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Georg.


I.

An einem schönen Septembersonntag gingen drei Mädchen auf dem östlichen Fußweg hinter den Gärten ihres Dorfes spazieren. Eben verhallte die Vesperglocke und das nahegelegene Wallerstein glänzte im goldenen Schein der sich neigenden Sonne. Die Felder waren leer und der Blick in die Weite ging über Stoppeln. Es ist unnötig zu sagen, daß dies in unseren Bauernmädchen keineswegs melancholische Empfindungen anregte. Der Sommer ist recht schön, und eine rüstige Dirne scheut nicht die heißen Arbeiten, die er bringt; aber die angenehmste Jahreszeit für das Landvolk ist der Herbst, wo die Haupternten vorbei und die noch übrigen ein Spiel sind; wo das Kirchweihfest winkt und der Tanz um die Linde; wo auch schon die Ruhe des Winters und die warme Spinnstube reizende Vorstellungen wären, wenn dörfliche Gemüter so weit hinauszudenken pflegten.

Unsere Dirnen schritten behaglich weiter. Söldnerstöchter und Nachbarskinder, von gleichem Jahrgang, hielten sie treue Freundschaft und teilten Erholungen und Lustbarkeiten. Um sie vergnügt zu machen, bedurfte es nicht großer Anstalten, denn die Quelle der Zufriedenheit floß in ihnen selber. Wovon sie gerade sprachen? Mochte der Gegenstand sein, welcher er wollte, er hatte für sie großes Interesse. Die Augen glänzten, die Lippen »schmohzten«, glücklich und schelmisch, und die Schlanke mit den hellbraunen Haaren, die in der Mitte ging, wurde ein bißchen rot. An der Grenze der letzten Gartenhecke angekommen, machten sie kehrt, um dann in ihrem Diskurs fortzufahren; aber plötzlich erhielten ihre Gedanken eine andere Richtung. Ein Bursch kam ihnen entgegen, der sie aufschauen machte und ihren Blicken ein festes Ziel blieb. Er war ungefähr zwanzig Jahre alt und sein ganzes Wesen – Miene, Gang und Gewandung – verrieten einen der feinsten und hervorstechendsten »Ledigen« des Dorfs. Als er den Mädchen nahe kam, lächelte er freundlich und grüßte sie mit einer Traulichkeit, welche nicht ganz ohne Herablassung war, um seinen Weg fortzusetzen, der ihn nach Wallerstein führte.

Alle, drei hatten ihm nachgesehen. Dann sagte die Schlanke: »Jetzt will ich nur sehen, welche den noch davonreißt!«

Die kleine Schwarzbraune, die ihr zur Linken ging, lächelte mit einer Miene, als ob sie einen nicht unebenen Spaß zu machen im Begriff stände. » Du nicht!« rief sie.

»Und du auch nicht,« entgegnete jene mit Behagen. »Ja, ja,« fuhr sie fort, »da tät' uns das Maul sauber bleiben, wenn er auch nicht der einzige Sohn des Haselbauern wäre! – Aber neugierig darf man am Ende doch sein!«

»Die Marev' (Maria Eva) läßt ihn nimmer aus,« rief die Blonde auf der rechten Seite mit dem Ton des Gewißwissens.

»Die plagt sich umsonst, nach meiner Meinung,« versetzte die Schlanke. »Sie ist ja älter wie er!«

»Ein Jährle! Aber sie ist das einzige Kind, wie er! – Die Haselbäurin will die beiden Höfe zusammenkriegen!«

»Er mag sie nicht; – sag, ich hab's g'sagt!«

»Glaubst du, deine Nachbarin, die Annamarget (Anna Margreta) hat mehr Aussicht?«

»Mit der würde er wenigstens besser hausen!« versetzte jene. »Das ist ein gutes Mädchen, und sie trägt ihn im Herzen schon von der Schul' her. Aber daß er an sie denkt, hab' ich grad' noch nicht bemerken können!«

»Nun,« sagte die Blonde, »dann muß er sich eben auswärts umsehen; denn im Dorf haben wir außer den zweien keine mehr, die für ihn paßt!«

»Wenn's nicht du bist, meine liebe Burg!« rief die Schwarzbraune.

Die Burg (Walpurg) lachte. »Jetzt muß ich auch noch dran!« versetzte sie. »Nun, am Ende, wozu hat eine von uns den Hansjörg nötig? Wir haben ja, was wir brauchen!«

Die Erinnerung an diese tröstliche Tatsache machte alle Mienen vergnügt. »Nun ja,« sagte die Schlanke, »darum reden wir auch nur davon!« –

An jedem Orte, wie klein oder groß er sei, beschäftigen sich die Leute nicht nur mit ihren eigenen Angelegenheiten, sondern auch mit denen der Vornehmsten unter ihnen. Und der Bursch, der unsere wohlversorgten Söldnerstöchter interessierte, war nicht bloß, nach ländlicher Anschauung, vornehm, er war überhaupt ein ungewöhnlicher junger Mensch, der auch andern, die ihn näher kennen lernten, Teilnahme einflößte. Um ihn zu charakterisieren, müssen wir einen Blick auf die Zeit und den Ort werfen, in denen er aufwuchs.

Das Dorf, worin er in den achtziger Jahren das Licht der Welt erblickte, lag in nächster Nähe von Wallerstein. Dieser Marktflecken war am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts noch eine Residenz mit allem Glanz einer ständigen Hofhaltung. Da gab es Kavaliere und Verwaltungsbeamte, Forstleute, Jäger und Diener aller Art in mehr als hinreichender Anzahl, und vornehme Gäste aus der Nähe und Ferne belebten die Unterhaltungen im fürstlichen Schlosse. Das Haupt des regierenden Fürsten war im oberen Ries (denn im unteren rivalisierte die ältere Linie zu Öttingen!) von aller Poesie weltlicher Herrlichkeit umleuchtet, und auch die Sonderbarkeiten desselben erschienen darin sehr bedeutsam. Man glaubte damals noch an die unvergleichliche Hoheit des Standes; die Rieser hatten einen größeren Herrn nicht in der Nähe, und in die Ferne waren die Blicke noch nicht gerichtet. Was man nun auch dagegen sagen mag, die Zustände in der letzten Zeit des deutschen Reiches hatten ihre schönere Seite. In dem Verhältnis zwischen Herrschaft und »Untertanen« lag hier in der Tat etwas Patriarchalisches. Das Volk nahm an den Geschicken des regierenden Hauses den persönlichsten Anteil, genoß die öffentlichen Vergnügungen mit und die gelegentliche Entfaltung des Hofprunkes. Die »Herrschaft« kümmerte sich dagegen um die häuslichen Angelegenheiten des Volkes, wenn sie sich irgend bemerklich machten. Da der Sinn noch nicht durch Tagesblätter aufs Allgemeine gelenkt war, interessierte sich der Mensch um so mehr für den Menschen, und die fürstlichen Damen verschmähten es nicht, ihren Unterhaltungsstoff auch aus Bürgers- und Bauernhäusern zu beziehen, wo sich, für die damaligen Ansprüche, Merkwürdiges und Ergötzliches genug begeben konnte. Die Einkünfte des Fürstentums blieben zumeist im Lande, machten die tätigen Bewohner der Residenz wohlhabend und flossen auch einigermaßen wieder ins Landvolk zurück. Bedenkt man, daß in jenen Tagen die Volksbräuche noch in Blüte standen und die Dorffeste dem Auge Schauspiele darboten, woran man gläubig und freudig hing, – daß Hohe und Niedere ungleich mehr dem Genusse des Augenblicks hingegeben waren, so wird man begreifen, daß alle Bessergestellten noch lange von der guten alten Zeit sprachen, wo es eben viel lustiger gewesen sei, als gegenwärtig.

Einer eigentümlichen und außergewöhnlichen Aufmerksamkeit von seiten des Fürsten und seiner Familie erfreute sich der Vater unseres Hansjörg, der Haselbauer. Als mehrjähriger Ortsvorsteher genoß derselbe in der Gemeinde Ansehen und hatte die genaueste Kenntnis von ihren Zuständen. Er war in seiner Art gebildet, las in Mußestunden Bücher und verfaßte selber geistliche und weltliche Gedichte, womit er seine Familie erbaute und ergötzte. Wenn der regierende Herr nun durch den Ort ritt, versäumte er fast nie, den Unterrichteten herbeizurufen, damit er, neben ihm gehend, ihm die jüngsten Begebnisse in Dorf und Umgegend mitteilte. Der Bauer tat dies auf eine Weise, die dem Herrn immer wieder schmackhaft erschien. Er war ein natürlicher Hofmann und gebot nicht nur über den erforderlichen Eifer und die nötige Gewandtheit, sondern auch über eine ausgiebige Quelle satirischen Humors, womit er an sich unbedeutende Geschichtchen zu würzen verstand. So blieb er immer in der Gnade und hatte davon manchen Vorteil.

Erwähnen wir noch, daß der Haselbauer wohlhabend war, seinen ansehnlichen Hof nicht nur frei, sondern auch noch Geld am Zins hatte, so wird man es begreiflich finden, daß sein Sohn, der begabte Johann Georg, als Dorfkind einen ungewöhnlichen Anstrich erhielt. Der Vater sorgte nicht nur selbst für eine bessere Erziehung, als sie auf dem Lande vorzukommen pflegt, er ließ auch den Unterricht, den der Knabe im Dorf haben konnte, durch Privatstunden in Wallerstein ergänzen. Die Gunst, welche die »Herrschaft« dem Vater zuwendete, kam auch dem Sohn zugute. Der Haselbauer mußte diesen einmal aufs Schloß bringen, und hier scherzte die Durchlaucht mit dem Knaben und beschenkte ihn mit einem Goldstück. Die fürstlichen Damen hielten später auf einer Spazierfahrt im Dorf an, ließen sich das »Hansjörgle« kommen, machten den Schüchternen durch Leckereien, die sie ihm zu verspeisen gaben, zutraulich, brachten ihn zum Reden und ergötzten sich an den naiven Antworten des endlich Erkeckten. – Alles das blieb auf die Phantasie und auch auf das Selbstgefühl des Knaben nicht ohne Wirkung.

Ein eigener Quell von Belehrung und Bildung floß dem Heranwachsenden im Umgang mit einer jungen Verwandten, der einzigen Tochter eines wohlgestellten Hofhandwerkers in Wallerstein. Das hübsche, lebhafte, gescheite Mädchen hatte ein Verhältnis mit dem Hauslehrer einer protestantischen adeligen Familie der Residenz; aber das hinderte sie nicht, in treuer Freundschaft dem strebsamen jungen Vetter entgegenzukommen, der ihres Rates bedurfte und sie mehr und mehr zu seiner Vertrauten machte.

Auch diesmal wanderte er dem Marktflecken zu, um der Freundin eine Forderung mitzuteilen, welche seine Eltern an ihn gestellt hatten. Er fühlte sich in einer eigentümlichen Klemme – wußte nicht recht, was er auf die Zumutung antworten sollte, und wollte hören, was die Unbefangene darüber dachte. In dem stattlichen Hause angekommen, vernahm er mit großer Beruhigung, daß die Sophie daheim und allein wäre.

Der Eintretende wurde von dem blühenden Mädchen mit offenem Vergnügen empfangen. »Grüß dich Gott, liebes Vetterle,« rief sie, indem sie ihn bei den Händen faßte. »Was bringst du Neues?«

Der Jüngling schwieg. Dann mit einem Seufzer erwiderte er: »Nicht viel Gut's!«

Sophie machte keine sehr gläubige Miene. »Das wird wieder was Rechtes sein!« entgegnete sie. »Nun?«

»In acht Tagen,« versetzte der Bursch, »ist unsre Kirchweih!«

»Ei ja!« rief Sophie. »Aber das Unglück?«

»Meine Mutter verlangt, daß ich die Marev' zur Kirchweih führen soll. Sie ist ganz versessen darauf! Wenn ich's nicht tue, krieg' ich von ihr und von meinem Vater kein freundliches Gesicht mehr.«

Das Mädchen hatte sich vor ihn gestellt und lächelte mit ebensoviel Schelmerei wie Teilnahme. »Gefällt sie dir noch immer nicht?« fragte sie.

»Immer weniger!« war die Antwort.

»Das ist ein böser Umstand – wenn man sich heiraten soll!«

»Ebendarum,« versetzte der Bursch, »wird man sich auch nicht heiraten!«

Sophie blieb eine Weile stumm. Dann sagte sie: »Im Grund ist sie doch eine stattliche Person. Mancher Bauernsohn würde die Hände nach ihr ablecken! – Und dich hat sie gern!«

Der Bursch machte ein eigenes Gesicht. »Das nutzt ihr bei mir nichts!«

»Sieh, sieh,« rief die Freundin. »Er ist recht verwöhnt, der junge Herr! Kann ihm gar keine gefallen? Weder die noch eine andere, noch irgend eine? Weißt du, was man da glauben muß? Daß du dir selber zu gut gefällst!«

Dieser Vorwurf machte auf Georg nicht viel Eindruck. »Mit mir selber,« versetzte er, »bin ich am wenigsten zufrieden! – Ich hab' kein Glück in der Welt! Ich hab' nicht das Glück, das andre haben! Zum Beispiel du! Du hast deinen Kandidaten gern und er dich, und deine Eltern sind damit zufrieden; wie lang' wird's währen, dann bist du eine Frau Pfarrerin!«

Die Miene der Sophie hatte eine gewisse Feierlichkeit angenommen. »Das ist wahr,« sagte sie. »Und mit der Frau Pfarrerin, denk' ich, wird's nicht mehr gar so lang' anstehen. Mein Vater gilt was bei der Herrschaft, und diese schätzt auch meinen Bräutigam!«

Der Bursch nickte, als wollte er sagen: »Siehst du?« – Auf einmal stampfte er mit dem Fuße.

»Bist du bei Trost?« rief sie.

»Etwas tun sollen,« entgegnete er mit förmlichem Zorn, »was einem zuwider ist! Und ich muß mich resolvieren! Ich kann keinen Tag mehr warten.«

Das Mädchen betrachtete ihn mit den Augen einer kleinen Mama. »Weißt du was?« versetzte sie nach einer Weile. »Da dir noch keine gefällt, so kannst du grade tun, was deinen Eltern gefällt. Was denn? Ein Bäschen und eine Nachbarin zur Kirchweih zu führen! Damit bist du noch nicht versprochen!«

Georg schaute sie unentschlossen an. »Meinst du?«

»Ja, das mein' ich! – Aber freilich,« setzte sie lächelnd hinzu, »mußt du dich in acht nehmen, daß du nicht zu galant und zärtlich wirst.«

»Oh!« rief der Bursch. »Da laß nur mich sorgen!«

Sophie schüttelte den Kopf, indem sie ihn mit Überlegenheit betrachtete. »Was du für ein Mensch bist!« versetzte sie. »Du willst kein Glück haben? Du hast aber das Glück, daß du andre glücklich machen kannst. Die Maria Eva wird glänzen und stolz dahertreten an deiner Seite und auf lange Zeit hinaus vergnügt sein. Dein Vater und deine Mutter werden euch mit Freuden zusehen und alles wird zufrieden sein! – – Ich hoff' aber, daß du doch noch ein paar Reihen übrig haben wirst für andre; zum Beispiel für eine gute Freundin aus Wallerstein –«

»Soviel du willst!« rief Georg.

»Und dann,« sagte sie nach einem kurzen Besinnen, »wenn du grad' im Schuß bist, dann tust du vielleicht ein gutes Werk und führst mein Geschwisterkind, die Margret, auf den Tanzboden!«

Die Miene des Burschen wurde bedenklich.

»Das ist auch eine,« fuhr das Mädchen fort, »die den jungen Haselbauer lieber hätt' als manchen andern. Aber sie bewahrt ihre gute Meinung, soviel's möglich ist, in ihrem Herzen und geht ihren stillen Weg weiter, ohne sich bemerklich zu machen wie die andre.«

»Das gefällt mir von ihr!« rief Georg unwillkürlich.

»Ja, ja, das glaub' ich. Aber deswegen verdient sie, daß du ihr wieder ein Vergnügen machst.«

»Gut,« sagte der Bursch; »es soll geschehen!«

Das Gesicht des Mädchens blickte Beifall. »Brav ist er doch, der Hansjörg! Nun, er wird auch noch Glück haben und es wird ihm noch wohl gehen auf Erden! – Was willst du denn, du junges Blut? Fang doch erst an zu leben!« –

Der Hofschreinermeister und seine Gattin, ein behagliches, wohlgenährtes Paar, kamen von ihrem Sonntagsspaziergang nach Hause – das intime Gespräch hatte ein Ende. Georg blieb noch eine halbe Stunde, bestand noch einige Fragen der Frau Base und wanderte dann leichteren Mutes heim, als er gekommen war.

Als er in seine Stube trat, fand er die Mutter allein; der Haselbauer saß noch bei seinen Freunden im Wirtshaus. Nach einigen Reden sagte die ansehnliche und stolze Frau, indem sie den Sohn scharf ins Auge faßte: »Du führst also die Marev' zur Kirchweih?«

Der Sohn besann sich einen Augenblick; dann versetzte er: »Ich will's tun.«

»Du sagst das, als ob's dich recht sauer ankäm'!«

»Ich tu's, liebe Mutter, ich tu's!«

Die Bäuerin, der man ansah, daß sie nicht nur auf ihrem Kopfe bestehen, sondern auch heftig aufwallen konnte, hielt für jetzt ihr Gefühl zurück, und begnügte sich zu sagen: »Gut!« Aber mit einem Seufzer fügte sie hinzu: »Daß der Mensch doch nie sehen will, wo sein Glück ist!«

Der Sohn hatte seine Fischotterkappe wieder aufgesetzt. »Ich will noch ein wenig zu meinen Kameraden,« sagte er und verließ die Stube.


II.

Der Kirchweihsonntag und der Montag, an welchem der Tanz um die Dorflinde stattzufinden pflegt, waren vorüber. Der Sohn des Haselbauern, der spät in der Nacht heimgekommen war, schlief noch; Vater und Mutter, nachdem sie den Ehehalten ihre Arbeit angewiesen, befanden sich im Kanzley allein. Ihre Mienen verrieten Unmut; sie schwiegen, wie nach einem eben gehabten unangenehmen Gespräch. Der Haselbauer, der mit seinem wohlgenährten Körper sich etwas vorgebeugt hielt, schien die Sache doch etwas minder schwer zu nehmen; aber die gerade dastehende Frau hatte ihres zornigen Verdrusses gar kein Hehl. Wenn die Lippen stumm waren, die Augen sprachen um so deutlicher.

Nach einer Weile ging die Türe auf und der Sohn, im Werkeltagsanzug, kam herein. Auf seinen Morgengruß brummte nur der Vater eine Art von Dank.

Georg betrachtete die Mutter und sagte nicht ohne einen flüchtigen Schein von Schelmerei: »Du bist verdrießlich, Mutter! Bin ich dir zu spät nach Haus gekommen?«

Die Bäuerin fuhr auf. »Laß das einfältige Geschwätz!« rief sie. »Du weißt recht gut, warum ich bös bin!« Und indem sie sich vor ihn hinstellte, fuhr sie fort: »Jetzt sag mir nur, was du denkst? Ist das ein Benehmen gegen ein Mädchen, die man auf die Kirchweih geführt hat? Ist das ein Benehmen gegen ein Mädchen wie die Marev'?«

»Aber was hab' ich denn getan?« rief Georg nun doch mit Verwunderung.

»Nichts hast du getan, was sich schickt! Keinen freundlichen Blick hast du gehabt für sie den ganzen Tag über! Sitzen hast du sie lassen stundenlang! Und wenn nicht andre gekommen wären –«

»Ich hab' mit ihr auf dem Platz getanzt!« rief der Angegriffene.

»Und ein Gesicht dazu gemacht, als ob du Gift genommen hättest! Ich bin dagestanden und hab' mich förmlich geschämt für dich! Hast du nicht ein Maul 'runtergehängt wie ein Gaul, wenn er schläft!«

»So geht's eben,« entgegnete der Sohn, »wenn man nicht –«

»Schweig,« fiel die Bäuerin, um das offenbare Geständnis nicht aus dem Munde kommen zu lassen, mit Heftigkeit ein. »Es ist eine Schande! Und damit die Ev' recht merkt, wieviel sie bei dir gilt, hast du mit andern den Lustigen gespielt, gelacht und gescherzt! Mit der Wallersteinerin, der Hofschreinerstochter, hast du getan, als ob sie dein Schatz wär'! Ist nur gut, daß die ihren Kandidaten hat!«

»Die Sophie,« entgegnete der Sohn ernsthaft, »will nichts von mir! Sie ist meine gute Freundin, weiter nichts!«

»Warum tust du hernach mit ihr schön und mit deinem Kirchweihmädle nicht? – Sogar mit dem Hühnchen, mit des Weidners Margret, hast du dich aufgeführt auf dem Tanzboden und gesungen und Juh geschrien –«

»Das hab' ich getan,« versetzte Georg, »weil sie so vergnügt darüber gewesen ist! Ihre Freude hat mich gefreut!«

»So?« entgegnete die Mutter. Sie ließ ihren Blick durchdringend auf dem Sohn ruhen; dann, mit Geringschätzung, fuhr sie fort: »Eine mit Blatternarben – ein ganz unansehnliches Ding! Sie ist einen Kopf kleiner als die Ev'!«

»Sie hat aber auch,« versetzte Georg mit dem Geist des Widerspruchs, »kleine, feine Hände, die einem Fräulein keine Schande machen würden!«

»Die hat sie von ihrer Mutter, welche Zeit ihres Lebens nichts getan hat.«

Nun legte sich aber der Haselbauer drein. »Laßt mir die Annemarget aus dem Spiel!« rief er. »Von der ist ja doch nicht die Rede! – Du hast unrecht, Hansjörg! Wir meinen's gut mit dir – und wir wissen besser, was dir gut ist! Du bist dir selber feind – es ist gar nicht zu begreifen!«

»Wo hast du nur deine Augen?« rief die Bäuerin mit dem Eifer der Entrüstung. »So ein Mädchen wie die Marev' triffst du nicht, wenn du im ganzen Lande darnach herumsuchst; – und du kannst sie mit der Hand erreichen! Eine Postur hat sie wie eine Königin und ein feines und stolzes Gesicht! Sie bekommt ihren Hof, und dann habt ihr zwei miteinander, nebeneinander! Und weil man doch an alles denken muß: sie ist von einer Art da, die einen Geist hat! Wenn du von ihr Kinder bekommst, dann wirst du keine Sorg' haben, wie sie in der Welt fortkommen! Was hast du also gegen sie? Willst du vielleicht bloß darum nicht, weil wir wollen?«

»Ereifre dich nicht, Mutter,« sagte hierauf der Bursche. Mit einer Art von Lächeln setzte er hinzu: »Ich glaub', ich hab' zu viel Respekt vor ihr.«

Die Bäuerin machte eine Bewegung der Ungeduld.

»Sie hofmeistert mich immer,« fuhr er fort. »Wenn ich bei ihr bin, dann ist's mir immer, als ob ich gar nichts recht machen könnt' und der ungeschickteste Bursch wär' im ganzen Dorf!«

»Sie meint's eben gut mit dir,« entgegnete die Mutter. »An dir ist wahrhaftig nicht alles schön! Dir kann man recht wohl noch einen guten Rat geben!«

»Aber ich mach' dann eben auch ein Gesicht wie ein Bub', dem der Schulmeister übers Maul gefahren ist!«

»Hansjörg,« sagte der Vater, »schäm dich und red nicht so! Alles, was du vorbringst, ist nichts! Die Marev' wünscht sich keinen andern als dich, obwohl sie andre haben könnt', die ebensoviel wert sind wie du – zehn für einen! Das weiß ich, weil ich's weiß! Kriegst du sie zur Frau, dann hast du ein Gut wie ein Edelmann – und du wirst deinem Schöpfer dafür noch auf den Knien danken!«

Georg, zu dieser Übertreibung, machte eine spöttische Miene. Dann sagte er: »Nun, wenn's gar so schön und vorteilhaft ist, was ihr haben wollt, dann seh' ich's wohl auch noch ein! Laßt mich eben jetzt noch gehen! Es wird mir hoffentlich noch kommen!«

Mit diesem Bescheid mußten sich die Eltern für jetzt begnügen. Und von dem jungen Menschen war's nicht eine bloße Ausflucht! In seinem Wesen lag eine gewisse Gutmütigkeit; – seine Mutter, der er offenbar mehr nachschlug, als dem Alten, hielt er hoch: ihren Beifall zu erlangen, wär' ihm lieb gewesen! Und wenn's ihm später nur nicht ganz gegen den Mann ging, so wollte er sehen, was er tun konnte! –

Nachmittags führte ihn sein Weg aufs Feld hinaus am Bache hin, der etliche Haushaltungen von dem übrigen Dorfe schied und durch einen Anger herabfloß, welcher dem Federvieh zur Weide und den Kindern zum Spiele diente. Er war in Gedanken, unser unentschiedener Georg! Der stille, sanfte Herbsttag hatte ihn träumerisch gemacht und seine Augen waren offen, ohne zu sehen. Plötzlich hörte er: »Guten Tag, Hansjörg« – mit einer Stimme, die von inniger Freude und Güte durchklungen und verschönt war. Er sah auf: Margrete Weidner, die aus einem Seitengäßchen gekommen war, stand vor ihm!

Ihre Miene glich dem Ton ihres Grußes. Das ovale Gesicht leuchtete, aus den blaugrauen Augen schimmerte das Glück ihres Herzens. Aber die Freude, welche die Jungfrau verklärte, war die Freude einer schlichten, kindlichen, wenn auch außerordentlich guten Seele. Die Anmut, welche sie dem Bauernmädchen lieh, konnte einem Burschen, wie unser Georg war, herzlichen Anteil, Verwunderung abgewinnen – aber keine Liebe!

Nachdem sie einige Reden über das gestrige Fest und ihr jetziges Vorhaben getauscht hatten, ging Margrete grüßend weiter – glücklich, daß der Tänzer von gestern mit ihr so freundlich gewesen.

Der Bursch, seinen Weg fortsetzend, sagte zu sich: »Ein seelengutes Mädchen! Sie hat ordentlich schön ausgesehen in ihrem Vergnügen, und ihre Blatternarben hab' ich diesmal gar nicht bemerkt! Sie ist auch nicht so klein, wie die Mutter sie macht – da läg' ihr Fehler nicht! Aber sie hat nichts – wie soll ich sagen? – nichts Liebes! Sie ist gar zu gut! Sie pflegt ihren kranken Stiefbruder, wie eine Nonne – – ihr Mann würde es gut bei ihr haben! – Aber – man kann sich das eben nicht geben! Die Sophie, scheint's, hätt' es gern, wenn ich in ihrer Freundschaft bliebe! Indessen –« Er schüttelte den Kopf. –

Am Abend desselben Tages konnte Georg nicht umhin, auch noch sein Kirchweihmädchen zu begrüßen. Sie stand, als er durch die Hauptgasse des Dorfes heimging, an ihrem Hoftor: er mußte zu ihr treten. Der Respekt, den er wirklich vor ihr empfand, die Achtung vor dem Willen – dem leidenschaftlichen Wunsche seiner Mutter, und der instinktmäßige Drang, etwas dafür zu tun, – alles das gab seinem Gruß einen ernsten, beinahe herzlichen Klang. Die stolze Hoferbin, die ihm sein gestriges Verhalten recht übel genommen hatte, wurde dadurch wieder begütigt und schlug ihrerseits einen traulichen, entgegenkommenden Ton an. Georg erkundigte sich, wie ihr die Lustbarkeit bekommen sei. »Ganz gut,« erwiderte sie; »zu müd' hast du mich nicht gemacht – und geschlafen hab' ich ruhig bis in den Tag hinein!« Darauf erwiderte der Bursch: »Ich hab' dich gestern grad' nicht feiern sehen! Aber für dich ist eben alles nur ein Spiel! Arbeiten und tanzen und deine Leute kommandieren, eins kannst du wie das andre!« Die ländliche Heroine nahm das für ein Kompliment und lächelte. Aber die Redelust des Burschen war damit schon versiegt; erfolglos dachte er auf eine neue Artigkeit – und er wußte es dem Schulmeister Dank, daß er eben jetzt das Betläuten begann. Mit einem Ton des Scherzes rief er: »Jetzt muß ich heim zur Suppe! Meine Mutter ist gar akkurat, und ich möcht's gar nicht gern mit ihr verderben!« Maria Eva, welche diese Gesinnung nur billigen konnte, gab ihm die Hand. »So laß dir's halt gut schmecken,« sagte sie, – »und ruh dich aus von deinen gestrigen Strapazen!«


III.

Ein Jahr ging hin, ohne daß es zu einer Entscheidung kam; ja, ohne daß das Zünglein der Wage sich merklich auf eine der beiden Seiten neigte.

Man wird dies begreiflich finden, wenn man weiß, daß es den Eltern Georgs nicht' um die sofortige Verehelichung ihres Sohnes mit der Tochter des Nachbars zu tun war, sondern nur um ein festes Verhältnis zwischen beiden. Sie wollten die großen Vorteile, welche die Heirat in ihren Augen hatte, der Familie nur verbürgt sehen. Im übrigen hatte der Haselbauer nichts dagegen, noch etwas länger Herr seines Hofes zu bleiben, und auch der Bäuerin eilte es nicht, ihr Kommando abzugeben. Im Hause des Schwaner – so hieß man den Nachbar – existierte ebensowenig eine Nötigung, die Verbindung zu beschleunigen. Vater und Tochter (die Mutter war vor Jahren gestorben!) hegten einen und denselben Wunsch; aber für die Eva galt es zunächst nur, den Georg zum »Bursch« zu haben, und nur darauf richtete sie ihre Bestrebungen.

Der Stand der Dinge war günstig für einen, der sich solang' als möglich frei erhalten wollte; und Georg nutzte ihn nicht ohne eine gewisse, durch die Verhältnisse gerechtfertigte Schlauheit.

Gegen Maria Eva benahm er sich so, daß er sich nicht band, seinen Eltern aber doch keinen Anlaß zu Vorwürfen gab. Er besuchte sie von Zeit zu Zeit und hatte im Verkehr mit ihr eine eigene Manier, den Liebhaber hinter den Verehrer zurücktreten zu lassen und der Erbtochter eine Achtung zu bezeigen, die ihr schmeichelte, wenn ihr auch etwas mehr Zärtlichkeit lieber gewesen wäre. Alles zusammengenommen konnte sie den Gedanken hegen, daß er sich bei ihr in Gunst erhalten wolle und seine Absicht darauf gerichtet wäre, sie zum Weibe zu bekommen. Sie liebte ihn – wenn auch auf ihre Weise – und darum glaubte und hoffte sie.

Ihre Neigung zu Georg war nicht ganz ohne Vorbehalt. Bei den Bildern des Glücks, die sich in ihrer Seele erzeugten, vergaß sie sich selber nicht. Sie hatte den jungen Nachbar in ihren Gedanken erwählt, weil er der hübscheste Bauernsohn im Dorf war und in seinem Wesen etwas Feines hatte, das ihr besonders wohlgefiel. Sie wünschte lebhaft, ihn zum Mann zu bekommen, und ihr Verlangen steigerte sich mehr und mehr: aber in der Ehe dachte sie doch sich als die herrschende Person – und ihre angenehmste Vorstellung war, zugleich die erste Bäuerin im Dorf und das von ihrem Manne geliebteste und geehrteste Weib zu sein. Unter dieser Voraussetzung, an die sie glaubte, sollte es auch ihm wohl ergehen und er sollte alles Glück und allen Ruhm haben, worauf der Mann eines solchen Weibes und der Besitzer zweier großer Bauernhöfe Anspruch machen konnte.

Es war eine Liebe des Stolzes, welcher in dem Herzen der Margrete die Liebe der Demut gegenüberstand! Die Tochter des Weidner liebte den jungen Menschen ohne alle Nebengedanken. Es war ein inniger Zug des Herzens und die Freude ihres Lebens; aber vor lauter Glücksgefühl und Bescheidenheit prägte sich in ihr nicht die Forderung aus, den Geliebten nun auch zum erklärten Bursch oder gar zum Manne zu haben. Das war eben noch nicht die Frage, und sie blieb in ihren Gedanken genügsam davor stehen. Wenn er sie freundlich grüßte, so tat es ihr wohl; aber ihre größte Befriedigung zog sie aus ihrer eigenen liebenden Seele. Dort floß ein Born, der ihr immer wieder Freude schuf, sie wußte nicht wie.

Ihr war's geraten, keine Ansprüche zu machen! Georg, der sie zu schätzen wußte, ließ sie das auch merken und legte bei zufälligen Begegnungen in den Ton seines Grußes eine eigene Herzlichkeit. Aber das war auch alles! Wenn er bei jeder Begegnung aufs neue sah, wie es um sie stand, und der Abglanz ihres Gefühls ihm in die Seele schien, so fühlte er sich doch außerstande, ihre Neigung zu vergelten. Er traf gern mit ihr zusammen, und sein Mund lächelte, wenn er sie gegen sich herankommen sah; aber er suchte sie niemals auf. In dieser Beziehung war und blieb Maria Eva die Begünstigtere.

In der Mitte des Winters machte die Nachbarstochter unversehens einen bedeutenden Schritt vorwärts; – und sie konnte sich schon am Ziele dünken! Ein verwitweter Bauer feierte seine Hochzeit mit einem Mädchen aus dem nächsten Dorfe; Georg und Eva wohnten dem Fest als Gäste bei und saßen an einem Tische. Die Tochter des Begüterten war prächtig gekleidet; sie hatte ihren schönen Tag und erfreute sich ihrer besten Laune. Georg fand denn doch, daß es ein Mädchen sei, wie es wenige gebe. Er tanzte mit ihr, und da sie fröhlicher war, so erschien sie auch liebenswürdiger, und er hatte, sie in seinen Armen haltend, ein Gefühl, das sie ihm noch niemals einzuflößen wußte. Zu ihrem Glück verschonte sie ihn diesen Tag auch mit Einreden und Ermahnungen gänzlich; sie war nur das hingebende Weib! Georg, den sein Stand verpflichtete, etwas draufgehen zu lassen, sprach schon früh der Weinflasche zu und wartete der Tänzerin auf; beide kamen immer mehr in glückliche Selbstvergessenheit. Bei dem nächsten Reihen drückte er ihr die Hand mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers, und sie erwiderte den Druck entsprechend; und da es »Zwischenlicht« war, nämlich in der Dämmerung, so ließ die Jungfrau ihr Haupt auf die Schulter des Burschen sinken, daß die Wangen sich berührten. Wären sie jetzt allein gewesen, Georg hätte sie an sein Herz gezogen und das Wort gesprochen, das ihn band!. Aber sie waren umgeben von Bekannten – und zum Überfluß kam der Hausknecht mit zwei Laternen. Die Marev' achtete es für schicklich, ihr Haupt beim Tanzen wieder gerade zu halten. Aber ihre Züge glänzten in freudigem Selbstgefühl – und leuchteten noch in der Stube fort. Bekannte sprachen sie darum an, nicht ohne verstehendes Lächeln; und sie antwortete mit einem eingestehenden, wenn auch die Lippen den Anspielungen widersprachen.

Als sie mit einem älteren Vetter, ziemlich spät, das Wirtshaus verließ, reichte Georg ihr die Hand und sagte den Abschiedsgruß mit bewegtem Ton, aber, vor dem andern, mit einer gewissen feierlichen Haltung; sie dagegen rief ihr: »Gute Nacht« mit unverhohlenem Triumph.

Im Traume kam ihr die reizende Vorstellung, daß der Georg nun ihr gehöre! Als sie des Morgens erwachte und sich allmählich auf alles besann, verklärte sich ihr Angesicht und das Selbstbewußtsein einer Heldin hob ihr die Brust. Sie genoß alles, was geschehen war, noch einmal, und sah das Liebere und Schönere mit vollkommener Sicherheit nachfolgen.

Die Gefühle des Burschen, als er, etwas später, die Augen ausschlug, waren leider völlig entgegengesetzt. Indem er sich auf die Lustbarkeit und die gegebenen und empfangenen Liebeszeichen besann, erschrack er, und die Röte der Scham floß über seine Wangen. Er fühlte die Zärtlichkeit, zu der er sich hatte hinreißen lassen, als klägliche Schwäche – als eine Regung des Blutes, das ihn übertölpelt und zu einem Benehmen verführt hatte, wodurch er das Mädchen täuschte. Die Hingebung derselben und ihre huldblickenden Augen erschienen ihm jetzt peinlich, und ein förmlicher Widerwille erhob sich in ihm.

Im Kanzley, beim Frühstück, machte er ein kurioses Gesicht, als der Haselbauer ihn schmunzelnd fragte, wie ihm die Hochzeit gefallen habe, und seine Mutter zufrieden wie niemals auf das Tischchen sah. »Nun ja, recht gut,« brummte er mit verlegenem Munde. Aber die Eltern legten sich das zu ihren Gunsten aus! Der Vater hatte ihn gestern beobachtet und die Mutter hatte Erkundigungen eingezogen: – sie wußten, die Sache stand nach Wunsch.

Als Georg allein war, dachte er nach, wie er den Hals aus der Schlinge, in die er so unvermutet geraten war, wieder herausziehen könnte. Ihm fiel nichts Besseres ein, als gegen Eva zu tun, als ob nichts vorgefallen wäre, und in das frühere förmliche Benehmen wieder zurückzugehen. Bei der nächsten Zusammenkunft, ein paar Tage später, legte er gegen die Jungfrau so viel Achtung an den Tag, daß er ihr damit sehr auffallend, um nicht zu sagen albern vorkam. Sie verzog den Mund und sah ihn steif an und konnte so einen Menschen nicht begreifen. Aber Georg merkte und sah von ihrer Verwunderung nichts. Er hielt in seinen Formen aus – und hoffte den Fehler, soviel als möglich, wieder gutgemacht zu haben.

Sich ganz von ihr zurückzuziehen, war nicht seine Meinung. Er wollte nur seine frühere Stellung wiedergewinnen, und er freute sich, als er dies nach und nach gelungen sah. Den Eltern hatte er versprochen, zu warten, ob er nicht noch mit ihren Augen sehen lernte. Dies war ihm bis jetzt nicht geglückt; aber es konnte ja immer noch geschehen! Aus diesem Grunde blieb er gegen die Nachbarstochter aufmerksam, er fand auch manchmal wieder einen scherzenden Ton und ein vertrautes Lächeln, – und Maria Eva hoffte wieder, indem sie die steifen Manieren, die sie freilich kränkten, aus der eiteln Laune des Verwöhnten sich erklärte. »Er macht sich kostbar, der Hansjörg!« sagte sie einmal zu sich. »Aber wenn er mir gehört, dann will ich's ihm schon hereinbringen! Wir wollen sehen, wer dann das Recht davonreißt!« Sie lächelte bei diesen Worten. Gar zu große Gefahr schien dem Burschen mit ihrem Vorsatz nicht gedroht zu sein!

In der gespannten Verfassung seines Herzens – bei dem offenbaren Mangel an Lebensgenuß und Jugendfreude – war unserem Burschen die Freundschaft der Sophie ein wahrer Trost. Sie konnte ihm keinen Ratschlag geben, der ihn glücklich machte; aber sie konnte ihm Zerstreuung gewähren und dem Bildungstrieb entgegenkommen, der sich immer mehr in ihm regte. Er wanderte den Winter über nach Wallerstein, so oft es nur anging. Die künftige Pfarrerin hatte sich das Klavierspiel angeeignet; Georg ließ sich von ihr unterrichten und ruhte nicht, bis er einige Tänze klimpern gelernt. Er übte sich im Singen, und da er eine wohlklingende Stimme besaß, konnte er mit der Freundin zum Klavier Arien ausführen, die nicht nur sie selber, sondern auch anspruchslose Zuhörer ergötzten. Bücher unterhaltender Art las er gleich seinem Vater; er verschaffte sie sich aus befreundeten Häusern der Residenz und verstieg sich sogar bis zu den deutschen Klassikern: zu denen ihrer Werke, die ihm faßlich erschienen. Mit alledem sog er Vorstellungen und Begriffe ein, welche der bäuerlichen Prosa des Lebens nicht ganz günstig sein konnten. Die Gespräche, deren er im Hause des Hofschreiners pflog – nicht nur mit der Tochter, sondern auch mit dem Kandidaten und den Eltern – vollendeten seine Kultur, die ihm natürlich stand, weil sie nur einen inneren Drang befriedigte. Der junge Theologe hatte zwei Universitäten besucht und wußte viel Humoristisches und Charakteristisches von dem Leben auf der Hochschule zu erzählen. Der Vater stammte aus Mitteldeutschland und verband mit seiner fremdklingenden Mundart das Gefühl ungewöhnlicher Einsicht in menschliche Dinge. Die Mutter hatte diese Einsicht wirklich und war so ziemlich die praktisch klügste Person in dem kleinen Zirkel. Kein Wunder, daß der junge Mann sich in dem Hause gefiel. Seine Eltern wurden zuletzt förmlich eifersüchtig, und selbst der Vater gab ihm zu bedenken: er möge doch nicht überstudiert werden!

