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Rede zum Gedächtnis Kaiser Wilhelms des Ersten

22. März 1888. Sitzungsberichte d. K. P. Akademie d. Wissenschaften 1888 S. 403-411.

Zehnmal hat die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Ehren des Königs Wilhelm, weitere siebzehnmal zu Ehren Wilhelms, des Kaisers der Deutschen, den 22. März festlich begangen. Heute feiern wir ihn auch, aber es ist das letzte Mal. Wohl wird jeder von uns, die wir an diesen Festen unseren Teil hatten, an diesem Tag, so oft es uns noch beschieden ist dessen Wiederkehr zu erleben, in trauerndem Gedächtnis, in stolzer Erinnerung des Kaisers gedenken, der vor wenigen Tagen seinen letzten Siegeszug unsere alten Linden hinab zum ewigen Schlafe gezogen ist. Aber die allgemeine Feier des Tages, wo es uns vor allem nahe gerückt ward, wie er mit uns lebte und für uns schaffte, kehrt nicht wieder.

Es ist ein Abschnitt in der Geschichte unserer Nation, in unserem eigenen Denken und Empfinden. Für uns, selbst für die Greise unter uns, die ihm gegenüber doch auch Nachfahren waren, verknüpfte der tote Kaiser die Gegenwart mit der Vergangenheit in einer Unmittelbarkeit, die nie ersetzt werden kann. Wenn vom Fridericianischen Regiment und von dem Zusammenbruch seiner Herrlichkeit gesprochen wird, so ist das uns allen eine halb verklungene Sage: in Kaiser Wilhelms Knabentage war Jena gefallen und er hat es nicht vergessen. Die unvergleichliche Mutter, in ihrer Jugend Glanz die schönste Rose im deutschen Frauenflor, nach ihrem Tode der Engel mit dem Flammenschwert, der den Heerscharen voranzog, als es galt Deutschland zu retten und zu rächen, diese Mutter war uns nicht ganz gestorben, solange der Sohn lebte, der an ihrem Sterbebett gestanden hatte, der drei Menschenalter hindurch den Ring mit ihren Haaren an der Hand getragen hat, bis auch diese Hand im Tode erstarrte. Die Freiheitskriege, in denen die Nation sich wenn nicht zum Vollbringen, doch zum Hoffen wieder durchrang, brachten ihm wie die Feuertaufe, so auch den unerschütterlichen Glauben an die eigene Nation und an Deutschlands dereinstiges Werden. Zehn Jahre später, ein fertiger Mann, erklärte er es als heilige Verpflichtung seines Hauses ›einem Volke den Platz zu erhalten und zu vergewissern, den es durch Anstrengungen errungen hat, die weder früher noch später gesehen wurden, noch werden gesehen werden‹. Nie hat er vergessen, was jenes Preußen von drei Millionen unter der Führung von Stein und Scharnhorst geleistet und geschaffen hat und was ein preußischer König wagen konnte und sollte, um Deutschland im Innern zu einigen und nach außen zu festigen. Das Eiserne Kreuz, das er bei seinem ersten Kampfe in Feindesland gewann, wies ihm den Weg nach Sedan. Die lange bange schwere Zeit, die alsdann folgte, hat er in stetiger Tätigkeit, in treuem Gehorsam, in Bändigung des Muts wie des Unmuts durchlebt. Als dann der deutsche Vorfrühling kam, mit den Blüten, die nicht Frucht wurden, mit seinem edlen Text und den Kommentaren dazu der Narrheit und der Bosheit, mit all dem berechtigten Sehnen und dem verkehrten Handeln, als die Schwarmgeister dieser wunderlichen Zeit sich besonders und persönlich gegen den Prinzen