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Zwölftes Kapitel.
Im Tulare-Tal

. Die langgedehnten Täler des Sacramento und des San Joaquinflusses, die den Staat Kalifornien fast in seiner ganzen Länge von Nordwesten nach Südosten durchschneiden, endigen im Süden in ein weites, reichbewässertes Becken, das sogenannte Tularetal.

Das Tal hat seinen Namen von »Tule«, der mexikanischen Bezeichnung für Binsen erhalten, und in der Tat hätte kein passenderer Name gewählt werden können, da um die Seen herum, oder vielmehr in diesen, fast ebenso große Flächenräume, wie die blanken und stillen Wasserspiegel einnehmen, mit zehn bis fünfzehn Fuß hohen Binsenwaldungen bedeckt sind.

Der Riesenhirsch und die wilden Bestien, die zur Zeit der Schneestürme aus den Gebirgen niedersteigen, finden in diesen eigentümlichen Waldungen sichere Zufluchtsstätten. Für den Menschen dagegen sind sie, des morastigen und mit wenig Wasser bedeckten Bodens wegen, nur an vereinzelten Stellen zugänglich.

Die weiten, mit Gestrüpp bewachsenen ebenen Flächenräume, die im Hochsommer ausgetrockneten Becken kleinerer Seen, vorzugsweise aber die mit Baumgruppen geschmückten und eingefaßten Bergströme, die sich auf der Ostseite in den buntesten Windungen den Seen zuschlängeln, bieten indessen zu jeder Jahreszeit dem Jäger und Fallensteller schöne Reviere, in denen er ungestört und mit Erfolg seiner Beschäftigung nachgehen kann.

Auch das wilde Rindvieh, das in starken Herden die Ebenen durchschwärmt, wird dort mit zu dem jagdbaren Wild gerechnet und ist namentlich für den einsamen Ansiedler, der noch nicht im Besitz eines ausreichenden Viehstandes ist, von unschätzbarem Werte.

Die Nähe der Goldminen und der für die Verwertung der Bodenerzeugnisse günstiger gelegenen Landstrecken ist indessen die Ursache, daß erst sehr wenige Ansiedler ihren Herd in dem Tularetal gegründet haben. Diese sind in den meisten Fällen Trapper, die nach einem langen, bewegten Leben in den Gebirgen, hier an der Seite einer schmucken Indianerin ein willkommenes, ihren Neigungen entsprechendes Asyl für ihre alten Tage finden.

Da die, das obere mit dem unteren Kalifornien verbindende Landstraße, bei dem bequemeren Verkehr auf dem Ozean, nur wenig belebt ist, so kann das Gebiet dieser Seen noch immer mit Recht als Wildnis betrachtet werden; denn die Schafherden, wenn auch deren Mitglieder nach Tausenden zählen, die wenigen einsamen Hirten und die vereinzelten Blockhütten verschwinden zu sehr auf den unabsehbaren Flächen, als daß sie irgendeine Veränderung im äußeren Charakter der Landschaft hervorzubringen vermocht hätten.

Dagegen tragen die mächtigen, mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgszüge im Osten, die niedrigeren, bis zur Unzugänglichkeit zerklüfteten Bergjoche im Süden und Westen nicht wenig dazu bei, das malerisch Wilde des Tales zu erhöhen, während gegen Norden, wie um an die Unendlichkeit und Öde des Ozeans zu erinnern, der fast beständig blaue Himmel auf der ebenen Talfläche ruht.

Von irgendeiner der südlichen Höhen aus gesehen, bietet das Tularetal mit seiner prachtvollen Gebirgseinfassung, mit seinen glänzenden Wasserspiegeln und der duftigen, unbegrenzten Fernsicht, als großes Ganzes einen unbeschreiblich schönen und erhabenen Anblick. Über viele, viele Quadratmeilen hin schweift das Auge wie über ein großes Rundgemälde.

Die merkwürdig klare Atmosphäre rückt scheinbar alles dichter zusammen, und Tagereisen liegen oft zwischen den Punkten, die man, von oben herab gesehen, innerhalb einer halben Stunde glaubt erreichen zu können.

Die Bildung des Tales selbst trägt natürlich mit zu der optischen Täuschung bei, indem die Berge nicht unmittelbar aus der Talniederung aufsteigen und deshalb diese nicht scharf begrenzen, sondern ihre sanft abfallenden Abhänge weithin in das Tal hineinsenden und mit diesem ineinander verschwimmen lassen.

Unten aber zeigt sich die wunderbar schön eingerahmte Landschaft als eine öde Ebene, und die Seen, die dem Wanderer vor kurzem noch so verlockend entgegenschimmerten, werden dem Auge durch die neidischen Binsenwaldungen entzogen.

Unheimliche Stille und beängstigende Einsamkeit umgeben den müden Reisenden jener Regionen; Baumgruppen, Gestrüpp und Binsenwaldung fallen in der Ferne mit der Ebene zusammen, und das Ziel, auf das er lossteuert, scheint, in demselben Maße, in dem er sich vorwärts bewegt, neckisch vor ihm zurückzuweichen.


Die graue, herbstlich gefärbte Ebene, die starren, phantastisch ausgezackten Gebirgszüge, die langen, grünen Binsen, alles schwamm noch im hellen Abendsonnenschein, während die weißen Gipfel der Sierra Nevada schon wie lebendiges Feuer glühten. Die Luft war kalt; über den Seen wie über den feuchten Stellen des Tales bildeten sich lange Nebelstreifen, die träge und fast regungslos in der Luft hingen und gleichsam auf den Untergang der Sonne harrten, um sich dann heimlich und ungesehen miteinander zu einem einzigen großen Schleier zu verbinden.

Trotz des Sonnenscheins und trotz der Nebelstreifen herrschte aber doch eine unbeschreibliche Öde in dem Tularetal. Selbst die Töne, die von den bei Annäherung des Abends ihre Verstecke verlassenden Geschöpfen herrührten und die zuweilen an die friedlichen, von harmlosen Haustieren reich belebten Wohnungen der Menschen erinnerten, brachten keine wesentliche Veränderung in die allgemeine Stille.

