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Paris

1906-07

Briefe an Otto Modersohn

Paris, den 22. Februar 1906.

Lieber Otto,

ich danke Dir vielmals für Deinen lieben, langen Brief. Antworten kann ich darauf jetzt nicht und will es nicht, denn es würde dieselbe Antwort sein, die ich Dir in Worpswede gegeben habe. Du schreibst mir ja auch Dinge, die Du mir schon alle mündlich gesagt hast. Laß uns diese Sache, bitte, im Augenblick gar nicht berühren und eine Zeit ruhig vergehen. Die Antwort, die sich dann finden wird, wird die richtige sein. Ich danke Dir für alle Deine Liebe. Daß ich nicht nachgebe, ist nicht Grausamkeit und Härte. Es ist für mich selber hart. Ich tue es nur mit dem festen Gedanken, daß ich nach einem halben Jahre Dich wieder quälen würde, wenn ich mich jetzt nicht genug prüfen würde. Versuche, Dich an die Möglichkeit des Gedankens zu gewöhnen, daß unsere Leben auseinandergehen können.

Nun wollen wir längere Zeit nicht wieder darüber sprechen. Es hat keinen Zweck.

Mir geht es natürlich nicht sehr gut. Ich war durch die inneren Aufregungen ziemlich herunter, als ich herkam, bin jetzt noch nicht in der Arbeit und in der rechten Wohnung. Morgen werde ich umziehen.

Ich habe hier bei Durant-Ruel eine schöne Manet-Ausstellung gesehen, besonders gefiel mir der Mann mit der Gitarre, den wir irgendwo abgebildet gesehen haben, und ein Kaninchen-Stilleben. Dann gab es noch einen Saal, Odillon Redon, für den ich mich aber nicht begeistern kann. Mir scheint, viel Geschmack und Kaprize, aber die Grundlage zu schwach. Er hat viel Blumenstücke, meist in Pastellfarben, ausgestellt. Die Farben haben keine große Leuchtkraft.

Paris, den 9. März 1906.

Lieber Otto,

liebe, liebe Briefe von Dir liegen vor mir und machen mich traurig. Es ist immer wieder derselbe Schrei in ihnen und ich kann Dir doch nicht die Antwort geben, die Du haben möchtest. Lieber Otto, laß eine Zeit ruhig verstreichen und laß uns beide abwarten, wie meine Gefühle dann sind. Nur, Lieber, versuche den Gedanken ins Auge zu fassen, daß sich unsere Wege scheiden werden.

Ich möchte so gerne, daß Du und meine Familie unter meinem Schritt nicht so litten. Aber wie soll ich es anfangen? Das einzige Mittel ist die Zeit, die alle Wunden langsam und allmählich heilt.

Daß Du zwei Bilder verkauft hast, freut mich sehr für Dich, es ist doch eine Aufmunterung in dieser schweren Zeit.

Bist Du wohl so freundlich gewesen und hast die Zeichnung von mir schon abgeschickt? Ich wollte sie gern zum Eintritt in die Ecole des Beaux-Arts haben, der dann immer noch nicht gewiß ist. Es soll da gut gearbeitet werden und ist billiger. Wenn Du sie noch nicht abgeschickt hast, laß es, bitte, dann wird es mir zu spät und ich trete doch in eine von den Privatschulen ein.

Ich fange an, mich hier einzuleben. Das Wetter war diese Woche prachtvoll, so warm, daß man auf der Straße schon den Schatten aufsuchte. Wenn man dann abends aus dem Zeichenkursus kommt und die große Stadt in der bläulichen Dämmerung liegt mit den angezündeten Lampen, dann ist es sehr schön.

Vergangenen Sonntag waren Herma und ich in einem sehr schönen Konzert. Im ganzen komme ich nicht viel mit Herma zusammen. Sie hat viel zu lernen, und dann liegt es auf mir, daß ich auch ihr solchen Kummer machen muß.

Lieber Otto, ich drücke Dir die Hand und grüße Dich herzlich.

Deine Paula.

Paris, den 19. März 1906.