Das konnte freilich in dem Sohn keine Änderung bewirken. Georg gehörte zu der tätigen Menschengattung, die nicht nachgibt, bis das Unternommene zu Ende geführt wird. Das Bauernhandwerk hatte er gelernt, er konnte es nicht nur ungewöhnlich gut, sondern er liebte es; – diesem geschah durch seine anderweitigen Beschäftigungen kein Abbruch! Als der Frühling kam, lag er wieder mit allem Eifer der Feldbestellung ob. Wenn sein Hof zu den besten und einträglichsten im Dorfe gehörte, so war dies mehr ihm zuzuschreiben, als dem Vater, der schon seit Jahren die eigentlichen landwirtschaftlichen Arbeiten ihm überlassen hatte und sich neben seinem Vorsteheramte lieber mit der Verwertung der Produkte, mit Kauf und Tausch beschäftigte.

Die schöne Jahreszeit, mit der Reihenfolge der Arbeiten, welche sie bringt, war hingegangen; man befand sich im Spätsommer. Georg, nachdem er, auf dem Sattelgaul sitzend, das letzte Fuder »Ohmed« in den Hof geführt hatte, saß am großen Ecktisch der Stube, um sich auszuruhen und an Weißbrot und Bier zu laben. Er war müde, hatte nach der glücklichen Einheimsung ein zufriedenes Herz, ein gutes Gewissen, und dachte an nichts weniger als an unangenehme Begegnisse, die ihm bevorstünden. Da kam der Vater mit einem sonderlich ernsthaften Gesicht herein und forderte ihn auf, mit ihm zur Mutter in die obere Stube zu gehen! Betroffen und Übles ahnend erhob sich der Bursch und folgte dem Alten über die Stiege in das Gemach, das freilich noch besser zu einer geheimen Unterredung sich eignete, als das ländliche Ratstübchen – das Kanzley.

»Hansjörg,« sagte die Haselbäuerin zu dem Eintretenden, »was ich mir gedacht hab', ist eingetroffen, und wir müssen dem Handel jetzt ein Ende machen. Der Meier von L. hat beim Schwaner anfragen lassen; er will seinen Michel auf den Hof bringen. Der Vetter hat mir das selber gesagt, und wenn er auch weiter nicht dergleichen getan hat, so weiß ich doch, was seine Meinung gewesen ist. Du bist freilich noch jung, aber es hilft nichts, wir müssen unsern Hof schon hergeben und den Vetter auf dem seinen fortwirtschaften lassen mit seiner Schwester; ihr jungen Leute werdet nichts dabei verlieren! Also das hab' ich dir nur sagen wollen! Ich glaube, das Schicklichste ist, daß der Vater zuerst mit dem Vetter spricht und für dich um die Marev' anhält. Dir wird das recht sein. Es gibt viel auszumachen bei dem Handel! Aber wenn die Alten einig sind, dann habt ihr Jungen es leicht, ja zu sagen.«

Georg war bei dieser Eröffnung bis ins tiefste Herz erschrocken. Er hatte es in seinem Sohnesgefühl immer noch für möglich gehalten, daß er nach und nach die Eva mit günstigeren Augen ansehen könnte; aber diese Erwartung hatte sich nicht erfüllt; und jetzt, wo er die Ungeliebte zum Weib nehmen sollte, sträubte sich der innerste Mensch dagegen. Er war stumm und zitterte am ganzen Leibe.

Die Mutter sah ihn an. »Wie stehst du denn aber da?« rief sie. »Ihr jungen Leute seid ja doch einig! Was hast du denn jetzt auf einmal?«

In der Seele des Burschen rief's: »Es ist unmöglich!« Aber das konnte er den Eltern nicht sagen! Er suchte sich wieder in seine Gewalt zu bekommen und versetzte mit befangenem, entschuldigendem Lächeln: »Das kommt so unverhofft! Ernst machen – schon jetzt! – Ich bin doch noch zu jung zum Heiraten!«

»Laß dich nicht auslachen!« entgegnete die Bäuerin. »Ein Mensch von zweiundzwanzig Jahren!«

»Hansjörg,« sagte der Alte, »wenn du auch noch jung bist, das ist kein Grund! Ich hätt' auch lieber noch ein paar Jahre gewartet; aber nun ist's einmal so! Es geht eben jetzt nicht anders – und du mußt, wie ich muß.«

»Ich muß?« versetzte Georg, in seiner Aufregung mit einer Miene des Widerstrebens.

»Ja, du mußt!« entgegnete der Vater.

Der Bursche war gereizt. Seine Unterlippe hing trotzig herunter. »Wenn ich nun aber nicht mag?« rief er und schaute die beiden an.

»Was?« rief die Mutter erstaunt, »hab' ich recht gehört? Du magst nicht?« Und ihn beim Arme fassend, mit drohenden Blicken, fuhr sie fort: »Du magst nicht, wenn wir's haben wollen? Bildest du dir ein, daß du uns so kommen kannst?«

Georg war erschüttert. Die tatsächliche Auflehnung gegen seine Eltern unter den Verhältnissen, wie sie lagen, ging über seine Kräfte. – »Ich hab' noch nicht gesagt, daß ich wirklich nicht mag,« versetzte er. »Aber ich will mir so eine Sache nicht befehlen und mich nicht verhandeln lassen wie ein Stück –! Ich hab' auch meinen Willen!«

»Den hast du,« rief der Vater. »Aber du hast auch deinen Verstand – und den sollst du nun zeigen! Du brauchst nicht hitzig zu werden, junger Gesell – es ist gar nicht not! Wenn's hier noch was zu besinnen gibt, so kannst du dich besinnen. Ich will heut' abend hinübergehen; du kannst noch zwei Stunden überlegen, was du glaubst, daß du für dich bedingen mußt.«

Georg trachtete nur nach einer Ausflucht – nach einer Frist! Zögernd versetzte er: »Wer weiß denn aber so gewiß, daß die Sache diese Eile hat? Wer steht mir gut dafür, daß die Anfrage so ernst gemeint war? Es ist vielleicht nur der Gedanke von irgend einer Base, die kuppeln will!«

»Hör,« entgegnete die Mutter, »zu solchen unnützen Reden haben wir jetzt keine Zeit! Der Vetter wartet auf einen Bescheid: mach's kurz, dann sind wir im reinen!«

In dem Burschen arbeitete es. Gegen die sofortige Entscheidung erhob sich der Widerwille immer stärker in ihm und gab ihm die Kraft zum Widerstand. »Das kommt mir zu schnell!« rief er. »So tu' ich nicht mit! – Ich will mich nicht über Hals und Kopf ins Ehebett stürzen!«

Der Vater betrachtete ihn. »Und was willst du denn?«

»Ich will mich an den Gedanken erst gewöhnen,« entgegnete der Sohn, »und noch eine Zeitlang meine Freiheit haben! Sechs Wochen zum wenigsten bitt' ich mir aus! Sechs Wochen will ich noch leben als lediger Mensch! – Dann tu meinetwegen, was dir gefällt!«

Der Alte machte eine Bewegung des Ärgers. Dann sagte er: »Und wenn der Vetter empfindlich wird? Und die Marev' desgleichen? Wenn sie im Zorn über uns zu dem Antrag des Meiers ja sagt?«

»Dann,« erwiderte Georg, »will ich ihrem Glück nicht im Wege stehen!«

Die Mutter fuhr auf und richtete auf den Sohn verdächtige, lauernde Blicke. Aber sie wollte seinen Worten doch nur eine Erklärung geben. »Du bist ein hoffärtiger Gesell,« rief sie, »und du bildest dir Gott weiß was ein! Aber da könnt's dich doch sitzen lassen! Die Marev' hat ihren Stolz – und sie kann ihn auch haben! Sich noch besinnen – bei so einer Gelegenheit! Fürchte dich vor dem Unwillen der Marev' – und mach ein End'! – Mach ein End'!« setzte sie, ihn bei der Schulter fassend, heftig hinzu.

Georg stand fest und trotzig. »Ich hab' meine Meinung schon gesagt,« entgegnete er; »und dabei bleibt's!«

Vater und Mutter betrachteten ihn, wie um seine innersten Gedanken zu erraten. Es waren argwohnvolle böse Blicke! Auf einmal aber, indem seine Stirn sich glättete, sagte der Alte: »Die sechs Wochen, die dein Eigensinn verlangt, sollst du haben! – Ich will mit dem Schwaner von der Sach' reden und dafür sorgen, daß uns deine Narrheit nicht schadet. Aber wenn die Zeit um ist, dann gehörst du mir! – Ich hab' dich verwöhnt, wie's scheint; aber bilde dir darum nichts ein! Du bist nicht der Herr in meinem Haus; ich bin der Herr immer noch, und das werd' ich dir zeigen.«

Georg lächelte mehr traurig als bitter, und ging schweigend aus der Stube.


IV.

Der Bursch hatte doch das Gefühl einer abgeworfenen Last. Er atmete auf, als er im Hof war. Halten sich die Menschen ja für gewöhnlich an das Jetzige und sind froh, wenn sie nur einige Zeit vor sich sehen, in der sie noch ihren Willen haben.

Eine Reihe von Tagen hielt die Empfindung in Georg nach. Als aber eine Woche vergangen war und die zweite folgte, meldete sich in seinem Herzen die Sorge wieder – der Unmut und der Verdruß. Es hatte sich nichts geändert, und in keiner Art war abzusehen, wie etwas ihm Beistand leisten und zu seiner Befreiung helfen sollte. Ihm war, da nun ein Tag um den andern hinging, als ob eine Schnur um seinen Hals gelegt und zugezogen würde.

Die Hälfte der Frist war verstrichen. Die andere, mit demselben Schritt mußte denselben Weg gehen; – und dann?

Es ist leicht gesagt: dann konnte einer, der keine Neigung empfand, erklären, er wolle nicht! In jenen Tagen wogen die Eltern noch ungleich schwerer als gegenwärtig; der Gebrauch war ein Tyrann, und Georg hatte sich in seinem bisherigen Verhalten schon mehr herausgenommen, als es von den meisten andern seines Alters geschehen wäre. Zu alledem hatte er sich in seiner Verlegenheit gegen den Vater verpflichtet, daß er nach Ablauf der Frist ihm folgen wolle! Wie sollte er nun die in jedem sonstigen Betracht vorteilhafte Heirat ausschlagen und den Eltern sich widersetzen ins Blaue hinein?

Eine gewisse Ergebung nahm in seinem Innern Platz. Er suchte sich vorzustellen, ob's nicht vielleicht dennoch ginge! Im Grunde, häßlich war die Eva gar nicht, vielmehr eine wohlgebaute, stattliche, von manchem gern gesehene Person, und sie benahm sich in der Ehe möglicherweise viel besser, als man ihr's zutraute. »Es ist mein Schicksal gewesen,« dachte er, »daß ich keine gefunden habe, die ich liebe! Wenn man aber keine zum Heiraten hat, die man liebt, dann heiratet man eben eine, die man nicht liebt, und lebt der Hoffnung, es werde noch kommen! Wenn man sie hat, dann hat man sie eben, und es geht am Ende auch!«

Er lächelte traurig zu dieser Auskunft – der besser gebildete Bauernsohn, der sich nun doch den Traditionen seines Standes unterwerfen sollte! Und das gedrückte Herz entlastete sich in einem schweren Seufzer.

Ein paar Tage nach der Unterredung in der oberen Stube hatte er der Freundin Sophie den Stand der Dinge mitgeteilt. Ihre Antwort, nach ernstem Zuhören, war nicht ermutigend. »Du arm's Vetterle!« rief sie und schwieg. Damit erklärte sie ihm, auch sie wisse keinen andern Rat, als daß er den Eltern trotz allem sich fügen müsse. Mindestens wollte sie ihm keinen andern sagen.

Da nun alles zusammentraf, so vertiefte sich unser Bursche mehr und mehr in einen stillen Trutz, der nicht seinen Eltern, sondern dem Glücke galt. »Mir hat's eben nicht nach meinem Kopf gehen sollen,« sagte er zu sich. »Nun meinetwegen! Ich hab's besser vorgehabt mit mir; aber mein Unstern will's nicht – lassen wir ihm nun seine Weis'!«

Es liegt eine gewisse Süßigkeit in dem Gedanken der Ergebung ins Notwendige. Hat man das Seine getan und es ist keine Änderung zu bewirken, dann kommt ein Humor der Verzweiflung über uns, und lockend erscheint der Gedanke, uns den unvermeidlich gewordenen Streich selber zu versetzen. Wir nehmen dann für das Glück den Stolz unseres Wollens. Und wenn uns die Genugtuung, welche damit gegeben ist, nicht froh machen kann, so mischt sie der Trauer unseres Herzens doch eine Linderung bei, daß wir auf Momente sogar ein düsteres Wohlgefühl empfinden können.

Am dritten Sonntag, beim Heimgehen von der Kirche, sagte ein Bekannter zu unserem Burschen: »Gehst du nicht heute nach ***? Es ist Kirchweih, und von uns wollen etliche beim Pflugwirt einkehren!« – Georg schüttelte den Kopf.

Als er zu Mittag gegessen hatte, und in Hof und Garten herumschlenderte, war es ihm doch, als ob er sich eine Zerstreuung gönnen sollte. Im Ungenügen ist die Seele genügsam, und ihr kann anziehend erscheinen, was in einem andern Zustand wenig Reiz für sie hätte. Den Burschen kam es endlich vor, als ob Spiel und Tanz und lustige Leute zu sehen, ihm doch wohltun würde. War er nicht vergnügt, so waren's andere, und die konnten zuletzt auch ihn anstecken. – Er ging in seine Kammer, zog die Samtjoppe an, drückte die Mütze auf den Kopf, steckte das Geld in die Tasche, das er nach Tisch von dem Vater erhalten hatte, und trat die Wanderung an.

Der Tag, in der letzten Woche des Sommers, war schön und die Wärme der Sonne gemildert durch Lämmerwölkchen, mit denen sich die Westseite des Himmels überzogen hatte. Ein Liedchen summend, welches zu seiner Stimmung paßte, ging der Bursch den Fußpfad hin und warf kaum einen Blick auf die Landschaft. Der Weg betrug nur eine halbe Stunde – er hätte ihn länger haben mögen. Denn er fühlte sich auf ihm gesänftigter und wohler, als seit langer Zeit. Eine unbestimmte Hoffnung, als ob doch noch alles gut werden könnte, regte sich in dem jungen Herzen. »Wie mancher,« sagte er sich, »hat doch auch Glück in dieser Welt! Man meint eben immer wieder, daß man auch eins haben sollte!« – Unvermerkt war er dem Dorf so nahe gekommen, daß ihm die Klänge der Tanzmusik vom nächsten Wirtshaus – dem »Pflug« – in die Ohren drangen. Er lächelte – und ging den Tönen nach.

Als er im Hof angekommen war, ergötzte ihn der Anblick der fröhlich umherlaufenden Kinder – der zufrieden sitzenden Obstweiber am Haus und der Burschen und Mädchen, welche um einen Tisch gedrängt ihr Glück im Paschen versuchten. – Er ging ins Haus, die Treppe hinan, und trat in die obere Stube.

»Ah, da bist du ja doch!« rief ihm von einer Tafel am Fenster der Kamerad entgegen, der ihn eingeladen hatte. »Setz dich zu uns, wenn du nichts Besseres vorhast!« – Man rückte zusammen und Georg nahm Platz bei den Ledigen seines Dorfs.

Er ließ eine Kanne Nördlinger Bier kommen, trank und plauderte. Der Menschenschwarm um ihn herum, das Gehen, Kommen und Durcheinanderwogen unterhielt ihn. Nach einer Weile ging er auf den Tanzboden, sah von einem Winkel aus zu, hörte die Schelmenliedchen der Tänzer und hatte sein stilles, wenn auch etwas melancholisches Vergnügen an der Lustigkeit der einen und an dem Wichtigtun der andern.

Als er wieder in die Stube zurückgekehrt war und von seinem Platz umherschaute, fiel ihm an einem besonderen Tisch an der Wand eine Gesellschaft auf, die er noch nicht wahrgenommen hatte. Es waren zwei junge Bauern und zwei Mädchen, guter Leute Kind, wie man aus ihrem Anzug und ihren Mienen sah. Georg, nachdem er die andern flüchtig betrachtet hatte, blieb mit seinen Blicken an dem einen der Mädchen haften, die auf einem Stuhl vorne saß. – Das Blut schoß ihm in die Wangen.

Es war eine Gestalt und ein Gesicht von einer Lieblichkeit und Schönheit, wie man sie auf dem Lande selten treffen mag. Für ein Bauernmädchen war sie beinahe zu fein, und ihre Miene zu seelenvoll. Sie hatte lichtbraunes Haar, klare, zartrote Wangen, und die Linien ihres Hauptes waren von rührender Anmut. Sie lächelte (zu der Bemerkung eines der Burschen, konnte man annehmen!), wie nur ein vollkommen gutes und frohes Gemüt lächeln kann.

Unser junger Freund war geblendet. Er konnte die Augen von ihr nicht mehr wegbringen, und sein Herz klopfte mächtig.

Das war das Mädchen, die er sich gewünscht und nach der er sich gesehnt hatte! Das, ja das war die Liebe, die er noch niemals gefühlt hatte, aber die er nun kennen lernte mit all ihren seligen Schauern! Das war die Güte und die Schönheit und jener unendliche Reiz, der nicht mehr überlegen und abwägen läßt, dem die Seele sich ohne weiteres und ganz und gar ergeben muß!

Nach einer Weile fragte er den Kameraden mit einem Blick auf den Tisch an der Wand: »Wer sind denn die da drüben?«

»Kennst du sie nicht?« erwiderte jener verwundert. »Der mit dem Backenbart ist der älteste Sohn des Kreuzbauern von hier. Die Mädchen sind seine Schwestern, Christine und Rebeck'. Der Schwarzhaarige ist ein Vetter aus Deiningen, der bei ihnen auf der Kirchweih ist.«

Der Bursch, nach augenblicklichem Schweigen, sagte: »Gefällt ihm vielleicht eine von den Mädchen dort?«

»Ei bewahre!« rief der andre. »Er ist ja schon verheiratet und hat, glaub' ich, zwei Kinder auf die Kirchweih mitgebracht!«

Georg atmete leichter. »Ein paar schöne Mädchen!« sagte er mit der angenommenen Ruhe eines Kenners.

»Das will ich meinen,« versetzte der Kamerad. »Besonders die Rebeck'! – Mich wundert nur, daß die zum Tanz hergekommen ist. Sie ist eine Kuriose – und bleibt am liebsten zu Haus!«

»Hat sie keinen Schatz?« fragte Georg.

»Man weiß von nichts, obwohl ihr schon mancher zu Gefallen geht. – Sie ist aber auch erst siebzehn Jahr' alt!«

»Da hat sie noch Zeit,« versetzte unser Bursch. »Die andre,« sagte er nach einem prüfenden Blick, »scheint mir ein paar Jahre älter zu sein!«

»Wenigstens!« bemerkte der Kamerad. Und vergnüglich setzte er hinzu: »Da hat sich auch schon was angesponnen; was Ernsthaftes! – Wo bleibt er nur, der gute Freund? – Du wirst dich wundern!«

Er richtete seine Blicke auf die Türe – und schüttelte den Kopf. Nach einer Weile, mit aufgehellter Miene, rief er: »Da! – Schau einmal hin!«

Georg, aufsehend, erblickte in der Türe seinen Schulkameraden Ludwig, den Sohn eines der wohlhabendsten Bauern seines Dorfs – seinen jetzigen Nebenbuhler im Ansehen unter den »Ledigen«. – Der etwas breitköpfige, sonst wohlgebildete Bursch, nachdem er sich von der Schwelle aus umgesehen, ging zu dem Tisch an der Wand, grüßte, trank von dem aufgewarteten Bier – und setzte sich an die Seite der Christine.

Georg war in großer Aufregung. Er hatte bemerkt, wie bei der Ankunft des Burschen die ältere Schwester errötet war, nicht aus Verlegenheit, sondern aus reinem Vergnügen; und er erkannte daraus, daß es sich um eine Liebschaft handle, die man offen betrieb und die zu einer Heirat führen sollte. Nun hätte er den Freund begrüßen und dadurch in die Nähe der Rebecka kommen und mit ihr reden können. Aber schon fühlte er auch die bange Scheu der wirklichen, herzlichen Liebe! Er saß wie gebannt; er wäre vielleicht den ganzen Abend sitzen geblieben und hätte die Bekanntschaft zu machen versäumt, wenn ihn nicht Ludwig endlich bemerkt und ihm, verwundert und vergnügt, seinen Gruß zugerufen hätte. Da stand er auf, dankte dem Freund und ging, magnetisch gezogen, gegen den Tisch. Ludwig (ein Beweis, wie sehr er ihn schätzte!) stand auf, reichte ihm die Hand und sagte zu der Gesellschaft: »Da ist noch einer von uns, der junge Haselbauer – wenn ihr ihn noch nicht kennt!«

»Ei,« rief Christine, »wer sollte den nicht kennen? – Ich glaub' nur, daß er uns nicht kennt!«

Georg lächelte, wenn auch mit einiger Befangenheit. »Recht gut, Jungfer Christine Hegerin!«

»Geh,« versetzte die muntere Dirne; »das hast du dir eben erst sagen lassen!«

Georg, statt einer Antwort, schaute um den Tisch herum. »Wenn ihr noch Platz hättet –!«

»Den kann man machen,« rief Christine; und die Mädchen rückten zusammen. Der Bursch holte einen leergewordenen Stuhl in der Nähe und nahm Platz.

Er saß nun an dem Tisch bei der Lieblichen – an ihrer Seite; aber zunächst war nichts für ihn gewonnen. Sein Mund blieb stumm! Er war kein rechter Bauernbursch mehr: die Kultur hatte ihn verdorben! Nichts dünkte ihn jetzt gut genug, daß er es der Jungfrau hätte sagen mögen. Und so schwieg er – und kam der Christine sehr ungeschickt und seines Rufes durchaus nicht würdig vor.

Ludwig riß ihn aus der Verlegenheit. Er zog die Christine zum Tanz auf. Georg faßte sich ein Herz und sagte zu der Nachbarin: »Ich weiß nicht, Jungfer Rebeck' – ist's erlaubt?« Das Mädchen stand auf; der Bursch ergriff die dargebotene Hand, und sie folgten dem vorangegangenen Paare.

Der Tanz ist eine reizende Erfindung an sich – eine himmlische für den Liebenden. Unserem Georg brachte er das Heil! Rebecka, wenn sie auch noch nicht viel bei Lustbarkeiten gewesen war, verstand die Kunst doch vortrefflich, und Georg fühlte sich über alles Maß beglückt, die süße, zarte, zartweiche Gestalt im Arm zu haben und sich mit ihr im Kreise zu drehen. Er hatte eine Seele und eine Phantasie, wie nicht viele seinesgleichen, und jetzt wachten alle Geister und Fähigkeiten in ihm auf. Überseliger Moment, wo die Zauber der Sinne und die Zauber der Seele vereint, sich durchdringend wirken und die Fluten des Glücks in dem jungen Herzen emporwogen überschwenglich!

Gesprochen wurde zwischen den beiden nicht eben viel. Georg fand aber doch bald Mittel, der Tänzerin von dem Zustand seines Herzens eine Andeutung zu geben. Er hatte sie nach dem dritten Reihen, wo sie, in glänzender Röte des Angesichts, ihm noch viel schöner vorkam, unwillkürlich mit einem Blick angesehen, auf welchen sie die Augen niederschlug; – so schimmerten aus ihm Zärtlichkeit und Bewunderung! Und während des vierten drückte er ihre Hand mit jenem seelenvoll sprechenden Druck, der nur der Liebe gelingt. Rebecka erwiderte ihn nicht; aber sie ließ es geschehen und den Druck sich wiederholen.

Unser Bursch war kein Mensch, dem man nicht gut werden mochte, wenn man das Herz noch frei hatte. Und so keimte denn allmählich in dem lieben Geschöpf auch eine Neigung für ihren Tänzer. Sie fühlte sich geehrt, daß sie das Wohlgefallen eines jungen Gesellen auf sich gezogen, von dem soviel die Rede war. Und ihr Herz hatte noch nicht den Schatten eines Bildes in sich aufgenommen; sie hatte ruhig ihren Tag gelebt und sich ihrer Jugend gefreut mit dem Vergnügen eines Kindes. – Jetzt war ihre Zeit gekommen.

Sie fühlte sich glücklich und gab dem Glück sich hin. Sie lächelte, als er endlich eine Bemerkung machte, die lustig sein sollte, und schaute ihn mit Beifall, mit offenem Wohlgefallen an. Er hätte ihr um den Hals fallen mögen!

Freund Ludwig hatte während des Herumgehens nicht versäumt, mit dem Kameraden hier und da scherzende Reden zu tauschen. Der Liebhaber der Christine hatte vorgesungen, nicht nur einfache, sondern auch künstliche Tänze, und sie ausgeführt mit allen herkömmlichen Kraftäußerungen; – ihm lag daran, sich bemerklich zu machen! Georg hatte nur nachgetan, was jener ihm vorgetan. Endlich aber waren sie beide müd'; auf den glühenden Gesichtern der Mädchen perlte der Schweiß – die Burschen nickten sich zu und führten ihre Tänzerinnen in die Stube.

Hier fehlte es jetzt nicht mehr an Unterhaltung. Georg ließ sich Wein kommen und wartete den Mädchen auf, und diese nippten mit den üblichen Reden ihr herkömmliches Tröpfchen. Die Freude, durch den Wein unterstützt, vertrieb alle Scheu aus dem Herzen unseres Burschen, und machte ihn lustig und gab ihm nette Reden ein zum Verwundern. Wenn das Eis gebrochen war, dann kam in ihm allerdings ein Temperament und eine Laune zum Vorschein, wodurch er die gewöhnlichen Bauernburschen seinerseits in Schatten stellte. Die Schwestern saßen mit frohen Gesichtern, und Rebecka schaute mit einer eigenen Genugtuung auf, wenn ihr Tänzer etwas gesagt hatte, was Beifall fand.

Der Gast aus Deiningen machte ein Gesicht wie einer, der begreift. Der Bruder, Hans Heger, richtete wiederholt beobachtende Blicke auf das werdende Paar, die aber keine Unzufriedenheit verrieten.

Es war dunkel geworden; der Aufwärter brachte einen Messingleuchter mit brennender Kerze. Bald darauf kam der »Platzmeister«, stellte eine Schale mit breitem Goldrand auf den Tisch und forderte die Mannsbilder auf, sie herauszupaschen. Man setzte und paschte. Georg warf siebzehn und gewann. Er verehrte die Schale seiner Nachbarin, und diese dankte mit einem holden Lächeln.

Da sagte der Deininger: »Es ist recht schad', daß ich nicht länger bleiben kann; denn so eine Gesellschaft trifft man nicht alle Tag'! Aber ich muß nach Haus – die Meine würde sich sonst Gott weiß was einbilden, und wenn ich in später Nacht heimkomme, mir bös den Marsch machen!«

»Wir gehen mit, versteht sich,« entgegnete Hans, und winkte den beiden Mädchen.

Ludwig schüttelte den Kopf und sagte: »Machen wir einen Vergleich! Der Vetter kann wohl noch eine Viertelstunde bleiben und auf das Nachtessen warten; er tut ihm dann um so größere Ehr' an, und macht der Kreuzbäuerin um so mehr Vergnügen. Zum Heimfahren hat er den Mond, der in einer Stunde aufgeht, und seine Bäuerin wird froh sein, daß sie ihn wieder hat. Wir zwei müssen aber die Mädchen nochmal auf den Tanzboden führen! Denn nur einmal tanzen, das heißt gar nichts, und unsre Tänzerinnen könnten sonst glauben, sie hätten ihre Sache schlecht gemacht!«

»Das mein' ich auch!« rief Georg. »Das Tanzen ist jetzt das Notwendigste von allem! – Besinnen wir uns nicht lang'!«

Er nahm, während der Deininger ergeben lächelte, Rebecka bei der Hand und ging diesmal voran.

Das ganze Glück, die reizende Gestalt im Arm zu haben, erneuerte sich ihm. Er hielt sie, als ob sie schon die Seine wäre, und sie hing an ihm, als ob sie ihm ganz und gar gehörte. Die Zeit verging nur allzuschnell; die bedungene Viertelstunde war beinahe um eine Viertelstunde vorüber. Nach einem weiteren Reihen sagte das Mädchen: »Das ist der letzte! Es geht nicht anders; wir müssen mit dem Vetter nach Hause!« Da faßte Georg sich ein Herz und erwiderte: »Der letzte für heut', meinetwegen! Wenn's aber dir ist, wie mir, dann sind wir nicht zum letzenmal beieinander gewesen! – Ich kann dir sagen: solang' ich lebe, hab' ich die Freude nicht gehabt wie heut'!«

Diese deutliche Erklärung traf das Mädchen in die Seele und erschütterte ihr innerstes Wesen. Sie verlor die Farbe und wurde bleich bis in die Lippen; aber die Züge schimmerten selig. Stumm drückte sie die Hand, die in der ihren lag – zum Dank für die gute Rede. Dann kehrte die rote Farbe wieder, und sie leuchtete darin, als Georg sie in die Stube führte.


V.

Als Georg am andern Morgen in seiner Dachkammer erwachte, hatte er in der ersten Dämmerung des Besinnens ein schauerndes, bedrängendes Gefühl. Wie aber dann die Sonne des Gedenkens aufging und es lichter Tag wurde in seiner Seele, da schlug sein Herz in Freude – und das Glück, wenn auch flüchtig von bangen Ahnungen durchzogen, blieb oben und triumphierte. Er hatte diejenige gefunden, die er liebte! Das einzig schöne Mädchen, so sittig und so reizend! Und sie war ihm gut, sie hatte sich ihm zugeneigt an einem Abend! Sie war aus einer angesehenen Familie; der stolze Ludwig war froh, ihre Schwester zur Frau zu bekommen! – Gottlob, gottlob! –

Er hatte nun ein Ziel – er wußte, was er wollte! Ohne Kampf, ohne harten Streit kam er nicht zu seinem Zweck, das sah er wohl; aber er war entschlossen, ihn durchzufechten, – ja, er freute sich darauf!

»Ich will für sie etwas tun!« rief er. »Ich will beweisen, daß ich nicht umsonst Mannskleider anhab' – ich will sie mir erobern; mit Gewalt, wenn's sein muß!«

Und als ob er sie schon hätte, stellte er sich ihr Bild vor, um sich daran zu weiden. Wie schlug ihm das Herz! Daß sie in der Welt war! Daß er sie gesehen – zu rechter Zeit gesehen, wo sie noch kein Auge gehabt hatte für einen andern! – Er machte Ansprüche, unser Georg, und es war ihm ganz besonders lieb, daß die Neigung zu ihm die allererste war, die sich in dem jungen Herzen gerührt hatte und die schöne Brust in Bewegung setzte! –

Im tiefsten Gemüt froh und beinahe auch ruhig trat er ins Kanzley zum gemeinschaftlichen Frühstück. – »Wo bist du denn gestern gewesen?« fragte der Haselbauer nach einer Weile.

»Auf der Kirchweih,« erwiderte Georg, »drüben beim Pflugwirt! Der Berchtold hat mich eingeladen – er ist dort wie zu Haus! – und mir ist's gewesen, als ob ich auch wieder einmal ein Pläsier haben sollt'!«

Die Bäuerin zog die Augenbrauen in die Höhe und sagte dann mit einer Geringschätzung, hinter der sich ihre mütterliche Neugier verbarg: »Und du hast dir eins gemacht? Du hast getanzt?«

»Ein bißchen,« erwiderte der Sohn. »Und weil von uns keine da war, haben wir die vom Ort genommen.«

»Und man hat sie euch gelassen?« fragte der Vater mit einem Versuch zu scherzen.

»Die Burschen dort sind nicht händelsüchtig,« versetzte Georg nicht ohne einen prahlerischen Zug in seiner Miene. »Allerdings,« fügte er hinzu, »bin ich nicht lange geblieben – und alles war noch ziemlich nüchtern bis dahin!« –

Die Beichte war bestanden. – Sie hatten noch nichts gehört – sie wußten noch von nichts! – Wenn sie ahnen könnten, was geschehen war! – Georg schaute die Eltern mit einer Überlegenheit an, durch die er sich beinahe verraten hätte! Aber sie waren nicht auf der rechten Fährte, und man konnte es ihnen nicht verdenken, daß sie die frohe Miene des Burschen sich vielmehr zu ihren Gunsten auslegten.

Als er die Stube verlassen hatte, bemerkte die Bäuerin: »Er scheint sich doch in sein Schicksal zu ergeben! Das dumme Maul, das er eine Zeitlang 'runtergehängt hat, ist ihm vergangen, – er sieht wieder aus wie ein Mensch.«

»Ich bin froh,« erwiderte der Bauer, »recht froh, wenn die Geschichte ins reine gebracht ist. Am ersten Tag nach den sechs Wochen muß es richtig gemacht werden! An den Meier von L. ist schon eine Botschaft gegangen, daß er mit seinem Michel keine Aussicht habe! – Ich hab's ja gewußt, sie wollen keinen andern, Vater und Tochter, als diesen hoffärtigen Menschen da.«

»Vielleicht,« meinte das Weib, »könntest du früher bei ihm anklopfen.«

»Nein,« sagte der alte Diplomat. »Dann hätte er eine Ausrede! Er soll mir seine sechs Wochen haben bis auf die letzte Minute! Dann soll er in den sauern Apfel beißen – und das reichste Mädchen heiraten sechs Stunden im Umkreis! Der unsinnige Mensch, der sich sperrt! Von wem hat er nur das eingebildete, vornehme Wesen? Von mir nicht!«

Auf den Blick, den der Bauer seinem Weib zuwarf, rümpfte diese den Mund. »Ich hab' nichts dagegen, wenn ein junger Gesell stolz ist,« versetzte sie. »Von so einem ist noch am ersten zu hoffen, daß er zur Einsicht kommt und vernünftig handelt!«

Wieviel unser Georg bei sich zu denken und wieder zu denken hatte, er konnte es doch kaum erwarten, bis es Abend wurde und er nach Wallerstein durfte, um alles und alles der Sophie mitzuteilen. Er kannte sie! Sie freute sich mit ihm, sie sprachen miteinander über sie, und sie hatten zusammen das größte Vergnügen.

Sobald er abkommen konnte, machte er sich auf den Weg und erreichte das Haus in der Herrenstraße fast in der Hälfte der sonstigen Zeit. Der Hofschreiner war in der Werkstätte, die Mutter in der Küche, – Georg traf die Freundin allein in ihrem Zimmerchen neben der großen Stube. Sie war aufgestanden, um ihm entgegenzugehen; denn sie kannte seinen Schritt – und sie hörte gern etwas Neues! Der Bursch, mit rotem Gesicht, flog auf sie zu, nahm sie in seine Arme und drückte sie an sich.

Das Mädchen war sehr »verhofft«, sie entwand sich ihm, sah ihn unwillig, aber doch nicht ohne ein gewisses Lächeln an und sagte: »Bist du bei Sinnen?«

»Ach,« rief Georg mit einem gewaltigen Seufzer, »ich bin verliebt.«

»Was?« rief Sophie mit förmlichem Schrecken. »Ich will nicht hoffen –!«

»Hab keine Sorg', liebe Sophie,« entgegnete der Bursch lächelnd. »In dich nicht! Wie könnt' ich mir so was herausnehmen?«

»So, so,« versetzte die Jungfrau. »In eine andre also! – Nun, dann kann ich mich wieder beruhigen! – Ist dir (fuhr sie nach kurzem Schweigen mit einer schelmischen Eingebung fort) plötzlich ein Licht aufgegangen über deine Nachbarin, die –«

»Still,« fiel ihr Georg in die Rede. »Lassen wir die aus dem Spiel!« Er ergriff ihre Hände und fuhr fort mit aller Wärme seines Blutes, mit aller Herzlichkeit seines Gefühls: »Ach Sophie, ich bin jetzt glücklich wie du! – Ich hab' eine gefunden, – zufällig gefunden, und ich bin verliebt – grausam verliebt! Gott im Himmel, was ist das für ein Unterschied, wenn an einer gar alles lieb und schön ist! Daß es nur so was gibt auf der Welt! Solang' ich Atem hab' in mir, werd' ich meinem Schöpfer danken, daß ich sie gesehen hab'.«

Sophie betrachtete den Freund mit einer Herzensteilnahme in dem runden Gesicht, welche nur durch einen kleinen Zusatz von Schalkheit erhellt war. »Verliebt bist du,« rief sie, »das muß wahr sein. Aber wer ist denn das Wunder – und wo ist sie? Wer hat dir das angetan? – Erzähl mir die Geschichte in der Ordnung, dann wollen wir sehen, was zu tun ist!«

Georg, auf und ab gehend oder vor ihr, die sich gesetzt hatte, stehend, erzählte ihr alles und jedes. Er konnte nicht aufhören, die Rebecka zu loben, weil ihm eben nichts genügte, was er sagte. Darum schloß er nun: »Du mußt sie sehen, Sophie! Sehen mußt du sie – sonst weißt du gar nichts! Wenn du sie mit deinen Augen siehst, dann wirst du mich verstehen, und du wirst mir recht geben!«

Sophie schwieg, indem sie zufrieden in sich hinein sah. Dann sagte sie: »Also das Haar blond?«

»Hellbraun! Glänzend wie Seide!«

»Und die Augen blau?«

»Fast wie Kornblumen!«

»Und schöne Zähne? Wirklich schöne Zähne?«

»Kleine, gerade, weiße Zähne! – Sie passen so außerordentlich gut zu dem Mund, wenn sie lacht! Ach, liebe Sophie, das Mäulchen! Wie muß es einem sein, wenn man dem ein Schmätzchen geben kann!«

»Sieh, sieh, sieh! – Und auch hübsch gewachsen ist sie?«

»Ich bitte dich! – So fein, so zart –«

Die Wallersteinerin, von Gesundheit strotzend, entgegnete nicht ohne Spott: »Ein zartes Bauernmädchen –!«

»Solche gibt's auch!« fiel Georg ein. »Die ist eben so.«

Die Jungfrau, nachdem sie einen Moment geschwiegen, fuhr fort: »Und sie hat gar keinen Fehler? Nicht ein kleines Fehlerchen?«

»Ich hab' keins bemerkt!«

Auf diese in aller Ehrlichkeit gegebene Antwort lachte Sophie laut und klatschte mit den Händen. »Du bist wahrhaftig verliebt!« rief sie. »Ach, das ist herrlich!«

»Fehler!« wiederholte der Bursch. »Sie muß grad' so sein, wie sie ist; – nicht ein Härchen darf ihr fehlen!«

Das Mädchen, ihn von der Seite ansehend, bemerkte: »Schielt sie nicht vielleicht ein bißchen?«

Georg stampfte mit dem Fuß. – »Das tut sie nicht,« sagte er nach einer Weile über sich selber lächelnd. »Aber die Augen kann sie niederschlagen, wie ich's meiner Lebtag' noch nicht gesehen hab'.«

»Du bist ein Bauernbursch, wie's keinen mehr gibt!« rief Sophie mit Anerkennung. »Was du nicht alles bemerkst!«

»Ach,« entgegnete Georg, »es hilft ja doch nichts! Die Hauptsach', siehst du, die Hauptsach' –«

»Ist unaussprechlich!« ergänzte die Wallersteinerin.

»Darum sollte man auch nicht von ihr reden, sondern immer bei ihr sein und sie nur anschauen.«

»Also hören wir auf mit dem Reden von ihr!«

Der Bursch sah sie an und lachte. »Das heißt,« entgegnete er, »wenn man nicht bei ihr ist, muß man wenigstens von ihr reden!«

Die Jungfrau ließ ihre teilnehmenden Augen glänzend auf ihm ruhen. »O ihr Verliebten, ihr seid doch alle gleich und seht in der ganzen Welt nichts mehr als die Einzige! Ich würde dir den Kopf tüchtig waschen, du toller Hansjörg, – wenn ich nicht auch ein bißchen so wär'!« – – Nach einer Weile, mit ernsthafter Miene, sagte sie: »Was du nun vorhast, das kann ich mir denken!«

»Das glaub' ich,« rief der Bursch, »weil nichts anderes möglich ist! Ich werde sie heiraten – sie muß meine Frau werden, und wenn der Teufel in der Hölle dagegen aufständ'!«

»Der wird nicht extra kommen,« entgegnete Sophie. »Aber ich fürchte, der Haselbauer – und besonders die Haselbäuerin, reichen gerade hin, die Sache dir schwer zu machen. – – Siehst du? Nun bist du schon ernsthaft!«

»Es tut mir leid,« versetzte Georg mit einem Ton trotzigen Bedauerns; »das wüste Geschrei – ich bin kein Freund davon! Aber wenn's darauf ankommt, dann kann ich's am besten, und ich glaub', sie hören eher auf, als ich! – – Reden wir jetzt nicht davon,« fuhr er fort, »und verderben wir uns nicht die Freud'!«

»Haben sie noch gar keine Ahnung?« versetzte das Mädchen nach einer Weile. »So was kommt oft sehr schnell an die, für welche es nicht bestimmt ist!«

»Sie wissen noch nichts,« erwiderte Georg. »Und sie sollen auch nichts erfahren, bis alles ausgemacht ist. – Zuerst muß ich mit ihr und mit ihren Leuten reden!«

Sophie schwieg. »In Gottes Namen denn!« rief sie. »Abraten kann man dir nicht mehr!«

»Das tät' nicht viel helfen!« rief Georg mit stolzer Miene.