Dort unter jenem Schleier kläffte ein Rudel Kayotes; weiter hinten, unter einem ähnlichen Vorhang, heulte im tiefsten Klageton ein vereinzelter weißer Wolf; unter dem Nebelzelt, das über dem See schwebte, wurden die verschiedenen Stimmen der Wasser- und Sumpfvögel laut; aus dem äußersten Rande der Schilfwaldung ließ sich das Winseln des beutegierigen Jaguars vernehmen, dem aus weitester Ferne das herausfordernde Brüllen eines wilden Stiers folgte. Von der andern Seite des Sees herüber erschallte in leisen Schwingungen der monotone Gesang einiger Indianer; und alle diese verschiedenartigen Stimmen und Töne, so viele es ihrer auch waren, sie verschwommen nicht ineinander, denn sie waren durch zu große Zwischenräume voneinander getrennt; aber indem sie in der reinen und stillen Atmosphäre auf viele Meilen den Umkreis durchdrangen und gewissermaßen die große Ausdehnung der Ebene bekundeten, verstärkten sie das Gefühl der Verlassenheit, das den einsamen Wanderer dieser großartigen Wildnis beschleichen mußte. –

Es war am zweiten Tage nach jenem Abend, an dem Inez die Botschaft des Chinesen erhalten hatte, als Juan sein Pferd vorsichtig und langsam an den südwestlichen Abhängen in das Tal niederführte. Er war durch den Uvaspaß gekommen, hatte aber bis zum Aufsteigen der Nebeldünste seine Reise auf den westlichen, ziemlich wegsamen Bergabhängen fortgesetzt, um nicht vom Tal aus bemerkt zu werden. Jetzt, wo er glauben durfte, den etwa in der Nähe des Sees Lagernden verborgen zu bleiben, beeilte er sich also, ebenen Boden zu gewinnen.

Sein Pferd zeigte in allen Bewegungen die größte Entkräftung, und mehrfach mußte er es halten, wenn es, aus dem abschüssigen Wege ausgleitend, vornüber zu stürzen drohte.

Während er nun seine Aufmerksamkeit und Sorgfalt dem edlen Tiere zuwandte, ließ er seine Blicke aber auch von Zeit zu Zeit nach der Richtung hinüberschweifen, wo am Rande des Sees Reisende zu übernachten pflegten.

Diejenigen, die er dort zu finden erwartete, waren noch nicht eingetroffen; der in der ruhigen Atmosphäre steil emporwirbelnde Rauch würde ihre Anwesenheit verraten haben.

Endlich langte er am Fuße des Abhanges an. Ein Blick belehrte ihn, daß die Sonne, die eben den Kamm der Berge berührte, kaum noch eine Stunde scheine, ein zweiter, daß die Strecke bis zu der bezeichneten Stelle noch über zehn Meilen betrage.

Schnell entfernte er dann den Sattel von dem schäumenden Rücken des zitternden Pferdes, legte ihn aber ebenso schnell wieder auf, nachdem er den letzten Inhalt der Rumflasche darüber ausgeleert und dann die nassen gekräuselten Haare trocken und glatt gestrichen hatte.

Mit kummervoller Miene befeuchtete er dann einige Stückchen Brot mit Wein, die das erschöpfte Tier mechanisch aus seiner Hand fraß. Auch ein Schnittchen rohes Fleisch schob er ihm tief in den Rachen, wie er ihm auch den letzten Wein aus der Flasche in den Hals und über die brennende Zunge laufen ließ. Er selbst nahm nichts zu sich, und im nächsten Augenblick befand er sich wieder im Sattel, und auf seinen Zuspruch setzte das Pferd sich in Bewegung.

Anfangs stolperte es, als hätte es das Gleichgewicht nicht mehr zu halten vermocht. Allmählich wurde sein Schritt aber sicherer, und nachdem es ungefähr hundert Ellen in seinem gewöhnlichen Paßgang zurückgelegt hatte, verfiel es in einen gestreckten, langsamen Galopp. Doch indem es wieder warm wurde, gewannen auch seine Bewegungen an Geschwindigkeit, und dahin ging es, um die Wette mit den Enten, die pfeilschnell dem See zuflogen.

Die Sonne versank hinter den Bergen, die Nebelstreifen dehnten sich weiter aus; der schwarze Juan bemerkte es nicht. Seine Augen waren starr auf den Kopf des Pferdes gerichtet, und zeitweise entglitten freundlich aufmunternde Laute seinen Lippen.

Graue Schatten eilten über die Ebene, und Dämmerung senkte sich auf den See; die eisigen Häupter der Sierra Nevada glühten noch in purpurnem Feuer, und mit scheinbar ungeschwächter Kraft überwand das edle Roß Meile auf Meile.

Als ob das stolze Gebirge seine leuchtenden Augen träge zum Schlummer geschlossen habe, so verdunkelte sich endlich der rötliche Schimmer. Stern auf Stern drängte sich auf der tiefblauen Himmelsdecke hervor, und heißer entwand sich der Atem den gespreizten Nüstern des Pferdes; über die braune Wange des Arrieros rollte eine Träne.

Die Nebelstreifen hatten sich vereinigt und über die Straße hin ausgedehnt. Die feuchte Luft schien den edlen Renner zu erquicken. Weiter und schneller griff er aus; jeden Satz begleitete er mit heftigem Schnauben, und wie vor Ungeduld biß er mit den festen Zähnen krachend auf die stählerne Kandare.

Der schwarze Juan setzte sich lose, er wußte, es war die letzte Kraft des armen Tieres.

An der ersten Spitze der Schilfwaldung war er schon vorübergeflogen, und nur noch zwei Meilen betrug die Entfernung nach dem Lagerplatz. Da stand das Pferd plötzlich still; es wankte, und kaum hatte Juan sich aus dem Sattel geschwungen, da sank es langsam auf die Knie nieder. Einen Augenblick stützte es sich noch mit dem Kopf auf den betauten Rasen, dann aber brach es auch hinten zusammen, und schmerzlich stöhnend und wie um Hilfe flehend richtete es die Blicke auf seinen Reiter.

Der schwarze Juan weinte, denn die Klagetöne schnitten ihm durchs Herz, doch es war keine Zeit zu verlieren.

Die Decke, die dazu bestimmt war, ihn selbst während der Nacht zu erwärmen, breitete er sorgfältig über das getreue Roß aus, dann aber wandte er sich schnell ab, wickelte den geschmeidigen Lasso um seine Hüften und, in den indianischen Trab verfallend, eilte er auf die Seespitze zu, wo er unter der Nebelschicht hindurch endlich das Aufflackern eines kleinen Feuers bemerkt hatte.

Es konnten nur seine Freunde sein, die dort eingetroffen waren. Wo aber befanden sich die Räuber? War die Nachricht des Chinesen eine begründete gewesen, oder war das edle Pferd nur infolge einer feindseligen Gefühlen entspringenden Vorspiegelung geopfert worden?

So fragte sich der schwarze Juan, indem er rüstig seine Richtung verfolgte und, um schneller an Ort und Stelle zu gelangen, weit von dem Wege abbog.

