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Gleich und Gleich.


I.

Es war an einem Sonntag, um die Mittagszeit, als ein junger Bauer aus dem Laubholz trat, das sich auf einer südwestlich gelegenen Anhöhe gegen das offene Feld hinabsenkte. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Der Bursche zog die Joppe, die er im Walde getragen, herunter, legte sie auf Schultern und Rücken und ging, das Gesicht von seinem Hute beschattet, mit einem tüchtigen, braungebeizten Knotenstock in der Rechten, den Fußpfad weiter.

Wenn ich den Burschen jung nannte, so geschah es nach unseren Begriffen. In den Augen des Dorfes näherte er sich einigermaßen dem »alten Junggesellen«, d. h. er stand in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre.

Man konnte ihn für älter halten, als er war. Die Wangen hatten nichts mehr von der glatten Rundung der ersten Jugend; die Haut trug die Spuren von angestrengter Arbeit im Freien, in den Gegensätzen der Witterung; aber die braunrote Farbe verriet Manneskraft und eine feste Gesundheit.

Die Gestalt war ziemlich groß, Brust und Schultern breit, die Glieder stark ebenso durch Knochen wie durch Muskeln. Sein Gesicht hatte einen eigentümlichen Ausdruck. Der Grundzug war eine große Gutmütigkeit. Mit ihr und einer gewissen ehrlichen Einfalt sah aber Verstand und Humor aus dem braunen Auge hervor und zugleich deutete ein nachdenkliches Wesen auf ein inneres Leben. Wer ihn recht betrachtete, der mußte sehen, daß er keinen gewöhnlichen Menschen vor sich habe.

Gottfried Stöckle war aus einem Weiler, der an der Grenze des Gaues hart am Walde lag, und sein mäßiges Besitztum bestand großenteils aus Holz. Er hatte den Schulunterricht im nächsten Pfarrdorfe genossen, später zu einer kleinen Verbindung von Frommen gehalten, die sich dort zusammengetan, sich aber wieder von ihnen getrennt, weil sie leidenschaftlicher waren, als es seine ruhige Natur gutheißen konnte. Von da an ging er seinen Weg im Leben allein fort. Nach dem Tode seines Vaters und der Verheiratung zweier Schwestern hauste er mit seiner Mutter und befand sich wohl dabei. Den Tag verbrachte er mit Arbeit, wobei er seinem Kopf die Unterhaltung, deren er bedurfte, durch Denken und Träumen verschaffte. In freien Zeiten las er allerlei, Geistliches und Weltliches, oder er ging unter die Leute und machte sich das Vergnügen, auf ihre Art und ihre Manieren zu merken. Im Gespräch zeigte er gelegentlich einen natürlichen Belehrungstrieb und eine Offenheit, welche eine Milderung durch sein gutmütiges Wesen sehr nötig hatte. Wenn er mit alledem gewissen Spottvögeln auch Anlaß zu Neckereien gab, die nicht immer sehr fein waren, so fand er in der Regel die nötigen Antworten und mußte, um sich zu schützen, niemals an seine Faust appellieren. Seine näheren Bekannten hatten ihn ohne Ausnahme gern und schätzten ihn. Sprach man von ihm, so setzte man gewöhnlich hinzu: 's ist ein braver Mensch!

Es hatte seine Beschwerden, in der Mittagshitze, bei ruhender Luft, durch Wiesen und Felder hinzugehen; aber unser Bursche achtete kaum darauf und wischte sich nur hier und da mechanisch den Schweiß aus dem Gesicht. Mit vergnügten Sinnen betrachtete er das duftende Heu, das hier und dort schon zum Einführen am nächsten Tag in kleinen Haufen bereit lag – die herrlichen Saaten, aus deren Grün oder Graugrün rote Mohn- und blaue Kornblumen hervorsahen; und über das empfängliche Gemüt kam etwas von dem Zauber, den dieser Anblick auf poetische Seelen zu üben pflegt. – Ein Lächeln seines Mundes verkündigte, daß noch andere Gedanken ihn beschäftigten.

Er hatte zwei Stunden in der Sonne zu gehen; aber er machte den Weg gern, denn er besuchte in Geschäften eine reiche Bauernfamilie, die früher ihren Hof in dem Dorf hatte, zu dem sein Weiler gehörte, und er sah bei Gelegenheit die Tochter wieder, mit der er in jener Zeit gute Freundschaft gehalten.

Bei dieser Erwartung konnte er sich der angenehmsten Empfindung nicht erwehren. Sophie, die Tochter des jetzigen Rothenbauers Kohl, hatte während der Schulzeit und noch einige Jahre später ein ganz besonderes Zutrauen gegen ihn bewiesen. Sie ihrerseits war ihm stets als das Muster einer Bauerntochter erschienen. Wenn bei dem Abstand, der den wenig Bemittelten von der Erbin eines der Großen im Ries trennte, an ein zärtliches Verhältnis nicht zu denken war, so fühlte er zuletzt doch um so mehr gegen sie, was man »Verehrung« hätte nennen können. Er kam, solange sie in dem Nachbardorf wohnten, oft in ihr Haus, half im Sommer zuweilen bei der Ernte und gewann durch sein bescheidenes Wesen und durch seinen Fleiß auch die Gunst der Eltern. Seit acht Jahren hatten diese in einem Dorf, das fast mitten im Ries, im fruchtbarsten Gelände lag, den größten Hof an sich gebracht; Sophie war, um »etwas zu lernen«, längere Zeit bei einer Base, Müllerin in einer fränkischen Stadt, gewesen und erst vor einem Jahre, nach dem plötzlichen Tode ihrer Mutter, zurückgekehrt. Bei dem Leichenbegängnis hatte Gottfried sie nur gesehen, um zu kondolieren, und seitdem war er zufällig nicht wieder mit ihr zusammengetroffen. Da hoffte er nun an dem Sonntag, wo ihn eine Holzbestellung des Rothenbauers wieder ins Haus führte, alter Zeiten gedenken und sich recht von Herzen mit ihr ausschwätzen zu können.

Wenn man Sophie nach alledem für eine Schönheit halten zu müssen glaubte, würde man irren. Sie war ein stattliches Mädchen mit ziemlich hoher Stirn; ihr Gesicht, das dem ihres Vaters ähnelte, hatte aber mehr Bedeutung und Würde als Liebreiz. Die Farbe war nach dem landesüblichen Ausdruck »schwarz«, d. h. bei braunen Haaren dunkler als gewöhnlich; und wenn das alte Volkslied auch die »schwarzbraunen Dirndel« sehr hochhält, so findet man jetzt doch diejenigen schöner, die ein Gesicht haben wie »Milch und Blut«. Der klare Verstand, die Überlegenheit, die sie leicht zeigen konnte, und die Abwesenheit jeder Art von ländlichem Schöntun konnten das Mädchen dem gewöhnlichen Bursch nicht reizender erscheinen lassen, wenn auch ihr Wuchs untadelig und Schultern und Brust sehr wohlgebildet waren! – Es war eben eine von denen, die, um erkannt zu werden, von dem Rechten gesehen werden müssen! Wenn man sie vertraulich zu machen und ihren Beifall zu erlangen wußte, dann kam ein Blick aus ihrem Auge, der so gut war, daß er in die Seele traf; und das Gefühl, das sie belebte, verschönte dann ihr Gesicht, so daß es nicht nur weiblicher, sondern recht eigentlich lieb erscheinen konnte.

Gottfried gehörte zu denen, die sie verstanden, weil er ein Mensch war, der bei eigener Bravheit das gute Herz und den wackeren Sinn vor allem schön und liebenswert fand. Mit gleichem Schritte Fuß- und Feldwege hinwandelnd, lebte er nun so in seiner Seele, daß die sich weiter öffnende Gegend und die mehr hervortretenden schönen Punkte derselben nur zuweilen einen Blick von ihm erhielten. Er erinnerte sich an Erlebnisse mit dem Mädchen, die, wie gewöhnlich an sich, für ihn bedeutend waren; er hatte die Güte vor Augen, wie sie ihm ihr ganzes Vertrauen, ja nach seiner Meinung ihre Vorliebe zu erkennen gab, und seine Freude, sie wiederzusehen, wuchs in einer Weise, daß sie ihm zuletzt selber bedenklich erschien.

»Ich bin ein Narr,« sagte er zu sich selbst. »Was ist das nur auf einmal? – Es wär' kein Wunder, die Sophie ging' mich etwas an!«

Er schwieg. Nach einer Weile fuhr er fort: »Ob sie wohl noch so freundlich ist gegen mich wie vorzeiten? – Sie ist jetzt vierundzwanzig vorbei, und eigentlich ist's zu verwundern, daß sie noch nicht geheiratet ist! – Nun, sie kann freilich »wählen« und zusehen, wenn sie der ledige Stand noch freut – sie kriegt hundert für einen! – Und jeder gefällt der nicht! Sie ist zu gescheit und hat ihren Kopf! – – Und im Grund, ich kenn' auch keinen, den ich für gut genug hielt' für sie!«

Der brave Gottfried dachte nicht im entferntesten an sich selbst. Er bildete auch nicht im geheimen, im Innern seiner Seele den Wunsch aus, ihr Auge auf sich zu ziehen. Daß die Sophie nicht für ihn war, das verstand sich von selbst, und er war nicht der Mann, sich das Unmögliche vorzuspiegeln. – Er wollte sie jetzt nur sehen und freundliche Reden von ihr hören. Wenn sie dabei auch ein wenig vornehm tat, so störte ihn dies nicht. Denn es kam ihr zu, und von ihr konnte er sich's gefallen lassen.

Das gute Gewissen, das ihm diese Gefühle gaben, ließ unseren Holzländer und Söldner ruhig in das endlich erreichte Dorf eintreten. Hätte er »unverschämte« Gedanken gehabt, dann würde sein Herz geklopft haben wie ein Hammer, und er wäre blutrot geworden für sich allein. Aber er war bescheiden auch im Stillen seiner Seele, und das gab ihm den Mut, mit stattlichen Schritten dem Hof entgegenzugehen.

Er verdiente, gut empfangen zu werden, – und er erwartete es! – Wenn er sich täuschte – denn am Ende, wie können die Menschen sich nicht ändern? – dann machte er mit dem Alten sein Geschäft ab, und man sah ihn in dem Hause nicht wieder. Denn was ihn von andern Leuten nicht verdrossen hätte, – von diesen verdroß es ihn, und er konnte es nicht ertragen.

Durch das offene Hoftor kam er ohne Geräusch in den Tennen des ansehnlichen Hauses und von da in die Stube. Als er in diese eintrat, sah er ein Mädchen mit dem Gesicht dem Fenster zugekehrt; – es war die Sophie! – Sie kehrte sich um, erkannte ihn und stieß einen Schrei des Vergnügens aus. »Gottfried!« rief sie, indem sie auf ihn zuging und ihm die Hand gab! – »sieh, das ist schön von dir, daß du wieder einmal zu uns kommst! – Ich hab' dich ja eine Ewigkeit nicht gesehen! Was machst du denn immer? – Aber jetzt setz dich, du wirst müd' sein. – Und – mit was kann ich aufwarten?«

Der Bursche war ordentlich bestürzt über die Freundlichkeit und die Lebhaftigkeit des Mädchens. Aber bald fand er sich drein und lächelte mit halboffenem Munde sehr glücklich. »Es freut mich recht, Sophie,« erwiderte er, »daß du noch die alte bist gegen mich!«

»Das hast du doch hoffentlich nicht anders gedacht?« versetzte das Mädchen. »Du weißt ja, wieviel wir immer aufeinander gehalten haben!«

»Ja,« sagte Gottfried lächelnd. »Das ist aber lange her!«

»Um so mehr freut man sich, wenn man sich wiedersieht!«

Gottfried sah sie an, seine Augen glänzten.

»Du bist also noch allweil so gut,« rief er, »wie du gewesen bist?«

»Ich hoff', das ändert sich nicht, wenn man älter wird!«

»Ist doch schon vorgekommen,« meinte er.

»Bei mir nicht,« erwiderte sie mit einem angenehmen Ausdruck von Selbstgefühl. »Auf wen ich einmal was halt', von dem fall' ich nicht mehr ab!– – Aber setz dich jetzt! – An den Tisch! Und sag, was du magst! – Der Vater ist im Garten und wird bald hereinkommen.«

Gottfried setzte sich; und weil sie's denn doch nicht anders tat, so gestand er endlich, daß ihm Weißbier jetzt am liebsten wäre. – Die Magd wurde ins Wirtshaus geschickt, und Sophie nahm bei dem Gast am Tische Platz.

Nachdem sie nochmal einen Blick auf ihn geworfen hatte, sagte sie: »Du siehst gut aus, Gottfried! – Ein bißchen« – Sie hielt lächelnd inne.

»Alt bin ich geworden, meinst? – Was willst du! Ich geh' ins siebenundzwanzigste!«

»An dem Alter hast du noch nicht schwer zu tragen!« versetzte sie. »Ich hab' auch nur gemeint: älter bist ein wenig geworden! – Ich hab' zurückgedacht an die Zeit, wo wir noch miteinander in die Schul' gegangen sind und in die Sonntagsschul'!« – Sie schwieg. Dann sagte sie, nicht ohne einen Zug von Laune um ihren Mund: »Du haust noch allweil mit deiner Mutter?«

»Noch allweil,« antwortete Gottfried. »Und gern! – Bist doch du,« fuhr er nach einem etwas schelmischen Blick auf sie fort, »auch noch ledig! Und du kannst hundertmal eher einen Mann kriegen als ich ein Weib! – Eigentlich ist's zum Verwundern, daß du noch keinen hast!«

»Ach,« erwiderte sie heiter, »das hat noch immer Zeit!«

»Am längsten wird's doch gewährt haben!«

Sophie lachte. »Das freilich,« erwiderte sie.

Die Magd kam mit dem Maßkrug, Gottfried erquickte sich durch einen tüchtigen Trunk, aß von dem trefflichen Weißbrot, das ihm Sophie dazu aufschnitt, und fühlte sich in tiefster Seele behaglich.

Er sah in der Stube umher, die ihm sonderbar schon vorkam. Sie war seit kurzem renoviert. Die Wände frisch geweißt, die Bänke und das Kanzley glänzend mit brauner Ölfarbe bestrichen und der Fußboden neu gedielt, so daß der Fegsand darauf zur feinsten Glätte gekehrt werden konnte. – Die Fenster mußten erst gestern gewaschen worden sein, so hell waren sie! Auf dem Sims der beiden, die auf die Gasse gingen, standen Blumenstöcke; nicht nur Geranien, sondern auch Nelken und Gelbveigelein. Das alles war so prächtig und doch so heimlich! – Da war seine Stube, die Mutter mochte darin aufräumen, wie sie wollte, doch nur eine alte »Gruft-Kammer« dagegen!

Eben wollte er aussprechen, was er dachte, als ihm Sophie mit einer Rede zuvorkam. Mit ruhigem Lächeln sagte sie: »Weißt du noch, wie du dem Schustermathes eine Ohrfeig' gegeben hast wegen mir?«

Gottfried schaute sie vergnügt an. »Sie hat ihm auch gehört!« versetzte er. »Er hat dich ›Suffel‹ geheißen, der unverschämte Kerl! Dein Nam' ist ›Suffie‹. Suffel ist eine Beleidigung für dich! – Und er hat's noch dazu bös gemeint! Er wollte dich schimpfen! – Ich weiß auch gut, warum!«

Sophie wurde bei diesen Worten ein wenig rot. Denn in der Tat hatte der Schustermathes ein Aug' auf sie, die vornehme Bauerntochter, und fiel ihr mit Zärtlichkeiten lästig, die sie abwies; – ihn aber ärgerte dies um so mehr, als er wahrnahm, daß der Gottfried bei ihr wohl dran war, und er schimpfte sie nun aus Eifersucht! – – Nach einer Weile fuhr sie heiter fort: »Es wäre dir aber fast schlecht bekommen damals! Wenn dir zuletzt der Hans nicht geholfen hätte!«

»Sie fielen zu fünft über mich her,« sagte Gottfried, mit Selbstgefühl nickend; »der Mathes und seine Kameraden! – Aber eine Weile hätt' ich's doch noch ausgehalten!«

»Du Händelsucher!« entgegnete das Mädchen schalkhaft.

»Geh weiter!« versetzte er. »Ich mach' kein Wässerlein trüb und lass' mir eh'r was gefallen! – Aber einem Mädle kann ich nichts tun lassen! – Und es hat mich doch gefreut, wie wir dann mit den Buben fertig geworden sind, und du hast mir die Hand gegeben und dich bei mir bedankt! – Das hat ihn erst noch am meisten geärgert, den Mathes! Ich seh' ihn noch hergucken – mit Augen wie ein böser Hund, der Schläge gekriegt hat! – Er hat mir's auch nie vergeben können!«

Sophie saß mit einem Ausdruck frohen Sinnens da. »Was das für Sachen sind!« rief sie dann. »Ich bin damals noch nicht elf Jahr alt gewesen; – und es ist mir grad, als ob's gestern passiert wär'! – Was ist denn aus dem Mathes geworden?«

»Er haust im Hertsfeld droben! – Es will aber nicht viel heißen mit ihm! – Er ist eben allweil noch der hoffärtige Mathes! – Und das geht einem nicht durch, wenn man von den Leuten leben muß!«

Sophie nickte. Dann, wie mit einem Hintergedanken, sagte sie: »Da ist einer gewesen, der damals immer mit ihm gegangen ist – des Märtenbauers Ludwig!«

»Aha,« rief Gottfried mit einem Aufleuchten von Schlauheit. »Der hat's später noch besser vorgehabt mit dir!«

»Was macht er jetzt?« fragte das Mädchen ausweichend. »Er haust im Kesseltal, wie ich höre?«

»Und ist ein Geizhals,« fügte Gottfried geringschätzig hinzu.

»Was du nicht sagst!« rief Sophie.

»Manche Menschen,« fuhr Gottfried fort, »können eben nicht bei der Zeil' bleiben! – Ich begreif' den einen nicht und den andern auch nicht. Was hat einer davon, wenn er mehr aus sich macht als er ist? Jeder merkt's – und lacht ihn aus. Und gar nun geizig sein! Sich nichts vergönnen und anderen auch nichts und Geld zusammenscharren und sein Herz ans Zeitliche hängen! Als ob wir nicht zuletzt alle davonmüßten!«

»So einer,« bemerkte Sophie, »denkt eben an seine Kinder!«

»Nickt immer!« rief Gottfried. »Beim rechten Geizkragen ist's die Frag', ob er sich nicht darüber ärgert, daß die's zuletzt kriegen! – Beim Ludwig ist's aber bloß das Geld! Denn der hat gar keine Kinder – und wird auch keine mehr kriegen!«

»Dann ist er wahrlich ein Narr!« versetzte das Mädchen.

»Das mein' ich auch!« erwiderte Gottfried.

Sophie betrachtete den Jugendfreund; dann sagte sie beifällig: »Du bist immer der Gleiche! – Du hast sogar deine Manieren noch, und dein Gesicht ist noch grad so wie vor zehn Jahren!«

»Ausgenommen, daß es alt geworden ist!« entgegnete der Bursch mit Laune.

»'s geht immer noch für ein junges!« tröstete das Mädchen. – »Und du lebst zufrieden?«

»Gott sei Dank!« erwiderte er. »Ich hab' meine Freud' an meinem Sach' und an meiner Arbeit. Meine Mutter ist gut gegen mich, die Nachbarsleut' auch, und gesund bin ich, daß ich gar nicht weiß, was Kranksein heißt. – Was will ich mehr?«

»Da können dir,« entgegnete Sophie lächelnd, »deine Freund' nichts mehr wünschen, als daß du noch eine Frau bekommst, die's gut mit dir meint!«

»'s ist zu wünschen,« erwiderte Gottfried. – »Aber mir eilt's auch noch nicht! – Ein Jahr oder zwei kann ich schon noch warten, – so alt ich auch bin!«

Die Tür ging auf und herein trat der Rothenbauer. Er war im vollen Sonntagsstaat. Die Fischotterkappe von ungewöhnlicher Höhe des Pelzes etwas tief auf die Stirn gesetzt und in einem glänzenden Barchentrock zeigte er den behaglichen Stolz, der den reichen Bauer charakterisiert, zumal an einem Feiertag, wo er Zeit hat, sich seiner Vorzüge bewußt zu werden! – Auch er begrüßte den Gast, welcher aufstand und ihm entgegenging, mit einem frohen Ausruf, der aber ein wenig den Klang der Herablassung hatte. »Du bist akkurat,« setzte er hinzu.

»Meine Schuldigkeit,« erwiderte der Bursch.

»Nun,« sagte der Alte zu seiner Tochter gewendet, »was hast ihm denn aufgewartet, unserem alten Bekannten? Er ist über zwei Stunden in der Hitz' gelaufen; und so einem Holzländer, der sich meistens im Wald aufhält, dem tut die Hitz' weher als unsereinem!«

»Herrliches Weißbier!« antwortete der Bursche für das Mädchen.

»Er hat's gewünscht!« sagte sie.

Der Alte verzog den Mund geringschätzig. »Geh mir mit deinem weißen Bier!« entgegnete er. »Einen Trunk lass' ich mir gefallen; – und da muß man Durst haben!«

Er rief die Magd herbei, zog seinen Lederbeutel, gab ihr Geld und sagte: »Nimm den großen Krug und hol' zwei Maß Braun's!«

»Aber wegen mir –,« wandte Gottfried ein.

»Oh,« rief der Rothenbauer, »ich trink' schon auch mit! – Unser Bier ist fürnehm! Der Wirt hat einen neuen Keller gebaut und da bleibt's nicht nur besser, er siedet's auch gleich besser ein! 's ist mir lieber wie das Augsburger!« – Er sah den Gast an, lächelte und sagte: »Verkost's nur erst – es wird dir schon schmecken! – Und der Wirt hat noch mehr!«

Die Sophie schüttelte vergnügt ein wenig den Kopf. »Du red'st beinahe,« sagte sie, »als ob du im Sinn hättst, dem Gottfried einen kleinen Rausch anzuhängen', damit du wohlfeiler zu deinem Holz kommst!«

»Du G'scheite!« entgegnete der Alte, »du weißt's!« – Und zu Gottfried gewendet, fuhr er ernsthaft fort: »Das ist bei mir nicht der Brauch! Ich hab's auch nicht not! – Ich gebe, was recht ist!«

»Und ich verlang' nicht mehr,« erwiderte Gottfried.

Der Bauer sah für sich hin. »Weißt was?« sagte er, »machen wir's gleich ab und zechen wir nachher!«

Man setzte sich. Gottfried nannte die Hölzer, fügte die Preise hinzu und rechnete sie endlich zusammen. Der Rothenbauer besann sich einen Augenblick, dann sagte er: »Der Handel ist gemacht! – Und da kommt auch schon das Bier! – Schenk ein, Sophie!«

Das Mädchen füllte zwei vom Kantenbrett genommene Schoppengläser und schenkte für sich ein kleines voll. Man trank und Gottfried pries das Bier.

Der Alte lächelte. »Morgen,« sagte er, »lass' ich das Holz holen! – Ich brauch's!«

»Der Vater,« meinte die Tochter, »hat immer was zu bauen!«

Der Rothenbauer gab seinem Gesicht einen würdevoll selbstzufriedenen Ausdruck und sagte: »Ich kann nichts Lumpiges um mich leiden und nichts Wüstes. Ich muß meine Freud' haben an meinem Sach' – und andere auch, wenn sie's sehen! – So bin ich nun einmal! Und da ich's kann, so tu' ich's und lass' es machen!«

»Recht habt Ihr, Rothenbauer,« entgegnete Gottfried. »Ich seh' nicht ein, warum nur die Herren schöne Häuser haben sollen und schöne Stuben und schöne Stallungen! Der Bauer soll nicht über seinen Stand hinaus, das ist wahr; aber wenn's einer ist wie Ihr, Rothenbauer, dann ist er auch ein Herr! Von so einem ist's Schuldigkeit, daß er alles hübsch richten läßt und den Handwerksleuten auch etwas zu verdienen gibt; und wenn er's tut, muß man ihn loben. Ich bin gewiß nicht auf Hoffart aus; – aber wenn ich's hätt' wie Ihr, Rothenbauer, ich machet's grad so!«

Der Alte wurde durch diese ehrliche Zustimmung erfreut. Er sagte: »Du bist eben ein verständiger Mensch, Gottfried! – Wenn ich einen Sohn hätt', es wär' mir lieb, wenn er dir gleichen tät'!«

Durch diese schmeichelhafte Rede wurde das Herz des Burschen so wohl berührt, daß er halb verlegen schwieg.

»Mein,« fuhr der Bauer lächelnd fort, »hab' ich recht gehört oder nicht: bist du nicht einer von den Frommen bei euch drüben?«

»Ich bin ein paar Jahr',« versetzte Gottfried, »mit den Leuten umgegangen. Und 's reut mich nicht! Es ist ihnen eben doch mehr Ernst mit der Religion als den andern; und man hört da von gar vielen Dingen, wo die andern gar nicht dran denken. Aber es gibt Menschen drunter, die hitzig und übertrieben sind und am unrechten Ort ein Geschrei anheben, als ob das Haus brennte! Ich hab' einmal so einem die Meinung gesagt in aller Ordnung; da ist er zornig geworden und hat getobt: ich sei nicht entschieden, ich sei ein Lauer, der ausgespien werden müsse, und was dergleichen Reden mehr sind; und die andern, die sich vor ihm fürchteten, haben ihm recht gegeben. Da bin ich weggegangen. Es ist so eine Sach', wenn man den Jakob reden hört und den Hansirg (Johann Georg), und er tut, als ob unser Herrgott selber spräch'. Da ist denn doch noch ein Unterschied! Und wenn so einer von Demut spricht und will doch allweil vorne dran sein und andere kommandieren, da sieht man, daß der alte Adam noch lang' nicht ganz ausgetrieben ist!«

Der Rothenbauer und seine Tochter lächelten.

»Aber wahr ist wahr,« fuhr Gottfried fort, – »einen Eifer für die Religion haben sie und reden gern darüber und lassen manches, was nicht schön ist und wovon die andern meinen, es schadet ihnen nichts. Ich steh' auch wieder gut mit ihnen und les' zuweilen ein Büchle, das mir einer von ihnen gibt, mit dem ich Freund geblieben bin. Aber mitmachen kann ich nicht mehr. Ich bin eben wie ich bin. Die Welt kommt mir nicht gar so schlecht vor, wie sie gemacht wird, und,« setzte er mit gutmütiger Laune hinzu, »ich leb' noch von Herzen gern drin!«

»Du bist recht!« sagte der Rothenbauer mit würdigem Wohlwollen.

»Und der Beweis ist,« setzte die Tochter hinzu, »alle Leut' haben dich gern!«

»Das ist doch nicht ganz wahr,« entgegnete Gottfried. »Es gibt Menschen, die ich nicht leiden kann, und die können mich dann auch nicht leiden! – Es ist mir aber gar nicht unlieb!«

»Wenn dich nur die ordentlichen Leut' mögen,« versetzte der Rothenbauer. »Meinst, ich hätt' das Holz nicht auch bei einem andern bestellen können? – Du bist sonst in unser Haus gekommen; aber seit ich hier bin, haben wir uns doch wenig gesehen! Ich hab' dich aber loben hören und zwar von Leuten, auf die ich was halt'! Ich hab' gesehen, daß man Respekt hat vor dir, und hab' mir gedacht: mit dem will ich handeln!«

Nach diesen väterlich betonten Worten schenkte der Bauer die Gläser voll und sagte zu Gottfried: »Laß das Bier nicht kalt werden!« Er nahm sein Glas, stieß mit ihm an und sagte: »Du sollst leben! – Es freut einen, wenn ein alter Bekannter ein braver Bursch geworden ist!«

Die Gläser erklangen; und Gottfried, nachdem er getrunken, empfand ein Wohlgefühl, wie seit vielen Jahren nicht. Der von Herzen freundliche Willkomm, den man ihm geboten, das Lob, das man ihm zu hören gegeben, berauschten ihn ordentlich. Das schnell hineingetrunkene Braunbier tat auch seine Wirkung – es steigerte sein Lebensgefühl und seinen Mut, so daß er nun sich selbst einigermaßen wie ein anderer vorkam. In solcher Stimmung verschwinden auch für den Bescheidensten die Unterschiede des Vermögens und der äußeren Stellung; man achtet sich dem, den man über sich erblickt hat, wieder gleich, nicht nur innerlich, nach dem Geist und Charakter, sondern auch äußerlich, weil eben der Unterschied im Äußerlichen vor der Gleichheit im Geist hat zurücktreten müssen und nicht mehr empfunden wird. Man hat das Gefühl, daß ein tüchtiger Mensch des andern wert ist – und man kann zu Wagnissen verleitet werden, deren Ausgang oft weit von den gehegten Erwartungen abgeht.

Zu einem Wagnis, auch nur in Worten, konnte Gottfried allerdings nicht verlockt werden. Aber doch sah er nun mit freierem Kopf und selbstbewußterem Ausdruck umher. Er sah die Sophie an, die ihm noch nie so gut und so schön vorgekommen war, und ließ nicht nur seine Augen auf ihr ruhen, sondern diese, als die ihrigen sich ihnen zukehrten, entsandten unwillkürlich einen Strahl von Zärtlichkeit zu ihr, der zum erstenmal auch das Mädchen fühlen ließ, daß der Gottfried doch wohl noch was anderes im Sinn haben könnte als gute Freundschaft. Die Schönheit des Blickes rührte die gute Sophie; sie wurde rot und sah mit gesenktem Kopf auf den Tisch, indem ein ernstes, fast verlegenes und doch zufriedenes Lächeln um ihren Mund schimmerte, sogar ihre Brust ein wenig in Bewegung kam. Die Wahrnehmung davon konnte die Glückseligkeit des Burschen nicht mindern. Zum erstenmal erstand in ihm ein tiefes Verlangen und zugleich eine Hoffnung – und eine Möglichkeit gaukelte vor seiner Seele, gegen die sich jetzt kein Einwand mehr in ihm erhob!

Die letzten Vorgänge zwischen den jungen Leuten konnte der Alte nicht bemerken; und das war vielleicht der Grund, warum sie überhaupt statthatten. Der Rothenbauer, nachdem er sein Glas geleert hatte, war zu einem Wandschrank getreten, um einen größeren mit Geldstücken gefüllten Beutel daraus zu nehmen und den Inhalt näher zu untersuchen. Beabsichtigte er dem Burschen ein Draufgeld zu geben, oder wollte er nur den kleineren Beutel füllen, den er in der Tasche führte? Es kam nicht zur Entscheidung. Der Säckel sollte schnell wieder in den Schrank geworfen und dieser zugeschlagen werden. Auf einmal nämlich hörte man das Rollen eines Wagens, der in den Hof einfuhr; Tochter und Vater eilten ans Fenster, sahen hinaus – und stießen beide einen Schrei aus. »Die Weilerbäuerin, der Schorsch (George) und die Assessorin!« rief Sophie. – »Vater, geh hinaus! Ich muß gleich das Mädle fortschicken nach Hef'! – Glücklicherweise ist noch eine Flasche von dem süßen Wein da! – Geh, Vater! Ich komm' nach!«

Der Alte, die Ankömmlinge zu begrüßen, ging in den Hof und die Tochter in die Küche. – Gottfried war allein in der Stube.

Er stand ein wenig verlegen da. Vornehmen Besuch mußte man zwar ehren, und in der Eile kann man mit einem, der schon da ist, keine besonderen Umstände machen. Aber nicht ein einziges Wort zu ihm sagen und ihn stehen lassen! – Er kam sich plötzlich sehr gering vor, und ein dumpfes Gefühl, als ob er sich viel zu viel eingebildet haben könnte, erhob sich in ihm.

Mechanisch trat er ans Fenster und sah hinaus. Er sah die breite, wohlgenährte, prächtig angezogene Witwe, den Sohn Schorsch und die Tochter, die vor drei Jahren wegen ihrer Schönheit ein wohlhabender Landgerichtsassessor geheiratet hatte. Sie waren von ihrer Chaise abgestiegen, und der Rothenbauer tat außerordentlich freundlich mit ihnen. Der Schorsch war so schön! Er schaute mit glänzender Miene so vergnügt und so stolz darein, und der Alte schüttelte ihm die Hand und die Assessorin lächelte dazu – – mit einemmal kam dem Gottfried ein Gedanke! Es ging ihm eiskalt über den Rücken – und er fühlte plötzlich, daß er mit seinem Blick auf die Sophie und mit seiner Hoffnung eine entsetzliche Dummheit begangen habe!

Instinktmäßig ging er vom Fenster weg – hinter den Ofen. Hier blieb er stehen, indem er sich die größte Mühe gab, in nichts merken zu lassen, wie es ihm ums Herz war.

Die Tür ging auf, und herein rauschten die beiden Frauen. Der Rothenbauer mit Schorsch folgte und sprach immer noch von der Ehre, die man ihm antue!

