel hat bauen helfen, gedient, weil er so viele Sprachen neben seiner Muttersprache reden kann. Aber über seine Gleichnisse ist sich nicht so sehr zu verwundern, denn es redet ein jeder von dem, womit er um sich wirft.«

»Was, Reputation? rief Expertus Robertus, der eben dazu kam: sollt ihr Schuhflicker auch dies lose Fürwort als kahle Entschuldigung gebrauchen, soll ein Schuhflicker auch der Reputation wegen sich spreizen und sperren? Ist es nicht genug, daß Fürsten und Herren, Könige und Kaiser dieser elenden Eitelkeit selbst bis zur Verdammnis sich bedienen? Ist es nicht genug, daß bei den meisten Ständen des Reiches jede Verhinderung des edlen Friedens einzig und allein von eines jeden Privatinteresse und Reputation herrühren, und daß keiner dem andern in etwas will weichen und nachgeben, auch nicht in losen Titeln und Wortstreitigkeiten, damit er ja die Reputation davontrage? Sollte denn Gott diese lose Reputation nicht ewig strafen? Ja, menschlich davon zu reden, hätten nicht die bedrängten Deutschen lange den Frieden haben können, wenn nicht die lose Reputation der Potentaten daran gehindert hätte? Meinen denn die Fürsten und Herren, daß ihnen Gott besondere zehn Gebote gegeben habe und ihnen wegen ihrer Sünden am jüngsten Gericht ein besonderes Urtheil sprechen, ihre Ausflüchte der verdammlichen Reputation anhören, annehmen und gelten lassen werde? Nein! so wahr Gott lebt, es wird nicht geschehen: denn so wahr er ein kleines Sündlein eines armen Bürgers kraft seiner Gerechtigkeit nicht ungestraft läßt, so wahr wird sein strenger brennender Zorn die großen Berge der Sünden, welche Fürsten und Herren, Gott zu bestürmen, zusammen häufen und durch die Hände der Reputation aufführen, in die Hölle stecken und verbrennen! Ist es nicht genug, daß Fürsten und Herren, indem sie wegen der blutten und bloßen Reputation oft lassen einen Bedrängten mit Weib und Kind zu Schanden gehen, einen großen Theil ihrer zeitlichen Herrlichkeiten und andere hohe Dinge darüber einbüßen, sondern daß sie auch wollen die Seele dadurch in Gefahr und in ewiges Verderben setzen. Ist es nicht genug, daß die Reputations-Fürsten und -Herren so eingenommen sind, daß sie es für einen Spott halten, wenn sie dawider etwas lesen und hören, sondern es muß auch noch dahin kommen, daß ihr euch mit dieser behelfen wollt, sie über eure Seligkeit selbst haltet und es nicht nur bei Worten bewenden, sondern sie auch herausbrechen und zum schlagen kommen laßt! Ein leichtfertiger Lakai etwa, der mit seinem Gesellen einen Stüber verspielt, achtet es seiner Reputation zuwider, wenn ein lausiger Lottelbube den andern Lügen straft, obwohl sie zuvor die besten Freunde und Brüder waren, sie gehen hernach doch wie Teufel auf einander los, stoßen plötzlich einander die Rappiere in das Herz und besudeln die Hände mit Blut zur Erhaltung der Reputation: Reputation, wenn ein Blutsfreund den andern jämmerlich auf den Tod verfolgt, weil dieser ein Student, jener ein Unerfahrener vom Adel ist. Was den Teufel lassen sie diese ihre Reputation nicht sehen vorn an der Spitze in einem Treffen wider die Feinde des Vaterlandes? Oder wenn sie sich wegen der Reputation wollen die Gurgel abschneiden lassen, warum thun sie dies nicht auf der Straße unter dem lichten Galgen, damit man die Kosten des Begräbnisses spare? Meint ihr Lederlecker, daß man hier nichts weiter zu thun habe als eure närrischen Reputationshändel zu schlichten und zu richten? Die Reputation soll dir wohl zu beißen geben, weil du sie so hoch hältst; es ist gewiß auch aus Reputation, daß du dies dein Handwerk eine Kunst nennst wie jener Hanfmacher von Vinstingen. Es werden also auf Erden bald keine Handwerker mehr sein, sondern eitel Künstler, während ihr doch, wenn ihr elenden Leute wüßtet, daß Kunst nach Brot gehen muß, dieser bald vergessen und an eurem Handwerk euch würdet begnügen lassen.«