Ungefähr fünfzig Ellen weit mochte er sich von der Binsenwaldung befinden, deren äußerster Rand sich fast parallel mit der von ihm eingeschlagenen Richtung hinzog, als plötzlich ein schwacher Lichtschimmer, der zwischen den Binsen hindurchfiel, seine Augen traf und ihn veranlaßte, in seinem Lauf inne zu halten.

Er war unentschlossen; sollte er sich zuerst nach dem entfernteren Feuer hinbegeben, vor dem er Sidneys lange Gestalt zu erkennen glaubte, oder war es geratener, sich von dem Charakter der Gesellschaft zu überzeugen, die hier, an so ungewöhnlicher Stelle, ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte.

Sie hegte offenbar den Wunsch, von Vorüberziehenden nicht bemerkt zu werden; mußte also auch Gründe haben, ein sicheres Versteck zum Aufenthaltsort zu wählen. Er hielt es daher schließlich für dringend geboten, wenigstens einen Blick in das verborgene Lager zu werfen, um dann ermessen zu können, inwieweit die dort hausenden Personen vielleicht mit dem bekannten Raubanschlag in Verbindung zu bringen seien.

Er schaute nach dem Ufer zurück, um später, bei einer etwaigen Flucht, die Richtung nicht zu verlieren, und bemerkte, was ihm bei seinem Eintritt in das schattige Dickicht entgehen mußte, daß er gerade neben einer Stelle in die Binsen eingedrungen war, auf der man durch vielfaches Hin- und Hergehen einen breiten Pfad gebrochen hatte.

Durch einen Blick nach oben, gegen die über den Binsen schwebende Nebelschicht, überzeugte er sich leicht, daß der Pfad kaum einen Schritt weit von ihm entfernt, gerade auf das versteckte Feuer zulief. Er war eben im Begriff, in diesen einzubiegen, weil er hoffte, daselbst geräuschloser vordringen zu können, als ein Plätschern, das sich von dem Feuer her näherte, seine Füße plötzlich auf den Boden förmlich festbannte und ihn veranlaßte, niederzukauern und den Atem anzuhalten.

Zu dem Plätschern gesellte sich gleich darauf der Ton von Stimmen, die mit einem gewissen Ausdruck von Sorglosigkeit zueinander sprachen und zeitweise einen Fluch über den unbequemen Weg mit einschalteten.

Das Murmeln und Lachen bei dem Feuer dauerte indessen noch fort, ein sicheres Zeichen, daß der größte Teil der dort Versammelten zurückgeblieben war.

Die sich nähernden Personen, die Juan in seiner kauernden Stellung vor der Nebelschicht als zwei Männer in amerikanischer Tracht erkannte, befanden sich jetzt in dem Pfade ihm gerade gegenüber, also so dicht bei ihm, daß der unter ihren Füßen emporspritzende Morast ihn besudelte. Sie schienen sich über einen Teil ihrer Unterhaltung höchlichst zu ergötzen. Sie sprachen zwar nicht mehr zueinander, lachten aber so lange, bis sie ihre Füße auf den trockenen Boden des Ufers stellten, und auch da verließ sie nicht ihre Laune, indem bald der eine, bald der andere immer wieder, wenn auch geräuschloser, als zwischen den Binsen, vor sich hin kicherte.

Die ganze Erscheinung und das Benehmen dieser beiden Männer hatte, soweit der Arriero es in der Dunkelheit zu beobachten vermochte, sehr viel Mißtrauenerregendes. Er verdoppelte daher womöglich noch seine Vorsicht, um nicht von ihnen entdeckt zu werden, was indessen bei ihrer brutalen Sorglosigkeit keine schwierige Aufgabe für ihn war. Aber selbst auch dann, wenn sie wachsamer um sich geschaut hätten, würden ihre Augen nicht imstande gewesen sein, Juans Gestalt von dem schwarzen, in undurchdringliche Schatten gehüllten Boden zu trennen.

Kaum waren sie bei ihm vorüber, so drehte der Arriero sich auf derselben Stelle behutsam um, so daß das von ihm erzeugte Geräusch mit dem Plätschern der watenden Unbekannten zusammenfiel, und er sie, als sie nach dem Ufer hinaufgetreten waren, im Auge behielt.

Sie befanden sich dort kaum fünf Schritte von ihm entfernt, also nahe genug, um jedes der zwischen ihnen gewechselten Worte vernehmen und verstehen zu können.

Ihr nächstes Ziel schien eben nur das trockene Ufer zu sein; denn nachdem sie durch heftiges Aufstampfen den Morast von ihren Fußbekleidungen entfernt hatten, stellten sie sich so hin, daß sie das Feuer an der oberen Seespitze, das Juan so lange hatte sehen können, bis auf den helleren Schimmer im nächsten Umkreise, vollständig verdeckten.

»Sie werden verdammt leicht reisen,« sagte der größere der beiden Unbekannten in echt irländischem Dialekt, »hahaha, verdammt leicht, wenn ihre Unhöflichkeit nicht Schuld daran ist, daß sie gar nicht mehr zu reisen brauchen!«

Der Arriero fuhr bei diesen Worten unwillkürlich mit der Faust nach dem Messer. Er hatte genug gehört, um nicht mehr zu bezweifeln, daß die Botschaft des Chinesen sich als begründet erwiesen habe und das Pferd seiner Gebieterin nicht vergebens geopfert worden sei. Bei diesem letzten Gedanken neigte er den Kopf nach vorn, um sich kein Wort, keine Andeutungen entgehen zu lassen, die vielleicht dazu dienten, das Entkommen seiner Freunde aus der mißlichen Lage zu erleichtern und schließlich die Räuber auch für ihre üblen Absichten zu strafen. Er hatte sich plötzlich in einen der wilden Krieger verwandelt, in deren Mitte er seine erste Jugendzeit verlebte.

»Fürchte, sie werden einfältig genug sein, nicht ohne Widerrede sich in unsere Wünsche zu fügen«, entgegnete der andere mit einem höhnischen Lachen.

»Wäre nicht so schlimm, beim heiligen Patrik! wenn sie einigen unserer Kameraden das Lebenslicht ausbliesen,« fuhr der erste fort, der niemand anders als Finney, der Herkules, war, »denn, beim Satan! jeder, der fällt, bietet uns eine hübsche Erbschaft.«

»St!« flüsterte Finneys Gefährte, der Harlekin, »einer ist so mißtrauisch wie der andere, und es können uns Spione auf den Fersen nachgefolgt sein.«

»Goddam! Laß sie spionieren, so viel sie wollen,« versetzte Finney lauter, seine Worte aber für einen etwa unberufen lauschenden Kameraden abmessend. »Ich wiederhole nochmals: jeder, der fällt, bietet uns eine hübsche Erbschaft, und sollte ich zur Hölle fahren, so gönne ich den Überlebenden meinen Anteil von Herzen gern. Bootjack wird übrigens dafür sorgen, daß ihre Zähne nicht zu scharf sind.«

»Ist Bootjack schon bei ihnen?« fragte der Harlekin schnell.