Lieber Otto,

ich bin jetzt ordentlich im Zeichnen drin und es macht mir Freude, zu merken, was ich alles hier lernen kann. Die Kerle hier sind so gründlich und akkurat, zwei Eigenschaften, die sich bei mir noch recht vertiefen müssen. Meine Malereien sehen hier dunkel und soßig aus. Ich muß in eine viel reinere Farbe kommen. Ich muß modellieren lernen. Ich muß überhaupt noch allerhand und dann werde ich vielleicht etwas. Und das weißt Du, das ist das Endziel, auf das all meine Wünsche und all mein Streben endet.

Von Zeit zu Zeit hat mich Paris schon ganz wieder in seinem Bann wie in alten Zeiten. Des Abends ist es oft wunderbar, wie der romantischste Hintergrund zu romantischen Dramen. Es ist dann vielleicht weniger zum Malen als zu Taten anregend.

Ich besuche jetzt regelmäßig die vorzüglichen Anatomiekurse der Ecole des Beaux-Arts und höre dort auch eine Vorlesung in Kunstgeschichte. Ich habe sogar den heroischen Vorsatz gefaßt, dort nachmittags Gips zu zeichnen. In die Lebensklasse komme ich nicht so schnell und das Modellieren kann ich auch an Gips lernen.

Mein Atelier ist hell und gesund, hat einige Tannenmöbel, eine Zeuggarderobe und eine Schlafbank, ähnlich wie bei Brünjes. Es hat einen großen Nachteil, man kann den Himmel nicht sehen, die Fenster haben duffes Glas.

Paris, den 9. April 1906.

Lieber Otto,

eben las ich Deinen Brief. Er rührt mich tief. Es rührten mich auch die Worte aus meinen Briefen, die Du mir schreibst. Wie habe ich Dich geliebt. Lieber Roter, wenn Du es kannst, so halte Deine Hände noch eine Zeit über mir, ohne mich zu verurteilen. Ich kann jetzt nicht zu Dir kommen, ich kann es nicht. Ich möchte Dich auch an keinem anderen Ort treffen.

Es ist vieles von Dir, was alles in mir wohnte, und was mir entschwunden ist. Ich muß warten, ob es je wieder kommt oder ob etwas anderes dafür wiederkommt. Ich habe mir her und hin überlegt, was wohl das Beste ist, was ich tue. Ich fühle mich selbst unsicher, da ich alles, was in mir und um mich sicher war, verlassen habe. Ich muß nun einige Zeit in der Welt bleiben, werde geprüft und kann mich selber prüfen. Willst Du mir für die nächste Zeit monatlich 120 Mark geben? daß ich leben kann?

Ich bleibe, so lange ich es aushalten kann, hier in Paris, denn im Augenblick will ich nicht frei arbeiten, sondern schularbeiten. Mein Atelier bei Brünjes habe ich zum 1. Mai an Fräulein W. vermietet. Ich habe ihr nur geschrieben, daß ich den Sommer von Worpswede abwesend wäre.

Ich danke Dir für alles, was Du an mir tust. Du weißt es und kennst mich im Grunde, daß ich nicht schlecht und herzlos bin. Es ist eben meine Sturm- und Drangzeit, durch die ich hindurch muß, und ich kann nicht umhin, meinen nächsten Menschen damit Schmerzen zu machen. Es ist mir schwer, daß ich dies Leid in Dein Leben bringe. Glaube mir, daß es mir selbst nicht leicht ist, doch muß man sich zu dem einen oder anderen Ausgang durchkämpfen.

Es fängt hier jetzt an, sehr schön zu werden. Bei Euch wohl auch. Ich habe prachtvolle Courbets gesehen, es tut mir leid, daß er gerade Mode ist. Ich finde ihn aber großartiger als Manet und Monet. Ein kolossales Blumenstück der verschiedenfarbigsten Stockrosen mit einer weiblichen Figur war prachtvoll gemalt.

Du hast Herma einen Floh ins Ohr gesetzt mit der Reise nach der Bretagne, die sie sehr froh macht. Ich werde sie dann in den Ostertagen irgendwo treffen, wahrscheinlich in St. Malo. Du hast Dir das so lieb ausgedacht.

Schließe Dich an Elsbeth an und an Deine Kunst.

Deine Paula.

*

Briefe an die Familie

Paris, Mai 1906.

Liebe Schwester,

ich werde etwas – ich verlebe die intensiv glücklichste Zeit meines Lebens. Bete für mich. Schicke mir die 60 Frcs. für Modellgelder. Danke. Werde nie irre an mir.

Deine Paula.

Paris, den 8. Mai 1906.