»Gnädiger Herr, sprach der vorige, ich bitte, Ew. Gnaden wollen sich nicht erzürnen, der Zorn möchte ihnen sonst wehe thun. Ich bitte, ihr wollet mich zuvor ausreden lassen, sonst wenn ihr meine Sache noch nicht recht versteht, möchtet ihr leicht ein falsch Urtheil über mich fällen«; und er fuhr, obwohl man ihm wehrte, doch in seinem Geschwätz fort und sprach: »Ich bitte, Ew. Gnaden wollen mich hören, bei seinem guten Gewissen, denn es ist Ew. Gnaden und der Christenheit selbst daran gelegen; ich will's euch vollends erzählen, ei ich bitte, verhindere mich nur keiner mehr, ich will's erzählen haarklein, wie es hergegangen ist, ich bitte darum; ich wollt lieber ein Schaf sein, ehe ich schwiege. Wir beide sind nach dem Essen aus der Stadt gen Heuerle gegangen und haben allda besehen wollen, wie der Herzog von Arschot sein fürstliches Haus, welches Lipsius so hoch lobte, baue, um ihm etwa aus unserer Kunst einen guten Rath mitzutheilen, auch um uns ein wenig zu erholen und die Schenkel von dem steten Sitzen und Klopfen wieder in den Gang zu bringen und um gern ein halbes Maß rheinischen Wein daselbst zu trinken und die Zeit nach unserer Gewohnheit mit der Kegelkugel oder dem Mantelspringen ein wenig zu vertreiben. Und wie wir's vorgehabt, so haben wir's auch gethan. Als wir aber im Wirthshaus an der Schwelle standen, kamen uns diese zwei Fratzhansen hinten nach und fragten uns ohne weiteres Bedenken, wo wir hin und was wir thun wollten, grade als wären wir schuldig gewesen, ihnen unserer Handlungen wegen Rechenschaft zu geben. Aber was wollten wir machen? Sobald wir sagten, daß wir einen Trunk thun wollten, sagten sie, sie wollten uns Gesellschaft leisten, obgleich wir sie gar nicht gebeten hatten; doch waren sie noch insofern höflich, daß sie fragten, ob wir es leiden würden. Gleichwohl waren wir es zufrieden und thaten ihnen alle Ehre an, die wir nimmer von ehrlichen Leuten gegen uns gewünscht hätten.

Billig wir einander die Ehre gönnen,
Die wir Schuh flicken und Körbe machen können.