»Also tu, was du nicht lassen kannst; – und dann komm gleich wieder zu mir! Jetzt brauchst du eine Freundin, guter Hansjörg – und die sollst du an mir haben!«

Die Türe der großen Stube ging auf und die Hofschreinerin, mit hochroten Backen, wie man sie nur aus der Küche bringt, trat herein. »Sieh da,« rief sie, als sie des Burschen ansichtig wurde, » du läßt dich wieder einmal sehen? – Aber wie kommst du mir vor?« setzte sie, ihn musternd, hinzu. »So hellauf! – Ist alles wohl bei euch und alles vergnügt?«

»Alles, Frau Base!«

Die behagliche Frau nickte und dachte sich das Ihre, welches diesmal von dem wirklichen Sachverhalt weit abging. Bald kam der Hofschreiner und brachte nach seiner Gewohnheit das Gespräch auf die Neuigkeiten des Ortes und die Zustände des Fürstentums. Als Georg endlich Abschied nahm, ging Sophie mit ihm vor die Türe und rief im Flüsterton: »Alles Glück – und komm bald wieder!«


VI.

Das erste, was Georg zu seinem Zwecke tat, war, daß er Ludwig besuchte, um ihn zu seinem Vertrauten zu machen. Er traf ihn allein im Futtergang des Roßstalles, der trauten Plauderstelle des Rieser Bauernhauses. Nach dem Gruß ging er gleich zur Sache; er erklärte dem Kameraden, wie es mit ihm stehe und wie die Rebeck' es ihm angetan habe.

Ludwig, mit seinem behaglich ausgearbeiteten Gesicht, lächelte. »Das hab' ich freilich gesehen,« erwiderte er. »Die ist aber auch schön geworden! Sakerment, sie ist schöner wie die Meine! – Du kriegst halt immer das Beste, du Teufelskerl!«

»Vorderhand hab' ich sie noch nicht!« entgegnete Georg.

»Ah bah!« versetzte jener. »Von ihrer Seite gibt's kein Hindernis! Sie ist weg, das junge Ding! – Geh, Spitzbub', das weißt du so gut wie ich!«

In Georgs Angesicht ging das Licht inniger Freude auf. »Also meinst du auch?« rief er.

»Laß mich gehen!« erwiderte der andere. »Wenn mich die Christine, der ich jetzt ein halbes Jahr nachlauf', so gern hätt', wie die Rebeck' dich jetzt schon, da wär' ich zufrieden.«

Unser Bursche faßte die Hände des Freundes und drückte sie. »Gott sei Dank!« rief er, »das ist die Hauptsach'! – Ich mein's ehrlich mit ihr. Ich fang' nur etwas an mit ihr, weil ich sie heiraten will!«

Ludwig betrachtete ihn mit einem Blick, der nicht zu verkennen war.

Georg, ihn verstehend, rief: »Ich hab' meinen Kopf – und der ist hart!«

»Andre haben aber vielleicht noch härtere!«

Eine stolze Bewegung des Widerspruchs war die Antwort unseres Burschen. – »Bruder,« versetzte er, »aus dem Grund eben bin ich gekommen! Wir zwei sind immer gute Freunde gewesen, und jetzt müssen wir's erst recht sein. Wir müssen einer dem andern helfen; – hauptsächlich aber mußt du mir helfen!«

Der andere schmunzelte. »Jetzt möchtest du halt ins Haus?«

»Eben das ist meine Absicht.«

»Nun,« versetzte Ludwig, »da kann ich dir freilich helfen. Denn es macht sich besser, wenn noch einer dabei ist. Und ich bin doch schon ein bißchen weiter, als du bist. – Weißt, mein Alter denkt wie ich! Ein braves und geschicktes Weib aus einer angesehenen Familie kann wohl ein paar Tausend Gulden weniger haben. Bah! – Im Grunde sind wir alle schon eines Sinnes, hier wie drüben!«

»Also,« rief Georg, »nächsten Sonntag machen wir miteinander die Visite!«

Ludwig bot ihm die Hand, Georg schlug ein.

Jener betrachtete den Burschen einigermaßen mit der Miene eines Schutzherrn. »Hätt's nicht geglaubt, daß ich dir noch zu einem Schatz verhelfen müßt'! – Aber wir haben schon so manches durchgemacht miteinander, – und wir werden das auch noch fertig kriegen!«

»Und dann werden wir noch mehr durchsetzen miteinander! Wenn wir verschwägert sind« –

»Heiligenblitz, du gehst vorwärts!«

»Ich bin vergnügt, Ludwig, in der Seele vergnügt! Also am Sonntag?« – Der Kamerad gab ihm die Hand. – »Gut' Nacht für heut'!« –

Am Sonntag war der Himmel mit grauen Wolken überzogen, aber die Luft milde und der Boden trocken. Georg erschien bei Ludwig in seinem schönsten Anzug. Der kräftige, schlanke Jüngling mit dem bräunlich roten Gesicht und schwarzen, gelockten Haaren sah so gut aus, daß er auch dem Kameraden gefiel. Ihn betrachtend sagte dieser: »Da sollt's nicht gehen – wenn man sich so herausputzt? Die sehen gleich an deinem Staat, was du willst! – Jetzt sag mir nur,« fuhr er mit einem Blick auf die Füße des Gesellen fort, »wer dir wieder diese Stiefel gemacht hat! Gewiß der Hofschuster von Wallerstein?«

Georg machte eine Miene, die nicht widersprach.

»Hansjörg,« rief jener mit einem Ausdruck von Tadel, »du gehst über unsern Stand hinaus!«

»Hab keine Sorg',« erwiderte der Bursch. »Geschickter einrichten kann man aber noch gar manches! – Mach, daß du fertig wirst!«

Der Dorfbursche Ludwig brauchte noch über eine Viertelstunde, bis er in einem Anzug dastand, welcher dem des andern wenig nachgab. Man ging durch den Garten und auf einem Feldweg dem Ziele der Wanderung entgegen. Zu wiederholten Malen hielt Ludwig den Freund an der Joppe, mit spöttischen Bemerkungen über sein schnelles Laufen. Aber dieser kümmerte sich wenig darum. Er war in der tiefsten Seele vergnügt! Daß er sie wieder sehen sollte – und daß er sie mit dem Kameraden sehen konnte, wo sich alles so gut und so schön machte! Denn allein wär' es für ihn doch eine Verlegenheit gewesen; er hätte nicht recht gewußt, was für einen Grund er angeben sollte! – Er plauderte und schaute dann wieder umher in dem feiertäglich stillen Gau, und betrachtete das Schloß Baldern und das Kloster Kirchheim, als ob er sie nie gesehen hätte! Alles erschien ihm wie neu! – Je näher er dem Orte kam, je mehr geriet er in Aufregung; und als er in den Kreuzhof eingetreten war, hatte er den ruhigen Kameraden sehr nötig.

Der Hof lag abseits am östlichen Ende des Dorfes. Man sah von ihm aufs Feld und auf die Wiesen, von deren herbstlichem Grün sich jetzt Herden scheckigen Rindviehs abhoben. Vom Norden schaute der Wallersteiner Felsen her, und rechter Hand, nah' genug, prangte die Stadt Nördlingen. Alles das flirrte vor den Augen unseres Burschen, dem es war, als ob er zu viel getrunken hätte.

Wie sie vor dem steinernen Auftritt angelangt waren, kam ihnen der Sohn des Kreuzbauern entgegen und rief mit aufrichtiger Verwunderung und Freude: »Der Hansjörg mit dem Ludwig! Das ist eine Ehr'!«

Die beiden Burschen, von Hans gefolgt, traten in die Stube, wo der Bauer, die Bäuerin und die beiden Töchter in Hemdärmeln saßen. Christine blickte schelmisch auf, Rebecka wurde blutrot. Man begrüßte sich wechselseitig vergnügt, aber doch mit würdiger Förmlichkeit. Das Ehepaar behandelte die beiden Burschen als »Vettern«, von welchen der Besuch zwar eine Ehre, aber vollkommen in der Ordnung war. Bald saß man um den großen Tisch in der Fensterecke und vor den Gästen stand Bier vom Pflugwirt und weißes Brot.

Georg, der zum erstenmal in der Stube war, sah in dieser umher und fand sie gar heimlich. Das Kanzley fehlte; aber die Wände des lange stehenden Hauses waren getäfelt und das Ganze, mit einem Großvaterstuhl und einer Himmelbettstatt an der Wand, hatte etwas Altertümliches, was die Phantasie unseres Georg sehr ansprach. Er saß neben Rebecka, oder vielmehr diese neben ihm, denn man hatte die Gäste in der Mitte Platz nehmen lassen und sich an die Seite und davor gesetzt. Dem Burschen kam alles so schön vor wie in einem Märchen! Eine Zeitlang hatte er mit Umherschauen zu tun und schwieg. Dann wendete er sich zu seiner Nachbarin und fragte, wie ihr das Tanzen bekommen sei. »Recht gut,« erwiderte das Mädchen, durch das Glück, ihn hier zu sehen, munter und mutiger gemacht. »Die Mühe ist nicht so groß gewesen: ich hab' an diesem Tag nicht öfter getanzt wie du!« – »Also bist du später nicht mehr ins Wirtshaus gegangen?« fragte der Bursch. Rebecka schüttelte den Kopf nicht ohne Selbstgefühl.

Vater und Mutter saßen mit eigenen Gesichtern. Die Zuneigung, die Georg kund gegeben, und die Aussicht, die sich der jüngeren Tochter bot, waren offenbar in der Familie besprochen. Wenn auch Rebecka stille gewesen, Hans und Christine hatten ihre Augen aufgehabt, und sie konnten den Eltern nicht verbergen wollen, was sie gesehen. Die Mutter erkannte nach wenigen Fragen, wie es mit der Tochter stand, und nun erwogen die Alten zusammen die Ehre und den Vorteil einer solchen Verbindung. Durch den Besuch des Burschen mit Ludwig sahen sie ihre Hoffnungen mächtig gestützt; und nun brach, wenn auch immer noch durch einen gewissen Ernst und ein gewisses Bedenken, in den Mienen des wackeren Paares unwiderstehliche Befriedigung durch. Die wohlgebaute, stattliche Mutter lächelte. Im Gesicht des Bauern, dessen schöne, um nicht zu sagen feine Züge eine ungewöhnlich gute Seele verrieten, schimmerte wenigstens mehr Glück als Befangenheit.

Die ältere Tochter hatte sich bald nach Ankunft des Besuchs entfernt. Als unter allerlei Geplauder eine halbe Stunde verflossen war, erschien sie wieder mit Kannen und Schalen, die sie auf den Tisch setzte, während die Magd einen großen »türkischen Bund« (feines Gepäck) auf breitem Teller nachtrug.

»Was nicht gar! – Kaffee!« riefen die Burschen wie mit einem Munde.

»Nun ja,« erwiderte Christine. »Wir trinken für gewöhnlich freilich keinen! Aber für so vornehme Gäste, wie ihr seid, da haben wir schon einen in Bereitschaft! Ganz bleiben wir auch nicht zurück!«

Der Kaffee war gut, wenigstens mundete er den ländlichen Gaumen sehr, und das ehrgeizige Mädchen hatte in der Tat die Bohnen nicht gespart. Trinken und Eintunken und Loben des damals auf dem Lande noch wenig üblichen Trankes vollendete das Wohlgefühl der Seelen. Unser Georg fühlte sich beim Kreuzbauern vollkommen zu Hause. Jedes störende Gefühl war aus ihm entwichen in weite, weite Ferne und dafür hatte ein wahrer Übermut des Glücks in ihm Platz genommen. Er schwatzte und lachte mit so guter Laune, daß er die ganze Gesellschaft erheiterte.

Rebecka, die sich ein paarmal über die glühende Wange gefahren war, stand plötzlich auf. »Das Kaffeetrinken,« sagte sie, »hat mir warm gemacht! Ich muß ein bißchen hinaus in die Luft!« Sie verließ die Stube.

Georg fuhr in seinen Reden fort und wandte dann noch fünf Minuten auf einen landwirtschaftlichen Diskurs mit dem Kreuzbauern. Endlich stand er auf, holte tief Atem, strich sich die Stirn, als ob er die Hitze nicht mehr ertragen könnte, und ging hinaus ohne weitere Erklärung.

Die Alten sahen sich an, und in den Frohsinn ihrer Züge mischte sich wieder mehr Ernst. Hans, Ludwig und Christine behielten ihre gute Laune und lächelten.

Georg hatte bemerkt, daß die hintere Tür vom Tennen in einen großen Baumgarten führte, dessen Feldseite mit einer wohlgepflegten Hecke bestanden war. Dorthin – sagte ihm sein Herz – war das Mädchen gegangen. Und wirklich erblickte er sie im äußersten Winkel zwischen der Hecke und dem Stadel des Nachbars. Er lenkte seine Schritte auf sie zu. Da ging sie am Stadel hin gegen die andere Seite. Rasch wandte er sich nach links, um ihr den Weg abzuschneiden; aber sie drehte sich wieder und ging rascher zurück. Der Bursche lief, sie auch – in der Ecke haschte er sie.

Das Mädchen, von seinen Armen sich losmachend, rief geängstigt: »Laß mich, laß mich! Wenn uns jemand sähe!«

Georg ließ die Arme sinken; aber er stellte sich vor sie hin, entschlossen, ihre Flucht zu hindern.

Rebecka, ahnend, welch ein Augenblick gekommen sei, neigte den Kopf ergeben auf die Seite. Ihre Lippen drückten, bei süß verlegenem Lächeln, wehmütiges, rührendes Glücksgefühl aus. – Die Vorderarme waren bloß, die Brust nur durch ein kleines, rotes Tuch bedeckt, der weiße Hals frei. Georg konnte dem Verlangen, die unendlich Liebliche in seine Arme zu schließen, kaum widerstehen. Aber seine Absicht war eine ernsthafte, und er verfolgte sie!

»Rebecka,« begann er mit Herzlichkeit, wenn auch bewegt, »ich bin heut' auf den Kreuzhof gekommen, um mit dir zu reden! Ich weiß nicht, ob ich dir etwas Neues sag', wenn ich mit dir red' – ich hoff's nicht! Aber man muß deutlich sprechen über eine solche Sach'! – Ich hab' dich,« fuhr er ihre Hand ergreifend fort, »über alle Maßen gern, Rebecka; ich kann gar nicht sagen, wie! Seit ich dich gesehen habe, bin ich ein anderer Mensch, ich kenn' mich gar nicht mehr! – Ich kann nichts mehr als an dich denken – alles andre gibt's nicht mehr für mich!«

In dem Gesicht des Mädchens ging ein seliger Schein auf, die tiefblauen Augen strahlten und wurden feucht – das rote Tuch zitterte.

»Rebecka,« fuhr Georg fort, »sag mir, wie du gesinnt bist! Du bist gut und freundlich gegen mich, aber das ist noch nicht die Folge, daß du denkst wie ich und daß dir's ernst ist, wie mir! – Sag's mir jetzt, denn ich muß es hören, deutlich hören, wie du's meinst!«

Nochmal folgte die Jungfrau einem Trieb, auszuweichen. Zu Boden schauend versetze sie: »Man hört von dir –« Sie schwieg.

»Was hört man von mir?« fuhr der Bursch fort. »Daß es mein Vater anders mit mir im Sinn hat? Ist das auch schon an dich gekommen? – Aber das ändert an der Sache gar nichts. Ich bin noch nicht versprochen; wenn ich aber versprochen wär', tät' ich wieder absagen, und das wär' meine Schuldigkeit. Ich kann und will keine andere heiraten, als wie dich! Dich allein kann ich zum Weib haben! Dich muß ich haben, weil ich bei einer andern doch nur an dich denken täte bei Tag und Nacht!«

Das Mädchen, durch diese Erklärung der treuesten Liebe erschüttert, stieß ein Ach der Wonne aus, und ließ den Kopf an die Brust des Geliebten sinken, während ihr die Augen übergingen.

»Willst du Haselbäuerin werden?« rief Georg mit dem Tone der innigsten Zuversicht.

»Ja, freilich,« erwiderte sie lispelnd und zog ihn mit ihren umfangenden Armen an ihr Herz.

Beide sahen nach einer Weile auf, schauten sich in die Augen, und Georg drückte seinen Mund auf die roten Lippen, die sich ihm zärtlich verlangend boten. Es waren die ersten Küsse der Liebe für ihn wie für sie: beide drohten vor Lust ihre Besinnung zu verlieren! Die Welt war ihnen verschwunden! Sie waren entrückt in einen Himmel des Glücks, wo die trunkene Seele Zeit und Ort und alles vergißt. –

Nach einer Weile, sie wieder betrachtend, sagte der Bursch: »Rebeck', nun gehörst du mir! Zwischen uns ist nun alles abgemacht und richtig! Aber meine Leute dürfen noch nichts erfahren! Sie haben andere Gedanken, und von denen können sie bloß nach und nach abgebracht werden. Du weißt aber, nächsten Sonntag ist unsre Kirchweih. Komm hinüber mit deinem Hans und deiner Schwester, die sich grad' auch nicht arg sperren wird. Da wollen wir vergnügt sein miteinander, – und mein Vater kann dann zuerst sehen und meine Mutter sich sagen lassen, was ihr Sohn im Sinn trägt. Sie werden böse sein, das weiß ich; aber ihr Zorn wird verrauchen – und wenn sie dich gesehen haben, dann kann ich auftreten!« – Mit einem Blick zärtlicher Laune, sie zu ermutigen, fuhr er fort: »Wir wollen da wieder recht schön miteinander tanzen – weil's neulich gar so gut gegangen ist!«

Rebecka lächelte und drückte ihm statt aller Worte die Hand. Dann, nach einem Moment bewegten Sinnens, sagte sie: »Wie ist das alles so plötzlich gekommen! Als ob's vom Himmel gefallen wär'! Vor acht Tagen hab' ich noch keine Ahnung gehabt! Ich bin frei gewesen wie der Vogel in der Luft, und jetzt gehör' ich nicht mehr mir selber!«

»Ist dir das zuwider?«

»Geh!« rief das Mädchen. »Ich soll dir wohl nochmal sagen, was ich schon gesagt hab'?«

»Ja freilich,« erwiderte der Bursch. »Das kann man gar nicht oft genug hören! – Also – du hast mich gern?«

»Ja! – Ja!«

»Aber nicht so gern, wie ich dich!«

Rebecka schaute ihn an. »Du kannst mich lieb haben,« erwiderte sie mit innigem Ernst, »soviel du willst – meine Lieb' wirst du nicht übertreffen. Ich denk' an dich, wenn ich aufwach' und wenn ich mich niederleg' – und den Tag über ohnehin! – Ich sollt' mich schämen!«

»Gar nicht!« entgegnete Georg mit strahlender Miene. »Hab' meinen Dank dafür! – O wie wohl tut so ein Wort! Komm, du bist mein Schatz, mein herzallerliebster Schatz – und bald, bald wirst du meine Hochzeiterin sein! Glaub mir und baue Häuser darauf!«

»Ich glaub' dir!« versetzte Rebecka mit dem Ton des tiefsten Vertrauens. Dann, mit einem Blick aufs Haus, fuhr sie fort: »Wir müssen wieder hinein! – Halt!« rief sie zu ihm, als er fortgehen wollte. »Bleib noch ein bißchen; – ich will vorausgehen!«

Sie sah ihn nochmal an, dann lief sie mit ihren leichten Sonntagsschuhen übers Gras hin. Der Bursch sah ihr nach – das seligste Triumphgefühl durchwogte seine Brust. – Nach einer Weile ging er ins Haus zurück und trat mit vollkommen ernsthafter Miene in die Stube, wo Rebecka neben dem Vater saß.

»Was meinst du dazu?« rief Ludwig ihm entgegen. »Ich hab' den jungen Vetter und die beiden Bäschen zu unsrer Kirchweih eingeladen!«

»Ganz meine Gedanken,« rief Georg. »Wir sind vergnügt gewesen auf ihrer Kirchweih, nun sollen sie vergnügt sein auf der unsern. – Also?« fügte er umherschauend hinzu.

»Ich bin dabei,« sagte Hans.

»Und ich auch,« rief Christine, – »wenn Vater und Mutter nichts dagegen haben! – Aber die Rebeck' wird nur nicht wollen! Beinahe hätten wir sie vor acht Tagen hier nicht ins Wirtshaus gebracht; und nun soll sie gar noch über Feld gehen! – Ihr werdet schon mit Hans und mir vorlieb nehmen müssen!«

Alle Gesichter hatten sich bei diesen Worten erheitert. Rebecka, nach leichtem Erröten, sagte: »Ich bin oft genug zu Hause geblieben, wenn du fortgegangen bist, so daß ich jetzt wohl auch einmal allein mit Hans fortgehen könnt'! Aber ich will nicht so genau sein mit dir und will dich mitlassen – wenn wir überhaupt fortdürfen.«

»Sieh, sieh!« erwiderte Christine mit schwesterlicher Verwunderung über die gelöste Zunge.

»Der Vetter und die Base,« meinte Ludwig mit einem Blick auf sie, »werden uns die Freud' nicht verderben. Kirchweih ist nur einmal im Jahr! Und bei uns gibt's heuer eine ganz fürnehme! Den »Platz« haben zwei Burschen gekauft, die ihresgleichen suchen! 's wird ein prächtiger Aufzug werden – obwohl« (fügte er lächelnd hinzu) »wir zwei, der Hansjörg und ich, diesmal nicht beim Platzaufführen sein werden!«

»Nun,« entgegnete der Vater gutmütig, »dann will ich nicht hinderlich sein! Geht also in Gottes Namen – ich und die Bäuerin wollen das Haus hüten!«

»Dank schön!« rief Ludwig vergnügt. Und zu Georg gewendet, fuhr er fort: »Mit dem Bescheid könnten wir jetzt B'hütgott sagen.«

Auf diese Rede schüttelte aber die Kreuzbäuerin den Kopf. »Das wär' doch noch zu früh!« rief sie mit Ansehen. »Hier kommt frisches Bier, – das müßt ihr uns noch trinken helfen!«

Die Burschen konnten nicht umhin, den großen Henkelkrug mit zu leeren, was ihre Stimmung nicht verschlimmerte. Endlich, als der Tag sich neigte, brachen sie auf. Man nahm Abschied unter den schönsten Formen, die aber noch ungleich mehr von Frohsinn durchzogen waren als beim Willkomm. Georg fand Gelegenheit, der Geliebten einen Blick zuzuwerfen, der ganz und gar nichts Förmliches hatte. »Auf Wiedersehen!« rief er zärtlich. Sie gab ihm die Hand und nickte.


VII.

Am andern Morgen beim Frühstück sagte die Mutter zu unserm Burschen: »Wo bist du denn gestern hingegangen?«

Georg sah sie an. Die Frage war arglos. Er folgte nun einer Eingebung, die Wahrheit in einer Art von Wahrheit zu verbergen, und sagte: »Nach der Stadt, mit dem jungen Steinbauer. Wir sind aber nicht hineingekommen, sondern vorher eingekehrt und haben bei gutem Bier in lustiger Gesellschaft einen ganz vergnügten Tag gehabt.«

»Du machst dir jetzt oft ein Pläsier!« bemerkte der Haselbauer.

»Ich benutze meine Freiheit,« erwiderte der Sohn.

Der Alte zeigte ihm hierauf eine Miene, die ungefähr bedeutete: »Das hast du auch not!« –

Georg machte, daß er fortkam.

Am selben Abend noch ging er nach Wallerstein zu der Freundin. Er schüttete ihr sein ganzes Herz aus und verhehlte ihr nicht, daß er die Geliebte zum Kirchweihfest geladen und was er auf diesem vorhabe.

Sophie, nach einigem Schweigen, versetzte: »Hansjörg, Hansjörg – ich bin in Angst für dich!«

Georg widersprach mit einer Bewegung, die seine Entschlossenheit ausdrückte. »Einmal muß es sein!« rief er. »Und am Ende, ich kann jetzt alles riskieren – denn ich hab' keine Wahl mehr!« – Nach einer Weile, mit herzlichem Ton, fuhr er fort: »Du mußt auch herüberkommen, Sophie! Dann kannst du sie sehen und kennen lernen und dann weißt du, warum ich so handle! Ihr zwei müßt gute Freundinnen werden!«

»In Gottes Namen,« erwiderte die Jungfrau, »ich komm'! Was auch geschehen mag, ich will wenigstens dabei sein! – Aber,« fuhr sie mit einem Ausdruck mütterlicher Sorge fort, »sie darf wahrlich schön sein und lieb und gut; denn um sie wird ein Streit anheben, der nicht so schnell ausgehen wird, als du vielleicht meinst. Ich will dir das Herz nicht schwer und dich nicht irre machen; aber stell dir's nur nicht zu leicht vor!«

»Das tu' ich nicht,« versetzte der Bursch mit Ernst. »Ich weiß nur, daß ich in diesem Streit das Feld behalten werde!«

»Man weiß nichts gewiß in dieser Welt,« entgegnete Sophie. »Hoffen wir das Beste!« – –

Ein paar Tage darauf sagte der Haselbauer zu seinem Sohn: »Was hast du denn vor dasmal? Willst du die Marev' nochmal auf den Platz führen?«

Georg schüttelte den Kopf. »Meine Zeit ist noch nicht um,« versetzte er. »Und jetzt handelt sich's um was anderes, als den Platz aufführen zu helfen!«

»Du hast allerdings noch eine Woche,« bemerkte der Vater spöttisch.

»Acht ganze Tage!«

»Nun,« fuhr jener fort, »mir ist's auch gar nicht so ernst gewesen mit der Frag'! Die Marev' wird selber nicht mehr auf den Platz wollen. Aber ins Wirtshaus wird sie kommen mit ihren Kirchweihgästen – da könnt ihr euch doch lustig machen miteinander!«

Die letzten Worte sprach der Alte schon im Weggehen. Georg lächelte mit einem Ausdruck, der ihn sehr stutzig gemacht hätte, wenn er ihn noch hätte sehen können.

Der Morgen des Festtags brach völlig heiter an. Die Sonne schien durch die Hauptgasse des Ortes herauf und vergoldete das weiße Haus des Haselbauern. Georg war schon im Hof; – die Sonne und die Schönheit des Tages machten auf das ahnungsvolle Gemüt eine seltsame Wirkung. Es erschien ihm alles so feierlich! – Auf den Glanz des Tages fielen die Schatten der Gefahr und der nahenden Entscheidung und gaben ihm für die Augen des Jünglings ein ernstes, verhängnisvolles Licht!

Die Zeit in der Kirche verbrachte unser Freund mit sich selbst und seinen Gedanken. Während der Prediger auf die geistliche Bedeutung des Tages aufmerksam machte und vor Ausschreitungen in der weltlichen Lustbarkeit warnte, prüfte er seinen Vorsatz, um ihn vor sich selbst zu rechtfertigen. Es begreift sich, daß ihm dies gelang. Das Ergebnis des Kirchganges war für ihn eine tiefe Befestigung in seinem Entschluß.

Bei dem Mittagsmahle zeigte er einen gelassenen, würdigen Ernst. Es war nur ein Kirchweihgast anwesend, ein verwitweter Schwager des Haselbauern. Diesem Sechziger tat Georg mit besonderem Fleiß alle Ehre an und benahm sich dabei so gut, daß der Vetter ihn später gegen die Eltern höchlich rühmte. Der Alte lächelte geschmeichelt; – die Mutter antwortete mit einem Seufzer.

An sie war im Laufe des Vormittags eine Meldung gekommen: wie vergnügt ihr Sohn vor vierzehn Tagen auf der Kirchweih des Nachbardorfes gewesen sei und mit was für einem Mädchen er zweimal getanzt habe! – Die Nachricht brachte ein Weib, die nicht immer sprach, was sie verantworten konnte – darum hatte die Bäuerin die Sache noch für sich behalten. Aber sie wollte nachforschen lassen und ihre Augen aufhaben. Namentlich sollte der Sohn zur Entscheidung gezwungen werden am ersten Tag nach der abgelaufenen Frist.

Nachmittags, als die Musikanten schon einige Tänze gespielt hatten, begab sich unser Bursch ins nahe Wirtshaus. In der oberen Stube fand er alle Tafeln besetzt; – an dem Ecktisch zwischen Fenster und Türe saß die Marev' mit einem älteren Ehepaar und der erwachsenen Tochter – ihren Gästen. Er konnte nicht vermeiden, zu ihnen zu treten und die Gesellschaft zu grüßen. Die Marev' dankte mit einem eigenen, zutrauensvollen Ernst, der Georg betroffen machte, aber seinen guten Grund hatte. Dem Schwaner war gestern vom Haselbauern gelegentlich mitgeteilt worden: sein Sohn wolle die Kirchweih nochmal als Lediger feiern – und dann Ernst machen mit der Marev'!

Auf die Einladung des Vetters nahm Georg am Tische Platz.

In der Nähe saß ein Mädchen vom Dorf und ihr Bruder, welche Georg, als gute Bekannte, grüßte. Die muntere Dirne nickte und rief: »Hansjörg, wie wär's, wenn wir's auch wieder einmal probierten miteinander?« Bevor unser Bursch antworten konnte, sagte der Bruder zu der Schwester: »Nur langsam! Die ersten Reihen wird er mit seiner Nachbarin tanzen wollen!« Die Marev' lächelte hierauf anmutig, und Georg konnte nicht umhin, mit möglichst guter Miene zu sagen: »Nun, wenn du nichts dagegen hast, so wollen wir drei miteinander machen!« Die Jungfrau stand auf, und er führte sie hinaus.

Hätte sie in sein Herz blicken und darin lesen können! Der junge Kreuzbauer mit seinen Schwestern konnte jeden Augenblick ankommen! Was dachte sich die Rebeck', wenn sie ihn mit der Marev' tanzen sah! Der Argwohn stieg in ihr auf und beunruhigte sie und quälte sie! Sie, der er nur Freude zudachte am heutigen Tag!

Gern hätte er seine Rede beim Aufziehen buchstäblich genommen und nach dem dritten Reihen den Tanzboden verlassen. Aber das durfte er nicht! Wenigstens noch drei mußte er dazu fügen! Als er aber den sechsten hinter sich hatte, da sagte er: »Zum Anfang wollen wir's nicht übertreiben – und jetzt ein Glas Wein trinken!« Er führte die etwas Verhoffte in die Stube zurück und bot ihr den Schoppen, der auf seine Bestellung gekommen war: unendlich froh, daß er das Wagnis glücklich überstanden!

Seinen Platz nahm er auf der Bank am Fenster. Nach einer Weile hörte er das Rollen eines Wagens – er schaute in den Hof: sie waren es!

Sein Herz klopfte mächtig, und er mußte sich alle Mühe geben, nicht auffällig zu werden. Entschlossen erhob er sich und ging hinweg – der Geliebten entgegen!

Ludwig, der in der unteren Stube gewartet haben mußte, stand, als Georg die Stiege herunterkam, schon im Haustennen vor den glänzend geputzten Mädchen. Rebecka, die zuerst etwas ängstlich umhergesehen, klärte sich auf beim Anblick des Geliebten. Georg hieß sie freudig und herzlich willkommen. »In der oberen Stube,« sagte er, »ist alles voll; aber im Anbau, wie ich gesehen hab', ist noch Platz.«

»Gehen wir in den Anbau,« rief Ludwig, »'s ist ohnehin vornehmer!« – Georg nickte, glücklich, wenigstens für eine Zeit vor den Blicken der Marev' geschützt zu sein!

Man begab sich mit dem nachgekommenen Hans über die Stiege in eine ziemlich geräumige Seitenstube und nahm Platz an dem einen Tisch, der noch frei war.

Die Dorfburschen bestellten Wein und Torten, und man denkt sich, daß jeder seine Nachbarschaft richtig wählte. An den andern Tischen saßen Leute von auswärts, deren Besuch der Wirtsfamilie galt. Eine Müllerin aus der Nähe schüttelte aber doch bedeutend den Kopf, als sie den jungen Haselbauer neben Rebecka erblickte, und aus seinen Manieren gar bald abnahm, was sich da entspinnen wollte.

Unser Freund bemerkte das nicht. Er sah nur das holde Antlitz und in diesem Antlitz die Liebe – die süße, scheue, selige Liebe! Alles Bangen schwand aus seinem Herzen, die Freude und die Liebe herrschten allein. Die Welt zerfloß ihm in Dunst. Es gab nur sie für ihn; – und vor seiner Seele gaukelte nur das wonnige Ziel seines Lebens! –

Nachdem man von dem Aufgetragenen versucht hatte, führte Ludwig die Christine zum Tanz, und Georg folgte mit Rebecka.

Die beiden Paare, wie sie auf dem Tanzboden erschienen, machten die dort schon Anwesenden aufsehen. Das Verhältnis Ludwigs mit Christine war den meisten bekannt, aber Georg mit Rebecka überraschte. Was hatte das zu bedeuten? – Man sollte bald ins klare kommen!

Die Liebenden schauten so schön zusammen, sie konnten und sie wollten ihre Gefühle so wenig verbergen, daß die meisten anfingen zu begreifen und die Gesichter der Begreifenden sich aufhellten, entweder teilnehmend oder schadenfroh. Hohes Interesse und mächtige Spannung zog namentlich in die Seelen der Jungfrauen!

Unter den Tanzenden befanden sich auch die drei Söldnerstöchter, welche dem Schicksal Georgs ihre besondere Teilnahme gewidmet hatten. Nach einer Weile stellten sie sich, ihre Burschen zeitweilig verlassend, in einen Winkel zusammen und die Schlanke rief: »Was ist denn aber das? Was hat denn der Hansjörg für eine?«

Die Blonde versetzte: »Das ist die Schwester der Christine – das jüngste Kind vom Kreuzbauern!«

»Ein schön's Mädle,« rief die selber nicht Häßliche. »Fein wie eine Prinzessin!« Nach einem neuen Blick auf das Paar setzte sie bedeutungsvoll hinzu: »Jetzt wissen wir ungefähr, wie wir daran sind! Der Hansjörg ist immer gern vergnügt gewesen; aber so hab' ich ihn noch nicht gesehen, solang' ich leb'. Schaut nur hin, wie er sie ansieht! Ich bitt' euch!«

Alle sechs Augen waren auf ihn gerichtet. Dann nickte man sich mit innigem Verständnis zu, tiefbefriedigt, es jetzt zu wissen! Die Schwarzbraune versetzte: »Nun glaub' ich, daß keine von uns mehr Hoffnung hat! Keine vom ganzen Dorf! Auch nicht – – seht, da kommt sie!«

An der Seite des Burschen, der vorhin die tanzlustige Schwester zum Warten ermahnt hatte, trat die Marev' unter die Paare.

Über das Weggehen und Ausbleiben des Georg sehr befremdet, hatte diese an ihrem Tisch in Unruhe gesessen und der Dorfbursch glaubte endlich die gute Gelegenheit zum Tanzen benützen zu müssen.

Nicht lange, so erblickte sie Ludwig mit Christine und Georg mit Rebecka. Die Gesichter der letzteren, welche schon tanzten, und ihre zärtliche Haltung sagten ihr alles. Jeder Blick auf sie gab ihr einen Stich ins Herz. Sie hatte die Farbe verloren und erschien mit einem Mal bleichgelb. Qual und Zorn im Herzen tanzte sie den Reihen.

Georg, im Herumgehen mit Rebecka, tat, als ob er sie nicht bemerkte. Er hatte sie wohl gesehen und noch vor einer halben Stunde würde ihn ihr Erscheinen in Bestürzung versetzt haben. Aber seine Seele war jetzt so ganz der Freude hingegeben und von ihr ausgefüllt, daß nichts Widriges in sie einzudringen vermochte. Es bekümmerte ihn wenig, als er wahrnahm, daß die Eifersüchtige spähende, böse Blicke auf sie warf. Er sah in ihr, die man ihm aufdrängen wollte, seine Gegnerin, die er zu bekämpfen und von sich abzuhalten berechtigt – verpflichtet war!

Kaum hielt sich die von ihrer Leidenschaft Gepeinigte zurück, auf den Burschen loszugehen und ihn vor allen Anwesenden mit Vorwürfen zu überschütten. Aber das ging nicht an! Die Schande wäre zu groß gewesen! Sie blieb darum äußerlich ruhig, wenn es in ihrem Herzen auch brannte und sie von allem, was ihr Tänzer sagte, kein Wort vernahm.

Noch sechs Reihen machte sie mit, das glückliche Paar beobachtend und immer mehr Gift in sich saugend. Dann aber – nicht nur wieder rot, sondern dunkelrot geworden –, sagte sie zu ihrem Tänzer: »Ich weiß nicht, was heut' mit mir ist! Mein Kopf tut mir weh, als ob er zerspringen wollt'! Lassen wir's für jetzt gut sein!«

Der Bursch, unter Worten ernsten Bedauerns, führte sie in die Stube zurück. Hier erklärte sie ihren Verwandten, ihr sei nicht gut und sie müsse heimgehen; sie sollten sich aber deswegen ja nicht inkommodieren, statt ihrer werde der Vater kommen! Der Vetter erwiderte, sie hätten hier durchaus nichts mehr zu tun und ohnehin weit nach Hause, also gingen sie jetzt mit dem Bäschen, wie sich von selber verstehe! – Nach wenigen Minuten brach man auf.

Der Haselbauer und seine Frau, deren Kirchweihgast eine andere Familie besuchen gegangen war, hatten sich an dem warmen Tag auf einen behauenen Eichstamm vor ihren Hof gesetzt, die Vorübergehenden betrachtend oder grüßend. Wie sie die Marev' mit ihren Gästen erblickten, standen sie auf und gingen ihnen entgegen, ihre Verwunderung ausdrückend über das frühe Heimgehen. Die Marev' wiederholte den angeblichen Grund. Der galante Haselbauer brach in Rufe des Mitleids aus, und die Bäuerin setzte hinzu: »Das wird meinem Hansjörg außerordentlich unlieb sein!« – »Nun, Frau Base,« entgegnete das Mädchen, nachdem sie die andern mit dem Bauer hatte weiter gehen lassen, höhnend, »in dem Punkt könnt Ihr euch trösten! Der hat schon seine Tänzerin!« – »Mein Hansjörg?« rief die Frau mit bestürzter Miene. Und als die Marev' nickte, fuhr sie fort: »Das ist nicht möglich! Wer sollt's denn sein?« – »Die schöne Tochter des Kreuzbauern,« antwortete die Tiefgekränkte. »Der Ludwig und er sitzen bei den Mädchen und ihrem Bruder im Anbau!« – Das Weib erblaßte. »Marev',« entgegnete sie, »das tut er nur dem Ludwig zulieb' aus alter Kameradschaft!« – Die Bauerntochter, auf diesen falschen Trost hin, lächelte verachtungsvoll. »Der tut niemand was zulieb', als sich selber,« erwiderte sie. »Sich selber und seinem Schatz! Ich hab' sie miteinander tanzen sehen – sie sind beinah' zusammengeschmolzen –, und nun weiß ich, was ich weiß!« – »Und ich sag', das ist nicht und kann nicht sein,« rief die Bäuerin mit der Stimme des Zorns. »Wenn er so handelte gegen uns, tät' ich ihm den Hals umdrehen!« – »Was Ihr tut, Frau Bas',« entgegnete jene, »das ist Eure Sache. Was ich tu', das weiß ich. Ich für meine Person bin fertig mit ihm!« Sie wendete sich zum Weggehen. »Marev', Marev',« rief das entsetzte Weib, »sei nicht unbedacht! Man läßt sich oft vom Schein täuschen. Besonders wenn man – –« Sie hielt inne, denn sie wurde nicht mehr gehört.

Der Haselbauer kam zu der Bäuerin zurück. Diese, in leidenschaftlicher Erregung, flüsternd, mit heiserem Ton, teilte ihm das Vernommene mit und verlangte von ihm sofortiges Einschreiten gegen den schändlich Ungehorsamen. »Stet – nur stet,« entgegnete der Alte. »Zuerst muß ich mit meinen eignen Augen sehen, was vorgeht; dann will ich überlegen, was am besten dagegen zu tun ist! Ich glaub's nicht, was du mir da sagst! Die Marev' ist eine empfindliche Person und bildet sich nur was ein! Hat uns nicht der Weilerschuster vorhin gesagt, der Hansjörg tanze mit ihr? Er soll wohl mit gar keiner andern mehr tanzen?« – »Du siehst immer alles von der guten Seite!« rief das Weib mit Hohn. – »Ich behalte meinen Verstand,« entgegnete der Bauer, »wo die Weiber den ihrigen verlieren! Wenn Schimpf und Schande zu vermeiden sind, so vermeid' ich sie!« – Er ging in seine Kammer, um die einfache Kappe, die er aufhatte, mit einer besseren zu vertauschen, und begab sich dann ins Wirtshaus, wo er zuerst in der unteren Stube Platz nahm.