von Preußen wandten, blieb er klar und fest in seiner Anschauung der Dinge und keine Verbitterung über die eigene Unbill vermochte in seiner Seele zu haften. Unvergessen wird es bleiben, wie er aus seinem Londoner Exil, um mit seinen eigenen Worten zu reden, ›das Verfassungswerk als eine großartige Erscheinung begrüßte‹, die Grundsätze desselben als diejenigen anerkannte, ›welche zur wahren Einheit Deutschlands führen werden‹, und, wir dürfen hinzusetzen, schließlich durch ihn selber geführt haben. Auf den Thron berufen, hat er unentwegt das durchgeführt, was er als recht und notwendig erkannt hatte. Der Liebe seines Volkes, dem herzlichen Einverständnis mit altbefreundeten Fürstenhäusern, der tiefen Empfindung für die Segnungen des Friedens hat er nie das Opfer seiner Überzeugung gebracht. In der inneren Organisation des Gemeinwesens, in dem Umbau der verfallenen deutschen Staatsordnung, in der Verteidigung der deutschen Ehre gegen das Ausland hat er wieder und wieder alles an alles gesetzt. Ein leichtes Leben war ihm nicht beschieden. Diejenigen, denen die stolze, aber undankbare Rolle der Vorsehung auf Erden zugefallen ist, drückt, wenn sie adliger Natur sind, die schwere Not der Zeit vielleicht von allen am schwersten; der pflichttreue Mann in dieser Stellung empfindet bitterer als der niedriger gestellte die Schwäche des staatlichen Eindeichens und Abdämmens der ewigen Fluten des Unheils und der Verkehrtheit; und nur zu oft wendet der Wahnsinn des Leidens sich gegen den Arzt. Das ist in erschütternder Weise auch ihm widerfahren; aber diese reine und einfache Natur ließ sich nicht irren und bewahrte sich sogar die Heiterkeit. Was er auf falschen Wegen zu erstreben verschmähte, ist ihm auf dem geraden der Pflichterfüllung geworden, die Liebe seines ganzen großen Volkes, die Freundschaft der Fürsten und nicht am wenigsten derer, die im Waffengang sich mit ihm gemessen hatten, ein siebzehnjähriger Friede in einer von Waffen starrenden und von Kriegsahnung durchzitterten Welt. Es war der Hort des europäischen Friedens, den wir vor wenigen Tagen zu Grabe getragen haben, und dies sprach die Trauerfeier aus, desgleichen die Welt noch keine gesehen hat. In jedem Weltteil haben am 16. März die Fahnen sich gesenkt, die einundneunzig Schüsse dem alten Kaiser der Deutschen die Grabeshuldigung erwiesen. In dem großen Trauergeleit des Schlachtensiegers und des Friedensfürsten hat keine Nation gefehlt. Wie durch den Ausbau des Verkehrs und der Verkehrsmittel die Beziehungen der Völker zueinander enger und enger sich verflechten, wie die Menschheit solidarischer und Glück und Unglück immer mehr allen gemein wird, das haben wir an jenem Tage stolz und schmerzlich empfunden; nicht den Deutschen allein ist der einundneunzigjährige Kaiser zu früh gestorben. Aber der erweiterte Kreis hat unser näheres Anrecht nicht geschmälert. Wir danken den Fremden, die mit uns trauern; aber volles Leid zu tragen um seinen ersten Kaiser bleibt des Deutschen Vorrecht, und uns Bewohnern der unter seinem Regiment zur Weltstadt gewordenen Reichshauptstadt, uns Akademikern, die er wohl scherzend seine Nachbarn nannte, uns gehört an dem allgemeinen Leid auch noch unser besonderes Teil.