So gingen wir denn ohne ferneres Gepräng in Gottes Namen hinein, nachdem wir einander begrüßt und einer dem andern wegen des Vorgehens und auf der rechten Seite-gehens die Ehre angeboten hatten. Daß ich hier erzählen sollte, was wir während der Abendzeche für Gespräche gehalten, das wäre die Zeit, welche ich hoch halte, übel angelegt: ich müßte den Kneif meiner Zunge besser gewetzt haben, als diesen, welche ich jetzt im Munde führe; ich müßte den Draht meiner Wohlredenheit besser mit iscanischem Pech überstrichen und die Ahle meines Verstandes besser gespitzt haben, wenn ich solches leisten wollte. Mit einem Wort: während des Trinkens habe ich, wie mein Brauch und Gewohnheit ist, nicht unterlassen können etliche kluge Weisheiten und Sprüche, die ich von unserm Herrn Lipsius bisweilen gehört hatte, unserm Handwerk (wie Ew. Gnaden es nennen) zu Ehren zu erzählen. Aber als mich der dort, nein der da, der da in den Hals hinein lügen hieß unter vielen spöttischen Redensarten: ich lügen? ich wollte mich eher von vier Pferden auseinander reißen lassen, ich wollte eher verdammt sein, ehe ich das leiden wollte! Und er sagte mir frei ins Gesicht, ich wäre nicht ein so toller Hahn, als ich die Kreide hätte, ich wäre doch nichts anderes als ein kahler Schuhflicker, ein Scheusal der edlen Schusterei, eine Grundsuppe des menschlichen Wesens, der Kuhschwanz aller Handwerker. Doch alles dessen ungeachtet, dachte ich: was willst du thun? Du wirst schlechte Reputation davon haben, wenn du dich an dem Esel reibst, er hat nichts studirt, ich will mich trösten mit meinem Lipsius de calumnia, de constantia, de patienta (denn diese Bücher habe ich alle in meinem Kram). Ich glaube wahrlich nicht, daß Hiob solange Geduld hätte haben können als ich; er mag Geduld gehabt haben wie er wolle, es hat ihm doch keiner so nahe an die Reputation geredet wie er mir. Aber da hatte die Geduld ein Ende, als ich sah, daß er die Faust zuckte und mir einen Streich versetzen wollte und als er mir einen Teller an dem Knebelbart vorbei warf, – da war es aus, da hätte St. Velten mehr Geduld gehabt, da kamen mir die Würmer auch in die Nase, und ich habe nicht unbehende ihm eine so ungeheure Maulschelle gegeben, daß mir die Hand davon aufgelaufen ist; ich bekenne es, ich scheue mich dessen nicht, er hat den Anfang gemacht, ich nicht. Und ich sage rund heraus: wenn ich nicht gedacht, daß es meiner Reputation nachtheilig gewesen wäre, so ich dem Wirth mehr Ungelegenheit im Hause verursacht hätte, ich wollte diesem ... ich weiß nicht wie ich sagen soll, die Lenden recht abgebläut haben, wie er verdient hätte. Mich wundert, daß Ew. Gnaden diese beiden Tröpfe so können ansehen; ich würde sie stracks in den Thurm legen, wenn ich Meister wäre; ei ich könnt' nicht so lange Geduld haben. Wer sind sie wohl, wer meint ihr wohl, daß sie sind? Es sind elende Schuster, wie wir auch, doch in dem viel geringer als wir, daß sie nur Schuster sind, wir aber Schuhmacher von Rechtswegen. Ich hab's von Lipsius, das ist ein Mann, etliche Male gehört, daß er mehr von uns halte, insonderheit von mir, als von allen Schustern, die die neuen Schuhe machen, nicht nur deswegen, weil die neuen Schuhe den Fuß sehr drücken, wenn sie aber das erstemal wiedergemacht, wiedergeboren werden, viel artiger und besser seien wie zuvor, sondern auch wegen des herrlichen Verses, den er stets im Munde geführt: ›in altem Leder steht der Fuß‹ ... und ›laßt uns zum Alten zurückkehren,‹ wovon ich hernach sprechen will. Die Lateiner nennen sie billig und recht sutores, d. h. ustores, weil sie gemeiniglich das Leder verbrennen, daß es keinen Stich halten kann und springt wie der Teufel, nur damit sie immerfort Schuhe zu verkaufen haben. Aber da sieht man, daß sie in Deutschland nicht sollen oder können Schuhmacher genannt werden, denn sutor heißt ein Schuster, wie sie sind, calceus heißt ein Schuh: nun kann sutor nicht von calceus herkommen, darum heißen sie auch unbillig von Schuh Schuhmacher, sondern von sutor Schuster. Cerdo aber, was wir sind, bedeutet einen Schuhmacher im eigentlichen Sinne. Es haben die alten Römer wohl gewußt, was die alten Schuhe für Kraft haben; darum haben sie bei unserer Benennung auch nachdenklich die Etymologie des Wortes betrachtet und aus hohem Verstand so gesetzt: ea, calceus heißt ein Schuh, wie aus der Kanzlei zu Rom noch zu erweisen ist; werden nun die drei Buchstaben a l c weggeworfen, so kommt heraus ceus; setze nun ein r vor das u und ein d für das s und am Ende noch ein o, so kommt heraus cerdo, und es wird weder Priscianus noch Donatus Sind römische Grammatiker, deren Grammatiken im Mittelalter als Schulbücher dienten; letzterer lebte um 350 n. Chr. dagegen etwas finden können; und der gute Gesell da muß leiden, sollte ihm auch das Herz bersten, daß der Schuh unser ist und wir vom Schuh herkommen und diesen Namen haben und nicht sie; denn das C ist gleich anfangs auf unserer Seite; billig gebührt uns die Reputation und ihr sollt künftig nicht mehr vor uns in das Wirthshaus gehen und vor uns trinken, sondern nach uns. Darum zum Lobe dieses herrlichen Namens haben unsere guten Gönner neulich geschrieben, daß wir seien cutissimi, ebibissmi, reputationissimi, debitissimi, opificissimi. Die Franzosen nennen sie cordonniers, aber nicht mit Recht: denn wo kommt das Wort her? Ist nicht cordon eine Hutschnur? Wie kommen sie dazu? Corde ist Saite und Seide: wie kommen sie dazu? Warum nennt man sie nicht ebensogut tonneliers, Küfer, weil sie so gut lederne Eimer machen als jene hölzerne? Aber die Franzosen haben keine besseren Namen als die Italiener, wiewohl diese lieblicher sind in ihrer Sprache; doch haben sie auch einen Fehler darin: denn den Schuh nennen sie scarpa und einen Schuster calzolajo, was so viel ist wie ein Hosenmacher von calzetta, welches Hose heißt. Die Spanier sind schlaue Schelme, sie kommen der Sache ganz nahe, nennen sie und uns capateros und zum Unterschied nennen sie uns capateros de vieio und sie capateros de nuevo, Schuster im Alten, Schuster im Neuen. Das ist trefflich gut gegeben: denn was ist unter der Sonne mehr geehrt und soll mehr geehrt werden als das Alter? Alle Geschichtschreiber nehmen ihren Anfang vom Anfang und suchen alle Herrlichkeit und Würde im Alter. Muß nicht der Adel von altersher, von Geschlecht zu Geschlecht, von Grad zu Grad erwiesen werden? Ein junger vom Adel gilt sein Lebtag nicht soviel als ein alter – obwohl es unrecht ist, denn der Adel ist billigerweise nach der Tugend und nicht nach dem Herkommen zu achten wie bei den Franzosen, und ich bin in der Hoffnung, denselben auch noch einmal durch eine redliche That zu erjagen. Ist nicht das alte Geld lieber als die neue Münze? Sind nicht die alten Bücher und die Lipsius nennt, höher zu achten als die, welche heutiges Tages von neuem durch Unfleiß der Setzer und Drucker verketzert werden? Ja ein Weinschenk, wird er nicht den alten Wein allzeit theurer geben als den neuen? Schmeckt nicht der alte Käse besser zum Trunk als der neue? Aus all diesem mache ich diesen Syllogismus in Barbara:

  1. Alles Alte ist besser als das Neue. (Darüber könnte es Streitens genug geben, wenn ich es nicht schon erwiesen hätte).
  2. Alles was wir Schuhmacher unter der Hand haben, das ist alt; ergo:
  3. sind wir besser als die Schuster, welche nur neue Schuhe machen.