Meine liebe Mutter,

daß Du nicht böse auf mich bist! Ich hatte solche Angst, Du würdest böse sein. Das hätte mich traurig und hart gemacht. Und nun bist Du so gut zu mir. Ja, Mutter, ich konnte es nicht mehr aushalten und werde es auch wohl nie wieder aushalten können. Es war mir alles zu eng und nicht das und immer weniger das, was ich brauchte.

Ich fange jetzt ein neues Leben an. Stört mich nicht, laßt mich gewähren. Es ist so wunderschön. Die letzte Woche habe ich gelebt wie im Rausche. Ich glaube, ich habe etwas vollbracht, was gut ist.

Seid nicht traurig über mich. Wenn mein Leben mich nicht wieder nach Worpswede führen sollte, so waren die acht Jahre, die ich da war, sehr schön.

Ich finde Otto auch rührend. Das und der Gedanke an Euch macht mir den Schritt besonders schwer.

Laßt uns ruhig abwarten. Die Zeit wird das Rechte und das Gute bringen. Was ich auch tue, bleibt fest in dem Glauben, daß ich es mit dem Wunsche, das Richtige zu tun, tue. Kurt drücke ich die Hand. Er ist so gut zu mir gewesen. Er ist für mich ein Stück Vater.

Du, liebe Mutter, bleibe mir immer nah und gebe meinem Tun den Segen.

Ich bin Dein Kind.

*

Briefe an Otto Modersohn

Paris, den 25. April 1906.

Lieber Otto,

jetzt will ich Dir von unserer Bretagner Reise erzählen, die ganz über Erwarten schön ausgefallen ist. Ich danke Dir vielmals für den schönen Gedanken. Ich wollte ja zuerst gar nicht mit, weil ich es eigentlich für überflüssig hielt, tat es schließlich nur, um Herma die Freude nicht zu verderben. Wir beide sind sehr frisch und erfrischt und braun gebrannt nach Paris zurückgekehrt und ich habe schöne Gefühle und Gedanken über die Kunst, die ich von mir noch erhoffe.

Dieses Frankreich ist ein gottgesegnetes Land. Man fährt nach St. Malo durch fruchtbare Obstgegenden, Apfelhecken, durch mannshohe dunkelgelbe Ginsterhecken eingefaßt, eine Art, wie wir sie bei uns gar nicht kennen. Dazu stehen wunderschön die großen, lichtgelben Primeln, die allenthalben sprießen. Man fährt in den Vorort von St. Malo ein und ist einigermaßen enttäuscht, zwanzig Minuten zwischen Schuppen und Plakaten in eine sehr kleine, sehr stinkende, hochhäusige, langweilige Stadt zu gelangen. Wenn Du aber aus Versehen aus der Stadt heraustrittst auf die schmalen Wallmauern, so liegt das große Meer zu Deinen Füßen mit seinen Felsenklippen und Felseninseln, auf denen überall sehr schönlinige alte Forts sind, das gibt grandiose Silhouetten. Wir lebten auch den ganzen Tag auf den Wällen oder auf kleinen Felseninseln und kletterten dort auf den Klippen herum und lachten in den Gischt der Wellen hinein. Andere Tage machten wir schöne Touren. Herma ist ausgezeichnet, mit Umsicht und Übersicht macht sie Pläne, die ich dann nur zu beschneiden brauchte, weil sie manchmal über unsere Kräfte gingen. Hast Du eine Vorstellung von dem milden Klima von Harnsey und Guernsey? So ähnlich ist auch die Gegend um St. Malo herum, von südlicher Üppigkeit, blühenden Rosen und Levkojen, einem Überfluß von blühendem Goldlack. Es ist also nicht die herbe Bretagne von Cottet. Die wäre ein wenig weit und dementsprechend teuer gewesen. St. Malo liegt schon zehn Stunden von Paris entfernt, also eine Reise Bremen – Dresden.

... Vor meiner Reise besuchte ich noch Deinen Landsmann, den Bildhauer Hoetger, dessen Arbeiten in Bremen solchen Eindruck auf mich machten. Er hat einen wundervollen liegenden Akt in Arbeit, ganz einfach monumental. Das kleine Köpfchen in Bremen stellt seine Frau dar. Beide machen den Eindruck, als wenn sie sehr gelitten haben unter dem Druck der Verhältnisse. Er mag Ende der Dreißiger sein. Er war hochinteressiert von den indischen Photographien. Ich soll in dieser Woche noch einmal zum Tee zu ihnen kommen ...