Die Bäuerin sagte zu sich: »Ich will noch ein Paar Augen hinüberschicken, die mehr sehen werden!«

Sie ging in den Roßstall, wo ein heruntergekommener Verwandter, der bei ihr als Knecht diente, den Festtag noch zum Ausruhen benützte. »Dölle,« sagte sie, den Duselnden anstoßend und weckend, »Dölle, ich hab' ein Geschäft für dich!« – »Ja!« rief dieser, sich die Augen reibend. Sie erklärte ihm, dessen Verschwiegenheit sie erprobt hatte, den Handel, und der Dölle versetzte schmunzelnd: »Das wollen wir herauskriegen!« Die Bäuerin langte in ihre Seitentasche, und ihm ein »Käsperle« (Viertelskrontaler) in die Hand drückend, sagte sie: »Du sollst nicht Hunger und Durst leiden dabei! Mach dir einen vergnügten Tag!« Die Augen des alten Gesellen leuchteten und seine Lider zwinkerten verheißend. Er zog sich reputierlich an und schlenderte dann ins Wirtshaus mit den angenehmsten Empfindungen; nicht nur, weil er heute in Bier und Schnaps ein übriges tun konnte, sondern auch, weil sich in der reichen Familie ein böser Handel entspinnen wollte, der für den ehemals Begüterten, jetzt aber Armen, etwas sehr Wohltuendes hatte. Wenn er nicht davon reden und schwatzen durfte: er konnte seine Schadenfreude im stillen haben!

Die Lustbarkeit im oberen Stock des Wirtshauses ging ihren Gang. Georg hatte das zweite Mal mit Christine getanzt und dem Ludwig die Rebeck' überlassen. Das war aber auch alles, wozu er sich verstehen konnte! Ganz abgesehen davon, daß ihn die Leidenschaft immer wieder zur Geliebten zog: er wollte ja zeigen, öffentlich zeigen, was er im Sinne trug! Alle sollten es sehen! Wenn sein Vater hier war und wenn seine Mutter einen Aufpasser schickte: auch diese – ja gerade diese sollten es sehen! Denn es sollte und mußte dahin kommen, daß es biegen oder brechen mußte! – Er führte daher nur die Rebecka auf den Tanzboden und folgte hier wie in der Stube ganz dem glühenden Drange seines Herzens. Er legte alle Furcht und Rücksicht ab und war fröhlich und zärtlich gegen die Geliebte, als ob sie ganz allein wären; und Rebecka vergaß die Welt, wie er.

Eines nur fragte sich der Bursch mitten im Strome des Vergnügens: wo die Sophie bliebe! Er schüttelte den Kopf mit einer unlieben Empfindung und hatte schon darauf verzichtet, sie zu sehen, als sie, während er eben an der Seite der Geliebten saß, in den Anbau trat. Ihre Miene war ernst, beinahe traurig. Als aber der Freund ihr mit einem frohen Ausruf entgegenging und, sie an den Tisch führend, sagte: »Das ist der junge Kreuzbauer, und das sind seine Schwestern,« – da klärte sich das runde, zur Güte geschaffene Antlitz auf und sie ließ endlich die braunen Augen mit dem Glanze herzlichen Anteils auf der Blauäugigen ruhen. Georg sagte zu ihr, als sie am Tisch Platz genommen hatte: »Warum kommst du so spät? Alles ist vergnügt hier, die Kirchweih ist so lustig und so schön, wie ich mir keine denke, und wir zwei hätten unterdes auch unsre Sprünge machen können!« – Sophie erwiderte: »Mir ist's heute nicht zum Tanzen, und es ist schon viel, daß ich ins Wirtshaus komme. Ich bin zuerst beim Vetter Weidner eingekehrt und hab' da leider hören müssen, daß es mit seinem Sohn Gottfried schlechter und schlechter geht. Die Margret hat alle Hände voll zu tun – sie opfert sich für den Stiefbruder auf – unser Herrgott wird's ihr vergelten!« Und mit gedämpfter Stimme, daß nur Georg sie verstand, fügte sie hinzu: »Heut' ist's grad' kein Unglück für sie, daß sie nicht zum Tanz gekonnt hat!« Georg, ernst geworden, drückte sein Mitleid mit dem jungen Vetter aus. – Die Gesellschaft kam auf andere Dinge zu sprechen und unterhielt sich bald lebhaft. Sophie wußte die beiden Mädchen zutraulich zu machen und namentlich die Rebecka zum Reden zu bringen. Sie hatte für jedes ein freundliches Wort, und alle begriffen, warum der junge Haselbauer soviel auf sie hielt. Auf einmal stand sie auf. Georg tat Einsprache gegen das frühe Weggehen, aber sie schüttelte den Kopf und nahm Abschied. Zu dem Burschen, der sie vor die Türe geleitete, sagte sie: »Was ich von dieser Kirchweih haben wollte, das hab' ich gehabt. Freund Hansjörg, das ist wahrlich ein schönes Mädchen – sie hat meine Erwartungen übertroffen! Und sie ist auch gut, von Herzen gut – sie verdient glücklich zu sein. Damit gute Nacht!« Georg, in hoher Freude über diese Anerkennung, drückte der Teilnahmvollen die Hand und erwiderte: »Laß mich nur machen – sie wird's auch werden! Gute Nacht und hab Dank!«

Schon ehe die Sophie ins Wirtshaus gekommen war, hatten der Haselbauer und der von der Bäuerin abgesendete Spion, jeder für sich, die Überzeugung geschöpft, um welche es sich handelte. Der Vater hatte sich unter die Zuschauer auf der Treppe gemischt und seinen Sohn mit Rebecka tanzen sehen. Es war noch heller Tag, der Erfahrene beobachtete das Paar: er wußte genug! Schreck und Wut erfüllten sein Herz, er zitterte vor Aufregung. Aber er konnte sich beherrschen! Sachte ging er in die untere Stube zurück, setzte sich an seinem Tische nieder, unterhielt sich mit den Zechgenossen und täuschte fast auch diejenigen, die seinen schweren Verdruß ahnen konnten, sich aber wohl hüteten, den Unstern, der ihn treffen wollte, zu bereden. Nach einer halben Stunde ging er weg, »Zum Nachtessen,« wie er sagte. – Er faßte auf dem Heimweg den Entschluß, dem Buben unter keiner Bedingung nachzugeben und es aufs Äußerste ankommen zu lassen!

Der alte Dölle sah, was der Vater gesehen, und noch mehr, hatte aber dabei ganz andere Empfindungen. Er, mit seinem Käsperle in der Tasche, war zuerst in die obere Stube getreten, hatte sich eine Maß Bier und ein großes Glas Branntwein geben lassen und sich, nachdem er sein ganzes Wesen erfrischt hatte, auf den Tanzboden begeben. Wie Georg mit Rebecka kam, grüßte er ihn in aller Treuherzigkeit, mit jener freudig ergebenen Teilnahme des wahren Dienstboten. Auch er wußte nach wenig Blicken, was die Glocke geschlagen hatte; die erlangte Einsicht erfüllte ihn aber mit dem tiefsten Wohlgefühl. Er gewann die Rebecka förmlich lieb, weil sie ihm durch ihre holdseligen Manieren die Gewißheit gab, daß der Hansjörg nimmermehr von ihr lassen und daß es daheim einen mordmäßigen Sturm setzen werde. Seine Augen funkelten in Bosheit und Wonne! Er konnte sich nicht enthalten, während ihres Herumgehens zu den beiden zu treten und ihnen zu sagen: wie wunderschön sie's miteinander könnten, als ob sie's extra miteinander gelernt hätten! Und Georg, vergessend, wozu die Mutter ihn zu brauchen pflegte, freute sich des alten Halunken und des glitzernden Vergnügens in dem runzelvollen Ledergesicht!

Er und Rebecka waren gefeit durch die Allmacht ihres Gefühls und sie genossen darum alle Lust des Tages ohne Störung. Nachdem die Christine zum Heimfahren gemahnt hatte, ließen die beiden Liebhaber auftragen, was gut und teuer war; und da man sich Appetit hergetanzt hatte, so tafelte man nicht nur in Fröhlichkeit, sondern mit Verlangen und Genuß. Die sechs Musikanten, die wohl gesehen hatten, was ihrer hier wartete, spielten vor dem einzigen Tisch, der jetzt noch von Gästen umsessen war, das prächtigste ihrer Stücke. Die Burschen sangen, die Künstler (sie waren von Wallerstein!) bliesen und geigten nach, und Georg verwertete Arien, die man sonst auf dem Dorf nicht zu hören pflegte. Triumphierend trug er sie vor, mit seligem Stolz hing die Liebende an dem Erwählten. Als die Musici den zinnernen Teller vom Tisch nahmen, lagen drei Krontaler darin, denn auch Hans hatte dieses größte Silberstück hineingeworfen; – sie dankten zum Abschied mit vollkommenem Respekt. Georg aber nahm die Nachbarin bei der Hand und sagte: »Nun, Rebecka, bist du zufrieden mit unsrer Kirchweih?« – »O Georg,« erwiderte die Holde mit dem ihr eigenen innigen Ton, »ich hab' keine Ahnung gehabt, daß man so glücklich sein kann auf der Welt! An den Tag werd' ich denken!« Und beide schauten sich wieder an und durch die strahlenden Augen in die Seelen mit unversieglichem Liebesglück. – Es war ihnen zu gönnen.


VIII.

Georg, bei seiner lebhaften Natur, war empfänglicher – empfindlicher für Eindrücke als andere seinesgleichen; aber gegen die wachsende Gefahr erhob sich in ihm eine rascher wachsende Entschlossenheit, die ihn zum Kampfe befähigte, ja reizte. Und diese Schutzwaffe bewährte sich auch jetzt. Als er am andern Morgen nach dem entscheidenden Tag erwachte, fühlte er zuerst ein dumpfes Grauen und einen lastenden Druck auf seiner Seele; aber bald stand die Lage der Dinge klar vor ihm und rief mit Erfolg seinen Mut, seine Festigkeit an. Er stand vor einer Schlacht! Seine Aufgabe war, den Sturm zu bestehen und den Sieg zu erfechten!

In seiner Dachkammer kleidete er sich an und wollte trotzigen Mutes, auf alles gefaßt, ins Kanzley hinuntergehen. Als er jedoch in die obere Stube trat, durch welche der Weg führte, standen Vater und Mutter vor ihm.

Ihre Gesichter zeigten an, was ihn erwartete. Sie waren drohend böse! Ein tiefer Grimm sprach aus ihnen und der unerschütterliche Entschluß, den Rebellen zu bändigen.

Mit dem Ausdruck der Verachtung ging der Vater auf ihn zu und rief: »Nun sag mir, was ich mit dir anfangen soll?«

Georg hatte sich von seiner ersten Betroffenheit erholt. Er entgegnete: »Das mußt du besser wissen wie ich!«

Der Alte schnaubte zornig. »Gibt es einen unverschämteren Menschen auf der Welt, als du bist? Was hast du mir versprochen? Weißt du's noch?«

»Ich hab' euch ein Versprechen gegeben,« erwiderte der Sohn, »in einer Zeit, wo ich noch nicht gewußt hab', wie ich mit mir selber dran bin. Jetzt ist was anderes vorgefallen. Jetzt weiß ich, was ich zu tun hab'!«

»So?« rief der Alte mit Hohn. »Und was wär' denn das?«

»Ich hab' ein Mädchen kennen gelernt,« fuhr Georg fort, »die ich gern hab' – ich kann gar nicht sagen, wie! Sie ist das Kind angesehener, braver und wohlhabender Leute. Sie hat mich lieb, wie ich sie – wir haben es uns gesagt und geschworen – die und keine andere werd' ich heiraten!«

Die Mutter, die mit einem Gesicht dagestanden hatte, worin die sparsame Röte ganz einem gelblichen Braun gewichen war, konnte die Wut ihrer Seele nicht mehr bemeistern. »Wie?« rief sie, auf ihn losgehend, – »es ist also nicht ein bloßer frecher Streich von dir gewesen, daß du dich neben das Mädchen hingesetzt und sie karessiert und mit ihr bankettiert hast? Du willst Ernst machen mit ihr? Du willst sie mir als Söhnerin ins Haus bringen?«

»Das ist der Gedanke eines hirnverrückten Menschen!« rief der Vater. Und mit höchstem Ernst fügte er hinzu: »Du bist mit der Marev' versprochen!«

Georg fuhr auf. »Ich versprochen?«

»Ja, versprochen,« entgegnete der Alte. »Du hast mir versprochen, daß du mir folgen willst; ich hab' mich drauf verlassen und es mit dem Schwaner und der Marev' richtig gemacht.«

»Das kümmert mich nicht!« rief der Sohn. »Dazu hast du keine Vollmacht gehabt!«

Der Vater starrte ihn an. »Woher kommt dir denn aber auf einmal diese freche Sprache gegen mich? – Ich hab' dein Wort gehabt. Hier auf dieser Stelle hast du mir's gegeben.«

»Ich kann ein Wort nicht halten,« versetzte Georg, »das man mir abgenommen hat mit Gewalt und das ich nur gegeben hab', um loszukommen! – Ich kann die Marev' nicht heiraten – weil ich sie nicht lieb habe, – weil sie mir zuwider ist!«

»Schändlicher Mensch,« rief die Mutter. »Jetzt auf einmal?«

»Sie hat mir nie gefallen,« entgegnete der Sohn. – »Jetzt aber, wo ich die gesehen hab', die mir gefällt, jetzt bin ich ganz klar darüber! – Wenn sie auf mich etwas gehalten hat,« fuhr er nach kurzem Schweigen fort, »so tut's mir leid um sie. Es ist eine stolze Person – sie wird vielen Ärger haben. Aber deswegen, um ihr diesen Ärger zu ersparen, kann ich nicht eine heiraten, die ich nicht mag! – Der kleine Verdruß ist besser für sie als der große, den sie hätte, wenn ich gezwungenerweis ihr Mann würde! Sie kann einen bessern finden für sich, – sie hat die Wahl!«

»Dem jungen Meier,« entgegnete der Bauer mit grimmigem Vorwurf, »ist abgesagt worden um deinetwillen!«

»Es gibt noch genug andere,« versetzte Georg. »Und wenn der junge Meier hört, daß sie wieder zu haben ist, dann kommt er noch einmal: ich kenne diese Menschen! – Und kurz – denn gesagt muß es werden jetzt! – ich heirate keine andre als die Rebeck', die ich lieb hab', und von der ich nicht lassen werde, ihr mögt mit mir anfangen, was ihr wollt!«

Der Vater schaute ihn an – die bebende Lippe murmelte einen Fluch; und als ob er den Köcher der Zornreden schon geleert hätte, wendete er sich weg. Aber nun trat das Weib für ihn ein! Die Entrüstung ihrer Seele, das verletzte Selbstgefühl der Herrin des Hauses, die Berechtigung, die sie sich als Mutter zusprach – der unbedingte Wille, ihren Kopf durchzusetzen, gab den bedeutenden Zügen einen Glanz, daß der Sohn vor ihr erschrak. »Glaubst du,« rief sie, ihn am Arme fassend, mit Hohn, »daß du so leicht mit uns fertig wirst? Du bist unser Bub', du mußt uns gehorchen! Deine Frechheit werden wir dir austreiben! Die Marev' kriegt zehnmal soviel mit, als der Kreuzbauer seiner Tochter geben kann; aber davon will ich gar nicht reden! Diese Rebeck' hab' ich ein paarmal auf dem Markt in Nördlingen gesehen: das ist eine Docke, ein Mädchen von Marzipan! Mit einer solchen kann sich ein junger Bursch einmal einen Spaß machen; aber kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird sie heiraten! Die ganze Familie, wie man von allen Leuten hört, macht sich's bequem, gönnt sich gute Tage und kommt nicht vorwärts! Die Rebeck' lauft aber auf dem Hof nur so mit, sie ist zur harten Arbeit ganz unfähig, man läßt sie gehen aus Mitleid! Sie hat ja gar keine Gliedmaßen, wie sie eine Bäuerin haben muß! Das ist eine von den schönen Mädchen, deren Schönheit über Nacht vergeht und zusammenfällt wie ein Blümchen im Reif! Ich bin eine erfahrene Frau und ich kenne diese Gattung! Schäm dich, daß du dich so einfältig vergafft hast und dich verführen hast lassen von einer –«

»Mutter,« fiel Georg, dem die Zornader geschwollen war, heftig ein: »red' nicht so von ihr, ich leid's nicht!«

Die Bäuerin, nach momentaner Überraschung, blickte verachtungsvoll. »Ich red' vor meinem Buben was ich mag! Und der Bub' muß hören, was die Mutter sagt! – Du bist im Begriff eine Dummheit zu begehen, die dich reuen würde jede Minute deines Lebens. Aber ich bewahr' dich davor. Nie kommt mir diese Person ins Haus! Ich will eine Söhnerin, die mir gefällt, und vor der ich Respekt hab'! So ein Christkindle duld' ich nicht – keinen Tag könnt' ich sie vor mir herumlaufen sehen! Das einfältige Geschwätz von Lieben und Gernhaben hilft bei mir gar nichts! Ich weiß, wie den Mannsbildern, wenn sie verheiratet sind, dieses Gernhaben vergeht! Ist das Weib nicht eine solche, daß man vor ihr Achtung haben muß, weil sie alles kann und alles tut und das Haus regiert, dann macht sie den Mann unglücklich und der Mann macht sie unglücklich, und es gibt eine jämmerliche Wirtschaft!«

Der Sohn, gegen diesen Angriff sich wehrend, stand vor der Mutter mit heroischem Trotz. »Die Rebeck',« rief er, »ist schön und gut wie ein Engel! Wie viele ich auch gesehen hab', nie hab' ich eine gesehen, die so für mich paßt, wie sie! Was ich von meinem Weib verlang', das kann sie zum Überfluß, so gut wie jede andere! Die Marev' könnt' ich nicht zum Weib nehmen, wenn ich auch wollt: ich hab' einen Widerwillen vor ihr, der mit jedem Tag zunimmt! Die Rebeck' mag aber werden, wie sie will, sie wird mir immer die liebste sein an Leib' und Seel'! Bei meinem Weib kommt's auf meine Ansicht an; denn ich muß sie haben! Wenn ihr die nicht ins Haus nehmen wollt, die ich haben will, dann kriegt ihr gar keine Söhnerin herein und könnt mit euerm Bauernhof machen, was ihr wollt! Gebt ihn einem andern – ich dank' dafür; – ich werd' mich so fortbringen in der Welt!«

Der Vater, bei diesen Worten, riß die Augen weit auf und schüttelte über einen dermaßen Entarteten zornig den Kopf.

Die Leidenschaft Georgs war im Lauf. »Ihr könnt gegen das Mädchen und gegen die Familie nichts vorbringen, als Einbildungen und falsche Nachreden! Ich werf' mich nicht weg: der Kreuzbauer gehört zu den angesehensten Männern im Ries! Wenn ich euch seine Tochter ins Haus bringen will, weil ich sie liebe, dann solltet ihr euch freuen. Aber ihr wollt keine Liebe und ihr wollt nicht das Glück eures Sohnes! Ihr wollt nur Geld und immer wieder Geld! Euch treibt die Habsucht und die Hoffart – der Stolz, der Bauernstolz –«

Das war dem alten Bauer zu viel. Auf den Sohn zugehend und ihn am Arme packend, rief er: »Soll man so was anhören von seinem Buben? Wenn du noch ein Wort sagst, schlag' ich dich zusammen!«

Georg riß sich los und warf dem Alten einen Blick der tiefsten Entrüstung zu. »Vater,« entgegnete er, »das würd' ich dir nicht raten! Kein Mensch in der Welt rührt mich an, ohne daß ich ihn –!« Er ergänzte den Satz, indem er beide geballte Fäuste gegen ihn schüttelte!

Der Alte starrte ihn an! – Er war nicht der Mann, die wilderregte Leidenschaft des Sohnes zu bändigen! – Nach einem totenstillen Moment murmelte er für sich: »Wo kommt mir dieser Mensch her?« Seine Faust ballte sich auch, aber in einem Grimm, der nicht zur Tat gelangt.

Die Bäuerin sah von einem zum andern, Geringschätzung in ihren Zügen. Dann rief sie zu dem Sohn: »Wenn dein Vater dich nicht zwingen kann, dann bin ich noch da! Und wir haben Leute im Haus, die den hoffärtigen Gesellen zusammenbrechen, wenn ich's ihnen sag'. Ich bin imstand' und ruf' sie her!«

»Tu's nicht, Mutter!« entgegnete der Sohn mit allen Zeichen höchster Erregtheit. »Fallt ihr zusammen über mich her, dann gibt's Mord und Tod! Ich stoße nieder, wen ich kann!«

Er stand gegen das Weib, das gegen ihn stand – die Ähnlichkeit zwischen beiden trat auffallend hervor! Stirn und Augen und der Ausdruck rücksichtsloser Entschlossenheit in den Zügen – es waren dieselben!

Die Mutter faßte sich zuerst. »So weit sind wir noch nicht,« versetzte sie; »und es ist auch gar nicht nötig! Wir sind die Herren in unserm Haus – du bist nur, was wir dich sein lassen; und wenn wir dich nichts sein lassen, dann bist du nichts! Mein Sinn ist der: lieber nicht auf der Welt sein, als meinem Buben nachgeben! Und solang' ich leb', wird das nicht anders werden! Wenn deine Unverschämtheit auch deinen Vater mürb machen tät' nach und nach –«

»Das geschieht nie!« rief der Alte dazwischen.

»Mich tätst du nicht mürb machen, Bursch – das geb' ich dir schriftlich! Laß alle Hoffnung fahren. Die Tür ist zugeschlagen und sie bleibt zu. Diese Wachsfigur kommt mir nicht herein in den Haselbauernhof, solang' ich drin bin! Ich leid's nicht und ich tu's nicht – eher fällt der Himmel ein!«

Sie hatte sich aufgerichtet zu ihrer ganzen Größe – und im Gefühl ihrer Machtvollkommenheit schaute sie auf den Sohn, der trotzend schwieg, hernieder. Seine Miene in ihrem Sinne deutend fuhr sie fort: »Wenn du davonlaufen willst, in die Welt hinaus, lauf nur! Wir halten dich nicht auf! Lieber gar keinen Sohn haben als einen, der seine Eltern meistern will! Ohne Kinder kann man leben; aber mit einem Buben, der mir befehlen will, kann wenigstens ich nicht leben. Du brichst meinen Kopf nicht; und wenn du prahlst, du könntest dich fortbringen ohne unsern Hof – geh hin und versuch's! Ich glaub', du wirst wiederkommen!«

Während dieser Rede hatte auch der Sohn seine Herrschaft über sich selbst und seinen wahren Stolz wieder erlangt. Mit einer Entschiedenheit und einer Würde, die sogar auf die Mutter Eindruck machten, entgegnete er: »Du irrst dich in mir! Ich will nicht weglaufen! Ich bin euer Sohn und bleib' im Haus, wenn ihr mich nicht selber vertreibt – und ich tu' meine Arbeit, wie ich sie bis jetzt getan hab'. Eine Person zu heiraten, die ich nicht mag, dazu könnt ihr mich nicht zwingen. Ich kann euch nicht zwingen, die hereinzulassen, die ihr nicht wollt; aber wenn ihr mir die nicht laßt, die ich will, so nehm' ich gar keine! Das ist mein Recht, das kann ich tun, und das tu' ich!« – Zum Vater gewendet, fuhr er fort: »Du hast beim Schwaner den Knopf zugezogen, ohne mich drüber zu fragen – du kannst ihn jetzt wieder aufziehen. Geh hinüber und sag, wie die Sachen stehen, und mach wenigstens diesem genöteten Werk ein End'! Das übrige mag kommen, wie's kommt!« Und von einem zum andern sehend fügte er hinzu: »Damit, scheint's, wären wir fertig für heut'?«

Als er keine Antwort erhielt, verließ er die Stube.


IX.

Georg, als er allein war, hatte ein ordentliches Wohlgefühl. Er war nicht unterlegen! Er hatte einen großen Vorteil errungen: er hatte eine Last abgeworfen und war frei! Unwiderstehlich lebte in ihm die Hoffnung auf, daß er durch Ausdauer auch den letzten Zweck erreichen und die Geliebte in den Haselbauernhof als Braut einführen werde.

Mit seinem Verhalten während des Streites war er zufrieden. Er hatte sich mit Vater und Mutter gemessen und standgehalten, ohne daß die Wut mit ihm durchging! – Daß er nach seiner gerechten Selbstverteidigung sich wieder gefaßt und nicht ganz gebrochen hatte und nicht davongelaufen war, das gefiel ihm und er freute sich dieses Ausgangs.

In einer viel weniger günstigen Verfassung war der Vater. Ihn kam es außerordentlich hart an, dem Nachbar die kränkende Meldung zu tun und ihm und sich die letzte Hoffnung zu nehmen. Er besann sich den ganzen Tag lang und schlich erst abends in der Dämmerung zu ihm hinüber. Der Schwaner befand sich in seinem Hof und empfing ihn sehr gemessen. Als der Haselbauer über die Narrheit seines Sohnes zu lamentieren begann und über das Unglück, was er angerichtet habe, versetzte jener: »Das Unglück ist so gar groß nicht! Es wird jetzt halt nichts aus der Heirat!«

»So?« rief der Haselbauer. »Und das ist kein Unglück?«

»Für mich und meine Marev' nicht. – Dein Hansjörg mag heiraten, wen er will: meine Tochter bleibt nicht übrig!«

»Das glaub' ich auch!« entgegnete der Haselbauer mit einem Seufzer, aus dem eine tiefe Anerkennung herausklang. – »Aber so weit, Vetter Schwaner, sind wir noch nicht! Ich kann mir's wohl denken, daß die Marev' bös ist –«

»Bös!« wiederholte der Nachbar höhnend. – »Sie will gar nicht mehr reden hören von deinem Buben! – Geh nicht zu ihr, Vetter Haselbauer – ich rate dir's! Sie würde dich kurios heimschicken!«

»Und doch,« sagte der ländliche Diplomat nach einer Weile, »hat sich gar manches, was schon ganz auseinander gegangen war, zuweilen wieder eingerichtet. Mit der Zeit –«

»Ich zweifl' sehr daran,« entgegnete der Schwaner. Und mit allem Nachdruck eines gerechten Unmuts fügte er hinzu: »Man läßt sich nicht zweimal für'n Narren halten!«

Unser Bauer, mit einem Vorwurf in seiner Miene, rief: »Ich hab' euch nie für'n Narren gehalten, Vetter Schwaner, – und mein Sohn auch nicht! Er ist eben auf einmal verrückt geworden –«

»Einen Verrückten will meine Tochter nicht zum Mann haben!«

»Aber wenn ihm die Krankheit nun verginge? Wenn er seinen gesunden Verstand wieder erhielte?«

Der andere schaute ihn stolz an. »Sollen wir etwa darauf warten?«

»Das müßt' ich wünschen,« versetzte der Haselbauer, »kann's aber nicht verlangen.«

»Ich mein's auch!«

»Und doch, wer weiß? Die andre lassen wir ihm nicht! das ist ausgemacht, dem Burschen ist jede Hoffnung genommen!«

»Kasper,« versetzte der Nachbar, »ich will dir was sagen! Wenn dein Sohn meine Tochter wieder haben will, und sie ist bis dahin noch nicht verheiratet, und er kommt, und rutscht vor ihr auf den Knien, dann erbarmt sie's vielleicht und sie nimmt ihn doch noch!«

Dem Haselbauer entriß der Hohn dieser Antwort einen klagenden Seufzer. »Ich seh' schon,« erwiderte er, »hier ist nichts weiter zu machen! – Aber ich hoff', Gottfried, daß wir gute Nachbarn bleiben werden, nach wie vor!«

»Das ist eine andre Sach',« entgegnete der Schwaner mit Würde. »Da wirst du auch meiner Marev' nichts anmerken! – Kann ich dir vielleicht sonst mit was dienen?«

Der Haselbauer schüttelte den Kopf mit Ergebung und wünschte gute Nacht.

Als der Heimgekehrte seiner Frau Bericht erstattete, sagte diese: »Die Marev' gibt den Buben doch noch nicht auf! Sie hat zu viel auf ihn gehalten, das kommt nicht 'raus auf einmal! – Wir müssen nur standhaft bleiben!« –

Der erste Gang des jungen Menschen war zur Freundin. Er erzählte und schilderte ihr den ganzen Auftritt. Sophie erwiderte: »Ich hab dir's vorhergesagt, Hansjörg – weil ich deine Mutter kenn'! Das ist eine Metzler; von denen kann man alles verlangen, nur nicht, daß sie nachgeben! Sie bleiben auf ihrem Kopf, und wenn alles zugrunde geht!«

»Einen solchen Kopf,« entgegnete der Bursch, »hab' auch ich.«

»Dann behaltet ihr eben eure Köpf' alle zwei – und die Sache kommt zu keinem Schluß! – Die Rebeck' dauert mich! – Armes Mädchen!«

»Sie ist nicht arm,« rief Georg mit Selbstgefühl. »Sie hat mich

»Aber nicht zum Mann!«

»Aber zum Bräutigam! – Wer will mir wehren, zu ihr zu gehen? Ich kann sie nicht zu meinen Leuten ins Haus bringen; aber ich kann sie in ihrem Haus besuchen und mit ihren Leuten reden! – Vorderhand wird's für uns genug sein.«

Sophie schaute den Freund an – und ihr trostfrohes Herz gewann wieder die Oberhand. »So hoff' halt, guter Vetter! Wer weiß? Für die Verliebten tut unser Herrgott manchmal ein Wunder, und was man für ganz unmöglich gehalten hat, geschieht endlich doch!«

Als die Tochter diese Worte gesprochen, kam in das Nebenstübchen, wo die Unterredung stattfand, die Mutter. Den Burschen erblickend, hob sie den Zeigefinger und rief: »Ei, Hansjörg, was hab' ich von dir hören müssen!«

Der Bursch erwiderte: »Frau Base, meine Zeit ist halt auch gekommen!«

Die Hofschreinerin, immer noch ein lebensfrohes Weib und in Sachen des Herzens höheren Anschauungen zugeneigt, hatte sich, nachdem sie durch die Tochter eingeweiht war, gleich auf die Seite des Liebespaares geschlagen; sie machte auch jetzt aus ihrer Gesinnung kein Hehl. »Sie soll ja so gar schön sein?« rief sie mit anteilvoller Neugierde.

Georg lächelte. »Mir kommt sie so vor!«

»Und die Tochter eines ästimierten Mannes ist sie auch! – Dein Vater muß nachgeben diesmal!«

»Wenn Ihr mit ihm reden wolltet, Frau Base,« versetzte der Bursch nach einigem Zögern. »Man sagt ja –«

Die Frau lachte. »Nun ja, ich bin einmal sein Kirchweihmädle gewesen, und er hält noch immer was auf mich. Aber um so weniger gelt ich bei der Haselbäuerin – und die hat bei euch das Heft in der Hand! – Nun, wenn ich was tun kann dabei, hier hast du meine Hand, verliebt's Bürschle – ich halte dir die Stange!« –

An einem der nächsten Tage mußte ein Ackergerät angeschafft werden, das Georg am besten zu wählen verstand. Er ging zu seinem Vater, mit dem er seit jenem Morgen nur das Nötigste, aber dieses mit Ruhe gesprochen, und erklärte ihm das Bedürfnis, indem er hinzufügte: »Gib mir das Geld, ich will nach Nördlingen gehen und will's kaufen.« – Der Alte betrachtete ihn prüfend und stand einen Moment zweifelnd. Dann sagte er: »Meinetwegen,« und zahlte ihm das Geld aus.

Georg begab sich in die Stadt und machte seinen Einkauf. Auf dem Heimweg kehrte er beim Kreuzbauern ein.

Als er (es war um die Vesperzeit) in die Stube trat, fand er die Eltern allein. Sie dankten dem Gruß höflich und gingen ihm entgegen; aber in ihren Zügen konnten sich die Gefühle wahrhaft gekränkter Herzen nicht verbergen. Georg sagte sich augenblicklich: sie wissen, was bei uns vorgegangen ist!

In der Tat wußten sie es; – aber nicht von ungefähr! Die Haselbäuerin, welche sich die Empfindlichkeit der wackeren Leute zur Bundesgenossin machen wollte, hatte durch ihr Werkzeug dafür gesorgt, daß eine passende Erzählung von ihrem Handel mit dem Sohn sobald als möglich an sie gelangte. Sie sollten erfahren, wie wenig sie beim Haselbauern geachtet waren, und aus verletztem Stolz dem Burschen das Haus verbieten! – Aber Georg parierte den Stoß.

»Vetter,« sagte er, »ich seh', Ihr habt schon gehört –«

»Was mir nicht lieb ist,« versetzte der Bauer mit würdevoller Betrübnis. »Wir haben angenommen, Hansjörg, daß du die Absicht hast, unsre Rebeck' zu heiraten, und deswegen haben wir die Kinder auf eure Kirchweih gelassen. Von dem Plan mit des Schwaners Marev' haben wir zwar auch etwas gewußt; aber wir haben ihn lang' nicht für so ernsthaft gehalten! Jetzt erfahren wir, daß deine Leute auf diese Heirat ganz versessen – und daß wir mit unserm Kind bei ihnen verachtet sind! Ich muß nun schon sagen, Hansjörg, – wenn ich auch gegen dich selber nichts habe –«

»Laßt mich reden!« entgegnete der Bursch. »Vor allem sag' ich Euch: ich heirat' keine andre, unter keiner Bedingung, als Eure Tochter Rebeck'!«

»Wenn aber deine Leute nicht mögen?« rief die Bäuerin.

»Dann warten wir, bis sie mögen! – Ihr müßt's meinen Eltern nicht so gar sehr verdenken, daß sie nicht gleich von einem Plan abspringen, den sie jahrelang im Kopf herumgetragen haben. Was sie euch, in ihrem Verdruß über mich, zu wenig Ehr' antun, das tu' ich euch mehr an! Mir ist nicht nur eure Rebeck' die liebste zum Weib – mir seid auch ihr die liebsten und wertesten zu Schwiegereltern von allen, die ich kenne!«

Diese aus dem Herzen kommende Beteuerung verfehlte doch nicht, auf das wackere Paar eine besänftigende Wirkung zu üben. Ein Schein von Befriedigung ging über die beiden Gesichter. Nach kurzem Schweigen sagte der Vater: »Das mag sein, Vetter Hansjörg; aber das macht die Sache nicht anders. Wenn deine Eltern gegen die Heirat mit meiner Tochter sind, dann ist's meine Schuldigkeit –«

»Mir Euer Haus zu verbieten?«

»Dir in Güte zu sagen, daß du selber nicht mehr zu uns kommen mögest!«

»Das ist gar nicht Eure Schuldigkeit!« rief Georg mit allem Nachdruck der Überzeugung. »Wenn ich mich weggeworfen hätt' an ein Mädchen, die nicht meinesgleichen ist, – wenn ich im Unrecht wär' gegen meine Eltern, ja, dann müßt' ich fortbleiben! Aber so ist's nicht! Ich hab' nur im Sinn, was mir und meinen Leuten und Euch zur Ehr' ist; – und man soll sich nicht irre machen lassen auf einem Weg, den man für den rechten halten muß. Was unter den jetzigen Umständen unvernünftig wär', das tu' ich schon selber nicht. Zum Tanz können wir nicht mehr miteinander gehen, dazu ist die Sach' jetzt zu ernsthaft. Und ich will auch nicht allzuoft herkommen zu Euch und nicht auffallend. Aber Euer Haus ganz meiden? Nein, das könnt Ihr nicht verlangen von mir, und das kann ich Euch auch nicht versprechen!«

Als er dies mit bewegtem Ton dem Alten zugerufen hatte, kamen die beiden Schwestern in die Stube.

Georg, in der Erregung seines Herzens, ging auf sie zu, schüttelte ihnen die Hände und erklärte ihnen das Verhältnis in kurzen Worten.

Christine wendete sich hierauf zu den Eltern und sagte: »Ich glaub', daß ihr dem Vetter sein Verlangen nicht abschlagen könnt. Man soll nicht gar zu gut sein und nicht gar zuviel auf andre Leute sehen – sie sehen auch auf uns nicht! Der Hansjörg hat seinen Verstand; er wird nicht tun, was uns und ihn ins Geschrei brächte. – Denkt doch auch an euer Kind hier!« fügte sie, auf die Schwester deutend, hinzu.

Diese, neben Georg stehend, bot ein auffälliges Bild. Aus ihren Zügen sprach ein Ernst, wie man ihn noch nicht darin wahrgenommen hatte; und es schien, als wäre sie plötzlich nicht nur in ihrem Innern gewachsen, sondern auch äußerlich größer geworden.

Durch die Erzählung von dem Streite Georgs mit seinen Eltern – durch die Ausdrücke, welche diese gegen sie gebraucht haben sollten, war eben sie am tiefsten verletzt worden. Sie wollte an Georg schreiben und ihm sein Wort zurückgeben. Aber die Liebe kämpfte mit dem Stolz und fand immer bessere und stärkere Gründe gegen diesen. Endlich siegte die Güte ihres Herzens – und ihr Entschluß, als sie in die Stube trat, war gefaßt.

Der Liebende hatte sie wieder bei der Hand genommen und rief: »Rebeck', red auch du! – Willst du meine Geliebte bleiben, trotz allem, was vorgefallen ist? Willst du warten, warten mit mir, bis du meine Frau werden kannst?«

»Ja, Georg,« erwiderte sie, »das will ich!«

»Und willst du mir dein ganzes Vertrauen schenken? Glaubst du, daß ich dir treu bleib' unter allen Umständen und daß ich keine andere zum Weib nehm', als dich?«

»Ja,« rief sie mit glänzenden Augen, »das glaub' ich.«

Georg schüttelte ihr die Hand. »Und willst du,« fügte er mit einem zugleich hoffenden und bittenden Ausdruck hinzu, »meinem Vater und meiner Mutter es nicht gar so übel nehmen, daß sie dich mir noch nicht lassen wollen, weil sie eben bis jetzt eine andre gehabt haben für mich? Willst du nicht unversöhnlich sein? Willst du's ihnen nicht nachtragen?«

»O gar nicht!« erwiderte das Mädchen. »Zuerst hab' ich's ihnen freilich sehr übelgenommen, das will ich dir gestehen! Es hat mir in der tiefsten Seele weh getan, und ich bin ihnen gradezu bös geworden! Aber dann hab' ich drüber nachgedacht, und da hab' ich eine andere Meinung bekommen! Sie kennen mich halt noch nicht! Wenn sie mich kennten, wie ich bin, dann würden sie mich nicht geringschätzen.«

»Nein!« rief der Bursch mit allem Feuer bewundernder Liebe. »Wenn sie dich kennten, nur ein bißchen kennten, dann würden sie dir nachlaufen und dich bitten, daß du zu ihnen kommen möchtest.«

Rebecka lächelte zärtlich. »Weil's aber nicht so ist,« fuhr sie fort, »so müssen wir eben ihren Zorn und ihren bösen Willen aushalten. Und das muß ich tun, wie du's tust. Du hast einen großen Streit gehabt mit ihnen, und ich kann mir denken, was du alles von ihnen hast anhören müssen. Du hast alles ertragen um meinetwillen und bist wieder hergekommen zu mir: was wär' ich für ein miserables Mädchen, wenn ich nicht auch etwas ertragen wollte für dich!«

»O,« rief Georg mit strahlenden Augen. »Das ist eine Red'! – Jetzt ist's mir lieb, daß meine Leute nicht nachgegeben haben, und ich dank's ihnen!«

Rebecka, durch alle diese Beweise der Liebe und Treue im Innersten beglückt, schaute wieder mild und sanft wie sonst. »Mir ist's,« fuhr sie fort, »als ob diese Feindschaft nur eine Zeitlang dauern sollt', und als ob sie nichts ausrichten könnt' gegen uns. Wir haben uns lieb und wir lassen uns nicht; ich bin deinesgleichen und meine Familie steht im Ansehen, wie die deine – was können deine Leute, wenn sie gerecht sein wollen, gegen mich haben? Auf die Länge wird's ihnen nicht möglich sein, in ihrem Zorn auszuhalten. Und weil wir besser dran sind als sie, und weil sie wirklich nichts gegen uns machen können, drum wollen wir Geduld haben mit ihnen und uns alles gefallen lassen und ihnen nie mehr bös werden, sie mögen tun, was sie wollen. Daß wir voneinander lassen, das können wir ihnen nicht zuliebe tun; sonst wollen wir ihnen aber alles zuliebe tun und alles Gute zudenken, was wir können. Und wenn sie's jetzt nicht haben wollen von uns – warten wir, bis sie's annehmen, und gern annehmen!«

»Ja,« rief Georg ergriffen, »so wollen wir's halten!« Und Christine, mit Tränen in den Augen, sagte: »Ich hab' eben doch eine brave Schwester!« Sie streichelte ihr die glühende Wange und setzte hinzu: »Glaub nur, Rebeck', dir wird's noch gut gehen, und ihr werdet euch beide noch kriegen, weil ihr's verdient!«

Man ging auf die Eltern zu, die gerührt auf die Kinder schauten. Der Vater schüttelte mit nassen Augen dem Burschen die dargebotene Hand und sagte: »In Gottes Namen!«


X.

Wochen – Monate gingen hin; – die schönen Hoffnungen, welche die Liebenden in ihrer erhöhten Stimmung gefaßt hatten, wollten sich nicht erfüllen!