Da ist nichts zu widersprechen, alle Welt weiß, daß wir keine neuen Schuhe in unsern Händen noch Häusern haben; ja alle Welt weiß, daß jene ihre Schuhe machen aus Leder, das noch zu keinen Schuhen gedient hat, wir aber aus Leder, das schon zuvor dazu gedient hat, also von Herkunft edler ist. Das alles bekräftigt mein Lipsius mit seinen herrlichen viribus antiquis, d. h. soviel wie vilibus antiquis, nämlich calceis antiquis. Denn Rom ist nicht so sehr auf alten Steinen gestanden als auf alten Schuhen: wie noch heutiges Tages zu sehen ist, wenn Lipsius sagt in seinen Episteln: nec ego de bono aut felici saeculo spero sive spendeo nisi iterum antiquemus,´ das ist: es wird kein Glück im Land, man trage denn wieder alte Schuhe. Denn daß man jetzt neue Schuhe auf dem Lande trägt, das ist des armen Mannes Verderben, daran ist der Krieg schuld, weil die Soldaten den Bauern die Schuhe immerzu nehmen; trägt man nun alte Schuhe, so ist es ein Zeichen des Friedens.«

»Genug, genug, sprach der Burgvogt; wenn dem also ist, haben wir die Sache wohl erwogen, Verständigen ist gut predigen. Zudem seid ihr billig zu loben, weil ich sehe, daß ihr noch mit euch handeln laßt. Ihr seid rechtschaffene Leute, mit einem Batzen kann man es bei euch ausrichten, wo die andern wollen einen Thaler haben;« und nachdem er sich mit Expertus Robertus beredet hatte, setzte er folgende Verordnung anstatt eines Urtheils auf:

Damit aber aller Zwist und Streit, den ihr mit den Schustern bisher wegen des Vorzugs, gleich andern zu den des Reiches Nutzen berathenden Ständen zu gehören, gehabt habt, beendigt werde, und ihr als Brüder in größerer Vertraulichkeit künftig mit einander leben mögt als Leute, die ihr einer wie der andere von der löblichen Gesellschaft des Kneifs seid: so setzen, ordnen und wollen wir, daß ein jeder bleibe, wer und wie gut er sei (dieweil durch solche Präferenzstreite keiner an seiner Ehre und Würde vor Gott und ehrliebenden Leuten besser gemacht wird, sondern ebenso bleibt, wie und wer er ist), und daß ihr einhellig haben und führen sollt den Namen Schuster, wie in Spanien die Schuster im Neuen und die Schuster im Alten, und daß zu größerer Verständlichkeit jene Schuhmacher, ihr aber Schuhflicker genannt werden sollt. Wofern aber die Schuhmacher wider eine so billige Verordnung sich beschwert finden und halsstarrigerweise dagegen sind, so haben wir diesen öffentlichen Brief, damit sich keiner mit der Unkenntnis behelfen möge, an unserer Burg hinter dem Thor anheften lassen, ungeachtet etwaiger Opposition oder Appellation oder eines andern Nothbefehls, den sie anwenden werden. Zugleich befehlen wir ausdrücklich, daß ihr, um die Schinken und Knackwürste desto besser beißen zu können, die Zähne fürderhin schonen und sie nicht wie bisher durch das Leder-ziehen und -strecken verderben sollt, welches Thun euch bei ehrliebenden Leuten in Verdacht gebracht hat, daß ihr beiderseits es aus Geiz, Eigennutzen oder um das Leder zu foltern gethan habt, danach ihr euch zu richten.« – –

Um drei Uhr sahen wir einige nach Erlaubnis des Vogts zur Burg eingehen, die hatten ein eifriges Nachforschen, doch konnte keiner von uns wissen, was es wäre; doch ich ward dessen zu meinem Schaden zeitig gewiß: denn sobald sie mich erblickten, gingen sie auf mich zu und mit großem Ochsengebrüll fielen sie mich an, als ob ich ein Beutelschneider gewesen wäre; doch wurden sie von den Trabanten, die mich nun gut leiden konnten, mit Stößen zurückgewiesen, was denn ein großes Geschrei gab, also daß auch König Ehrenfest durch Kelß Karst fragen ließ, was es wäre.

Die Kerls brachten vor, daß ich Philander vor zwei Jahren ungefähr ein Gesichtenbuch geschrieben hätte, das sie zwar wegen einiger guter Lehren und wegen seines Zweckes nicht zu schelten wüßten: allein weil sie ganz besonders mehr als andere darin hart angezapft und schier an ihrer Ehre zu nahe angegriffen wären, so hätten sie, auf daß man sie nicht für diejenigen halte, die sie wären, zur Rettung ihrer Ehren nichts weniger thun können, als sich allhier, weil sie erfahren, daß gedachter Philander hier anzutreffen wäre, über diese Schmähworte wider ihn zu beklagen; auch hätte nicht minder die löbliche Zunft der Herren Aerzte, Gelehrten, Frauenzimmer, Hof- und Kaufleute nebst vielen andern ihnen die Vollmacht ertheilt, den Philander, wo sie ihn auch beträfen, anzuhalten, handfest zu machen und ihn verweisen zu lassen, daß ihnen eine genügende Ersetzung ihrer Ehren durch öffentlichen Widerruf zu Theil werde. Sie baten also Herrn Kelß Karst, daß er Ihro Majestät in ihren Namen solches unterthänigst vortragen möchte: seiner Mühewaltung wollten sie auch nicht vergessen.