Finney gab keine Antwort, der schwarze Juan aber riß seinen Revolver aus dem Gurt; denn er bemerkte, daß der Angeredete seine mit einem büchsenähnlichen Gegenstand bewaffneten Hände emporhob, den Kopf etwas zur Seite neigte und dann kaltblütig auf das Feuer zielte. Er setzte aber sogleich wieder ab und schaute sich mißtrauisch um; das Knacken der Binsen, die bei Juans Bewegung umbrachen, war zu seinen Ohren gedrungen.

»Es ist nichts,« versetzte der Harlekin ungeduldig, »einige der von uns angestoßenen und beschädigten Binsen sind wohl durch ihre eigene Schwere niedergezogen worden; schaut nur hinüber, ob Bootjack schon bei ihnen eingetroffen ist.«

Wiederum hoben sich die Arme des Herkules. Juan ließ sich dieses Mal aber nicht aus seiner gezwungenen Lage aufstören oder zu einer Bewegung hinreißen, die ihn so leicht verraten konnte. Schon in demselben Augenblick, in dem er nach der Pistole griff, hatte er erkannt, daß es kein Gewehr war, das der vierschrötige Bursche scheinbar an die Schulter führte, sondern ein langes Fernrohr, wie sie in Kalifornien so vielfach von Reisenden geführt werden, und namentlich von den wenigen Viehzüchtern am Rande des Tularetales, wie auch in andern Ebenen zur Bewachung der hirtenlosen Herden und zum Aufsuchen verlorener Tiere gewöhnlich benutzt werden.

Er verhielt sich also ruhig und lauschte gespannt weiter.

Nach einigen Minuten tiefer Stille setzte der Herkules das Fernrohr ab, und als der Harlekin ihn dann nach dem Resultat seiner Forschungen fragte, da antwortete er nur durch sein gewöhnliches schadenfrohes, unterdrücktes Lachen.

»Wer hätte diesem verdammten rothäutigen Schurken so viel Menschenverstand zugetraut?« sagte er endlich. »Er sitzt da, als ob er kein Wasser zu trüben vermöchte, und ich will mich hängen lassen, wenn er seine alten Freunde nicht um etwas Lebensmittel anbettelt.«

»Seine Freunde? Kennen sie ihn denn? Es wäre doch gefährlich.«

»Wer in diesem Teil Kaliforniens kennt nicht den Bootjack« fragte Finney gleichgültig zurück. »Ich glaube, er hat schon zeitweise auf des alten Spaniers Fluren gelebt, sucht sich aber, da er gescheit genug ist, nicht arbeiten zu mögen, sein bißchen Brot auf eine reellere Art zu erwerben. Übrigens kann er uns nicht gefährlich werden; stände dergleichen zu befürchten, Goddam! ein Schlag auf seinen zottigen Schädel, und die Gefahr wäre beseitigt.«

»Aber ein guter Schlag gehört dazu«, fügte der Harlekin mit Überlegung bei.

Finney hatte unterdessen das Fernrohr wieder ans Auge gebracht und setzte seine Forschungen weiter fort.

Lautes Plätschern in dem Fußsteig störte ihn abermals in seiner Beschäftigung, und Juan zählte nicht weniger als fünf andere Mitglieder der Bande, die ebenfalls dicht bei ihm vorüberschritten, während sich von der verborgenen Lagerstelle her noch immer das Murmeln von Stimmen vernehmen ließ.

Daß hier an einen Widerstand nicht zu denken sei, unterlag keinem Zweifel; aber auch der Versuch einer offenen Flucht, ja, sogar sein Erscheinen bei dem Majordomo hatte viel Gefährliches, weil, wie der Arriero ja deutlich sah, dessen Lagerfeuer beständig durch das Fernrohr bewacht wurde.

»Was gibt's Neues?« fragte der Vorderste der Ankommenden, als er zu Finney und dem Harlekin nach dem Ufer hinauftrat.

»Weiter nichts, als daß die Vögel ausfliegen werden, wenn ihr fortfahrt, eure Kehlen so weit aufzureißen,« entgegnete Finney, indem er das Fernrohr wieder hob, »ihr glaubt wohl, sie haben keine Ohren?«

»Bah, müßten verdammt feine Ohren sein, die auf zweitausend Schritte zu unterscheiden vermöchten«, versetzte die erste Stimme wieder.

»Ruhig, ruhig«, begütigte ein anderer. »Bei Gott, wer durch eine Unvorsichtigkeit den Grund gibt, daß uns der reiche Fang entschlüpft, dem schieße ich eine Kugel durch den Kopf, so wahr ich mir auf der schändlichen Insel nasse Füße geholt habe.«

Die Warnung wurde von allen Seiten belacht, worauf sich unter der Gesellschaft eine im flüsternden Tone geführte Unterhaltung entspann, während Finney, mit ernsteren Gedanken beschäftigt, längere Zeit das Lager des Majordomos fest im Auge behielt.

»Bootjack macht seine Sache vortrefflich«, sagte er endlich, das Fernrohr zusammenschiebend und sich zu seinen Gefährten wendend. »Vor Ablauf einer Stunde werden wir aber kaum daran denken können, ihnen einen guten Abend zu wünschen. Sie sind erst mit der Zubereitung ihrer Mahlzeit beschäftigt. Will mich hängen lassen, wenn sie nicht etwas Besseres im Kessel haben, als wir.«

»Ihr könnt Euch ja an den übrig gebliebenen Brocken schadlos halten«, bemerkte einer scherzend.

»Glaube kaum, daß Bootjack viel übrig lassen wird«, entgegnete Finney ernst und mit bebender Stimme; denn je näher die Zeit des Angriffes rückte, um so aufgeregter wurde er, und um so mehr erwachte seine unbezähmbare Räubernatur.

»Also noch über eine Stunde?« rief einer aus der Gesellschaft, der sich bisher ruhig verhalten hatte, gelangweilt aus. »Bleibt ihr, wo ihr wollt, ich habe nicht Lust zu frieren.« Und so sprechend begab er sich in den Pfad, um an das verborgene Feuer zurückzukehren.