Die Zeit wird kommen, welche in allseitiger Erwägung zusammenfaßt, was Deutschland dem Kaiser Wilhelm verdankt; aber wir werden sie nicht erleben. Dem Kriegsmann wie dem Staatsmann sein Recht zu geben, das, was wir alle empfinden, den Einfluß seiner Persönlichkeit, die Unentbehrlichkeit seines entschlossenen und maßvollen eigensten Handelns in eingehender Darlegung zu entwickeln wird den Zeitgenossen nicht beschieden sein. Uns zunächst ist diese Aufgabe überall nicht oder doch nur insoweit gestellt, als die Entwickelung der Wissenschaft auch zu den Aufgaben des Staatsmannes gehört. Wer die Geschicke der deutschen Nation bestimmt, kann von deutscher Wissenschaft nicht absehen; und die Bedeutung dieses Teils staatsmännischer Arbeit ist in stetigem Steigen. Je höher die Aufgaben auf allen Gebieten der Forschung sich stellen, desto weniger reicht der Fleiß und das Talent des einzelnen Arbeiters aus. Die Organisierung der Arbeit, sei es durch Sammlung der Materialien oder der Resultate, sei es durch Schulung der hinzutretenden Arbeitsgenossen, nimmt immer weiteren Umfang an und fordert vor allem jene Stabilität der Einrichtungen, die über die Lebensdauer des einzelnen Mannes hinaus den Fortgang der Arbeit verbürgt. Wenn die deutsche Forschung auf sehr verschiedenartigen Gebieten eine hervorragende Stellung einnimmt, so liegt das wesentlich daran, daß unser Regiment diesen Teil seiner Aufgabe weiter, größer und nachhaltiger faßt, als dies anderswo geschieht. Es ist eines der Vorrechte unserer Körperschaft, daß wir, diesem Kreise der Regententätigkeit nahe gestellt und durch die Mannigfaltigkeit der akademischen Interessen vor der Überschätzung des eigenen Faches mehr als andere Gelehrte geschützt, deutlicher erkennen, wie sehr der Fortschritt aller Wissenschaft auf die staatliche Fürsorge angewiesen ist. Dies auszuführen kommt uns zu, und die Gelegenheit wird nicht fehlen, wo die aufrichtige Dankbarkeit in so vielen Herzen lebt und dauern wird. Aber heute ist es dafür zu früh. Unter dem unmittelbaren Eindruck der Todeskunde ist die Sammlung für solche Übersicht nicht zu finden; auch dürfen wir von diesem Trauertag, den ganz Berlin und alle Körperschaften desselben in ihrer Weise begehen, nur eine kleine Spanne für uns in Anspruch nehmen. Aber wie schwer es auch ist zu reden, zu schweigen heute ist unmöglich. Gestatten Sie mir, einen flüchtigen Blick auf das wissenschaftliche Regiment unter König und Kaiser Wilhelm zu werfen, insbesondere in Beziehung auf die Berliner Anstalten und unsere eigene Körperschaft.

Unser armer Staat, nur zu lange das Aschenbrödel unter den sogenannten Großmächten, hat sich mühsam zu dem Wohlstand durchgerungen, ohne den der schöne Luxus wissenschaftlicher Tätigkeit nicht gedeihen kann. Wir älteren Akademiker erinnern uns wohl noch der Zeit, wo wir hier standen ungefähr wie der fleißige Student mit schmalem Wechsel; so war es noch in König Wilhelms ersten Jahren. Als dann die großen Kriege einen Umschwung auch auf dem finanziellen Gebiet herbeigeführt hatten, wurde auch uns die Möglichkeit eröffnet, der wir eine Reihe unserer hervorragendsten Mitglieder verdanken, auf die Berufungen nach Berlin einen entscheidenden Einfluß auszuüben und wurden uns auch sonst reichere Mittel zur Verfügung gestellt. Der der Akademie aus der Staatskasse im laufenden Jahre ausgeworfene Betrag ist gegen den bei dem Regierungsantritt König Wilhelms uns gewährten verdreifacht. Aber bei weitem eingreifender war die Stellungnahme der Regierung zu der wissenschaftlichen Organisation überhaupt. Wohl regte sich nach den ersten großen Erfolgen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Konsequenzen zunächst die Furcht vielleicht mehr als die Hoffnung. Die Gelehrten gehören nun einmal nicht zum Geschlecht des Euelpides und die Deutschen waren ferner seit langem gewohnt, die Misere des kleinen Staates mit dem Gedeihen der großen Universität im Kleinstaat sich einigermaßen zu vergolden. Man hörte wohl die Frage, ob nicht Deutschland vorwärts und der deutsche Gelehrte rückwärts