Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Wenn der Mensch von einem unerwarteten Streiche des ungerechtesten Geschickes betäubt stille steht und sich allein betrachtet, abgeschlossen von allen äußeren mitwirkenden Ursachen, wenn das verworrene Geschrei so vieler Stimmen immer leiser und matter im Ohre summt, so geschieht es wohl, daß plötzlich ein zuversichtliches, fröhliches Licht in unserm Innern aufsteigt, und mit Heiterkeit sagen wir uns, es ist ja nicht möglich, daß dies alles wirklich mit mir geschieht, ungeheurer Schein und Lüge ist es! Wir fühlen uns mit Händen an, wir erwarten, daß jeden Augenblick der Nebel zerreiße, der uns umwickelt. Aber diese Mauern, diese sorgsam verriegelte Tür wiesen dem armen Maler mit frecher Miene ihr festes unbezwingliches Dasein. Erschüttert, mit lautem Seufzen ließ er sich auf den nächsten Stuhl nieder, ohne einmal an das Fenster zu treten, das ihm eine weite Aussicht ins Freie und seitwärts einen kleinen Teil der Stadt freundlich und tröstlich hätte zeigen können. In der Tat hatte das Zimmer eine angenehme Lage, in dem obersten Teil des ohnehin hochgelegenen, altertümlichen, hie und da noch befestigten Gebäudes. Dieser eine Flügel war, die Wohnung des Kommandanten und des Wärters ausgenommen, ganz unbewohnt, von einer andern Seite, wo Garnison lag, tönte zuweilen ein munterer militärischer Klang, Trommel und Musik nicht allzu geräuschvoll. Auch die nächsten Umgebungen Theobalds nahmen sich eben nicht sehr düster aus, die Wände rein geweißt und trocken, die Eisenstäbe vor den Fenstern weit genug, um nichts zu verdunkeln, die Heizung regelmäßig, soweit die herankommende Frühlingszeit sie nicht gar entbehrlich machte. Aber an der notdürftigsten Unterhaltung mit Büchern, Schreibzeug und dergleichen fehlte es, und jede Art von Material für den Künstler insbesondere schien ausdrücklich verwehrt. Auch dachte unser Gefangener für jetzt noch an alle das keineswegs; vielmehr liefen seine Gedanken mit der Geliebten, mit dem ganzen zerrissenen und umhüllten Bilde seiner Zukunft beschäftigt, immer in demselben Schwindelkreise, wie an einem unübersteiglichen, von keiner Seite zugänglichen Walle, verzweifelnd hin und her. Und wenn er sich das Ärgste, das Äußerste vorgehalten, so kam ihm doch stets wieder der Glaube an Constanzens richtiges Gefühl, an ihre Klarheit, ihre treue Gesinnung mutig entgegen. Sie mochte ihn damals abgewiesen haben, weil ihre Stellung zum Hofe ihr diesen Zwang auflegte, sie mochte selbst, auf kurze Zeit vom allgemeinen Irrtum angesteckt, einigen Unwillen hegen, aber ihr Herz werde ihn freisprechen, werde mit ihm leiden, sie selbst werde eine Milderung des gegenwärtigen Übels zu befördern wissen. Diese seine Hoffnung gewann nach und nach so viel Stärke, daß ihm die Gestalt der schönen Frau nicht anders als mit dem Ausdruck mitleidiger Liebe wie ein Friedensbote vorschwebte, ja zuletzt mit dem reizenden Ungestüm einer angstvollen Braut, welche die Befreiung des Verlobten fordert. Aber furchtbar lastete die Zeit der Ungewißheit auf ihm, bis er den ersten gütigen Laut von ihr vernehmen könnte! Jenes Billett an den Grafen – kaum erinnerte er sich der hastig hingeworfenen Worte – drückte eigentlich nur eine lebhafte Beteurung seiner Unschuld, einen schmerzlichen Klageton aus, der hauptsächlich auf das Gemüt Constanzens berechnet sein mochte. Ein früher entworfenes Schreiben an die letztere, wovon wir oben etwas gesagt, hatte er mit sich hiehergebracht; er las jetzt diese gemäßigten, freudig hoffenden, kühn versprechenden Linien aufs neue; er glaubte die Teure vor Augen zu haben, ihre zarte Hand zu ergreifen, ihre Zusage zu hören, den Hauch ihres Mundes zu fühlen, und ach! wie stumpfte dann wieder der Anblick dieser Zelle gegen den lebendigsten Traum!