Die übrigen machten Miene, ihm nachzufolgen, als Finneys Bemerkung, daß wenigstens einer auf dem Posten bleiben müsse, sie wieder zum Halten veranlaßte.

»Wir dürfen sie keinen Augenblick außer acht lassen,« versicherte er, »Bootjack kann jede Minute das Zeichen geben, daß es ihm geglückt ist, die Waffen zu beseitigen und daß sie wirklich schlafen.«

»Werden wohl nicht dumm genug sein, alle zugleich die Augen zu schließen«, entgegnete ein anderer, davonschreitend.

»Worin, zum Teufel, besteht aber das Zeichen, das Bootjack zu geben beabsichtigt?« fragte der Harlekin.

»Er wird ein halbes dutzendmal ums Feuer herumgehen und dann die Arme träge nach oben ausrecken«, erläuterte der Irländer, der am meisten bei dem Raubplan beteiligt zu sein schien und sich von allem genaue Kenntnis verschafft hatte.

»Goddam! Wenn Ihr so gut Bescheid wißt, warum wollt Ihr selbst nicht die Rolle der Schildwache übernehmen?« fragte ein Dritter, indem er in den Pfad einlenkte und den beiden vorangegangenen Gefährten schnell nachfolgte.

»Während ihr am Feuer sitzt und heißen Whisky schlürft,« erwiderte Finney höhnisch, sein Fernrohr wieder stellend, »wie ich schon sagte,« fuhr er fort, des Majordomos kleines Lager aufmerksam betrachtend, »vor Ablauf eurer Stunde ist an das verabredete Zeichen nicht zu denken, denn der verhungerte Bursche, der sich in ihrer Gesellschaft befindet, ist eben erst im Begriff, den Tisch zu decken. Aber gut, ich werde hier bleiben«, fügte er hinzu, und gleichzeitig schob er das Fernrohr wieder zusammen, »wenn mir einer von euch einen Tropfen Whisky bringt.«

»Zweimal durch den Morast nach der Insel hinüberwaten, während Ihr Euch hier die Sohlen der Stiefel nicht einmal befeuchtet«, lachte die übrige Gesellschaft, sich nun ebenfalls, einer hinter dem andern, in den Pfad begebend.

Finney stieß einen Fluch aus, schaute noch einmal lange und aufmerksam nach dem Feuer hinüber. Er entfernte sich offenbar nur sehr ungern von seinem Posten; allein der Durst nach Whisky überwog seine Vorsicht, die, wenn es einem Raube galt, nicht gering war, und die sich in der Abwesenheit Toby Rings, seines Ratgebers, stets noch bedeutend steigerte. Die Überzeugung, daß das Zeichen in nächster Zeit nicht erfolgen werde, trug indessen mit zu seiner Beruhigung bei, und die Blicke rückwärts gewendet, solange er das fragliche Feuer zwischen den Binsen hindurch zu unterscheiden vermochte, stolperte er in den morastigen Pfad hinein, und zwar so dicht an dem lauschenden Juan vorüber, daß er dessen Knie leise mit seinem Stiefel streifte.

Während der ganzen Zeit der zwischen den Wegelagerern geführten Unterhaltung hatte der Arriero einen Plan entworfen, seine Freunde zu warnen, ohne dabei seine Gestalt den Blicken der Räuber auszusetzen, die ihn, sowie er in den Schein des Feuers trat, unbedingt durch das Fernrohr gewahren mußten.

Finney mochte ungefähr zwanzig bis dreißig Schritte weit in die Binsenwaldung eingedrungen sein, wo er murrend und fluchend seinen beschwerlichen Weg durch den zerstampften Morast verfolgte, da glitt der schwarze Juan leicht und geräuschlos, wie eine Katze, nach dem flachen Ufer hinauf. Sobald er dann erst festen Fuß gefaßt hatte, lenkte er ohne Zögern auf das lodernde Feuer seiner Freunde zu, jedoch nicht in gerader Richtung, sondern immer an dem vielfach gewundenen Rande der Schilfwaldung hin, wo also der Schatten zu dicht war, als daß er durch das zufällig über ihn hinstreifende Fernrohr hätte entdeckt werden können.

Sein Weg war durch die Windungen allerdings länger geworden, allein er bewegte sich mit solcher Schnelligkeit vorwärts, daß er sich nach kaum einer Viertelstunde seit seinem Aufbruch vollständig in Hörweite seiner Freunde befand.

Dort nun änderte er die ganze Art und Weise seines Fortschreitens, denn er hatte jetzt eine doppelte Aufgabe: erstens, den verräterischen Kahuilla so unschädlich zu machen, daß die durch das Fernrohr spähende Schildwache getäuscht wurde, und zu verhüten, daß der Majordomo und Sidney eine bei den Räubern Verdacht erweckende Überraschung zeigten.

Das Feuer wurde nach verschiedenen Richtungen hin durch niedriges Weidengestrüpp verdeckt. So auch nach der Binsenwaldung hin, in der der Arriero herangeschlichen war. Da er nun bemerkt hatte, daß der geschäftige Fernando mehrfach zwischen dem Feuer und der Wasserstelle oder Tränke des Sees hin und her ging, so rechnete er mit Bestimmtheit darauf, dieser werde ihn bei einer ähnlichen Wanderung, vielleicht wenn er kam, um Wasser zum Ausspülen der gebrauchten Gefäße zu holen, Gelegenheit geben, ihm seine Anwesenheit zu verraten.

Die letzten hundert Schritte hatte der Arriero an dem niedrigen Abhange des Ufers hinkriechend zurückgelegt. Als er bei der Tränke anlangte, wo der Schatten mehrerer Weidenbüsche seine Gestalt noch mehr verhüllte, schob er behutsam seinen Kopf über den Uferrand hinaus.

Wie leblos lag er da und schaute hinüber. Er hatte nur noch Gedanken für sein Vorhaben.

Endlich, nach längerem Harren, als die beiden Freunde schon das vor dem Einschlafen so unerläßliche Pfeifchen anzündeten, erhob sich Fernando und schritt, in jeder Hand ein Gefäß tragend, der Tränke zu.

Die schläfrigen Blicke des listigen Indianers verfolgten ihn so lange, bis er in der Dunkelheit verschwand, dann aber richteten sie sich wieder auf den Majordomo, den er um etwas Tabak ansprach.

Seine Bitte wurde gewährt, und mit scheinbarer Teilnahmlosigkeit begann er sich eine Zigarette anzufertigen, während Robert und Sidney, ihn nicht weiter beachtend, näher an das Feuer heranrückten und sich angelegentlich miteinander unterhielten.