Kelß war mir ohnehin nicht sehr günstig; deswegen sparte er zur Anbringung dieses Dinges, wie bei feindseligen Leuten Brauch ist, keinen Fleiß, kein Wort, keine Geberden, keine Spöttelei, keine Verachtung, keinen Aufschnitt, keine List. Drum ward mir nicht wenig bange, und weil ich wußte, was ich für einen Feind vor mir hatte, drehte ich mich mit Expertus Robertus etwas beiseits, zwar getrost, es möchte die Zeit kommen, wo ich auch würde gehört und meine Unschuld offenbar werden. – Unlängst danach wurden Expertus Robertus, ich und Freymund vor den Erzkönig gefordert; derselbe sprach mir alsbald zu, hieß Karst abtreten und fragte die Beiden, ob ich verstanden hätte, was die neuangekommenen Gäste für Klage wider mich einbrächten wegen der genannten satirischen Gesichte, worin ich sie bei ihrer Ehre sollte angegriffen haben? Die Beiden sahen mich an und ich sagte ja, ich hätte es schon verstanden. Fragte der Erzkönig, was ich denn dazu sagen würde, wenn sie mich vor Gericht forderten. Gnädiger Herr Erzkönig, sprach ich, wenn ich ihre förmliche Klage hören werde, so will ich antworten; aber auf unförmliches ungerichtliches Geschrei ist ein Ehrenmann gegen hirnverdrehte Kerls nicht schuldig zu stehen; auch wäre es einem unmöglich sich in dieser Gestalt zu wehren: was aber förmlich geschieht, das hat Hände und Füße. Zudem thun mir diese Gesellen Unrecht, dessen bin ich in meinem Gewissen wohl versichert, alldieweil ich in Folge der in meinen Gesichten hinten und vorn angewandten Entschuldigung dergestalt vorgebaut habe, daß daraus erklärlich erscheint: ich habe keinen ehrlichen Mann sondern allein die Anstifter, keinen rechtschaffenen Arzt sondern die Kälberärzte, die den Kranken mit einem Blick ermorden, keinen rechtschaffenen Apotheker sondern die Betrüger, keinen frommen Schneider sondern nur diejenigen, welche zuweit um sich greifen, keinen frommen Weinschenken sondern nur diejenigen, welche Wasser unter den Wein mengen, gemeint und verstanden; viel weniger aber habe ich gelehrt und geschrieben, daß Fürsten und Herren gottlos leben, daß Fürsten- und Herrenräthe gottlos richten und rathen sollen, sondern ich habe geschrieben, theils wie Fürsten und Herren leben, theils wie Fürsten- und Herrenräthe gottlos richten und rathen, will nicht sagen, jene lehren und auferziehen, wie sie sie haben wollen. Auch will ich nicht hoffen, daß diese Gesellen von einigen ehrliebenden Leuten Gewalt vorzuweisen haben mich zu verklagen, wie sie sich zwar rühmen; sondern allein von denen, die ich in ihrem lasterhaften Wesen und Gewissen wahrhaftig getroffen habe, die wahrlich solche Gesellen sind, es aber jetzt nicht sein wollen: Gott möge mich davor behüten, daß ich einen Ehrenmann sollte getadelt haben!«

»Wenn sich aber, sprach König Ehrenfest, die Sachen so befinden, wie sie vorgeben, so wirst du schwerlich ohne Schuld und verdiente Abstrafung entkommen können, denn sie sagen Wundersachen von deiner Lehre und von deinem Leben.« »Ich bitte, gnädiger Herr Erzkönig, sagte ich, all dieser Gesellen Namen zu hören, alsdann werde ich schon wissen, was ihr Vorbringen wider mich sein wird.«

Als der König von den Trabanten dies erforscht hatte, da vernahm ich, daß es insonderheit drei waren, nämlich Don Thraso Barbaviso, Don Unfalo und Mutius Jungfisch, welche als Haupthändler und Aufhetzer das Wort geführt hatten und sich die Sache mächtig angelegen sein ließen; mit allerhand greiflichen groben Aufschnitten vermeinten sie es beim Richter dahin zu bringen, daß ich auf ihr bloßes Anbringen, ungehört, gleich in den Thurm geworfen und hernach zum Widerruf gezwungen, endlich aber in die Verbannung verwiesen werden würde. Sobald ich aber hörte, daß diese drei, Don Thraso Barbaviso, Don Unfalo und Mutius Jungfisch die Klage führten, da konnte ich mir wohl einbilden, daß sie, um mich in Schaden zu bringen, nichts, auch nicht an Lügen sparen würden.