Larkens an seinem Orte quälte sich nicht weniger mit Zweifeln und Sorgen auf und nieder. Es entbehrte seine Phantasie der immer noch lieblichen Hintergründe, womit jener Leidensbruder sich seinen Zustand aufschmeichelte. Überdies mußte er nach einer Äußerung, die ihm privatim zugekommen war, und die er schonungsvoll für sich allein behalten, die Aussicht auf baldige Lossprechung viel weiter hinaus denken, als man sonst geneigt war; und er empfand dies um so peinlicher, je mehr er alle Schuld dieses doppelten Mißgeschicks auf sich zurückführte. Für die auswärtigen Angelegenheiten seines Freundes glaubte er indessen vorläufig dadurch gesorgt zu haben, daß er, auf den Fall eines längeren Stillstandes im schriftlichen Verkehr mit Agnes, diese unter Vorschützung einer Geschäftsreise beruhigte. Einigen Vorteil für seinen geheimen Plan fand er in der Entfernung Noltens von der Person Constanzens. Aber dieser kleine Gewinn, wie teuer erkauft! Und bedachte er vollends, was er selbst entbehre durch die Trennung von Theobald, was in solcher Widerwärtigkeit der Trost eines gemeinsamen Gespräches wäre, erwog er die Unmöglichkeit, sich auch nur durch einen Buchstaben von Zeit zu Zeit wechselsweise mitzuteilen und anzufrischen, so hätte er laut toben, er hätte aufschreien mögen über die Einförmigkeit eines Daseins, wovon er, der ungebundene, keck verwöhnte und reizbare Mensch nie einen Begriff gehabt. Die einzige Hoffnung setzte er auf ein Verhör.

Schon waren einige Tage verstrichen, als die Lage der beiden durch die zugestandene Erholung mit Lektüre bereits erträglicher zu werden versprach, doch Larkens wies dergleichen starrsinnig von sich, und während Nolten bei allem erdenklichen Leidwesen doch den Vorzug genoß, daß ihm teils die Liebe, teils ein zu Hülfe gerufener Künstlersinn immer neuen Stoff zu innerlicher Belebung zuführte, so versank der Schauspieler gar bald in die Finsternis seines eigenen Selbst, er wurde die freiwillige Beute eines feindseligen Geistes, den wir bisher nur wenig an ihm kennengelernt, weil er ihn selber bis auf einen gewissen Grad glücklich genug bekämpft hatte. Um uns übrigens hierin ganz verständlich zu machen, wird folgender Aufschluß hinreichen.

Von vermögenden Eltern herkommend, ohne sorgfältige Erziehung von Hause aus, bezog er sehr jung die Akademie, wo er, keinen festen Plan im Auge, neben einem lustigen kameradschaftlichen Treiben dennoch schöne philosophische und ästhetische Studien machte. Eine Reise nach England und die Höhe des dortigen Schauspielwesens bekräftigte den Entschluß, sich mit höchstem Ernste dieser Kunst zu weihen. Seine erste theatralische Schule begleiteten bereits öffentliche Proben auf einem der angesehensten Schauplätze, und die Aufmerksamkeit des Publikums wurde zur Bewunderung, als er, obwohl ungerne, dem Rate eines erfahrenen Mannes folgend, sich eine Zeitlang in durchaus komischen Repräsentationen erging. In dem Maße, wie er, einem sonderbaren Naturzwang zufolge, wieder zum Ernsthaften einlenkte, nahm der allgemeine Beifall ab, und so schwankte er unbefriedigt, mißlaunisch ein volles Jahr hin und her, ohne einsehen zu wollen, welchem von beiden Fächern er sein Talent zuwenden müsse. Dazu kam der Übelstand, daß dem praktischen Künstler seine poetische Produktivität viel mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche seiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel, wenn ihn mitten in der schaffenden Lust das Handwerk störte, was um so unvermeidlicher war, da seine Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnensphäre lagen und nur von einem engen Freundeskreise gefaßt und geschätzt werden konnten. Dieser widrige Konflikt des Dichters und des Brotmenschen brachte die ersten Stockungen und Unordnungen in seinem Leben hervor; aus Verdruß über die Unausführbarkeit seiner höhern Geisteswelt warf er sich in den Strudel der gemeinen, und die Leidenschaften, welche er durch kunstmäßige Darstellung im schönen Gleichgewichte mit seinem bessern Selbst zu erhalten gedacht hatte, ließ er jetzt in zügelloser Wirklichkeit rasen.