Paris, den 15. Mai 1906.

Lieber Otto,

ich habe Dir furchtbar lange nicht geschrieben, das kommt, weil ich so tüchtig in der Arbeit bin. Mir ist es diese zwei Wochen sehr gut gegangen. Ich habe Nacht und Tag aufs intensivste an meine Malerei gedacht und war auch mit allem, was ich machte, relativ zufrieden. Jetzt flaue ich etwas ab, arbeite nicht mehr so viel und bin auch nicht mehr so zufrieden. Doch im ganzen habe ich immer noch eine höhere und heiterere Anschauung von meiner Kunst, als in Worpswede. Nur verlangt es große, große Anstrengungen.

Dieses Schlafen zwischen seinen Arbeiten ist entzückend. Mein Atelier ist bei Mondenschein sehr hell. Wenn ich aufwachte, sprang ich flugs von meinem Lager und schaute mir meine Arbeiten an und morgens war mein erster Blick auf sie.

Also Hoetger war in meinem Atelier und findet, daß ich großes Talent habe. Er hat mir so gute Dinge gesagt und alles mit so einer einfachen Güte. Es ist doch merkwürdig! In Bremen in der Ausstellung machten mir die Hoetgerschen Arbeiten doch den Haupteindruck. Nun scheinen wir uns gegenseitig so gut zu verstehen. Mir ist, als wenn ich ihn schon lange gekannt hätte. Grund zur Eifersucht ist nicht vorhanden, denn vergangenes Jahr hat er eine Frau geheiratet, die er über alles liebt. Sie ist das kleine Köpfchen, das in Bremen war. Er zieht sie in seinem Geschmack an und sieht in ihr den Himmel. Sie ist ganz Hingabe. Es ist für mich ein feines Glück, diesen Menschen getroffen zu haben.

Paris, den 30. Juni 1906.

Lieber Otto,

seit einer Woche ist das Frachtpaket da und ich wollte Dir schon lange einen Brief schreiben, weil ich weiß, daß Du darauf wartest. Es kam aber immer etwas dazwischen. Ich muß anfangen mit Dank nach vielen Richtungen hin. Erstmal für die Mühe für das Paket, denn Paketemachen geht scheußlich, dann danke ich Dir für Deine Briefe und die Schützenfest-Photographie, schließlich für das Geld.

Nach Deiner Abreise Otto Modersohn war für einige Tage nach Paris gekommen. fühlt ich mich leider sehr schlecht. Ich bin auch jetzt noch nicht wieder so wohl wie vor Pfingsten. Es geht mir aber doch schon wieder viel besser und seit einer Woche kann ich wieder ordentlich arbeiten, was mir im Augenblick die Hauptsache ist. Das Wetter ist immer noch ganz gut. Wenn es auch zwischendurch ein paar heiße Tage gibt, so kühlt es dann doch wieder ab. Ich habe gedacht, daß ich bis August hier bleiben will, dann gehe ich irgendwo aufs Land, wohin, das muß sich ergeben, entweder in die Bretagne oder auch nur vor die Tore von Paris. Bis dahin möchte ich noch einige Sachen tüchtig weiter bringen, und bin gerade im Augenblick dabei, mich tüchtig zu quälen.

Deine Stilleben haben mir viel Spaß gemacht, hauptsächlich das kleine ist komisch mit seinen vielen Schnurrpfeifereien. Mir scheint auch, daß Dir die Wurmfarbe sehr liegt. Das Gelungene ist, daß ich jetzt in Öl versucht habe zu malen, und finde, daß es auch seine guten Seiten hat. Ich brachte Deine Sachen auch nach Hoetgers, die sich sehr dafür interessierten, hauptsächlich gefielen ihnen die: wo der Mann seinen Hut in die Luft wirft, dann wo der Akt am Abhang liegt und schließlich wo die Mutter mit den Kindern unter dem Apfelbaum sitzt. Sie haben beide von Dir einen lieben Eindruck bekommen und werden Dich sicher in Worpswede einmal besuchen. Vorderhand bleiben sie noch in Paris, da er mit seiner großen Figur noch nicht weiter ist, da das Modell krank war. Sie sind beide weiter so fürsorglich und reizend zu mir. Auch die Frau, die zuerst sehr still ist, öffnet sich im Verkehr und erschließt sich als ein Mensch mit sehr feinen Instinkten. Mir ist es immer noch wie ein Wunder, daß ich sie gefunden habe und wir uns so schnell so nahe gekommen sind.