Freymund, der diese drei Schadenfrohen sehr wohl kannte durch ihre Handlungen, sprach: »Gnädiger Herr Erzkönig! es ist nicht genug zu klagen, man muß auch beweisen; Ew. Königl. Maj. geben dem Kläger Gehör, aber mit dem rechten Ohr, nicht mit dem linken Ohr: das linke gehört dem Beklagten zu seiner Verantwortung, damit der Kläger nicht sobald das Herz einnehme, noch der Beklagte ohne genügend eingenommenen Bericht verwiesen werde. Diese drei haben dem Philander alles Unglück und den Tod geschworen, das weiß ich seit vielen Zeiten her; sie lügen auf ihn öffentlich und heimlich, und wenn sie öffentlich etwas vorbringen, so geschieht es doch allemal unter der Hand mit der angehängten Bitte, man wolle es ihnen doch nicht nachsagen. Das ist ein sicheres Zeichen ihrer Falschheit, ein sicheres Zeichen einer Lästerung, wenn man außer dem Gerichtszwang im gemeinen Gespräch übel von einem redet und niemand läßt zur Verantwortung kommen, sondern unter der Hand bittet, man wolle es nicht weiter sagen. Aber, gnädiger Herr König, das ist nicht genug, von einem Manne übles reden; vom Schalk selbst ist niemals so übel geredet worden als von dem, der den Schalk haßt. Ohne Schmeichelei zu reden, weil er zugegen ist: wenn Philander sich auch für keinen der Frömmsten ausgiebt, so ist er gewiß doch nicht der Mann, für den diese drei ihn schelten, oder ich müßte in meinen Sinnen gar betrogen sein. Hätten diese drei etwas wider ihn vor diesem finden können, ach Gott! sie würden es nicht gespart haben bis hierher. Ew. Maj. wollen ihnen anbefehlen, daß sie ihre Klage förmlich vorbringen, sie von Punkt zu Punkt in das Gerichtsbuch einschreiben lassen und dann beweisen; so und sonst nicht wird man sehen, wo der Fehler steckt. Dann wird Philander seine Entschuldigung machen können: thut er's nicht, oder kann er's nicht, so weiß ich, er ist gleichwohl ein Mann, der stehen wird, und Expertus Robertus steht für ihn, das weiß ich auch. Ich kann wahrlich nimmer glauben, daß er dieser Anklagen und Reden schuldig sein soll: die Verhandlung wird es ergeben. Eins aber erinnere ich mich hier in Unterthänigkeit, was nicht mit Zeugen ins Protokoll geschrieben ist: das aber wird Don Unfalo rund auf dem Nagel (wenn es ihm zum Vortheil dienen kann) auch wider sein Gewissen frisch und ohne einige Scheu abläugnen.«

»Gnädiger Herr Erzkönig, sprach Expertus Robertus, die Lästerer, insonderheit diese drei, haben im Brauch, wie ich an ihnen oft erfahren habe, daß sie das Gericht und Recht fliehen wie der Teufel das Kreuz, weil sie wissen, hier müsse ein Ding erwiesen sein oder erlogen. Aber außer Gericht, auf der Gasse, beim Trunk, bei verdächtigen Gesellschaften, in den Kunkelstuben oder hinterwärts, wo es Philander weder hört noch erfährt, da schnattern sie daher wie die Enten, klappern wie die Weiber, gaxen wie die Hühner und haben doch keine Eier, und wissen soviel zu erzählen, daß es ein Wunder ist: welchem doch Kraft und Saft mangelt, wenn es zum Beweis und zu des Richters Untersuchung kommt. Und ich, der ich um Philanders Thun mehr weiß als einer, hoffe nicht, daß etwas darum für wahr wird erfunden werden: denn das ist offenbar, daß Mutius, der eine Kläger, ein rechter Anhetzer ist, der andern Gesellschaft nicht zu gedenken, die auch keine Ursache zu klagen hat; hitzig und hirnverbrannt, wie ein rechter Sudler und wie ein Strudelhirn, redet er, was ihm in den Mund kommt wie ein trunkenes thörichtes Weib. Don Unfalo aber ist ein Bösewicht über alle, ein Kerl, den ich in seinen Werken probiert und aus dessen Werken ich ersehen habe, daß er die vier Haupttugenden an sich hat. Erstlich: alle losen Stücke, die er verübt oder noch in seinem Herzen fühlt, diese darf er ungescheut und ohne Furcht des Gewissens, wie ein Erzlästerer, von andern, insonderheit von Philander, sagen, und darf einem andern zuschieben, was er selbst gethan, und was dem Philander nimmer in den Sinn gekommen ist, das weiß ich. Zum andern: was Don Unfalo soeben geredet, das läugnet er aus den Ohren heraus, wenn es nicht alsbald eingeschrieben und unterschrieben wird, und dennoch ist es schwer, ohne genügende Untersuchung etwas gegen ihn zu finden. Drittens: daß Don Unfalo seinen Eid selbst anbietet zu allen Dingen auch bei solchen Gelegenheiten, wo man weiß, daß es die helle Unwahrheit sei und wider Gott und Gewissen gehe. Viertens: daß er zu einem geht und spricht, Philander habe dies und das gesagt, man solle es ja nicht von ihm leiden; hernach geht er zu Philander und sagt dasselbe: jener habe dies und das gesagt, und er solle es ja nicht von demselben leiden. Mit diesem Griff und Kunststückchen hält er die Leute in ewigem Mißtrauen und Mißhelligkeit gegen einander, so daß keiner dem andern recht traut, sondern einer den andern heimlich anfeindet: während er doch beiden besonders gar gute Worte bringt, von beiden übel redet, doch beiden sagt, was sie gern hören, beide in seiner Gewalt hat, beiden aber nichts Gutes gönnt, – also ein Mann ist, der, wenn's möglich wäre, Himmel und Erde an einander hetzen würde. So nämlich und nicht anders kann er mit seinen strafwürdigen Werken durchschleichen und sich ungestraft durchdrängen. Und fünftens endlich: wenn man seine Lästerungen in Erfahrung bringt und ihm dieselben unter die Augen legt, dann läugnet er sie dem, der sie mit eigenen Ohren gehört hat, aus dem Munde und betheuert es mit seinem Eide.«