Um jene Zeit hatte sich unter seinen Freunden die eigene Sucht hervorgetan, sich durch Erfindung und Durchführung fein angelegter Intrigen zu zeigen. Larkens spielte in einem gutartigen Sinne hierin gerne den Meister, aber leider verwickelte ihn dies Unwesen bald mit einer, als schön und witzig gleichbekannten, Schauspielerin, ein Umgang, der ihn bald in einen Wirbel der verderblichsten Genüsse niederzog. Sein Beruf ward ihm leidige Nebensache, und, mehr als einmal im Begriffe, verabschiedet zu werden, erhielt er sich nur dadurch, daß er von Zeit zu Zeit durch eine Vorstellung, worin er allem Genie aufbot, die Gunst seiner Leute gewaltsam an sich riß. Mit Schmerzen blickte man ihm nach, als er freiwillig den Ort verließ, welcher Zeuge seiner traurigen Versunkenheit gewesen. Er entsagte dem unwürdigen Leben, raffte sich zu neuer Tätigkeit auf, und ward ein erfreulicher Gewinn für die Stadt, worin wir ihn später als Noltens Freund kennenlernten. Aber jene fleckenvolle Zeit seines Lebens hinterließ auch dann noch eine unüberwindliche Unruhe, eine Leere bei ihm, als er seine sittliche und physische Natur längst mit den besten Hoffnungen aus dem Schiffbruch gerettet hatte. Des heiteren geistreichen Mannes bemächtigte sich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte seinen Körper zerrüttet, er glaubte die ursprüngliche Stärke seines Geistes für immer eingebüßt zu haben, obgleich er den zwiefachen Irrtum durch tägliche Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden, wenn dieser bemüht war, seine Grillen zu verjagen, mit wehmütigem Lachen das traurige Argument entgegen: »Das bißchen, was noch aus mir glänzt und flimmt, ist nur ein desparates Vexierlichtchen, durch optischen Betrug in euren Augen vergrößert und verschönert, weil sich's im trüben Hexendunste meiner Katzenmelancholien bricht.« Mit solchen Ausdrücken konnte er sich ganze Stunden gegen Theobald erhitzen, und erst nachdem er sich gleichsam völlig zerfetzt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe, eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem Zeugnis aller, die ihn umgaben, unglaublich sanft und liebenswürdig gewesen sein soll. Außer Theobald und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte ihn jedoch keine Seele von dieser schwermütigen Seite, er wußte sie trefflich zu verbergen, und sein Betragen auf diesen Punkt gab selbst dem Menschenkenner niemals eine Blöße. Inzwischen war der gute Einfluß nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, sein kräftiger Sinn, auf jenes verdunkelte Temperament ausübte, denn wenngleich unser Maler selbst an einer gewissen Einseitigkeit leiden mochte, so war doch sein sittlicher Grundcharakter unerschütterlich, und ein Streben nach voller geistiger Gesundheit beurkundete sich zeitig in der mehr und mehr zum Allgemeinen aufsteigenden Richtung seiner