Georg, in dem unumgänglichen Verkehr mit den Seinen, erlangte mehr und mehr wieder den früheren Gleichmut, und mit dem Vater bildete sich ein leidliches Verhältnis. Aber die Mutter behielt das kurze Wort, den bitteren Ton und den verdrossenen Blick der Gekränkten unverändert. Sie war leidenschaftlich eingenommen für die junge Bäuerin, die ihr glich, mit der sie sich im Gespräch immer aufs beste verstand, und die sie sich zur Nachfolgerin erwählt hatte, glücklich darüber, daß sie dem Sohne geneigt war! Und sie grollte nun der andern schon als der Feindin ihres lange gehegten Wunsches, abgesehen davon, daß die zarte Gestalt dem Mannweib Geringschätzung einflößte und ihre Schönheit ein gewisses Ärgernis. So blieb sie fest. Der Sohn mochte sich benehmen, wie er wollte, er erhielt keinen guten Blick und kein freundliches Wort von ihr.

Die Nachbarstochter, wie es schien, empfing keinen anderweitigen Antrag, oder sie hörte wenigstens nicht darauf. Sie ging ihren Weg mit ruhig stolzer Miene, grüßte die Base, wenn sie ihr zufällig begegnete, mit Würde und einem gewissen Ausdruck von Wehmut, ließ sich aber in kein Gespräch mit ihr ein. Als acht Wochen verflossen waren, ohne daß man von einem neuen Heiratsplan erfuhr, sagte die Haselbäuerin zu ihrem Mann: »Siehst du, daß ich recht prophezeit hab'? Die Marev' besinnt sich und wartet; sie hofft immer noch auf unsern Buben!«

Der Gatte stand nachdenklich. »Aber der Bursch,« versetzte er, »gibt ihr noch allweil kein Recht dazu!«

»Es wird kommen,« rief die Frau, »wenn er sich überzeugt, daß eher unser Haus einfällt, als daß wir unsern Sinn ändern! Wir müssen ihn nur immer behandeln, wie er's verdient! Er darf kein gutes Wort mehr hören von uns! Wir müssen immer aussehen, daß er in seinem Herzen denken muß: da ist keine Hoffnung!«

Der Gatte schwieg. Er schien beizustimmen. –

Wenn sich der fortgesetzte feindselige Unmut den Eltern durch seine Zweckmäßigkeit empfahl, so kamen sie bald in die Lage, ihn keineswegs heucheln zu müssen. Georg, seit jenem Tag der Verständigung, hatte die Geliebte vorsichtig und selten besucht. Aber endlich wurde er doch bemerkt, und es kam den Seinen zu Ohren, welche Wege er ging.

Die Mutter, wenn sie sich auch hätte denken sollen, daß es geschah, war über die bekannt gewordene Tatsache doch außer sich. Gleich nach der Meldung lief sie auf den Sohn zu und rief: »Du hörst also nicht auf, uns ungehorsam zu sein, und gehst immer noch zu dem Mädchen da drüben, obwohl wir dir gesagt haben, wir lassen sie dir nicht?«

Georg, nach kurzem Schweigen, erwiderte: »Hab' ich dir versprochen, daß ich wegbleiben will?«

Die Frau maß ihn mit erzürnten Blicken. »Es ist gewissenlos von dir, einem Mädchen nachzulaufen, die du nie zum Weib kriegen wirst – und es ist schlecht von den Leuten dort, daß sie deine Besuche dulden! – Ich hätt' ihnen mehr Ehrgefühl zugetraut!«

»Darüber,« entgegnete der Sohn mit bitterem Verziehen des Mundes, »denken wir verschieden und werden's immer tun! – Ich seh' wohl, daß du von deinem Sinn nicht lassen willst; aber ich geh' noch viel weniger von meinem ab!«

»Das wird dich nichts helfen,« entgegnete das Weib. »Aus diesem frechen Trotz wird dir nichts Guts entstehen – das sag' ich dir, deine Mutter!« Sie kehrte ihm den Rücken zu und ging hinweg.

Es kam eine schlimme Zeit für unseren Burschen! Das Zusammenleben im Hause wurde aufs neue verbittert, um nicht zu sagen, vergiftet. Auch der Vater glaubte gegen den Sohn wieder schroffer und verletzender werden zu müssen, nachdem die Mutter ihm das Benehmen desselben als geradezu bösartig geschildert hatte; und sie selber tat, was ihre Absicht heischte, mit der Kraft unversieglichen Grolles.

In diesen Tagen traf mit dem Haselbauer, der in Wallerstein Geschäfte hatte, auf der Straße, unweit ihres Hauses, die Hofschreinerin zusammen. Sie stellte ihn und wollte die Gelegenheit benützen, ihrem jungen Günstling das Wort zu reden. Es war auch in der Tat schön und durchaus verständig, was sie von dem Glück der Liebe, von der geringeren Bedeutung des Heiratsgutes und von der Pflicht reicher Leute sprach, den einzigen Sohn nach seiner Neigung heiraten zu lassen. Aber sie hatte ihre Zeit schlecht gewählt! Der Haselbauer, nach sehr befremdetem Zuhören, entgegnete verdrießlich: diese Sache gehe ihn allein an; – er könne sich hier nichts dreinreden lassen von gutmütigen Weibern, die gerne kuppelten und immer die Partie der Verliebten nähmen, man wisse das! – Die Frau, die wegen der ehemaligen Beziehungen zwischen ihnen eine freundlichere Antwort erwartet hatte, sah ihn verhofft an und sagte: »Du bist ja grob geworden, Haselbauer? Sieh, sieh – was doch ein guter Umgang macht! – Was ich dir geraten hab',« fuhr sie mit Ernst fort, »das hat mir die Vernunft geraten, nicht das Vergnügen am Kuppeln, das du wo anders suchen mußt, als bei mir! Du kennst deinen eigenen Sohn nicht, sag' ich dir; aber lang' steht's nimmer an, so wirst du ihn kennen lernen!« – Der Bauer erwiderte hierauf: »Behüte dich Gott, Hofschreinerin,« wendete sich und ging weiter. Die Frau schaute ihm nach. »Den Mannsbildern,« sagte sie, »bleibt doch gar nichts übrig von ihrer früheren Höflichkeit! Wie hat mir dieser Mensch flattieren können! Und jetzt benimmt er sich nicht viel anders als ein Flegel! – Nun so hab du, was du haben willst!« –

Der Winter ging hin. Im Hause des Haselbauern war's nicht anders geworden. Beim Kreuzbauern aber hatte sich nach und nach eine gedrückte, traurige Stimmung festgesetzt.

Georg, dem die Seinen auf eine günstige Beilegung des Streites jede Aussicht entzogen, konnte die Geliebte nicht mehr wie früher mit Worten der Zuversicht ermutigen. Er war ein zu ehrliches Herz; – gute Miene zu machen zum schlechten Spiel, war nicht seine Stärke. Und wenn er nun zu ihr und ihrer Familie kam, suchte er mehr Trost, als er ihn brachte. Er, der sich ganz in seinem Recht fühlte, war entrüstet über das Ausharren der Seinen im Unrecht; er entlastete sein Herz über die Feindseligkeiten, die man ihm zu beweisen fortfuhr, gegen die wackeren Leute, und bedachte nicht, welche Wirkung das auf sie, – und namentlich auf Eine hervorbringen mußte.

Rebecka war eine gute, höher gestimmte, wir dürfen sagen, edle Seele. Aber ihr fehlte die kräftig frische Natur und der gleiche Humor, der ihre Schwester Christine zum echten Bauernkind machte. Sie konnte den Vorsätzen, die ihr ganz aus dem Herzen gekommen waren, nicht nachleben, weil sie der schützenden Hilfe eines robusten Sinnes entbehrte. Die Zartheit ihres Leibes und ihrer Seele wurde in der peinlichen Spannung der Verhältnisse zur Empfindlichkeit, sie nahm alles schwerer auf, als sie selbst es billigen konnte; wenn sie aber dagegen kämpfte, bewirkte sie nicht eine Erhebung darüber, sondern – Ergebung! – Sie fand sich in die Stimmung, die ihr Herz beschlich; sie gab ihr nach und befreundete sich mit ihr!

Und als der Frühling kam, kränkelte sie. War es die Beengtheit ihrer Lage, die Ungewißheit der Zukunft, und das Herzeleid darüber, welche ihren Körper geschwächt hatten? Oder war es ein Leiden des Körpers, welches der Seele den Stand der Dinge so niederschlagend hatte erscheinen lassen? Wie dem sei – sie verlor ihre Farbe und ihre bisherige Fülle. Ihr Aussehen flößte dem Liebenden und den Ihren Mitleid und ernstliche Befürchtungen ein.

Man ließ einen Arzt kommen. Dieser verschrieb einen Trank aus vielen Ingredienzien, der sehr übel zu nehmen war, aber doch keine sonderliche Besserung herbeiführte.

Die Seele Georgs war von einer neuen Last gedrückt! Er sah die Geliebte hinwelken! Und wenn sie auch immer lieblich blieb, ja für sein fühlendes Auge neue Reize erhielt durch die stille – die holde Geduld, womit sie das Leiden trug: ihn durchschauerte doch der Gedanke, daß er sie verlieren könnte! Und wenn er sich nun vorstellte, wie seine Eltern dieses Unglück durch ihre Hartherzigkeit herbeiführten, dann erhob sich in ihm ein Ingrimm, der sich in wilden Klagen entlud. Der Sohn verdammte die Habsucht und den Hochmut, die ihm und ihr das Lebensglück untergruben – und er hielt sich zu allem berechtigt, was ihm diese Feinde aus dem Felde zu schlagen versprach.

Wenn er von der Geliebten nach Hause kam, forschte er in den Gesichtern der Seinen, ob sich in den Herzen nichts geändert hätte, was ihm Gelegenheit bot, einen neuen Angriff zu unternehmen. Aber sie waren und blieben abschreckend. Wie lieb wäre es ihm gewesen, wenn die Mutter ihn wegen seiner fortgesetzten Besuche beim Kreuzbauern wieder hätte zur Rede setzen wollen! Allein, sie – als ob sie in dieser Beziehung anders hätte denken lernen! – kam nicht mehr darauf zu sprechen und verharrte nur in ihrem lieblosen Benehmen gegen ihn.

In dem Hause zu Wallerstein, wo er so oft Ermutigung geholt hatte, fand er jetzt keine mehr. Die Hofschreinerin hatte ihm erklärt, sie könne nichts ausrichten bei seinem Vater, der gegen sie grob geworden sei zum Verwundern! Und Sophie war aus dem Tone des Trostes, der ihr so wohl angestanden hatte, mehr und mehr in einen Ton des Bedauerns, ja der melancholischen Ergebung gefallen. Sie und die Mutter gingen in Trauer um den nahverwandten Gottfried Weidner, der seinen Leiden erlegen war. Den jüngeren Stiefbruder der Margret schien die gleiche Krankheit befallen zu haben, und der Anteil an dem betrübenden Schicksal der ihr so werten Familie lastete auf der Seele der bisher Frohmütigen, daß sie selber der Erhebung bedurfte und ihr Bräutigam oftmals genötigt war, ihr Trost einzureden.

Georg war ganz auf sich gewiesen! Was sollte er aber in seiner Lage beginnen? Wie konnte er sich und die Geliebte aus einem Zustand befreien, der nachgerade unerträglich zu werden anfing? – Das waren die Fragen, die sich ihm vor die Seele stellten.

Ein halbes Jahr hatte er die peinliche Ungewißheit ausgehalten – seine Geduld war erschöpft. Diese war überhaupt nicht seine Stärke. Eine Zeitlang allerdings konnte er sie haben; aber dann riß ihm der Faden mit einem Mal! Seine Seele neigte mehr zu kräftigen Entschließungen. Nach einer solchen schaute er sich jetzt um – und er kam auf einen seltsamen Gedanken.

In den letzten Jahren hatte er sich eine neue Fertigkeit zu eigen gemacht: er hatte, die Büchse und die Flinte handhaben lernen! Das Spiel zog ihn an, er übte sich fleißig – und endlich figurierte er unter den guten Schützen der Umgegend. Wenn er nun ins Schwarze der Scheibe traf oder mit jungen Wallersteiner Jägern, die er kannte, einen Hasen oder einen Fuchs erlegte, da hatte er ein mächtiges Wohlgefühl, und sein Gedanke war: ich hätte wohl ebensogut oder besser einen Förster abgeben können, als einen Bauern! In der Not seines Herzens nahm seine Phantasie eine andere Richtung. Ein gefährlicheres, unter Umständen aber lohnenderes Ziel stellte sich ihm vor die Seele; und nach einem längeren Besinnen bei einsamer Arbeit rief er sich aufrichtend: »Ja, das ist's – und das tu' ich! Sie sollen ihren Bauernhof behalten – ich brauch' ihn nicht mehr – ich werde Soldat!«

Der Entschluß, im Drang der Umstände und im leidenschaftlichen Unmut gefaßt, hielt bei nachträglicher Überlegung stand. Unser Bursche dachte nicht gering von sich, er hatte Mut und Selbstvertrauen; das »Entweder, oder« gefiel ihm, und er glaubte mehr an das Emporkommen im Krieg als an den Untergang; sein Geist erzeugte schmeichelhafte Bilder, die ihn ergötzten und lockten! Auf der andern Seite war der beabsichtigte Schritt ganz geeignet, seine Eltern zu erschrecken und ihnen den unerschütterlichen Ernst seiner Seele zu beweisen. Nichts konnte sie erweichen, nichts erschüttern! Aber wenn der einzige Sohn fortging und Leib und Leben in die Schanze schlug, so machte das vielleicht doch eine Wirkung! »Lauf nur weg« hatte die Mutter gesagt: »Du wirst wieder kommen!« Sie sollte sehen, daß er nicht wieder kam, wenn er einmal fort war; – sie sollten in Bangen und Sorge leben, wie sie es verdienten! Die Selbstbeherrschung, womit er im Hause geblieben war, – die Gutmütigkeit, womit er ihnen in allem gehorchte, außer in einem, – der Fleiß, womit er ihnen alle Arbeit tat – das hatte nichts geholfen bei ihnen! So mußte denn ein Gewaltstreich helfen! Das Leben, wie es in der letzten Zeit gewesen war, konnte er nicht fortführen! Es mußte etwas geschehen; – und das war das einzige, was er konnte und was ihm eine Änderung verhieß!

Für die Geliebte war es das einzige, was sie retten konnte! Sie schwand hin; blieben die Verhältnisse hoffnungslos, wie sie waren, so drohte sie ins Grab zu sinken. Die Erschütterung durch ein Wagnis von seiner Seite, das er nur um ihretwillen unternahm, würde aber ihren Geist erheben, ihr neue Kraft zum Widerstand, neuen Lebensmut einflößen. – Er wollte ihr nicht ausdrücklich mitteilen, was er im Sinne trug. Nur vorbereiten wollte er sie und gefaßt machen auf einen Schritt, von welchem er das Beste erwartete für sich und für sie – und von dem sie Nachricht erhalten sollte, wenn er geschehen war.

Im Lauf einer Woche kam der bedrängte, nach einem Ausweg spähende, herzhafte Bursche durch Nachdenken von seinem Vorsatz nicht ab, sondern er vertiefte sich in ihn und ward ganz von ihm in Besitz genommen. Alles, was dagegen sprach, sah er nicht und wollte er nicht sehen.

An einem schönen Abend im Ausgang des April traf er die Geliebte im Garten ihres Vaters allein. Nach den ersten Reden des Wiedersehens erhob sie die Augen gegen ihn und sah ihn mit einem fragenden Blick an, der von einem wehmütigen Lächeln begleitet war. Georg, ihn deutend, sagte: »Sie bleiben die gleichen, alle beide! Ja, ich muß es ehrlich sagen, wie's ist: sie geben mir weniger Hoffnung, daß sie ihren Sinn ändern werden, als früher. Sie sind ordentlich eingewöhnt in ihr Benehmen gegen mich, und sie tun, als ob's gar nicht anders sein könnte! Ich hätte geglaubt, daß wenigstens mein Vater billiger denken und sein Unrecht erkennen würde; aber er ist nicht besser als meine Mutter, und wird ihr immer ähnlicher!«

Das Mädchen schwieg. Dann sagte sie mit Ergebung: »Mir ist's manchmal, als ob ich früh sterben und mein Leben lassen sollte in meiner Jugend! – Nun,« fuhr sie mit aller Bitterkeit fort, deren ihre Seele fähig war, »dann würde ich deinen Leuten doch eine Freude machen, – das erstemal!«

»Oh!« rief der Bursche erschreckt. »Um Gottes willen – was red'st du da? Nein, Rebeck', du wirst nicht sterben! Es gibt ein andres Mittel, uns zu helfen und den Sinn dieser harten Leute zu brechen! – Hör mich an, ich hab' dir was zu sagen! – Willst du auf mich bauen? Willst du an mich glauben unerschütterlich, auch wenn du hörst, daß ich etwas getan hab', was du zuerst vielleicht selber nicht begreifst? Willst du Vertrauen zu mir haben – unbedingtes Vertrauen?«

Einen Augenblick schaute sie ihn an, dann erwiderte sie: »Ja, Georg. Wenn ich an allen Menschen zweifeln müßte, an dir zweifl' ich nicht!«

»Aber ich kann dir noch nicht sagen,« fuhr der Bursch fort, »was ich tun will!«

»Dann will ich's auch noch nicht wissen!«

Auf dieses herzliche Wort der Geliebten traten dem Jüngling die Tränen in die Augen. »O du bist gut!« rief er, indem er sie an sein Herz drückte. »Du bist das Weib, das unser Herrgott geschaffen hat für mich! Wie grausam versündigen sich meine Eltern an dir! Aber sie sollen's erkennen! Sie sollen's noch einsehen, und es soll ihnen dann wie Feuer auf die Seele brennen!« – Nach kurzem Innehalten fuhr er fort: »Ich bin noch nicht vierundzwanzig Jahr alt und du noch nicht achtzehn. Wir haben uns kennen gelernt und halten in treuer Liebe zusammen – das ist und bleibt die Hauptsache! Und weil das ist, so haben wir nicht nötig, daß wir jetzt gleich heiraten. Wir können warten, wenn's sein muß und wenn unser Glück davon abhängt – ein, zwei, drei Jahre!«

»O,« versetzte Rebecka, »recht gut! Und wir können dann noch lang' genug glücklich sein miteinander, wenn unser Herrgott uns das Leben gibt!«

»Willst du warten?« rief Georg mit zärtlichem Lächeln. »Und könntest du, wenn's zu unserm Glück nötig wär', am Ende auch noch ein paar Jahre länger warten?«

»Aber, was willst du –«

Auf einen erinnernden Blick des Geliebten schlug das Mädchen mit einer Ergebung die Augen nieder, die nicht ganz ohne Humor war, und schwieg.

Georg nahm sie bei der Hand. »Rebecka,« sagte er, »alles, was ich tue, geschieht um deinetwillen! Ich unternehm' etwas, das uns aus dieser Klemme losmachen soll, in der wir nicht vorwärts und nicht rückwärts können. Sobald es geschehen ist, tu' ich dir's zu wissen. Wenn ich Glück hab', hab' ich's nur für dich, – und ich mein' eben, ich müßt' es haben!«

»Nun in Gottes Namen, so such's halt! Ich warte, bis du's gefunden hast! Ich warte gern! Von mir aus kannst du alles tun, was du für gut hältst!« –

Als Georg von der Familie Abschied nahm, begleitete ihn Rebecka in den Hof. Es war Nacht geworden. Der Liebende nahm sie in seine Arme und hing mit ihr zusammen in einem langen Kusse.

Am andern Morgen war er aus seinem Hause verschwunden. Die Eltern erwarteten ihn zum Frühstück – er kam nicht. Sie schauten sich um und suchten ihn im Haus und im Hof – er war nicht zu finden. Böses ahnend liefen sie umher und fragten und hatten ihrer Angst kein Hehl – niemand hatte ihn gesehen. Endlich entdeckte man auf einem Tischchen in seiner Kammer einen Brief mit der Aufschrift: »An meine Eltern.« Derselbe lautete: »Ihr laßt mir diejenige, die ich liebe, nicht zum Weib; – Ihr seid unbeugsam und werdet nur immer grausamer gegen mich! Lang' hab' ich's ertragen, solang' ich konnte – jetzt kann ich's nicht mehr! Gebt Euern Hof einem andern, der Euch lieber ist als Euer Sohn; – ich verlass' Euch und werde Soldat. Entweder mach' ich mein Glück und bin dann mein eigener Herr, oder ich finde den Tod im Krieg! Ich fürcht' ihn nicht; er ist mir lieber als das Leben, das ich im letzten Jahr bei Euch geführt habe.«


XI.

Die Wirkung dieses Briefes auf den Haselbauer und seine Frau war eine furchtbare. Beide machten die Erfahrung, wieviel leichter es ist, in der Leidenschaft auszurufen: »Lauf, wohin du willst,« als die Flucht des einzigen Sohnes und Kindes wirklich zu ertragen. Nach Lesung der letzten Zeilen standen sie, als ob ihnen die Seele aus dem Leibe genommen wäre. Aus den erblaßten, starren Gesichtern sprach die Verzweiflung.

Sie liebten ja den Sohn; – sie waren stolz auf ihn, die Mutter noch mehr als der Vater! Beide hatten die feste Überzeugung gehabt, ein besseres Weib als die Marev' könne er für sich nicht finden; und ihre hartnäckige Forderung, daß er zu dieser zurückkehren solle, stammte ebensowohl aus der Sorge für sein Lebensglück wie aus dem Bewußtsein ihres elterlichen Herrenrechts. Und nun machte der junge Mensch Ernst! Er ging in den Krieg, – er konnte den Tod finden, und sie hatten dann kein Kind mehr! All ihr Arbeiten und Sorgen, all ihr Mühen und all ihr Glück war für nichts gewesen! – In der Pein dieser Vorstellung kam beiden der Gedanke, daß beim Heiraten doch wohl auch auf die Neigung derer etwas ankomme, die sich heiraten sollen, und – daß sie gegen den Sohn vielleicht zu hart gewesen!

Was war zu tun? Wie konnten sie das Unglück, das ihnen drohte, von sich abwenden? – Man mußte dem Flüchtling Leute nachschicken! – Aber wen? Und wohin? – Konnte er, wenn man ihn fand, nicht schon angeworben und es dann gar nicht mehr möglich sein, ihn wieder freizumachen? Konnte man ihn zwingen, wieder heimzukommen, wenn er nicht wollte?

Sie waren ratlos, alle beide, sie, die so entschlossen gewesen! An ihrer Unfähigkeit, sich zu entscheiden, war aber doch auch der trotz allem fortbestehende Widerspruch schuld, sich für besiegt zu erklären und den Ungehorsamen seinen Willen haben zu lassen!

Mit großer Schnelligkeit wurde das Ereignis erst im Dorf und dann in der Umgegend bekannt und machte außerordentliches Aufsehen. Der alte und der junge Haselbauer waren im Ries historische Personen; und daß der einzige Sohn reicher Leute davonläuft, um in den Krieg zu gehen, das hörte man grad' auch nicht alle Tage! Man ergriff Partei und disputierte, in manchen Häusern leidenschaftlich. Wenn die Jungen dem Georg, die Alten den Eltern recht gaben, so waren unter den gestandenen Leuten doch manche, welche die letzteren tadelten, daß sie immer höher hinaus wollten und gar nicht genug kriegen könnten! Sie fanden es ganz natürlich, daß dem jungen Bursch die sauberste unter den Bauerntöchtern am besten gefalle, und erklärten, daß der Haselbauer niemals einen vernünftigen Grund gehabt habe, sich gegen diese Heirat zu sperren.

Die Eltern waren auch am andern Morgen noch zu keinem Entschluß gelangt. Sie hatten Erkundigungen einziehen lassen und erfahren, daß der Sohn von einem Hausierer auf dem Weg nach Harburg gesehen worden sei. Den Schritt, der ihn band und seine Loslösung mit jedem Tag schwieriger machte, konnte er nun schon getan haben! Aber sie zauderten, das einzig Mögliche ins Werk zu richten – in einer dumpfen Hoffnung, es falle ihnen vielleicht doch noch etwas Klügeres und Besseres ein.

Während sie, um die Mitte des Vormittags, brütend – bangend und zagend im Kanzley saßen, klopfte es an die Türe der Stube, und auf ihren Zuruf erschien – die Hofschreinerin.

Die stattliche Frau grüßte die Verwandten mit Würde und erklärte, sie sei gekommen, weil die Sorge um ihre werten Freunde ihr keine Ruhe lasse. Sie habe gehört, der junge Vetter sei aus ihrem Haus verschwunden und wolle unter die Soldaten gehen. Ob das wahr sei? Und was sie getan hätten, um die Gefahr abzuwenden, daß ihnen der einzige Sohn totgeschossen werden könnte?

Nochmal rührte sich der Trotz im Herzen des Vaters. Während die Bäuerin auf die in gewisser Beziehung höher gestiegene Jugendfreundin, die sich jetzt in ihre häuslichen Angelegenheiten mischen wollte, einen Blick eifersüchtigen Befremdens heftete, versetzte er: »Was können wir tun? Er ist fortgelaufen, der undankbare Mensch – und wir lassen ihn laufen!«

»Das könntet ihr auch,« entgegnete die Hofschreinerin, – »wenn er unrecht hätte! Wenn er fortgelaufen wär' aus frechem Übermut, weil ihn eben der Teufel geplagt hätte, dann könnt' er gehen und es wäre nichts an ihm verloren. Aber er ist fortgelaufen, weil er das Leben bei euch nicht mehr hat aushalten können! Nehmt mir's nicht übel, aber es muß jetzt heraus aus mir, was mir schon solang' das Herz drückt!« Und mit allem Ernst einer berufenen Richterin fuhr sie fort: »Ist das eine Art, wie ihr euch benehmt? Traktiert man so seinen einzigen Sohn? Ihr wollt ihm eine Person aufnötigen, die er nicht mag – die er nicht leiden kann! Und mit der soll er leben und vergnügt und glücklich sein – weil sie euch gefällt! Ist darin auch nur ein Funke von Vernunft? Glaubt mir nur: was bei dem gewöhnlichen Bauernbursch angeht, das geht bei euerm Hansjörg nicht an! Der folgt seinem Kopf, weil er einen Kopf hat und weiß, was er will! Er hat sich ein Mädchen aus einer Familie ausgesucht, die zu den vornehmsten gehört bei uns herum; ein Mädchen – ich selber hab' sie noch nicht gesehen, aber meine Sophie, die sich auf so was versteht, ist ganz vernarrt in sie! Nicht nur soll's die schönste sein von allen Bauerntöchtern, die sie bis jetzt gesehen hat, sondern ein so treuherziges und liebes Ding, daß man ihr gut sein muß auf den ersten Blick. Euer Sohn verlangt durchaus nichts Unbilliges! Denn auf die lumpigen paar tausend Gulden, die ihr weniger ins Haus kriegt, kommt's bei euch nicht an; wenn ihr's nicht wißt, spürt ihr's nicht! Und deswegen müßt ihr jetzt »Hufen« (rückwärts gehen) – es geht nicht anders; ihr müßt den Hansjörg heimholen lassen und ihr müßt ihm seinen Schatz zum Weib geben! Denn sonst kommt er nicht; und wenn er gekommen wär', blieb' er nicht!«

Dieser energische, grad' auf den Zweck losgehende Angriff konnte die stolzen Herzen zunächst freilich nicht beugen, mußte sie vielmehr in ihrer Sprödigkeit befestigen. Die Haselbäuerin hatte bei dem Lob Rebeckas tiefen Widerwillen blicken lassen, und der Alte schüttelte zu der Mahnung, womit die Base schloß, heftig den Kopf. »Diesem unkindlichen Menschen,« rief er, »der sich aus seinen Eltern und aus ihrem Kummer gar nichts macht, nachlaufen! Ihm alles tun, was er verlangt, während er für uns gar nichts tut und uns durch sein Davongehen in eine Schande gebracht hat, daß wir uns schämen müssen vor der ganzen Umgegend!«

»Aber was hat ihn denn fortgetrieben?« rief die Hofschreinerin dagegen. »Die Verzweiflung hat ihn fortgetrieben! Ihr habt ihn fortgetrieben! Ihr habt euch die Schande angetan, die ihr jetzt beklagt, und ihr, wenn euer Sohn den Tod findet, ihr seid an seinem Tode schuld! Und dieser Ausgang, wenn der Hansjörg Soldat wird, ist von allem das Wahrscheinlichste! Der Bonaparte sorgt allweil für Krieg; und wenn der arme Gesell nicht in der ersten Schlacht bleibt, dann bleibt er in einer andern; drankommen wird er sicherlich einmal! Er selber bildet sich vielleicht ein, er steige auf und werde was Rechts, denn eine kleine Meinung hat er nicht von sich. Aber das geht nicht so hitzig, wie sich's ein junger Bursch vorstellt, und da würde er bald sehen, wie schlimm er sich verrechnet hätt'! – Wie geht man im Krieg,« fuhr sie mit wahrem Kummer fort, »mit den Menschen um! Welche schrecklichen Sachen können ihm da begegnen! Man traut sich gar nicht davon zu reden!«

Hier konnte der Vater nicht umhin, einen unartikulierten Laut hören zu lassen, der wie ein Seufzer aus tiefer Seele klang. Die Mutter schaute mit starren Augen ins Weite, als ob sie den Sohn auf einem Schlachtfeld niedergestreckt und seinen Leiden erliegen sähe.

Die Hofschreinerin, die Wirkung ihrer Rede bemerkend, fuhr fort: »Ihr müßt eine Einsicht haben, liebe Leute; und wenn der junge Mensch aus Desperation toll geworden ist, so müßt ihr eben gescheit sein. Seid ihr nicht berühmt als kluge und verständige Menschen? Ihr müßt dieser Sach' ein End' machen, daß die Schande, die euch so unlieb ist, aufhört und daß ihr Lob habt von euren Freunden und von allen, die's hören!«

»Aber wie denn?« rief der Bauer. »Was sollen wir denn tun?«

»Die Geschichte,« versetzte die Wallersteinerin, »ist nicht so schlimm, wie sie aussieht. Euer Hansjörg ist ohne Zweifel nach Dillingen gelaufen, wo die Bayern konskribiert werden. Dahin müßt ihr ihm Leute nachschicken, und das die rechten! Hat nicht die Bas' einen Bruder in Nördlingen, der früher beim Markgrafen in Ansbach Soldat gewesen ist und in solchen Affären sich auskennt? Nehmt noch einen andern gewitzten Mann dazu und gebt ihnen Geld mit – viel Geld! Denn mit Geld macht man alles eben! Hauptsächlich aber laßt eurem Sohn sagen: wenn er wiederkomme, dürfe er seine Rebeck' heiraten! Da wird sein Soldateneifer mit einemmal aufhören; er wird heimeilen zu euch, alles wird gut werden, und er wird euch auf den Händen tragen.«

Das Gesicht des Vaters hatte sich bei diesen Worten unwillkürlich aufgehellt; aber sein Mund entgegnete: »Das glaub' ich, wenn wir ihn Herr und Meister sein lassen!«

»Umsonst ist der Tod,« versetzte die Base; »umsonst kann man auch von einem Kind nichts verlangen. Daß der Hansjörg seine Rebeck' zur Haselbäuerin machen darf, wenn er wiederkommt, das versteht sich von selbst, davon reden wir gar nicht mehr! Spreizt euch doch nicht gegen die vernünftigste Heirat, die seit langer Zeit zustandegekommen ist! Laßt von euren alten Bauerngedanken auch etwas nach und nehmt ein wenig Rücksicht auf den Zeitgeist! Es geht nicht bloß auf die Manier, wie ihr meint, es geht auch auf eine andre. Gelt, als ich damals den jungen Schreiner geheiratet hab', da ist allgemein getan worden, als wär's ganz aus der Weis und wir müßten verderben! Und jetzt bin ich Hofschreinerin, hab' ein schönes Haus und so viel Ansehen wie die vornehmste Bäuerin! – Kurz, macht ein End'! Sagt ja und holt euch euer Kind wieder!«

Der Haselbauer stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ach, der Bub'! der Bub'!« rief er. »Wer hätte das gedacht!«

»Ihr gebt also nach?« rief die Hofschreinerin. »Ihr laßt ihn heimholen?«

»In 's Teufels Namen!« entgegnete der Alte, indem er sich abwandte.

»Das heißt, in Gottes Namen,« versetzte die Wallersteinerin gelassen. »Unser Herrgott weiß schon, wie du's meinst. – Und die Bas' Haselbäuerin, was meint die?«

»Ich tu',« versetzte diese gemessen, »was mein Mann tut!«

»Sieh, sieh,« rief die Hofschreinerin. »Das ist eine Red'!« Und mit wahrem Beifall ihre Hand ergreifend, fügte sie hinzu: »Wie hab' ich aber dir auch was andres zutrauen können, als das Verständigste?«

Die Gelobte machte ein eigenes Gesicht. Sie hatte ihre Zustimmung mit dem Gedanken gegeben: »wenn wir ihn wieder haben, dann ist immer noch alles möglich!« Begreiflicherweise ließ sie aber davon nichts merken, und die Beschützerin des Liebespaares konnte alles für gewonnen halten. Sie setzte sich jetzt erst und nahm eine Aufwartung an. Sie rühmte dieselbe, dankte den lieben Freunden wiederholt und nahm endlich den herzlichsten und – klügsten Abschied, indem sie das Triumphgefühl ihrer Seele gänzlich niederhielt und nur tiefe Anerkennung des ausgezeichnet schönen Benehmens auf ihre Miene kommen ließ.


XII.

Georg, mit den wenigen Gulden, die er zufällig in der Tasche hatte, war in der Tat nach Dillingen gelaufen. Er kam spät an, nahm in einer billigen Herberge Nachtquartier und schlief nach dem scharfen Marsch tief und lange. Am andern Morgen, nachdem er sich vorher die Stadt besehen hatte, ging er aufs Landgericht und verlangte, als Freiwilliger in die Armee einzutreten. Auf die Frage, warum er in seinem Alter (das er angegeben hatte) noch nicht Soldat sei, und warum er es jetzt werden wolle, versetzte er: als einziges Kind seiner Eltern habe man ihn nicht ausgehoben; aber er fühle eine unüberwindliche Neigung zum Soldatenstande, und seine Eltern wären noch rüstig, daß sie ihrem Bauerngut recht wohl ohne ihn vorstehen könnten. Der Beamte schüttelte den Kopf, ging aber auf sein Verlangen ein. Das bayrische Heer stand damals im Feld und die Wachen in der Stadt wurden von Bürgern versehen; ihnen sah sich Georg zugewiesen. Man gab ihm Essen und Trinken, behandelte ihn freundlich und unterließ, ihn mit Fragen zu belästigen, wie er eigentlich dazu komme, Soldat zu werden. Das war ganz nach seinen Wünschen, und er konnte sich nicht beklagen. Allein etwas besonders Anregendes oder gar Begeisterndes hatte dieser Anfang seiner militärischen Laufbahn in keiner Weise. Die Bürger, mit denen er zusammenkam, waren nichts weniger als geeignet, ihn in seinem Vorhaben zu ermutigen. Es fand sich keiner unter ihnen, der etwa gesucht hätte, durch merkwürdige Beispiele ihm klar zu machen, wie hoch man jetzt im Krieg hinaufzukommen vermöge, wenn man Courage, Geschick und Glück habe. Im Gegenteil, sie unterhielten sich von Stadt- und Hausgeschichten, die dem Burschen gar kein Interesse boten und auf die er bald nicht mehr hörte. Nach und nach stellte sich nun bei ihm eine geistige Ermüdung und Langeweile ein, und der Gedanke, daß er sich in seinem Plane verrechnet, in seinen Erwartungen getäuscht haben könnte, begann langsam und langsam in ihm sich zu erheben.

Wie gut war es, daß er gleich nach dem Bescheid auf dem Landgericht in seiner Herberge den Brief an Rebecka geschrieben hatte! In der frohen Erregung nach dem ersten gelungenen Schritt hingeworfen, war diese Zuschrift voller Mut und Trost; – an die Hoffnungen, die er aussprach für sich und die Geliebte, glaubte der Schreiber noch mit ganzer Seele! »Man hat mich gezwungen, Soldat zu werden,« hieß es darin, »aber ich hab' dazu eine ganz besondere Liebe, ich weiß, daß ich geschickt dazu bin, und ich fühle die größte Zuversicht, daß ich es bald zu etwas bringen werde. Mir ist, als ob mich keine Kugel treffen könnte und als ob ich die Gedanken, die ich im Kopf habe, ausführen müßte einen nach dem andern. Hab also gar keine Sorg' um mich und warte, bis ich wiederkomme, wie Du mir's versprochen hast. Ich will Dir so oft Nachricht geben, als mir etwas passiert, und ich hoff', daß ich Dir gute Dinge melden kann. O, meine liebste Rebecka – daß ich Dich nicht mehr vor mir sehe, das tut mir freilich weh! Aber was ich tu', geschieht ja nur zu unserm Besten, und darum müssen wir uns beide drein fügen. Schöner wär's freilich, wenn wir uns jetzt schon haben und auf meinem Hof miteinander leben könnten. Weil aber andre Leut' uns daran hindern und wir ganz außer Schuld sind, so glaub' ich fest daran, daß wir später zusammenkommen und daß dann die Ehre und die Freude nur um so größer sein werde.«

Am zweiten Tag hätte er diesen Brief nicht mehr so schreiben können. Da er für jetzt nicht einexerziert werden konnte und im Grunde nur herumlungerte, so wurde der an Tätigkeit gewöhnte junge Mensch von einer unwiderstehlichen Verdrossenheit befallen. Er begann die Dinge zu sehen, wie sie waren – oder vielmehr schlimmer, als sie waren. Ihm, welchem zuerst alle Aussichten gegeben waren, schienen auf einmal alle genommen zu sein!

Am dritten Tag saß er in der öden Wachtstube und starrte auf den Boden. Die Ungewißheit seines Loses, das Unnütze seines Tuns drückte ihn tiefer darnieder: er fühlte, daß ihn dieses Leben, wenn es länger dauerte, zur Verzweiflung brächte. Welch ein Glück wäre es gewesen, wenn ihn ein Korporal sogleich tüchtig unter die Fuchtel genommen hätte! Wenn er etwas gelernt hätte, um ins Feld abgeschickt zu werden und mitmachen zu können! Vom Fleck mußte etwas gehen bei ihm, geschehen mußte etwas, wenn ihn die Ungeduld nicht übermannen und verzehren sollte! Alles konnte er aushalten, nur nicht faules Stillsitzen und Hinbrüten!

Sein Herz klopfte in bangen Schlägen. Eine Art Gebet erstand in seiner Seele, daß er aus dieser armseligen Lage befreit und in den Stand gesetzt werden möchte, sein Schicksal herauszufordern, indem er sein Leben in die Schanze schlug. Er faßte den Entschluß, aufs Landgericht zu gehen, und die Verwendung, um derentwillen er hierher gekommen, mit allem Ernst zu begehren.

Da hörte er draußen auf der Straße seinen Namen nennen und darnach die Antwort eines der wachthabenden Bürger: »Ja, der ist hier.« Er fuhr von seinem Sitz auf. Es war möglich, daß sein Wunsch erhört wurde und daß er eine Anweisung erhielt, die ihn auf den Weg führte, wo es vorwärts ging!

Die Täuschung sollte nicht lange währen. Mit dem Bürger traten zwei Männer in die Wachtstube, deren Anblick ihn in große Bestürzung versetzte. Es war seiner Mutter Bruder, Michael Metzler aus Nördlingen, und ein anderer Vetter aus seinem Dorf, genannt der Gallenbauer.

Der erstere, mit sichtlichem Vergnügen, aber auch mit einem gewissen Spott in seiner Miene, rief: »Da ist er ja, der Ausreißer! – Nun, Hansjörg,« fuhr er fort, »du kannst dir wohl denken, warum wir hier sind! – Darf ich,« sagte er zu dem Bürger, »mit ihm allein reden?« – »Alles, was ihr wollt,« entgegnete dieser, und ging hinaus.

Georg hatte sich unterdessen gesammelt, und da er wohl sah, was ihm bevorstand, so faßte er schnell seinen Entschluß.