Von Gottfried, der wie ein Dienstbote und ungefähr auch mit dem Gefühl eines solchen am Ofen stand, nahm zunächst kein Mensch Notiz. Er hatte, als die Frauen eingetreten waren, unwillkürlich grüßend genickt; aber das war nicht bemerkt, jedenfalls nicht erwidert worden, und so blieb er denn stehen wie angenagelt und gab auch seinerseits kein Lebenszeichen von sich.

Der Rothenbauer warf einen flüchtigen Blick auf ihn vom Tisch aus, wo man Platz genommen hatte; und er schien es löblich zu finden, daß er sich so schicklich zurückziehe!

Die Tür ging wieder auf, und es kam Sophie. Sie grüßte den Besuch ruhiger als der Vater, aber doch noch sehr angelegentlich. Ihre Freude, die beiden Frau Basen und den Herrn Vetter zu sehen, drückte sie in einem Ton aus, durch den Gottfried nicht umhin konnte, seine Vermutung bestätigt zu sehen. Er bemerkte daneben, daß sie einen neuen kattunenen Spenser angezogen und ihr baumwollenes Halstuch mit einem seidenen vertauscht hatte.

Als sie wieder in die Küche gehen wollte, blieb sie bei dem Burschen stehen und sagte: »Warum nimmst du denn nicht Platz am Tisch?« – »Ich steh' gut hier,« entgegnete er fast trotzig. Sophie, die notwendig den Wein und ausgeschnittenen Goglhopf hereinschicken, Kaffee machen und Küchle backen mußte, ging hinaus.

Im Grunde hätte sich Gottfried jetzt verabschieden können, denn er war fertig. Er fühlte das auch selber; aber eine Neugier hielt ihn fest, und er zauderte.

Nachdem der Wein aufgetragen, von den Gästen versucht und um vieles mehr gelobt worden war, als Kenner es gutgeheißen hätten, faßte der junge Weilerbauer unsern Burschen ins Aug', tat, als ob er ihn jetzt erst erkennte, und sagte: »Das ist ja der Stöckle! – Wie kommst denn du hierher?«

Die Verwunderung in dieser Frage klang nicht ganz höflich. Gottfried, etwas gereizt, erwiderte: »Auf meinen Füßen, Hechtfischer!«

Der junge Mensch wurde ernsthaft und verzog vornehm den Mund. Er sagte: »Das kann ich mir ungefähr denken, Stöckle, daß du nicht hergefahren bist!«

»O,« versetzte Gottfried nicht ohne Selbstgefühl, »das hätt' ich auch gekonnt, wenn ich gewollt hätt'; nur nicht in einer Chais'! – Ich bin eben ein bloßer Bauer und nicht ein halber Herr wie du!«

Diese Antwort mißfiel dem Schorsch höchlich. Obwohl die ledigen Burschen auf dem Lande einander duzen, so fühlte sich der Schwager eines Assessors doch so weit als eine Ausnahme, daß er es passend gefunden hätte, wenn Gottfried ihn per »Er« angeredet hätte; – jetzt wenigstens, wo er neben der Frau Assessorin saß! Die Art aber, wie dieser ihn einen »halben Herrn« nannte, hatte offenbar etwas Spöttisches, wie es dem Gottfried gegen ihn nicht zustand. Er erwiderte daher: »Du bist aus dem Holzland: – und das merkt man auch an deinen Manieren!«

»Meine Manier ist, daß ich sag', was ich denk',« entgegnete Gottfried und sah ihm fest ins Auge.

»Ja, ja,« fiel der Rothenbauer begütigend ein, – »der Gottfried redet eben so deutsch 'raus; er meint's aber nicht bös!«

Gottfried zuckte die Achsel und schwieg; der Schorsch beruhigte sich desgleichen und es trat Stille ein.

Die Assessorin hatte dem kleinen Wortgefecht mit heiterer Überlegenheit zugehört. Sie war nicht nur eine sehr hübsche, sondern auch eine gutmütige Person. Von dem höheren Standpunkt, auf dem sie bereits heimisch war, hatte sich ihr die Entfernung zwischen dem großen und dem kleinen Bauern oder Söldner etwas verringert, und überdies fühlte sie einen schwesterlichen Trieb, den Bruder zu necken; während daher die Mutter, der es nur um den Sohn zu tun war, mit stolz-unmutigem Gesicht dasaß und die Augenbrauen hinaufzog, sagte sie zu Gottfried: »Setzt Euch doch an den Tisch, Herr Stöckle! – Es ist Platz da für alle; und da Ihr so weit auf Euern Füßen gekommen seid, so werden sie müd' sein!«

Gottfried, nicht ohne einen Klang von Galanterie, erwiderte: »Sie sind gar zu gütig, Frau Assessorin! – Aber ich hab' mich schon ausgeruht – grad auf dem Platz, wo Sie jetzt sitzen. Ich hab' auch schon gegessen und getrunken, und der Rothenbauer und die Jungfer Sophie haben mir alle Ehr' angetan!«

Der Bursche hatte seine jetzige Situation durch Bekanntgebung der früheren unwillkürlich verbessern wollen. Der Rothenbauer, die Worte bedenkend, sah für sich hin, wandte sich dann zur Weilerbäuerin und sagte: »Ich will nämlich allerlei machen lassen in meinem Stadel und im Viehstall und hab' dazu Holz bestellt bei Gottfried. Er kann's liefern, und wir haben heute gehandelt: das ist der Grund, warum er uns besucht hat.«

Die Art, wie der Bauer die Erklärung abgab, ließ merkbar genug den Zweck durchschimmern, sich bei der Base wegen der Ehr', die er und seine Tochter dem Gottfried angetan haben sollten, vor Mißdeutung zu wahren. Der Bursche verzog unwillkürlich den Mund, und ein etwas bitteres Lächeln zuckte flüchtig darüber hin. Wenn es ihm aber wehe tat, gleichsam verleugnet zu werden, so fühlte er doch gegenüber der Schwäche des Alten eine eigene Überlegenheit, und sein Blick wurde beinahe vergnügt, weil ihm nun alles klar war! Er dachte bei sich: so sind die Menschen! Der ist von Herzen gut gegen mich gewesen und schätzt mich, und jetzt red't er doch, als ob er sich meiner schämte! Nun, ich will einem Gespräch nicht länger im Weg' sein, aus dem vielleicht heute noch ein Verspruch wird. – Sie mögen sich zusammentun, die reichen Leute! – Wenn der Rothenbauer und seine Tochter mich gekränkt haben, dann kann ich ihnen verzeihen!

Er zog aus dem Täschchen an seinen Lederhosen eine große silberne Uhr, die er von seinem Vater ererbt hatte, schaute bedächtig darauf und sagte: »Ich seh', daß ich jetzt gehen muß! – Also, Rothenbauer,« fuhr er zu diesem fort, »Ihr könnt den Wagen schicken, wann Ihr wollt! – Und den Herrschaften,« setzte er mit einem Blick auf die Familie Hechtfischer hinzu, »wünsche ich wohl zu leben und alles Glück!«

Er nahm seinen Hut, seinen Stock und wollte gehen.

Der Schorsch, aus dem der letzte Stachel noch nicht heraus war, glaubte dem Bursch nun doch noch was auf den Weg mitgeben zu sollen. Und da höhere Personen, wenn sie einen aufziehen wollen, bekanntlich nicht witzig sein müssen, sondern nur von oben her spöttisch zu tun brauchen, so sagte er jetzt: »Stolper' fein nicht auf dem Heimweg! Es ist gar ein grobes und buckeltes (buckeliges) Land gegen das Holz zu!«

»Ich bin's gewohnt,« erwiderte Gottfried geringschätzig. »Aber du, Hechtfischer, wirf nicht um! Das kann einem auch aus dem ebenen Boden passieren – wenn man zu stolz fährt!«

Der junge Weilerbauer war über diese nachdrücklich gesprochenen Worte ein wenig verhofft und sah den Gottfried an, ob er etwas Besonderes damit meinte! Als dieser aber sein gewöhnliches Gesicht machte, kehrte sein Selbstgefühl wieder. Er warf einen Blick auf ihn, der einen neuen Pfeil verhieß, und sagte mit gleichgültig sein sollender Stimme: »Du wirst nach dem guten Handel daheim beim Sonnenwirt einkehren! – Grüß ihn schön von mir!«

Gottfried schaute betroffen auf. Er war, als er noch zu den Frommen gehörte, von dem Wirt und seinen Dorfgästen einmal arg verhöhnt worden, hatte sich vor den betrunkenen Burschen zurückziehen müssen und ging seitdem nicht mehr in das Haus. Der Schorsch, wie er sich nun plötzlich erinnerte, war dabeigewesen!

Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er mit Ruhe: »Ich will's ausrichten, Hechtfischer – wenn ich einkehr'!« – Und mit einem Blick auf den Triumphierenden setzte, er hinzu: »Soll ich vielleicht sonst noch jemand grüßen in dem Ort?«

Jener kam in Verlegenheit, verlor seine Laune und erwiderte schnell: »Ich hab' sonst keinen Freund dort!«

Gottfried richtete sich auf. »Also behüt' euch Gott miteinander,« sagte er und verließ die Stube.

Ein stolzes Gefühl, in dem Kampfe, den er nicht begonnen hatte, Sieger geblieben zu sein, drückte sich auf seinem Gesicht aus.

Wie er den Fuß auf die Schwelle des Hauses setzen wollte, kam Sophie aus der Küche. »Gottfried,« rief sie mit einem Ton der Anklage, – »willst du schon fort?«

Der Bursche drehte sich um. »Mein Geschäft ist aus,« erwiderte er.

»Du hättest wohl beim Kaffee bleiben können,« fuhr das Mädchen fort. – »Komm nochmal herein,« setzte sie freundlich hinzu, »und trink eine Schal'! Er ist fertig!«

Nicht ohne einen bitteren Zug um den Mund versetzte Gottfried: »Da würd' ich deinem Vater einen schlechten Gefallen tun! – Er hat auch gar nicht gesagt, daß ich bleiben soll!«

»Er wird gemeint haben, du magst nicht bleiben,« entschuldigte die Tochter.

»Da hat er auch nicht unrecht!« versetzte Gottfried. »Die Gäste da drin sind mir zu vornehm – ich gehör' nicht zu ihnen!«

»Geh, was denkst du!« rief Sophie.

»Ich mein' auch,« fuhr der Bursche fort, »ihr werdet jetzt allein sein wollen! – Ihr scheint mir ein Geschäft zu haben, wo ich zu viel dabei bin!«

Sophie wurde ein wenig rot. »Bild dir nichts ein!« entgegnete sie.

Der Bursche sah ihr ins Gesicht. Er sah, daß sie verlegen war, den Stand der Dinge aber verbergen und ihn halten wollte, um ihn nicht zu kränken, und das rührte ihn. Seine ganze gute Natur kam wieder empor und er sagte mit einer Herzlichkeit, die förmlich sein Gesicht verschönte: »Warum soll das nicht sein, Sophie? Es ist ja ganz natürlich! – Glaub mir, kein Mensch wünscht dir mehr Glück dazu als ich!«

»Das weiß ich von dir!« entgegnete das Mädchen herzlich. – »Aber davon, was du meinst, sind wir noch weit weg!«

»Es scheint aber doch, daß man darauf zugehen will!«

»Von der anderen Seite,« erwiderte Sophie, – »'s kann sein!«

»Nun, endlich wird man auch zusammenkommen!« meinte Gottfried. Und gutmütig setzte er hinzu: »Lebe wohl, Sophie! – Ich dank' dir für die gute Aufwartung! – Adies!« – Er wandte sich, um zu gehen.

»Gottfried!« rief das Mädchen im Ton einer Gekränkten. »Geht man so fort? – Gib mir deine Hand und versprich mir, daß du bald wiederkommst!«

»Aber,« erwiderte der Bursche zögernd.

»Versprich mir's! Willst du auf einmal kein guter Freund mehr sein?«

»'s ist wahr,« sagte der Gute. »Das kann ja immer so bleiben!« – Er gab ihr die Hand.

Das Mädchen konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Und jetzt,« fuhr sie fort, weil du's doch nicht anders tust – denn ich seh' dir's an, daß du gehen willst! – behüt' dich Gott! Komm gut nach Haus und grüß' deine Mutter von mir, – recht schön!«

Gottfried nickte und ging.

Als er die Dorfgasse hinwanderte, sagte er sich: »Es ist doch ein gutes Mädchen, die Sophie! – Wenn etwas daraus wird mit dem Schorsch, dann wünscht ich von Herzen, daß nicht alles wahr ist, was ich von ihm gehört habe! – Mein Mann wär' er nicht; aber der Rothenbauer scheint sich keinen besseren Schwiegersohn zu wünschen – und er hat vielleicht recht! Es ist ein prächtig schöner Mensch, ein guter Bauer, wie man sagt, und hat die vornehmste Freundschaft im ganzen Ries. Was will man mehr? Das bißchen Leichtsinn wird ihm vergehen im Ehestand; und wenn das Heiratsgut nicht ganz so ausfällt, wie der Alte meint, so ist ja er der reiche Mann mit seiner einzigen Tochter!«

Er schwieg. Plötzlich kam ein tiefer Seufzer aus seiner Brust; über sein Gesicht ging eine Röte, und er fuhr fort: »Wenn ich nur aber wüßt', wie ein Mensch so dumm sein kann, wie ich heute gewesen bin! – An so was denken! So was für möglich halten! – Und natürlich, gegen sie hab' ich mich verraten! – Es ist nur gut, daß sie gescheit ist! Sie wird's am End' einsehen, wie einem so was passieren kann! Aber ich kann mir's nicht verzeihen.! Ich nehm' mir's übel bis zu meiner letzten Stund'! – Der Rothenbauer und seine einzige Tochter – und ich! Kott's Kreuz, ich möcht' beinah über mich selber fluchen! – Das einzige Gute ist noch dabei, daß nichts auskommen wird; denn die Sophie, die tut mir das nicht an, daß sie jemand etwas sagt! Wenn's unter die Leute käm', und es wäre nicht genug an meinem Unglück, es käm' auch noch der Spott dazu – ich ging' aus dem Land – übers Meer nüber!«


II.

Am anderen Tage fuhr der Oberknecht des Rothenbauers in den kleinen Hof Gottfried's ein, die Stämme zu holen. Unser Bursche sagte bei Gelegenheit zu ihm: »Dein Bauer ist ein Liebhaber vom Bauen!«

»No (nun),« versetzte der Knecht, »jetzt wird's aber doch bald genug sein!« – Und nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: »Der neue Rothenbauer kann zufrieden sein!«

Jener nickte begreifend. »Das Bauen hat also einen besonderen Grund gehabt?« sagte er.

»Ei natürlich,« entgegnete der Knecht.

»Den neuen Rothenbauer,« fuhr Gottfried nach einer Weile fort, »hab' ich gestern gesehen – meiner Schätzung nach!«

»Kommt mir beinahe so vor!« erwiderte der Knecht mit dem Humor des Wissenden. – »Sie sind lang' geblieben gestern, alle sind vergnügt gewesen – und ich hab' ein Trinkgeld bekommen wie seit Jahr und Tag nicht.«

»Nun,« sagte der Bursche nach einer Pause, »dann wünsch' ich nur, daß sie glücklich leben miteinander!«

»Warum nicht?« versetzte der Knecht. »Was das Herz begehrt, das haben sie! Er ist ein feiner Mensch! Und gut! – Und unsere Sophie kommt mir seit gestern ordentlich schöner vor!« –

Als der Knecht das Geld vorzählte, gab ihm Gottfried ein Silberstück davon, dessen Größe den alten Stangenreiter in Erstaunen setzte – was etwas heißen will. »Aber Gottfried!« rief er zögernd. – »Vertrink's auf meine Gesundheit!« sagte der Bursch mit Würde. – Der Knecht zeigte beim Abschied einen Respekt, den zu haben er bei der Ankunft weit entfernt war.

Gottfried ging in seinen Garten und setzte sich aus eine Bank. Sein Herz war schwer bedrückt, und er konnte einen tiefen Seufzer nicht zurückhalten. Daß die Sophie heiraten sollte, und nun gar darüber vergnügt war, das tat ihm doch in der Seele weh. Er ärgerte sich über sich selber, daß es ihm wehe tat; aber das änderte nichts: das Herz ließ sich sein Leid nicht nehmen.

»Ich bin doch der größte Narr in der ganzen Welt!« sagte er dann zu sich. »Steckt's doch noch immer in mir? – Ich hab' doch gemeint, es wär' heraus!«

Er seufzte. Dann fuhr er fort: »Die Menschen sind über die Maßen töricht! Etwas wollen, von dem man weiß, daß man's nie kriegen kann, und sich kümmern deswegen! Gibt's etwas Ungescheiteres? Und man kann's nicht lassen! Sogar wenn man will nicht!«

Seine Gedanken nahmen indes einen Gang, der eine heilende Wirkung auf ihn übte, – wenn auch durch ein bitteres Mittel. – Er stellte sich das Mädchen vor und den Schorsch, und fragte sich, ob er für sie passe! Und der kleine Auftritt, den er mit ihm gehabt, kam ihm wieder ins Gedächtnis. Er wollte ihn erwägen, das Benehmen des Burschen prüfen – in der unbewußten Hoffnung, ihm etwas aufbürden zu können; aber die Gewissenhaftigkeit feines Geistes und die Redlichkeit seines Gemütes führten ihn aufs Gegenteil.

Nachdem er alles überlegt hatte, sagte er sich: »Im Grund hab' ich angefangen und bin schuld daran, daß er bös gegen mich geworden ist! – 's ist wahr, seine Frag': wie kommst denn du daher? hat ein bißchen vornehm und despektirlich geklungen! Aber er hat's vielleicht gar nicht so gemeint, und 's ist eben seine Art so! Meine Antwort dagegen: aus meinen Füßen! – ist ein Spott und eine offenbare Grobheit gewesen; und weiß Gott, er hätt' mir ganz anders drauf dienen können! – Recht hat er: meine Manieren sind nicht fein!«

Er schwieg. Auf einmal überzog sich sein Gesicht mit einer Röte, und ernstliche Reue sprach daraus. »Und wenn's nur bei der Grobheit geblieben wär'!« rief er aus. »Aber ich bin bös geworden, wahrlich bös! – Ich hab' ihm Sachen gesagt, die ihm ans Herz gegangen sind – – und weiß ich's etwa gewiß? – Die Weilerbäuerin soll mehr Schulden haben, als bekannt ist – sagen die Leut'! Und der Schorsch soll die Burg-Ammer (Burg-Annemarie) gern sehen und einmal bei ihr getroffen worden sein in ihrem Garten – sagen die Leut'! – Sagen die Leut' aber die Wahrheit? Ist's bewiesen? Weiß man nicht im Gegenteil, daß die Leut' viel eher einem etwas aufbringen und Lügen sagen? Und ich hab' getan, als ob ich's gewiß wüßt' – als ob ich dabei gewesen wär', – und hab' ihm damit einen Stich versetzen wollen!« – – »Nun,« schloß der Bursche mit desperatem Humor, »Christentum ist grad nicht viel gewesen in meinem Benehmen – das muß man sagen! – Aber so ist man. Von anderen verlangen? Jawohl. Aber selber tun? Ei, Gott bewahre!«

»Ich will aufrichtig sein gegen mich selber! 's ist halt Eifersucht gewesen, was mich so bös gemacht hat! Die helle, klare Eifersucht! – Aber – jetzt will ich ein End' machen damit! – Mir soll kein Mensch nachsagen, daß ich einem anderen mit Schwätzereien die Heirat hab' verderben wollen. Mir nicht! – Was ich gefehlt hab' – kommt die Gelegenheit, so will ich's wieder gut machen! – Der Schorsch und die Sophie sollen sich nur heiraten und glücklich hausen! – Ich nehm' eine, die für mich paßt – und dann ist die Sach' wieder in der Ordnung!«

Er stand auf. Die Wipfel der Bäume säuselten, unzählige Grillen zirpten im Sonnenschein aus dem Grase; – er hörte es wieder! – Mit einem Spaten über der Schulter ging er nach einigen Minuten aufs Feld hinaus und arbeitete scharf an einem Graben fort, Quellwasser vom Brachacker auf die Wiese zu leiten.

Den Tag darauf ging er früh, beim Schein der ausgehenden Sonne, ins Holz. Wenn jeder schöne Morgen auf das Gemüt eine erfrischende, ermutigende Wirkung übt, so besonders der schöne Morgen im Walde. Die Füße werden freilich sehr naß vom Tau; aber wenn einer Stiefel an hat wie Gottfried, dann macht er sich wenig daraus. Und wie singen die Vögel! Mit welchem Jubel! Singen kann man's fast nicht mehr nennen, sie schreien förmlich. Aber aus dem Schreien tönt ein Leben, ein Eifer, eine Freude, wobei jedes Herz fröhlich werden muß. Man gewöhnt sich nach und nach daran und hört aus dem Lärm die süßen Stimmen heraus; diese lassen sich wohl auch allein vernehmen, und das Ohr schlürft die Töne wollüstig ein. Dann wieder ein Pfeifen, ein Zwitschern, ein Hinundherhüpfen und ein Flattern! Und dazu die Kühle, der Hauch des Morgens, die Feuchte des Taues – und der goldene Blick der Sonne, die durch die Bäume herscheint und das grüne Laub durchleuchtet!

Die Freude der geruhten, gestärkt erwachenden Kräfte der Natur verschönt alles! In allen Wesen ist ein Überschuß, der sich in Unternehmungslust, in ungebändigter Lebhaftigkeit ausspricht! Sieh dort den Wipfel der Eiche! Aus ihren Nestern sind Raben aufgeflogen, sie krächzen, schlagen mit Flügeln und flattern wie toll oben im Sonnenschein durcheinander, bis sie forteilen, ihren Raub zu suchen. Das Krächzen ist von einer Lustigkeit, von einem Hoffnungsglück durchströmt, daß es förmlich wohlklingt! Und wie mutig schwingen sie sich hinweg! Wie anders als wenn sie abends übers Feld hin mit lässigem Flügel dem Walde zustreben und der Betrachter in ihrem Namen sich ordentlich freut, daß sie bald in ihrem Nest ausruhen können!

Verlorene Töne der Vögel im Walde können sehnsüchtig und melancholisch machen; aber das Morgenkonzert der erwachten Kreaturen reißt jeden in sein Jauchzen hinein. Unser Gottfried, dem es im beginnenden Sommer gleichsam zu guter Letzt noch aufgeführt wurde, fühlte sich wunderbar gestärkt und gehoben. Er ging zu dem Platz auf seinem Anteil, wo die Arbeit ihn erwartete, mit frohen Empfindungen, indem er von dem Verlorenen weg in eine unbestimmte schöne Zukunft hineinsah. Rüstig hackte er an einem Baum, der zunächst fallen sollte; und die Anstrengung, bei der ihn der heimliche Waldgeruch umfloß, tat ihm noch ganz besonders wohl. Als er müde war, Durst und Hunger fühlte, begab er sich auf einem weniger schönen, aber bequemeren Weg in stiller Zufriedenheit nach Hause.

Die Mutter, eine runde, gutmütige Frau, die den Einzigen mit einem gewissen Stolz liebte, grüßte ihn vergnügt und trug das Frühmahl auf, das sie für ihn bereitet hatte. Es bestand aus einer Mischung von Weißbier und Brot, die durch Zucker versüßt war, stillte zugleich Durst und Hunger und schmeckte vortrefflich.

Neben ihm sitzend und zusehend, mit einer Miene, die etwas Interessantes in Aussicht stellte, sagte sie dann: »Weißt was Neues, Gottfried? – Die Sophie vom Rothenbauer heiratet den jungen Weilerbauer, den Hechtfischer!«

Der Bursche erhob den Kopf, gab sich aber alsbald eine gleichgültige Miene und sagte: »Ist mir nichts Neues mehr! – Die Weilerbäuerin ist vorgestern mit dem Schorsch und ihrer Assessorin beim Rothenbauer auf Besuch gewesen, da hab' ich wohl merken können, was im Werk ist!«

»So!« sagte die Mutter mit einem Vorwurf in ihrem Gesicht. »Und davon erzählst du mir nichts?«

»Die Sach' ist mir nicht so aufgelegen,« erwiderte der Sohn. – »Was geht's am End' mich an, wenn die Leut' einander heiraten?«

»Sieh, sieh,« rief die Mutter. »Aber eine alte Bekannte, die Sophie!«

»Nun,« versetzte Gottfried, »du hast's ja jetzt doch erfahren!« – Nach einer Weile sagte er: »Und wer hat dir denn die Neuigkeit gebracht?«

»Die Bötin, die vor einer halben Stund' hier gewesen ist.«

»Dann,« entgegnete der Sohn mit verzogenem Munde, »wird sie gewiß wahr sein!«

Er war gereizt. Sein Herz klopfte, und der Unmut in ihm suchte einen Ausweg. Mit einer Miene, welche die Absicht des Spottes nichts weniger als verschleierte, sagte er: »Nun, und da dir alles so gut bekannt ist, wann wird denn die Hochzeit sein? Nach dem Heuet etwa? Oder wartet man nicht einmal mehr so lang'?«

Die Alte sah ihn an. »Wie kommst du mir denn aber heut' vor, Bue?« rief sie. »Du tust ja so kurios! Hat dich einer geärgert heut' früh schon – oder was ist's?«

»Nichts ist's!« erwiderte der Bursch. »Ich hab' eben das Gered nicht gern über das, was ander' Leut tun! – Ein reicher, stolzer Bursch heiratet ein reiches Mädchen – das ist ganz in der Ordnung und nichts darüber zu schwätzen!«

»Ja,« versetzte die Mutter mit Bedeutung, »es ist aber doch etwas dabei! – Der schönste Bursch in der Umgegend ist der Schorsch, das ist gewiß! Aber man sagt ihm und seiner Mutter Sachen nach –«

»Natürlich!« fiel der Bursche ein. »Und das wird noch besser kommen, wenn man erst gewiß weiß, daß er heiratet! – Denn die Menschen sind nie schlechter, als wenn sie sehen, daß einem ein Glück ansteht!«

»Wann's aber wahr ist?«

»Dann wird's auskommen!«

Die Alte ließ sich nicht irre machen. »Das Vermögen der Weilerbäuerin soll gar nicht mehr so groß sein –«

»Wie's die Leut' ärgern tät', wann's so groß wär',« rief Gottfried dazwischen.

»Der Schorsch ist ein leichter Badaschier (Passagier). Neulich, auf der Hochzeit in Schmähing, hat er Geld draufgehen lassen, man kann gar nicht sagen wieviel! Den Musikanten hat er einen Kronentaler aufs Teller geworfen – er ist nicht gescheit! – Und dann – hört man noch was!«

»Daß er eine gern sieht!«

»Wenn's nur das wär'! Nein! Mehr als eine!«

Gottfried zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich wird mehr als eine ihn gern sehen und ihm schön tun! Und das ist begreiflich! – Welche gibt man denn nun an zum Beispiel?«

»Des Vogelbecken Ev', seine Nachbarin. Und des Bretzgenwirts Margret!«

»Und unser Bäsle, die Burg-Ammer da drüben?« fuhr der Sohn fragend fort. »Alle guten Dinge sind ja drei!«

Die Alte machte große Augen. »Wie kommst du denn auf die?« rief sie.

»Von der hab' ich's gehört,« erwiderte der Sohn.

»Das ist verlogen!« entgegnete die Mutter bestimmt.

»So? Warum denn?«

»Weil ich's weiß!« – Nach einer Weile fuhr sie fort: »Er hat einmal auf der Kirchweih ein bißchen lang' mit ihr getanzt und hat ihr was aufwarten lassen – und da hat man ihr das aufgebracht. Aber sie kann eben gut tanzen und er auch – sonst ist's nichts! – Die Ammer ist ein lustiges Mädchen und macht gern Spaß! Aber die ist viel zu gescheit, als daß sie sich mit einem Menschen eingelassen hätt', der sie doch nie geheiratet hätt'!«

»Die Mädchen bilden sich oft gar viel ein!« entgegnete der Sohn.

»Geh! Eine Weberstochter! – Und eine Näherin!«

»Der Alte steht nicht schlecht!«

»Gottfried,« rief die Alte, »jetzt ärger' mich nicht! – Alles was recht ist! Aber die Ammer und der Schorsch, das ist ein Unsinn! – Haben tut der Vetter Burgweber freilich etwas – für seinesgleichen! Und weil grad' die Red' drauf gekommen ist, so will ich dir nur sagen, was ich schon länger gedacht hab': – Die Ammer wär' ein Mädchen für dich!«

Der Sohn fuhr auf und sah der Mutter ins Gesicht. Dann lächelte er sonderbar – und schüttelte den Kopf.

»Nun,« sagte die Mutter, »ist sie dir etwa nicht schön genug?«

»Sie ist mir zu schön!« erwiderte der Bursch.

Die Alte lachte. »Das ist was Neues,« rief sie.

»Die Ammer,« fuhr der Sohn fort, »ist ein geschicktes Mädchen und sauber – die Sauberst im ganzen Dorf! – Aber mir macht sie zu süße Augen!«

»Du bist ein Aparter!« rief das Weib. »Das haben andere gern!«

»Aber ich kann's nicht leiden,« entgegnete der Bursch.

»Was für eine kannst du denn aber hernach leiden?« fragte sie etwas spitz. »Bis jetzt hab' ich noch nicht gesehen, was dem Herrn vielleicht anständ'! – Und du gehörst nicht mehr zu den Jüngsten, mein lieber Bub! – Es ist hohe Zeit, daß du dich nach einer umsiehst!«

Der Sohn wandte sich zur Mutter und sagte mit Ernst: »Wahr ist's, Mutter, ich bin kein heuriger Has mehr! Und wahr ist's, daß ich ans Heiraten denken muß!«

Das Gesicht der Frau hellte sich auf.

»Ich bin ganz deiner Meinung,« fuhr der Sohn fort, »und will dir gestehen, ich hab' mir auch schon eine ausgedacht, wie ich sie mir wünsche.«

»Hast am End' schon eine?« rief die Alte lebhaft.

»Bloß in Gedanken,« erwiderte Gottfried. – »Siehst du, ich will eine, die nicht so schön ist, daß sie jedem gefällt. Sie muß aber Verstand haben und brav sein und gern schaffen. Ob ihre Farb' ein bißchen weißer oder ein bißchen schwärzer ist, darauf kommt's mir nicht an. Aber ein gutes Gemüt muß sie haben und einen zufriedenen Sinn und das Haus sauber halten; und wenn sie freundlich und lieb ist, muß sie's nur gegen mich sein! – Kurz, ich muß eben mein ganzes Zutrauen haben können zu ihr – das verlang' ich.«

»Nun,« sagte die Mutter, »so sieh dich nach so einer um! – Solche Mädle haben wir schon noch im Ries!«

»Ich will's tun,« versetzte der Sohn. »Und du weißt, was ich versprech', das halt' ich! Wenn ander Leut' heiraten, dann seh' ich nicht ein, warum ich ledig bleiben soll; und wie ich jetzt dasitz' vor dir, so sag' ich dir: von heut' an in einem halben Jahr hast du eine Söhnerin!«

Die Mutter stand auf und rief, indem ihr die Augen leuchteten: »Nun, das ist eine Red' – und auf den heutigen Tag hab' ich lange gewartet! Wie's dir nur auf einmal so gekommen ist? – Aber zuletzt,« meinte sie lächelnd, »wird auch der Lederapfel zeitig!« – Sie betrachtete ihn und sagte: »Sieh dir doch die Burg-Ammer nochmal genauer an! Eine so geschickte, so ganz besonders saubere Schwiegertochter, die auch etwas hat –«

»Die Wahl,« fiel der Sohn ein, »muß ich frei haben! – Weiter als das Heiraten versprech' ich nichts!«

»Nun ja,« erwiderte die Alte; »man red't nur davon! – Wenn du so eine findest, wie du angegeben hast, dann will ich auch zufrieden sein!«

Unser Gottfried hatte sich ganz ehrlich vorgenommen zu heiraten. Er suchte in dem Entschluß eine Rettung vor den Gedanken an Sophie; und das Mittel half auch. Das Denken an das Mädchen konnte er sich freilich nicht wehren; aber er besaß ein Gegengewicht, einen Halt in sich, und sein Herz blieb ruhiger dabei.

Tat aber schon der Entschluß die gute Wirkung, so war die Ausführung zunächst offenbar nicht nötig. – Der Bursche hatte keine Eile, sich nach derjenigen umzusehen, die er hätte zum Weib nehmen können.

Er lebte seinen Tag, wie es die Jahreszeit mit sich brachte; und so verging einer um den andern. Nach und nach vergingen Wochen – und es stand alles wie zuvor. Die Mutter hatte einmal bei ihm angeklopft: wie es denn sei, ob er noch keine gefunden habe! Er aber hatte mit etwas Verlegenheit lächelnd geantwortet: »Es hat noch Zeit!«

Von der Heirat zwischen dem Schorsch und der Sophie wußte man übrigens auch noch immer nur so viel gewiß, daß etwas im Werk sei! Man bemerkte aber, daß der Jude, der bei der Weilerbäuerin viel im Hause war, öfters beim Rothenbauer einsprach, und zog daraus den Schluß, daß die Sache ihren guten Fortgang nehme.