Herma reist morgen abend ab. So wirst Du sie ja auch bald zu sehen bekommen und sie kann Dir noch allerhand erzählen, was wir zusammen getrieben haben.

Daß Frau Brockhaus mein Stilleben gekauft hat, hat mich sehr gefreut. Leider muß ich das Geld gleich weitergeben, denn ich habe im Anfang einmal Rilke um hundert Mark angeborgt, die ich mich nun freue, ihm wiedergeben zu können.

Malst Du tüchtig? Dein großes Stilleben ist leider etwas beschädigt angekommen. Ich behalte es hier. Die anderen Sachen bringt Dir Herma mit.

Schöne Grüße Euch allen.

Deine Paula M.

*

Tagebuchblätter

Paris, den 24. Februar 1906.

Nun habe ich Otto Modersohn verlassen und stehe zwischen meinem alten Leben und meinem neuen Leben. Wie das neue wohl wird. Und wie ich wohl werde in dem neuen Leben? Nun muß ja alles kommen.

8. März 1906.

Im vergangenen Jahr schrieb ich: die Stärke, mit der ein Gegenstand aufgefaßt wird, das ist die Schönheit in der Kunst. Ist es nicht auch so in der Liebe?

8. Mai 1906.

Marées und Feuerbach. Marées der Größere, Feuerbach machte doch Zugeständnisse.

Man sagt, die Malerei habe den Schein darzustellen. Darin erreicht Zoloaga Großes. Doch die Art, in der er es erreicht, ist nüchtern. Es muß Mysterium sein.

Der große Stil der Form verlangt auch einen großen Stil der Farbe.

Zola sagt in » L'oeuvre«: »Der Delacroix steckt uns armen Realisten in den Knochen.« Wir können sagen: der Zola steckt uns in den Knochen.

26. Mai 1906.

Wenn Ottos Briefe zu mir kommen, so sind sie wie eine Stimme von der Erde und ich selbst bin wie eine, die gestorben ist und in seligen Gefilden weilt und diesen Erdenschrei hört.

20. Juli 1906.

Pariser Flöhe. Sie sind so schnell und geistreich, daß man sich schon freut, wenn man sie mal zu sehen kriegt, das Fangen gibt man von vornherein auf.

*

Briefe an die Familie

Paris, den 10. Juli 1906.

Meine liebe Schwester,

du verziehst mich. Du bist so lieb mit mir. Ich danke Dir von Herzen. Wenn ich doch auch so gut zu Dir sein könnte. Du mußt denken, daß es eine Zeit gab, wo ich gut zu Euch war, und daß es wieder eine geben wird, in der ich es auch sein werde. Ich kann Euch nur immer wieder versichern, daß ich versuchen werde, das Richtige zu tun. Mutter beklagt sich, daß ich nicht schreibe. Was soll ich schreiben? Ihr müßt mich jetzt eine Zeitlang lieb haben, wenn auch der Schein gegen mich spricht.

Ich bleibe

Deine Schwester Paula.

Paris, den 12. August 1906.

Ach, liebe Schwester, quäle doch nicht Dich und mich. Ich komme ja zu Dir, ich weiß nur nicht, wann. Übrigens hat Hans mich ja so quasi moralisch verpflichtet, zu kommen, indem er mir das Reisegeld schickte.

Die Hitze ist jetzt vorbei. Und wenn sie auch noch wäre, was sorgst Du Dich um das bißchen Hitze. Du mußt nicht ungeduldig sein in Deiner Liebe. Laßt den Dingen Zeit, das wächst sich schon alles von selber zurecht.

»Nach Kraft ringen.« Das klingt alles so dramatisch. Man tut eben, was man kann und legt sich dann schlafen. Und auf diese Weise geschieht es, daß man eines Tages etwas geleistet hat.

Schuld oder Nichtschuld. Man ist eben so gut oder so schlecht wie man ist. Das Herumdoktern an sich hat wenig Zweck. Man gehe gerade und einfach seinen Weg. Ich halte mich für gut von Natur und sollte ich dann und wann etwas Schlechtes tun, so ist das auch natürlich.