Fernando hatte unterdessen die Tränke erreicht und kniete in unmittelbarer Nähe von dem Arriero nieder, um das eine Gefäß mit Wasser zu füllen. Da drangen plötzlich die Worte: »St, der schwarze Juan ist hier«, wie das Säuseln eines leisen Lufthauches zwischen den Binsen, zu seinen Ohren.

Er erschrak und richtete sich halb empor, indem er fest auf die Stelle hinblickte, von der er die geheimnisvolle Warnung vernommen hatte. Erkannte er nun, trotz des flüsternden Tones, die Stimme oder hatten seine, seit langen Jahren an die Dunkelheit gewöhnten Augen die Gestalt des Arrieros entdeckt, genug, er bückte sich sogleich wieder nieder und flüsterte ebenso leise zurück:

»Ich höre.«

»Wasche die Gefäße mit lautem Geräusch, neige mir dein Ohr zu und verrate keine Überraschung über das, was ich dir mitteile«, begann der Arriero.

Fernando leistete der Aufforderung Folge, und Juan sprach weiter:

»Feinde umgeben uns, Räuber, die den Majordomo auszuplündern beabsichtigen – sei ruhig, Knabe«, unterbrach sich der Arriero, als Fernando, über die Nachricht entsetzt, sich wiederum halb aufrichtete und einen besorgten Blick zu Robert hinübersandte. »Sei ruhig, gib kein Zeichen des Schreckens von dir; der Kahuilla dort am Feuer ist der Verräter; meine Anwesenheit muß ihm ein Geheimnis bleiben. Von dir allein hängt unsere Rettung und die Rettung des Geldes ab. Merke auf meine Worte und erzeuge mehr Geräusch. – Sage dem Majordomo und seinem Gefährten, daß ich hier sei; zwei Worte genügen dazu; doch achte darauf, daß der Indianer keinen Verdacht faßt. Entrinnt er, so sind wir verloren. Wenn ihnen ihr Leben lieb ist, dann sollen beide sich aufrecht vor das Feuer hinstellen, mit dem Kahuilla sprechen und keine Überraschung zeigen, möge auch vorfallen, was da wolle. Auch wenn sie mich erblicken, dürfen sie ihre Stellung nicht verändern; sie werden aus der Ferne durch ein Glas beobachtet. Teile ihnen dies mit, sprich nur die Worte: Fernrohr und Desperados aus, und sie werden verstehen, was ich meine, und sich darnach richten. Dann kehre wieder hierher zurück, aber mit Gefäßen, um Geräusch erzeugen zu können. Also fort jetzt, handle wie ein Mann, auf deiner Klugheit beruht alles.«

Fernando war durch das eben Vernommene so sehr erschreckt worden, daß ihm das Blut in den Adern stockte und es ihm eine förmliche Anstrengung kostete, seine durcheinander wirbelnden Gedanken wieder zu sammeln. Als er sich aber erhob und, dem Lager zuschreitend, den Majordomo beobachtete, der so frei von jeder bösen Ahnung zu Sidney sprach, da schien er zum vollen Bewußtsein der Verantwortlichkeit zu gelangen, die jetzt auf ihm ruhte. Sein unsicherer Schritt wurde fester, und seine Augen erhielten einen leidenschaftlichen Glanz. An die Stelle der früheren Besorgnis trat ein wilder Triumph, der ihn darüber beseelte, seine Dankbarkeit und treue Anhänglichkeit für die vielen empfangenen Wohltaten endlich auf so sprechende Art an den Tag legen zu können.

Nachdem er die gereinigten Gefäße bei dem Feuer niedergestellt hatte, begab er sich, einem unbestimmten Instinkt folgend, zu dem etwas abwärts aufgestapelten Gepäck hinüber, worauf er den Majordomo bat, ihm beim Zusammenschnüren eines geöffneten Gepäckstückes hilfreiche Hand zu leisten.

Er brauchte seine Bitte nicht zu wiederholen, denn schon in der nächsten Minute kniete Robert an seiner Seite, und hier war es, wo Fernando den ihm gewordenen Auftrag pünktlich ausrichtete.

Robert hatte in den letzten Jahren seines vielbewegten Lebens sich zu oft in mißlichen Lagen befunden, als daß die Nachricht einer Gefahr ihn jetzt noch aus der Fassung zu bringen vermocht hätte. Wie sehr er aber dem Scharfsinn des schwarzen Juans vertraute, wie gewandt er dessen Gedanken erriet und auf seine Pläne einging, das bewies er, indem er auf Fernandos kurzen Bericht in lautes Lachen ausbrach und, sich in Lobeserhebungen über Sidneys riesenhafte Körperkräfte ergehend, auch noch diesen zum Beistand bei der Arbeit aufforderte.

Sidney erschien; aber beinahe wären des Arrieros Pläne bei dieser Gelegenheit zum Scheitern gebracht worden, indem der mißtrauische Kahuilla Sidney auf dem Fuße nachfolgte und in seiner listig durchdachten, idiotenähnlichen Weise ebenfalls seine Hilfe anbot.

Robert hatte nur gerade so viel Zeit gewonnen, seinem Freunde zuzuraunen, daß Gefahr drohe, und daß er, durch nichts beirrt, in jeder Beziehung unbedingt seinem Beispiele folgen möge, worauf er wieder laut auflachte.

Sidney verstand Roberts Absicht, und um darzulegen, daß er eine unbekannte Gefahr nie unterschätze, er aber vorbereitet sei und Robert auf ihn rechnen könne, ließ er ebenfalls ein lautes Lachen erschallen und folgte ihm dann nach dem Feuer hin, wo er sich an seine Seite stellte.

Auch der Indianer nahm wieder seine alte Stellung ein. Wenn er aber etwas wie Mißtrauen darüber empfand, daß die beiden Freunde, anstatt, wie er erwartet hatte, ihr Nachtlager aufzusuchen, an nichts weniger, als an den Schlaf zu denken schienen, so wußte er dies sehr wohl zu verbergen. Er zündete sich nämlich eine neue Zigarette an, und nachdem er seine Beine mit vieler Sorgfalt in die langen Schöße seines Rockes gehüllt hatte, begann er mit so viel Behaglichkeit zu rauchen, wie nur je ein Pascha inmitten einer üppigen Umgebung seinem Tschibuk süße Rauchwolken entlockte.

Fernando war unterdessen wieder zu dem Arriero zurückgekehrt und rasselte mit der blechernen Kaffeekanne im Wasser, als wenn er dieselbe zertrümmern wollte.