Im August konnte es Gottfried nicht länger verschieben, in die Stadt zu gehen. Er hatte verschiedene Einkäufe zu machen und »übrigs Zeit«. Sein bißchen Winterfeld war nicht nur geschnitten, sondern auch schon eingeführt.

Der Tag, wo der Rieser Bauer nach Nördlingen wandert, hat für ihn immer etwas Festliches. Da er nichts arbeitet, sich im Gegenteil ein Pläsier macht, so fühlt sich auch der wenig Bemittelte als eine Art Herr. Und wenn man einmal im Geldausgeben ist – oder gar im Geldeinnehmen! – dann langt's schon einige Sechser mehr für eine gute Halbe und einen Teller voll Bratwürste, oder wonach sonst den Gaumen lüstet. – Alles zusammengenommen macht man den Weg, auch wenn er lang ist, mit angenehmen Vorstellungen und solidem Behagen.

Auch aus Gottfried wirkten die Aussichten, die sich ihm vor die Seele stellten, erfreulich, und er kam in die Stadt, er wußte nicht wie. Zunächst suchte er den »Walfisch« auf; denn er fühlte Durst und wollte ihn mit einem Bier stillen, das er als das beste kannte. Nachdem die erste Halbe so schnell geleert war, als es die brennende Kehle geboten, spürte er fast noch ebensoviel Appetit nach einer zweiten, und er sandte diese, wenn auch etwas langsamer, der ersten nach. Gründlich erfrischt machte er sich auf, die Einkäufe zu besorgen.

Für sich brauchte er nur Werkzeug und eine neue Pfeifenspitze; für die Mutter sollte er aber Zucker und Gewürz mitnehmen. Nachdem er das Seine nicht nur sich angeschafft, sondern auch, der Bequemlichkeit wegen, im Walfisch abgegeben hatte, machte er sich auf den Weg zur Materialwarenhandlung am Brettermarkt.

Als er vor den Laden kam, ging die Tür auf und es erschien – die Sophie!

Sie war auffallend schön angezogen und sah gar vergnügt aus. »Ei sieh da,« rief sie, als sie des Burschen ansichtig wurde, »der Gottfried! – Das freut mich aber, daß ich dich seh'!« – Sie nickte und setzte hinzu: »Hast etwas in der Schranne gehabt?«

Der Bursche, der gegrüßt hatte, zuckte bei den letzten Worten mit gutmütigem Lächeln die Achseln. »Ich bin nicht der Rothenbauer!« erwiderte er.

Sophie blickte heiter. »Sei's, was es will,« sagte sie, »es ist mir lieb, daß ich dich treff'!«

»Hast du einen Auftrag für mich?« fragte Gottfried.

»Wie du's nehmen willst,« versetzte das Mädchen. »Weißt du, was da drinnen in dem Gretzen ist?« fuhr sie fort, indem sie den Deckel aufhob.

»Lauter gute Sachen, wie ich sehe! – Du hast eingekauft wie zur Kirchweih!«

»Mit der hat's noch gute Weg'! – Aber wir halten doch ein Fest nächstens!«

Gottfried schaute betroffen.

»Nächsten Mittwoch,« fuhr das Mädchen fort, »ist unser Winterfeld geschnitten; und da sollen sich unsere Leute und guten Freunde mit uns einen vergnügten Tag machen!«

»Bei euch,« erwiderte der Bursch mit wieder erhellter Miene und einem Blick der Achtung, »da ist's der Mühe wert! – Nun, und soll ich vielleicht etwas dazu bringen?«

»Dich selber!« rief das Mädchen. »Du sollst kommen – als unser Gast!«

Gottfried wurde rot. »Du bist gut,« sagte er – und verstummte.

Das Mädchen sah ihn an. »Hast du keine Zeit? – Kannst du keinen halben Tag geraten?«

»Das schon! Besonders jetzt!«

»Nun also?«

Gottfried machte ein ernsthaftes Gesicht. »Sophie,« sagte er, »ich will aufrichtig sein! In der Lag', wo du bist, wär' nicht jede so freundlich mit einem andern! Ich bin freilich nur ein geringer Bursch –«

Die Sophie, nach einem flüchtigen Lächeln, entgegnete nicht ohne Selbstgefühl: »Ich bin nicht jede! – Und du bist kein geringer Bursch!«

Gottfried konnte diese Reden nicht zusammenreimen.

»Die Sach' ist ganz einfach,« begann das Mädchen wieder. »Ich halt' etwas auf dich, und wenn wir vergnügt sind, und du bist dabei, dann gefällt's mir besser. Und zu schenieren hab' ich mich noch vor niemand! – Sag ja! Ich muß jetzt zum Dreimohrenwirt, wo mein Vater eingestellt hat. – Du kommst also?«

Der Bursche konnte diesem Zureden nicht widerstehen. Es war ihm, als wünsche ihn die Sophie eben zum guten Freund zu haben, wenn sie auch einen andern heiratet, und er wollte jetzt nicht den Empfindlichen und Spröden machen, sondern die gute Meinung ehren. Treuherzig gab er ihr die Hand und sagte: »Nun ja – ich komm'!«

Die Sophie lächelte, und einer jener Blicke ging aus ihrem Auge, die ihr Gesicht liebmachen konnten: ein guter und zugleich etwas schalkhafter! – »Das ist schön, Gottfried!« erwiderte sie. »Du wirst sehen, wir sind vergnügt miteinander!« Sie nickte und sagte: »Komm gut nach Haus!«

Nach diesen Worten drehte sie sich und ging leicht mit dem schweren Gretzen dem Reimlinger Tor zu.

Gottfried sah ihr eine Zeitlang nach, lächelte für sich, schüttelte den Kopf, als ob er sagen wollte: »es ist doch eine Wunderliche« – und ergab sich in sein Schicksal. – Er kaufte die Sachen für die Mutter, aß im Walfisch zu Mittag und wanderte dann vergnügt, unter allerlei träumerischen Vorstellungen, nach Hause. –

Gottfried war ein ungewöhnlicher Mensch durch seine Bildung wie durch seine Natur – und das zeigte sich jetzt.

Er überlegte sich die Einladung in der Zwischenzeit – und bedachte, was ihn erwartete. Da war ihm nun das Fest nicht nur erfreulich, weil er mit der Sophie wieder zusammenkam, sondern weil er Gelegenheit zu finden hoffte, seinen Fehler gegen den Schorsch wieder gutzumachen. Daß dieser kommen würde, setzte er voraus; – die Sophie hatte von »guten Freunden« gesprochen, mit denen sie lustig sein wollten; und da war er der erste! Traf er ihn aber, dann wollte er sich auf eine Weise gegen ihn benehmen, daß jener wohl merken könne, er sei sein Feind nicht und er habe nichts Böses gegen ihn im Sinn! Und wieviel die Sophie auf ihn, den Gottfried, halten mochte, den Schorsch hatte sie natürlich doch in ganz anderer Weise gern, und es mußte sie freuen, wenn man ihm die Ehre gab, die ihm zukam, vornehmlich im Hause des künftigen Schwiegervaters! –

Bei dem Vorsatz, den sein gutes und in seiner Art stolzes Herz ihn fassen ließ, rührte sich doch noch der alte Adam und murrte dagegen. Es gab einen Kampf in ihm. – Der Wackere beschloß endlich: »Wenn der Schorsch sich gut gegen mich benimmt, dann bleibt's dabei! Sonst freilich! ... Aber wenn ich ihm keine Gelegenheit geb', wird er schon ordentlich gegen mich sein! – Die lustigen Leut' sind ja für gewöhnlich nicht bös!«

Durch diese Gesinnung mit vollkommen gutem Gewissen ausgerüstet und gehoben, trat er am Mittwoch nachmittags die Wanderung an. Der Mutter hatte er gesagt, er sei zum Rothenbauer geladen, der vielleicht noch was brauchen werde; und sie hatte erwidert, er gelte halt doch etwas bei diesen Leuten, – und ihm viel Vergnügen gewünscht.

Auf dem Wege versank der Bursche wieder in seine Gedanken.

»'s ist doch merkwürdig,« rief er nach einer Weile stillen Sinnens, »was das Geld macht! – Wenn ich jetzt so reich wär' wie die Sophie, dann gehörte sie vielleicht schon mir; und wenn das nicht, so könnte ich sie möglicherweise jetzt noch kriegen! – Aber natürlich, so!«

Er schwieg. – »Welt,« rief er mit einem Seufzer, aber nicht ohne Humor, »was bist du für eine Welt! – Ärgern will ich mich aber nicht darüber; denn helfen tut's doch nichts! Der Mensch ist nicht auf Erden, daß ihm alles durchgeht – das kann man ungefähr merken! Zwar meint jeder, bei ihm sollt's anders sein und wenigstens er sollte kriegen, was ihm das Liebste wär'! Aber er sieht bald, daß er nichts ist und daß die Welt sich nicht umdreht um seinetwillen!«

Er ging etliche Minuten still weiter. »Ich bin aber vielleicht nicht gescheit,« fuhr er dann fort, »daß ich glaub', nur das Vermögen wär' daran schuld! Der Schorsch ist ein Mensch, wie's wenige gibt: – so schön, so fein und so ›g'schlacht‹ im Gesicht! – Und wenn die Sophie nicht ist wie jede, – in dem Punkt sind sie doch alle gleich! Mädla' sind Mädla'! So einer leuchtet ihnen eben doch ganz besonders ein! Und wenn so einer sonst noch alles hat, dann kann sich der andere – das Maul wischen!«

Er ging einige Schritte; – plötzlich stieg eine Röte in seinem Gesicht auf und er rief, ordentlich mit einem Ton des Zornes: »Da bin ich nun schon wieder bei diesen Gedanken, obwohl ich ein halbes Dutzend mal ausgemacht hab', was ich vernünftigerweis tun muß! – Fangt denn das immer wieder von neuem an? Hört's gar nicht auf? – Aber jetzt hab' ich's satt! – Das Glück kann man nicht zu sich hernötigen; denn da haben andere auch ein Wort mitzureden, die's für sich haben wollen. Aber ein ordentlicher Kerl kann man sein! Das geht einen allein an – das kann man zwingen – und ich zwing's!«

Er machte nach einer energischen Bewegung des Kopfes ein trotziges Gesicht für sich hin und ging mit stattlichen Schritten vorwärts. – Seine Züge wurden ruhiger; aber das Selbstbewußtsein blieb darin.

Vom Kirchturm des Dorfes klang die Vesperglocke, als er durch das offene Tor in den großen, schönen, mauerumgebenen Hof des Rothenbauers trat. Hier wohnte er ungesehen einer freundlichen Szene bei. Eben war das letzte, hochgeladene Fuder Dinkel eingefahren und hielt in der Nähe des Stadels. Der Oberknecht war vom Sattelgaul gestiegen; die Leute, die mit auf dem Feld gewesen waren, standen hinter und neben dem Wagen; andere kamen vom Abladen aus dem Stadel dazu, der Rothenbauer und seine Tochter vom Hause her. Das Gebaren der Leute samt und sonders drückte Vergnügen aus. Die Sophie rief zum Oberknecht: »Das hast du aber noch schön geladen, Hanskasper! – Du bist halt ein Mann!« Und umherschauend fuhr sie fort: »Für heut' hat die Arbeit ein End', Leute! Kommt jetzt herein miteinander und versucht ein wenig was! Ich hoff', es wird euch schmecken! Ich hab' mein möglichstes getan!« Schmunzelnde Gesichter dankten diesen Worten guter Vorbedeutung, und ein älterer Tagelöhner, sonnverbrannt, mit halbgetrockneten Schweißrinnen auf Stirn und Backen, entgegnete: »Wird nicht fehlen! Wir wollen den guten Sachen schon alle Ehr' antun! – Wir haben auch unser möglichstes getan, Sophie! Jedes von uns hat geschafft wie der leibhaftige Satan! – Wir können schon auch essen und trinken wie der Feind!«

Als das erheiterte Mädchen, den Leuten voraus, ins Haus zurückging, bemerkte sie den Burschen, der betrachtend und horchend stehen geblieben war. »Ah,« rief sie, »da ist er!« – Sie trat ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte: »Brav, Gottfried! Du bist ein Mann von Wort!« – Und sich umwendend rief sie: »Vater! – Da ist noch ein Gast!«

Der Rothenbauer hatte die angespannten und ausgeschirrten Rosse in den Stall führen sehen. Er kam herbei und begrüßte den Burschen mit offener Freundlichkeit. »Meine Sophie,« bemerkte er, »hat einen guten Einfall gehabt, daß sie dich eingeladen hat. Neulich am Sonntag bist du uns ein wenig gar zu schnell fortgegangen – heut' mußt du schon aushalten mit uns!«

Seine Miene bei dieser Rede war so behaglich und so sicher, daß man sah, Gottfried war ihm ganz unverdächtig geworden und sein Hiersein erschien ihm in keiner Art mehr bedenklich.

Die Tochter sagte: »Ich muß jetzt den Leuten auftragen! – Führ den Gottfried in den Garten, Vater, zu andern Gästen! Ich werd' bald nachkommen!«

Sie ging in das Haus. Gottfried, an der Seite des Alten, begab sich in den Garten.

Dieser, der hinter dem Haus begann und sich an einem Teil des Hofes vorüber bis hinter den Stadel zog, war ungewöhnlich groß. Ein Vierteil davon bestand aus Gemüsebeeten, das übrige war Baumgarten. Rechterhand befanden sich Einrichtungen, die im Eigentum eines Bauern ungewöhnlich waren und auf einen anderen Ursprung deuteten. In der Tat gehörte die rechte Seite früher zum Hause des Nachbars, der Zapfenwirt gewesen, und so erklärte sich an der Bretterwand die Kegelbahn und ein paar Schritte davon eine längliche, aus Holz gebaute, für eine größere Zahl von Gästen berechnete Laube.

In sie, die trotz des Bretterdaches luftig genug war, führte der Rothenbauer den Gottfried.

An der Tafel, die mit Gläsern Braunbier, Weißbrot und frischer Butter besetzt war, saßen fünf Personen, die Gottfried kannte. Erstens der Schorsch; dann ein alter Bauer aus dem Dorfe, genannt der Frick, und sein Sohn Martin, ein blondhaariger, mittelgroßer, etwa vierundzwanzig Jahre alter Bursche; endlich eine Base aus dem Dorf mit ihrer Tochter, einer ziemlich hübschen, gesunden, braunäugigen Dirne, die neunzehn bis zwanzig Jahre zählen mochte.

Der Schorsch, der vorn seinen Platz hatte, stand auf, nickte dem Rothenbauer zu, trat zu Gottfried und sagte, ihm die Hand reichend, mit freundlichem Ton: »Grüß dich Gott, Stöckle! Der Vetter Rothenbauer tut's halt nicht anders, wir müssen heut' schon einen vergnügten Tag haben bei ihm!«

Unser Bursche, von dieser Zuvorkommenheit sehr angenehm berührt, erwiderte mit Laune: »Lassen wir's uns eben gefallen! – Wir haben ja schon so manches ausgehalten!« – Er grüßte auch die anderen, und man setzte sich zusammen.

Das durch die Ankunft der beiden unterbrochene Gespräch nahm der alte Bauer wieder auf, indem er sagte: »Ja, unser Herrgott hat's wieder recht gemacht dasmal. So eine Dinkelernte haben wir lange nicht gehabt! Und es ist ein doppelter Profit: man bringt's erstens viel besser herein, und dann mit viel weniger Kosten! – Freilich,« setzte er nach einigem Innehalten bedenklich hinzu, »der Preis wird wieder recht runtergehen jetzt!«

Der junge Weilerbauer schüttelte den Kopf und sprach zum erstenmal in dem Dorf einen Satz aus, der auf ländliche Hörer den besten Eindruck machen mußte. »Vetter Frick,« entgegnete er, »die Sach' ist jetzt ein bißchen anders als früher! Jetzt kann man das Korn verführen in Gegenden, wo's nicht so gut geraten ist – auf der Eisenbahn! Wenn's jetzt im Ries genug gibt, so braucht man's einem deswegen noch nicht nachzuwerfen, und der Preis kann nie mehr so weit heruntergehen wie sonst!«

»Ist's wahr?« fragte die alte Base vergnügt herschauend. »Da hätten wir ja profitiert!«

»Wär' mir lieb,« brummte der alte Frick, »wenn uns die Eisenbahn auch etwas nutzte! – Denn bis jetzt hab' ich nur gesehen, daß sie uns die Leute wegnimmt, und die Bauern den Eh'halten und Tagelöhner gar nicht mehr genug zahlen können!«

»Der Vorteil ist viel größer,« erwiderte der Schorsch lächelnd. »Und wenn wir jetzt mehr einnehmen, so können wir unsern Leuten auch mehr geben – Vetter Frick!«

Der Rothenbauer nickte den Worten des künftigen Schwiegersohnes Beifall, indem er bemerkte: »Sagen wir's nur, wie's ist! Die Bauern können zufrieden sein: alles, was sie haben, gilt jetzt was!«

Während der alte Frick die Augenbrauen in die Höhe zog wie einer, der sich die Sache erst noch sehr überlegen will, versetzte der Schorsch: »Das Bauernhandwerk ist immer das schönste gewesen in der Welt, und jetzt trägt's auch noch was ein! – Lassen wir's leben!«

Er nahm sein Glas und stieß der Reihe nach mit allen an. Auch die Base und das Bäschen mußten ihr Glas klingen lassen.

Gottfried betrachtete ihn und fand, daß eine merkliche Veränderung mit ihm vorgegangen war. Von dem früheren – ihm übrigens nicht schlecht lassenden – Stolz in Gesicht und Haltung war kaum noch etwas zu sehen. Er zeigte vielmehr ein Bestreben, den Leuten zu gefallen, und eine Zufriedenheit, wenn er sah, daß es ihm gelang. Schien er etwas aufgeregt, und blickte hier und da etwas wie Sorge aus seinem Aug', so begriff sich das aus einer Lage, wo das, was er erwarten durfte, doch noch nicht ganz gewiß – noch nicht geschehen war! – Unserem Burschen gefiel er wie den übrigen, und er freute sich, daß er die Sophie dem, der sie nun doch einmal erhalten sollte, wenigstens gönnen konnte!

Nach und nach kamen, von einem Vesperbrot, wie es ihnen selten geboten worden war, die Leute des Rothenbauers in den Garten: Ehehalten, Schnitter und Schnitterinnen und Tagelöhner, die er trotz der Eisenbahn zur Ernte bekommen hatte. Im Überfluß gespeist und getränkt, mithin in bester Laune, lustwandelten sie hin und her, ließen sich auf Bänke nieder, die sich außer der Laube noch im Garten befanden, oder lagerten sich auf dem weichen Grasboden.

Da erschien auch endlich die Tochter des Hauses mit einem Kaffeebrett, worauf Tassen und zwei ungewöhnlich große Kannen sich befanden, und hinter ihr die Magd, welche eine mächtige Schüssel voll braungebackener zuckerbestreuter »Küchle« nachtrug. Dem anstandsvollen Bedauern vonseiten der Gäste, daß man sich so viele Unkosten mache, erwiderte Sophie mit Einschenken, Anbieten und dringlichen Ermahnungen zum Essen und Trinken. Und sie behielt recht. Man trank und tunkte von den außerordentlich gut geratenen Küchlein – das Gegenteil wäre auch barbarisch gewesen! – soviel als möglich in den nicht minder trefflichen Kaffee ein. Die Schüssel ging in die Küche zurück, kam, von einem großen Teller Schneckennudeln begleitet, küchlegefüllt wieder, und das Gebrauchte erlitt noch die Einbuße eines Dritteils, bis endlich das Zureden nicht mehr zu helfen schien. Hierauf nahm Sophie die Schüssel, ging damit in den Garten und bot jedem der Leute ein Küchlein, welches mit großem Vergnügen in den bereits nudelgefüllten Magen hinabgeschickt wurde.

Eine regierende Bäuerin oder Bauerntochter, die ein gutes Gemüt hat, ist bei solchen Hausfesten immer eine sehr angenehme Erscheinung. Die Freude, mit so köstlichen Sachen aufwarten zu können, und zu sehen, wie gut sie schmecken, – die Ehre, die sie dafür erhält, und das gerechte Selbstgefühl, das in ihr erregt wird – alles das verschönt nicht nur, sondern veredelt auch Gesicht und Haltung. Bei der Sophie kam aber dazu noch die angeborene Würde, die sie auch bei scherzendem Gespräch nie ganz verleugnete und nach momentanem Vergessen immer wieder anzunehmen wußte. War sie nun auch nicht so schön wie manche andere, so hatte sie doch heute ein besonders schönes Aussehen: – die Erhitzung in der Küche und die Lust des Gebens hatten zusammengewirkt, ihrem Gesicht einen leuchtenden Glanz zu geben. – Für Gottfried war ihre Erscheinung mehr als Schönheit – es lag etwas unbeschreiblich Vornehmes darin, was ihn förmlich bezauberte. Der glückliche Schorsch suchte sie mit seinen Augen und ließ diese auf ihr weilen mit offenbarstem Wohlgefallen.

Alle waren vergnügt. Alles, was etwa Bedenken und Spannung hätte verursachen können, war durch das Vergnügen ausgelöscht. Man gab sich der Gegenwart hin, und diese war es wert! – Infolge des Genossenen erhielt auch das Gespräch einen fröhlicheren und poetischeren Charakter, indem ökonomische Gegenstände vermieden und dafür die allgemein menschlichen ausgebeutet wurden. Man neckte sich, führte satirische Hiebe auf Anwesende und Abwesende, sagte sich angenehme und spitzige Dinge, welche letztere aber nicht wehe taten, sondern das Getroffene nur ergötzlich ritzten. Der Schorsch erzählte ein paar »Stückle«, die großes Gelächter und nachwirkendes Behagen erzeugten.

Viel trug zu dem ungestörten Vergnügen bei, daß Sophie die allen Mädchen eigene Kunst bewies, jedem der beiden Burschen, die um ihretwillen hier waren, die Aufmerksamkeit zuzuwenden, welche ihn zufriedenstellen mußte. Die Worte, die sie an Schorsch richtete, waren von einem Blick heiteren Wohlwollens begleitet, wie man es einem Ebenbürtigen zuzuwenden pflegt, die Reden gegen Gottfried mit besonderer Herzlichkeit und Güte betont. – Was den jungen Fricken betraf, so war derselbe nicht um ihretwillen hier, sondern von ihr geladen für das Bäschen, sein erklärtes und von dem Alten gebilligtes »Mädle«; ihn konnte sie mit gutem Gewissen dieser überlassen.

Der Abend war prachtvoll. Den Tag über hatten leichte Wolken den Himmel überzogen, was den Arbeitern auf dem Felde sehr zu statten kam; jetzt waren sie vergangen und die goldene Sonne strahlte mild über den grünen Garten hin.

Die Knechte und Tagelöhner hatten angefangen, sich nach dem Genuß des Ausruhens ein lebhafteres Pläsier zu machen – sie kegelten.

Daß dies im Garten eines Bauern möglich war, dankte man dem Charakter des Eigentümers. Er hatte mit der Bahn auch Kugeln und Kegel erworben und seine Knechte und jungen Nachbarn hatten sie an Feiertagen benutzt. Da es dem Wohlwollenden Vergnügen machte, zuzuschauen und hier und da selber mitzuspielen, außerdem aber das Lob der seinigen auf Kosten der Wirtshausbahn ihm angenehm war, so ließ er die Einrichtung bestehen, und für den heutigen Tag war alles so weit propre gemacht, als man's auf dem Land überhaupt nötig findet.

Der vergnügte Lärm, den das Kegeln mit sich zu bringen pflegt, lockte die Gäste zur Bahn. Sie schauten zu und machten ihre mehr oder weniger gelungenen Bemerkungen und Späße. Als die Partie geendet war, sagte der Schorsch: »Darf ich auch eine Kugel werfen?« – Die Knechte machten respektvoll Platz. Der Bursche besah sich die Bahn und schob auf das Spiel. Er traf den Vorderkegel an der Seite, warf aber doch nur drei.

»Die hätt' mehr verdient!« rief der Oberknecht, der eifrig war, dem künftigen Herrn zu schmeicheln.

»Ich hab' kein Glück heut', wie's scheint,« bemerkte der junge Bauer. »Aber zum Spaß möcht' ich's doch ein bißchen probieren!« Er nahm aus seinem Geldbeutel einen halben Gulden, warf ihn auf den Boden und sagte: »Spielen wir's einmal wie in Bayern drin! Wer den andern runterschiebt, der zieht, was liegt!« – Und herumschauend fragte er: »Wer setzt?«

Die Knechte lächelten und schüttelten die Köpfe. – Der junge Frick rief: »Ich!«

Sein Vater schaute auf, schmunzelte aber dabei, andeutend, daß ihn die Courage seines Buben doch noch mehr freue, als das Geld reue. Martin warf seinen halben Gulden zu dem andern und der Kampf begann unter allgemeiner Aufmerksamkeit.

Trotz der Mühe, die er sich gab, schob Martin nur vier Kegel. Die Kugel des Gegners stürzte fünf um. – »Gilt's nochmal?« fragte dieser. – »Das versteht sich!« erwiderte der junge Frick.

Diesmal gewann er. Als er den halben Gulden vergnügt aufheben wollte, rief der Schorsch: »Laß ihn stehen! Hier liegt ein Gulden von mir!« – »Meinethalb!« versetzte der andere.

Das Gesicht des alten Frick wurde bedenklich.

Schorsch warf sechs Kegel, der junge Frick schob einen Pudel. – Sein Vater konnte nicht umhin, einen Laut des Verdrusses von sich zu geben.

»Lass' ich den Gulden stehen?« sagte Schorsch zu Martin. Dieser zögerte mit der Antwort; der alte Frick aber rief: »Ich mein', im Ernst paßt diese bayrische Mode nicht für uns Rieser, – und zum Spaß ist's genug! – Versuch's doch auch einmal mit dem Stöckle, Vetter Hechtfischer! Der hat Gulden genug übrig – jetzt, wo das Holz immer teurer wird!«

Die Anwesenden lächelten.

Schorsch, zu Gottfried gewendet, sagte: »Nun, Stöckle – wie meinst?«

Dieser machte eine ablehnende Bewegung. »Ich kann's nicht!« erwiderte er.

»Ich hab' dich aber doch schon kegeln sehen, und das ganz gut!« entgegnete Schorsch.

»Vor sechs Jahren!« erwiderte Gottfried. »Aber nicht um einen Gulden!«

»Das ist auch meine Manier für gewöhnlich gar nicht,« bemerkte der junge Weilerbauer; »es ist mir heute nur so in den Kopf gekommen! – Aber Spaß muß sein! Spielen wir um einen Sechser!«

Gottfried schüttelte den Kopf.

»Ei,« sagte die Sophie zu ihm, »laß dich doch nicht so rausfordern! – Probier's! Ich halt' dir den Daumen!«

Der Schorsch lächelte. Gottfried sagte: »Nun, meinetwegen!«

Die Zuschauer gaben durch Bewegungen und Mienen ihre Teilnahme kund. Der junge Frick, der sogleich gegen seinen Überwinder Partei nahm, rief: »Der Stöckle muß aber vorher eine Probekugel machen dürfen!« – Schorsch erwiderte: »Zwei für eine!«

Gottfried schob eine Probekugel, die hart am ersten vorbeiging, aber nur einen Kegel nahm. »Es gilt!« rief er. Er schob mit Bedacht wieder und warf sechse um.

Der Schorsch zielte vorsichtig, gab der Kugel besonderen Nachdruck – und sieben Kegel lagen am Boden.

»Der Sechser ist des Bückens nicht wert,« bemerkte der Sieger lächelnd. »Lassen wir die zwei gelten – weil doch der Dinkel so gut hereingekommen ist!«

»Es gilt,« sagte Gottfried. – Er nahm die Kugel, zielte und ließ sie scharf hinausrollen.

»Sieben!« riefen mehrere Zuschauer mit dem Aussetzer. – Die beiden Fricken warfen schadenfrohe Blicke auf den Schorsch.

Dieser schob, – »Eingestellt!« erscholl es.

Heiter sagte der Bursche hierauf zu Gottfried: »Setzen wir dazu, damit wir nicht ganz umsonst schieben!« – Nachdem dies geschehen, warf er nach raschem Absehen die Kugel, – und wieder lagen sieben.

»Jetzt heißt's aufpassen!« rief der junge Frick dem Gottfried zu. Unter einer Spannung aller Anwesenden, als ob um einen Bauernhof gespielt würde, nahm Gottfried die Kugel und warf.

»Eingestellt!« schrien die beiden Fricken wie aus einem Munde, und der junge, sich vergnügt die Hände reibend, setzte hinzu: »Brav, Gottfried!«

Schorsch, das Geldstück zu den übrigen werfend, rief: »Hier liegt mein Sechser!«

»Und hier der meine,« versetzte Gottfried. Er nahm die Kugel und schob mit ganzer Kraft. Acht Kegel lagen, der neunte hatte gewackelt.

Die Zuschauer gerieten förmlich in Aufruhr. Der alte Frick, nachdem er den jungen in Bewunderungsrufen unterstützt hatte, sagte zu Schorsch: »Nun, Vetter Hechtfischer? Dasmal hast du deinen Meister gefunden, scheint's!«

»Wir wollen halt sehen!« erwiderte Schorsch. Mit einem Gesicht voll stolzen Vertrauens, geschickt, um nicht zu sagen flott, sandte er die Kugel aus der Hand – die neune lagen am Boden wie umgerissen!

Ein erschütterndes »Ah!« drang aus den Kehlen der Zuschauer. Der Oberknecht rief triumphierend: »Das hätt' ich vorher sagen können! Gegen den steht keiner auf!«

Die Gäste waren förmlich bestürzt über das Glück und die Geschicklichkeit des jungen Weilerbauers. Die beiden Fricken sahen mit einer Beschämung vor sich hin, als ob sie eines sehr dummen Streiches überwiesen wären; und die Base und das Bäschen zeigten ihre Sympathie mit ihnen durch unverhohlenes Mißvergnügen. – Der Rothenbauer und seine Tochter hielten ihre Gefühle zurück, konnten sie aber doch nicht ganz verbergen. Jener warf gelegentlich einen vergnügten Blick auf den Schorsch, und diese sagte mit dem Ton des Bedauerns zu dem Besiegten: »Du hast kein Glück gehabt, Gottfried!«

Unser Bursche, nach einem Moment des Unmutes, hatte mittels eines Gedankens, der ihm gekommen war, die Ruhe, ja die Heiterkeit seiner Seele wiedergewonnen. Er erwiderte: »Doch! der Hechtfischer hatte nur noch mehr gehabt! – Und er kann's besser!«

Schorsch, der die letzten Worte gehört, wandte sich zu ihm und sagte mit Art: »Zwischen dir und mir dreh' ich die Hand um. Stöckle! – Aber,« fuhr er fort, »mit dem Profit will ich heut' nicht nach Hause gehen! – Zum Spielen hat niemand mehr Lust?« – Allgemeines Kopfschütteln. – »Dann,« sagte er zum Oberknecht, indem er ihm die abgesonderten Gewinnstücke übergab, »vertrinkt's auf meine Gesundheit!«

»Danke schön! Danke schön!« riefen mit dem Knecht mehrere, die mitzutrinken hofften.

»Bedankt euch,« erwiderte der junge Weilerbauer, »auch beim Stöckle, und,« setzte er mit heiterer Bosheit hinzu, »namentlich beim jungen Fricken!«

Ein Schmunzeln der braunen Gesichter antwortete ihm.

Die Stimmung Martins konnte dadurch begreiflicherweise nicht verbessert werden. – »Du bist aber heut' übermütig!« rief er dem Sieger zu. »Am Ende, daß du das Kegeln kannst, das ist kein Wunder. Du hältst dich in der Übung!«

Schorsch, durch die Absicht in diesen Worten gereizt und im Rausch seiner Erfolge, entgegnete mit Stolz: »Ich kann noch manches, mein guter Martin, was ein anderer vielleicht nicht so gut kann wie ich!«

»Zum Beispiel?« fragte dieser mit herausfordernder Miene.

»Zum Beispiel,« erwiderte Schorsch, »tät' ich mir getrauen, dich aufs Gras zu legen, wenn du Lust hättest, mit mir zu meistern!«

Der junge Frick schwieg.

»Du scheinst aber keine Lust zu haben dazu?« fuhr jener spöttisch fort.