Vielleicht klingen Dir diese Worte hart oder eingebildet. Der eine denkt eben so, der andere so. Die Hauptsache ist, daß jeder einheitlich denkt mit seinem ganzen Organismus.

Wenn man einmal erkannt hat, daß an einem Menschen etwas »dran« ist, wie Ihr es von mir wißt, dann muß man ihn in solch einer Lage, wie ich jetzt bin, ruhig gewähren lassen, auf ihn vertrauen.

Du kannst mir also schreiben, wenn Dein Fremdenzimmerchen leer ist, sonst komme ich auch, wenn T. da ist und kampiere auf dem Sofa.

Ich male im Augenblick Frau Hoetgers Porträt. In ein paar Tagen wird sie mir nicht mehr sitzen können. Vielleicht komme ich bald.

Ich grüße Dich und Deinen lieben Hans.

Deine Schwester Paula.

Paris, den 3. September 1906.

Meine liebe Mutter,

ich habe Dir in diesem Sommer viele Schmerzen gemacht, ich habe selbst darunter gelitten. Es gab keinen Weg, Euch zu verschonen.

Mutter, ich habe Otto geschrieben, er soll gar nicht kommen. Ich werde in dieser Zeit Schritte tun, meine äußere Existenz für die nächste Zeit zu sichern. Verzeiht mir den Jammer, den ich über Euch bringe. Ich kann nicht anders.

Ich gehe für die nächste Zeit aufs Land. Ich werde versuchen, Dir jetzt wieder öfter zu schreiben. Tut keine Schritte, Ihr könnt nichts mehr hindern.

Deine Paula.

Ich habe Euch alle herzlich lieb, wenn es Euch im Augenblick auch nicht so scheinen mag.

Paris, den 16. September 1906.

Meine liebe Schwester,

bitte, wende nicht mehr dieses goldene Mittel an, um etwas von mir zu hören. Ich danke Dir ja so vielmals für Deine Güte, Du mußt aber jetzt auf Weihnachten und auf alles mögliche Schöne sparen. Laß Dir einen Kuß geben und schicke mir nichts wieder. Ich habe genug vor der Hand. Die Ferien bei Dir in Deinem lieben Amorbach sind mir wie ein Traum. Ich lebe wieder mein Leben und Streben. Wenn ich aber an Euch beide zurückdenke, so freue ich mich, daß Du Dir alle Sprünge verkniffen hast. Ich finde es klug und vernünftig von Dir. Bleib nur weiter so. Alles Schöne ist schwer. Nur Hansens Fieber will mir nicht gefallen. Paßt nur beide schön auf. Auch auf den Magen. Lies nur noch einmal den Nietzsche-Satz vom Kochen, der ißt auch zu frisches Brot.

Otto wird nun doch herkommen. Hoetger hat einen Abend in mich hineingepredigt. Darauf habe ich es ihm geschrieben. Du scheinst den Leuten ein wenig Mißtrauen entgegenzubringen. Sie haben es nicht verdient. Sie sind besser als viele andere und benehmen sich mir gegenüber als Freunde. Ich bin durchs Leben etwas vorsichtig geworden und habe natürlich darum mein Urteil über sie noch nicht abgeschlossen. Aber wann kennt man Menschen ganz? Wann ist man imstande, Menschen ganz zu kennen? Das ewige »Was ist Wahrheit?«, was uns täglich in neuer Gestalt entgegentritt!

Ich danke Dir für alle Deine Liebe. Und liebe mich weiter aber ohne Gold. Schreibe mir von Zeit zu Zeit ein kleines Zettelchen, wie es Dir geht. Das ist ja im Augenblick die Hauptsache.

Innige Grüße Dir und Hans

Deine Paula.

Und der Umzug? Soll ich helfen? Du mußt es ehrlich sagen, wenn Du glaubst, daß Du mich brauchst.

*

Brief an Otto Modersohn

Paris, den 16. September 1906.

Lieber Otto,

ich komme heute mit praktischen Fragen über Deinen Aufenthalt hier. Soll ich Dir ein Atelier mieten? Es ist jetzt hohe Zeit, da jetzt großer Anstrom ist. Wann denkst Du ungefähr hier zu sein? Ich denke mir, es ist doch angenehmer für Dich ein Atelier, als so ein schmutziges chambre garnie. Dann müßtest Du vielleicht ein Frachtpaket vorher schicken: Bettzeug und so weiter. Ich habe auch noch einiges, was ich brauche, hauptsächlich mein geliebtes Federbett.