gekommen sei. König Wilhelm gab die Antwort darauf. Die Universitäten Kiel, Marburg, Göttingen sind nicht bloß was sie waren; sie sind durch neue Institute, durch freigebige Berufungen, durch gesteigerte Frequenz heute mehr, als sie unter der Fremdherrschaft oder der Kleinstaaterei je gewesen sind. Gestatten Sie mir von den zahllosen Belegen einige wenige anzuführen. Die unter dem hannoverschen Regiment wahrlich nicht vernachlässigte Georgia Augusta hat unter preußischem eine neue Universitätsbibliothek, ein neues naturhistorisches Museum und eine neue chirurgische Klinik erhalten; der Bau der medizinischen Klinik und der des pathologischen Instituts sind beschlossen; die Anatomie, das physiologische Institut, das physikalische, das chemische sind sämtlich ansehnlich vergrößert worden. Die Zahl der Studierenden hat denn auch unter der preußischen Herrschaft in Göttingen um den vierten Teil zugenommen, in Kiel sich verdoppelt, in Marburg sich vervierfacht. Dabei wurde nicht gefragt, ob eine solche Anstalt vielleicht zugleich als Schmollwinkel diente für die Liebhaber vergangener Zeiten; die Sonne schien auf die Anstalt, unbekümmert um Dank oder Undank, und die Nebel sanken von selber vor dem rechten und festen Regiment. Aber die Gelehrten klagten wieder, diesmal die Berliner. Vor vierzehn Jahren wurde bei ebendieser Feier und an dieser Stelle es ausgesprochen, daß die Universität Berlin einen Rückgang und eine Schmälerung ihres Ansehens erlitten habe; und unbegründet war die Klage über lange Vernachlässigung nicht. Vielleicht waren auch hier die Letzten die Ersten gewesen und geschah zunächst mehr für die neu hinzugetretenen Anstalten als für die der Hauptstadt des Reiches, Aber die Klagen verstummten bald und gern. Dem Jahre 1871 gehörte die Gründung unseres physikalischen Instituts an; dem Jahre 1873 die des technologischen und des pflanzenphysiologischen, sowie der Neubau der Bergakademie; dem Jahre 1874 die des astrophysikalischen Instituts in Potsdam; dem Jahre 1875 die Neuordnung des pathologischen Instituts; dem Jahre 1876 der Neubau der landwirtschaftlichen Hochschule; dem Jahre 1877 die umfassende Reorganisation des physiologischen Instituts; dem Jahre 1878 die Einrichtung der Augen- und Ohrenklinik und des botanischen Instituts, sowie die Umgestaltung des botanischen Museums, ferner die Errichtung des Polytechnikums in Charlottenburg; dem Jahre 1879 die Gründung des zweiten chemischen Instituts, nachdem das schon früher reorganisierte den Bedürfnissen allein nicht mehr zu genügen vermochte; dem Jahre 1882 die des klinischen Instituts für Geburtshülfe; dem Jahre 1883 der Neubau des pharmakologischen Instituts; dem Jahre 1884 die des zoologischen; dem Jahre 1885 die des meteorologischen; dem Jahre 1886 die des hygienischen und der Neubau des Museums für Völkerkunde. Begonnen sind ferner die großen Anlagen des für die mineralogischen und die zoologischen Sammlungen bestimmten Museums für Naturkunde und der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Charlottenburg. Damit sind die unter Kaiser Wilhelms Regiment gegründeten oder reorganisierten Anstalten aus dem solcher vor allem bedürftigen Kreise der Naturwissenschaften keineswegs vollständig aufgezählt. Lassen Sie die Minute gelten, welche die lange Namenreihe in Anspruch genommen hat und versuchen Sie es daraus herauszuhören, was hier auszuführen unmöglich ist, welche Anregung zu wissenschaftlichem Streben und zu praktischem Weiterschreiten in dieser Nomenklatur enthalten ist; es ist dies nicht das geringste Blatt in dem Kranz der kaiserlichen Ehren. Und in diese Gründungen Berliner Anstalten geht natürlich bei weitem nicht auf, was für die Wissenschaft im umfassendsten Sinne des Wortes unter dieser Regierung geschehen ist. Wenn bis dahin die deutschen Astronomen wesentlich auf die eigene Heimat angewiesen und von der erdumfassenden wissenschaftlichen Forschung ausgeschlossen gewesen waren, so haben die beiden großen Unternehmungen zur Beobachtung der Venusdurchgänge, gestützt, wie sie jetzt sich stützen