»Ich fürcht' dich nicht, Hechtfischer,« entgegnete Martin; – »aber,« fügte er mit einer gewissen Vornehmheit hinzu, »ich weiß nicht, ob's hier grad passend ist!«

Schorsch nahm eine unbefangene Miene an. »Nun,« sagte er, »es wär' ja nur eine Unterhaltung! – Vetter Rothenbauer, ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen! – Wir werden einander nichts tun; es handelt sich bloß darum, wer unten hinkommt!«

Der Rothenbauer versetzte: »Zum Spaß, – meinetwegen!« Der alte Frick, sehend, daß hier kein Geld zu verlieren, sondern möglicherweise Ehre zu gewinnen sei zuckte nur die Achsel.

Martin zog entschlossen die Joppe herunter; Schorsch desgleichen. Sie gingen miteinander auf den freien Grasplatz, der hinter der Laube lag, und die Anwesenden schlossen einen Kreis um sie.

Der Rieser Bauernbursch, wenn er nicht zufällig in der Garnison etwas gelernt hat, ist kein geschulter Ringer; findet also einmal unter Erwachsenen ein solcher Wettkampf statt, so kommt es auf Körperstärke, angeborenes Geschick und allenfallsige Traditionen aus der Schulbubenzeit an.

Was die Stärke betraf, so konnte man den jungen Fricken dem Schorsch gewachsen halten. Er hatte nicht seine Größe, aber er war untersetzt und gut genährt; er genoß auch schon als Bub den Ruhm eines guten »Reißers«, und daß er unterlag, war durchaus keine Notwendigkeit.

Die Gegner gingen aufeinander los, und einer suchte den anderen zu fassen. Aber jeder war vorsichtig, und das Spiel ging hin und her. Endlich glaubte Martin seinen Vorteil zu ersehen und den Schorsch um den Leib zu kriegen; dieser wich jedoch der Bewegung aus, fuhr mit großer Behendigkeit ihm unter die Arme, umschlang ihn, hob ihn auf, daß er zappelte, warf ihn nieder und legte sich seiner ganzen Länge nach über ihn. Alles das ging so schnell, daß es eine wahre Freude war zuzuschauen, und die meisten der Umstehenden konnten sich nicht enthalten, in Rufe der Bewunderung auszubrechen.

Martin mußte sich für besiegt erklären.

»Der junge Frick hat heut' kein Glück,« meinte der alte Taglöhner mit einem Faunlächeln zu dem Oberknecht, dessen lederbraunes Gesicht leuchtete, als ob er den Martin gezwungen hätte. »Das weiß unser Herrgott!« erwiderte er. »Warum sticht ihn aber der Haber, mit dem Schorsch anzufangen? So einen gibt's nicht im ganzen Ries!«

Als der Überwundene zu seinem Vater zurücktrat, um die Joppe anzuziehen, sagte dieser: »Mit dir heb' ich aber heut' eine Ehr' auf, Potz Tausendsakerment! – Wir zwei, glaub' ich, könnten jetzt heimgehen miteinander!«

Martin, der sich wieder gefaßt hatte, schüttelte den Kopf und sagte: »Ist nicht so arg! Wenn ich ihn um den Leib gekriegt hätte, wär's anders gegangen!«

»Das glaub' ich,« entgegnete der Alte höhnend.

»Nun ja,« versetzte jener, »er hat eben Glück gehabt und ist mir hineingekommen!«

Der Schorsch, der beim Rothenbauer gestanden war, hatte sich umgedreht und die letzten Worte gehört. Er lächelte.

Martin, ihm zunickend, rief: »Ja, Schorsch! So ist's auch! – – Aber jetzt,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, »möchte ich nur eins sehen!«

»Was?« versetzte der junge Weilerbauer. »Willst du's nochmal probieren mit mir?«

»Ich hab' genug,« erwiderte Martin. »Aber sehen möcht' ich, wie du mit dem Stöckle zurechtkämst!«

Schorsch, zu Gottfried gewendet, sagte: »Willst du's versuchen, Stöckle? – Komm raus! – Ich bin noch lang' nicht müd' – der Martin hat's gnädig gemacht mit mir! – Allons!« fügte er ermutigend hinzu.

Gottfried schüttelte den Kopf, nicht ohne Ungeduld. »Was fällt euch beiden ein!« rief er. »Ich bin nicht hergekommen zum Reißen!« – Lächelnd setzte er hinzu: »Ich glaub's vorher, daß du stärker bist als ich, Hechtfischer!«

»Das glaub' ich nicht!« rief Martin mit Bedeutung.

»So komm!« wiederholte Schorsch zu Gottfried. »Die Zeit vergeht – die Leute wollen zu Nacht essen – und vorher noch ein kleiner Spaß kann nicht schaden! – Wir wollen doch einmal sehen!«

Gottfried schien zu überlegen. »Ich dank' schön!« sagte er dann. »Im Ernst!«

Sophie trat zu ihm. »Fürchtest du dich?« fragte sie ihn scherzend.

»Ich find' es nicht nötig!« erwiderte der Bursch. »Warum soll ich mit dem Schorsch reißen?«

»Mir,« versetzte das Mädchen, »würdest du ein Vergnügen damit machen! – Ich bin gradenwegs neugierig, zu sehen, wer von euch den andern zwingt! – Probier's!«

Gottfried sah sie an – und lächelte mit einem eigentümlichen Ausdruck. Er hatte bemerkt, daß sie den Sieg des Schorsch über den Martin zwar nicht mit dem offenen Vergnügen ihres Vaters, aber doch auch gar nicht ungern gesehen hatte. Der Unterschied zwischen einem bloßen guten Freund und einem Liebhaber oder gar Bräutigam für ein Mädchen kam ihm wieder ins Gedächtnis, und er entnahm aus den Worten der Sophie, daß sie sehen möchte, wie ihr Schorsch noch einen auf den Boden legte.

Er fühlte sich gereizt. Eine Stimme in ihm rief. »Den Spaß sollt' ich ihnen doch verderben!« Entschlossen wendete er sich zu dem Herausforderer und sagte: »Gut, ich probier's mit dir!«

»Bravo!« rief der junge Weilerbauer und trat in die Mitte des Platzes. – Der Kreis der Zuschauer begann sich wieder zu runden.

Während der wackere Holzländer die Joppe auszog, mußte er nun aber erfahren, daß »zwei Seelen in seiner Brust wohnten«. Es kamen ihm Gedanken. Ihm fiel zunächst ein, daß er eigentlich mit dem Vorsatz hergekommen sei, für den Schorsch, den er letzthin beleidigt hatte, etwas zu tun, wenn dieser sich freundlich gegen ihn benähme, was durchaus geschehen war. Dann glaubte er gerade darum auch nicht hier zu sein, um dem Rothenbauer und seiner Tochter einen Verdruß zu machen, indem er den Schorsch demütigte – des bißchen eitler Ehre wegen! – Diese Gedanken, die sich ihm aufdrängten, lähmten seinen Unternehmungsgeist. Er war in Zwiespalt mit sich selbst und ging nicht mit ganzer Kraft in den Kampf.

Eins indes glaubte er sich schuldig zu sein: geworfen wollte er nicht werden! Wie nun der Schorsch gegen ihn anging, wehrte er sich – hielt sich und machte sich frei; es war ihm nicht beizukommen. Als aber der Gegner in erwachender Ungeduld sich Blößen gab, nutzte er sie nicht, wobei ihn freilich auch seine natürliche Langsamkeit unterstützte. Er versäumte selbst eine Gelegenheit, die so deutlich wurde, daß der junge Frick wie rasend schrie: »Faß ihn! Unterm Arm!« – Die Möglichkeit war vorüber; aber der Zuruf wirkte dennoch: das Gegenteil! Gottfried, in Konfusion gebracht, bot seinerseits eine Blöße, der junge Weilerbauer fuhr ihm wie der Blitz unter die Arme, riß ihn an sich heran und lupfte ihn. Noch hatte der Bursche das Gefühl, daß er den Boden wieder erreichen und dann erst recht anfangen könnte – wenn er wollte! Aber ein paar Sekunden vergingen, ohne daß er wollte – und er lag am Boden.

Die Verehrer und Verehrerinnen des schönen Hechtfischer, die Schmeichler des künftigen Rothenbauers – die »Leute« – erhoben ein Jubelgeschrei.

»Hab' ich dich gezwungen?« rief der Schorsch dem unter ihm liegenden Gottfried zu.

»Jawohl!« erwiderte dieser. »Laß mich jetzt nur auf!« Jener erhob sich, und der Besiegte desgleichen.

Unser Bursche, nachdem er sich gesäubert und die Joppe wieder angezogen hatte, lächelte – halb verlegen, halb mit sich zufrieden. Schorsch glaubte ihn trösten zu müssen und tat es nach Maßgabe des vollkommenen Machtgefühls, das ihn beseelte. Er sagte: »Ein bißchen mehr Mühe hast du mir doch gemacht als der Martin!« – »Ist genug Ehr' für mich,« antwortete Gottfried und trat auf die Seite.

Schorsch wurde vom Rothenbauer, hinter welchem das Gesinde stand, in Empfang genommen. Der künftige Schwäher des Triumphierenden strahlte vor Vergnügen. »Vetter,« rief er, »du bist doch ein Teufelskerl! Alles steht dir an – und alles kannst du!«

Bei diesen Worten verzog die Geliebte des Martin sehr sichtbar die roten Lippen, nahm die Alte bei der Hand und sagte: »Mutter, jetzt ist's über Zeit, daß wir heimgehen! – Komm! Ich bitte dich!«

Die Gäste vom Dorf kamen überein, daß man heute genug Vergnügen genossen habe, und verabschiedeten sich unter Danksagungen für die gute Aufwartung.

Gottfried, allein zur Seite stehend, gedachte seinerseits Adies zu sagen, als die Sophie auf ihn zutrat. Ihr Gesicht drückte einen Vorwurf aus. »Warum hast du dich denn von dem Schorsch zwingen lassen?« sagte sie.

Der Bursche sah sie »verhofft« an. »Nun,« erwiderte er, »das muß ich sagen! Ist dir das nicht einmal recht?«

Das Mädchen betrachtete ihn. Ihre Züge erhellten sich und sie rief: »Also deswegen? – Nein, das ist kaum zu glauben!« – –

Als der Bursche bei sinkender Nacht heimging, sagte er zu sich: »Am End' ist mir die Sophie doch gut! – Das heißt – – O das Geld, das Geld! – Wenn das Geld nicht wär'!«


III.

Es war Ausgang August. – Sophie hatte sich in der Lage, in der wir sie zuletzt gesehen haben, bis dahin zu erhalten gewußt; aber nun rüstete sich das Geschick, der Unbestimmtheit ein Ende zu machen.

In diese Lage hatte sie jener erste Besuch Gottfrieds gebracht und der Blick, der sie in dem Herzen des guten Freundes die ehrlichste Zuneigung erkennen ließ. Sein Benehmen beim Abschied hatte die Wahrnehmung ergänzt: Sophie wußte nun gewiß, daß die treue Seele ihr gehöre, mehr als sie selber es ahne. Durch die Art, wie sich dies offenbarte, durch die Bescheidenheit und Herzensgüte des Burschen war sie zugleich geschmeichelt und gerührt, und auch ihr Gefühl gegen ihn erfuhr eine Verwandlung.

Schorsch, der bis dahin allein als Bewerber vor ihrer Seele stand, hatte einen Nebenbuhler erhalten.

Aber freilich keinen, der seinem Zweck hätte gefährlich werden können.

Wenn die Sophie zu Gottfried das unbedingteste Zutrauen fühlte, wenn die Liebe seines Herzens ihn in ihren Augen selber verschönte und ihn liebenswert erscheinen ließ – daran konnte sie nicht denken, daß ihr zum Heiraten zwischen ihm und dem jungen Weilerbauer die Wahl gelassen würde.

Ihr Vater, wäre sie ihm damit gekommen, hätte sie als eine Tolle behandelt.

Das Gut Stöckles war etwa zwölftausend Gulden wert, und er hatte darauf so viel Schulden, daß er sich nur eben anständig erhielt und wenig vorwärts kam. Den Hof des Rothenbauers schätzte man auf dreißig- bis vierzigtausend, und er hatte noch Geld am Zins!

Würde die Sophie den Gottfried geheiratet haben, so wäre das im Ries als eine Mißehe angesehen worden, über die man sich lange nicht beruhigt hätte.

Für den jungen Weilerbauer sprachen alle Gründe. Die Familie stand in gleichem Ansehen und hatte durch die Verheiratung der städtisch gebildeten Tochter an einen Assessor, der noch Gott weiß was alles werden konnte, einen ganz besonderen Glanz erhalten. Der Weilerbauershof zählte mehr Morgen Landes als selbst der des Rothenbauers. Hatte Schorsch auch noch einen jüngeren Bruder, der das Gut erhielt, so versprach die Weilerbäuerin doch ein sehr ansehnliches Heiratsgut. Und wenn damit die Hauptsachen in der Ordnung waren, so fiel zugunsten dieses Bewerbers auch der Umstand noch ins Gewicht, daß er einer der schönsten und geschicktesten Burschen im Ries war. Als Nebenvorzug hat das gar wohl auch seine Bedeutung. Wenn sonst alles gesichert ist, dann kann der Schwiegervater auch dieser Eigenschaften seines Tochtermannes sich freuen und bei Gelegenheit sich etwas darauf zugute tun.

Wahrlich, die Sophie tat viel für den Gottfried, daß sie ihr Jawort nur hinausschob! Sie konnte das als einziges und etwas verwöhntes Kind, und sie tat es, einem tiefen Zug ihres Herzens zu folgen. Solang' es anging, wollte sie für sich die Freiheit haben – und dem Gottfried das Herzeleid ersparen. Was den Schorsch betraf, so wollte sie zusehen, was es eigentlich für einer wäre – und ob ihm auch wirklich zu trauen sei!

Daß der schöne Bursch, bevor er sich um sie bewarb, den hübschen Mädchen nachgegangen war, und daß er bei Gelegenheit immer noch sehr gern viel draufgehen ließ, das wußte sie ebensogut wie ihr Vater. Und wenn sie als Bauernmädchen nicht von übertriebener Zartheit war, so hielt sie es doch namentlich in Rücksicht auf jenen ersten Hang für geraten, den Freier noch eine Zeitlang im Auge zu behalten.

Von den eigentlichen Gründen ihrer Zögerung ließ sie den Vater übrigens nichts merken. Sie begnügte sich, auf seine Ermahnungen zu erwidern: es habe ja keine Eile; – einen Monat früher oder später geheiratet, wäre ja wohl einerlei; – sie habe es eben gut beim Vater und wolle noch eine Zeitlang bleiben, was sie sei! – Einmal sagte sie lächelnd: »Wenn ich mich auch noch besinne, der Schorsch wird deswegen doch nicht von mir abstehen!«

Die Schlauheit des Weibes lehrte sie, von Gottfried in einer Art zu reden, daß in der Seele des Alten das aufgestiegene Bedenken sich wieder verlor und er selber den Schorsch zu beruhigen vermochte, der einmal gemeint hatte: der Gottfried gelte doch besonders viel bei der Sophie! – Der Vater benutzte diese Rede, dem Freier klar zu machen, daß das nur eine alte Anhänglichkeit sei aus der Schulzeit her, daß der Gottfried nur in einer Art etwas bei ihr gelte, in der andern aber, wie er, der Schorsch, meine, gar nichts; daß seine Tochter im Grund nur zeigen wolle, sie sei nicht stolz geworden gegen ihn, und daß es eine Art sei, ihr zu gefallen, wenn man den wackeren Menschen, dem sie nun einmal nichts tun lassen wolle, freundlich behandle!

So war von Sophie die erste Hinausschiebung durchgesetzt worden von jenem Sonntag an bis zu dem kleinen Fest im Garten; und die zweite von hier bis zum Schluß des Erntemonats. Daß der Gottfried, um ihr, wie er meinte, einen Verdruß zu ersparen, sich vom Schorsch hatte werfen lassen, das hatte ihr noch ganz besonders das Herz bewegt. Sie erkannte darin eine Gutmütigkeit ohnegleichen und eine Wertschätzung ihrer Person; es wäre ihr nicht möglich gewesen, sich gleich danach mit dem Schorsch zu versprechen, und sie erwiderte daher einer neuen Mahnung des Vaters, der seinerseits vom Unterhändler gedrängt wurde: »Warten wir bis nach der Ernte! Dann will ich mich in Gottes Namen entschließen.« Der Vater bewilligte die Frist, nachdem er ihr das Wort abgenommen.

Die Ernte ging zu Ende. Sophie, ihrer Zusage gedenkend, saß in stiller Nachmittagsstunde allein im Kanzley; und während die Hände strickten, vertiefte sich ihre Seele in die Angelegenheit, die nun entschieden werden mußte.

Ihre Gefühle hatten sich nicht geändert. Vielmehr: jetzt, wo der letzte Termin heranrückte, empfand sie nur eine um so größere Scheu, sich an den Schorsch zu binden.

Nachdem sie mit großem Ernst vor sich hingesehen, sagte sie: »Woher weiß ich, daß er mich selber schätzt und gern hat und daß er sich nicht nur so anstellt, obwohl –«

Ihre Brust hob und ihre Wange färbte sich; ihr Gesicht erhielt einen empfindlichen und stolzen Ausdruck.

»Das ist kein Beweis!« rief sie dann mit einer Miene des Argwohns und des Unwillens. »Im Gegenteil! – Das ist's, was mir eben noch die meisten Gedanken macht!«

Sie schwieg. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Das Heiraten ist wahrhaftig kein Kinderspiel; und wenn man einmal drüber nachdenkt, dann hat's kein Aufhören mehr. Wer in der Blindheit dazu kommt, der ist vielleicht am glücklichsten; denn wie's nachher geht, das weiß man doch nicht. – – Es wäre besser gewesen,« setzte sie nach einer Weile hinzu, »der Gottfried hätte uns damals gar nicht besucht! – Er ist gekommen, weil wir unser Sach' nicht schön genug machen konnten für den Schorsch! – Sonderbar!«

Sie schaute gedankenvoll aus das Tischchen, an dem sie saß, und die Hände strickten weiter. Auf einmal wurden starke Tritte auf den Solenhofer Steinen des Haustennens hörbar. Sophie erkannte den Vater; ihr Herz klopfte, und ein banges Gefühl ging durch ihre Brust, als der Alte, der eingetreten war, gradenwegs zu ihr ins Kanzley kam.

Er sah sie an, suchte zu lächeln, was ihm aber nicht ganz gelang, und sagte: »Nun, Sophie? Ich will dir nur sagen, daß man eben das letzte Fuder Haber einführt!«

Das Mädchen, sich verstellend, erwiderte: »Soll ich den Leuten heut' abend was Besonderes richten?«

Der Bauer zuckte die Achsel. »Wir haben schon ein Fest gehabt,« entgegnete er. »Weißt du aber, was du mir danach versprochen hast? – Die Sache,« fuhr er zu der Schwelgenden fort, »muß jetzt ein Ende nehmen. Du ziehst diese Leute herum – ich wunder' mich nur, daß sie sich's gefallen lassen! Ich für meine Person hätte schon lang' gesagt: jetzt entweder geschieht's, oder es ist aus!«

Die Tochter neigte den Kopf ein wenig auf die Seite und sagte: »Die Weilerbäuerin, scheint's, hat mehr Geduld als du!«

»Sie geht aber jetzt auch zu End',« versetzte der Alte. »Der Schlome kommt morgen oder heut' noch und wird Ja oder Nein holen. – Das ewige Nausschieben muß ja nach und nach die besten Menschen verdrießen!«

Das Mädchen hatte aufgehört zu stricken und legte die rechte Hand an ihre Stirn, während sie sich auf den Ellbogen stützte. Der Vater sah sie an und rief: »Aber jetzt sag' mir nur, was hast du denn, daß du dich nicht entschließen willst? – Was ich bis jetzt gehört hab', das sind Redensarten gewesen. Nun sei einmal aufrichtig – denn ich hab's satt, als ob ich's mit Löffeln gegessen hätt'.« – Er warf einen spöttischen Blick auf sie und sagte: »Willst du vielleicht gar nicht heiraten? – Willst du eine alte Jungfer werden?«

Die Sophie konnte nicht umhin zu lächeln.

»Scheint nicht!« fuhr der Rothenbauer fort. »Gottlob – über den Punkt wären wir getröstet! – Also weiter! Hast du was gegen die Leute? Hast du was gegen den Menschen? – Etwas muß doch dran schuld sein an diesem ewigen ›Spreiße‹? Jetzt geh raus mit der Farb'!«

»Nun,« sagte das Mädchen, »wenn du's durchaus haben willst – ich kann eben kein rechtes Vertrauen fassen zum Schorsch!«

»Ach!« rief der Alte mit dem Akzent des Unwillens.

»Mir ist's halt immer,« fuhr das Mädchen fort, »als wollte er mehr den Hof wie mich!«

»Er will dich und den Hof dazu!« versetzte der Rothenbauer ordentlich böse. »Wer hat dir denn solche Skrupel in den Kopf gesetzt? – Man kann doch ein Mädchen jetzt nicht mehr fortlassen, ohne daß sie mit einer Dummheit im Kopf wieder nach Hause kommt! – Geh! Es wär' kein Wunder, er tät' dir nicht schön, so oft er kommt!«

»Das ist noch kein Beweis!« rief Sophie.

»So? Kein Beweis? – Was soll er denn aber sonst tun? Am Ende gar –«

Er hielt inne. Die Tochter verzog die Lippen, und aus ihren Augen sah ein stolzes Selbstgefühl. Nach einer Weile sagte sie: »Der Schorsch ist leichtsinnig gewesen – das leugnest du selber nicht. – Wer steht mir gut dafür, daß er's nicht wieder wird?«

Der Rothenbauer machte eine verdrießliche Bewegung. »Sein Verstand,« entgegnete er, »und die Jahre, in die er kommt! – Leichtsinnig! – Wenn man die Bursche nicht mehr heiraten wollte, die mit achtzehn Jahren den Mädchen nachlaufen und bankettieren, dann hörte die Welt auf!«

»'s ist nicht jeder so!« warf das Mädchen ein.

»Was verstehst du davon!« rief der Vater. – »In diesen Jahren hab' ich's grad so gemacht wie der Schorsch!«

Die Tochter sah ihn lächelnd an. »Wird so arg nicht gewesen sein!« erwiderte sie.

Der Alte machte ein kurioses Gesicht. »Gut!« sagte er. »Ich will dir nichts verzählen – es ist auch gar nicht not! – Die Narrheiten, die man in diesen Jahren macht, sag' ich dir, vergehen von selber – und damit Punktum!«

»Zuweilen kommt's aber doch vor, daß sie bleiben,« entgegnete Sophie. »Und grad beim Schorsch fürcht' ich –«

Der Alte sah sie an. »Hast du was von ihm gehört, seit er zu uns ins Haus kommt? Ich nicht! Nicht einmal ein dummes Gered'!«

»Ich auch nicht,« erwiderte die Tochter. – »Höchstens –«

Sie hielt inne.

»Nun?« rief der Alte begierig.

»Weil wir doch grad im Reden sind,« fuhr die Tochter fort, »so will ich dir nur sagen, daß er vergangenen Samstag vor meinem Kammerfenster gewesen ist!«

Die Miene das Alten erhellte sich spöttisch. »Das scheint mir das größte Verbrechen grad nicht zu sein!« erwiderte er.

»Er hat da allerlei Einfälle gehabt!« fuhr die Tochter fort. »Ich hab' ihm aber keine Audienz gegeben!«

»Daran hast du recht gehabt,« versetzte der Vater nun doch mit einer gewissen Billigung. – »Er hätt's auch bleiben lassen können! – Aber – was beweist das?«

»Daß er mich heiraten will!« erwiderte das Mädchen mit Bedeutung.

Der Alte, sie verstehend, schwieg.

»Ich gesteh' dir,« fuhr das Mädchen fort, »grad seit dieser Zeit bin ich argwöhnisch! – Er hat zwar gute Miene zum bösen Spiel gemacht und sich noch recht hübsch hinausgeredet; – aber es hat mich doch verdrossen!«

Der Rothenbauer schüttelte den Kopf. »Das ist nun wieder zu zimperlich!« entgegnete er. »Sei kein Christkindle! Auf den Einfall hätt' jeder kommen können!«

»Jeder nicht!« entgegnete Sophie mit Sicherheit. – »Ich kenn' einen, der hätt's nicht getan!«

»Wer ist das?« rief der Alte.

»Der Gottfried!« erwiderte das Mädchen.

Der Alte sah sie an – mit großem Befremden. Dann, indem er den Mund verzog, sagte er: »Daß sich der so was nicht herausnimmt, das ist doch wohl natürlich! – Wär' noch schöner!«

Das Mädchen, durch den verächtlichen Ton im Namen Gottfrieds beleidigt, versetzte: »O, der hätt' es so gut wagen können wie ein anderer! Grad so gut! – Aber er tut's nicht! Dafür hat er zu viel Respekt vor mir! Und zu viel Respekt vor sich selber!«

»O, o, o!« rief der Rothenbauer der für ihn allzu hochgesinnten Tochter entgegen. »Übertreib's nur nicht! – Daß der Gottfried Respekt vor dir hat,« fuhr er mit einer Miene zorniger Geringschätzung fort, »das dank' ihm der Teufel! – Wie könnte der glauben, daß für ihn was zu hoffen wär' –«

Er sah eine Röte aufgehen in dem Gesicht der Tochter, seine Züge verdunkelten sich und er rief: »Sophie, Sophie, mach mir keine Streiche! – Du hast dich verraten jetzt! – Sei still! Du hast dich verraten!« Und mit drohendem Ernst fuhr er fort: »Du glaubst am End', du kennst mich? Du kennst mich nicht, wie ich seh'! – Ich hab' dich gehen lassen bis jetzt, weil du im Grund nichts Unrechtes verlangt hast! Aber wenn dir solche Gedanken in dein Hirn kommen, dann will ich dir zeigen, wer Herr im Hause ist! – Der Holzländer, der ›Bedischt‹ – das wäre mir der Rechte! – Ich hab' mir aber doch gedacht, daß hinter dieser guten Freundschaft etwas stecken möcht'! – Der brave Mensch, der gute Mensch, der bescheidene Mensch!« fuhr er spottend fort. – »Ein unverschämter Mensch ist er!« setzte er mit Entrüstung hinzu.

»Vater,« entgegnete Sophie mit ernstem Nachdruck, »den Gottfried laß aus dem Spiel! – Er denkt nicht an mich! Dazu ist er viel zu vernünftig und bildet sich zu viel ein! Und ich denk' auch nicht an ihn! – Was tät's helfen? Du tät'st mir ihn doch nicht lassen!«

»Darauf kannst du einen Eid ablegen,« rief der Alte mit ausbrechendem Hohn. »Die Dummheit tätest du mir nicht machen, solang' ich's hindern kann! – Aber ich seh', 's ist die höchste Zeit, daß man dir einen Mann gibt! So geht's eben, wenn man euch so lang' ledig läßt; – da setzt ihr euch verrückte Gedanken in den Kopf und macht unsinnige Streiche! Gottlob, noch ist's Zeit; und jetzt geschieht, was ich will!«

Sophie, mit leisem Achselzucken, schwieg. Der Alte, der grimmige Blicke auf sie richtete, schnaubte hörbar, wendete sich dann rasch ab und ging in die Stube hinaus.

Nach einer Weile kam er langsam wieder herein. Seine Gesichtszüge waren ruhiger geworden, drückten aber einen Ernst aus, der das Aussehen des Kummers hatte. Er stellte sich vor die Tochter und sagte: »Sophie, du bist immer ein verständiges Mädchen gewesen, und ich muß dir's zu deinem Ruhm nachsagen, ich hab' mich über dich nie zu beklagen gehabt! Jetzt hör' mich an! Was du gegen den Schorsch vorgebracht hast, das sind alles Einbildungen, die keinen Grund und keinen Boden haben! Er ist ein lustiger Mensch gewesen, wie wir in diesen Jahren alle! Er ist aber ein Mensch, der sein Handwerk versteht, und ein Angeber, der seinesgleichen sucht – wenn er unsern Hof kriegt, dann wird er bald noch mehr einschneiden, als ich jetzt, und in zehn Jahren ist er der reichste Bauer im Ries! – Ein guter Mensch ist er obendrein. Und ein Mensch, der sich benehmen kann und mit dem man Ehr' aufhebt, wo man sich mit ihm sehen läßt! Und die Verwandtschaft, in die wir durch seine Familie kommen, macht uns grad auch keine Schand'!«

Nachdem er diesen letzten Trumpf noch bedeutsam nickend ausgespielt, als wäre das die Hauptsache, fuhr er fort: »Ich – das weißt du vielleicht gar nicht – hab' nicht so groß angefangen; – ich hab's aber zu was gebracht, weil ich's danach gemacht hab', und jetzt will ich, daß mein Kind nicht runter kommt, sondern nauf! Ich hätt' vor etlichen und zwanzig Jahren auch eine lieber gehabt als deine Mutter; aber mit jener wär' ich sitzen geblieben – und ich hab' deine Mutter genommen. Und die war ein braves und ein gescheites Weib – ich hab's nicht zu bereuen gehabt. Bild' dir nicht ein, daß ich zu hoch hinaus will. Ein anderer würde aus seiner einzigen Tochter eine der ersten Müllerinnen machen, oder eine Wirtin, oder eine Frau in der Stadt! Ich könnte das auch; denn unser Gulden gilt dort auch fünfzehn Batzen! Aber ich hab' meinen Hof gern, und ich will mit meinen Kindern drauf bleiben; und ich will einen Schwiegersohn drauf haben, der ihn verdient. Den hab' ich rausgesucht unter allen, die man mir angetragen hat, die Sach' ist nur so weit, daß sie fertig gemacht werden kann jeden Augenblick, und – du mußt heiraten! Es ist die höchste Zeit! – Also entschließ dich jetzt! Zeig, daß du nicht die Tochter bist, die ihrem Vater seinen Plan verderbt! Du kannst nichts mehr einwenden – und nun mach ein Ende!«

Nach diesen Worten, die er zuversichtlich und doch zugleich bittend gesprochen, reichte er seine Rechte hin – und Sophie, nach einigem Besinnen, schlug ein. »In Gottes Namen,« sagte sie; »ich will's wagen – dir zulieb'! – Ich weiß, ich wag' etwas dabei –«

»Wagen,« versetzte der Alte hocherfreut, »tut man immer beim Heiraten! Aber mit dem kannst du's wagen!« – Und zärtlich lächelnd setzte er hinzu: »Hat man das eine Plag' mit seinen Kindern, die man glücklich machen will!«

Kaum hatte er den Satz geendet, als die Stubentür aufgemacht wurde, und herein trat – der Schlome. – Vater und Tochter gingen ihm entgegen.

Der Unterhändler war eine stattliche Figur, von breitem Gesicht und runden Gliedmaßen. Die Nase, mehr dick als lang, hatte ein gutes Gepräge und bildete mit einem tüchtigen Kinn und aufgeworfenen Lippen ein kräftiges, Vertrauen erweckendes Ganzes. Er trat mit einer Freiheit und einem natürlichen Selbstgefühl in die Stube, als ob das Haus ihm gehörte.

»Nun, Schlome,« rief ihm der Rothenbauer zu, »heut' habt Ihr's einmal getroffen!«

Das Gesicht des Juden erhellte sich. »Hat sich die Jungfer Sophie entschlossen?« rief er. Und zu dem Mädchen gewendet, siegreich lächelnd, setzte er hinzu: »Wollen wir endlich heiraten? Wollen wir folgen?«

»Mein Vater tut's nicht anders!« erwiderte das Mädchen.

»Hat recht, daß er's nicht anders tut,« versetzte der Jude würdevoll. »Ich tät's auch nicht anders! – Hat man das eine Not mit einem Mädchen, der man den schönsten Mann ins Haus liefern will! – Die Jungfer Sophie, ich geb's zu, kann stolz sein. Aber ander' Leut' können's auch sein – und ich sag' euch, sie sind stolz. So wahr ich dasteh', ich hab' heut' den Auftrag gehabt, entweder komm' ich mit der Einwilligung – oder 's ist aus!«

»Siehst du?« rief der Alte zu seiner Tochter.

»Alles was recht ist, Rothenbauer,« versetzte der Jude. »Die Weilerbäuerin bildet sich was ein! Die bildet sich was ein auf ihren Schorsch – und sie kann sich was einbilden! – Was glaubt Ihr? Wenn ich hätt' reden wollen für diese oder jene, wie ich geredet hab' für die Sophie – ich hätte mir was verdienen können! – Geld, sag' ich Euch! Viel Geld!«

Das Mädchen, lächelnd, entgegnete: »Warum habt Ihr's nicht getan, Schlome?«

Der Jude wackelte schmunzelnd mit dem Kopf. »Warum ich's nicht getan hab'? – Weil ich hab' zusammenbringen wollen, was zusammenpaßt! Darum hab' ich's nicht getan!«

Der Rothenbauer und seine Tochter hielten ihre Heiterkeit nicht zurück. Schlome fuhr fort: »Wenn ich etwas tun soll, dann muß es recht werden, sonst tu' ich's nicht. Ich bin nicht der Mann, den man überall hinschicken kann! Ich muß selber meine Freud' dran haben! – und bei dem Geschäft, da hab' ich sie gehabt. Ich hab' gleich gesehen, das macht mir Ehr', wenn ich das zustande bring', und ich hab' mir Mühe gegeben und hab' mich geplagt und bin hin und her gegangen und hab' mir die Sohlen von den Stiefeln gelaufen – aber ich hab's gern getan. Warum? Rothenbauer, ich will Eure Tochter nicht schamrot machen; – aber sie hat was in ihrer Natur und in ihrer Miene: – wenn sie sich wollt' anziehen, wie man sich anzieht in der Stadt, sie könnt' eine gnädige Frau machen, so gut wie die beste!«

»So gut wie die beste Bäuerin!« ergänzte Sophie.