Hoetgers bleiben den Winter noch hier und ich hoffe, Du wirst an ihm einen Freund finden. Der spricht sehr lieb von Dir. Daß ich Dir den lehren Brief schrieb, geschah auf seinen Rat.

Dieser Brief soll kein Brief sein. Ich will nur gerne wissen, wie Du wohnen willst.

Herzliche Grüße
Deine Paula M.

*

Briefe an die Familie

Paris, den 1. November 1906.

Meine liebe Mutter,

ich wünsche Dir, daß Du glücklich bist in Deinem neuen Jahre, so gut es geht. Ich selbst hoffe Dir nicht mehr viel Traurigkeit zu bringen. Ich grüße Euch alle herzlich. Ich bin im Augenblick nicht sehr froh, denn durch meinen Umzug, Ottos Hiersein und die letzte Jubelwoche mit Vogelers bin ich völlig aus der Arbeit gekommen, doch hoffe ich solche Montag wieder zu beginnen. Auf die Dauer ohne Arbeit gefällt mir das Leben nicht.

Otto und ich haben zusammen über Elsbeth gesprochen. Wir sind auf alle Fälle dafür, daß sie in eine leichtere Klasse kommt. Bei ihrem zarten Körper und leichtaufgeregten Nervensystem halte ich die Anforderungen, die an sie gestellt werden, zu hoch. Es schadet ja gar nicht, wenn sie ein Jahr zurückkommt.

Grüße das Kind und die Geschwister. Ich küsse Dich zärtlich.

Deine Paula.

Paris, den 18. November 1906.

Meine liebe Schwester,

Du hast mich wirklich schwesterlich lieb, dafür danke ich Dir. Ich tue es mit Dir auf meine Weise, etwas kärglich, aber innerst. Wenn Du nicht auf Deine Rechnung bei mir kommst, so wird es Dir der Himmel anderweitig vergelten; denn das ist meine Ansicht: belohnt und bestraft werden wir für alles schon auf Erden.

Die Kritik war mir mehr eine Genugtuung als eine Freude. Die Freuden, die überwältigend schönen Stunden, kommen in der Kunst, ohne daß es die anderen merken. Mit den traurigen geht es ebenso. Darum lebt man in der Kunst doch meistens ganz allein. Gut ist aber die Kritik für mein Auftreten in Bremen und wird vielleicht mein Weggehen von Worpswede in ein anderes Licht stellen.

Im Frühling ziehen Otto und ich wieder heim. Der Mensch ist rührend in seiner Liebe. Wir wollen versuchen, Brünjes zu kaufen, um unser Leben freier und breiter um uns zu gestalten, mit allerhand Getier um uns herum. Ich denke jetzt so: wenn der liebe Gott mir noch einmal erlaubt, etwas Schönes zu schaffen, will ich froh und zufrieden sein, wenn ich einen Ort habe, wo ich in aller Ruhe arbeiten kann, und will dankbar sein für das Teil Liebe, was mir zugefallen ist. Wenn man nur gesund bleibt und nicht zu früh stirbt.

Liebe, daß es Euch so gut geht! Ich habe sehr oft an Dich und das Kleinste gedacht. Man muß nur warten können, das Glück kommt schon. Nur laß es Dir ganz einerlei sein, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Findest Du uns denn nicht auch fein?

Otto ist gerade bei Hoetger, der ihn modelliert. Ich bekomme einen Abguß davon. Die beiden verstehen sich mit der Zeit sehr gut. Otto erhofft von diesem Winter vieles für seine Kunst. Es gehen ihm neue Dinge auf. Das ist mir eine große Beruhigung, daß es so ist.

Für Deine Franken habe ich mir natürlich eitel Tand gekauft. Etwas zu Häupten und etwas zu Füßen. Ein paar schöne alte Haarnadeln und ein paar schöne Schuhschnallen.

Leb wohl, Liebes. Sei froh und gut und vorsichtig.

Paris, den 29. Januar 1907.