»Der muß ja, sprach König Ehrenfest, ein Erzbösewicht sein, den man wahrlich in einer ehrlichen Gemeinde nimmer leiden, sondern nach Welschland verweisen sollte; kein Wunder wäre es, daß der Ort, wo solch Gift wohnt, zu Grunde und unterginge. Ist denn diesem nicht zu wehren?« »Wohl! sprach Expertus Robertus: wenn Obrigkeiten die Laster mit Ernst strafen und aus gewissenlosen Staatsursachen keinen berüchtigten Lästerer hegen noch ihn bestärken, dann wird solch Uebel wohl von selbst vergehen.« »Gleichwohl wollen wir hören!« sprach König Ehrenfest; befahl demnach, Expertus Robertus sollte den Ankommenden sagen: weil solch unordentliches Gespräch schließlich nur ein Gewäsch wäre, das aus vielen Zorneszeichen, Hohn und eingemischten Stichelreden schon zu spüren, gemeiniglich auch mit Unwahrheit gefüttert wäre, so sollten die Kläger (obschon es wider altdeutsches Herkommen wäre, jedoch weil sie insgemein selbst von der altdeutschen Aufrichtigkeit und Wahrheit schon abgewichen) ihr Anliegen schriftlich übergeben, damit man die Punkte der Klage desto besser erwäge, sie, Kläger aber, nicht zu hören brauche, wie sie ihre Worte wieder aus dem Munde läugneten. – Das verrichtete denn Expertus Robertus auch eilends; dessen waren aber die Gesellen, die ihre gelben Widerzähne schon gespitzt und die giftigen Zungen schon gewetzt hatten, übel zufrieden, wohl wissend, daß ihnen ihr Anliegen schriftlich nicht gelingen würde, während sie sich sonst hätten herausreden können, gleich dem listigen römischen Redner Antonius: als derselbe gefragt wurde, warum er die Sachen, welche er vor Gericht beibrächte, nicht auch schriftlich verfasse wie Cicero und andere? antwortete er: damit, wenn mir das, was ich einmal geredet habe, zum Schaden und Unhell dient, ich hernach, jenachdem es mir behagt und nützt, es wiederum eingestehen oder läugnen kann. Mutius und Don Unfalo aber waren gleichwohl nicht faul, und die Feder gespitzt, daß es eine Lust war (denn Mutius trug dies alles: eine Feder, Tinte, Papier, ein Lineal, ein Federmesser, einen Schleifstein, einen Zirkel, ein Stück Blei, Kreide, Röthelstein u. a. in einem Futter mit sich, wohin er ging), und setzten die Klage, so arg wie sie nur konnten, auf und ließen sie durch Kelß Karst überreichen. Sobald König Ariovist sah, daß sie mit Welsch oder Latein, das er haßte wie den Teufel, erfüllt war – Mutius hatte dies zum besonderen Zeichen seiner Geschicklichkeit gethan, und hatte durch dieses einzige Mittel, wenn Lästerung nicht mehr helfen wollte, verhofft, die Sache wider Philander zu gewinnen – rief er mich herbei und gab sie mir mit diesen Worten: »Siehe da, deutscher Philander, lies du selbst, was diese von dir lügen; ich sehe es schon an der welschen Schrift, daß es erlogen ist,« worüber Mutius erschrak und dastand, als ob ihm jemand in das Maul gemacht hätte.

Der Inhalt ihrer Klage aber, oder vielmehr die Worte waren diese:

Großmächtigster deutscher Erzkönig!

Vor Ew. Erzkönigl. Maj. erscheint Mutius Jungfisch mit Beistand der adelrühmigen Herren Don Thraso Barbaviso und Don Unfalo als legitimirter Anwalt der wohlerfahrenen

Meister Märty, Nasenhalters und seines Nachbarn Schindelspalters,

Meister Fritz, Hippenbachers und seines Bruders Puppenmachers,

Meister Kunze, Guffenspitzers und seines Eidams Löffelschnitzers,

Meister Vir, Fensterstopfers,

Meister Burg, Zundelklopfers,

Meister Engers, Kampelmachers, Kammmacher, ein oberdeutsches Wort.