Kunst, mit Bereinigung alles dessen, was ihm von einer phantastischen Entwicklungsperiode noch anklebte. Larkens schöpfte mit Lust aus dieser Quelle ein reines Wasser auf sein dürres Land, er hielt sich leidenschaftlich an den neuerworbenen Freund, ohne doch diese Inbrunst stürmisch im Worte zu verraten; vielmehr geriet er unwillkürlich in die gemäßigte Rolle eines Mentors hinein, eines Meisters, welcher durch eigenen unsäglichen Schaden klug geworden, dem Jüngern gar wohl gelegentlich auf die rechte Spur helfen zu können glaubt. Und indem er so am raschen Strom eines in jugendlicher Fülle strebenden Geistes teilnahm, erwuchs ihm ein neues Zutrauen zu sich selber, die Schuppen seines veralteten Wesens fielen ab, eine frische Bildung erschien darunter. Immer seltener wurden jene selbstquälerischen Ausbrüche, ja sie verschwanden zuletzt völlig; was Wunder, daß nun ein Gefühl von Dankbarkeit ihn unserem Freunde auf ewig verband, daß er sich's zur Pflicht machte, mit aller Kraft für das Wohl des Geliebten zu arbeiten? Mögen wir auch an einem auffallenden Beispiele, das er von diesem warmen Eifer gab, einen Hang zum Seltsamen keineswegs verkennen, so war die Intention dennoch die lauterste, brüderlichste, und wer wollte ihm verargen, wenn er bei der zarten Pflege, die er einem gebrochenen Liebesverhältnis widmete, zugleich seinem Herzen den Triumph bereitete, welcher in dem Zeugnis lag, daß er als ein vielversuchter Abenteurer sich dennoch mit unschuldiger Innigkeit an der eingebildeten Liebe eines engelreinen Wesens erfreuen konnte, eines Mädchens, das er nie mit Augen gesehen und an dessen Besitz er niemals gedacht hatte, so wünschenswert er auch erscheinen mochte. Gerne begnügte er sich mit der Fähigkeit, ein schönes Ideal noch in sich aufnehmen und außer sich fortbilden zu können; er fing an, mit sich selber, mit der Welt sich zu versöhnen. So weit war alles in gutem Geleise: nun aber herausgerissen aus aller Tätigkeit, aus einem gesellig zerstreuenden Leben, dem Elemente seines Daseins, gefoltert überdies von dem Gedanken, einem teuren Freunde Veranlassung zu bedenklichem Unfalle geworden zu sein, erwehrte er sich eines allgemeinen Trübsinnes nicht mehr, die alten Wunden brachen wieder auf, geschäftig wühlte er darin, Vergangenheit und Gegenwart flossen in ein grinzendes Bild vor ihn zusammen, er betrachtete sich als den elendesten der Menschen, er verlor sich mit Wollust in der Vorstellung, daß dem Manne, durch Schuld und Jammer überreif, die Macht gegeben sei, das Leben eigenwillig abzuschütteln. Je gewisser er im äußersten Falle auf diese letzte Freistatt rechnen konnte, und je ruhiger er nach und nach den entsetzlichen Gedanken beherrschen lernte, desto mehr gewann sein Gemüt auf der andern Seite an Freiheit und an Mut, die nächste Zukunft duldend abzuwarten; sein Zustand wurde milder, sogar heiterer.