Meine liebe Milly,

den türkischen Shawl habe ich nicht genommen. Außerdem habe ich Dich aber sehr lieb. Du bist mir in diesem Jahr der Mensch gewesen, der mich am uneigennützigsten lieb hatte und an mich glaubte. Danken kann man ja für so etwas nicht, aber der Himmel oder das Schicksal lohnen jede gute Regung auf irgendeine Weise. Ich finde, es bedarf gar keines Himmels und keiner Hölle. Das ordnet sich hier schon höchst einfach auf unserer Erde. Möge uns ein gutes Stück Himmel beschieden sein. Dein kleiner, großer Himmel krabbelt jetzt in Dir. Milly, ich mag nicht des längeren darüber reden. Ich drücke Euch beiden die Hand. Möge das Gute, das in Euch ist, wieder aufs neue erstehen zu Eurer und aller Freude.

Deine Weihnachtsbrosche mit der kleinen hübschen Nadel! Den Zwilling davon habe ich so gerne in Deinem weißen Tüllfichu neben Deinem hellen Hals gesehen. Ich danke Dir zärtlich.

Mich besorgt, was Du über Henry schreibst. Der Junge hat schweres Geblüt. Wir aus der Ferne können wenig tun. Er ist eine scheue Seele, die auf ihre eigene Art behandelt werden muß. Mutter gibt ihm manchmal zu viel, manchmal zu wenig. Ich bekam ein ähnliches Gefühl zu Mutter, als ich 16 bis 18 Jahre alt war. Schade, daß der Junge mit mir Weihnachten nicht gesprochen hat. Ich habe ihn sehr lieb und empfinde seinen prachtvollen Kern.

Ich grüße Euch beiden zärtlich.

Deine Paula.

Paris, den 21. Februar 1907.

Meine liebe Milly,

Dein lieber Geburtstagsbrief war mir wie etwas Warmes von Dir, wie wenn Du mich mit Deinen kleinen pummelichen Händen streicheltest. Ich danke Dirs, liebe Deern. Lohns Euch Gott. Auch für die Füchslein meinen Dank. Ich habe mir dafür noch nichts erstanden, aber es soll etwas Schönes werden.

Und Du, und Ihr Beiden? Ihr zählt jetzt wohl schon die Tage einzeln bis Mitte März. Wie man begierig ist auf solch ein kleines Geschöpf und wie man denkt, was es wohl für eins sein wird und wessen Gesicht es wohl haben wird und wessen Charakter. Du wirst gewiß eine furchtbar liebe Mutter und Hans ein prachtvoller Vater. Ich will eine gute Tante sein. Mehr kann ich ja im Augenblicke nicht dazu tun.

Otto und ich leben hier in dieser schönen Stadt ein stilles Leben, was durch Arbeit und Lesen seinen Gehalt hat. Nächsten Monat wollen noch Hauptmann und Frau herkommen. Das wird dann gewiß etwas bewegtere Tage geben. Anfang April denken wir dann heimzukehren.

Es hat Dich betrübt, daß ich Dir nicht über meine Arbeit schreibe. Liebe Milly, die Kunst ist schwer, endlos schwer. Und manchmal mag man gar nicht davon sprechen. So etwas muß Dich nicht betrüben.

Paris, den 9. März 1907.

Meine liebe Mutter,

vielleicht wirst Du im Oktober schon wieder Großmutter. Ich küsse Dich.

Deine Paula.

Außer den Brüdern und Frau R. sag es niemanden.

Paris, den 9. März 1907.

Meine liebe Schwester,

wenn alles gut geht, so folge ich im Oktober Deinem Beispiel. Diese Freude erleichtere Dir etwas Deine schweren Tage. Ich küsse Dich und bin in Gedanken viel bei Dir und Hans

In Liebe

Deine Paula.

Worpswede, den 8 April 1907.

Meine Mutter,

Dir ist nun Dein letzter Bruder gestorben. Ich mußte daran denken, wie vor ungefähr zwanzig Jahren Onkel Günther starb. Es muß sehr schwer gewesen sein, als er seine Augen schloß und alle Bande und Erinnerungen, die Euch zusammenknüpften, doppelt stark sprachen.

Das Blut ist wohl das stärkste Band. Es schlägt Brücken über die weitesten Abgründe. Wie verschieden Du und Dein Bruder auch voneinander waren. Ihr hattet dasselbe Blut und das machte, daß Ihr Euch nahe waret. Man muß den Schöpfer preisen, der diese gleichen Säfte geschaffen hat.

*


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