»Schmu,« versetzte der Jude lächelnd. – »Und der Bräutigam, der Schorsch?« fuhr er fort. »Wenn ich den so manchmal anseh', und er kommt mir nicht vor wie ein junger Baron, so will ich verschwarzen!«

»Oh,« rief das Mädchen, während der Rothenbauer lachte.

»Oh oder nicht Oh,« entgegnete Schlome. »So wahr ich 's Leben hab' – wenn die Weilerbäuerin nicht ein braves Weib gewesen wär' solang' sie lebt, und der verstorbene Weilerbauer nicht selber schon ein feiner Mann – ich hätt' mir, weiß Gott, Gedanken gemacht!«

»Hoho, Schlome,« rief der Alte. »Ich brauch' keinen Herrn zum Tochtermann, sondern einen Bauern!«

»Von was red' ich denn?« rief der Jude, »'s ist ein Bauer, und was für einer! Sieht aber aus wie ein Herr! Schad't das was?« Er sah das Mädchen an und fuhr fort: »Jungfer Sophie, zieren Sie sich nicht! Ein schöner Mann ist ein schöner Mann! Und wissen Sie was? Schöne Kinder, wenn man sie kriegt, sind schöne Kinder!«

»Geht doch!« rief Sophie.

»Nu,« entgegnete der Jude. »Davon soll man wohl nicht reden? – Bah!«

Der Rothenbauer, nachdem er vergnügt vor sich hin gesehen, bemerkte: »Schlome, meine Tochter hat Augen so gut wie jedes Mädchen. Daß der Schorsch ein schöner Mensch ist, das brauchen wir ihr nicht erst zu sagen! – Aber sie hat einen andern Skrupel!«

»Einen Skrupel?« rief der Jude, der ernsthaft zu werden begann. »Nun?«

»Daß der Schorsch sich auf die leichte Seite gelegt hat!« fuhr jener fort.

»Wieso?« fragte der Jude verwundert.

»Daß er – schöne Mädchen gern sieht!«

Die Züge Schlomes erheiterten sich. »Ist das ein Fehler?« sagte er schmunzelnd.

»O ja,« rief Sophie, »und das ein großer! Und ich sag' Euch, Schlome, wenn ich heut' noch was hörte, – ich tät' alles rückgängig machen!«

Der Jude stand da wie einer, der seine Ungeduld kaum zügeln kann. »Gott der Gerechte,« rief er, »so was soll man anhören im neunzehnten Jahrhundert!« – Und indem sein Gesicht einen Ausdruck von tiefem Unmut erhielt, setzte er hinzu: »Ich hätt' gute Lust, augenblicklich wieder fortzugehen!«

»Nu, nu,« versetzte der Bauer, »werdet nur nicht bös, Schlome!«

»Ich bin bös,« rief der Jude, »ganz ernstlich bös! – Wenn man sich Müh' gibt und gibt nicht nach und bringt zwei Leute zusammen, die unser Herrgott füreinander geschaffen hat, und man kommt einem da mit solchen Faxen! – Schöne Mädchen gern sehen! Ich seh' auch schöne Mädchen gern! Wir alle sehen schöne Mädchen gern! – Gut, gut, gut! Ich weiß, was Ihr sagen wollt! – Aber, Jungfer Sophie, lassen sie mich aufrichtig reden! Wenn Sie einen Mann wollen, der noch keine andere gern gesehen und am End' gar noch keiner andern gefallen hat, dann lassen sie sich einen schnitzeln – ich kann Ihnen keinen liefern!«

Mit diesen Worten drehte er sich unwillig um und ging, einem Beleidigten ähnlich, durch die Stube.

»Schlome,« begann der Rothenbauer, »was geschehen ist, das ist geschehen! Aber – weil wir nun grad dabei sind – die Sophie hat Furcht vor dem, was geschehen könnte!«

Der Jude blieb stehen. »Wirklich?« rief er. »Nun, ich hätt' nicht geglaubt, daß die Sophie so bescheiden wär'! – Wenn ich die Sophie wär', die Tochter vom Rothenbauer, und ich hätte den Schorsch Hechtfischer zum Mann, ich tät' mir getrauen, ihn zu behalten für mich! Der tät' mein gehören – und er sollte sich in der ganzen Welt nichts Besseres wünschen!«

»Das sag' ich auch!« rief der Alte.

Der Jude zuckte die Achseln und fuhr fort: »Man sieht wohl, daß ihr reiche Leut' seid und keine Sorgen habt, darum kommt ihr auf solche Späß'! – Nun, Jungfer Sophie,« begann er nach momentanem Schweigen, »ich will Ihnen was erzählen! Wie heut' die Weilerbäuerin zu mir gesagt hat: Geh, Schlome, und wenn du mir heut' wieder mit einer Vertröstung kommst, dann hat's ein Ende! – Da ist mir der Schorsch nachgelaufen in den Hof und hat gesagt: Herr Löw! – Herr Löw, hat er gesagt, machen Sie die Sach' gut heut', ich bitt' Sie! Ich muß heiraten und will heiraten, und ich kann's nicht erwarten, bis die Sophie meine Frau wird! Geben Sie sich Müh', ich weiß, Sie meinen's gut mit mir und Sie können was durchsetzen – ich werd' Ihnen dafür danken, solang' ich leb'! – Soll ich nicht gesund wegkommen von der Stell', gebettelt hat er an mir, der stolze Bursch, und hat ein Gesicht gemacht, als ob's ums Leben ging, und ein Zittern hab' ich bemerkt an seinem Leib! Nun, hab' ich zu mir gesagt, der ist verliebt! Der fürchtet, die Sache geht wieder zurück, und verschrickt auf den Tod! – Und ich muß Ihnen sagen, Jungfer Sophie, wen so eine Lieb' nicht rührt, der hat kein Herz!«

Der Rothenbauer war ganz ernsthaft geworden. »Ja, ja,« sagte er, »ich hab's ja auch gesehen, wie's ihm zumut ist!«

Das Mädchen hielt ihr Auge forschend auf den Juden gerichtet. Dieser bemerkte es. »Glauben Sie's etwa nicht?« rief er mit dem Ausdruck eines Gekränkten.

»Ich glaub's,« entgegnete Sophie.

»So machen wir der Sach' ein End'!« rief der Jude. – Und zu dem Alten gewendet fuhr er fort: »Ich hab' Euch gesagt, Rothenbauer, was die Weilerbäuerin gibt an Heiratsgut, an Ausstaffierung und an Vieh. Sie gibt auch noch den schönen dreijährigen Braunen her, der Euch so gut gefallen hat – sie tut, was sie kann, und läßt sich's bei Gott was kosten um der neuen Verwandtschaft! – Dafür gebt Ihr den Hof ab, wie wir's miteinander ausgemacht haben – – nu ja, ausgemacht haben wir's eigentlich nicht, Ihr habt noch nicht eingewllligt; aber Ihr müßt's tun, es geht nicht anders! Und dann zieht Ihr davon als Heiratsgut für die Tochter so viel ab, wie die Weilerbäuerin mitgibt ihrem Schorsch!«

»Das heißt,« warf hier das Mädchen ein, »mein Vater gibt uns den Hof über halb geschenkt und zieht dann nochmal die Hälfte davon ab!«

»Nu ja,« versetzte der Jude mit einem Blick der Überlegenheit. »Was macht's Ihnen, wenn er's tut? Haben Sie Ursache zu protestieren? Ist's ein so großes Unglück, wenn man anfängt zu hausen ohne Schulden?«

»Das nicht,« erwiderte Sophie. »Für mich nicht, – und noch weniger für den Schorsch!«

Schlome betrachtete sie mit einem Ausdruck von Befremden und Strenge. »Jungfer Sophie,« entgegnete er, »nehmen Sie mir's nicht übel, Sie fangen an mir sehr kurios vorzukommen! Was gut ist für die Frau, das ist gut für den Mann – gut für alle beide; Sie machen wirklich Umständ', daß man's kaum mehr aushalten kann. Ob's der Rothenbauer Ihnen jetzt gibt oder später, ist ganz einerlei – Sie kriegen ja doch alles! Aber es schickt sich nicht, daß man das einzige Kind mit Schulden anfangen läßt bei solchem Reichtum! Wir wissen ja, was ihm noch bleibt – wollte Gott, ich hätt's! Der Vater kann's tun, Sophie, und er muß es tun, denn sonst kommt er ins Gered' und verliert seinen Ruhm bei den Leuten!«

»Nun ja,« rief der Rothenbauer, »ich bin im Grund nicht dagegen! – Ein paar tausend Gulden mehr oder weniger – das soll die Sache nicht mehr aufhalten.«

Schlome sah ihn mit feierlichem Beifall an. »Rothenbauer,« rief er, »da habt Ihr einen Spruch getan! – Gut! Wir sind also einig? – Nun, dann halten wir morgen den Heiratstag! – Wird das eine Freud' sein, wenn ich den Leuten die Nachricht bring'!«

Sophie hatte sinnend dagestanden. »Morgen, Schlome,« sagte sie, »das geht nicht.«

»Warum nicht?« rief Schlome.

»Weil – – es kommt mir zu schnell!«

Der Jude zuckte und sein Gesicht erhielt den Vollglanz der Entrüstung. »Was!« schrie er. »Nachdem ich drei Monate hin und her gelaufen bin und vertröstet und hingehalten worden? – Jetzt reißt mir die Geduld!« – Er wendete sich und drehte sich zweimal im Kreise herum.

Sophie, unbekümmert um die Drohung in Wort und Aktion, versetzte mit ruhiger Entschiedenheit: »Ich hab' nachgegeben in der Hauptsach' – und nun will ich auch meinen Kopf haben! Heut' über vierzehn Tag' – es ist ein Dienstag und hat eine gute Bedeutung! – da soll die Verlobung sein. – Anders tu' ich's nicht – und mein Vater wird mich nicht zwingen wollen!«

Der Jude schien zu überlegen. Er nahm die Miene der Ergebung an und rief: »Großer Gott, was müssen wir uns gefallen lassen von den Weibern! Aber so sind sie! So sind sie alle miteinander! – So wahr ich Schlome heiß', der Schorsch dauert mich! Der hat eine gefunden! Wer in der Haushaltung die Hosen anhaben wird, das kann man erraten ohne Kopfzerbrechen!« – Er sah den Alten an. »Nun, Rothenbauer?«

»Zwei Wochen,« versetzte dieser, »sind keine Ewigkeit. – Lassen wir ihr den Eigensinn!«

Schlome nickte mehrmals mit großem Ernst. »Gut!« sagte er. »Dann setzen wir aber den Kontrakt auf, wie's jetzt ausgemacht ist! – Ihr versprecht das?«

»Ich versprech's,« erwiderte der Bauer.

»Und ich desgleichen,« setzte die Tochter hinzu.

»Und unterdes,« fuhr der Jude fort, »darf ich reden von der Sach' und darf sagen, daß die Familien einig geworden sind?«

»Von mir aus,« entgegnete das Mädchen, – »wem Ihr wollt!«

»Gott sei's gedankt!« rief Schlome feierlich. – »Aber jetzt,« fuhr er sich aufheiternd fort, »setzen wir uns! – Sie haben mich müd' gemacht, Sophie – Gehen Sie! Sie sind die Stolzeste und Hartherzigste im ganzen Ries!«

Das Mädchen zuckte die Achsel. Dann sagte sie: »Kann ich etwas aufwarten, Schlome? Ich hab' was Gut's!«

»Ich nehm's an!« rief der Jude. »Weiß Gott, von dem Laufen und dem Reden bin ich halb verdurstet!«

Er setzte sich an den Tisch; das Mädchen ging hinaus.

Der Rothenbauer sah den Unterhändler, der sich mit seinem Schnupftuch den Schweiß von der Stirn wischte, heiter an. »Der Kuppelpelz,« bemerkte er, »wird alles gut machen! – Was die Weilerbäuerin gibt, das geht mich nichts an – (der Jude zuckte die Achsel, als ob er sagen wollte: es wird nicht viel werden!) aber was ich geb', das weiß ich. – Ihr habt was verdient, Schlome!«

»Ob ich was verdient hab'!« rief der Jude. »Ihr mögt mir geben, was Ihr wollt, Rothenbauer, Ihr könnt mir's nicht vergelten, was ich getan hab'! Aber ich verlang's auch nicht! Ich begnüg' mich mit der Ehr' und mit dem Glück, was ich gestiftet hab'!«

Als der Schlome nach einer Stunde dem anderen Dorfe zuwanderte, sagte er sich: »Was das für harte Köpf' sind, diese Bauernköpf'! 's ist weiß Gott leichter, ein paar Ochsen einzugewöhnen, als diese Leut' zur Räson zu bringen! – Ist das ein Besinnen und ein Getu, daß man fast keinen Schritt vorwärts kommt! – Noch vierzehn Tag'; – na, sie werden vorübergehn, und dann werd' ich Ruh' haben, bis ich mir wieder eine neue Plag' auflad'!

»Ich bin wahrhaftig verschrocken gewesen,« fuhr er nach einer Weile fort, »sie könnten gehört haben, daß es bei der Weilerbäuerin nicht mehr ganz koscher aussieht! – 's geht wirklich schon ein Gerede! – Aber gottlob, so ein Großer glaubt an seinesgleichen und merkt immer zuletzt: geschwollen ist nicht fett!

Er lächelte. »Der Rothenbauer ist der Mann, die Leute wieder fett zu machen! – Wenn er mit seinen Kapitalien rausruckt, dann geht's wieder – und allen ist geholfen. Die Sophie kriegt einen Mann ins Haus, für den man sich schon was kosten lassen kann; und wohlhabend sind sie doch! Ob einige Tausende mehr oder weniger da hineinkommen, ist ganz gleichgültig! – Überhaupt: die Leut' müssen gar nicht so übermäßig reich sein, sie werden sonst zu übermütig!

»Wie lang' lauf' ich nun schon hin und her? – Weiß Gott, über ein Vierteljahr! – Nu, sie sollen mich bezahlen davor – tüchtig bezahlen – alle beide!«

Drei Tage später, und man wußte so ziemlich im ganzen Ries: Schorsch Hechtfischer wird Rothenbauer! Die vollendete Tatsache rief gewöhnliche und absonderliche Anmerkungen in Menge hervor. Leute wie der Rothenbauer und die Weilerbäuerin sind für die ländliche Umgegend immer eine Art historischer Personen, und die Verbindung ihrer Kinder ist ein Ereignis. Bei dem Reichtum der Braut, welche dermalen der beste Fisch war, der im Ries gefangen werden konnte – bei dem Ruf und dem Namen des Bräutigams fehlte es nicht an Anlaß zu launig-boshaften Reden, die man sich denn auch zur Unterhaltung nirgends versagte. Viele prophezeiten Unheil und gaben Tag und Stunde an, wo die Sophie ein unglückliches Weib sein werde. Andere, von dem ewigen »Ausrichten« gelangweilt, nahmen sich des Paares an; man stritt, erzählte Beispiele aus früheren Zeiten, ließ Sprüche der Weisheit ertönen und hatte so eine Reihe von Tagen den angenehmsten Zeitvertreib. Proben derartiger Gespräche zu geben, gehört nicht zu meiner Aufgabe. Ich habe nur mitzuteilen, was die Nachricht auf einen Rieser für eine Wirkung hervorbrachte.

Gottfried, von jener Unterhaltung beim Rothenbauer heimgekehrt und seine Geschäfte treibend, konnte die letzte Rede der Sophie nicht vergessen. – Sie hätte gern gesehen, daß er den Schorsch geworfen, zum wenigsten, daß er sich von ihm nicht hätte zwingen lassen – das stand fest! Welche gute Gesinnung zeigte das gegen ihn! Er galt bei ihr so viel wie der Schorsch – wenn nicht am Ende mehr! Wie wohl tat ihm das! – Welche Wünsche – welche Hoffnungen erstanden wieder in seiner Seele! – Alle Pläne, die er auf seine Entsagung gebaut hatte, waren über den Haufen geworfen.

Unser Bursche erfuhr bei dieser Gelegenheit zum erstenmal, daß er ein Herz hatte, ausgerüstet mit aller Fülle der Leidenschaft. Er überzeugte sich, daß es noch einen anderen Willen gibt als den des Kopfes – und daß gegen ihn, wenn er sich mächtig erhoben hat, vernünftige Gedanken und Vorsätze nur sehr wenig auszurichten pflegen.

Es ist so süß, dem Drange der Neigung nachzugeben! So süß, die Geliebte sich zu denken als Liebende, und sich die Freude vorzustellen, die man hat, wenn man glücklich ist! – Sich an Bildern des Glücks zu ergötzen ohne allen Grund, das ist allerdings unmännlich und schwach. Aber wenn sich nun eine Möglichkeit zeigt, – wenn sich denken läßt, daß es auf diese oder jene Art doch noch so gehen könnte, wie das Herz sich wünscht: sollte man auch diesen Gedanken nicht nachhängen, sich nicht vormalen dürfen, wie es etwa gehen möchte? – Das ist offenbar ganz was anderes!

Der wackere Gesell folgte dem Hang seiner Seele und ließ seinen Träumen ihren Lauf. Sehnsucht und Einbildungskraft arbeiteten zusammen – und bauten Schlösser auf und ließen Dinge geschehen, die sehr wunderbar, aber für ihn auch sehr beglückend waren. Daß die Wirklichkeit zuweilen mit den Vorstellungen in argen Widerspruch geriet, das störte ihn nicht. Phantasierte sich's auch am besten in der Einsamkeit des Waldes, dessen Töne so schön einklangen in die Musik der Seele, so gelang es ihm doch auch auf dem Felde, bei harter Arbeit in Sonnenglut, beim Angesprochen- oder Angeschrienwerden von seiten der Nachbarsleute und abziehenden Begegnissen aller Art. – Manchmal freilich besann er sich und erwachte, sah die Traumbilder als das an, was sie waren, und erklärte sie für eine sehr große Narrheit. Aber er sah an dieser Narrheit jetzt doch auch eine Seite, die sie nicht ganz sinnlos erscheinen ließ; und wenn er sich früher darüber erzürnt hatte, jetzt lächelte er über sie – und über den, der sie beging.

Gottfried war glücklich – und er gönnte sich das Glück. Keinem Menschen, auch nicht der Mutter, sagte er ein Sterbenswörtchen davon. Der Alten hatte er erzählt, daß er mit dem Schorsch gemeistert, aber es für schicklich gehalten habe, nicht alle seine Kraft gegen ihn anzuwenden; und sie, wenn auch mit einem gewissen Blick, hatte es gebilligt. Wenn sie ihn jetzt gelegentlich an sein Versprechen erinnerte, so lächelte er nicht ohne einen Ausdruck von Selbstgefühl. Seit jener Rede der Sophie traute er sich Gott weiß was zu; und es stand ihm jetzt gar wohl an, wenn er der Mahnerin erwiderte: sie solle nur ihn sorgen lassen! – Daß die Geschichte mit dem Schorsch nicht recht vorwärts gehen wollte, das hatte offenbar seinen Grund. Unwillkürlich legte er in seinen Gedanken der Sophie einen Einfluß auf ihren Vater und eine Festigkeit bei, die zuletzt noch ihm zugute kommen möchten!

Welch ein Donnerschlag war es nun für ihn, als er vernahm, der Rothenbauer und die Weilerbäuerin seien einig, die Heirat sei ausgemacht! Er hörte das von einem, der's nicht nur von dem Juden, sondern vom Rothenbauer selbst hatte – von einem Nachbar, der keine Lügen zu sagen pflegte! Er konnte nicht zweifeln! Zum Glück war der Mann, während er es ihm abends in seinem Hof erzählte, mit Abwaschen eines Gerätes beschäftigt und hatte seine Augen darauf gerichtet – er konnte also nicht sehen, wie Gottfried erschrak und blaß wurde. Der Arme war förmlich vernichtet. Das einzige, was er zu antworten vermochte, war: »So! – Endlich!« Dann wendete er sich instinktmäßig weg und sagte: »Guten Abend!« Der andere rief: »Wo willst du denn hin so schnell?« – »Ich will's meiner Mutter erzählen!« erwiderte Gottfried und verschwand.

Alles war zerstört. Nun waren die Vorstellungen, an denen er so glückselig gehangen hatte, eben doch eine Narrheit gewesen, und zwar die allergrößte! Die Hoffnungen, die er gehegt, waren gegründet auf die unsinnigsten Einbildungen! Wie grausam schämte er sich ihrer! Wie brennend ging es ihm durchs Herz, und wie trieb es ihm das Blut ins Gesicht, daß ihm förmlich der Kopf schwoll! Er hatte sich der unverzeihlichsten Eitelkeit schuldig gemacht; – und für ihn, der dem Guten nachgetrachtet und sich schon für so weise gehalten hatte, war's eine dreifache Schande! Alles war verloren – das Glück und die Ehre eines vernünftigen, bescheidenen Menschen! – Das war die gerechte Strafe für die Hoffart seiner Wünsche und Hoffnungen! Die Sophie, die reichste Bauerntochter sechs Stunden im Umkreis, die Seinige! – Er fuhr ordentlich zusammen, daß er die Kühnheit gehabt, einen so ganz unglaublichen Gedanken zu fassen.

Die Nachricht der Mutter mitzuteilen, konnte ihm natürlich nicht einfallen. Er lief aufs Feld hinaus und dort hin und her, bis es dunkel wurde. Dann kehrte er heim und ging gleich zu Bette. – Nach einer schlechten Nacht suchte er in aller Frühe den Wald auf und kam gegen Mittag abgearbeitet, matt und hungerig nach Hause. Wie er vermutet, erzählte ihm die Mutter nun selber die Neuigkeit, und er konnte darauf antworten: »Haben sie einmal Ernst gemacht? Sie haben sich lange besonnen, die Leute!«

Sein Leben wurde still und einsam, stiller als je vorher. Er faßte sich wieder; aber sein Herz blieb gedrückt und keine Freude kam in ihm auf. Über sein ganzes Wesen breitete sich ein Schleier von Trauer aus und es kostete ihn große Anstrengung, gegen andere den wahren Grund nicht merken zu lassen.

Kein lebendiger Mensch kann aber so entsagen, daß sein Herz gar nicht mehr dagegen aufstände und kämpfte. Jeder ist fähig der Eifersucht und des Neides; jeder kann erzürnt das Geschick belangen wollen, das ihm geweigert, was es anderen gegeben hat. Wenn unser Gottfried siegreich kämpfte gegen Anwandlungen böser Mißgunst und gegen den Reiz, den glücklichen Nebenbuhler sich als einen Unwerten vorzumalen, so konnte er sich doch nicht die Sophie als das Weib eines anderen denken, ohne daß es ihm grausame Stiche ins Herz gab. Sie kam ihm jetzt würdevoller, lieber und schöner vor als nur jemals: und so sollte ein anderer sie haben und sollte leben mit ihr! – Und er? – Nahm er trotzdem ein Weib: er konnte sich nicht vorstellen, wie er irgend Freude an ihr haben sollte. Unmutig, erzürnt wandte er sich von dem Gedanken weg, so oft er sich ihm darstellte.

Der Mutter, welche Mühe er sich gab, ihr gegenüber gleichgültig zu tun oder sich über allerlei Unannehmlichkeiten, wie sie in jedem Geschäft Vorkommen, ärgerlich zu stellen, mußte sein Wesen notwendig auffällig werden. Sie schüttelte den Kopf, als ob sie ihn nicht mehr recht begriffe, und beschloß, der Sache auf den Grund zu kommen. – Sie hatte dabei ihre Gedanken – und – einen Vorschlag.

Eines Nachmittags, wo ein Landregen den Sohn zu Hause hielt, begann sie ohne weitere Einleitung: »Hör einmal, Gottfried, du hast etwas in deinem Kopf! Leugn's nicht! Du bist nicht mehr wie sonst – mit dir ist was vorgegangen!«

Gottfried, auf eine solche Anrede gefaßt, erwiderte: »Es kann sein.«

»So!« rief die Alte. »Ich hab' also recht! – Was ist dir denn aber passiert?«

Der Bürsche zuckte die Achsel mit einem Schein von Laune. »Ja,« versetzte er, »da rat einmal!«

Jene sah ihn an. Mit einemmal rief sie im Ton des Bedauerns: »Wär's möglich! – Hast eine gewollt und sie hat dich nicht gemocht?«

Gottfried zeigte eine Miene, in der kein Widerspruch lag.

»Armer Bub,« rief die Alte. »Ja, so kann's einem freilich gehen! – Aber du hast mir ja gar nichts verzählt! – Welche ist's denn?«

Der Bursche lächelte melancholisch. »Liebe Mutter,« erwiderte er, »du weißt, so was sagt man nicht gern!«

»Aber mir kannst du's doch sagen,« rief die Alte; – »deiner Mutter!«

»Grad' dir nicht,« entgegnete der Sohn. »Du tätest ihr vielleicht bös werden, daß sie deinen Sohn verschmäht hat, – und das will ich nicht haben! – Was hilft's auch? Verloren ist verloren!«

Die Alte dachte bei sich: das will ich schon noch herauskriegen! Dann versetzte sie: »Wenn du so denkst, das ist freilich das best'! Aber ich seh' dir's an, es kränkt dich doch, mein guter Bub – und ich verwunder' mich nicht darüber, 's ärgert mich selber! – Weißt aber, wie du die am meisten kriegen könntest? Wenn du dir jetzt gleich eine andere nehmen tätst!«

Der Sohn lächelte, die Wehmut seiner Seele nicht verleugnend. »Das wär' zu schnell, Mutter,« erwiderte er. »Nach so einer Affäre, da hat man nicht gleich wieder Courage!«

»Ja,« rief die Mutter, »das hilft jetzt aber doch nichts! Denn heiraten mußt du – es geht nicht anders!«

Der Sohn schwieg. »Ist's denn aber wirklich so nötig, Mutter?« entgegnete er dann. Und mit einem Blick der Trauer setzte er hinzu: »Für mich ist's vielleicht am besten, wenn ich gar nicht heirate!«

»Red nicht so ungeschickt!« rief die Alte.

»Es ist nicht so ungeschickt, wie du meinst,« entgegnete der Sohn. »Wir zwei leben so gut miteinander, daß wir uns möglicherweise gar nicht verbessern, wenn wir noch eine zu uns ins Haus nehmen. Und jeder muß nicht heiraten! Bei weitem die meisten heiraten ja doch, – die Welt stirbt nicht aus. Enkel hast du schon ein halbes Dutzend – Buben und Mädchen, die man sich nicht schöner wünschen kann. Und daß sie grad' den Namen Stöckle führen, darauf wird's am End' auch nicht ankommen. – Kurz, ich seh' wirklich nicht ein, warum ich grad' heiraten muß

»Gottfried,« versetzte die Mutter, »wie du so ein Gerede an mich hin haben kannst, das ist doch wirklich nicht zum Begreifen. – Laß mich gehn! Es ist dein Ernst nicht! – Ein Mensch, wie du bist, der muß heiraten. Grad' so einer, der sich kränkt, weil ihn eine nicht gemocht hat, der muß eine andere haben; und das bald!« – Und mit Bedeutung fuhr sie fort: »Es ist nicht immer so ein großes Unglück, wenn man die nicht kriegt, die man will! Man kriegt vielleicht eine Bessere!«

Der Sohn, mit einem Seufzer und einem eigenen Ton der Überzeugung, erwiderte: »Das möcht' ich bezweifeln!«

»Man sucht oft etwas in der Weite,« fuhr die Mutter fort, »und hat's in der Nähe. Du hast das letzte Mal meinen Vorschlag wegen der Burg-Ammer über drei Häuser nüberg'worfen! – Aber jetzt können wir wieder dran denken, denn jetzt hat sich die Sach' geändert!«

»Wieso?« fragte der Sohn.

»Was dir nicht recht gewesen ist an ihr, das ist jetzt weg – alles miteinander!«

Der Sohn schaute sie an. Mit einem Lächeln, das nicht ohne Laune war, sagte er: »Ist sie nicht mehr schön? – Ich hab' sie freilich lang' nicht mehr gesehen!«

»Ach was,« rief die Alte, »schön ist sie noch immer! Das vergeht bei der nicht! Aber ihre lustigen und kecken Manieren hat sie aufgegeben. Sie ist still geworden, still und ernsthaft, und vom Augenmachen ist keine Red' mehr. Ich bin verwichenen Sonntag bei ihr gewesen und hab' mich ordentlich verwundert über sie. Sie ist frei verwandelt! Aber mir g'fällt sie jetzt besser als vorher. – Ja, ja,« fuhr sie fort, »ich hab's ja gesagt: das hört mit einmal auf! Über Nacht wird man gescheit! Man sieht, es kann nicht immer so fortgehen, man denkt an seine Versorgung und läßt dann andern das Vergnügen, die jünger sind.«

Gottfried saß nachdenklich. »Wenn's so ist, wie du sagst,« erwiderte er, »dann hat's vielleicht einen andern Grund! – Die Ammer hat vielleicht auch den nicht gekriegt, den sie gern gehabt hätt'!«

»Ach,« versetzte die Alte, »du denkst wieder an den Schorsch? – Ja, wenn sie den im Kopf gehabt hätt', dann wär's freilich aus jetzt! – Aber ich glaub's nicht, daß sie so einfältig gewesen ist!«

»'s ist nicht so einfältig, sag' ich dir!« entgegnete der Sohn. »Sie ist als Mädle so fein wie er als Bursch. Und an Exempeln fehlt's nicht, daß eine schon um der bloßen Schönheit willen geheiratet worden ist!«

»Nun,« sagte die Mutter hierauf, »nehmen wir an, daß sie so töricht gewesen ist. Er hat ihr vielleicht beim Tanzen ein bißchen flattiert – was sagt man nicht alles zu den Mädchen! – und sie hat sich eingebildet, er könnt' Gott weiß was im Sinn haben. Aber dann wär' sie jetzt in derselben Lag' wie du, und ihr tätet erst recht zusammenpassen. Eins könnte dem andern helfen und ihr könntet euch beide trösten miteinander!«

Die Mutter sagte das mit einem guten und schalkhaften Lächeln – und es traf den Burschen sonderbar. Er mußte der Erfahrenen recht geben. »Wenn die Annemarie,« fragte er sich, »an den Schorsch gedacht hätt' wie ich an die Sophie, dann würde sie jetzt noch viel mehr in derselben Lag' sein, als die Mutter sich vorstellt; – durch diese Heirat würde uns das gleiche Leid geschehen, und wir könnten wahrhaftig dran denken, uns zu trösten und uns selber zu heiraten – den andern zum Trotz! Tun sich die Reichen zusammen, so können's auch diejenigen tun, die weniger haben. Sie wären ja Narren, wenn sie's unterließen; – und am End' können sie sich ganz dieselbe Freud' machen miteinander!«

Diese Gedanken, die sich rasch nacheinander in ihm erzeugten, hatten zur Folge, daß das Mädchen, welche ihm die Mutter so sehr anrekommandierte, für ihn eine ganz neue Bedeutung erhielt. Er fühlte ein ordentliches Bedauern mit ihr, in deren Zustand er sich jetzt so gut versetzen konnte; und die Vorstellung, daß er sich an der Sophie, die doch einigermaßen mit ihm gespielt hatte, auf diese Weise rächen konnte, war für ihn nicht ohne Süßigkeit. – Jawohl, er konnte es! Und wenn er's tat und die Annemarie heiratete, und sie lebten vergnügt und hausten gut, dann konnten die reichen Leute sehen, daß man sie grad' auch nicht absolut nötig hat auf dieser Welt!

Ein neuer Geist und ein neues Gefühl war in ihn gekommen. Er stellte sich vor, was er vermochte, – und wenn die Ammer wirklich ernsthafter geworden war und gesetzter, so war ihm ihre Schönheit jetzt nicht mehr zu viel! Im Gegenteil, diese hatte nun ein Gewicht in seinen Augen und war ihm gerade recht. Hatte er sich getäuscht, als er die Vornehme davonzutragen meinte, so konnte er jetzt die Schönste zum Weib nehmen – und das war am End' auch etwas! Wer weiß, wenn er den Schorsch beneidete, der die Sophie bekam, ob dieser nicht zuletzt auch ihn beneidete!