Auf einen Wink Juans stellte er aber das Geräusch sogleich wieder ein, füllte dagegen die Kanne, gemäß der erhaltenen Weisung, mit Wasser und begab sich dann geraden Wegs zu dem Kahuilla, jedoch auf die dem Arriero abgewendete Seite, worauf er ihm mit aufmunternder Gebärde das Gefäß zum Trinken darbot.

Der Indianer schaute grinsend zu dem Knaben empor und gab zu verstehen, das Wasser des Sees sei nicht nach seinem Geschmack, und dies war gerade der Augenblick, den der Arriero zur Ausführung seines schlau durchdachten Planes wählte.

Er hatte nämlich schon vorher den Lasso von seinen Hüften gewickelt, die Schlinge geöffnet in die rechte Hand genommen, in die Linke dagegen so viel von der geschmeidigen Leine in große Reifen zusammengerollt, als er glaubte, daß die Entfernung bis zu dem Indianer betrage. Als dann Fernando dessen Aufmerksamkeit auf sich lenkte und fesselte, da sprang der Arriero leicht und geräuschlos auf seine Füße; die Schlinge beschrieb drei Kreise über ihm in der Luft, und wie ein Pfeil schoß sie dann auf den Kahuilla zu, dem sie sich mit einer wunderbaren Genauigkeit um den vorgereckten Hals legte.

Kaum fühlte der überlistete Verräter die Schleife über sein Haupt gleiten, so machte er auch Miene, davonzuspringen. Der schwarze Juan aber hatte die Entfernung bis zu ihm zu glücklich berechnet und die erforderliche Länge des lose zu haltenden Lassoendes zu genau abgemessen, als daß hier ein Entrinnen noch möglich gewesen wäre; denn in demselben Augenblick, in dem der Kahuilla mit beiden Händen nach seinem Halse faßte und emporschnellte, fühlte er sich auch zu Boden gerissen und fortgeschleift.

»Bleibt, wo ihr seid, und rührt euch nicht von der Stelle, wenn euch euer Leben lieb ist!« hatte Juan mit dringender Stimme gerufen, sobald er merkte, daß sich der Verräter in seiner Gewalt befand. »Das Fernrohr, das Fernrohr!« wiederholte er warnend, indem er mit Aufbietung aller Kräfte sein Opfer aus dem Schein des Feuers in den Schatten zog und sich dort auf den schwerbetäubten Körper warf.

Fernando erbleichte, als er den Indianer, wie durch Zaubergewalt, aus seiner Nähe verschwinden sah. Auch Robert und Sidney waren plötzlich schweigsam geworden. Sie vergaßen aber nicht die nötige Vorsicht und bewegten sich äußerlich so ruhig, als ob der Kahuilla nur seinen Scherz getrieben hätte. Ihre Brust war aber doch beklemmt, und gewiß hätten beide viel lieber einer größeren Gefahr gerade in die Augen geschaut, als hier untätig gestanden, während ganz in ihrer Nähe ein Freund vielleicht auf Tod und Leben kämpfte.

»Juan, gebrauchst du Hilfe?« fragten Robert und Sidney fast gleichzeitig, als auf der Stelle, wo sie den Arriero mit dem Kahuilla wußten, Stille eingetreten war.

»Bleibt, wo ihr seid, und bedenkt, daß die Räuber euch durch ihre Fernrohre bewachen!« rief Juan zurück. »Ich darf mich nicht im Schein des Feuers zeigen, ihr dürft denselben nicht verlassen, und mit dem Kahuilla will ich schon fertig werden.«

Nach einer Pause von fünf Minuten vernahmen sie abermals des Arrieros Stimme, der sehr eindringlich zu dem Indianer sprach und dann seine Worte an Sidney richtete.

»Don Sidney,« rief er aus, »nehmt Eure Büchse, setzt Euch vor das Feuer nieder und reinigt das Schloß oder jeden andern Teil der Waffe, der Euch bequem ist. Sorgt aber dafür, daß die Mündung mit Bootjacks Schädel beständig in gleicher Linie bleibt. Sowie er Miene macht, zu entspringen, jagt ihm eine Kugel durch sein verräterisches Gehirn. Laßt ihn nicht entkommen, wenn Ihr überhaupt hofft, die Rancho jemals wiederzusehen.«

Juan sprach absichtlich die Drohung gegen den Kahuilla sehr langsam und ausdrucksvoll aus, damit sie von diesem verstanden werden sollte. Daß auch Sidney die Sache ernst nahm, ging daraus hervor, daß er Juans Ratschläge sehr schnell ausführte und noch zum Überfluß beschwor, er würde lieber ein halbes Dutzend Kahuillas über den Haufen schießen, als sich auch nur eine Stunde über die Zeit von der geliebten Rancho durch solche Schurken zurückhalten lassen.

siehe Bildunterschrift

Bebenden Herzens beobachtete Fernando die mit Gedankenschnelligkeit aufeinanderfolgenden Vorgänge.

Bebenden Herzens beobachtete Fernando die mit Gedankenschnelligkeit aufeinanderfolgenden Vorgänge. Sein Gesicht glühte und aus seinen großen Augen leuchtete eine Wildheit, die sich wieder mit der eines jungen Panthers hätte vergleichen lassen. Furcht für sich selbst empfand er nicht, dagegen sprach eine tiefe Besorgnis aus allen seinen Zügen, wenn seine unstet umherirrenden Blicke über Roberts Gestalt hinglitten.

Dieser nun, obgleich zitternd vor Spannung, bewahrte eine Kaltblütigkeit, die jedenfalls dazu beitrug, die sie etwa beobachtenden Räuber zu täuschen, wenn diese wirklich das blitzschnelle Verschwinden des Kahuillas bemerkt hatten. Er kreuzte nämlich die Arme über die Brust, und auf Sidney niederschauend, der sich schon niedergekauert hatte und mit lobenswertem Eifer den Kolben seiner Büchse polierte, sagte er mit unnachahmlicher Naivetät:

»Eine schöne Falle, in die wir geraten sind; sitzen hier wie Schulbuben, die nicht rechts oder links schauen dürfen, während der brave Juan die ganze Arbeit allein übernommen zu haben scheint.«

»Verdammt!« entgegnete Sidney, ein Zeichen, daß seine Aufregung einen sehr hohen Grad erreicht hatte. »Ich möchte, trotz Juans Warnung, ihm beispringen und dem Kahuilla den Schädel entzweischlagen.«

»Das kann schwerlich dein Ernst sein«, gab Robert zur Antwort. »Fernando würde dich ja beschämen; denn sieh ihn nur an, es kostet ihn gewiß keine geringe Mühe, sich so ruhig zu verhalten, und er ist doch nur noch ein Kind. Wer weiß, was Juan beabsichtigt und was ihn hierhergeführt hat. Der treue Bursche verdient, daß wir seine Anordnungen pünktlich befolgen. Du kennst ihn, er spricht kein Wort ohne Grund. Übrigens ist es nicht die angenehmste Lage, in der wir uns befinden.«

Er wollte noch weiter sprechen, wurde aber durch den Kahuilla daran verhindert, der mit blutendem Gesicht, ein wahres Bild des Elends, wieder in den Schein des Feuers trat und sich langsam und scheu seinem alten Platze näherte.