Eine unerwartete Unterbrechung dieses brütenden Stillesitzens, so angenehm sie erschien, wollte ihn doch beinahe störend überraschen, da er die ersten Fäden einer allmählichen Verpuppung durch den Zudrang frischen Lebenshauches wieder zerrissen, und sich selbst zu neuer Hoffnung aufgemuntert sah. Denn eines Morgens, in der vierten Woche der Gefangenschaft, trat der Kommandant ins Zimmer, mit der Nachricht: es solle beiden Herren erlaubt sein, zuweilen einen und den andern Freund bei sich zu sehen, doch jeder nur auf seinem eigenen Zimmer und ohne daß die Gefangenen selbst zusammengeführt würden. Larkens dankte so gut er konnte, besonders verdroß ihn die letzte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weiteren guten Vorurteil, das man aus dieser Vergünstigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt, und überdies vermutete Larkens, daß man diese Gunst nur der besonderen Attention des Herzogs gegen Nolten zu verdanken habe.

Den ersten Abend brachten Ferdinand und Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem Schauspieler, wozu sich noch ein dritter Freund anschloß. So lebhaft ein solches Wiedersehen sein mußte, so freundlich die lieben Gäste mit Neuigkeiten aller Art und mit dem besten Weine zu Belebung der Gemüter das Ihrige taten, so war es doch nur erzwungene Freude, und Theobald wußte sich um so weniger zu lassen, da er gleich anfangs hören mußte, daß sein Billett an Zarlin zwar angenommen worden, daß jedoch bei einem Besuche, welchen Leopold im Hause gemacht, der Graf bloß ein allgemeines, ziemlich kühles Bedauern geäußert habe. Insofern Leopold nichts von der wahren Beziehung wissen sollte, welche Noltens Interesse für jene Familie hatte, so konnte dieser nur durch entfernte Fragen herauslauschen, daß Constanze gar nicht sichtbar, auch keine Rede von ihr gewesen sei.

Diese Lage der Dinge drückte nun freilich schwer auf das Herz des geängstigten Liebhabers, aber wie ward ihm vollends zumute, als der Bildhauer sein vor einigen Wochen schon gemachtes Anerbieten wiederholte, einen Brief an Agnes zu besorgen, ja als er gutmütig äußerte, wie er die ganze Zeit her im Zweifel gewesen, ob er nicht selbst diese Pflicht übernehmen und dem Vater des Mädchens die leidigen Begebenheiten schonungsvoll beibringen solle, wie ihn aber ein Wort, das Larkens gleich anfangs hierüber fallenlassen, dennoch beruhigt habe. »Jawohl«, sagte Nolten, »dafür ist schon Rat geschafft!« und verdrängte diese Materie, während er im stillen aus der ablehnenden Äußerung, welche der Schauspieler getan haben sollte, nicht ganz klug werden konnte, und überhaupt auf die traurigsten Kombinationen verfiel.

Die Art, wie Larkens die Besuche aufnahm, war im Grunde ansprechender, denn er setzte von jeher einen Vorzug darein, sich vor Menschen zusammenzunehmen und eine wohlwollende Annäherung, auch wenn sie zur Unzeit kam, gutmütig, zart und gefällig zu erwidern. Die Nachricht aber, womit man ihn besonders zu erfreuen dachte, daß das Theater und dessen Liebhaber herzlich und laut um ihren besten Liebling trauern, nahm er gleichgültig auf und wollte nichts davon hören. Die Urteile der Stadt im allgemeinen betreffend, hieß es, man trage sich mit allerlei übertriebenen Meinungen von dem Vergehen der Verhafteten; die Vernünftigen zucken die Achsel, niemand wolle an eine gänzliche Unschuld der beiden glauben. Auch hatten indessen drei Verhöre stattgefunden, ohne daß man dadurch einer glücklichen Entscheidung um vieles nähergerückt wäre.

War der Zustand unseres Paares unter diesen Umständen beklagenswert genug, so sollte noch die schwerste Prüfung über den Maler ergehen, indem sich auf alle die heftigen Erschütterungen ein Fieber bei ihm ankündigte, das der Arzt sogleich für bedeutend erkannte. Der Kranke verließ seit drei Tagen das Bett nicht mehr, häufig lag er ohne Bewußtsein da und in freieren Stunden war das Gefühl seines Elends nur um so stärker; die Phantasien der Fieberhitze setzten ihr grelles Spiel auch im Wachen fort und schleuderten den Gequälten in unbarmherzigem Wechsel hin und her. Bald nahte sich Constanze seinem Lager, und wenn sein inniger Klageton ihr Mitleid, ihre Liebe ansprach, wenn sich die edle Gestalt soeben über den Leidenden herzusenken schien, floh sie entsetzt und zürnend wieder weg; bald zeigte sich die verstoßene Agnes an der Tür, den stillen Blick betrübt auf ihn gerichtet, bis sie sich nicht mehr hielt und lautweinend neben ihm auf die Kniee stürzte, seine Hand mit tausend Küssen bedeckte und er die arme Reuevolle gleichfalls liebreich an sich herzuziehen genötigt war.


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