Meister Jürge, Eisenfetzers,

Meister Lenz, Rinqelgießers,

Meister Lauhel, Schneckenschießers,

Bästel, Wirths zum leeren Darm,

Meister Klösel, Bienenschwarm,

Meister Kurtle, Zäpfelschleckers,

Meister Jobstle, Schalenleckers,

Meister Ule Großendurst und seines Nachbarn Axt Bratwurst,

Meister Jäckel Durch-den-Wald,

Meister Engers, Hinterhalt,

Meister Wolf, Nüsseflickers,

Meister Fuchs, Eichelstickers u. s. w.

und bringt in Unterthänigkeit deren Klagen vor und an: Obwohl in den kaiserlichen aufgezeichneten deutschen Rechten wie nicht weniger in des heiligen Reichs Constitution, vornehmlich aber in dem hochverpönten Landfrieden, auch dem Reichsabschied zu Regensburg vom Jahre 1541 § Ferner haben wir u. s. w., wie nicht weniger in der Reformation guter Polizei zu Augsburg 1548 Tit. von Schmähschriften u. s. w. heilsamlich und wohl versehen ist, daß keiner den andern an seinem guten Namen, Glimpf und Ehre antasten, auch niemand zu seines Nebenmenschen Schaden und Nachtheil Schmähschriften, Pasquille und dergleichen anstellen und im Reiche verbreiten soll, – so hat doch der genannte Philander von Sittewald sich nicht gescheut, neben vielen ehrlichen Leuten insonderheit die erstgenannten Herren Anwälte ohne alle gegebene Ursache nur allein aus Schmähsucht in seinen benannten Visionen auf allerlei Weise ehrverletzend anzugreifen und sie vor der ehrbaren Welt, so viel an ihm ist, zu verkleinern und zu beleidigen. Da aber sie, die Herren Anwälte, sich jederzeit eines untadelhaften Lebens beflissen haben und keineswegs diejenigen sein wollten, für welche sie dieser Philander schmähend ausgeschrieen und gleichsam öffentlich ausgeblasen habe, wie der Bericht selbst bezeugt: so haben sie sich diese Injurien billig sehr tief zu Herzen gezogen und daher versucht, vor Ew. Maj. wider diesen Verleumder gebührende Genugthuung zu verlangen; richten demnach an Ew. Maj. die untertänigste Bitte dem Philander aufzuerlegen, daß er den klagenden Anwälten einen öffentlichen Widerruf zu thun schuldig sein solle und ihn daneben dieses seines Verbrechens wegen mit exemplarischer und constitutionsgemäßer Abstrafung zu belegen, und dies alles mit Tragung der Kosten und des Schadens. –

Als ich diese Schmitzschrift gelesen hatte, mußte ich lachen. Wenn nichts weiter da ist als das, so hat's keine Noth, sprach ich. Ein Lästerer schämt sich nicht auch die Sachen zu erzählen und aufzumutzen, deren sich doch die Kinder schämen würden. Wie muß der Teufel die Lästerer so ganz in seinen Banden führen! Freilich, wie ein weiser frommer Mann unlängst gesagt hat, so ist's wahr: bei einer Lästerung sitzen drei Teufel. Denn dem Lästerer selbst sitzt der Teufel auf der Zunge, und wer die Lästerung mit Kitzeln anhört, dem sitzt der Teufel in den Ohren; dem aber, der sie zum Schaden des Nächsten ohne Erkundigung der Wahrheit glaubt, dem sitzt der Teufel im Herzen. Es sollte ja kein Mensch dem Lästerer glauben, er habe denn den armen Beklagten auch gehört; man hört's am Reden, man sieht's an Geberden, was ein Lästerer im Sinn hat. Wie ungeschickt kommen sie da aufgezogen, während doch ein Kläger geschickt und bereit vor den Richter kommen, ja die Klage und der Beweis so hell, klar und wahr wie die helle Sonne sein soll.

Da ich mich aber alsbald zu Recht erbot und begehrte, daß diese drei vorerst Bürgschaft leisten, für ihre Gefährten schwören und ihre Vollmacht vorlegen sollten und ferner, auf Freymunds Anrathen, sagte: Hätten sie Fug gehabt zu klagen, sie würden es nicht über die Zeit haben anstehen lassen, die Klage ist versessen, ich bin nicht schuldig mehr darauf zu antworten. – Aber da sollte man gesehen haben, wie Mutius das Maul hängen ließ drei Finger lang. Endlich hieß man uns abtreten, und auf Befehl des Königs Ariovist wurde von Hans Thurnmeier der Bescheid auf den Umschlag der Klageschrift geschrieben, der lautete also:

Gegenwärtig eingegebene, mit welschen Worten geschändete undeutsche Schrift ist unwürdig erachtet, daß sie vor dem Heldenrath oder vor uns abgelesen werden solle; derowegen ist auch Beklagter los erkannt worden. Doch soll den Klägern vorbehalten sein, für ein und allemal ihre Klage am morgenden Samstag um acht Uhr in förmlicher deutscher Sprache einzureichen, so sie wollen, auf daß sodann in der Sache erkannt werden möge, was recht ist. Auch sei allen unsern Reichsangehörigen und wer künftige Zeit vor unserm Hof- und Heldenrath zu handeln hat, hiermit ernstlich anbefohlen, nach löblicher Verfügung Kaiser Rudolphs I. sich keiner andern Sprache als des puren Deutschen fürderhin zu bedienen ohne besondere erhebliche und uns ganz allein vorbehaltene Ursache: wie denn alle, welche sich dawider in etwas werden vergehen, als Abtrünnige und als aus deutscher Art Geschlagene und dem Vaterlande untreu Gewordene mit allem Ernst und unabläßlicher Strafe sollen angesehen werden. Ausgesprochen in der Burg Geroldseck im Wasgau, den vierten nach Rudolphs Tag 1641.


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