Robert war im Begriff, seine Überraschung darüber zu äußern, als er gewahrte, daß die Hände des Wilden, als habe er sie nachlässig vor sich gefaltet, zusammengefesselt waren, und außerdem noch die Schleife des Lassos seinen rechten Fuß oberhalb des Knöchels mit einem doppelten Knoten umschloß.

»Setze dich!« rief Juan ihm nach, sobald er ihn vor dem Feuer stehen sah, und da dieser nicht sogleich Folge leistete, so riß er so heftig an der Leine, daß er sich niedersetzen mußte, wenn er nicht in die Flammen stürzen wollte. Nach dieser Vorkehrung rief er Fernando herbei und forderte ihn auf, das lose Ende der Leine zu dem Majordomo herumzutragen, was dieser mit dem ihm eigentümlichen Eifer sogleich ausführte.

Während nun Robert und Sidney bald mit freundlichen Worten, bald unter den heftigsten Drohungen den Kahuilla zum Sprechen zu bringen trachteten, auf alle Fragen aber nur beständig die Antwort: »Ich unschuldig, ich nichts wissen«, herausbrachten, schlich der Arriero in weitem Bogen um das Feuer herum, so daß dieses zwischen ihm und den spähenden Räubern blieb, und näherte sich dann im Schatten eines Weidenbusches seinen alten Gefährten bis auf wenig Schritte.

In gedrängter Kürze teilte er ihnen sein zufälliges Zusammentreffen mit den Wegelagerern mit und beschrieb zugleich, wie er diese belauscht habe.

»So lange der Kahuilla dort sitzt und ihr ihm Gesellschaft leistet, ist fürs erste noch kein Angriff zu erwarten«, schloß er seinen Bericht. »Aber fort müssen wir, nur die schnellste Flucht kann uns retten, denn es sind nicht weniger als sechzehn bis zwanzig Schurken in den Binsen verborgen, und ich bezweifle nicht, daß alle gut beritten sind.«

Natürlich pflichteten Robert und Sidney dem Arriero in allen Vorschlägen bei, und nach kurzer Beratung kam man überein, daß Fernando und Juan im Hintergrunde die Pferde satteln, bepacken und zum augenblicklichen Aufbruch bereit halten, Robert und Sidney dagegen vor dem Feuer ihre Pfeifen weiter rauchen und dabei den Indianer bewachen sollten.

Nach Verlauf einer guten Viertelstunde waren alle Vorkehrungen zur Flucht getroffen. Auch über die einzuschlagende Richtung hatte man sich geeinigt und das Gepäck so auf alle fünf Pferde verteilt, daß auch Juan beritten gemacht werden konnte. Das Geld war an die Sättel der Reiter geschnallt worden, um, für den Fall man gezwungen sein sollte, das nunmehr einzige Packtier aufzugeben, keine schwereren Verluste zu beklagen zu haben.

Übrigens würden die Räuber, wenn ihr Unternehmen wirklich geglückt wäre, sehr enttäuscht worden sein, indem der Majordomo kaum den fünften Teil der in San Franzisko gelösten Summe in Gold bei sich führte, für das Übrige dagegen, um die Last zu vermindern, sich hatte sichere Wechsel ausstellen lassen.

Sobald der Arriero und Fernando die Pferde so dicht herangeführt hatten, wie sie durften, ohne sich den Spähern zu verraten, traten Robert und Sidney noch einmal hinter den Indianer.

Mit gewandtem Griff schoben sie seine emporgezogenen Knie zwischen seinen gefesselten Armen durch, worauf sie einen starken Stock zwischen den Armen und den Kniekehlen hindurchzwängten. Als sie sich dann überzeugt hatten, daß der Verräter ohne fremde Hilfe nicht imstande sei, sich von seinen Banden zu befreien, klemmten sie ihm noch einen Knebel zwischen die Zähne, lösten sodann den Lasso von seinem Fuß, und gemächlich, als wenn sie sich nunmehr wirklich zur Ruhe hätten begeben wollen, schritten sie davon.

Bei den Pferden eingetroffen, schauten sie noch einmal zurück. Der Indianer saß regungslos auf seiner alten Stelle, und Sidney sowohl wie Robert konnten sich beim Anblick des unglücklichen Kahuillas eines schadenfrohen Lachens kaum erwehren.

»Die Schurken können lange warten, ehe Bootjack ihnen das Zeichen gibt«, sagte ersterer, nachdem er Juan durch einen herzhaften Händedruck seine Dankbarkeit verdeutlicht hatte.

»Sie werden schon kommen, wenn ihnen die Zeit zu lang wird,« versetzte Robert, sich in den Sattel schwingend. »Gut ist es aber, daß wir wenigstens Bootjack erkannt haben. Im Guten oder im Bösen, auf die eine oder die andere Art muß er zum Sprechen gebracht werden.«

»Wird wohl nicht zu viel mehr in seinem Leben sprechen«, bemerkte der Arriero gleichgültig.

»Was?« rief Robert aus, sich zu Juan wendend, »du hast ihn doch nicht lebensgefährlich verwundet?«

»Ich nicht,« entgegnete Juan, »man wird aber dafür sorgen, daß er nicht zu viel spricht. Die dort drüben,« hier deutete er nach der Stelle hinüber, wo er die Räuber belauschte, »lassen nicht mit sich scherzen. Doch kümmert Euch nicht um den verräterischen Kahuilla; laßt uns eilen; die Räuber sind vielleicht ungeduldig geworden oder haben durch das Glas etwas bemerkt, das ihnen Mißtrauen einflößt, und befinden sich näher, als wir ahnen.«

Niemand antwortete mehr; Fernando ritt an Roberts Seite, Sidney und Juan, letzterer das Packpferd führend, eröffneten den Zug, und in schnellem Trabe entfernten sie sich auf dem Wege, den sie kurz vor Abend gekommen waren, um, auf der Nordseite des Sees herumreitend, nach dem östlichen Rande des Tales hinüber zu gelangen.


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