Die Alte hatte den Sohn, während er sich diesen Reflexionen überließ, betrachtet. Sie sah ihm an, daß er überlegte, und sie wollte ihn nicht stören. Als er aber nun den Kopf erhob wie einer, der zum Schluß gekommen war, da sagte sie: »Gottfried, versteh mich recht! Ich geb' nicht allzuviel darauf, daß ein Mädchen sauber ist. Wenn eine brav ist und gesund und kann ihre Arbeit, dann braucht's das nicht auch noch. Aber sage man, was man will, etwas Schön's ist's doch, wenn das noch dazu kommt. Siehst du, ich tät' dir eben ein so schönes Weib ›vergonnen‹; du hättest doch deine Freud' dran, und ich tät' mir was einbilden auf so eine Söhnerin!«

Der Sohn lächelte. Die gute Alte setzte sich näher zu ihm, streichelte ihm die Haare und sagte liebevoll bittend: »Folg' mir, lieber Bub! Ich möchte dich gern glücklich sehen, und das Gesicht, das du in den letzten Tagen gemacht hast, tut mir weh! Glaub' mir, du darfst nur wollen! Der Burgweber hält alles auf dich – er hat erst neulich wieder zu mir dein Lob gesagt; und die Ammer hat gehorcht ganz ernsthaft und hat ein Gesicht gemacht, als ob sie sagen wollt': ja, der verdient das Lob! Und ein Bäschen ist sie ja auch! Schlag dir den Ärger aus dem Kopf und geh zur Ammer – du wirst sehen, das wird dein Glück sein!«

Dieses Gespräch fand an einem Freitag statt. Wenn unser Gottfried dadurch neuen Lebensmut gewann und des Vergnügens wieder fähig wurde, so traf das jetzt in die rechte Zeit; denn am Sonntag war in dem Dorfe, zu dem sein Weiler gehörte, die Kirchweih.

Was dieses Fest den Landleuten ist, weiß man. Alles, was es für sie Poetisches gibt, ist hier zusammengedrängt: hergebrachte, geweihte Fröhlichkeit; Hülle und Fülle in Speis' und Trank; Ergötzungen aller Art für alt und jung. Die Kirchweih ist nur einmal im Jahre, sie hat also den Reiz und den Wert des Seltenen, und den Genüssen, die sie bietet, kommt das ausgeruhteste, frischeste Begehren entgegen. Die Töne, die zum Tanz laden, klingen den Verlangenden zauberhaft und wirken auf die Tanzenden berauschend. Und wenn dem jungen Bursch, der seinen Schatz im Arm hält, die Gegenwart gehört und die Zukunft, so laben sich die Alten unter wohlwollendem Zuschauen an Erinnerungen. Der Ehemann tanzt in der unteren Stube des Wirtshauses mit seinem Weib und seiner Nachbarin, und es kann hier in Wiedererweckung alter Freuden eine Lustigkeit anschwellen, daß der Jubellärm der Verheirateten dem, welchen die Ledigen im oberen Stock vollführen, nicht viel nachgibt.

Gottfried hatte sich schon lange nicht mehr an den rauschenden Vergnügungen beteiligt. Er pflegte sich aber an dem Fest immer einen guten Tag zu machen, indem er im Wirtshause zechte, auf seine Weise durch Zuschauen und Diskurieren, wohl auch durch Paschen und Kegeln sich unterhielt und nachts eine Mahlzeit sich auftragen ließ, die nicht nur ihm schmeckte, sondern von der er auch, zu ihrem großen Vergnügen, der Mutter etwas heimbringen und damit ihre extraordinäre Bewirtung am Mittag einigermaßen vergelten konnte. – Bei der diesjährigen Feier hatte er noch dazu den Vorteil, daß er seine Genüsse im Hauptwirtshause finden konnte, wo alles besser war.

Man wird sich erinnern, daß eine Kränkung, die er darin erfahren hatte, ihn von einem Wirtshause des Dorfes ausschloß. Dies war das erste, angesehenste, und unser Bursche sah sich deshalb genötigt, im zweiten sich einer verhältnismäßigen Genügsamkeit zu befleißigen. In der letzten Zeit war aber jenes erste in den Besitz einer anderen Familie gekommen, und Gottfried hatte in dasselbe wieder freien Zugang. Der neue Wirt war aus dem Mittelries hergezogen, dort mit den bedeutendsten Familien, unter anderen auch mit dem Rothenbauer, verwandt, und seine Frau hatte den Ruhm einer ausgezeichneten Köchin.

Der Aufschwung, den die Seele unseres Burschen genommen hatte, zeigte sich in der Tat als nachhaltig. Er zog ihn von dem Vergangenen hinweg und lenkte seinen Blick in die Zukunft. Geschämt und gekränkt hatte er sich genug; er wollte sich nun auch wieder freuen und sich trösten wie andere Leute! Mit dieser Gesinnung erwartete er jetzt nicht einmal den Sonntag, sondern, weil es am Samstag wieder schön und der Himmel abends ganz rein geworden war, so machte er sich schon an diesem von seinem Weiler ins Dorf auf, um beim Sonnenwirt das übliche Vorfest, genannt Wurst-Kirchweih, mitzufeiern.

Auf dem Wege, obschon er kaum eine Viertelstunde wahrte, verfiel er doch wieder in träumerische Gedanken; – sein Herz geriet unvermerkt in die alten Bahnen. Freilich hatte er auf diesem Wege niemals an die Burg-Ammer gedacht, dagegen sehr oft an die Sophie; und das kam nun wieder über ihn, und es wurde nicht besser, als er, ins Dorf eingetreten, den Hof erblickte, den früher der Rothenbauer besessen. Jetzt, wo sie für ihn verloren war, hatten die Räume, in denen die Freundin einst hin und her gegangen, eine neue Bedeutung für ihn, und er warf einen traurigen Blick in sie. – Dann, sich besinnend, schüttelte er den Kopf über den Rückfall. Er eilte ins Wirtshaus, Unterhaltung und Zerstreuung zu finden.

Stube und Nebenstube waren schon voll von Gästen. In der letzteren saß eine Gesellschaft von »Herren« – Geistliche, Lehrer, Forstleute und Studenten, welche die Ferien in die Häuser der Ihrigen geführt hatten. – Die Stube war von Bauern besetzt, und an drei Tischen machten die jungen Burschen sich breit, die heute schon für die Herstellung einer tüchtigen Kirchweihzeche sorgten.

Gottfried nahm in der Stube an einem Tisch Platz, wo noch ein paar Stühle frei waren, ließ sich eine Maß Bier geben, bestellte Bratwürste mit Sauerkraut und gedachte unter den lustigen Leuten gleichfalls lustig zu werden.

Welch guten Willen er aber dazu mitgebracht hatte, es gelang ihm nicht. Das Bier war kräftig und die Würste mit dem Sauerkraut, an dem weder Schmalz noch Wein gespart war, ganz besonders schmackhaft; aber wenn auch sein Gaumen Befriedigung fand, seiner Seele wurde es nicht möglich, in die Fröhlichkeit der Menschen um ihn her einzustimmen. Die jungen Burschen begannen ein Lied: ihm kam es vor, als ob sie mehr schrien wie sängen! Die drei Bauern, die noch an seinem Tische saßen, fühlten kein Bedürfnis, sich durch eine Ansprache mit ihm zu unterhalten. Sie saßen rauchend und schweigend mit einem Behagen da, welches durch Reden nur hätte gemindert werden können. Alle Versuche Gottfrieds, mit ihnen sich einen Unterhalt zu verschaffen, mißlangen, und die Empfindung, die nun in ihm die Oberhand erhielt, war die der Langeweile.

Indem er ebenmäßig schwieg, schweigend verdaute und gelegentlich den Bierkrug zum Munde führte, war sein Geist auf eigene Rechnung tätig, und es überkam ihn ein seltsames Verlangen. Er fühlte einen Reiz, zum Hause des Burgwebers hinaufzugehen und den Garten und die Gartenseite des Hauses, wo die schöne Annemarie ihre Kammer hatte, von außen zu betrachten. Es war nur eine Art Neugier, die sein Herz erregte; aber sie gewährte ihm ein Interesse, und ihre Befriedigung entriß ihn der Öde des Wirtshauses, worin er's nicht länger aushalten mochte.

Er zahlte, sagte seinen Tischgenossen den Abschiedsgruß und trat auf die Gasse hinaus. Die Nacht war sternenhell. Er lenkte in den Seitenweg ein, um zu dem Hügel emporzuschreiten, der in alter Zeit mit einer Burg sollte geprangt haben, jetzt aber die bescheidene Wohnung des Webers trug.

Der Gesang der Burschen, deren Kehlen im Gange waren, klang ihm aus der Ferne schöner her und rührte seine Seele. Horchend und gehend erreichte er das Anwesen, das abgesondert in tiefer Stille dalag. Tür und Läden waren verschlossen. Er ging um die Ecke des Hauses und trat an den Zaun des Gartens. Das Kammerfenster war noch hell. Wie er stillstehend hinsah und horchte, glaubte er Stimmen zu vernehmen. Er strengte sein Ohr an: es war kein Zweifel – die beiden Töchter des Webers, die in der Kammer schliefen, waren in einem Gespräch begriffen!

Instinktmäßig blieb er. Obwohl man andere Leute nicht behorchen soll, wenn sie etwas nicht hören lassen wollen, so war das jetzt nach dem Plan, den er gefaßt hatte, bei ihm doch was anderes. Ihn ging das was an! Er konnte hören, was er erfahren mußte, und er horchte. – Über den Zaun steigen, zum Fenster hinschleichen und dort lauschen, das hätte er nicht tun mögen; aber an den Zaun hatte ihn der Zufall geführt – da konnte er stehen bleiben.

Er verstand nicht, was gesprochen wurde. Bald unterschied er aber eine klagende Stimme und eine zuredende, tröstende. Die klagende wurde heftiger – er erkannte den Ton der Annemarie und faßte sogar einzelne Worte auf. Erneuten, bittenden Mahnungen folgte zuerst Stille, dann Weinen, endlich leidenschaftliches Schluchzen. Das Mädchen hörte offenbar nur sich und ihren Schmerz und gab sich ihm, die Hilfe der Tränen suchend, rücksichtslos hin. Die Klagetöne, die sie dazwischen ausstieß, verrieten eine Seele, der unendliches Unrecht geschehen und jeder Trost genommen war.

Gottfried wußte genug.

Ergriffen, erschüttert trat er den Rückweg an. – Als er sich dem Wirtshause näherte, sangen die jungen Leute ein Volkslied von einem Liebespaar, das nach kurzer Lust in Herzeleid, in Not und Elend gestürzt wurde. Sie hatten keine Ahnung davon, welchen Eindruck die Reime, die unser Bursch wohl kannte, auf ihn hervorbringen mußten. – Er eilte, aus dem Dorfe zu kommen.

Auf dem Sträßchen hingehend, sagte er sich: »Ich hab' am End' noch erst eine Vermutung! Aber sei's, wie's will – für mich ist's aus! – Gute Mutter,« fuhr er mit traurigem Humor fort, »du hast kein Glück! Du hast einen Menschen zum Sohn, dem nichts durchgehen soll!« Er schwieg und ging eine Strecke weiter. »Armes Mädchen!« rief er dann im Ton innigen Mitleids. »Deine Schönheit ist nicht dein Glück gewesen! – Was hilft dir jetzt das Klagen? Du wirst nicht aufkommen gegen sie; – die reichen Leute werden schon dafür sorgen: sie werden dich wieder still machen!«


IV.

Gottfried war noch früh genug heimgekommen; aber die Aufregung des Erlebten, das tiefe Gefühl des menschlichen Elends und die peinliche Anschauung des Unglücks, das hinter den Freuden des Lebens lauert, hielten ihn wach stundenlang. Endlich wurden Geist und Körper stumpf, und er sank in tiefen Schlaf.

Als er erwachte, hatte sich die Sonne schon erhoben und warf ihre goldenen Strahlen in seine Kammer. Der Heilkraft des Morgenlichts kann kein gesunder Mensch widerstehen. Gottfried erinnerte sich der nächtlichen Wanderung, und sie stand wie ein Traum vor seiner Seele. Wie ein Traum wirkte sie nun auch auf ihn. Ihm schien's, als ob er die Sache gestern sehr übertrieben angesehen und überdies falsch ausgelegt haben könnte. Er hatte ein Mädchen weinen und zürnen hören. Sie klagte einen Ungetreuen an, auf dessen Treue sie ein Recht zu haben behauptet – so viel hatte er verstanden. Aber kein Name war in sein Ohr gedrungen – man sprach nur von Ihm! Wer stand ihm nun gut dafür, daß es eben derjenige war, den er sich denken zu müssen glaubte? War es nicht sein geheimer Wunsch, daß es der sein möchte? – – Die Annahme, daß er es wirklich sei, stand auf sehr schwachen Füßen!

Die Burg-Ammer hatte einen Liebeshandel, den sie bis jetzt gewußt hatte nicht auskommen zu lassen. Ist dies auch auf dem Land nicht gewöhnlich, so kommt es doch vor, wenn zumal der Liebhaber darauf sehen muß, daß nichts bekannt werde! – Und hier war die Abgelegenheit des Hauses und ein Geheimnis förderlich!

Gibt es aber im Ries nicht auch »Herren«, die ein schönes Bauernmädchen belügen können? Es gibt sogar welche, deren Herrlichkeit nicht so groß ist, daß eine Saubere und etwas Bemittelte nicht glauben könnte, von einem solchen geheiratet zu werden!

Doch auch daran war hier vielleicht nicht zu denken! Wenn ein Mädchen weint und jammert, ist es nichts weniger als immer nötig, daß die Sache so schlimm steht, wie ihre Leidenschaft vermuten läßt. Es handelte sich hier vielleicht um nichts, als daß eine, auf Schmeicheleien und zärtliche Reden hin, sich Hoffnungen gemacht hatte, die zu Wasser geworden waren.

Als unser Bursche in seinen Erwägungen dahin gekommen war, zog er sich notdürftig an, ging in den Hof hinab und wusch sich am Brunnen den Kopf mit dem kühlen Röhrenwasser gründlich. Erfrischt und erhellt ging er dann in dem Hof umher, ließ seinen Blick zum Wald hinauf, zum Feld hinab gehen und genoß auf seine Weise den silbernen, tauigen Morgen.

Die Sache – das war sein Schluß – muß erst näher untersucht werden!

Im Laufe des Vormittags ging er in die Kirche und ließ sein Auge zunächst über die Stühle der Weiber hinschweifen. Die Annemarie war nicht da, sondern ihre Schwester; aus deren ernstem und ruhigem Gesicht konnte er aber nichts Besonderes entnehmen. Er suchte den Vater. Dieser stand in seinem Stuhl mit einem Gesicht, wie er es jeden Sonntag zu machen pflegte. – Trotz dieser beruhigenden Wahrnehmungen folgte unser Bursche der Predigt doch weniger genau, als er es sonst zu tun pflegte.

Nachmittags, gegen drei Uhr, sagte die Mutter: »Nun, Gottfried, wirst du bald aufbrechen?«

»Ich denk' eben dran,« erwiderte er.

Die Alte lächelte wohlgefällig. »Wenn du die Annemarie im Wirtshause triffst – ein bißchen wird sie sich dort doch sehen lassen! – richt' einen schönen Gruß aus von mir! – Ich hoff',« setzte sie hinzu, »wenn du dasmal nach Haus kommst von der Kirchweih, wirst du mir was verzählen können!«

Der Bursche stand in Gedanken. »'s ist möglich,« sagte er.

Als er eine Viertelstunde darauf in Joppe und Fischotterkappe dem Dorfe zuwanderte, hatte er eine eigene, aber nicht unangenehme Empfindung. Alles Drohende war ihm wieder ins Ungewisse zerflossen! Von mehreren Dingen schien eins so möglich wie das andere – und es konnte gar wohl alles besser gehen, als er dachte.

Sein im Grunde gesundes, zum Frohsinn geneigtes Herz konnte den freundlichen Bildern nicht widerstehen, die sich ihm nun darboten. Der Tag war schön und mild; und wie er ins Dorf kam, sah er nur Mienen, aus denen Vergnügen, Genügen und Hoffnung schauten. Gar hübsch nahmen sich die Kinder aus, die in ihrem besten Staat die Gasse hinträppelten, um ans Wirtshaus zu gelangen. Wenn sie dort auch zum Tanzboden gar keinen oder nur einen sehr kurzen, erschlichenen Zutritt hatten, so war ihnen doch gestattet, mit einigen Kreuzern bei den Obstweibern sich geliebtes Naschwerk zu kaufen und zusammenstehend und plaudernd oder spazierend sich auf ihre Weise zu belustigen. Die Musik hörten sie aus der Ferne – und so war auch für sie Kirchweih – ein Tag süßer Gefühle, deren Genuß und Hoffnung jedes der kleinen Gesichter verschönte.

Die »Ledigen«, welche von der Feier den größten Gewinn zogen, gingen nicht gepaart ins Wirtshaus. Von der alten Ordnung, vermöge deren die Burschen ihre Mädchen mit Musik aus den Häusern abholen, war man in einen förmlichen Gegensatz der Freiheit übergesprungen: Burschen und Mädchen gingen allein – jedes nach seinem Belieben. Wenn aber der Bursch in der Regel würdevoll einsam durch die Gasse schritt, leisteten sich die Mädchen selber Gesellschaft; und wie sie in kattunenen oder manchesternen Leibchen und in feinen, leinenen Hemdärmeln, mit roten Röcken und blütenweißen Schürzen sich dahinschwangen, glänzten sie in Frohsinn und Erwartungslust. Jede wußte, daß sie beim Tanz den Ihrigen fand, der sie auch in der Gaststube neben sich setzte. Und wenn sie nicht mit ihm gekommen war, so hatte sie doch die gegründetste Aussicht, vermöge einer Ordnung, die kein Brauch abzustellen vermag, ihm zur Seite das Wirtshaus zu verlassen.

Beim Sonnenwirt hatte die Lustbarkeit schon begonnen; – die Klänge eines Walzers, die aus den offenen Fenstern des Tanzbodens auf die Gasse tönten, verkündigten es. – Gottfried selber empfand dabei eine jugendliche Regung; sein Schritt wurde rascher, und er war im Hause – im oberen Stock, er wußte nicht wie.

Hauptsächlich hatte ihn die Neugier hergetrieben, ob die Töchter des Webers nicht hier wären. Denn wenn von den Auslegungen, welche das gestern Vernommene zuließ, die beste galt, dann konnte die Annemarie gar wohl mit der Schwester zur Lustbarkeit gehen und sich eine Zeitlang dem Vergnügen des Tanzes überlassen, das ihr zu verschaffen jeder gern bereit sein würde.

Hätte er sie getroffen, es wäre ein gutes Zeichen – und ihm lieb gewesen!

Er sah sie aber nicht, weder auf dem Tanzboden, noch in der Stube. – Gedankenvoll setzte er sich in eine Ecke und ließ sich eine Maß Bier geben.

Zur Leerung derselben nahm er sich Zeit. – Die Schwestern erschienen nicht, obwohl er fast eine halbe Stunde verstreichen ließ. – Er bedachte, daß sie ins andere Wirtshaus gegangen sein könnten, – und da es ohnehin schicklich war, dort, wo er seit mehreren Jahren seine Kirchweih gehalten hatte, wenigstens einmal einzukehren, so zahlte er und verließ die Stube.

Wie er aus dem Haustennen in den Hof trat, rollte ein Wagen durchs Tor. Er schaute auf: es war der Rothenbauer mit Sophie!

Sehr betroffen durch die ganz unvermutete Begegnung, stand er wie angenagelt. Während aber der Oberknecht aus dem Stall, die Wirtin aus dem Hause kam, die vornehmen Gäste in Empfang zu nehmen, konnte er sich fassen.

Der Alte war nach den üblichen Grußreden zu dem Knecht getreten, ihm Anweisung zu geben, wie er die Rosse zu füttern habe. Die Tochter, strahlend geputzt, wurde von der Wirtin aus dem Wagen gehoben. Gottfried trat zu ihr und sagte mit etwas feierlichem Gesicht, aber herzlichem Klang der Stimme: »Guten Tag, Sophie! Das ist ja schön, daß du auch zu uns auf die Kirchweih kommst!«

Das Mädchen, bei seinem Anblick errötet, warf einen Blick auf ihn, der Verlegenheit und Bedauern ausdrückte. Auf die Wirtin deutend erwiderte sie: »Die Base hat's nicht anders getan! – Und wir,« setzte sie mit einem gutmeinenden Blick hinzu, »haben doch ein Verlangen gehabt, einmal unsere alten Bekannten hier wiederzusehen.«

»Nun,« versetzte der Bursche, »so laß dir's nur gefallen hier und mach dich recht lustig!«

Sophie nickte und schwieg einen Moment. Dann sagte sie: »Wo willst denn aber du hin?«

»Ich will mich ein bißchen im Dorfe umsehen,« erwiderte Gottfried.

»Hoffentlich wirst du aber doch wieder ins Wirtshaus kommen – an deiner Kirchweih?« versetzte das Mädchen.

»Ich mein' schon,« entgegnete Gottfried.

»Nun, dann Adies einstweilen,« sagte sie und ließ sich von der Wirtin ins Haus führen.

Der Rothenbauer war mit seiner Belehrung eben fertig geworden. Gottfried grüßte auch ihn. Die Miene, womit der Alte ihn ansah, und der abgenötigte Dank, der aus seinem Munde kam, waren fast nicht mehr höflich zu nennen. Das Gesicht schien sagen zu wollen: »Ich hab' schon manchmal einen lieber gesehen als heute den da!«

Unser Bursche verließ den Hof und lenkte seine Schritte dem anderen Wirtshaus zu. Nach wiederholtem traurigem Nicken sagte er zu sich: »Sie lassen sich's recht anmerken, daß der Gottfried jetzt überflüssig ist! Die Sophie ist gut, und ihr tut's leid, wie's scheint; aber der Alte hätte beinahe Lust gehabt, mir's ins Gesicht zu sagen. – Nun,« setzte er nach einer Weile mit jenem stolzen Wohlgefühl hinzu, das die Fassung eines Gekränkten versüßt, – »ich werde sie nicht viel genieren! Sie können ganz ruhig sein! – Mögen sie sich freuen miteinander – mein Gesicht sollen sie nicht mehr sehen!« –

Er war an ein Sträßchen gekommen, das links aus dem Dorfe führte. Stehen bleibend sah er durch die Hecken hinab. »Da ist er schon!« rief er nach einem Moment, drehte sich weg und ging die Gasse weiter.

Er hatte von weitem einen Reiter gesehen, und sein scharfes Auge hatte den Schorsch erkannt.

»Im Grund,« fuhr er fort, »ist nichts natürlicher! – Und doch, wenn's so wär'! – – Aber diese Leute nehmen sich alles heraus!«

Wenige Schritte, und er stand vor dem anderen Wirtshaus. Wie gern hätte er hier sein Bäschen getroffen! Wie tröstlich wär' es für ihn gewesen, wenn ihr Dasein ihm den Beweis gab, daß für sie beide noch Hoffnung sei! Mochte es denn der Schorsch gewesen sein, der ihr schön getan, so daß sie in eiteln Gedanken sich selbst betrog! – Um so besser!

Gerade diese Möglichkeit erregte den Geist des Burschen. Er war entschlossen, die heutige Gelegenheit ohne weiteres zu benutzen. Ja, tanzen wollte er mit ihr, sie mit sich in die obere Stube nehmen und, wenn sie ihm freundlich entgegenkam, es heute noch richtig machen mit ihr.

Die Sophie, wie die Dinge standen, war allerdings immer noch gut gegen ihn gewesen. Aber zuletzt hatte sie ihn doch angesehen wie eine Prinzessin, und in ihrem seidenen Staat eilte sie ins Wirtshaus, um den Bräutigam zu erwarten, der neben ihr Platz nehmen sollte.

Ein Strom von Bitterkeit füllte das Herz des Burschen und in sein Auge stahl sich eine Träne. Er wischte sie weg, erzürnt über sich selber, ging mit festem Schritt ins Haus und gleich in den oberen Stock.

Von den Schwestern war nirgends etwas zu sehen!

Nachdem er mit einigen Bekannten gesprochen hatte, ging er in die untere Stube, nahm im Kanzley Platz, dessen verhältnismäßiges Düster ihn anzog, ließ eine Maß Bier für sich hinstellen und versank in seine Gedanken. Grüße, die er wechseln mußte, störten ihn nur wenig. Die Wirtsleute hatten zu tun, die Gäste diskurierten und spielten Karten, und er, der den anderen heute nicht aufgelegt schien, blieb in Ruhe. – Es war eine traurige Kirchweih für ihn! Denn auch die Hoffnung, die er gehegt, daß die beiden Mädchen später noch kommen möchten, erfüllte sich nicht.

Wir überlassen ihn seinen Gefühlen und den Trostversuchen, die er in sich anstellte, um uns nach der Sophie umzusehen.

Diese hatte an einem Ecktisch in der großen oberen Stube neben ihrem Vater Platz genommen; ein Vetter und eine Base vom Dorf hatten sich zu ihnen gesetzt.

Eigentlich war es die Rechnung des Rothenbauers gewesen, für sich und hiesige Freunde eine kleine Nebenstube in Beschlag zu nehmen; aber in dieser saßen bereits »Herrschaften«, und die Wirtin, sie auf deren baldigen Heimgang vertröstend, hatte die Verwandten in die obere Stube geführt, wo sie allerdings den Blicken der »Ledigen« ausgesetzt waren, aber auch ihrerseits mehr sehen und sich vielleicht besser unterhalten konnten.

Von Unterhaltung war bis jetzt wenig an ihnen zu bemerken, vornehmlich an Sophie. In den Zügen der still Dasitzenden lag etwas Melancholisches. Die Festesfröhlichkeit, die um sie herum ihren Lauf nahm, schien sie gar nicht zu berühren.

Der verheirateten, noch jungen Base fiel das auf. Indes hatte sie ja die beste Erklärung bei der Hand! »Du bist in Gedanken, Bäsle?« rief sie ihr lächelnd zu. »Tröste dich – er wird bald kommen!«

Wenn der Sophie zum Vergnügen wirklich nichts abging als der Schorsch, – dieser sprengte soeben auf seinem Braunen in den Hof!

Die Base, die am Fenster saß, schaute hinaus. »Da ist er schon!« rief sie. Und bewundernd setzte sie hinzu: »'s ist schon ein Bursch, wie's wenige gibt! – Da kann man wahrlich Glück wünschen!«

Der Rothenbauer warf ihr einen vergnügten Blick zu. Die Sophie war erregt – ihre Brust kam in Bewegung.

Nach einer Weile trat der junge Weilerbauer in die Stube.

Sein Aussehen war glänzend. Die Kleidungsstücke, die alle neu zu sein schienen, saßen ihm wie angegossen. Die dunkelgrüne Joppe und das Leibchen waren von Samt und die Knöpfe daran von Silber.

Er ging zu dem Tisch, lupfte grüßend die hohe Fischotterkappe und tat dem Rothenbauer Bescheid, der ihm den Bierkrug entgegengestreckt hatte. Ihn zurückgebend sagte er: »Kann man auch ein wenig hersitzen zu der Gesellschaft?«

Der Bauer vom Dorf war bereits weitergerückt. Auf den leeren Stuhl zur Linken der Sophie deutend sagte er wohlgefällig: »Hier, Vetter Hechtfischer, ist Platz für dich!«

Schorsch setzte sich.

Die Ansprache, die hierauf begann, wollte jedoch nicht recht in Fluß kommen.

Der Bursche hatte die etwas feierliche Haltung, womit er zu dem Tisch getreten war, abgelegt und schlug in Fragen und Antworten einen scherzenden Ton an. Aber es gelang ihm nicht, einen munteren Diskurs in Gang zu bringen.

Unstreitig hatte daran am meisten die Sophie schuld, die aus ihrem Nachdenken nicht herauszureißen war. Doch war auch der Bursche nicht ganz der alte. Die lustigen Reden, die er führte, gingen ihm nicht so von Herzen, daß sie ansteckend wirken konnten. Es war, als ob er durch eine geheime Sorge beschäftigt und bei seinen Scherzen nicht ganz anwesend sei!

Der jungen Base kam das kurios vor. »Aber freilich,« sagte sie sich, »wie geht's nicht oft? Grad' da ist man zuweilen geniert, bis das Eis gebrochen ist! – Nun, es wird schon noch kommen!«

Schorsch ergriff endlich das Mittel, das ihm die Kirchweih bot. Er forderte Sophie zum Tanzen auf und führte sie in den Reihen hinaus.

Der Sonnenwirt hatte einen schönen, hellen, geräumigen Tanzboden. Man konnte darin auch gut zusehen, und viele gönnten sich dies Vergnügen. Wie der Schorsch mit der Sophie erschien, mehrten sich die Zuschauer, und auch einige von den Herrschaften kamen aus der Nebenstube herbei.

In der Tat war's ein auffallendes Paar. Die Schönheit ihrer Gestalten, der Glanz ihres Anzuges, die Würde ihrer Haltung und die Vortrefflichkeit ihres Tanzens interessierte selbst die Honoratioren.

Was das Tanzen betraf, so war es von dem städtischen kaum mehr zu unterscheiden. Die ländlichen Füße hüpften bereits mit einer Leichtigkeit, die nichts mehr zu wünschen übrig ließ.

An dem Tanzboden und der abgerissenen Unterhaltung mit seiner Tänzerin begnügte sich übrigens der Bursche; das Vorsingen, Juxen und Strampfen, worin er sonst Meister war, überließ er jüngeren Kräften. Zu allem, was Aufsehen erregt hätte, war er jetzt zu vornehm geworden.

Die Bewegung und der wahrgenommene Erfolg röteten allmählich die Gesichter unseres Paares; die Herzen tauten auf. Schorsch machte seine gelegentlichen Bemerkungen mit einem zärtlichen Lächeln; mit hingebendem wurden sie aufgenommen und beantwortet.

Als sie, müde geworden, in die Stube zurückgingen, glänzten ihre Mienen. Schorsch bot der Tänzerin ein Glas Wein an, den er sich hatte auftragen lassen. Er selber tat nach ihrem Nippen einen tüchtigen Schluck und setzte sich neben sie.

Die Geister waren erregt, und ein lebhaftes Gespräch machte sich von selbst. Die Wirtin brachte eine »Maß« Kaffee mit »gerührtem Goglopfen«, ihrem feinsten Gebäck. Sophie schenkte ein und teilte den Goglopf aus. Er war sehr gut geraten, ebenso der Kaffee. Man pries die glückliche Wirtin in ihr hochgerötetes Angesicht, und sie ging innig zufrieden in die Küche hinab.

Der Bursche, als er das Vergnügen so gut im Gange sah, schaute mit einer Miene vor sich hin, die Behagen und frohen Stolz ausdrückte. Er war Herr geworden über seine Gedanken, Herr über sich selbst. Der Mut schwoll in seinem Herzen empor – seine Züge wurden heroisch und Triumph leuchtete aus ihnen.

Lange hatte er gekämpft; aber endlich kam ihm der Sieg entgegen! Eine kurze Spanne Zeit noch, und er war, was er sein mußte! – – Nicht alles, was er vorgenommen hatte, war ihm geglückt, und von zwei Seiten drohten Hindernisse aufzustehen gegen seinen Zweck. Nun fand aber in zwei Tagen die Verlobung mit dem Mädchen statt, welche schon jetzt wie seine Braut neben ihm saß; und die Hochzeit folgte so bald als möglich!

Nochmal ging ein Schatten über sein Angesicht. Aber entschlossen richtete er in seinem Stuhl sich auf und ein geringschätziges Lächeln zuckte um seine Lippen.

Plötzlich horchte er; seine Züge gewannen den Ausdruck des Vergnügens. – Die Musikanten hatten eine jener alten künstlichen Weisen angefangen, die man unter dem Namen »Schweinauer« zusammenfaßt und die von dem Rieser trotz der neuen, die er zugelernt hat, immer noch sehr gern getanzt werden. Der Schweinauer besteht aus einer Mischung von Walzerschritten, wobei sich das Paar sukzessiv – und Dreherschritten, wobei es sich mit einem Schwung um sich selber dreht. In jedem dieser Tänze wechseln die verschiedenen Pas anders, einzelne sind ziemlich verschränkt und man muß sie gut im Gedächtnis haben – man kann sich also durch fehlerloses Tanzen sehr auszeichnen! – Ihrer so sicher, wie der neuen und neuesten, empfand Schorsch ein Verlangen, darin etwas zu leisten, und rief nun mit einem Ton fröhlicher Bitte: »Sophie, da müssen wir mittanzen!«

Die Sophie, nachdem sie sich ein wenig besonnen, erhob sich lächelnd und ging mit ihm auf den Tanzboden.