konnten, auf die wiederhergestellte deutsche Flotte, Deutschland mit einem Schritt auch hierin den älteren Weltmächten ebenbürtig gemacht. Damit war es gegeben, daß an der internationalen Erforschung der magnetischen und meteorologischen Verhältnisse der Polargegenden auch Deutschland mit zwei Entsendungen sich erfolgreich beteiligen konnte und daß die mitteleuropäische Gradmessung, welche dann zu der europäischen und unlängst zu dem vier Weltteile umfassenden Verein der internationalen Erdmessung sich gesteigert hat, ihr Centrum in unserem 1868 eingerichteten, jetzt in der Reorganisation begriffenen geodätischen Institut findet. Die beiden größten Anstalten, welche die eigene Organisationskraft der deutschen Forschung auf dem historisch-archäologischen Arbeitsfeld ins Leben gerufen hatte, die von Stein gegründete Gesellschaft für die Herausgabe der deutschen Geschichtsquellen und das durch Eduard Gerhard eingerichtete zunächst römische, später römisch-athenische Institut für archäologische Korrespondenz waren schon früher, jene auf den Deutschen Bund, dieses faktisch auf Preußen übergegangen. Kaiser Wilhelm gab beiden Anstalten vermehrte Mittel, sowie eine nicht auf Preußen beschränkte wissenschaftliche Oberleitung und verlieh beide als Morgengabe dem neuen Deutschen Reiche; die ersten Statuten des römisch-athenischen Instituts hat er am 25. Januar 1871 in Versailles unterzeichnet. Wenige Monate vor seinem Tode sanktionierte er eine dritte Unternehmung, die vielleicht in ihrem Kreise nicht minder Epoche machen wird, wie es jene beiden Gesellschaften getan haben: die Monumenta Borussica, bestimmt für Darlegung der Entwickelung der preußischen Staatswirtschaft unter den drei großen Hohenzollern des 17. und 18. Jahrhunderts. Ist es nötig in diesem Kreis von den deutschen Ausgrabungen in Olympia, von den preußischen in Pergamon zu sprechen? Sie, und was sonst für unsere Kunstsammlungen getan ist, haben ähnlich gewirkt wie jene Venusexpeditionen. Wenn die Beamten des Pariser oder des Londoner Museums früher des unsrigen gedachten, so hatten wir die Nichtebenbürtigkeit sehr lebhaft zu empfinden. Wie sehr ihre Sprache sich seitdem verändert hat, wie sie jetzt teils in unwilligem Neide, teils in aufrichtiger Bewunderung von den Berliner Museen reden, das werden viele hier wissen und alle mögen es glauben.

Ich halte hier inne; nicht weil der Stoff fehlt, sondern weil dessen zu viel ist. Lassen Sie mich in Zahlen zusammenfassen, wofür die Worte versagen.

Die Aufwendung des Staats für die Universitäten überhaupt betrug, als König Wilhelm die Regierung antrat, 1½ Millionen Mark; heute sind für diese allerdings um drei vermehrte Anstalten mehr als 7 Millionen ausgeworfen. Die Zahl der ordentlichen Professoren ist in den letzten zwanzig Jahren von 407 auf 536 gestiegen. Die medizinischen Universitätsanstalten haben unter diesem König und Kaiser sich von 54 auf 88, die naturwissenschaftlichen sich von 79 auf 102 vermehrt, die Universitätsseminare, die festen Anker wissenschaftlichen Studierens, sind von 31 auf 76 gestiegen, haben sich also weit mehr als verdoppelt. Diese Zahlen reden, und reden genug. Es kommt auch auf kein einzelnes Stück wesentlich an; im Gegenteil tragen alle diese Schöpfungen denselben Stempel der schlichten Pflichterfüllung, der diese ganze vor allem durch ihre Einfachheit große Herrschertätigkeit charakterisiert. Kaiser Wilhelm war, was der rechte Mann sein soll, ein Fachmann. Eine bestimmte Disziplin beherrschte er vollständig; seinem hohen Berufe entsprechend lebte und webte er in der Theorie wie der Praxis der Militärwissenschaft. Das alte Vorurteil, daß der Fürst überhaupt nicht und der Offizier nicht viel zu arbeiten braucht, hat er vor allem beigetragen durch sein leuchtendes Vorbild zu beseitigen; es werden nicht viele sein, die ihre Jünglings- und Mannesjahre mit solchem Ernst wie er ihrer Wissenschaft gewidmet haben. Also war er kein Dilettant. Er wußte sich am Schönen zu erfreuen und ist der Erörterung wissenschaftlicher Fragen oft und gern gefolgt; Gegenstände