»Hansjörg,« begann der Vetter aus der Stadt, »wir sind hergekommen, um dich wieder zu deinen Eltern heimzubringen.«

»Das geht nicht mehr,« antwortete Georg. »Ich bin Soldat.«

»Ich acht',« entgegnete jener, »wir können dich wieder freimachen.«

»Aber ich will nicht frei werden!« rief der Bursch. »Ich will bleiben, was ich bin – und ich hoff', daß ich bald ins Feld rücken kann.«

»Nun, nun,« entgegnete der alte Soldat mit behaglichem Spottlächeln, »sei nur nicht gar so hitzig!« Und der Gallenbauer, mit würdevoll ernsthafter Miene, fügte hinzu: »Deine Eltern wollen, daß du mit uns wieder heimgehst – und der Sohn muß seinen Eltern folgen!«

»Meine Eltern,« erwiderte der Bursch, »haben sich nicht so gegen mich benommen, daß ich ihnen zulieb' von meinem Plan abgeh'! Macht euch keine unnütze Mühe, ich geh' nicht mit!«

Der Nördlinger Bürger trat nun an ihn heran und sagte: »Würdest du auch nicht gehen, Vetter, wenn deine Eltern dich des Kreuzbauern Rebeck' heiraten ließen?«

Georg wurde rot über und über und sein Herz begann so mächtig zu schlagen, daß es ihm die Rede hemmte. Nach einer Weile zur Ruhe sich zwingend, sagte er: »Habt Ihr einen Auftrag, mir das zu versprechen?«

»So gradezu nicht,« antwortete Vetter Michael. »Aber ich hab' aus den Reden deines Vaters abnehmen können, daß sie nicht mehr so ganz gegen diese Heirat sind, wie früher.«

»Wenn es nicht mehr ist,« entgegnete der Bursch, »wenn Ihr mir nicht das ausdrückliche Versprechen bringt, daß ich hier freie Hand hab', dann geh' ich nicht mit Euch! Unter keiner Bedingung!«

»Ei,« rief jener, »du bist ein scharfer Gesell! Nun, so will ich dir in Gottes Namen alles sagen. Dein Vater, wie ich ihn gefragt hab' in dieser Sache, hat mir geantwortet: er soll heimkommen und heiraten, wen er mag!«

Diese Nachricht entriß dem Burschen einen freudigen Ausruf. Aber gleich fügte er hinzu: »Und meine Mutter, wie ist die gesinnt? Ich weiß, was auf sie ankommt!«

»Ich glaub',« versetzte der Nördlinger Vetter nicht ohne Unmut in seinem Blick, »du hast genug an dem, was dein Vater gesagt hat!«

»Siehst du denn nicht,« fiel der Gallenbauer ein, »daß du am besten zu deinem Ziel kommst, wenn du wieder mit uns heimgehst? Handle, wie man's von einem gehorsamen Sohn erwarten kann – dann wirst du auch die guten Folgen davon haben!«

»Der Vetter Gallenbauer hat recht,« versetzte Michael Metzler. »Was hilft's denn, wenn deine Eltern dir auch alles versprechen? Mach sie wieder gut – mach ihnen wieder Freude – und benütze die Zeit, wenn sie dir gut sind! Dein Vorteil ist's, daß sie dir nicht nur deinen Willen tun, sondern daß sie's gerne tun!«

Georg schwieg. Sein Verstand und sein Herz mußte den erfahrenen Männern recht geben; – er war erschüttert! Die Aussicht, daß seine Eltern dem freiwillig Heimkehrenden die Geliebte zur Frau lassen könnten, überwältigte ihn! Ja, er mußte ihnen etwas zuliebe tun, damit sie auch für ihn etwas tun könnten, – und er wollte es! »Nun,« versetzte er endlich, »so geht aufs Landgericht und versucht euer Glück! Wenn sie mich dort wieder loslassen, dann geh' ich mit euch nach Hause.«

Die Männer lobten ihn erfreut und entfernten sich. Eine Stunde wartete der Zurückgebliebene in mächtiger Aufregung – und in einem wunderlichen Durcheinander von Gefühlen. Entgegengesetzte Vorstellungen bekämpften sich in ihm; aber der Gedanke, daß er in kurzem der Mann Rebeckas werden konnte, siegte über alle Bedenken und Einwendungen. Er harrte auf seine Befreiung – er sehnte sich darnach.

Und sie ward ihm! Mit seinen Vettern trat der königliche Landrichter in die Wachtstube und erklärte ihm: er sei frei und könne mit seinen Verwandten nach Hause gehen.

Der alte Soldat Metzler, mit den damals üblichen Werbungen bekannt, hatte sich die Befreiung des Gesellen schwieriger vorgestellt, als er sie in der Tat befand. Welche Mittel der Überredung er gebrauchte, hat er Georg nie sagen wollen. Auf die Frage desselben während der Heimfahrt erwiderte er nur: er habe es glücklicherweise mit einem guten und verständigen Herrn zu tun gehabt.

Auf der Heimfahrt wurde sonst wenig gesprochen. Dem Burschen, als der Wagen dahinrollte, kamen die Erlebnisse der letzten Tage wie ein Traum vor, und er mußte sich ordentlich besinnen, um an ihre Wirklichkeit zu glauben. Seine Aufgabe den Eltern gegenüber stand nichtsdestoweniger klar vor ihm! Er wollte sich die Zusage, die man ihm gemacht hatte, von ihnen selbst wiederholen lassen und zwar sobald als möglich. Erlangte er ihre Einwilligung zu der Heirat mit Rebecka und machte er diese zur Haselbäuerin, dann war alles, was er getan hatte, gerechtfertigt – und er triumphierte!

In Nördlingen stieg Vetter Michael aus und wünschte dem Heimkehrenden gutes Glück, indem er ihm noch einige Ermahnungen mit auf den Weg gab. Es war dunkle Nacht geworden. Unerkannt fuhren der Gallenbauer und Georg durch das Dorf Rebeckas. »Wenn sie's wüßte!« rief's in der Seele des Burschen. »Aber sie soll's morgen erfahren, durch mich erfahren – und dann soll alle Not ein Ende haben!«

Eine Viertelstunde darauf rollte der Wagen in den väterlichen Hof. Die Eltern kamen aus dem Hause, die Bäuerin mit einer brennenden Ampel. Sie begrüßte den Gallenbauer, und der Vater sagte: »Ich dank' dir, Vetter, und will dir diesen Freundschaftsdienst nie vergessen!«

Alle begaben sich in die Stube. Da zwischen den Eltern und dem Sohn immer noch kein Wort gewechselt wurde, so fühlte sich der »Freund« berufen, das Stillschweigen zu brechen. »Ich muß es doch sagen, wie's ist,« begann er, »der junge Vetter hat sich nicht lang' gesträubt, mit uns wieder heimzufahren; und aus allem kann ich sehen, er wird sich jetzt benehmen, wie es einem Sohn gegen seine Eltern zukommt.«

»Das soll mich freuen,« erwiderte die Haselbäuerin, »aber ich muß es erst sehen! – Sind das Geschichten! Ist das eine Schande für die Familie! Ich möchte doch wissen, wodurch wir's verdient hätten, daß wir mit unserm einzigen Kind so unglücklich sind!«

»Nun, nun, Frau Bas',« erwiderte der Gallenbauer, »das Unglück ist so groß nicht mehr! Jetzt kommt's nur darauf an, daß ihr euch untereinander vertragt, und ich glaub', das könnt ihr.«

»Jetzt,« nahm endlich Georg das Wort, »ist weiter nichts nötig, als daß man mir das Versprechen hält, das man mir hat geben lassen.«

»Ich hab' nichts versprochen,« rief die Mutter.

»Aber der Vater hat etwas versprochen,« entgegnete der Sohn, »und ich zähle darauf, daß er's halten wird.«

»Ich,« versetzte der Haselbauer, »werde tun, was man von mir mit Rechtem verlangen kann. Für heut' wollen wir aber die Sache ruhen lassen: das hat alles noch Zeit genug!«

»Ich kann warten,« versetzte der Bursch. »Aber das eine muß ich euch heut' noch sagen: macht eure Rechnung nicht ohne meinen Entschluß, daß ich nur nach meiner Neigung heirate – denn sonst wird sie falsch! Seid in dem einen Punkt gute Eltern, dann werd' ich gegen euch in allen Punkten ein guter Sohn sein! – Meine Lagerstatt,« fuhr er fort, »ist ohne Zweifel hergerichtet, und Appetit hab' ich nicht mehr! Ich sag' also dem Vetter Gallenbauer meinen besten Dank – und allen gute Nacht!«

»Liebe Leute,« versetzte der Gallenbauer, als Georg sich entfernt hatte, »um die Geschichte kommt ihr nicht herum! Befreundet euch mit dieser Heirat – anders kann der Handel nicht ausgehen!«


XIII.

Es war Zeit, daß Georg wieder nach Hause kam – nicht um seiner Eltern willen, wie sehr sie durch seine Flucht in Angst versetzt waren und litten, sondern um Rebeckas willen!

Indem der junge Mensch auf eine phantastische Neigung hin und von seinen Eltern zu einem entscheidenden Schritte gedrängt, sein Glück im Heeresdienst versuchen wollte, hatte er nicht bedacht, welchen Eindruck die Nachricht auf die Seele eines Landmädchens hervorbringen mußte. Rebecka konnte ihm die Zusage geben, daß sie ihm vertrauen und auf das Gelingen seines Planes warten wollte; aber dies geschah nur unter der Voraussetzung, daß sein Plan sich auf ein friedliches Unternehmen bezog, wodurch er zu Gelde und gegenüber seinen Eltern zu Ansehen kam. Was er just unternahm, das brauchte sie nicht zu wissen: in dieser Beziehung vertraute sie seinem Verstand und seiner Geschicklichkeit; daß er aber die Absicht haben könnte, Soldat zu werden, das zu denken war ihr vollkommen unmöglich. Soldat werden, hieß in jener Zeit mit dem Leben abschließen. Soldat wurde daher nur derjenige, den man dazu nötigte, oder der sich ein anderes Unterkommen nicht mehr wußte. Derjenige, der zu leben hatte und der Aushebung entging, pries sich glücklich; und die Scheu, seine Existenz aufs Spiel zu setzen, ging bei einzelnen Dorfburschen so weit, daß sie, um einen Einstandsmann zu kaufen, ihr halbes Vermögen opferten. Daß nun ein Mensch wie Georg, der einzige Sohn reicher Leute, freiwillig den Soldatenstand wählte, das anzunehmen konnte einem Bauernmädchen nicht im Traum einfallen. Man denke sich also, welche Wirkung auf Rebecka der Brief des Geliebten machen mußte, den sie am zweiten Tag nach seiner Absendung empfing. Sie traute ihren Augen nicht, als sie die Zeilen las, und es fehlte nicht viel, so wäre sie ohnmächtig niedergefallen. In der höchsten Bestürzung lief sie zu ihren Eltern und teilte ihnen den Inhalt mit. Und auch diese – auch die übrigen Kinder hielten es für das größte Unglück, das sie treffen konnte. »Er hat einen unsinnigen Streich gemacht,« rief der Bauer, »er ist verloren!« Und dieses Bauernurteil traf in der Tat nicht sehr daneben. Wenn Georg als Soldat auch eine Zeitlang glücklich war, aber später den russischen Feldzug mitmachte, hatte es alle Wahrscheinlichkeit, daß er nicht mehr in seine Heimat zurückkehrte. Sind doch (um dies nebenbei zu bemerken!) von seinem Dorfe, das nur zu den mittelgroßen gehört, nicht weniger als sieben junge Leute dort geblieben!

Der Bursch, in dem Drang der Verhältnisse und in der Leidenschaft seiner Seele, hatte sich als einen sehr schlechten Herzenskundigen bewiesen. Die Versicherungen, die er, der verhältnismäßig Gebildete, der Geliebten schrieb, konnten für das natürliche Bauernkind gar keine Bedeutung haben. Sie mußte seine Hoffnungen für töricht, für bodenlos halten, und an die Stelle der Zuversicht mußten Zweifel und Verzweiflung treten.

Der Schlag, der sie traf, war für ihre verletzliche Natur zu stark. Bald nach der ersten Aufregung fühlte sie eine große Schwäche, – sie mußte sich niederlegen. In derselben Zeit, wo Georg durch den Ort fuhr, lag die Geliebte bleich und zitternd in ihrem Bette, das die Ihrigen mit banger Besorgnis umstanden.

Als unser Bursch am andern Morgen nach der Heimkehr sich im Hofe befand, kam sein Freund Ludwig, – seit einigen Wochen der erklärte Bräutigam Christines, – durch das Tor. Die Miene des jungen Bauern war ernst bis zur Strenge, und er sagte mit einem Ton bitteren Spottes: »Bist du wieder da? – Du bist schnell wiedergekommen, herzhafter Hansjörg; aber gescheiter wär's gewesen, du wärst nie fortgegangen.«

Georg, der niemand gegen sich einen solchen Ton gestatten konnte, sah ihn mit Unmut und drohenden Blicken an.

Jener fuhr fort: »Ich hab' dir nur zu sagen, daß die Rebeck', seitdem sie deinen Brief gelesen hat, krank zu Bett liegt. Es ist freilich zu verwundern, daß sie bei den guten Nachrichten, die du ihr gegeben hast, nicht aufgeschrien hat vor Freude! Aber sie versteht's halt nicht besser! Du mußt ihr verzeihen, daß ihrem Bauernverstand das große Glück, einen Soldaten zum Bursch und künftigen Mann zu haben, nicht recht eingehen will.«

Georg war erschreckt. Mit einemmal begriff er alles. »Ludwig,« sagte er, »ich hoff', es wird nicht so schlimm stehen. Was ich gefehlt hab', will ich wieder gutmachen – und das im Augenblick! Adies!«

Er eilte ins Haus; – wenige Minuten nachher trat er die Wanderung an.

Als er durch das Hoftor des Kreuzbauern ging, sah er diesen und die Bäuerin vor dem Hause stehen. Beide, ihn erblickend, schrien laut auf. »Hansjörg!« rief der Alte, »du bist hier? Du bist nicht Soldat?«

»Nicht mehr!« versetzte Georg während er zu ihnen trat.

»Also bist du's gewesen!« rief die Frau. Und mit vorwurfsvoller Miene setzte sie hinzu: »Aber wie hast du uns das antun können, Hansjörg? Hast du gar nicht an die Rebeck' gedacht?«

»Ich hab' halt nicht alles überlegt!« entgegnete der Bursch. »Aber meine Absichten waren gut; und wenn sie mir nicht durchgegangen sind, wie ich mir's vorgestellt hab', so glaub' ich doch, was geschehen ist, wird uns nicht zum Schaden sein.« Mit Ernst und einer gewissen Scheu erkundigte er sich nach dem Befinden Rebeckas. Nach der allgemeinen, tröstlichen Antwort sagte er: »Ich hoff', wenn sie erfährt, wie die Sachen stehen und was ich ihr sagen kann, dann wird sie wieder gesund werden!«

»So,« versetzte der Vater, »du kannst ihr etwas sagen?«

»Ja, Vetter, das kann ich!«

»Nun,« sagte die Mutter mit einem Schein von Glück in ihren Zügen, »dann hoff' ich auch, daß sie bald wieder aufstehen wird. Aber zuerst laß mich mit ihr reden.«

Sie ging ins Haus. Nach wenigen Minuten kam sie wieder und sagte: »Komm!« Beide traten in die Kammer. Als Rebecka des Geliebten ansichtig wurde, erhob sie sich im Bette, die bleichen Züge lächelten wehmütig und glücklich – sie reichte ihm die Hand. Georg ergriff diese und preßte sie, indem er auf die Leidende mit einem Blick der innigsten Liebe sah.

»Was hast du getan!« rief sie mit gutmütiger Klage. »Ich wär' beinah' gestorben!«

»Verzeih mir, Liebste,« erwiderte Georg; »ich hab's wahrlich nicht schlimm gemeint! Ich hab' keinen andern Ausweg gesehen als diesen, drum hab' ich da mein Heil gesucht. Und nun ist's merkwürdigerweise für uns doch ein Ausweg geworden und wird an unserm Glück schuld sein!«

Die Kranke schaute ihn an. »Wollen deine Leute –«

»Sie haben mir's versprochen, und ich halt' sie beim Wort.«

»Ah,« rief die Gute. »Gott sei Dank!«

»Wir müssen ihnen nur noch einige Zeit lassen,« fuhr Georg fort, »bis sie sich ganz drein gefunden haben. Zurück können sie nicht mehr; aber laß uns warten, bis sie alles, was sie uns versprochen haben, mit Freuden tun. Mein Vater ist schon auf dem Weg – und meine Mutter wird nachkommen.«

»O, ich kann warten! Ich brauch' nicht mehr! An dem Glück, daß du wieder da bist, kann ich lange zehren!«

Als Rebecka mit aller Innigkeit ihrer Seele diese Antwort gab, war die Farbe auf ihre Wangen wiedergekehrt; ja, diese glühten rosiger als jemals. Nochmals versicherte Georg ihr seine gute Meinung bei dem »Streich« – nochmal bat er sie um Vergebung! Aber die hatte er längst! Die blauen Augen ruhten auf dem Wiedergewonnenen mit Wonne und gingen über bei den Zärtlichkeiten, die er ihr mit der guten Laune des Liebenden erwies. »Ich will gern alles erduldet haben!« sagte sie endlich. »Ach, es ist doch schön auf der Welt! Ich hoff', lang wird's jetzt nicht mehr anstehen, bis ich wieder in der Höhe bin! Und dann wollen wir fröhlich sein miteinander!« –

Georg teilte mit der Familie das Mahl. Er mußte alles erzählen, was er erlebt hatte, und er tat es nicht nur mit gutem Humor, sondern er versäumte auch nicht, seine Flucht nach Möglichkeit zu rechtfertigen.

»Aber wie bist du denn grad' auf den Gedanken gekommen?« fragte der Sohn Hans.

»Ach, mein guter Freund,« erwiderte Georg lächelnd, »Soldat zu sein, ist was Schön's, trotz allem, was man sagt. Und wenn einer Glück hätte und hinauskäme –!«

»Geh,« rief der Bauernbursch, »das sind überrichte (überspannte) Sachen!«

»Manchem,« versetzte Georg, »ist's doch gelungen und er ist zu hohen Ehren gekommen, wie man das in Büchern und Zeitungen lesen kann!«

»Das Bücherlesen,« erwiderte Hans, »das hat dir halt den Kopf heiß gemacht! Du bist eben ein halber Herr; und ich weiß nicht, ob ihr beide, die Rebeck' und du, grad' so gut zusammenpaßt, wie du meinst.«

»O,« rief der Liebende, – »aber ich weiß es!«

»Nun,« versetzte Christine, »ein b'sonderer Mensch bist du schon, Hansjörg; das merkt man immer wieder aufs neu'. Aber mit der Rebeck', wenn ihr einmal geheiratet seid, wirst du doch gut hausen; denn sie hat dich gar zu gern!« –

Als der Bursch wieder heimgekehrt war, fragte ihn die Mutter mit einem seltsamen Ausdruck: »Wo bist denn heut' auf einmal hingerannt?«

»Du kannst dir's wohl denken,« entgegnete der Sohn, »und aus deiner Miene seh' ich, du weißt es! Ich hab' da drüben etwas gutzumachen gehabt,« fuhr er fort. »Ich hab' nicht alles bedacht, ich muß es selber sagen, und den größten Schreck hat mein Fortgehen derjenigen gemacht, die mich am meisten liebt. Sie ist krank geworden darüber und liegt zu Bett!«

»Krank!« rief die Bäuerin mit unwillkürlicher Geringschätzung. »Immer gleich wieder krank!«

»Weil's ihr eben schrecklich gewesen ist, daß ich im Krieg umkommen könnte.«

Die Mutter schwieg. Dann sagte sie: »Es gibt doch Menschen, die gar nichts aushalten können! Und von denen glaubt man dann, daß sie viel besser sind als andere, die sich nicht gleich alles anmerken lassen, weil unser Herrgott sie handfester und standhafter gemacht hat. Nun, ich seh' schon, wie's gehen will. Ich hab' das Meinige getan und werd' es auch ferner tun. Aber Hoffnung hab' ich nicht mehr viel. Meinetwegen. Wenn das geschieht, was ich für ein Unglück anseh', und wenn ich dann recht bekomm', dann hab' ich für meine Person wenigstens ein gutes Gewissen.«


XIV.

Wochen gingen hin, und noch war es Georg nicht gelungen, eine Entscheidung herbeizuführen. Wenn die meisten Menschen durch bloßes Verschieben einer schwebenden unangenehmen Sache etwas zu gewinnen meinen, so liegt das Gehenlassen und Abwarten besonders im Charakter des Landvolks. Rasche Entschließungen kommen hier sehr selten vor; – was man nicht gerne tut, das hat immer Zeit, und darum vergeht die Zeit, und es geschieht nichts.

Der Haselbauer sagte nicht mehr nein; aber er sagte auch noch nicht ja. Wenn Georg von seinem Anliegen reden wollte, dann gab es immer etwas Nötigeres zu tun – und morgen war auch noch ein Tag. Der Bursch konnte der Geliebten und den Ihren nicht sagen: »Meine Eltern haben ihre Einwilligung gegeben – wir sind Brautleute.«

Und das erzeugte nun in der Familie des Kreuzbauern doch wieder Gefühle der Kränkung und eine trübe Stimmung. Warum wollten die Haselbauersleute der Sache kein Ende machen? Weil sie die Verheiratung Georgs mit ihrer Tochter eben immer noch für ein Unglück ansahen! Darin lag für sie eine Heruntersetzung, und es mußte sie verdrießen. Sie konnten sich nicht denken, wie sie mit diesen stolzen, eigensinnigen – überzähen Leuten überhaupt in guter Freundschaft leben sollten!

Rebecka hatte sich erholt, und Georg besuchte die Familie so oft es ihm gefiel; darin entschlug er sich gegen die Seinen jedes Zwanges. Aber weil er nichts Gewisses zu melden hatte und immer wieder Nachsicht und Geduld anrufen mußte, konnte das liebende Mädchen doch nicht von Herzen fröhlich werden und gedeihen. Sie half wieder bei der Arbeit im Haus und Feld; aber ihr Aussehen, bei aller Fassung, hatte etwas Gedrücktes und Müdes; ihre Sanftheit hatte den Charakter der Entsagung.

Es versteht sich von selbst, daß Georg sehr bald nach seiner Wiederkehr das Haus des Hofschreiners aufgesucht hatte. In Rücksicht des Ausgangs hatte man hier über seine Flucht mehr Worte der Verwunderung als des Tadels. Die Hofschreinerin, mit der Parteilichkeit entschlossener Frauen, ging weiter und sagte zu ihm: »Du hast ganz recht getan, deinen Leuten diesen Schreck einzujagen! Wo nichts anderes hilft, da muß man zu solchen Mitteln greifen! Und jetzt, wenn die Sache auch noch nicht fertig ist, steht sie doch viel besser wie vorher.« Sie schaute ihn an und lächelte mit beifälliger Schlauheit. »Du bist klüger,« sagte sie, »als ich gedacht hab'! Du weißt dir zu helfen! In der Sach' hast du das Gescheiteste getan, was geschehen konnte.«

Die Frau, wie man sieht, erblickte in der Entweichung Georgs vornehmlich ein Werk der Berechnung. Dieser Ansicht pflichtete der Hofschreiner, welcher das Diplomatische liebte, mit Vergnügen bei – und so wurde Georg in dem Hause wegen einer Fähigkeit anerkannt, von der er bis jetzt noch sehr wenig Proben gegeben hatte.

Zwei Wochen nachher, als man wieder einmal beisammen saß, fragte Sophie nach dem Stand der Dinge.

Georg beklagte sich über seine Eltern.

Die Hofschreinerin schüttelte den Kopf mit Unwillen. »Da muß eben ich wieder hinter sie rücken!« versetzte sie. »Ich tu's in den nächsten Tagen und bin ordentlich neugierig, was sie jetzt noch wissen!«

Aber zu diesem Angriff kam es nicht – er war nicht mehr nötig. Unserem Liebespaar erstand ein Helfer, der gegen den Haselbauer und sein Weib eigentümliche, schwerwiegende Vorteile besaß. Es war dies der königliche Rentbeamte von Nördlingen! In seiner Stellung mit den beiden Familienhäuptern bekannt und beide schätzend, namentlich aber eingenommen für Georg, mit dem er sich wiederholt unterhalten hatte, achtete der wohlwollende, klarsehende Mann es endlich für seine Pflicht, den Haselbauer ernstlich ins Gebet zu nehmen. Er traf an einem Sonntag morgens vor der Kirche bei ihm ein und hielt ihm vor, was der Bauer freilich schon von andern gehört hatte, was aber vom Munde des Herrn Rentbeamten durchaus neu und schlagend wirkte. Er zeigte auf die Geltung und die wirkliche Bravheit der Familie des Kreuzbauern hin, auf die Schönheit und die Sittigkeit Rebecka's, auf die zärtliche Liebe der jungen Leute, die ganz füreinander geschaffen wären, und zuletzt auf den Charakter Georgs, der niemals eine andere zur Frau nehmen würde, als die Geliebte, weil er zu seinen Eltern mit Recht sagen könne: ihr wißt nichts an ihr auszusetzen! Alle wackeren und verständigen Leute, die es den Eltern jetzt sehr übel nähmen, daß sie sich noch immer sperrten, würden sie dann loben, und sie würden dann alle miteinander geachtet und glücklich sein!

Der Bauer, nachdem er alles dies mit dem entsprechenden Respekt vernommen, sagte, den Kopf senkend: »Ja, ja, Herr Rentamtmann, eigentlich haben Sie nicht unrecht. Es ist so, wie Sie sagen – und die Sache währt jetzt wirklich schon lang' genug; im Grunde sollte man jetzt damit ein Ende machen!«

»Nun also?« rief der Beamte.

Der Bauer schwieg. »Ich glaube zwar heut' noch,« versetzte er dann, »daß die Tochter unsers Nachbars für meinen Sohn ein besseres Weib wäre! Aber wenn Sie sich auch auf seine Seite schlagen, Herr Rentamtmann, dann muß ich am Ende doch nachgeben.«

»Ihr sagt also ja?«

»Ja, Herr Rentamtmann,« antwortete der Bauer nach einem schweren Aufatmen, – »ich sag' ja!«

»Nun,« rief jener, »das lob' ich! – Jetzt holt mir aber gleich Eure Frau!«

Der Bauer entfernte sich. Nach einer Weile trat er mit der Bäuerin in die Stube. Die Achtung, welche diese dem Beamten schuldig war, und der Widerwille, der sie auch jetzt noch beherrschte, mischte sich in ihrer Miene zu einem sonderbaren Ausdruck scheuen Lauerns, der aber ihrer Haltung keinen Eintrag tat. Nach gehörter Ermahnung sagte sie: »Wenn so ein Herr auch gegen uns ist und dem Sohn gegen die Eltern hilft, dann können wir uns freilich nicht länger dagegensetzen. Wir zwei sind jetzt ganz allein, und da ist's am End' keine Schand', wenn wir uns unnütze Mühe sparen und uns in Gott's Namen drein ergeben. Ich sag' also auch ja, wie mein Mann ja gesagt hat. Dann kann ich aber nur wünschen, daß diese Heirat auch wirklich so gut ausfallen möge, wie alle Leute sagen, die wider uns sind!«

»Sie wird gut ausfallen!« rief der Beamte mit Nachdruck.

»Wenn Sie das gewiß wissen, Herr Rentamtmann,« versetzte das Weib, »dann ist ja alles gut, und ich als Mutter kann dann ruhig sein!«

Dieser spitzigen Bemerkung antwortete der wackere Herr mit einem Lächeln. »Ich glaube,« sagte er dann zum Bauern, »das beste ist, wenn wir den Handel gleich ganz fertig machen. Laßt doch Euern Sohn kommen, der draußen im Hof herumgeht, wie ich gesehen hab'.«

Der Bauer trat ans Fenster, öffnete es und rief dem Sohne zu, er möge hereinkommen. Georg erschien. »Hansjörg,« sagte der Vater mit Würde, »bedank dich bei dem Herrn Rentamtmann, der für dich und für die Heirat mit der Tochter des Kreuzbauern so gesprochen hat, daß wir nicht mehr widerstehen können. Wir, deine Mutter und ich, wir geben unsere Einwilligung. Du kannst dich von uns aus mit dem Mädchen versprechen, und auf den Herbst, so Gott will, soll die Hochzeit sein!«

Georg, obwohl er die Ansicht des Beamten kannte und die Absicht des frühen Besuchs erraten hatte, stand doch einen Moment wortlos. Sein Gesicht war purpurrot, seine Augen waren feucht geworden. Mit einemmal ging er auf den Beschützer zu, drückte ihm die Hände und dankte ihm aufs wärmste; das gleiche tat er seinen Eltern. Mehr der Mutter (die noch immer nicht recht wußte, was für ein Gesicht sie machen sollte!) als dem Vater rief er zu: »Laßt's euch nicht reuen! Ich werd' euch alle Lieb' erweisen, die ein Sohn seinen Eltern antun kann. Ihr kennt mich und ihr wißt, was ich sag', das ist so!«

In diesem Augenblick schlugen die Glocken auf dem Kirchturm feierlich zusammen. »Nun,« sagte der Beamte, »können wir in die Kirche gehen und alle, wie wir sind, unserm Herrgott danken!«

Georg, bevor er dieser Aufforderung nachkam, fand noch Zeit, mit Bleistift einige Zeilen auf ein Stück Papier zu werfen und den Brief einem seiner Knechte zur schleunigsten Beförderung zu übergeben. Die Zeilen lauteten: »Liebste Rebecka! Meine Eltern haben mir endlich ihr Jawort gegeben – freiwillig und gern! Du bist jetzt meine Verlobte, und auf den Herbst wirst du Haselbäuerin sein. Heut' nachmittag komm' ich zu dir! Adieu, Liebste! Nicht wahr, es ist doch noch gut gegangen?«

Eine Stunde später kamen Vater und Sohn mit dem Rentbeamten von der Kirche nach Hause. Die Bäuerin lud den Herrn ein, beim Mittagessen ihr Gast zu sein. Man speiste in der oberen Stube, auf Tellern von Steingut und mit silbernen Bestecken. Bier und Wein standen auf dem schneeweißen Tischtuch nach der Wahl, und die Hausfrau trug nacheinander auf: Reissuppe, Kalbsbraten mit gerösteten »Erdbirn« und Dampfnudeln vom feinsten Mehle. Der Beamte, der hungrig war, lobte nicht nur jedes der Gerichte, sondern bekräftigte sein Wort auch durch wiederholtes Zulangen. Mit Freuden nahm er wahr, daß die Haselbäuerin am Schlusse des Mahls bereits um vieles menschlicher aussah, als noch bei der Erteilung ihres Jaworts.

Eine Schale Kaffee wurde dem Herrn nicht geschenkt. Der Trank war stark; denn wenn es sich bei einer gestandenen Bäuerin um die Ehre handelt, spart sie nicht. Der wohlwollende Gast erklärte, daß ihm seit langer Zeit Essen und Trinken nicht so gut geschmeckt habe! Wenn die Frau hierauf den Kopf schüttelte als eine, die wohl wisse, wie sie das zu nehmen habe, so waren doch ihre Züge durch ein Lächeln verschönt, wie man es lange nicht von ihr gesehen hatte.

Als der Besuch Abschied nahm, um, das angebotene Fuhrwerk verschmähend, an dem schönen Tag zu Fuß heimzugehen, bemerkte Georg: »Ich will den Herrn ein Stück weit begleiten.« – Der Vater nickte mit Laune und sagte: »Wie weit, das kann man erraten!« Die Mutter, nach einem Moment des Besinnens, schaute den Sohn an und versetzte dann – mit großer Würde freilich, ohne eine Spur von Empfindsamkeit und mit der Haltung einer Herrin: »Sag den Leuten dort von mir, ich lasse sie grüßen!«

Die beiden gingen; und Georg unterhielt den Gönner mit der Fröhlichkeit eines Glücklichen. Auf dem Feldweg neben dem endlich erreichten Dorf empfahl sich ihm unser Bursch. »Solang' ich leb',« sagte er, »werd' ich Ihnen diese Freundschaft nicht vergessen, Herr Rentamtmann. Meine Rebeck' soll's augenblicklich erfahren, wer den langen Handel mit einem Schlag zu Ende gebracht hat, und sie wird Ihnen dann ihren Dank persönlich abstatten.« Der würdige Fünfziger lächelte mit Humor und sagte: »Dafür hab' ich's schon tun können!«

Als der Bursch in den Hof des Kreuzbauern eintrat, liefen ihm die beiden Schwestern, die auf ihn gepaßt hatten, mit jubelnden Grüßen entgegen. Rebecka führte ihn an der Hand in die Stube. Die Eltern und der Bruder Hans kamen auf ihn zu; man drückte sich die Hände, wünschte sich Glück, lobte und dankte Gott – und Georg, die Geliebte umarmend, erklärte sie feierlich für seine Braut. Bei dem schönen Wort ging in allen Gesichtern ein noch helleres Licht auf, und den beiden Alten kamen Tränen in die Augen.

Georg, als man am Tisch Platz genommen hatte, mußte erzählen. Sein Bericht fand unwillkürlich eine Fassung, welche den Hörern rein erfreulich in die Ohren klang. Große Verwunderung erregte die Freundlichkeit des Rentbeamten, und alle nahmen sich vor, ihm dafür erkenntlich zu sein; die höchste Wirkung machte aber der Gruß der Haselbäuerin. »Wirklich?« rief Rebecka. »Einen Gruß an uns hat sie dir aufgetragen?« Georg beteuerte die Tatsache, und das herzliche, gütefrohe Mädchen umschlang ihn, während ihre Augen sich mit Tränen füllten. »O, nun ist alles gewonnen!« rief sie. »Nun werden wir gut miteinander hausen auf deinem Hof!«

Die Haselbäuerin hatte den Vorteil davon, daß sie am längsten spröde gewesen! Ihre geringe Wendung zur Güte beglückte am meisten.

Ein leckerer Duft frischgebackener »Küchlen« durchdrang das Haus; und bald erschien Christine mit Kaffee, und die nachfolgende Magd setzte eine große Schüssel voll des leichten feinen Backwerks auf den Tisch, womit ländliche Wirte ihre Gäste am meisten zu ehren denken.

Irgend einmal erleben die Menschen im irdischen Dasein ihr höchstes und reinstes Glück; – dieser Moment war jetzt für Georg und die Familie des Kreuzbauern erschienen! Aus den Gesichtern allen leuchtete der Sonnenschein der tiefsten und süßesten Befriedigung. Die Leute auf dem Kreuzbauernhof gehörten zu jenen guten Seelen, die kein größeres Wohlgefühl empfinden, als wenn sie aus dem Streit in den Frieden kommen. Und diesen hatten sie jetzt. Ihre Feinde waren ihre Freunde geworden! – Wie füllten sich ihre Herzen mit Liebe zu den Eltern Georgs – und wie nahmen sie sich vor, ihnen alle mögliche Freundschaft zu erweisen!

Rebecka, unter den Glücklichen die Glücklichste, bot einen rührenden Anblick. Welche Strahlen gingen aus ihren Augen! Wie hold, wie schmeichelnd klang ihre Stimme! Welche liebe Dinge sagte sie allen und jeden!

Die Freude blieb nicht auf die Familie beschränkt. Nach und nach kamen die noch übrigen »Ehehalten« herbei und gratulierten und schmunzelten und waren ordentlich stolz auf ihre Braut und freuten sich »grausam« auf die Hochzeit. Rebecka dankte ihnen und stopfte ihre Taschen mit Küchlen.

Georg konnte sich an ihr, die nun ganz die Seine geworden war, nicht satt sehen. Ein Beben erstand in seiner Brust und eine Verwirrung überkam ihn, wenn er an die Zukunft dachte. Sie blühte wie eine Rose! Die Freude hatte ihr allen Glanz der Gesundheit und ihre ganze makellose Schönheit wiedergegeben! – –

Als unser Freund spät nach Hause wanderte, sagte er zu sich: »Nun ist mir nichts, gar nichts zuviel, was ich durchgemacht und ausgestanden hab'! Fast wollt' ich, es wär' mehr gewesen!«

Wünsche, die auf mehr Not gerichtet sind, sollte man in diesem Leben nicht aussprechen. Es gibt der Möglichkeiten allzuviele, ihnen Erfüllung zu bringen!


XV.

Am nächsten Markttag nach dem entscheidenden Sonntag begab sich Rebecka mit einem weiten »Gretzen« ins Rentamt zur Frau Rentamtmännin. Knixend richtete sie einen schönen Gruß aus von ihrer Mutter; die lasse die Frau Rentamtmännin bitten, mit einem kleinen Präsent vorlieb zu nehmen. Während sie das sagte, hob sie aus dem Gretzen eine Schüssel mit einem großen Ballen Butter und setzte sie auf den Tisch.

Die Frau, eine schlanke Gestalt mit aristokratischen Gesichtszügen, schaute das Mädchen an und lächelte. »Was fällt aber deiner Mutter ein?« rief sie. »Wie kommt sie dazu, mir ein solches Geschenk zu machen?« – Rebecka wurde rot. »Der Herr Rentamtmann,« sagte sie mit einem Lächeln, das nicht ohne Laune war, »hat uns eben einen gar großen Gefallen erwiesen, und da möchten wir für jetzt wenigstens ein bißchen was dagegen tun!« – »Ah so,« erwiderte die Frau, die in alles eingeweiht war – »meinem Manne gilt es? Ja, dann muß ich ihn selbst holen lassen!«

Nach einer Weile erschien der Beamte, und Rebecka bestellte den Gruß ihrer Mutter noch einmal. Jener dankte und betrachtete sich die Jungfrau mit den frohen Blicken eines Kenners. »Herr Rentamtmann,« fuhr diese fort, »Sie sind gegen uns so gut gewesen – in unserm Leben können wir das nicht verschulden! Wo wären wir jetzt noch, wenn Sie sich der Sache nicht angenommen hätten? Mein Bräutigam hat mir alles erzählt, und wir werden es Ihnen nicht vergessen, solang' wir leben!« Zur Bekräftigung dieser Rede wollte sie ihm die Hand geben; aber sie bedachte zu rechter Zeit noch, daß sich das wohl nicht schicke! Der Beamte, der ihre Absicht wahrgenommen, faßte die schüchtern zurückgehaltene Rechte seinerseits und schüttelte sie kräftig. »Ich hab' euch den Dienst gern erwiesen,« versetzte er; »und ich wollte, ich könnte mit allem, was ich getan habe, so zufrieden sein! – Ihr seid ja,« fuhr er fort, »schon förmlich ein berühmtes Paar! Man spricht von euch in Dorf und Stadt – und bei eurer Hochzeit wird das Wirtshaus nicht ausreichen! Es ist eine Freude, Glück wünschen zu können zu einer solchen Verbindung!«

Unser Landkind stand auf diese ehrenvollen Reden in angenehmer Verwirrung; und der joviale Herr weidete sich daran.

Was das Geschenk betraf, so war er viel zu gesittet, um es nicht mit der besten Manier anzunehmen. Er betrachtete und prüfte den Ballen Butter in seiner Blätterumhüllung mit Vergnügen, lobte die gelbe Farbe und sagte mit entsprechender Schalkheit: »Meine Frau wird sich freuen, das in ihre Speisekammer bringen zu können! Ein solches Präsent weiß sie zu schätzen – dafür kenn' ich sie!« – Und die Gattin versetzte: »Ich freu' mich auch wirklich, denn so was Gutes ist für Geld nicht zu haben!«

Rebecka sah, daß die Leute freundlich und aufmunternd sein wollten, und es wurde ihr darum ganz heimlich bei ihnen. Sie nippte von dem Wein, den man ihr vorgesetzt hatte, beantwortete die teilnehmenden Fragen, die man an sie richtete, und verließ endlich das Haus mit den angenehmsten Empfindungen über die große Leutseligkeit der Herrschaften.

Am darauffolgenden Sonntag gab es wieder eine Art Fest beim Kreuzbauern: die Sophie machte der Familie ihren ersten Besuch. Von Georg hergefahren, wurde das »Bäschen«, welches die Schwestern von jenem Kirchweihtag her kannten, mit Freudenrufen empfangen und aufs beste bewirtet. Man denkt sich, wie gut die Glücklichen sich unterhielten. Die drei Mädchen hatten so viel miteinander zu reden, daß Georg den Zuhörer und Zuschauer spielen konnte, was er mit Vergnügen zu tun schien, ebenso wie die tief zufriedenen Eltern.

Auf der Heimfahrt lobte Sophie gegen den Burschen die Rebecka mit den wärmsten Ausdrücken! »Ich hab' eigentlich gar nichts an ihr auszusetzen,« fügte sie hinzu, »als daß sie ein wenig einen singenden Ton hat beim Reden! Den sollte sie sich abgewöhnen!« – Georg sah sie mit Befremden an. »Ihr Ton gefällt dir nicht?« rief er. »Aber der ist mir ja grad' von allem das Liebste an ihr!« – Sophie schwieg. Dann sagte sie: »Du mußt das am Ende besser verstehen als ich! Aber wenn ich in dem Punkt unrecht hab', dann fehlt ihr wirklich gar nichts und sie ist ganz vollkommen!« – Georg, den kleinen Stich würdigend, lachte. »Sie mag auch ihre kleinen Fehler haben,« sagte er; »bis jetzt hab' ich sie nur noch nicht bemerkt! Von dem Ton ihrer Stimme kann ich aber keine Note abgeben. Das ist just eine von den Ursachen, warum ich sie heirate.«

Sophie dachte im stillen: »Wenn der nicht verliebt ist, dann ist's noch niemand gewesen! Ich fürchte, ich fürchte, mein Kandidat ist nicht so verblendet!« –

Ein wichtigerer Besuch fand am nächsten Sonntag statt: der Besuch Rebeckas beim Haselbauern.

Die Braut Georgs, die zu Wagen mit ihrem Bruder Hans erschien, wurde von den Eltern mit großem Anstand begrüßt und feierlich in die Stube geführt. Wir schweigen von der Bewirtung, die dem Selbstgefühl der Bäuerin entsprach, und von den Höflichkeiten, die man sich spendete, wobei der Haselbauer, zur Ehre des Hauses, sich selbst übertraf. Der wackere Alte schien sich schon ganz in die Rolle des Schwiegervaters gefunden zu haben. Die künftige Söhnerin gefiel ihm, der auf diesem Felde stets ein guter Beurteiler gewesen, und die Artigkeiten, die er ihr zu hören gab, kamen von Herzen.