Unsere Leute tanzten die begonnene Weise und dann die schwierigeren, die folgten, nicht nur ohne Fehler, sondern mit einer Zierlichkeit, wie sie auf dem Land selten vorkommen wird. Ein Bauernbursch vom Dorf, der beim letzten Reihen mit seinem Schatz drausgekommen war, hörte auf und schaute den beiden zu. Dann trat er zu ihnen und sagte: »Schorsch, du bist halt immer noch der Meister! Aber eine Tänzerin hast du schon auch,, die einen aufrichten kann! Bei uns,« setzte er mit einem launigen Blick auf die seinige hinzu, »bringt eins das andere aus dem Text!« – Es versteht sich, daß unser Paar höflich widersprach. Aber Schorsch fühlte sich gereizt, seine Meisterschaft noch mehr an den Tag zu legen. Er trat mit Sophie in die Mitte der eben stehenden Paare und sagte: »Den nächsten wollen wir einmal herumtanzen, ein Paar hinter dem andern! – Seid ihr einverstanden? – Spielt, Musikanten!«

Um seiner Eigentümlichkeit willen führt man den alten Volkstanz gewöhnlich in kleinem Kreis aus, so daß jedes Paar sein Plätzchen für sich hat. Man kann aber auch den vorgezeichneten Schrittwechsel vollziehen, indem der große Kreis des ganzen Tanzbodens eingehalten wird; wenn das ungleich schwieriger ist, so bringt das Gelingen auch um so mehr Ehre, – und diese war's, die Schorsch erstrebte.

Fünf Paare tanzten mit. Die drei ersten Reihen gingen auch bei ihnen leidlich. Bei dem vierten hielt sich nur unser Paar noch auf der Kreislinie des Platzes.

Damit hatte das Zwischenspiel ein Ende.

Schorsch und Sophie waren hoch gerötet und atmeten rascher; denn solches Tanzen ermüdet auch die besten Lungen. Aber der Lohn der Anstrengung folgte in rühmenden Zurufen – in allgemeinem Beifall, den man freilich nicht nur den ausgezeichneten Tänzern, sondern den Reichen und den Gästen spendete!

Unser Bursche strahlte vor Vergnügen. Er führte die Tänzerin durch die Paare mit einem Gesicht, aus welchem das Selbstgefühl – der Übermut des Unwiderstehlichen blickte.

Als er zur Treppe kam, um an ihr vorüber in die Stube zu gehen, erblickte er auf dem kleinen Raum zwischen dem Tanzboden und der Tür eine Gestalt, auf die er nicht gefaßt zu sein schien; denn er fuhr zurück und verlor die Farbe.

Es war ein Mädchen von etwa zweiundzwanzig Jahren. Festlich, aber einfach gekleidet, hatte sie einen Spenzer von dunkelfarbigem Kattun und einen blauen, schwarzgemodelten Rock an, was ihrer Erscheinung einen ernsteren, frauenartigen Charakter gab. Ihren Wuchs bezeichnete eine gewisse Fülle; das ovale Gesicht gehörte aber durch die Regelmäßigkeit der Züge und durch einen eigenen sinnlichen Liebreiz, der aus ihm sprach, zu den schönsten und einnehmendsten, die man sehen kann. Dieses Reizende lag nicht bloß im Ausdruck, sondern im Gepräge, zumal der üppig und zierlich aufgeworfenen Lippen, – es verleugnete sich daher auch jetzt nicht, wo die zunächst der Tür Stehende sichtlich erregt, düster und verlegen auf den Verwegenen schaute.

Es war die Annemarie, die Tochter des Webers.

Um ihr Hiersein zu erklären, müssen wir ein Gespräch wiedergeben, das eine Viertelstunde früher im Hause des Vaters zwischen den beiden Schwestern stattfand.

Annemarie saß auf der Wandbank, in Sinnen verloren. Die Glocke auf dem nahen Kirchturm schlug fünf, und zu gleicher Zeit kam die jüngere Schwester aus der Küche in die Stube. Jene warf einen traurig liebevollen Blick auf sie. »Aber Rebeck',« sagte sie, »willst du denn gar nicht zur Kirchweih gehen?«

»Ich geh',« versetzte die Schwester, »wenn du mitgehst!«

Annemarie schüttelte den Kopf. »Verlang' doch das nicht mehr,« erwiderte sie. »Ach, mir ist's nicht kirchweihlich zumut'!«

»Aber der Vater,« entgegnete die Schwester, »kommt erst spät abends heim; und wenn du allein bist, wirst du wieder verzweifeln!«

Jene, mit schmerzlichem Lächeln, zuckte die Achseln. »Deswegen,« sagte sie, »geh' ich nicht ins Wirtshaus!«

»Aber deswegen,« versetzte Rebekka, »bleib' ich bei dir!«

Annemarie sah die vor ihr Stehende mit feuchten Augen an, faßte ihre Hände und drückte sie. »Du bist gut mit mir!« rief sie zärtlich. – »Und ich soll dich um dein Kirchweihvergnügen bringen?« – Mit Wehmut lächelnd fügte sie hinzu: »Was wird der Hans sagen, wenn er dich nicht findet?«

»Der,« erwiderte Rebekka, »hat noch nicht das Recht, etwas zu sagen!«

»Eben darum solltest du hingehen und ihm die Freud' machen,« versetzte die Annemarie. »Daß er auf dich wartet, das weiß ich gewiß!«

Rebekka bedachte sich. »Nun,« sagte sie, »wenn du mich so gern im Wirtshause haben willst, so geh' mit mir! – Wissen tut noch niemand etwas. Und solang' die Leute nichts wissen, muß man sie nicht mit Gewalt drauf bringen; – wer weiß, was geschieht! – Wenn ich ohne dich komm', so wird man mich fragen: wo ist denn deine Annemarie? Und ich bin so ungeschickt zum Lügen! Wenn ich sagen tät': sie ist krank, ich bin überzeugt, man säh's mir an, daß es nicht wahr ist. – Geh mit mir,« fuhr sie herzlich fort. »Es wird dich doch aufheitern! – Sieh dem Tanzen zu; oder tanz auch selber etliche Reihen! – Du kannst tun, was du willst, und bleiben, solang' dir's gefällt! – Ich richte mich nach dir!«

Annemarie war aufgestanden. »Nun gut,« sagte sie; »weil du's nicht anders tust – ich will mit dir gehen. – Ich hab' Kirchweihen mitgemacht, wo ich vergnügt gewesen bin, ich will auch einmal eine bloß traurig mit ansehen.« – Sie hielt inne. Dann sagte sie, die Hand auf ihre Brust legend: »Mir ist bang, Schwester! bang! – Aber sorg nicht,« setzte sie rasch hinzu, »daß ich dir das Spiel verderb'! – Vielleicht grad' unter den Leuten vergeht's mir!«

Die Mädchen vollendeten ihren Anzug und gingen miteinander zum Sonnenwirt hinab. Als sie in den Haustennen getreten waren, kam ihnen ein junger Mensch entgegen, dessen Anblick die Annemarie lächeln machte. Es war der Sohn des Dorfschmieds. Freundlich grüßend verwickelte er die Rebeck' in einen kleinen Diskurs; die Schwester wollte nicht stören und ging einstweilen die Treppe hinan. Als sie oben angekommen war, erklangen eben die Lobsprüche, die dem Schorsch und der Sophie gespendet wurden. Sie erkannte das Paar, das sie an jedem anderen Ort eher vermutet hätte als hier, – sie sah es im Glanz der Freude vom Tanzboden gehen – und es war ihr, als ob durch ihre Brust ein Messer führe! Im ersten Augenblick war ihr alle Besinnung genommen und ihr Fuß an den Boden gewurzelt. Als aber die beiden gegen sie herankamen und der Bursche vor ihr erschrak, da kehrte ihre Fassung wieder.

Mit einer Miene schwerer Anklage, mit einem Ton der Trauer, der aber doch noch einen Klang von Gutmütigkeit hatte, sagte sie: »Guten Tag, Schorsch!«

Der Bursch, der noch etwa zwei Schritte von ihr entfernt war, hatte das Gefühl, daß er nicht ohne Antwort an ihr vorübergehen könne. Sein Verhoffen und dieser Gruß waren von der Sophie sehr schlimm zu deuten; er war aufgebracht über sich selber – er mußte die Störerin abfertigen – instinktmäßig gab er sich eine vornehme Miene und rief: »Ei sieh, Jungfer Annemarie! – Will Sie sich auch lustig machen?«

Wenn er hoffte, durch diese Erwiderung den Eindruck der vertraulichen Anrede auslöschen und von der Betroffenen sich losmachen zu können, so irrte er sich. Annemarie verzog die schönen Lippen mit Bitterkeit. »Warum sprichst du denn per Sie mit mir?« entgegnete sie. »Das ist ja was ganz Neues!«

Durch die Zurechtweisung, die ein näheres Verhältnis zwischen ihnen allzu deutlich kundgab, wurde Schorsch in die größte Verlegenheit – in eine tiefe stille Wut versetzt. Seine Augen warfen böse Blicke auf das Mädchen – man hätte den Wunsch der Vertilgung aus ihnen lesen können! – Mit einer Miene stolzer Entrüstung rief er: »Was ist das für ein Benehmen gegen mich? – Laß Sie mich ungeschoren!«

Annemarie sah ihn an, glühende Röte bedeckte ihr Gesicht, ihre Augen funkelten, und sich vor ihn hinstellend rief sie: »Wie, Schorsch! Hab' ich recht gehört? – So sprichst du mit mir? So behandelst du mich? Du?«

Der Bursch war aufs Äußerste gebracht. Er fühlte, daß die Sophie, deren Hand er in seiner Rechten hielt, sich von ihm losmachen wollte, – er sah die Gesichter der Umstehenden starr, vielsagend auf sich und die Annemarie gerichtet; – indem er diese mit seiner Linken am Arm faßte, rief er wütend: »Geh mir aus dem Weg, du unverschämte Person!« und drängte sie beiseite. Die Sophie mit sich reißend ging er in die Stube, zu seinem Tisch.

Die unendlich Gekränkte richtete sich auf – alle Geister der Rache erhoben sich in ihr. Augenblicklich lief sie dem Paar nach, und indem sie mit blitzenden Augen auf den Burschen zuging, rief sie: »Was hast du mich genannt? Eine unverschämte Person? Mich – mich, die wahre Engelsgeduld gegen dich bewiesen hat? – Du bist der unverschämteste Mensch, der auf Gottes Erdboden herumgeht – du! Du hast mich angelogen und mich unglücklich gemacht! Ich seh' dich auf unserer Kirchweih mit einer andern und sag' doch nichts – ich grüß' dich noch, und du wirfst mich auf die Seite wie einen Hund? – Ja, ja,« fuhr sie mit stechendem Hohn fort, »ich seh's wohl, sie soll nichts merken, die reiche Braut! Aber das hilft dir jetzt nichts! Was geschehen ist, das ist geschehen und nicht mehr zu ändern! – Ich,« setzte sie nach kurzem Innehalten erschüttert hinzu, »ich werd' meinen Zustand nicht lang' mehr verbergen können – und den schlechten Menschen, der daran schuld ist und mich verleugnen will, den kennen jetzt alle, die hier sind!«

Die Szene an der Tür, das rasche Hereintreten des Paares und das Nachgehen des empörten Mädchens hatte bereits das allgemeinste Aufsehen gemacht. Die Reden, welche die Annemarie jetzt auf den jungen Weilerbauer schleuderte, riefen nicht nur das größte Staunen hervor, sondern legten auch das Verhältnis, das zwischen ihnen bestand und das einzelne nur geahnt hatten, jedem klar vor Augen. In der höchsten Aufregung und Spannung, die aber einen wesentlich ernsten Charakter hatte, schaute man von allen Seiten her auf die beiden. Der Rothenbauer hatte sich erhoben und zeigte die größte Bestürzung. In dem Gesicht der Tochter, die neben ihm stand, glühte die Röte des Unmuts und der Scham; aber mehr und mehr ging ein seltsamer Schein von Befriedigung darin auf.

Der Bursch, gegen die Rasende gewendet, stand leichenblaß. »Schäm dich!« rief er mit bebenden Lippen. »Schäm dich! – Du bist ein freches Weibsbild!«

»Freches Weibsbild!« wiederholte das Mädchen mit tiefster Bitterkeit, – »weil ich die Wahrheit sag'? Wie muß man dich nennen? Du bist ein Mensch ohne Scham und Gewissen! Hast du mir nicht vor vierzehn Tagen noch gesagt, daß hinter dem Gerede der Leute nichts sei, – daß der Rothenbauer und deine Mutter wohl eine Heirat im Sinne hätten, daß du mich aber nie verlassen würdest, um die Sophie zu nehmen? – Und jetzt steht ihr da als Braut und Bräutigam – auf unserer Kirchweih! – Aber jetzt steh' ich auch da und bring' deine Schlechtigkeit auf vor der ganzen Welt! Deine Braut soll sehen, was für einen schofeln Menschen sie zum Mann bekommt; und wenn sie dich dann noch mag, dann soll sie dich haben!«

Diese letzten Worte hatte das Mädchen mit einem Stolz und einem Hohn gesprochen, daß dem Burschen das tiefste Herz vergiftet wurde. Er sah die Gesichter des Rothenbauers und der Sophie eine Entrüstung und Verachtung ausdrücken, die nur ihm gelten konnten; – vor Wut sinnlos, machte er einen Schritt gegen die Annemarie und schrie: »Du bist eine Lügnerin! Eine ehrlose Lügnerin! Geh! Augenblicklich geh fort oder ich nehm' und werf' dich die Stiege hinunter!«

»Oh, oh!« riefen mehrere Burschen aus dem Dorfe drohend. Die Annemarie stand und schleuderte Flammenblicke gegen ihn. »Rühr mich an!« rief sie mit erhobener Rechten. »Rühr mich nur an, wenn du 's Herz hast!«

Der Bursch ließ seinen Arm sinken. In dem Mädchen war eine Leidenschaft entfesselt, die nun alle Dämme durchbrach. »Lügnerin! Lügnerin!« rief sie außer sich. »Ein dummes, einfältiges Ding bin ich gewesen, daß ich einem Schandlügner geglaubt hab'! Ich seh' wohl, daß du jetzt nicht weißt, was du tust. Aber daß du dir so raushelfen willst – daß du ein so jämmerlicher Tropf bist, das hätt' ich nicht geglaubt. Pfui, Pfui, schäm dich! Du hast mich ins Unglück gebracht, ich steh' an der Schand' da vor der ganzen Welt, und du willst mich jetzt auch noch schlecht machen? – O,« fuhr sie vor Zorn weinend fort, »wie ist's möglich, daß man so gegen einen werden kann, wenn man so gegen einen gewesen ist! Du hast noch nie ein Mädchen so lieb gehabt wie mich! Was du mir versprochen und geschworen hast, das ist verlogen gewesen; aber dein Schöntun und deine Reden, die sind nicht verlogen gewesen! So kann man nicht lügen! Und du willst mich jetzt schlagen und hinauswerfen? – Doch du willst nur Geld – nichts als Geld! Du hast mich noch jetzt gern! Wenn ich so reich wär' wie die Rothenbauerstochter, du tätst mich tausendmal lieber nehmen. Ja, das sag' ich, weil ich's weiß! – Aber jetzt,« fuhr sie fort, indem sie mit dem Stolz tiefster Entrüstung sich aufrichtete, »jetzt mag ich dich nicht mehr! Geh hin, wo du willst, und such dein Glück, wo du magst! Ich hab' ausg'red't jetzt, und jetzt ist's mir wieder wohl! Die Schand' und das Unglück will ich tragen – ich hab's nicht anders verdient! Aber du wirst auch kein Glück haben, wenn's eine Gerechtigkeit gibt in der Welt! Und wer weiß, wer weiß, ich seh' dich noch –«

Weiter konnte sie nicht reden.

»Annemarie,« rief eine strenge mahnende Stimme hinter ihr, – »schäm dich und geh nach Hause!«

Es war Gottfried, der zwischen ihr und der Tür stand. – –

Dieser hatte es in der Freudlosigkeit des Alleinsitzens im unteren Wirtshause doch nicht länger aushalten können. Er trachtete wenigstens nach einer Veränderung, zahlte und ging auf die Gasse hinaus. Unwillkürlich trugen ihn seine Füße dem oberen Wirtshause zu. – Warum sollte er aber nicht wieder hinein? Stand es nicht ihm offen wie jedermann? Konnte er nicht hier am Ende doch noch finden, was er suchte? Und wenn's nicht geschah, wenn ihm das, was er zu sehen bekam, wehe tat – er mußte sich dran gewöhnen, und es war eine Schwachheit, sich davor zu fürchten!

Als er in den Hof trat, hörte er vom oberen Stock eine laute, zürnende Stimme, die ihm bekannt klang; mit einem seltsamen Vorgefühl eilte er in den Haustennen – die Stiege und der Platz droben vor der Stubentür war von Menschen vollgepfropft! – »Gottfried,« rief plötzlich ein Mädchen von der Stiege her, »Gott sei Dank, daß du kommst!« – »Was ist's denn, Rebeck'?« fragte der Bursche. – »Ach du lieber Gott,« entgegnete jene, »meine Annemarie ist ganz rasend geworden! Sie ist hier mit dem jungen Weilerbauer, dem Schorsch, zusammengetroffen, der hat sie nicht kennen wollen und hat sie beleidigt; und nun ist sie in der Stub' und sagt alles, macht einen Spektakel und schämt sich nicht! Ach, geh hinauf zu ihr, ich bitte dich! Mein Vater ist über Feld gegangen und weiß von der ganzen Sach' nichts. Auf dich hält sie was – dir wird sie folgen! Nimm sie mit herunter und mach der Schand' ein End'!«

Wie ein Blitzstrahl die nächtlich dunkle Landschaft, so erhellten diese Worte dem Burschen die Lage der Dinge. Seine Pflicht war ihm vorgezeichnet; denn Seelen wie die seinige können nicht fehlgreifen. Er mußte dem Skandal ein Ende machen um der Sophie willen und um der Burg-Ammer willen! Und zwar sogleich! – Entschlossen brach er durch den Menschenknäuel sich Bahn und drang in die Stube.

Annemarie, auf seinen Zuruf hin, drehte sich um und sagte: »Was willst du von mir, Gottfried? – Geht dich die Sache was an?«

»Ja,« versetzte dieser, »es geht mich was an, wenn ein Bäschen von mir einen solchen Aufruhr macht! – Wenn du gegen jemand hier was vorzubringen hast, so gibt's andere Mittel und Weg', als daß du Leute, die dir nichts getan haben, kränkst und beleidigst, als wären sie deine Todfeinde! Geh! Daß du dich da herstellst und deine Heimlichkeiten vor der ganzen Welt ausschreist, das ist eine Sünd' und eine Schand'! – Aber jetzt bin ich da, und ich sag' dir: es ist aus! Komm mit mir! Auf der Stell'! Die Sach' muß ein End' haben!«

Annemarie sah ihn an und nickte schmerzlich mit dem Kopf. »Gottfried,« entgegnete sie, »du hast gut reden! – Aber wahr ist's, die Sach' muß ein End' haben! Ich bin fertig jetzt – und ich will mit dir fortgehen!«

Schorsch hatte dagestanden wie ein gehetztes Tier, das in die Enge getrieben ist und umherspäht, wo es etwa noch durchbrechen möchte. War nichts mehr zu erfinden? Konnte er sich auf keine Weise mehr herausziehen? – Das Auftreten Gottfrieds bot ihm eine Möglichkeit. Dieser kam, um einem Auftritt ein Ende zu machen, der schon zu Ende war, und die Annemarie brauchte nur ein paar Worte von ihm zu hören, um gutwillig mit ihm fortzugehen! War das nicht auffallend? – Der Böse blendete die Seele des Burschen und gab ihm einen Gedanken ein.

Eben hatte jener die Annemarie bei der Hand genommen, da rief der junge Bauer mit einem Ton der Verachtung, der natürlich genug klang: »Jawohl, ihr könnt fortgehen miteinander jetzt, ihr zwei! Ihr habt die Komödie gut gespielt! Ihr habt ein schönes Stück aufgeführt hier, – aber es wird euch nichts nützen! Ihr habt's zu deutlich gemacht, daß ihr miteinander einverstanden seid!«

Gottfried ließ die Hand des Mädchens fahren und ging vor. »Was?« rief er mit aufgerissnen Augen, – »was hast du gesagt?«

»Daß du die Geschichte abgekartet hast mit deinem Bäschen da,« entgegnete Schorsch trotzig, »das hab' ich gesagt, und das sag' ich noch! Deine Gedanken kennt man! Man weiß, was du im Sinn hast, – recht gut! Und so einem alten ›Bedischten‹ ist jede Schlechtigkeit zuzutrauen!«

»Ah!« rief Gottfried. »Nein, das ist zu arg! – Mich willst du zu einem schlechten Kerl machen? Mich?«

Und mit einem Zorn, dessen ihn niemand fähig gehalten hätte – mit Augen, die wie Fackeln brannten und zugleich vor Entrüstung übergingen, packte er den Burschen, riß ihn zu Boden und warf sich über ihn. Die Linke krallte sich dem Liegenden ins Halstuch und die Rechte erhob sich, die Züchtigung zu beginnen.

Der Vetter und ein paar Bauern vom Dorfe hatten sich hergedrängt, um abzuwehren. Gottfried warf jenen mit der Rechten beiseite, daß er zu seinem Weibe zurücktaumelte und schrie zu den anderen: »Laßt mich meinen Handel ausmachen mit dem Menschen! Wer herkommt und mich hindern will, den schlag' ich tot!«

Er war fürchterlich. Erschreckt bildeten die Leute einen Kreis um die Kämpfenden; jeder schaute, niemand legte sich drein.

Schorsch wehrte sich wie ein Rasender. Aber es war nur die Verteidigung der Beute in den Klauen des Raubtiers. Die gröberen Knochen, das Kraftgefühl der gerechten Sache und die flammende Wut machten den Holzländer unwiderstehlich.

Geschlagen und gestoßen von unten, schlug er den Untenliegenden von oben nach dem Verlangen seines Herzens. Und sein Herz dürstete – und verlangte viel! – Hatte der Schorsch sich groß vergangen, gegen die beiden Mädchen und gegen ihn – Gottfried machte sich überschwenglich für alle bezahlt.

Jener fing an zu ermatten, das Blut floß ihm aus mehreren Wunden, das Gesicht wurde bleich und grünlich und die blauen Augenränder stachen erschreckend ab dagegen – der Anblick traf endlich auch den Sieger ins Herz. Er tat ein paar tiefe Atemzüge, stand auf, ließ den Gedemütigten aufstehen und sagte mit schwerem Ernst: »So, nun hast du deine Straf'!«

Schorsch bot einen Anblick zum Erbarmen. Er zitterte vor Wut und Scham und fühlte doch nicht die geringste Kraft in sich, noch etwas zu unternehmen. In seinen hirschledernen Hosen hatte er ein Messer stecken; er hätte es jetzt ziehen und auf den Feind losgehen können; – aber er fühlte sich vernichtet. Suchend griff er in die Tasche der Joppe, zog ein Sacktuch heraus und wischte sich das Blut von dem Gesicht und von den besudelten Kleidern ab.

Nur wenig von ihm entfernt bot der Sieger einen Anblick, der gleichfalls auffallen mußte. Er war hochgerötet; aus seiner Miene sprach nicht Triumph, sondern eine seltsame Scham und ein Sinnen darüber. Er hatte einen frechen Verleumder gezüchtigt! Aber er hatte getobt wie ein wildes Tier und durch eine schreckliche Mißhandlung den Bräutigam geschändet vor seiner Braut! Wußte er, was die Sophie und der Rothenbauer für Gedanken hatten? Konnte ihnen das Geschehene nicht entsetzlich leidtun, weil dadurch eben alles verdorben wurde?

Hätte er das Mädchen gesehen, während er den Beleidiger strafte, das dumpfe Gefühl einer allzu gewissenhaften Seele wäre nicht in ihm aufgekommen. An der Seite des Alten, der nicht wußte, was er denken und tun sollte, hatte sie gestanden gleich einer Rachegöttin. Stolz, hochernst, die bedeutenden Züge durch einen leuchtenden Glanz verklärt, mit einem Ausdruck, als ob jeder Schlag, der niederfiel, ihr eine neue tiefe Genugtuung gewährte – so war sie dem Kampfe gefolgt, und am Ende war ein triumphierender Strahl aus ihrem Auge gegangen. – Die junge Base hatte das mit Staunen gesehen. Denn wenn sie auch begriff, daß die Sophie dem Bösewicht Schläge gönnte, so mußte es ihr doch ein vollkommenes Rätsel sein, wie sie nun dastehen konnte, als ob alles für sie gewonnen wäre.

Gottfried hatte davon keine Ahnung. Plötzlich entschlossen trat er vor die Geliebte hin und sagte, noch zitternd vor Aufregung: »Sophie, nimm mir's nicht übel, daß ich das getan hab'! Aber ich hab' nicht anders gekonnt! Mag er sein, wer er will – das kann ich mir von niemand bieten lassen – von niemand in der ganzen Welt! Um deinetwillen tut's mir leid! – Du weißt ja, für dich gäb' ich die Seel' aus dem Leibe her – mein Leben würd' ich lassen für dich, wenn's sein müßt!«

Das Mädchen, während ihr Tränen in die Augen traten, rief: »O, da hab' keine Sorg', daß du mir Verdruß gemacht hast! Du hast mir den größten Gefallen getan, der mir hat geschehen können in diesem Leben, und ich werde dir dafür danken bis zu meiner letzten Stund'!«

Sie nahm seine Hand, schüttelte sie und sah ihn mit einem Blick der Liebe, der Bewunderung an.

Zu derselben Zeit fand wenig Schritte von ihnen eine andere Szene statt. Annemarie war zu dem Burschen getreten, an dem sie so lange mit der zärtlichsten Liebe gehangen, und richtete einen Blick auf ihn, der tiefes Mitleid verriet. Nach der gestillten Rache war in ihrem Herzen unwiderstehlich das Gefühl des Erbarmens aufgekommen. »Schorsch,« begann sie, »du hast mich schrecklich gekränkt; – aber dich so zu sehen, das tut mir doch weh; und siehst du, wenn ich vorher gewußt hätt', wie's gehen würde, ich hätte zu allem geschwiegen – und ich hätte dich glücklich werden lassen mit deiner Reichen!«

Der Bursche hatte zugehört mit dem Ausdruck einer verzweifelten Seele. »Geh,« entgegnete er mit leisem Beben der bläulich gewordenen Lippen, »für mich ist alles verloren! Laß mich du nun auch in Ruh' und mach mir keine Redensarten!«

»Ich mach' dir keine Redensarten,« versetzte das Mädchen traurig. »Niemand, wie ich seh', hat hier ein Bedauern mit dir – ich bin die einzige, die's gut mit dir meint! – Es ist schrecklich!« fuhr sie ergriffen fort. »So ein Mensch wie du! So grausam behandelt! – Mir tut's leid, von Herzen leid – Gott im Himmel ist mein Zeuge –«

Ihr Busen zuckte, Schluchzen ließ sie nicht weiter reden, die Tränen rannen ihr die Wangen herunter.

Der Bursche verzog den Mund in bitterem Unmut. »Das kommt zu spät jetzt,« entgegnete er. »Du hast mich in eine Schande gebracht, die nichts mehr auslöschen kann! Alles ist hin!«

»Es ist wahr,« versetzte das Mädchen; und in den Zwischenpausen des Weinens fuhr sie fort: »Schimpf mich! – Du hast ein Recht dazu! – Schimpf mich nur! Ich nehm' dir's nicht übel!«

In diesem Augenblick gingen Sophie und der Rothenbauer an ihnen vorüber, ohne weder rechts noch links zu sehen, und verließen die Stube.

Der Bursche lächelte schmerzvoll. Dann warf er einen Blick auf Annemarie, der eine Rührung seines Herzens verriet, nickte wie zum Abschied und ging stumm durch die Leute hindurch.

Zur Annemarie trat aber nun Gottfried und sagte mit einem ebenso würdevollen wie gutmütigen Klang der Stimme: »Komm jetzt mit mir, Bäsle!«

Annemarie ging mit ihm fort. Gottfried übergab sie der Schwester, die sie an der Stiege trafen, und sagte: »So, jetzt geht nach Hause miteinander! Für heute haben wir alle unsere Kirchweih gehabt!«

Als die Mädchen fort waren und der Held des Tages, Lobsprüche, welche Dorfburschen ihm spendeten, von sich weisend, durch Wischen und Streichen die letzten Spuren des Kampfes an sich zu tilgen suchte, kam aus einer Ecke des Tanzbodens eine Gestalt auf ihn zu, die auch ihm bekannt war, die er aber hier nicht vermutet hatte, der Schlome!

Auf die Kirchweih gegangen, um am Tisch der Familie Kohl den Triumph seines Werkes mitzufeiern, war der Jude eben recht gekommen, die letzten Szenen des großen Schiffbruchs aus einiger Entfernung mit anzusehen.

Mit ungeheuerm Ernst, mit einem fast erhabenen Ausdruck des Schmerzes rief er: »Stöckle, Stöckle, was habt Ihr getan! – Alles ist verloren! Alles ist kapore gegangen! – Was ich aufgebaut hab' in vielen Wochen, das habt Ihr zerschlagen mit einem einzigen Streich! Ich hab' umsonst gearbeitet ein ganzes halbes Jahr lang! – Großes Unglück, – großes Unglück! Ihr wißt gar nicht, welchen Schaden Ihr gemacht habt, Stöckle! – Gott soll helfen!«


V.

Vom Wirtshause, das er bald nach den beiden Mädchen verließ, kehrte Gottfried nicht unmittelbar zur Mutter heim. Durch den Kampf, aus dem er triumphierend hervorgegangen, – durch die Weihe des Beifalls und des Dankes, welche die Sophie dem Sieg erteilt hatte, war er ein anderer – man kann sagen, er war in sich ganz gemacht worden. Selbstvertrauen und Selbstgefühl durchwogten ihn und gaben ihm eine Haltung, die er früher sich nie hatte zu eigen machen können. Er empfand einen Drang, für andere etwas zu tun, und erinnerte sich, daß er hier noch eine Pflicht zu erfüllen habe.

Er suchte das Haus des Webers auf.

Die Schwestern waren allein und empfingen ihn mit Ausrufungen, welche zeigten, daß er ihnen überraschend, aber sehr zum Troste erschien.

»Ich komm' um deinetwillen, Annemarie,« sagte er. »Wenn mir recht ist, so hab' ich von der Rebeck' gehört, euer Vater weiß noch von nichts?«

»Ach ja,« versetzte Annemarie, »so ist's auch. Ich fürchte mich!« fuhr sie schauernd fort. »Denn jetzt, wenn er heimkommt, muß ich's ihm selber sagen; und was er dann mit mir anfängt, das weiß Gott im Himmel!«

»Dein Vater ist kein harter Mann,« entgegnete der Bursche mit Ernst. »Ich will mit ihm reden. Deswegen bin ich gekommen.«

Annemarie sah ihn mit feuchten Augen an. »O Gottfried,« rief sie, »du bist eben brav! – Im Unglück,« setzte sie mit gesenktem Haupte hinzu, »lernt man seine Freunde kennen – und das ist ein Trost!«

Der Bursche gab ihr die Hand, wie zur Bekräftigung.

Nachdem er sich hatte sagen lassen, welches Weges der Vater kommen würde, ging er diesem entgegen. Eine Viertelstunde vom Dorfe traf er ihn. Der Alte begrüßte ihn mit scherzhaften Fragen über sein Weglaufen von der Kirchweih. Gottfried ging aber gleich zur Sache und erzählte ihm nach wenigen vorbereitenden Worten die Geschichte des Tages. Mehrfach unterbrochen durch Ausrufungen des Schreckens und Zorns, fügte er nach dem Bericht alles hinzu, was ein guter und verständiger Mensch bei einer solchen Gelegenheit sagen kann, und es gelang ihm endlich, von dem gebeugten Manne das Versprechen zu erhalten, daß er sich gegen die Tochter nicht zu tätlicher Ungebühr wolle hinreißen lassen.

Als sie miteinander in die Stube traten, sah Gottfried die Annemarie erbleichen und am ganzen Leibe zittern. Der Vater gab seiner Entrüstung und seinem Schmerz Ausdruck. Aber Rebekka legte ihren Arm um seinen Hals und bat mit innigen, rührenden Worten für die Schwester, die schon unglücklich genug sei. Annemarie weinte, und man hörte eine Zeitlang nur ihr Schluchzen.

Der Alte seufzte und schwieg. Nach einer Weile trat Gottfried zu ihm, gab ihm die Hand und sagte: »Erinnert Euch an Euer Versprechen! – Gute Nacht miteinander!«

Er ging mit dem Bewußtsein, daß er, wenn auch nicht wiederholten Klagen und Vorwürfen, doch einem wüsten Auftritt im Hause des Webers vorgebeugt habe.