wie die Gradmessung knüpften auch wohl an sein eigenes Arbeiten an und beschäftigten ihn eingehender; aber was er für die Wissenschaften alles getan hat, ging nicht aus zufälliger Laune und besonderer Vorliebe hervor. Ob für Rembrandt oder für Holbein, ob für die Münzsammlung Fox oder für die Marmorbilder von Pergamon, für die historische Station in Rom oder den Erwerb der Manessischen Minnesängerhandschrift die Mittel des Staats in Anspruch zu nehmen seien, das entschied für ihn nicht sein eigenes Meinen, sondern der Ratschlag der Fachmänner, denen er, selber Fachmann wie er war, den Mut und die Weisheit hatte zu vertrauen. Auch hier schuf er als Staatsmann, als der Herrscher eines wissenschaftlich arbeitsamen Volkes. Er hat es einmal ausgesprochen, daß, was einst in dem Sturm der Freiheitskriege der Enthusiasmus getan habe, in dem größeren Staate ›die geweckte und beförderte Intelligenz‹ tun müsse; und danach hat er gehandelt. Die Stiftung der Universität Straßburg, die Ausstattung ihrer Anstalten mit einer Fülle, die den älteren Schwestern nicht gleichmäßig zu teil ward, ist dafür ein klassischer Beleg. Als es galt das zurückeroberte deutsche Land nun auch der Heimat innerlich anzuschließen, da appellierte er in erster Reihe an die Jugendbildung durch die deutsche Wissenschaft. Er gründete die Kaiser-Wilhelms-Universität, auf daß, wie es in der Stiftungsurkunde heißt, ›der Boden bereitet werde, auf welchem mit geistiger Erkenntnis wahrhafte Gottesfurcht und Hingebung für das Gemeinwesen gedeihe‹; und er vertraute darauf, daß die Wissenschaft, untrennbar verwachsen wie sie ist mit der deutschen Art, auch diese dem Vaterland entfremdete Heimat unserer alten Dichter und Baumeister demselben zurückgewinnen werde.

Kaiser Wilhelm ist nicht mehr. Wir dürfen trauern um seinen Tod; klagen dürfen wir nicht. Es fehlt uns das hohe Vorbild des pflichttreuen Amtträgers, das Muster der Anmut und der Würde in der Heiterkeit wie im Ernst, das herzgewinnende Lächeln, der freundliche Blick von dem Fenster gegenüber auf die stetig sich erneuernden Morgenpilger; alles dies kommt nicht wieder. Aber klagen dürfen wir nicht. Er hat fast die letzte dem Menschenleben überhaupt gesteckte Grenze erreicht und er hat sie erreicht in einer Tätigkeit und mit einer Spannkraft, wie sie in diesem Alter kaum jemals bleiben. Es ist ihm vergönnt gewesen, die Einigung Deutschlands nicht bloß zu vollenden, sondern auch nach der Vollendung eine Reihe von Jahren schützend über ihr zu wachen. Ihn hat das Schicksal abgerufen, nachdem er sein Werk getan hat; und Besseres und Höheres gibt es unter den Menschenlosen nicht. Wir haben der Vorsehung zu danken, daß der erste Deutsche Kaiser sein Leben auf einundneunzig Jahre hat bringen dürfen; und wenn gleich der Tod des Schöpfers immer für die Schöpfung die Feuerprobe sein wird, so ist es doch ein gutes Vorzeichen für die Dauer des Werkes, daß der Meister so lange am Steuer geblieben ist. Wir sind nicht gewohnt und nicht geneigt die Gefahren zu unterschätzen, welche die Zukunft in sich trägt; aber wir vertrauen auch, daß die Söhne ebenso ihre Schuldigkeit tun werden, wie es die Väter getan haben. Die Pflichttreue ist erblich im Haus der Hohenzollern wie die Volkstreue im Lande Preußen und in der deutschen Nation. Mit Schmerz sehen wir sie bei dem Nachfolger bewährt zunächst in dem tapferen Kampfe gegen tückische Krankheit, in der unvergleichlichen Fassung gegenüber dem schweren Unheil, die allen, die ihn lieben, allen, die auf ihn und für ihn hoffen, ein Muster ist und bleiben wird. Leider können wir die Trauer um den großen Toten nicht uns lindern und mindern mit dem Ausblick in eine wolkenfreie Zukunft. Aber am Firmamente selbst ändern die Wolken nichts. Unsere Liebe und Treue gehört dem lebenden Kaiser, wie sie dem Toten gehört hat. Dieses Toten aber, des Kaisers Wilhelm, werden wir gedenken, bis die Augen auch uns sich schließen. Denn er war unser! Mag das stolze Wort den lauten Schmerz gewaltig übertönen.



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