Von der Mutter ist das gleiche nicht zu sagen. Hielt sie es für Schwäche, von der lange behaupteten Entgegensetzung auf einmal zu wirklicher Freundschaft überzugehen? Trug sie eine Scheu, die Schwiegertochter, die man ihr aufgenötigt hatte, als eine selbstgewählte zu behandeln, weil sie damit ihre Niederlage offenkundig machte? Nahm sie Ärgernis an den galanten Manieren ihres Mannes (der allerdings nach und nach eine förmliche Verehrung der Jungfrau zur Schau trug!) – und wollte sie, was er zu viel tat, zu wenig tun? Wie dem sein mag; sie ging aus ihrer gemessenen und allerdings kalten Höflichkeit nicht heraus, und das gute Kind mußte sich zuletzt noch überzeugen, daß Georg ihr über sie nicht die Wahrheit gesagt habe. »Sie hat eingewilligt,« dachte sie bei sich, »weil's nicht mehr anders ging; aber in ihrem Herzen ist sie noch immer dagegen. Die Heirat ist ihr noch immer zuwider, und sie verachtet mich immer noch, weil ich nicht die andere bin!«

Allzuviel Freundschaft und Herzlichkeit hatte sie von der ihr bekannten Frau nicht erwartet; aber gar keine, das war zu wenig! – Sie wollte ihr entgegenkommen und stimmte beim Herumgehen in Haus und Hof, wo es so viel zu loben gab, ihre wärmsten und schmeichelhaftesten Töne an. Aber das half ihr bei dem Weibe nichts. Im Gegenteil: die strenge, kritische Seele merkte die Absicht, und es kostete sie Mühe, ihren Widerwillen nicht offenbar zu machen.

Der Tag verging; – und die Haselbäuerin und diejenige, die es werden sollte, waren sich nicht näher, sondern ferner getreten. Die Miene Rebeckas war nachdenklich, traurig; Vater und Sohn bemühten sich vergebens, sie wieder zu erheitern. Endlich erschien die Zeit des Aufbrechens und Abschiednehmens. Als das gekränkte Mädchen der Haselbäuerin die Hand gab und Behütgott sagte, richtete sie auf die Unversöhnte einen Blick der Klage und des Vorwurfs, der ihr durch die Seele drang!

Vom Hof, wo man den Wagen hatte fortrollen sehen, gingen Eltern und Sohn in die Stube zurück. Hier stellte sich der Haselbauer mit sehr ernsthafter Miene vor die Bäuerin und sagte: »Das ist aber doch wirklich arg, wie du dich heute gegen deine künftige Söhnerin benommen hast! Du hast ihr ja keinen guten Blick vergönnt, und es hat nicht viel gefehlt, so hättest du ihr Grobheiten gesagt!«

»Ich kann mich nicht so anstellen wie du!« entgegnete das Weib.

»Das ist lächerlich,« versetzte der Mann. »Ich hab' gar nicht nötig gehabt, mich anzustellen gegen das gute, liebe und wirklich bildhübsche Mädchen! – Hansjörg,« fuhr er zum Sohne fort, »auf mich kannst du dich verlassen, – ich steh' auf deiner Seite!« Und er trat von seiner Frau weg und stellte sich neben den Sohn.

Dieser hatte in seiner Miene eine Aufregung gezeigt, die in wirklichen Zorn übergehen wollte. »Ich hätt' nicht geglaubt,« rief er, »daß ich das mit ansehen müßt', was ich heut' mit angesehen habe! Du bist also noch immer unsere Feindin? In deinem Herzen ist noch immer nur Widerwillen und Haß?«

Die Bäuerin schien mit sich zu kämpfen; aber der Trotz behielt die Oberhand. »Ich kann mich nicht zwingen zur Lieb'!« entgegnete sie.

Georg, unwillkürlich auf sie zugehend, rief: »Du hast ein Herz von Stein! Und ich, ich unglücklicher Sohn, bin mit der bösesten Mutter gestraft, die es geben kann!«

Auf diese Rede schwieg das Weib in sichtbarer Erregung. Sie suchte sich zu fassen. Nach einer Weile, mit immer noch stolzem Munde, sagte sie: »Übertreibt nicht, ihr Mannsbilder! Ich bin eine aufrichtige Person, und was nicht in mir ist, das kann ich mir nicht geben! – Am End',« fuhr sie zögernd fort, »wahr ist's, ich bin heut' ein bißchen zu streng gewesen gegen das gute Ding, und ich hab's gemerkt, es hat ihr nicht wohl getan! Nun, geschehen ist geschehen, da läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Aber ich bin wirklich nicht ganz mit mir zufrieden, und ich gebe zu, daß ich bei dem Mädchen, die nun doch einmal in unsern Hof hereinkommen soll, etwas gutzumachen hab'. Daß ihr heut' noch nicht alles nach Wunsch gegangen ist, das soll ihr nicht zum Schaden sein! Bei der nächsten Gelegenheit, wenn wir uns wiedersehen, will ich hereinbringen, was ich versäumt hab'! Und nun macht mir keine solchen Gesichter mehr – und wartet ab, was die Haselbäuerin tun wird!«

Die Frau sprach, wie sie fühlte. Sie war hart und herrschbegierig, und es schmerzte sie, daß sie hatte nachgeben müssen; aber sie war nicht böse. Darum erkannte sie nun, daß sie gegen die Braut ihres Sohnes nicht recht gehandelt und ihr gegen alle Sitte eine wehtuende Kränkung angetan habe. Aber eben durch diese war der Forderung ihres zürnenden Herzens genügt – es war heraus aus ihr – und nun konnte sie die Heirat von der besseren Seite ansehen und sich gegen die Verlobte ihres Sohnes benehmen wie eine rechte Schwiegermutter!

Bei der nächsten Gelegenheit wollte sie das tun! Und sie wollte es ganz tun, und alle sollten zufrieden sein!

Aber die Gelegenheit sollte ihr nicht mehr werden. Sie selbst, wenn auch ohne es zu wissen und zu wollen, hatte noch dazu beigetragen, die Ausführung ihrer guten Absichten unmöglich zu machen.


XVI.

Georg mußte am folgenden Tag in Geschäften des Vaters eine Reise unternehmen, die ihn nach Ansbach und Erlangen führte. Als er gegen das Ende der Woche zurückkehrte, fand er zu Hause eine Botschaft vor: Rebecka sei unpäßlich, er möge zu ihr kommen! Nach kurzer Rast eilte er zu ihr. Sie lag im Bette, matt, fiebernd; es schien aber nur einer der Anfälle zu sein, von denen sie sich schon öfters wieder erholt hatte. Das Gespräch mit dem Geliebten wirkte belebend auf sie und im Vergnügen ihrer Seele vergaß sie die Schwäche ihres Körpers gänzlich. Mit den besten Wünschen und der gewissen Hoffnung, daß er sie das nächste Mal wieder auf treffen werde, verließ Georg das Haus.

Allein das Unwohlsein dauerte an und verschlimmerte sich. Georg besuchte sie jeden Tag. Eines Abends, als er sie im Fieber phantasieren hörte, teilte er die Angst der Ihren und holte noch in der Nacht den fürstlichen Leibarzt aus Wallerstein, damit er dem bisherigen städtischen Arzt mit seiner vielerprobten Geschicklichkeit zur Seite stehe. Aber dieser konnte den Lauf der Krankheit so wenig hemmen, wie jener.

Zehn Tage waren verflossen. Als Georg am Abend des elften in die Kammer trat, standen Eltern und Geschwister weinend um das Bette der Leidenden. Diese war sichtlich verfallen. Das Erscheinen des Geliebten gab ihrer Seele wieder eine Richtung, ein Ziel – sie schaute mit einem rührenden Blick auf ihn her. Dann erhob sie sich in ihrem Bette, nicht ohne Anstrengung, und blieb eine Zeitlang in halbsitzender Stellung. Endlich sagte sie, man möge sie mit Georg allein lassen.

»Hansjörg,« sagte sie, als die Ihren sich entfernt hatten, mit einer sonderbaren Ruhe in ihrer Miene und mit einem gutmütig ergebenen Klang ihrer Stimme, »mir ist, als ob ich bald sterben müßte, und da hab' ich mit dir noch einmal reden wollen!«

»Sterben!« rief Georg erschrocken und heftig. Und fast zornig fügte er hinzu: »Du wirst nicht sterben!«

Rebecka, die betroffen ein wenig zurückgefahren war, schaute ihn an. »Nun,« sagte sie, »es kann ja sein, daß ich noch davonkomme! Aber es kann auch anders gehen – schneller als wir meinen! Und für den Fall möcht' ich dir noch etwas sagen.« Und während Georg stumm, in tiefster Erregung vor ihr stand, fuhr sie mit dem Ton der herzlichsten Empfindung fort: »Vor allem dank' ich dir für die Lieb', die du zu mir gehabt hast! Ich hab' mich über gar nichts zu beklagen bei dir – du hast mir nur Freude gemacht! Du hast viel ausgehalten um meinetwillen und hast mich nur um so lieber gehabt. – Sei bedankt dafür!«

Ihre Augen waren bei diesen Worten übergegangen und sie streckte ihm die bleiche Hand entgegen. Georg ergriff sie und hielt sie gepreßt in der seinen.

»Du wirst nicht sterben!« rief er. »Du kannst nicht sterben! Jetzt, nachdem wir alles durchgesetzt haben. Du! du! In dieser Jugend!«

»Deswegen,« entgegnete die Kranke, »kann ich doch sterben! – Und wenn ich auch jung sterbe,« fuhr sie mit bewegtem, aber gefaßtem Tone fort, »ich bin nicht umsonst auf der Welt gewesen. Ich hab' viel Glück gehabt, – ich kann gar nicht sagen wieviel. Meine Leute sind gut gewesen gegen mich und haben mich gern gehabt, solang' ich denke. Dann haben wir uns kennen gelernt! Ach, Georg, welche Freude hab' ich gehabt auf unsrer Kirchweih' und auf der deinen! Ich hätt' gar nicht geglaubt, daß ein Menschenherz so glücklich sein kann, wie ich's da gewesen bin und immer aufs neue werde im Angedenken dran! – Wie vergnügt sind wir hier gewesen in unserm Haus! Wenn mir etwas Kummer gemacht hat und Herzeleid, dann ist gleich wieder ein Glück dagewesen und hat alles ausgelöscht. Manches hat in seinem ganzen Leben nicht so viel Freude gehabt, wie ich in meinem kurzen Leben!«

Georg, der ergriffen zugehört hatte, fuhr bei dem letzten Wort auf. »Aber du sprichst ja,« rief er mit schmerzlichem Vorwurf, »als ob du deinen Tod gewiß wüßtest!«

»Nein,« entgegnete das Mädchen begütigend; »ich setze nur den Fall! – Ach, ich möchte ja gern wieder gesund werden und lange leben mit dir! Wie schön wär's, wenn wir miteinander hausen könnten auf deinem Hof! – Aber,« fügte sie nach einem Schweigen wehmütig hinzu, »ich muß es nehmen, wie's kommt.«

Der Liebende hatte kein Wort der Entgegnung.

»Unser Herrgott wird's recht machen,« fuhr die Leidende fort. »Wir kommen ja nicht auf ewig auseinander, wenn ich sterbe; wir kommen ja wieder zusammen! – Was der Glaube wert ist, das empfind' ich jetzt. Ja, wenn das nicht wäre, dann könnt' ich nicht sterben! Dann müßt' ich verzweifeln!«

Der Bursch, mit einer heftigen Bewegung, nahm sie bei den Armen und rief: »Denk nicht ans Sterben! Denk ans Leben! Du mußt nicht sterben wollen – du mußt leben wollen!«

Die Kranke lächelte traurig. »Ja,« entgegnete sie, »wenn das so ginge! Und wenn ich's nicht besser wüßte!« – Nach einer Weile sagte sie: »Grüß deine Leute von mir! Recht schön, ich bitte dich! Dein Vater hat mir neulich so viel Freundschaft erwiesen; er ist so gut, so herzensgut gegen mich gewesen! Und wenn mir das Benehmen deiner Mutter nicht gefallen hat, so sagst du ja, sie hab's nicht so bös gemeint –«

»Sie hat's bereut,« rief Georg beteuernd, »bitter bereut! Sie hat's gutmachen wollen und sich darauf gefreut! Sie hat mir heute gesagt, daß sie dich besuchen wolle! Sie wird erschrecken, wenn ich ihr sag', daß du noch nicht besser bist!«

»Ah!« rief das Mädchen, indem ein Schein des Glücks in ihrem Gesicht aufging. »Und das ist wahr, Georg? Das darf ich glauben? Sie ist mir jetzt gut – wirklich gut?«

»So wahr ein Gott im Himmel lebt!« rief Georg feierlich.

»O,« rief sie mit übergehenden Augen, »das tut wohl! Daß ich das noch gehört hab', das ist mir lieb! Sag's deiner Mutter, welche Freude sie mir gemacht hat, – sag's ihr und dank ihr dafür!«

Dem Liebenden stürzten Tränen in die Augen. »Rebeck',« rief er mit erstickter Stimme, »du bist die beste Seele, die auf Erden existiert! Du verdienst ja zu leben und glücklich zu sein mehr als alle Menschen, die ich kenne! Es ist unmöglich, daß du stirbst! Nein, du kannst nicht sterben, du mußt wieder aufkommen!«

Rebecka schaute ihn mit einem liebevollen Blick an. »Ich will ja nicht behaupten,« erwiderte sie, »daß ich gar nicht mehr aufkommen kann! Aber hier (fuhr sie auf ihre Brust deutend fort) ist etwas, das mir sagt: mach dich bereit und ergib dich drein! – Und ich ergebe mich drein!«

»Um Gottes willen!« rief Georg.

»Laß mich reden!« entgegnete sie. »Hör mich ruhig an! – Wenn ich sterbe, Georg, bleib gut Freund mit meinen Leuten, die dich alle so gern haben! Wie haben sie sich gefreut und wie haben sie's alle für das größte Glück und die größte Ehre gehalten, daß du mein Mann werden solltest. Bleib gut Freund mit ihnen und besuche sie oft! Besuche sie, wenn du auch –«

Sie brach ab. Was ihr in die Seele gekommen war, denken konnte sie es, aber aussprechen wollte sie es nicht. »Vergiß mich nicht!« fuhr sie fort. »Vergiß mich unter keinen Umständen, Georg! Das mußt du mir versprechen, wenn ich ruhig sterben soll, daß du mich nicht vergessen willst, was auch kommen mag, solang du lebst!«

Georg ergriff sie bei den Händen und beugte sich über sie – die Tränen aus seinen Augen fielen auf ihre Wangen. »Ich hab' nie eine andre geliebt, als dich!« rief er, »und ich werde nie eine andre lieben! Wenn du mir genommen wirst, dann muß ich verzweifeln, und ich seh' nicht ein, wie ich noch leben soll! – Vergessen! Dich vergessen! Ich werde gar nichts anders tun können, als an dich denken! Immer wirst du mir die Einzige sein, die nicht ihresgleichen hat, und der ich keine an die Seite stellen kann! Keine! keine! – Aber,« unterbrach er sich plötzlich mit einer Art von Zorn, »ich red' da selber, als ob du nicht leben könntest –«

»O,« fiel Rebecka mit einem tiefbeglückten Lächeln ein, »laß dich's nicht reuen! So red't nur einer, der so denkt! – Ach, Liebster, wie gut hat mir das getan! Nein, ich kann mich nicht beklagen bei allem Unglück! Nichts Schöneres gibt's im Himmel und auf Erden, als eine treue Liebe; und die hab' ich gefunden und die hab' ich gehabt! So glücklich bin ich gewesen! – Gib mir deine Hand! Ich dank' dir, Lieber! Ich dank' dir, ich dank' –«

Vor Schluchzen konnte sie nicht weiter reden.

Eine Weile nachher trat Georg in die Stube, wo die Familie harrte. Der junge Mann, an dem man bis jetzt noch kaum eine Träne gesehen, hatte rotgeweinte Augen. Entsetzt starrten die Gesichter ihn an! Aber er rief: »Sie ist nicht tot! Sie lebt – und will euch sehen!«

Alle gingen in die Kammer. Man fand die Kranke besser aussehend – man tröstete sich und sie! – Später, als sie wieder schwerer atmete, betete man und weinte und hing an ihr mit den Blicken eines Kummers, wie ihn nur verzweifelnde Liebe fühlen kann! –

In derselben Nacht noch verschied die Leidende, »sanft und ruhig und ohne Schmerzen«, wie es in der Aufzeichnung heißt, der wir folgen.


XVII.

Als das Jammergeschrei der Familie über das Ableben der Tochter verhallt war, trat Georg zur Leiche. Mutter und Schwester hatten sie zurecht gebettet – sie lag im Scheine zweier Ampeln, als ob sie schliefe. Ein wehmütig zufriedenes Lächeln sprach aus den bleichen Zügen. Der Liebende schaute sie an, als ob er sich das Schmerzensbild auf ewig in die Seele prägen wollte; dann streichelte er die hellbraunen Seidenhaare, küßte die blaßglänzende Stirn, ließ Tränen auf das Antlitz fallen – und stand in sich erschauernd vor der unbegreiflichen Tatsache des Todes.

Durch die geöffneten Fensterläden schaute der frühe Morgen herein. Nun litt es den Erschütterten nicht länger im Haus, er entriß sich dem Anblick und nahm Abschied von der Familie. Seine stets wieder von Verzweiflung angefallene Seele trachtete nach Trost, und es gab nur einen Ort in der Welt, wo er ihn fand. Er lief auf dem Feldweg hin, umging sein Dorf und eilte nach Wallerstein. Noch war es zu einem Besuch in der Freundesfamilie zu früh, und er trieb sich in den Alleen der Residenz umher, bis die aufgegangene Sonne höher stieg. Dann suchte er das Haus in der Herrenstraße auf.

In der Stube, in die er eintrat, befanden sich Mutter und Tochter. Seine Miene sagte ihnen alles. »Sie ist tot?« riefen beide. »Ja,« versetzte Georg, »sie ist tot; – und ich wollt', ich wär' es auch!«

Die Frauen klagten und weinten und gaben ihm Beweise der innigsten Teilnahme. Mit dem Instinkt der Freundschaft vermieden sie es, ihm Trostesworte zu sagen, linderten aber seinen Schmerz, indem sie die Geschiedene priesen. Dann ermahnte die Base ihn, der nicht geschlafen hatte, sich in der Nebenstube niederzulegen.

Georg, von Müdigkeit übermannt, folgte der Aufforderung. Zwei volle Stunden ruhte er. Dann erhob er sich und trat in die Wohnstube. Hier befand sich nun auch der Hofschreiner, der ergriffen auf ihn zuging und ihm sein Beileid aussprach. Georg dankte ihm, dann sagte er: »Könnt ihr mich nicht bei euch einige Tage beherbergen? Ich hab's überlegt, es ist mir unmöglich, ganz unmöglich, mit der Leiche zu gehen; und ich kann auch noch nicht nach Hause – ich kann meine Mutter nicht sehen! Bei euch will ich bleiben. Ihr versteht mich und mit euch kann ich reden. Laßt mich eine kurze Zeit hier –«

»Ja, ja,« fielen die Frauen ein. »Bleib, solang' du willst! Du bist bei uns zu Haus!« Und der Hofschreiner schüttelte ihm die Hand mit väterlichen Blicken.

Man richtete ihm eine Kammer her, deren Fenster auf den Garten ging.

Soweit es möglich war, die Pein in dem Herzen des Beraubten zu mildern, soweit gelang es diesen guten und liebevollen Seelen.

Aber die freundschaftliche Sorge der Sophie ging weiter. In der fürstlichen Residenz befand sich ein Bildhauer, der in der letzten Zeit ihre Büste modelliert hatte und dem sie durch ihren freundlichen Humor lieb geworden war. Diesen suchte sie auf. Eine Stunde später, nachdem sie mit ihren Eltern Rücksprache genommen, fuhr sie mit ihm nach dem Kreuzbauernhof. Und hier nahm der Bildhauer von dem verblichenen Bauernmädchen die Totenmaske ab, um dem Liebenden darnach ein Abbild zu fertigen! Die Freundin ließ sich von der Mutter außerdem die letzten Arbeiten Rebeckas einhändigen – eine Halskrause, an der sie genäht, einen »Schneller«, den sie gesponnen hatte, – und schnitt endlich einen Büschel von ihren Haaren ab.

Sie kannte den Freund! Sie wußte, wie teuer ihm alle diese Andenken sein würden sein ganzes Leben lang!

Als sie wieder heimgekommen war und ihm alles erzählte und alles mitteilte, gab er ihr die Hand und fiel ihr weinend um den Hals.

Auf dem Heimweg hatte Sophie auch seine Eltern gesprochen. Der Vater ließ ihm sagen, er solle nur bleiben und sich trösten, soweit es möglich sei. Die Mutter (teilte Sophie mit) habe dabei sonderbar ausgesehen: wie eine, die von ihrem Gewissen verklagt sei, aber sich dagegen wehre.

Als Georg in der endlich erschienenen Nacht sich niedergelegt hatte und im Dunkel dalag, trat ihm die Geliebte wieder vor die Seele. Er sah sie, wie sie war im Leben und im Sterben. Er besaß und verlor sie noch einmal – und er weinte und schluchzte in heftigem wildem Schmerz. Bittere Klagen mischten sich in sein Leid und fachten es immer aufs neue wieder an; Stunde um Stunde verging, ohne daß er den Schlaf zu finden vermochte. Zuletzt, todmüde, fiel er in einen unruhvollen Schlummer.

Am andern Morgen erhielt er mehrere Besuche von Männern und Frauen des Marktfleckens, die zu seinen näheren Bekannten gehörten. Die ganz besonders herzliche Teilnahme, die sein Schicksal fand, tat ihm doch wohl, und die Gespräche lenkten ihn ab von seinem Leid.

Am dritten Tag fand die Beerdigung statt. Es war ein Feiertag – und dies mochte dazu beigetragen haben, daß die Zahl der Teilnehmenden außergewöhnlich groß war. Der Hauptgrund lag aber in dem Ruhm der Verstorbenen! Der Streit Georgs mit seinen Eltern war seit seinem Entweichungsversuch im ganzen Gau bekannt; man sprach immer wieder davon, und es wurde dabei immer wieder der Anmut und Bravheit Rebeckas gedacht. Daß der junge Haselbauer den Eltern die Einwilligung endlich abgewonnen, hörte man allenthalben mit Freuden; und der plötzliche Tod des jungen Mädchens ergriff und rührte die Herzen. Das war kein gewöhnliches Schicksal! Auch Entfernterstehende konnten davon betroffen und zum Nachdenken bewegt werden; den Näherstehenden war es ein Ereignis, das ihr inniges Mitgefühl erregte.

Hinter dem kränzegeschmückten Sarge, der von sechs Männern getragen wurde, ging der Vater der Verstorbenen mit ihrem Taufpaten, und ihr einziger im Ort anwesender Bruder, Hans, mit Ludwig. Die Mutter folgte mit ihrer eigenen Schwester, der Frau des Taufpaten. Mit Christine ging Sophie, und mit einer älteren Verwandten – die Haselbäuerin.

Diese hatte sich's nicht nehmen lassen, der Leichenfeier beizuwohnen, und war, zur Ehre der Verewigten, in tiefster Trauer erschienen.

Unter den übrigen, die den Kirchhof einnahmen, befanden sich alte Bekannte von uns. Vetter Metzler aus Nördlingen hatte sich, sobald derselbe gekommen war, dem Gallenbauer gesellt. Unweit von ihnen, in der Nähe des Grabes, stand der Rentbeamte mit seiner Frau. Wallersteiner und Nördlinger, die zu einer oder der andern Familie in Bezug standen, hatten sich in ungewöhnlicher Zahl eingefunden.

Der Geistliche war ein begabter, wissenschaftlich gebildeter, humaner Mann. Wir könnten seinen Namen nennen; denn er hat sich als Forscher in der Lokalgeschichte bekannt gemacht. Von dem rührenden Geschick, das sich hier erfüllt hatte, selbst in seinem Innern bewegt, hob er am Grabe nicht nur die Liebenswürdigkeit und Herzensgüte der Geschiedenen hervor, sondern mit besonderem Nachdruck die Sittsamkeit und Ehrbarkeit ihres Verhaltens, wodurch sie sich die allgemeine Achtung erworben habe.

Die Angehörigen, die um das Grab standen, weinten laut, und kaum blieb ein Aug' ohne Tränen.

Unter den Leidtragenden zog die Mutter Georgs von Anfang an besondere Aufmerksamkeit auf sich. Sie war mit einem tiefen Ernst erschienen und hatte diesen behauptet, ohne sich von den Blicken, die sich aus naheliegenden Gründen nicht immer freundlich auf sie richteten, stören zu lassen. Während sich neben ihr erschütternde Klagerufe hören ließen, blieb sie stumm und starr. Aber diejenigen, die ins Innere zu sehen vermochten, wie der Rentbeamte und seine Frau, erkannten doch, was in ihr vorging. Und als der Geistliche von den Aussichten sprach, welche der Verewigten im Leben geboten waren, und des Jünglings gedachte, der durch ihren Tod in tiefen Jammer versetzt worden sei, da bewegte sich die Brust, in der so lange das Herz unbeugsam geschlagen, und aus den Augen brachen Tränen – heiße, bittere Tränen! Sie flossen über die graubraunen Wangen herunter in immer wieder erneuten Strömen, und aus dem tiefsten Innern unter heftigem Schluchzen drang ein Stöhnen der Reue und des Leides hervor.

Der Tod ist ein großer Bekehrer – ein großer Versöhner! Der Schmerz der Bäuerin kam aus den tiefsten Tiefen ihres Wesens. Jetzt, wo die Jungfrau im Sarge lag, trat die ganze herzige Güte derselben vor ihre Seele, sie erinnerte sich ihrer Feindseligkeit und Rauheit gegen sie – und ihr harter Sinn zerbrach und schmolz gänzlich dahin!

Die Umwandlung eines Weibes, deren Verhalten gegen die Verblichene nahezu von allen Anwesenden gekannt war, machte auf die tieferen Seelen einen rührenden Eindruck. Mancher Erfahrene schaute sie an, als wollte er sagen: »Siehst du? Nun ist dir's endlich auch gekommen, du vornehme, stolze Bäuerin!« – Auch der Geistliche, dem sie gegenüberstand, warf im Weggehen einen bedeutsamen Blick auf sie, und die Mutter der so über alles Erwarten Geehrten sah die Weinende mit wahrem Dankgefühl an. Den nächsten Verwandten allen war dieses Benehmen der Mutter Georgs eine große Genugtuung und ein wirklicher Trost.

Als der Gottesdienst in der Kirche zu Ende war, fand Sophie Gelegenheit, den Geistlichen um eine Abschrift der Rede am Grabe und der Predigt zu ersuchen; »für den Bräutigam«, wie sie hinzufügte. Sie wurde ihr bereitwillig zugesagt, mit herzlichen Grüßen an ihn.

Die Freundin eilte vom Trauerhause sobald als möglich heim, um Georg und den Ihrigen Bericht von der Feier abzustatten. – Alles, was sie sagte, tat dem Liebenden mitten in seinem Schmerze wohl und wirkte beruhigend auf seine Seele; am meisten, was sie ihm von seiner Mutter berichtete! – Die Geliebte, wenn auch im Grabe, hatte gesiegt über die Gegnerin, die sich ihr so hartnäckig und so lange widersetzt hatte! Sie hatte vollständig gesiegt! – und ihm war die Mutter wieder eine Mutter geworden!

Noch einen Tag blieb er in der Freundesfamilie. In den ersten Morgenstunden desselben stieg ein Gewitter auf und tobte, als ob es auf den Untergang der Landschaft, abgesehen wäre. Der Aufruhr der Natur flößte dem jungen Mann Gefühle ein, wie er sie noch nicht an sich erfahren hatte. Die plötzlich hereinbrechende grauenvolle Nacht war ihm ein erhebender, labender Anblick gewesen, die furchtbaren Donnerschläge taten ihm in der Seele wohl, und er atmete freier und aufgerichteter, als der Regen wolkenbruchähnlich niederrauschte.

Der Mittag brachte die Sonne wieder und der Abend war ungewöhnlich mild und schön. – Georg, um die sechste Stunde, verließ das Haus, ging zu den Wirtschaftsgebäuden des früheren Schlosses empor und bestieg den Felsen. Hier suchte er eine einsame Stelle auf, wo er das Dorf sehen konnte, dessen Friedhof die Reste der Geliebten barg. Er setzte sich auf ein Felsstück und schaute hinüber zu Kirche und Kirchturm, auf deren westlicher Seite das Gold der Abendsonne lag. Lange saß er da. Trauer erfüllte sein Herz; aber sie hatte einen sanfteren Charakter.

Der Mensch, der einen großen Verlust erlitten hat, sieht und fühlt zuerst nur ihn, und sein Herz leidet nur Pein. Nach und nach stellt sich ihm aber auch wieder dar, was ihm bleibt. Und sein Auge hängt daran, sein Herz findet Nahrung, sein Schmerz Linderung.

Als Georg, halb schauend, halb träumend saß, erstand ihm die Geliebte – das lebende Bild der Geliebten – in der Seele. Er sah sie, wie sie gewesen war in den holdesten Augenblicken – und sie glänzte vor ihm in der schönsten Blüte. Und auch die Freuden erstanden wieder in ihm, die er gefühlt hatte an ihrer Seite, an ihrem Herzen! Und sie durchflossen, durchschauerten und beglückten ihn wieder!

War es ein Glück voller Wehmut, so tat es ihm doch innig wohl und war ihm ein Trost.

Der beste Trost wurde ihm aber die Liebe, die er zu der Geschiedenen fühlte, jetzt wie nur jemals, und von der er wußte, daß sie nie vergehen würde!

Was wir lieben, besitzen wir. Wir besitzen es nicht ganz; und immer wieder kann eine glühende Sehnsucht nach dem völligen Besitz uns anfallen und übermannen. Aber in Momenten, wo der Geist mächtiger sich erhebt, sehen wir über das Fehlende hinweg; wir lassen uns genügen an dem Schatz der Seele, und für den Mangel des wirklichen Lebens tritt die Hoffnung auf eine Wiederkehr desselben ein.

In der Stimmung, in welche dieses wogende Spiel von Gedanken und Empfindungen unseren Georg versetzte, dachte er mit einer eigenen Genugtuung an die Andenken von der Geliebten, welche die Freundin ihm verschafft hatte. Er fühlte sich glücklich, sie zu haben! Und die Aussicht, ihr Bild nach dem Leben zu erhalten, und es bei sich aufstellen zu können, durchdrang ihn mit einer tiefen Genugtuung.

Das ist die Bedeutung der Erinnerungszeichen! Das Phantasiebild, welches in höchster Schönheit vor uns aufglänzen kann, ist nur für den Geist und besucht uns nur wie ein höheres Wesen, um wieder zu verschwinden. Aber die sinnlichen Zeichen können wir mit den Händen fassen – und sie bleiben! – Sie sind die wahre Ergänzung des Gedenkens in der Seele.

Als der junge Mann nach Hause kam, fiel den teilnehmenden Herzen sein gefaßtes Wesen auf. Sie ließen sich von ihm sagen, wo er gewesen, und freuten sich der wenn auch melancholischen Ruhe, womit er auf alles Antwort gab. Er verlangte die Arbeiten Rebeckas, welche Sophie in einem Schrank aufbewahrt hatte, und schlug sie in Papier ein, um sie mit in seine Kammer zu nehmen. – Zum erstenmal fand er hier einen längeren und ruhigeren Schlaf.

Am andern Morgen nahm er von der Familie Abschied. Er sagte allen seinen Dank aufs herzlichste und konnte sich kaum genug tun; und sie entließen ihn »auf baldiges Wiedersehen!« Im lichten Sonnenschein ging er den Fußweg über die frischgrünen Wiesen und am Felde hin nach Hause. In seinem Hof erblickte er den Vater, der an einem Leiterwagen etwas zurecht machte. Er rief ihm den Gruß des Tages zu. Der Alte, nachdem er aufgesehen, ging ihm entgegen, gab ihm die Hand, sprach von dem Unglück, das ihn getroffen, und sagte ihm Worte des Trostes. Es waren die gewöhnlichen Gründe und Ermahnungen, aber sie kamen aus einem so guten Herzen, daß Georg mit Rührung zuhörte.

Beide miteinander gingen in die Stube zur Mutter. Georg trat stumm auf die Entgegenkommende zu, faßte aber ihre Rechte und drückte sie so sprechend, daß sie ihn gleich verstand. »Ich dank' dir,« rief er aus tiefer Seele; »du weißt, wofür!«

Die Frau schaute ihn an – und in ihre Augen kamen Tränen. Die Zärtlichkeit, die sie so lange zurückgehalten hatte, drang jetzt unaufhaltsam in ihr hervor und gab sich in Händedrücken und Worten innigen Bedauerns kund. Unheil und Herzeleid auf der einen – Schuldgefühl und Reue auf der andern Seite hatten die getrennten Seelen wieder zusammengeführt und enger verbunden als vorher.

Die Bäuerin war in der Tat verwandelt; ihr besseres Ich war dauernd emporgekommen. – Sie hatte sich in ihren Gedanken eine Schwiegertochter erwählt gehabt und für sie gekämpft, solange es möglich war. Der Widerwille gegen die Erkorene des Sohnes wurde aber durch reinere Erkenntnis besiegt, und nun blieb sie mit derselben Entschiedenheit auf dieser Seite. Die Gefühle, die von da an in ihr herrschten, machten ihre Züge nicht nur milder, sondern gaben ihr auch eine Anmut, wie sie ihr früher nicht eigen gewesen.

»Was hast du denn da?« sagte sie auf das Päckchen deutend, das Georg unterm Arme gebracht und auf die Wandbank gelegt hatte. Der Sohn wickelte die Krause und den Schneller heraus und zeigte sie der Mutter. »Es sind die letzten Arbeiten meiner seligen Braut,« bemerkte er. »Die Sophie hat sie sich von der Mutter für mich geben lassen!«

Die Haselbäuerin nahm die Krause, betrachtete sie und nickte Beifall. Das Gespinst anfühlend, sagte sie: »Der Faden ist fein und gleich, als ob er von Seide wäre! Sie hat's verstanden!« Nach kurzem Schweigen, mit einem Seufzer, murmelte sie: »Es ist schade!«

»O Mutter!« rief der Sohn, indem er sie bei der Hand faßte. »Ja freilich, es ist schade!«

An demselben Tag sollte der Bursch noch etwas nicht Erwartetes und seinem Herzen Wohltuendes erleben. Er ging gegen die Vesperzeit in seinen Garten, der an den Anger des Baches grenzte, wandelte herum und stellte sich endlich in den Schatten eines alten Apfelbaumes von breiten und herabhängenden Ästen, der in der Nähe des Nachbargartens stand. Da sah er, über den niedrigen Zaun hin, zwei Mädchen vom oberen Dorf herabkommen, deren Zusammengehen ihn überraschen mußte; es war die Marev' und Margrete Weidner. Vor der Türe des Nachbargartens blieben sie stehen. Georg, von ihnen unbemerkt, konnte sie sehen und hören. Und er hörte Dinge, die ihm eigen ins Ohr klingen mußten!

Sie waren mitten in einem Gespräch begriffen, und sie sprachen von ihm und von der Verstorbenen und kürzlich Begrabenen, was freilich nahe lag.

»So ist der Mensch eben nichts!« sagte Margrete mit einem eigenen Ernst. »Ich für meine Person hab' kein schöneres Mädchen gekannt als die Rebeck'. Und wie ich sie zum letztenmal gesehen hab', vor vier Wochen, in Nördlingen, hat sie noch ausgeschaut wie 's Leben! Jetzt liegt sie im Grab! – Ich kann mir den Kummer des Hansjörg denken,« fuhr sie nach kurzem Schweigen fort. »Er hat sie über die Maßen gern gehabt, das sieht man aus allem; und wer sie gekannt hat, der begreift's auch! – Aber so geht's in der Welt! Was man am liebsten hat, muß man verlieren!«

Indem sie die letzten Worte sprach, hatte ihre Stimme einen traurigen Klang und es sah fast aus, als ob ihr Tränen in die Augen gekommen seien.

Dieses Mitgefühl in dem Herzen der Guten müssen wir erklären. Sie selbst hatte einen Verlust erlitten! Ihr zweiter Bruder, an dem sie zärtlich gehangen hatte, war trotz ihrer aufopfernden Pflege vor kurzem gestorben; – und die durch eigene Trauer weiche Seele war nun um so empfänglicher für das Leid eines andern.

Was die Neigung betraf, die sie Georg früher zugewendet hatte, so war sie nach dem Bekanntwerden seines Verhältnisses mit Rebecka, wenn nicht ganz vergangen, doch verwandelt in eine Art freundschaftlichen Gernsehens. In dieser Beziehung finden einfache, natürliche Menschen und wackere Herzen gar bald das Rechte. Den Burschen, der einer andern gehörte, konnte Margrete nicht mehr zum Mann haben – auf ihn konnte sie nicht mehr hoffen, ihn sah sie daher auch nicht mehr an, wie man einen ansieht, den man heiraten kann. Das Gefühl ihrer Seele konnte damit nach und nach gar wohl ein anderes werden. Sie konnte noch immer ein Wohlgefallen an Georg haben, aber ohne leidenschaftliches Verlangen; und sie konnte ihn, der für sie nicht mehr in Betracht kam, derjenigen gönnen, der er nun einmal gehören wollte. Die erste Nachricht über den Vorrang, welcher der andern zuteil geworden, hatte ihr gar nicht wohlgetan, vielmehr, wenn wir es recht sagen wollen, ihr unvorbereitetes Herz tief betrübt. Aber das war nun lange überwunden, und ihre Ergebung in die vollendete Tatsache war ihr schon zur Gewohnheit, zur andern Natur geworden.

Die Marev', die von ganz andern Empfindungen bewegt war, sagte mit einem Klang von Spott: »Du sprichst ja, als ob du dich ganz besonders darüber grämtest, daß die Rebeck' gestorben ist!«

»Sie dauert mich wirklich,« entgegnete Margrete. »Und der Hansjörg noch mehr!«

»Aber,« versetzte die Marev', »den hast du ja selber einmal gern gesehen?«

»Ist das eine Folge, daß er mich jetzt nicht dauern sollt'? Im Gegenteil – gerade deswegen! – Hast du denn gar kein Mitleid mit ihm?«

Maria Eva schwieg. Dann sagte sie: »Mir hat er's gar zu arg gemacht! Mich hat er gar zu sehr gekränkt! Und wenn er nun auch Kummer hat, wie ich ihn gehabt hab', dann geschieht's ihm recht!«

»Du trägst's ihm noch immer nach?« versetzte Margrete.

»Ich kann mir nicht helfen!« erwiderte jene. Und mit bitterem Munde setzte sie hinzu: »Ich bin eben keine so gute Seele wie du!«

Margrete zuckte ein wenig die Achsel. »Von uns,« entgegnete sie, »ist eben jede, wie sie ist; und ich will mich nicht anders haben, als ich bin.«

»B'hüt dich Gott!« rief die Marev' mit einem Kopfnicken von oben herab und trat durch die Türe in ihren Garten. Margrete ging allein weiter.

Georg sah ihr nach. »Das ist ein gutes Mädchen!« sagte er zu sich. »Von der Marev' wundert mich nicht, was sie gesagt hat; jedes Wort sieht ihr gleich. Aber daß man so gut sein kann wie die Margret, das hab' ich kaum geglaubt! – Es ist doch was Schönes um ein solches Herz; und sie hat recht, daß sie sich nicht anders haben will, als sie ist!«


XVIII.

Ein Jahr verfloß.

Wir wollen das Gemütsleben Georgs und das Gedenken an Rebecka nicht weiter ausmalen. Die Zeit übte auch auf ihn ihre beruhigende Macht; aber sie lehrte ihn freilich nur Ergebung, keinen neuen frischen Lebensmut. In sich gekehrt, von wenig Worten, melancholisch ging er seinem Geschäft nach. Lärmende Zusammenkünfte mit Kameraden und Lustbarkeiten mied er gänzlich; am liebsten waren ihm einsame Spaziergänge.

Auf diesen fiel er nicht selten in ein leidenschaftliches Gefühl seines Verlustes zurück, und sein zürnendes Herz belangte das Schicksal. »Warum,« rief er, »mußte gerad' ich dieses Unglück haben? Warum mußte gerad' mir die Braut sterben? Etwa deswegen, weil ich sie am meisten geliebt habe, und sie mich? – Wir haben treu zusammengehalten und alles ausgehalten, um endlich zusammenzukommen; und wie's gewonnen war – wie nichts mehr für uns übrig blieb, als glücklich zu sein, da stirbt sie! Das ist wahrlich, als wär's mit Fleiß so eingerichtet worden! – Ach, ich hab's ja gewußt: zum Glück bin ich nicht auf der Welt, und unser Herrgott scheint nicht sehr viel auf mich zu geben! – Eine kurze Zeit ist schön gewesen; aber jetzt muß ich sie büßen und jede Minute des Glücks mit einer Marter zahlen. – Traurige Welt! Armseliges Leben!«

Wie der Mensch aber in guten Tagen bedrückende, bängliche Gefühle haben kann, so lassen die schlimmen auch erhebende, stärkende in ihm aufkommen; und dieser Wechsel allein erhält ihn.

Unserem beraubten Freund wurden sogar Augenblicke wirklicher Befriedigung zuteil. Der Vetter Hofschreiner hatte ihm auf seinen Wunsch einen polierten Schreibeschrank gefertigt. Diesen stellte er in der oberen Stube auf, und mitten in der Trauer war es ihm eine Freude, die Reliquien Rebeckas in dem Hauptfach so schön bewahren zu können. Einen Teil der lichtbraunen Haare hatte er vom Goldarbeiter zu Nördlingen in einen Ring flechten lassen, den er trug. Die größte Genugtuung empfand er aber, als der Bildhauer den nach der Totenmaske ausgeführten Kopf der Geliebten überbrachte. Die Stelle auf dem Schrank war vom Hofschreiner vorgesehen; man setzte das Bildnis auf, stellte es ins beste Licht – und dem Bauernsohne fehlten auch die Tröstungen der Kunst nicht!

Das Versprechen, das er der Sterbenden gegeben, ihre Familie zu besuchen, erfüllte er treulichst. Am meisten war da natürlich von Rebecka die Rede. Georg ließ sich von Mutter und Schwester erzählen, was er vom Leben der Verstorbenen noch nicht wußte; und sie teilten ihm Züge mit, welche seine Kenntnis ihres Wesens bereicherten, aber freilich dem Bild, das er von ihr in der Seele trug, nur weitere Zierden liehen. Wie oft wurde hier das Wort der Haselbäuerin wiederholt: »Es ist schade!« Wie oft kamen den guten Leuten Tränen in die Augen, während Georg mit wallender Seele düster saß und eine Anklage gegen die Vorsehung in sich kaum unterdrücken konnte!

An Feiertagen wallfahrte er zum Grabe der Geliebten. Er selbst hatte angegeben, mit welchen Blumen der Hügel bepflanzt werden müßte; und noch im Spätsommer ward ihm die Genugtuung, diese ausgeschlagen und die Ruhestatt vor den übrigen durch ihren Schmuck ausgezeichnet zu sehen.

Das andere Ziel seiner Besuche blieb das Freundeshaus in Wallerstein. Hier überwog in den Gesprächen bald das befreiende, stärkende Element, indem der Kandidat ihnen eine Richtung in die Moral, um nicht zu sagen in die Philosophie zu geben wußte. Im Winter setzte Georg das Singen mit Sophie, das Klavierspiel und das Bücherlesen fort; und er machte die Erfahrung, daß er nach seinen Erlebnissen in Lust und Leid die Werke der Dichtkunst viel besser aufzufassen vermochte wie zuvor! Mit dem Willen seiner Eltern schaffte er sich selbst ein Klavier an, brachte es in die obere Stube und spielte und sang in Stunden der Muße – vor dem Bildnis Rebeckas!

Beim ersten Wiedersehen nach jenen schweren Tagen hatte er der jungen Freundin die belauschte Unterredung zwischen der Marev' und Margrete mitgeteilt. Sophie erwiderte: »Daran erkenn' ich sie beide. Was ist aber das Margretle für ein gutes Ding! Und sie weiß es selber nicht! – Es freut mich, daß ich mit ihr Geschwisterkind bin! Solche, mein lieber Freund, gibt's nicht viele!« – »Nein,« versetzte Georg mit Humor, »sondern äußerst wenige!«

Der Frühling erschien mit sanften und lieblichen Tagen. Der Beginn der schönen Jahreszeit wirkt auf tiefere Gemüter, wie das schon öfters bemerkt worden ist, keine fröhliche Stimmung. Das allgemeine Erwachen der Natur regt auch in ihnen Gefühle der Hoffnung an; aber sie wissen: die rings ergossene Schönheit, gekommen wie im Traum, wird wieder vergehen wie im Traum; – und sie denken an die Flüchtigkeit aller irdischen Güter, an die Hinfälligkeit ihrer eigenen Besitztümer.

Das Herz erweichen und die Gefühle mildern, – die Trauer gelinde, ja süß machen, das kann der Frühling! Und diesen Liebesdienst leistete er auch unserem Georg. In gewissen Momenten träumender Vertiefung sprang dieser, der wegen seines Geschicks mit Gott gerechtet hatte, sogar auf die entgegengesetzte Seite über – und, von den Bildern der Erinnerung wundersam beglückt und ergriffen, dankte er Gott, daß er ihn die seligen Tage mit der Geliebten doch habe erleben lassen, wenn sie auch sobald ein Ende genommen! »Es wäre ja auch möglich gewesen,« fuhr er fort, »daß ich sie gar nicht kennen gelernt hätte! Und wozu wär ich dann auf der Welt gewesen?«

Die Erinnerung des Liebenden auch an die verlorene Geliebte ist immer noch ein Glück! Es ist ein großes, rührendes Glück des Lebenden, durch die erstaunliche Gabe der Einbildungskraft sie, die lebensvoll geblüht hat, für sich wieder erwecken zu können – mit ihr reden und von ihren Lippen die holdesten Worte hören zu können! Das ist Poesie – die Poesie des Gedenkens! – Und sie hatte unser begabter Freund in den schönen Tagen, wo der Schwarzdorn am Wege blüht und die Lerche singend in den Himmel steigt, in reichem Maße!

Mit seinen Eltern lebte er durchaus in Frieden. Sie ließen ihn gehen und der Ökonomie vorstehen: sie wußten, wie gut sie versorgt waren! Die Reden, die sie an ihn richteten, hatten jetzt einen herzlicheren Klang, als selbst in den Tagen vor ihrem Streit mit ihm. Auf den früheren Plan mit der Nachbarstochter kam auch die Mutter nicht mit der leisesten Anspielung mehr zurück. Maria Eva war noch immer, Georg wieder frei; aber wenn den Eltern die Verbindung auch jetzt noch wünschenswert erschienen wäre, sie hätten um alles nicht gewagt, es gegen den Sohn auszusprechen! Wie sehr sie Bauern waren, sie erkannten doch in ihrer Seele, daß man ihm, welcher die Braut verloren hatte, die er über alles liebte, nicht zumuten könnte, die Ungeliebte zur Frau zu nehmen!

Im Monat Mai feierten Ludwig und Christine ihre Hochzeit, die hauptsächlich wegen der Trauer um Rebecka vom Herbst auf das Frühjahr verschoben worden war. Georg wohnte ihr als Gast bei. Aber er blieb in seinem dunkeln Gewande den ganzen Tag und tanzte nicht. Unter den weiblichen Gästen befand sich auch Margrete. Als er an diese in der Stube, in welche vom Tanzboden her Musik und Jauchzen erscholl, einige Worte richtete, sagte sie: »Du machst dich heute nicht lustig, Hansjörg? Ich begreifs wohl, und es gefällt mir von dir.« – Georg erwiderte: »Du verstehst mich, das weiß ich schon länger. – Wenn ich mit einer tanzte, tät ich's mit dir, Margret. Aber –« Er schüttelte den Kopf. – »Ich tanz' auch nicht,« versetzte das Mädchen. »Ich bin noch in der Trauer um meinen Bruder – und ich spür' auch gar keine Lust dazu!«

Im Laufe des Sommers besuchte der Bursch häufig die jungen Gatten. Sie lebten vergnügt, wie das bei ihren Charakteren vorauszusehen war. Einmal, an einem Sonntag abends, traf er die Bäuerin allein. Das Gespräch kam auf das eheliche Leben, und Christine rühmte ihren »Bauer«, wie gut er mit ihr sei. Dann, mit einem Lächeln, das nicht ganz ohne Befangenheit war, schaute sie zu ihm auf und sagte: »Wie steht's denn aber mit dir, Hansjörg? Hat man dir noch keine neue angetragen?«

Georg sah sie an – und machte eine Bewegung des Unmuts. Sein Auge funkelte beinahe zornig. »Ich wollt's keinem raten!« rief er.

Der Blick, den Christine nun auf ihn richtete, hatte etwas herzlich Erkenntliches. Dann sagte sie: »Es ist eine Ehre für meine selige Schwester, daß du sie in so gutem Andenken behältst; und ich,« fuhr sie fort, ihm die Hand reichend, »ich dank' dir dafür! Aber heiraten, Hansjörg, mußt du zuletzt doch! Das geht nicht, daß du ohne Frau bleibst – du, der einzige Sohn, ja das einzige Kind! – Du brauchst ja deswegen meine Rebeck' nicht zu vergessen! Das ist gar nicht nötig! – Auch ich,« setzte sie mit feuchtgewordenen Augen hinzu, »ich vergesse sie nicht! Mitten in meinem Glück denk' ich an sie – und das Wasser kommt mir in die Augen. Sie ist gar zu gut und gar zu lieb gewesen!«

»Also laßt mich in Ruhe mit euren Fragen!« rief Georg mit Heftigkeit. »Wenn's dir so ist, dann kannst du dir denken, wie's mir ist! – Reden wir nicht mehr davon!« –

Ein weiteres Vierteljahr ging hin. Eines Morgens, da Mutter und Sohn im Kanzley noch beim Frühstück saßen (es war in der Mitte des November), begann jene mit einem bedeutsamen Blick: »Weißt du, Hansjörg, was heut' für ein Tag ist?«

Der Bursch besann sich. »Ach ja,« rief er.

»Und hast du auch bedacht,« fuhr die Mutter fort, »wie alt du heut' wirst?«

»Das macht mir keine Sorge!« entgegnete der Sohn.

»Aber mir, mein lieber Bub', macht's nach und nach Sorge! Mir und deinem Vater! – Du lebst so dahin und redest nicht und deutest nicht! – Glaubst du denn, daß das so fortgehen kann? Du wirst doch hoffentlich kein alter Junggesell werden wollen?«

»Mutter, ich bitte dich –«

»Hansjörg,« fuhr die Bäuerin mit Ernst fort, »das hilft dich jetzt nichts mehr! Länger dürfen wir's nimmer so mit ansehen! Endlich müssen wir reden von der Sach'!«

Georg warf einen argwöhnischen Blick auf die Mutter. Diese verstand ihn sogleich. »Da hab' keine Sorg'!« entgegnete sie. » Die kannst du jetzt gar nicht mehr haben! Sie ist versprochen – sie heiratet ihren Vetter Gottlieb.«

»Gottlob!« versetzte der Bursch nicht ohne Laune.

»Aber es gibt ja noch andere! Hier bei uns und auswärts! – Schau dich endlich um – es ist hohe Zeit! Wir reden dir nichts mehr ein. Wir vertrauen dir, daß du uns nicht zumuten wirst, eine Schwiegertochter ins Haus zu nehmen, deren wir uns schämen müßten. Also bring uns nur eine nach deinem Herzen; aber bring uns eine!«

Georg schwieg. Endlich sagte er: »Der Gedanke will mir nicht in den Kopf!«

Die Mutter fuhr ordentlich erschrocken auf. »Aber willst du denn gar nicht mehr heiraten?« rief sie erregt und heftig.

»Das will ich nicht sagen,« erwiderte der Sohn. »Aber für jetzt fühl' ich nicht die geringste Lust dazu – und zwingen will ich mich nicht. – Bezähm deine Ungeduld, Mutter! Du kommst damit nicht schneller zu deinem Zweck, das kann ich dir versichern! – Warten wir eben alle zwei, bis wir das, was sein muß, selber wollen und auch wirklich tun können!«


XIX.

Für jeden gibt es in der Welt ein Schicksal, und dieses erfüllt sich zuletzt. Auf das Meinen und Fühlen des Menschen in einem gewissen Zeitmoment kommt es dabei nicht an. Es kann einer verzweifeln zu müssen glauben und in der Tat nichts mehr hoffen. Aber es wartet im Leben doch noch ein Ziel auf ihn – ein schönes, wünschenswertes, ja segensreiches Ziel; und wenn die andern Bedingungen zustimmen, so wird er endlich zu ihm hingeführt werden.

Wir wissen schon jetzt: wenn Georg ein Weib nahm, dann suchte er es nicht auswärts. Sollte er die Geliebte seiner Jugend, die Holdeste, die seine Augen jemals gesehen, nicht zur Ehefrau haben, dann konnte dies nur die Beste werden, die er kennen gelernt hatte. Eine so schöne Jungfrau wie Rebecka gab es nicht mehr. Hätte er sie aber finden können, er hätte sie nicht gesucht! Eine so schöne wie Rebecka wollte er nicht mehr haben. Diese sollte ihm stets die Schönste bleiben von allen, und keine sollte sich neben sie stellen können. Darum, wenn er heiraten mußte (und sein Stand und seine Sohnespflicht allerdings nötigten ihn dazu!) – dann konnte er nur diejenige nehmen, die der Verlornen, wenn auch nicht an Liebreiz, doch an Herzensgüte gleichkam und eine festere Gesundheit und einen gleichmäßig frohen Humor vor ihr voraus hatte.

Da für die Wahl Margretes die besten, ja alle Gründe sprachen, so war der Entschluß Georgs nur noch eine Frage der Zeit. Und als noch ein ferneres halbes Jahr vergangen war, im Beginn des nächsten Sommers, wurde er gefaßt.

Wir dürfen nicht verschweigen, daß dabei der kluge alte Haselbauer seine Hand mit im Spiele hatte. Margrete war nach dem Tode ihrer beiden Stiefbrüder, als jetzt einziges Kind ihrer Eltern, auch die beste Partie für den Sohn, welcher durch diese Heirat nochmal die Anwartschaft auf zwei Bauernhöfe erhielt. Wie nun der Alte zu merken begann, daß Georg die Margrete schätzte und sie mit einer andern Art grüßte, als sonst eine im Dorf, da zog er den Schluß, daß man ihn noch am ersten zur Heirat mit dieser bringen könnte! Und er faßte sich kurz und ging zum alten Weidner, um die Möglichkeit der Verbindung mit ihm ins Auge zu fassen.

Der Bruder der Hofschreinerin war nicht einer der begütertsten, wohl aber einer der geschicktesten Bauern in der Gegend. Er gehörte zu jenen Landleuten, denen der Bauernstand nicht nur der liebste ist, sondern die ihn ganz treuherzig auch für den ehrenvollsten und schönsten von allen erklären können. Darum zählte er – trotz dem, was er Schmerzliches erfahren hatte – zu den glücklichen Menschen; und schon jetzt hatte er auch wieder das Aussehen eines solchen.

Der Vorschlag des Haselbauern leuchtete ihm augenblicklich ein. Er lächelte, während er seine »Ramsnase« etwas einzog, mit großem Behagen, und zugleich mit einer gewissen Schlauheit. Den »Vetter« begriff er vollkommen; denn zum Haselbauernhof noch den Weidnershof zu bekommen, und damit einer der ersten Männer im Ries zu werden, das konnte sich der Hansjörg wohl gefallen lassen! – Aber grad' dem gönnte er auch seinen Hof und sein Kind. Zwar gefiel ihm an dem jungen Menschen gar nicht alles. Daß dieser Klavier spielte, wie ein Schullehrer, und Bücher las, wie ein Pfarrer, und in seinem Anzug über seinen Stand hinauswollte, das hatte seinen Beifall keineswegs. Aber daß er trotzdem seine Felder so gut baute, wie er, der Weidner, die seinigen, das war doch eine große Tugend – das war eigentlich die Hauptsache – und so einem konnte er seine Margret anvertrauen.

Nach einigen »Hms« versetzte er: »Das könnte sich am End' machen, Vetter Haselbauer! Die Meine wird wohl nichts dagegen haben; und was die Margret betrifft, so hängt sie an keinem andern – sie hat dazu noch gar keine Zeit gehabt! – und ich möcht' fast glauben, als ob sie nicht ganz ungern Haselbäuerin würde. – Du siehst, ich bin aufrichtig. Aber bevor ich mehr sag', muß ich natürlich erst mit meinen Weibsleuten reden.«

Der Vater Georgs wußte genug und verabschiedete sich.

Der Weidner teilte den Gedanken zuerst seiner Bäuerin allein mit und fügte hinzu, daß diese Heirat seinen ganzen Beifall habe.

Die Frau, eine mittelgroße, rundwangige, noch immer wohl aussehende Person, war höchlich erfreut. Sie erklärte den Antrag für ein großes Glück und ging sogleich fort, die Tochter zu holen. »Was meinst du?« rief sie dieser zu, als sie mit ihr wieder vor dem Alten stand, – »was glaubst du, daß dein Vater mit dir im Sinn hat?«

Margrete schaute sie und den Vater an. »Wie kann ich das wissen?« entgegnete sie, nicht ohne Bewegung.

»Er will dich zur Haselbäuerin machen!« versetzte die Mutter grad' heraus.

Das Mädchen fuhr zusammen, wurde rot über und über und stand in förmlicher Bestürzung da. Endlich rief sie: »Hat der Hansjörg –?« Mehr kam nicht aus ihrem Munde.

»Der Hansjörg selber hat nichts gesagt,« begann jetzt der Weidner. »Aber sein Vater ist bei mir gewesen und hat angefragt.«

»Sein Vater!« entgegnete Margrete mit dem Ton einer Enttäuschten.

»Nun,« versetzte die Mutter, »das ist doch wohl grad' soviel?«

Margrete schwieg. Das Glück, das plötzlich vor ihrer Seele gaukelte, war ihr zu groß; sie trug Scheu – sie wehrte sich, daran zu glauben.

»Aber so sei doch nicht ungescheit!« fuhr die Bäuerin mit einer Stimme fast des Unwillens fort. »Glaubst du denn, wenn der Alte dich für seinen Sohn verlangt, dann hat er mit dem noch nicht drüber gesprochen?«

Margrete blieb stumm. Ihre Brust hob sich.

»Aber, Mutter,« sagte jetzt der Bauer mit entsprechender Andeutung seiner wahren Meinung, »du verstehst sie vielleicht falsch! Vielleicht macht sie nur so ein Gesicht und will nicht 'raus mit der Sprach', weil sie den Hansjörg nicht mag!«

»O je!« rief die Bäuerin. »Schon als Kind ist der ihr der liebste gewesen von allen!«

»Das kann sein,« entgegnete der Alte. »Aber das kann ihr jetzt wieder vergangen sein! – Nun,« fuhr er zu der Tochter mit aller Überlegenheit und Sicherheit des Kenners fort, »wie steht's mit dir, Margret? Wenn's also nicht nur der Haselbauer wollte, sondern auch sein Sohn, der Hansjörg – würdest du sagen: ich mag nicht?«

Die Tochter schüttelte den Kopf, und ihr Mund begann zu lächeln.

»Also,« fuhr jener fort, »zwingen müßten wir dich nicht dazu, scheint's?«

»Jawohl gar!« versetzte die Bäuerin. »Schau sie nur an!« Und zu Margrete sagte sie: »Du brauchst nicht zu reden! Was du denkst, das sieht man!«

Und in der Tat, aus dem Angesicht und aus den Augen der Jungfrau leuchtete die Freude wie eine Sonne. Jetzt, wenn er sie gesehen, würde Georg sie nicht nur für gut, sondern auch für schön erklärt haben!

Der Vater, der sein Kind zärtlich liebte, nahm sie bei der Hand und sagte mit einer Herzlichkeit, aus welcher die ganze Rührung seiner Seele herausklang: »Wir sind im reinen, wie ich seh'! – Bald, hoff' ich, wird die ganze Sache im reinen sein, – und dann geb' Gott seinen Segen dazu!«

Am selben Tage noch suchte er den Vater Georgs auf, und sagte zu ihm: »Vetter Haselbauer, ich hab' mit meinen Weibsleuten gesprochen! Meiner Bäuerin ist's recht – und meiner Tochter auch!«

»Das freut mich!« rief der andere und schüttelte ihm die Hand, indem er ihn hochvergnügt ansah.

Der Weidner, mit einem nicht minder zufriedenen Blick, fuhr fort: »Wenn dein Sohn meine Margret so gern hat, wie sie ihn, dann gibt's eine gute Haushaltung.«

»Mein Sohn,« beteuerte der Haselbauer, »schätzt keine mehr als deine Margret, das weiß ich ganz bestimmt!«

»Nun so sag ihm unsere Antwort! Dann wollen wir die Sache richtig machen – und auf den Herbst eine fröhliche Hochzeit feiern!«

Der Haselbauer ging vom Anger, wo die Unterredung stattgefunden hatte, eilig nach Hause zu seiner Frau und teilte ihr, gegen die er bis jetzt geschwiegen hatte, sein Unternehmen und den bisherigen Erfolg mit. Die Bäuerin war sehr verwundert und sagte: »Sieh, sieh – du bist ein Schlauer!«

Jetzt, wo Margrete den Weidnershof erbte, stieß sich die Mutter nicht mehr an den Umstand, daß sie einen Kopf kleiner war als die Marev'; ihr Gesicht klärte sich vollkommen auf und sie rief: »Ja, ja, das ist die Rechte! Die paßt herein in unsern Hof! Sie paßt zu mir und zu dir und zum Hansjörg! Aber – ob sie der auch wirklich mag?«

»Das wollen wir gleich sehen,« erwiderte der Bauer. – Er ging in den Hof und kam nach einer Weile mit dem Sohn ins Kanzley zurück.

»Hansjörg,« sagte er hier mit allem Ansehen eines Vaters, »es ist endlich Zeit, daß du unsern Hof übernimmst und heiratest. Zwingen wollen wir dich zu keiner – du hast die Wahl. Aber sagen will ich dir nur, daß du eine haben kannst, die ich und deine Mutter für die beste halten – die Tochter des Weidner.«

Georg war betroffen und schwieg. Aber seine Miene drückte keinen Widerspruch aus.

»Hast du etwas gegen sie?« fuhr der Alte fort. »So red!«

Georg, mit großem Ernst, versetzte: »Wenn ich einmal heiraten soll, dann weiß ich mir jetzt auch keine bessere, wie eben die! In Gott's Namen also! Sein muß es und ihr wollt's haben: so verlang sie denn für mich, Vater, und mach's mit den Leuten richtig! Ich will dann tun, was mir obliegt – und ich glaub', ich werd' nicht unglücklich dabei fahren!«

»Glücklich wirst du mit ihr hausen,« rief die Mutter, – »wenn jemals einer glücklich gehaust hat! – Gott sei Dank! Endlich sind wir am Ziel!«


XX.

In der Mitte des September, an einem Dienstag, war in unserem Dorf alles in froher Bewegung. Die breite Gasse, die vom ersten Wirtshaus in die Kirche führte, war auf beiden Seiten von Weibern und Kindern besetzt, unter denen sich diesmal auch mehr als gewöhnlich Männer und Ledige und sogar Herren und Damen aus Wallerstein befanden. Alle, indem sie sich mit verschiedenartigen Reden zu unterhalten suchten, harrten der Dinge, die da kommen sollten. Der Gegenstand ihrer Neugierde ließ länger auf sich warten, als sie gemeint hatten; und endlich wurde auf den Gesichtern eine gewisse Ungeduld bemerklich. Glücklicherweise schien die Sonne durch den weißen Schleier dünner Wölkchen gedämpft, und in erquickender Luft konnte man einstweilen, in Ermanglung eines Besseren, sich wechselseitig selber mustern.

Unter den Harrenden in der Nähe des Wirtshauses standen auch alte Bekannte von uns – die drei Söldnerstöchter, welche die Frage, die jetzt ihre Entscheidung fand, zuerst in Betracht genommen hatten. Sie waren (um dies nebenbei zu erwähnen) mit ihren respektiven Burschen noch immer nicht verheiratet, ließen sich aber deswegen keinen Kummer ansehen, und jetzt zeigten ihre Gesichter neben der herkömmlichen Zufriedenheit nur noch ein großes Verlangen nach dem zu hoffenden Schauspiel.

Plötzlich schlugen die Glocken auf dem Kirchturm zusammen. Rechts und links ließen sich Ausrufe der Genugtuung hören, und die Augen richteten sich mit Spannung gegen das Wirtshaus.

Der Hochzeitszug, den man so sehr zu schauen begehrte, war in der Tat kein gewöhnlicher.

Eröffnet wurde er durch acht Musikanten, die einen stattlichen Marsch bliesen. Ihnen folgte der Geistliche mit dem Schullehrer, und hinter diesen erschien der Bräutigam zwischen seinem Vater und seinem Taufpaten. Unser Georg (denn von ihm ist die Rede!) – in schwarzem Tuchrock und rundem Hut, ging mit einer Miene, die man feierlich erregt nennen konnte, indem er weder rechts noch links sah. Nach ihm kamen die männlichen Hochzeitsgäste, je zwei und zwei, ein Geleite bildend, wie man es bei ähnlichen Gelegenheiten so groß kaum noch gesehen hatte.

An der Spitze der Frauen erschien die Braut, Margrete Weidner, gleichfalls, protestantischer Sitte gemäß, in dunklem Gewande, aber das braune Haar mit dem reichsten Jungfern-Horbet geschmückt. Ihre Züge drückten die tiefe Freude ihres Herzens aus. Die Blicke der Zuschauer richteten sich auf sie mit herzlichem Anteil und sichtlichem Vergnügen; aber kaum weniger, ja in gewissem Betracht noch mehr Interesse flößten ihre Begleiterinnen ein. Denn von wem wurde unsere Bauerntochter in die Mitte genommen und in die Kirche geführt? Von den beiden höchstgestellten Frauen des Gaues, wenn wir die fürstlichen und freiherrlichen Damen ausnehmen: von der Frau Landrichterin und der Frau Rentamtmännin der Stadt Nördlingen! Dies war unerhört, ist auch ohne Zweifel im Ries das einzige Beispiel geblieben, und mußte, je weiter sich der Zug vorwärts bewegte, steigende Verwunderung und respektvolles Murmeln zur Folge haben.

Der »Hochzeitknecht« mit blankem Säbel und die »Hochzeitmagd« kamen hinter den dreien, und ihnen schloß eine entsprechend lange Reihe von Frauen und Jungfrauen sich an. Unmittelbar hinter der Hochzeitmagd, neben Christine, ging Sophie.

Die Zuschauer aus Wallerstein, unter denen sich der Hofschreiner mit seiner Gattin befand, und ein Teil dörflicher Weiber folgten dem Zug in die Kirche.

Als die letzten Hochzeitsgäste an den Söldnerstöchtern vorübergezogen waren, sagte die Schlanke zu den Kamrädinnen (der Anzug der Braut und anderer war schon vorher besprochen!) mit einem gewissen Ernst: »Das hätt' von uns keine mehr geglaubt, daß es doch noch die Margret werden sollte!«

»Sie selber nicht!« versetzte die Blonde. »Aber in dieser Welt geschieht gar oft das Wunderbare! Grad' die, die ans Glück nicht mehr denken, die haben's!«

»Sie freut sich darüber!« bemerkte die Braune. »Die alte Lieb' ist ganz wieder in der Höh' – sie kann's gar nicht verbergen! – Aber der Hansjörg, muß ich schon sagen, hat mir ein bißchen zu ernsthaft ausgesehen!«

Die Schlanke warf einen Blick des Tadels auf sie. »Das ist doch wohl natürlich bei dem!« entgegnete sie. »Dem sein Gesicht hab' ich mir nicht anders vorgestellt! Wenn er sich jetzt freute, wär's gar nicht passend!«

»Das wohl!« erwiderte jene. »Aber alles hat sein' Sach'! So gern, wie sie ihn hat, hat er sie lange nicht!«

»Das wär' auch schwer!« versetzte die Schlanke. »Aber sie kann recht wohl zufrieden sein, wenn's auch etwas weniger ist. – Eine Ehre ist ihr heut' schon widerfahren, wie sie bei uns 'rum noch nicht vorgekommen ist, – sie hat sich aber auch kaum recht aufzuschauen getraut! – Die Frau Landrichterin und die Frau Rentamtmännin! Was doch der alte Haselbauer alles machen und mit welchen Leuten der sich gut stellen kann!«

Die beiden andern nickten beifällig. Dann, mit einem Lächeln, sagte die Braune: »Heut' nacht also?«

»Kommen wir natürlich zum ›Ansing‹. Tanzen wir eben an andrer Leut' Hochzeiten, weil von uns doch immer noch keine zu der ihrigen kommt!«

»Der Jungfernstand,« versetzte die Braune schelmisch, »hat auch sein Schönes!«

Das Fest wollen wir nicht beschreiben. Es war überaus glänzend und dauerte nach damaliger Sitte zwei Tage. Am zweiten, wo die junge Frau »unter der Haube« im Wirtshaus erschien, gab der alte Haselbauer seinen Gönnern und Freunden aus Nördlingen und Wallerstein ein Freimahl.

Wir haben nur noch einen kleinen Rückblick zu werfen auf die erste Unterredung des Paares, die nach der Verständigung zwischen den Eltern statthatte. Die jungen Leute befanden sich an einem Sonntag nachmittags im Garten des Weidner. »Margret,« begann hier der Bursch, »du weißt, was zwischen unsern Eltern ausgemacht worden ist. Ich sag' dir's auch von mir aus: ich kenn' keine, die ich lieber hätte und lieber zum Weib nähme, wie dich! Aber die Rebeck', die meine Braut gewesen und mir gestorben ist, kann ich nicht vergessen! Ich will dir's jetzt schon ehrlich sagen, die behalt' ich im Andenken, wie sie's um mich verdient hat, und du, wenn du meine Frau bist, darfst mir das nicht übelnehmen.«

Der herzliche Ton rührte das gute Mädchen. »Das tät' mir selber nicht gefallen von dir,« erwiderte sie, »wenn du die Rebeck' vergessen könntest! Ich weiß, daß es nicht möglich ist, und ich begehr's nicht. Wenn du mich nur daneben auch ein bißchen gern hast!«

Bei diesen Worten sah sie ihn mit ihren graublauen Augen so treuherzig, mit einem so hoffenden Lächeln an, daß der Bursch ihre Hand ergriff und lebhaft rief: »Das tu' ich, Margret, sonst würd' ich dich nicht heiraten! Und wenn du so gut bleibst, dann werd' ich dich nur immer lieber haben – das weiß ich und das kann ich dir versprechen. – Ich bin ein aparter Mensch und denk' nicht in allen Stücken wie andere Leute. Laß mir aber nur meine Weis', und wir werden glücklich miteinander leben!«

* * *

Im wesentlichen, in den Grenzen des irdischen Daseins, erfüllten sich diese Hoffnungen.

Der junge Haselbauer führte mit seiner Bäuerin ein angesehenes Leben in Tätigkeit und Wohlstand. Seine Eltern bezogen die obere Stube; und da der jetzige Eigentümer die Ökonomie noch kräftiger in die Hand nahm, als unter dem Vater, so redete dieser ihm nur sehr selten etwas ein und begnügte sich, bei gewissen Arbeiten zu helfen. – In der gegenwärtigen Muse frönte der Alte mehr und mehr seinem Hange zum Bücherlesen und zur Dichtkunst; die noch übrige Zeit aber benützte er, um durch stets erneuerte Rechnungen die Nummern zu finden, die in der Lotterie herauszukommen Aussicht gewährten. Alle Papiere und Briefe, die mit einer unbeschriebenen Seite ins Haus kamen, wurden mit Zahlen bedeckt. Allein in diesen Rechnungen mußten Fehler nicht ganz vermieden worden sein, denn ein Jahr ums andere verging, ohne daß in die obere Stube irgend ein Gewinn kam. Das Opfer, das unser »Austrägler« hiermit brachte, war indes ein wohlbemessenes und im Vergleich zu den Zinsen, die er aus seinen Kapitalien bezog, unbedeutendes. Das Vergnügen der Hoffnung, das er immer wieder genoß, überwog die kleine Ausgabe bei weitem.

Ebensogut wie der jetzige Haselbauer bei solcher Teilung der Arbeit mit dem alten, kam die junge Bäuerin mit der Schwiegermutter aus. Das Verhältnis war aber hier einigermaßen umgekehrt, indem die junge die Erfahrung der alten bescheiden anrief und ihrer mütterlichen Autorität gerne sich fügte, bis die eigene Stärke in der Führung des Hauswesens den Beistand überflüssig machte. Da hatte aber die Betagte den guten Takt, ihre Belehrung zurückzuhalten und ihrerseits die Anordnungen der Gereiften, wenn sie darum ersucht wurde, behaglich ausführen zu helfen. Mit entschiedenen Naturen, wenn man sich wohl mit ihnen gestellt hat, ist immer am besten zu leben.

Der Charakter Georgs entwickelte sich konsequent. Da er viel mit Wallersteinern und Nördlingern umging, so kleidete er sich wie sie; der Hofschneider der Residenz war auch der seine. Desgleichen bildete er sich zu einem der besten Schützen des Rieses aus und fehlte auf keinem Schießen, das in der Gegend abgehalten wurde. Seine Felder gehörten aber trotzdem zu den bestgebauten und ergiebigsten; und so ergab sich denn auch der alte Weidner in die unbäuerlichen Gewohnheiten des Schwiegersohns, wenn auch nicht ohne wiederholtes Kopfschütteln. Georg hielt seinen Hof nicht nur in Stand, er verbesserte ihn, trieb auch Bienenzucht und Gartenkultur und machte nach landwirtschaftlichen Büchern, wie sie damals erschienen, Versuche, um probehaltige Neuerungen bei sich einzuführen. Nicht lange, so wählte man ihn zum Ortsvorsteher, und er versah dieses Amt mit einem Nachdruck und einer Uneigennützigkeit, wie man sie in seiner Sphäre selten treffen mag.

Natürlich war es, daß die Neigung zum Herrschen, die in ihm lag, sich unter diesen Umständen immer mehr entwickelte. Und da war's gut, daß ihm in seiner Frau eine ebenso große Neigung, zu dienen und sich zu fügen, entgegenkam! So hausten sie zusammen, wie sie sich's verheißen und wie sie's erwartet hatten. Die Kinder, welche die Gattin dem Manne schenkte, gediehen, wuchsen gesund heran, lernten unter nachdrücklichem Antreiben des Vaters alles, was sie zu ihrem Stande bedurften, und endlich hatten die Eltern die Freude, sie alle nach Wunsch versorgt zu sehen.

Margrete, als Weib Georgs, hielt die Zusage, die sie dem Bräutigam erteilt hatte: ihm sein Andenken an die verstorbene Geliebte nicht übel zu nehmen. Eins aber ging doch über ihre Kräfte; und hier war der Gatte genötigt, ihr nachzugeben. Als nämlich der junge Bauer aus der oberen Stube ziehen mußte, hatte er seinen Schreibeschrank ins Kanzley gesetzt und den Kopf Rebeckas wieder oben auf ihm angebracht. Nun würde das junge Weib es noch ertragen haben, das Bildnis der Verlebten so ausgezeichnet zu sehen, wenn auch die Art, wie Georg es manchmal betrachtete, einen Widerstreit der Gefühle in ihr hervorrief, der ihr nichts weniger als wohl tat. Allein an Feiertagen kamen Besuche und schauten das Bild an und ließen sich darüber Auskunft geben und schüttelten nach erhaltener Antwort mit ländlichem Bedenken den Kopf; – und alles das brachte die Gute in oft erneuerte Verlegenheit und hinterließ in ihr bedrückende Gefühle. An sich war ein solches Andenken in einem Bauernhause ganz ungewöhnlich; eine solche Verehrung begriff niemand; und verschiedene Basen entnahmen daraus nicht nur, sondern deuteten es auch merklich genug an: daß der junge Haselbauer die verstorbene Geliebte noch immer lieber habe als sein lebendes Weib! Da nun in dem ganzen Benehmen Georgs, nach Verfluß einer gewissen Zeit, jene Ruhe sich einzustellen begann, welche junge Frauen nicht immer zu würdigen vermögen, so wurde die unsere traurig, glaubte von ihrem Manne nicht mehr geschätzt zu sein, und vergoß hier und da eine Träne.

Der Gatte bemerkte es, ahnte den Grund, erlangte durch die Art ihres Leugnens Gewißheit – und ging wieder einmal um Rat nach Wallerstein zu der Freundin. Er beschwerte sich gegen Sophie über sein Weib; aber die Unparteiische versetzte: das hieße von einer Bäuerin zu viel verlangen, – und sie selber, wenn sie in ähnlichem Falle wäre, könnte gar nicht für sich gutstehen. Der Friede des Hauses wäre denn doch die Hauptsache, und sie rate ihm daher, das Bildnis der Seligen ihren Eltern zu übergeben.

Georg folgte der Verständigen und schaffte den Kopf Rebeckas ins Nachbardorf. Und auch die Kreuzbäuerin, nachdem sie denselben mit Rührung betrachtet hatte, meinte: sie könne es der jungen Haselbäuerin am Ende nicht übelnehmen und begreife hier eine kleine Eifersucht. Der Kopf sei bei ihr am besten aufgehoben, und Georg solle nur, um ihn anzusehen, recht oft zu ihr kommen!

Bald nach der glücklichen Beilegung dieser Angelegenheit erhielt der »Kandidat« vom fürstlichen Haus eine Pfarrei mitten im Ries und Sophie wurde Frau Pfarrerin. Die Freundschaft zwischen ihr und Georg hielt in allen Verhältnissen aus. Die Familien statteten sich in der guten Jahreszeit wechselsweis Besuche ab, freuten sich ihres Gedeihens und teilten sich alle wichtigen Ereignisse des Hauses mit.

Schon vor der Hochzeit der Sophie hatte Maria Eva ihren Vetter Gottlieb geheiratet. Man wird es gewiß gerne hören, wenn wir der Wahrheit gemäß berichten, daß sie mit diesem ebensogut gepaart war, als Georg mit Margret, indem ihrem gebieterischen Wesen in ihm eine große Gutmütigkeit entsprach, welche um des Friedens willen in der Regel nachzugeben wußte. Auch die Verheiratete benahm sich gegen Georg immer sehr gemessen; sie konnte ihm nie ganz vergeben, weil sich ihr Herz nie ganz von ihm loszumachen vermochte. Ihre Bekanntschaft mit der jüngeren Margrete reifte zwischen den Nachbarinnen allmählich zu guter Freundschaft; und da das Küchenfenster der Haselbäuerin auf den Garten der Schwanerin ging, so fand durch dasselbe gar manche wichtige Herzensergießung ihren Weg. Wie sich übrigens im Innersten der Maria Eva das Gefühl ihrer Jugend forterhielt, zeigte sich noch spät, als der Haselbauer seinen Erstgebornen zur Wanderung in die Welt ausrüstete. Die Nachbarin half dabei einen ganzen Tag und bewies einen Eifer und eine mütterliche Sorge für den jungen Burschen, welche dem Vater endlich das Herz rührte. Als sie nun Abschied nehmen wollte, trat er auf sie zu, gab ihr die Hand und dankte für ihre Freundschaft. Seine Stimme war bewegt, seine Miene ernst, man hätte sagen mögen, befangen. In ihren Zügen aber ging ein Schein auf, der ihre Seele verriet. Während ihr Mund, was sie getan, für gering erklärte, sagte der Ausdruck ihres Gesichts: »Ich, die von dir sehr gekränkt worden ist, habe dir doch nicht Böses mit Bösem vergolten; – ich habe Lieb' und Freundschaft bewiesen gegen deinen Sohn – ich bin besser als du glaubst, und als du je geglaubt hast!« –

Zu gleicher Zeit mit dem jungen Haselbauer wurde Ludwig in die Gemeindeverwaltung als der nächste nach ihm, als »Heiligenpfleger« gewählt. Obwohl sie nicht verschwägert werden sollten, hielten die Jugendfreunde doch treu zusammen, kämpften gemeinschaftlich für ihren Ort, führten und gewannen Prozesse und waren sich noch am Abend ihres Lebens der gelungenen Taten mit Stolz bewußt.

Für einen Bauer lebte Georg ein reiches Leben, indem er einem unversieglichen Drange zur Tätigkeit genügte. Wie sehr ihn aber seine vielfachen Beziehungen in Anspruch nehmen mochten, immer blieb das Andenken an Rebecka – (wenn wir das Wort im natürlichen, schlichten Sinne nehmen wollen) die Poesie seines Lebens. Nachdem er übergeben hatte und von seinem wohlerworbenen Vermögen lebte, übte er neuerdings das »Klavierschlagen« und versetzte sich durch das Spiel der alten Lieder und Tänze in die schöne, vielbewegte Zeit der Jugend zurück. Die Geschichte dieser Zeit schrieb er nieder. Er erlebte noch das erste Erscheinen der »Erzählungen aus dem Ries«, die in dem Gau selber bei den Lesefähigen große Teilnahme fanden, und wußte es dem Autor Dank, daß ihn die Hauptfigur in einer derselben an Rebecka erinnerte. So einem glaubte er seine Aufzeichnungen anvertrauen zu dürfen; und er tat es – wenn auch nicht in der Absicht, damit selber eine »Erzählung aus dem Ries« zu veranlassen. Hätte der Novellist aber eine wirkliche Geschichte, die so schön und rührend – so poetisch an sich ist, nicht auch in die Form der Poesie bringen sollen? Wenn ihm dies nur gelungen ist, dann werden ihn die teilnehmenden Leser wohl freundlich absolvieren.

 

Druck von Hesse & Becker in Leipzig.

 


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