Mit wahrer innerer Befriedigung erreichte er sein Haus und trat in die Stube, die merkwürdigen Vorfälle der Mutter zu erzählen. Von einem Nachbar war dieser die Hauptsache schon mitgeteilt worden; darum, als sie seiner ansichtig ward, rief sie: »Aber um Gottes willen, Bub, was muß ich von dir hören!«

Gottfried konnte nicht umhin zu lächeln: »Nichts Unrechtes, hoff' ich!«

»Ja, aber Sachen, die kaum zu glauben sind! – Jetzt verzähl' mir nur gleich alles nacheinander, wie's gegangen hat!«

Der Sohn stattete einen Bericht ab, den er unbewußt für das Mutterherz verfaßte. Die Ausrufungen der Alten wollten kein Ende nehmen; sie bestaunte jedes Glied der Kette von Ereignissen extra, verweilte aber mit der größten Zufriedenheit bei der Demütigung des Schorsch, der ihren Sohn – ihren Gottfried habe zum Lügner machen wollen!

Nach einem Schweigen, das hierauf eintrat, sagte der Bursche: »Von der Ammer hab' also doch ich recht gehabt!«

»Ja, leider,« entgegnete die Mutter. Und seufzend fügte sie hinzu: »Jetzt ist's aus mit der!«

Gottfried zuckte die Achseln. »Das Mädchen dauert mich,« erwiderte er; »sie hätte was Besseres verdient!«

Die Alte stimmte zu; dann versetzte sie: »Da jetzt die Sophie nichts mehr von ihm wissen will, so nimmt vielleicht der Schorsch doch sie noch!«

»Ich trau's ihm nicht zu,« erwiderte der Sohn, »trotz der Schläge, die er bekommen hat! – Er wird tun, was er muß, wird Gras wachsen lassen über die Geschichte und dann erst recht eine Reiche nehmen!«

Die Alte schwieg nachdenklich. Dann sagte sie: »Vielleicht, daß sogar die Sophie wieder ...«

Gottfried schüttelte heftig den Kopf. »Das ist vorbei,« entgegnete er, – »die horcht ihm jetzt nicht mehr auf!«

»Aber,« bemerkte die Alte nach einer Weile, »sie ist grad' auch nicht mehr ganz jung!«

»Glaubst du,« sagte Gottfried mit einem eigenen Lächeln, »daß die keinen Mann kriegt?«

»Das schon,« versetzte jene. – Sie sah vor sich hin und schwieg mit einem Ausdruck des Bedauerns.

Der Bursche hatte ausgeredet, – er war müde und ging zu Bette. –

Wenige Tage, und Gottfried lebte weiter, als ob nichts geschehen wäre. Das Gerede der Leute, das ihn anfangs belästigt hatte, verhallte nach und nach, und die Mutter, die ihre Gedanken hatte, ließ ihn mit Erinnerungen und Mahnungen, die ihm unangenehm gewesen wären, in Ruhe.

Nur einen Wortkampf hatte er noch zu bestehen, und dieser ist zu charakteristisch für ihn, als daß ich ihn übergehen dürfte.

Auf der Grenze, welche die Feldung seines Weilers von der des Dorfes schied, trat eines Abends ein in diesem ansässiger »Frommer« zu ihm, grüßte ihn mit einer eigenen Mischung von Anklage, Selbstgefühl und Spott in dem faltigen Gesicht und sagte: »Nun, Gottfried, du hast dich ja vergangenen Sonntag recht ausgezeichnet im Wirtshause! Hast den Schorsch Hechtfischer geprügelt! – – Du hast dich wahrlich gemacht, seitdem du nicht mehr bei uns bist!«

Der Bursche schaute ihn an. »Gras-Balthes,« versetzte er, »das ist nicht das Schlechteste, was ich getan hab'!«

Der Fromme lächelte. »Du bist gar noch stolz drauf?« entgegnete er. »Doch, darüber sollt' ich mich eigentlich nicht wundern, bei einem, der so vom Christentum abgekommen ist wie du!«

Der Bursche sah ihn mit einem Blick des Unmuts an. »Ich bin nicht vom Christentum abgekommen,« rief er, »sondern nur von euern Übertreibungen!«

»So!« erwiderte der Fromme. »Und das ist wohl christlich, daß man einen schlägt und benimmt sich dabei wie ein wildes Tier? Denn so, der Verzählung nach, hast du's gemacht. Wie stimmt das zu dem Gebot, daß man dem, der einen auf die rechte Backe schlägt, die andere darbieten soll?«

Gottfried war durch diese Vorhaltung einen Moment betroffen. Der Fromme lächelte auf eine Weise, die gerade auch nicht sehr christlich war, denn man hätte sie beinahe hämisch nennen können. Die Wahrnehmung davon ärgerte unseren Burschen, und er hatte einen Gedanken.

»Balthes,« versetzte er, »das ist einer von den Sprüchen, die man nicht immer befolgen kann und nach meiner Ansicht auch nicht überall befolgen soll!«

»Ah!« rief jener. »Da kann also der Mensch tun, was er will?«

»Das nicht,« erwiderte Gottfried. »Aber sein Verstand und seine Vernunft sind ihm grad' auch nicht umsonst gegeben, und die soll er anwenden und soll einen Unterschied machen!«

»Da haben wir's,« rief jener; »die Vernunft!«

»Horch einmal,« sagte unser Bursche. – »Du hast einen vierzehnjährigen Buben. Wenn dich der nun einmal in der Wut auf den rechten Backen schlagen tät', würdest du ihm auch den linken darbieten?«

Der Fromme war etwas verhofft, rümpfte aber schnell den Mund und versetzte: »Das ist was ganz anderes. Meinen Buben muß ich ziehen, und wenn ihm Schläge gesund sind, dann muß ich sie ihm geben!«

»Das ist wahr,« entgegnete Gottfried. »Erwachsene Leut' müssen aber auch noch gezogen werden! Auch ihnen sind manchmal Schläge gesund, – und dann kann man sie ihnen gar wohl geben! Wenn man sie tüchtig abstraft, dann gehen sie in sich und werden gebessert. Wenn man sich aber von ihnen schlagen, beschimpfen und mißhandeln läßt, dann werden sie immer frecher und verwildern ganz.«

Nun war die Reihe, ohne Antwort zu sein, an dem Frommen. Indes wußte er sich zu helfen. »Die Auslegung,« versetzte er, »ist kommod'! Wenn man nun einen prügelt, kann man sagen: ich hab's getan, um ihn zu bessern!«

»Wenn das wirklich der Grund gewesen ist,« erwiderte der Bursche, »dann kann man's wirklich sagen! Aber wenn man einen auch nur durchbläut in der Wut, weil eben seine Frechheit einen rasend gemacht hat, dann kann man sich doch nachher sagen: diese Schläge werden dem da gut tun! – Und das, Freund Balthes, ist der Fall bei mir gewesen! Ich hab' den Schorsch nicht geschlagen, um ihn zu bessern – fällt mir gar nicht ein; aber ihm haben Schläge gehört, und das rechtschaffene, und drum ist's für keinen Hieb schad' als für den, der danebengegangen ist. Die Strafe wird ihm auch sicher eine Witzigung sein und sein Hochmut wird sich legen! Ich hab' zuerst gemeint, ich hätt's zu arg gemacht; aber ich hab' mich bald getröstet und jetzt hab' ich ein ganz gutes Gewissen!«

»Das heißt,« sagte der andere, »du hast vortrefflich gehandelt und bist ein musterhafter Mensch, wie's keinen zweiten mehr gibt!«

Dieser Spott war dem Burschen zu stark. »Ich mag sein, was ich will,« rief er. »Aber ich bin kein Esel – und kein Tropf auch nicht! – Guten Abend, Gras-Balthes!«

Damit wendete er sich und ging. Der andere stand mit einem Gesicht, welches durch Verlegenheit und Ärger nicht schöner wurde, als es zuvor war.

Abgesehen von diesem kleinen Zusammentreffen lebte unser Bursche in sich, in seinen Gedanken. – Wie stand es aber mit diesen Gedanken? – Auf welches Ziel richteten sie sich? – Erhob sich in seinem Herzen nicht doch wieder die Hoffnung, die Sophie noch zu bekommen? – War nicht ihr Dank und ihr Händedruck und ihr ganzes Benehmen an jenem Kirchweihsonntag für ihn ein gar viel versprechendes Zeichen?

Wenn hoffen heißt, eine bestimmte Hoffnung hegen, so hoffte er nicht. Nach der einen Täuschung, die ihn so unglücklich gemacht hatte, wollte er keine zweite in sich aufkommen lassen. Sophie hatte gesagt: er habe ihr den größten Gefallen getan und sie werde ihm zeitlebens dafür danken. An diese Worte mußte er sich halten. Offenbar hatte sie ihm damit nichts versprochen, was ihm zur Erneuerung ehemaliger Vorstellungen irgend ein Recht gegeben hätte.

Allein im tiefsten Grund seines Herzens hoffte er doch. Sein Glück, das höchste Glück, das er sich denken konnte, war möglich! Man konnte nicht sagen, daß es ganz und gar unmöglich sei! – Was aber möglich ist, das kann eintreffen trotz allem und allem.

Es war nicht ein gestaltetes Bild des Künftigen, was vor seiner Seele stand, sondern nur ein Schein, ein duftig goldener Schein glänzte vor ihm. Aber aus diesem konnte doch noch ein Bild heraustreten, und einstweilen ließ er sich von ihm das Herz erfreuen.

Mit dem Bewußtsein des Geschehenen und mit dieser unbestimmten Aussicht war der wackere Bursche glücklich. Zufrieden tat er seine Arbeiten in Haus und Feld; am wohlsten ward ihm aber im Wald. Die herbstliche Stille darin harmonierte gar sehr mit seiner Stimmung, und sie war ihm ganz besonders lieb. Der Morgennebel umdampfte ihn und erfrischte ihm Leib und Seele; und wenn er sich dann verzog und die Strahlen der Sonne durchs Laub hereinfielen, wie schön war das! Die Blätter fingen an gelb zu werden – um so heiterer leuchteten sie ihm in die Augen. Und wenn er manchmal auch traurig wurde, so war's eine liebe Traurigkeit. Sie machte ihn teilnehmender für die Tiere, die dem Walde treu geblieben waren: für das Reh, das aus dem Dickicht herbeikam, um an lichter Stelle zu lauschen und Gras zu rupfen; für den Hasen, der plötzlich aufsprang und davonlief; für den Häher, der schreiend über die Wipfel der Bäume flog. Er würdigte alles besser als sonst und schaute die Regungen des Lebens um ihn mit Blicken an, wie sie nur von einem liebevollen Herzen kommen können. In solchen Momenten glaubte er freilich: so gut wie er's meine, müßten's auch andere meinen mit ihm; – und namentlich eine!

Es ist aber Zeit, daß wir uns nach dieser einen umsehen und einen Blick werfen in die Seelen der beiden Personen, die uns neben Gottfried am meisten interessieren.

Wir müssen zu dem Moment zurückkehren, wo sie uns aus den Augen entschwunden sind.

Nachdem der Rothenbauer, unter vielfach wiederholten Bedauerungen von seiten der Wirtsleute, mit Sophie den Wagen bestiegen und diesen aus dem Hof des Wirtshauses gelenkt hatte, saßen die beiden auf der Heimfahrt eine Zeitlang schweigend nebeneinander. Dann begann der Alte zu seufzen, zu murren und endlich artikulierte Laute von sich zu geben. »Wer hätte geglaubt,« rief er, »daß dieser Hechtfischer so einer wäre! Ein so verfluchter Kujon! – – Aber die Weberstochter ist auch eine freche Person!«

»Das find' ich gar nicht,« widersprach Sophie. »Ich kann mich ganz gut in sie hineindenken und ihr durchaus nicht unrecht geben!«

»Das tut unter Hunderten eine!« rief der Alte. »Gegen so einen Menschen!«

»Du weißt nicht, wie's angegangen ist,« entgegnete die Tochter. »Ich hätt's grad' so gemacht unter diesen Umständen! – Die Annemarie ist eben kein gewöhnliches Mädchen! Sie hält was auf sich, und sie hat recht; denn sie ist die schönste Person, die mir noch vorgekommen ist. Sein Benehmen hat sie wütend gemacht, und sie hat gedacht: bieg's oder brech's! – Und doch hat sie ihn noch immer gern! – Wenn in dem Menschen noch ein Funken von Ehr' ist, dann nimmt er sie jetzt zum Weib!«

»Was fällt dir ein!« rief der Alte. »Da würde er schön ankommen bei der Weilerbäuerin! Die tät' ihm den Hals umdrehen!« – Nach einer Pause fuhr er fort: »Ich muß sagen, ich ärger' mich über den Menschen! Ganz verflucht! – Aber,« setzte er mit halb humoristischem Ausdruck hinzu, »er hat auch Unglück! – Er trifft auf lauter B'sondre!«

Die Sophie zuckte die Achsel. »Sein Unglück ist mein Glück!« erwiderte sie.

»Vom Glück,« versetzte der Alte, »merk' ich grad' noch nicht viel. In der Leute Mäuler kommen wir, und Schande haben wir –«

»Mögen sie schwätzen!« rief die Tochter. »Ich für meine Person mach' mir gar nichts daraus! – Wer sich was vorzuwerfen hat, der mag sich schämen!«

Der Alte gab seinem Handgaul einen tüchtigen Hieb, daß der hübsche, leichte Wagen rasch über das Sträßchen hinging. Dann schaute er das Mädchen an und sagte: »Du siehst aus, als ob dir in deinem Leben nichts Besseres widerfahren wär'!«

»Das ist auch so!« versetzte die Tochter. »Von einem so leichtsinnigen und falschen Menschen noch rechtzeitig loszukommen, ist das größte Glück für ein ordentliches Mädchen!«

Der Alte schwieg. Dann erwiderte er: »Freue dich, wenn du willst; das kann ich dir nicht wehren. Aber bild' dir nur nichts ein, das sag' ich dir! – Du hast dich benommen bei der G'schicht – ich will nur hoffen, daß man's in dem Wirrwarr nicht bemerkt hat! Was muß der Mensch sich denken? Helfen tut's dir aber nichts – darauf kannst du dich verlassen!«

»Was red'st du da!« erwiderte Sophie. »Ich bild' mir gar nichts ein! – Ich freu' mich nur, daß es so einen Menschen, wie den Gottfried, auf der Welt gibt! – und das, lieber Vater, kannst du mir nicht verbieten!«

Der Alte ließ beide Rosse die Geißel kosten. Der Wagen flog auf dem endlich ebenen Weg dahin, und bald rollte er die Gasse des Dorfes hinunter. Ein tiefer Seufzer ging aus der Kehle des Bauern. »Ich will ein schlechter Kerl sein,« rief er, »wenn ich mich nicht fürchte vor den nächsten Tagen!« –

Daß der höchst ungewöhnliche Vorfall sehr bald im Dorfe bekannt sein würde, ließ sich freilich denken. In der Tat wurde er noch an demselben Abend im Wirtshause von einem Augenzeugen zum besten gegeben. Am anderen Morgen kamen die nah Befreundeten zum Rothenbauer, um ihr Bedauern auszusprechen; unter anderen der alte Frick. Die Miene desselben drückte eine Zufriedenheit aus, wie sie den Menschen in dieser Welt selten vergönnt ist. »Es tut mir leid um dich,« sagte er zum Vater, »das wirst du mir glauben; – aber dem Schorsch, dem vergönn' ich's! 's ist doch ein rasend unverschämter Kerl! – Und das Ansehen, das er sich immer gegeben hat, als ob ihm die ganze Welt gehörte! – Jetzt ist ihm der Stachel ab! – Hoffentlich,« setzte er nach einer Weile halb fragend hinzu, »wirst du ihm in keinem Fall deine Tochter mehr geben?«

»Wo denkst du hin!« entgegnete der Rothenbauer unmutig. – »Es ist möglich, daß der Schlome nochmal kommt –«

»Den tät' ich –!« Er machte eine Bewegung mit den Armen.

»Wird wohl nicht nötig sein,« versetzte jener mit einer Art von Lächeln. »Ich glaub', er traut sich schon so nimmer her!«

Was die Sophie betraf, so erschien sie den Leuten nicht wohl begreiflich. Nach allgemeiner Meinung war's doch ein Unglück – etwas sehr Fatales, was sie betroffen hatte. Man kam also mit einer großen Fülle von Mitleid zu ihr, um es in den schicklichsten Redensarten anzubringen; bald aber sah man, daß es gar nicht am Platze war. »Du nimmst's aber leicht!« rief die alte Bäuerin, die wir von der Sichelhenke her kennen. »Das ist ja zum Erstaunen!«

»O, liebe Base,« erwiderte das Mädchen, »ich lass das Vergnügen, das ich hab', gar nicht einmal heraus!«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Es ist wahr, es ist ein g'ringsinniger Mensch! Aber so einen schönen und geschickten Bursch lassen zu müssen –«

Die Sophie, mit aller Grausamkeit des Weibes, entgegnete: »Ach – ich hab' den schönen und geschickten Bursch in einem Zustand gesehen, daß mir alle Lust vergangen ist! – Und,« fuhr sie fort, indem sie ihrem Gesicht einen strengen Ausdruck gab, »wie schändlich hat er sich heraushelfen wollen durch eine Lüge über die Annemarie und den Gottfried!«

»Das ist freilich nicht schön gewesen,« versetzte die Alte, indem sie ihr Gesicht in bedenkliche Falten zog. »Aber was tut man nicht in der Verzweiflung?«

»Ein ordentlicher Mensch,« entgegnete Sophie, »tut das auch in der Verzweiflung nicht! – Aber freilich, ein ordentlicher Mensch kommt schon gar nicht in so eine Verzweiflung!«

»Nun,« sagte hierauf die Base fast ärgerlich, »dann muß ich dir halt gratulieren zu dem Handel!«

»Das könnt Ihr auch, Base,« rief das Mädchen. »Recht gut! Ich nehm's an!«

Nachdem einige Tage verflossen waren, ließ man auch diese Familie in Ruhe. Vater und Tochter gingen ihren Geschäften nach, vermieden beide über die Sache zu reden und lebten in äußerer Eintracht. Sophie zeigte den Leuten eine Miene stiller Zufriedenheit, an die man sich endlich gewöhnte.

Schlome kam nicht. – Die Weilerbäuerin und ihr Sohn mußten begriffen haben, daß für sie nichts mehr zu hoffen sei.

In der zweiten Woche traf der Rothenbauer mit dem Juden zufällig zusammen in Nördlingen. Beide sahen sich etwas überrascht an. Der Bauer hatte aber eine Maß Augsburger getrunken, er war in Laune und rief daher mit einem sarkastischen Blick: »Nun, Schlome, warum kommt Ihr denn gar nicht mehr zu mir?«

Der Jude zuckte die Achsel. »Warum sollt' ich kommen?« rief er. »Der Handel ist verspielt.«

»Ja ja,« entgegnete der Bauer mit der Miene eines Anklägers, – »da habt Ihr mir einen saubern Schwiegersohn geben wollen!«

»Saubern Schwiegersohn?« erwiderte Schlome, indem er die dicken Lippen geringschätzig verzog. »Wenn die dumme Geschichte nicht passiert wär', dann wär's noch so! Der Schorsch hätt' können eine Liebschaft haben und 's Mädle hätt' können in den Umständen sein und man hätt's wissen können – 's hätt' nichts geschadet! Gott im Himmel, das kommt wohl nicht vor? Man weiß es, aber man kann's nicht beweisen! Und was man nicht beweisen kann, das kann der andere leugnen, und 's ist so gut, als ob's gar nicht wär'. – Nun kommt aber auf einmal der Skandal! – und man kann's nicht mehr leugnen! Und nun ist's grad', als ob die Sache, die doch schon vorher passiert war, erst jetzt passierte. Und was vorher für die Leut' ein kleiner Spaß gewesen wär', das ist jetzt auf einmal ein großes Verbrechen! – Rothenbauer, laßt mich aus! Reden wir nicht von dem Handel! 's ist ein Unglück gewesen! Aber das Unglück hat den Handel verdorben – das ist eben das Unglück!«

Der Bauer, dem diese Art, die Sache anzusehen, gar nicht gegen den Mann war, antwortete mit einem unwillkürlichen Schmunzeln. Dann sagte er: »Ich hab' mich ein bißchen gewundert, daß man gar keinen Versuch mehr bei uns gemacht hat!«

Der Jude wurde ernsthaft. »Rothenbauer,« erwiderte er: »Eure Sophie ist nicht allein stolz, ander' Leut' sind's auch! Die Weilerbäuerin hat Geifa', die bettelt nicht um eine Frau für ihren Schorsch! Wie ich den anderen Tag gekommen bin, hat sie gesagt: Schlome, jetzt können wir uns nach was anderem umsehen! Ja, hab' ich gesagt, das können wir! Die Geschicht' ist aus! Wenn sich der Rothenbauer vielleicht noch bereden ließ', die Sophie tät' kratzen und beißen! Soll ich in der Erd' versinken, Weilerbäuerin, hab' ich gesagt, wenn ich mir mit einer solchen Kommission noch einmal ins Haus traut'!«

Der Rothenbauer konnte sich nicht enthalten, über diese Anerkennung seiner Tochter Vergnügen an den Tag zu legen. – Nach kurzem Schweigen sagte er: »Ihr seid wieder viel auf dem Weilerbauershof, wie ich höre! – Ist schon wieder was im Werk?«

Der Jude wiegte den Kopf, »'s gibt Geschäfte!« erwiderte er.

»Und wie steht's mit der Weberstochter?« fragte jener nach einer Weile. »Ist die still jetzt?«

»Die Weberstochter,« versetzte Schlome mit dem Grinsen desperaten Humors, »kommt gleich nach Eurer Sophie! Die Weilerbäuerin (warum soll ich's nicht sagen?) hat mich geschickt zu ihr, die Sache mit ihr abzumachen auf eine gütliche Manier. Daß sie mir nicht die Augen ausgekratzt hat, ist alles gewesen! Der alte Weber, sein Lebtag ein guter Stoffel, hat mir Grobheiten gemacht, und die andere Tochter, sonst ein stilles Mädchen, ist auf mich losgefahren wie ein kleiner Teufel. Sie wollen nichts von dem Menschen – sie brauchen nichts – Rothenbauer, mir kommt's manchmal vor, als ob sich die Welt umgedreht hätt'! Ein Stolz ist in die Leute gefahren – man kennt sich gar nicht mehr aus! – Nu? Ich hab' geschwiegen; denn wenn ich hätt' weiter gered't, hätten sie mich wahrlich miteinander aus dem Hause nausgeschmissen! Wenn der Schorsch das Mädle jetzt heiraten wollt', ich glaub', er müßt' fußfällig bitten drum! Hat sie nicht geschrien: ›Ich hab' ihn bedauert – ich hab' mir Vorwürf' gemacht – und zum Dank für meine Lieb' will er mich jetzt abzahlen? 's ist ein schlechter Mensch, und er verdient, daß man's ihm noch viel ärger macht, als es ihm der Gottfried gemacht hat!‹ – Guter Gott,« fuhr der Jude nach kurzem Innehalten fort, »und doch ist der Schorsch ganz unschuldig dran! Den Auftrag hab' ich von der Weilerbäuerin gehabt! Der junge Mensch ist vollständig geknickt und schämt sich den ganzen Tag. – Hätt' man geglaubt, daß man für den müßt' sorgen und herumsuchen nach einer Frau für ihn?«

»Nun,« versetzte der Bauer, »Ihr werdet ihm schon die rechte noch finden!«

»'s wär' not!« entgegnete Schlome, – »damit ich auch zu meinem Profit komm'! Bin ich da herumgelaufen in der verfluchten Geschicht' – ich hätt' hundert Louisdor verdienen können in der Zeit! Und was hab' ich gekriegt bis jetzt? Daß ich keine Schläge gekriegt hab', ist ein großes Glück gewesen!«

Der Bauer, mit behaglichem Spötteln, sagte: »Das kommt alles miteinander, wenn der Handel g'ratet!«

»Wird was kommen!« antwortete der Jude verächtlich. »Sieht aus danach!« Er schwieg und dachte bei sich: »Stock von einem Bauern, hast du mir was gegeben?« Dann mit einer Miene, die mehr zu seinen stillen Gedanken paßte, sagte er: »Behüt Euch Gott, Rothenbauer!«

Er ging. Der Bauer sah ihm erheitert nach. Endlich, die Seele seinem Interesse zuwendend, sagte er zu sich: »Ich fang' an zu merken, daß meine Sophie einen guten ›Riecher‹ gehabt hat!«

Wochen gingen vorüber, ohne daß etwas für unsere Geschichte Bemerkenswertes vorgefallen wäre. Die letzten Gespräche über den Auftritt beim Sonnenwirt und seine Folgen waren verhallt, und der Anteil der Leute hatte sich schon wieder einigen anderen Geschehnissen zugewendet, die den Vorzug hatten, daß sie neu waren. – Da geschah plötzlich etwas, das die Gegend in den größten Rumor versetzte!

Man hörte – und man hörte für gewiß: die Weilerbäuerin hat ihren Hof verkauft!

Sämtliche Dörfer in der Runde wurden in das größte Erstaunen versetzt. – Wie kam sie dazu? rief man. Wie kann man ein so prächtiges Gut verkaufen, wenn man zwei Söhne hat? Und ist nicht der Hof dem Jüngsten versprochen gewesen? In jetziger Zeit verkaufen! Ein Gut, auf dem seit uralten Zeiten die Hechtfischer gewesen sind! Was fällt dem Weib ein?

Einige Tage später zirkulierten Antworten auf diese Fragen. Man hatte verkaufen müssen! Die Weilerbäuerin hat Schulden gehabt – viel mehr, als man wußte! Wenn der Schorsch eine Reiche gekriegt hätte, dann hätte man sich helfen können; aber ohne sehr viel Geld ist's nicht mehr gegangen, und die Frau kann von Glück sagen, daß sie noch einen so guten Käufer gefunden hat.

Aber – fragte man jetzt – wie konnten die Leute so herunterkommen? Hatte der verstorbene Weilerbauer nicht angefangen ohne alle Schulden? Hatte er nicht sein Geschäft verstanden und neben den schlechten Jahren doch auch gute gehabt? Hatte nicht der Schorsch etwas von ihm gelernt und die Felder im Stand gehalten, daß man kaum bessere sehen konnte?

Auch diese Fragen fanden ihre Erledigung. Die Familie Hechtfischer hat immer besser gelebt, als Bauern leben dürfen, auch auf dem besten Gut. Ein guter Bauer sein tut's nicht, man muß auch ein guter Rechner sein. Die Weilerbauersleute haben sich viel zu viel vergönnt im Essen, Trinken, Kleiderpracht und Vornehmtun! Der alte Weilerbauer hat dabei noch eine andere Liebhaberei gehabt, die auf den Schorsch übergegangen ist. Dann hat sich die Witwe bei der Verheiratung ihrer Tochter an den Assessor viel mehr angestrengt, als nötig war – und so ist alles überspannt worden, bis es endlich geplatzt ist. Man hat nicht wissen lassen wollen, wie's steht, hat heimlich Geld aufgenommen gegen hohe Zinsen – das hat dem Faß den Boden ausgeschlagen!

So sagte man sich. Und gelegentlich fügte man hinzu: Dem Assessor wird's lieb sein, daß er versetzt worden ist ans andere Ende des Königreichs! Denn wenn er auch was hat, er braucht's für sich und seine Familie, und auf dem Hofe hat er die Leute nicht halten können!

Was an diesen Worten richtig, falsch oder halb richtig war, brauchen wir nicht näher zu untersuchen. Der Verkauf war eine Tatsache. Im November zog der neue Weilerbauer auf; der jüngere Hechtfischer ging in Dienst zu einem Freund, die Witwe und Schorsch nahmen eine kleine Zinswohnung in Nördlingen.

Als diese letzten Nachrichten zum Rothenbauer gelangten, waren Vater und Tochter infolge eines eingetretenen Trauerfalles ohnehin in betrübter Stimmung. Die Stadtmüllerin im nahen Frankenland war kurze Zeit vorher gestorben; Sophie hatte der Beerdigung beigewohnt und sich erst tags zuvor wieder im elterlichen Hause eingefunden. Ihre Erzählung von der Krankheit der Base und dem ehrenvollen Leichenbegängnis erweichte dem Alten das Herz, – und die Meldung von den letzten Schicksalen der Weilerbauersleute machte einen um so tieferen Eindruck auf ihn. Ein Sturz, wie ihn die Bäuerin erfahren, die zu den angesehensten im Ries gehört hatte, war etwas ganz Außerordentliches – er mußte die Phantasie des Gleichstehenden erschrecken! Dem Sohn dieser Frau, die von einem der größten und besten Höfe in die Stadt zog, um hier vielleicht einen kleinen Kram anzufangen, hatte er seine Tochter geben wollen! Und ohne einen reinen Zufall, der dazwischenkam, wäre sie jetzt sein Weib! – »Das ist ja über alle Begriffe!« rief er aus. »Eine solche Familie! So herunterkommen! – Wie müssen die Leute gehaust haben? – Es ist entsetzlich!«

Die Tochter nickte mit ernster und vielsagender Miene. »Sie sind selber dran schuld,« erwiderte sie, »nach allem, was man hört. Aber daß sie von ihrem Hof in ein Zinshaus müssen, das ist doch sehr hart, und ich bedauere sie von Herzen.«

Der Alte hatte vor sich hingesehen. »Die Burg-Ammer,« rief er mit tiefem Ernst, »hat uns einen großen Gefallen getan!«

Sophie konnte nicht umhin, dem Vater mit einem ernsten Lächeln zu antworten. Dann sagte sie: »Das Mädchen verdiente, daß wir auch ihr einen Gefallen tun! – Wenn die Weilerbäuerin nur so viel davongebracht hätte, daß der Schorsch sie noch heiraten könnte, dann gäb's jetzt eine Gelegenheit! – Du könntest dem Paar unter die Arme greifen!«

Der Alte betrachtete sie verwundert. »Du hast doch Einfälle wie keine andere,« versetzte er. – »Lassen wir die Leute zuerst für sich selber sorgen!«

Sophie schwieg. Dann sagte sie mit Ernst: »Du hast recht, Vater! Lassen wir sie sorgen, und sorgen wir für uns! – Jedes weiß am besten, was es zu tun hat.«

Beide schwiegen. Der Alte machte ein Gesicht, als ob er etwas auf dem Herzen hätte, was er aber jetzt nicht sagen wollte. Er nickte wie einer, der sich etwas vornimmt oder einen Vorsatz erneuert. Dann erhob er sich und verließ die Stube.

Die Tochter stand in Gedanken; – ihr Auge blickte sorgenvoll.

Auch sie hatte etwas auf dem Herzen, wofür sich ihr jetzt noch keine Worte boten. Was aber sie zu tun gedachte, das mochte mit den Gedanken des Vaters im geraden Widerspruch stehen.

Sie war zu einem Entschluß gekommen! – Sie heiratete keinen anderen als den Gottfried! – Das war ausgemacht; – die Frage war aber, wie sie es bei dem Vater durchsetzen könnte!

Im stillen, unter wiederholten, ernsten Erwägungen war ihr Vorhaben gereift.

Sie sagte sich: »Er hat mich lieb gehabt von Kindheit an, und jetzt, das weiß ich, geh' ich ihm über alles. Bei ihm bin ich sicher, daß er mich selber gern hat und nicht meinen Hof; daß er mich um meinetwillen nimmt, und nicht weil ich die Tochter des Rothenbauers bin. Und er hängt an mir und denkt an keine andere! Wenn ich ihn hab', dann gehört er mir – darüber brauch' ich keinen Augenblick in Sorgen zu sein! – Er kennt kein größeres Glück, als mich zum Weib zu haben, – und kann's etwas Schöneres geben für mich? Darauf allein kommt's an – alles andere ist nichts dagegen!«

Dieses andere trat ihr jetzt nur vor die Seele, um ihr eine Pflicht ans Herz zu legen. »Er kann nicht selber zu mir kommen!« sagte sie. »Jetzt am allerwenigsten! Was der Vater ihm für eine Antwort geben würde, das weiß er im voraus – und daß er unter diesen Umständen um mich anhält, das leidet sein Charakter nicht! Ich muß es also selber durchsetzen! – Es ist freilich die verkehrte Welt, daß das Mädchen sich nach dem Bursch umtut; aber in dem Fall geht's nun einmal nicht anders – und es muß geschehen!«

Der Tod der Verwandten, die ihr eine treue Freundin und hochgeschätzte Lehrerin gewesen, und die Gedanken, die bei der Leichenfeier in ihr erstanden, trugen dazu bei, sie das Wagnis beschließen zu lassen. In dem ernsten Moment der Bestattung eines lieben Verstorbenen richtet sich der Geist auf die wesentlichen Güter des Lebens, und die irdischen sinken im Preise. Wer schon auf dem Wege dazu ist, für jene etwas zu unternehmen, der wird durch das, was sein Herz in solchen Augenblicken empfindet, nur darin bestärkt werden.

Nachdem sie schon mit dem festen Entschluß heimgekehrt war, ließen die Ausgänge der einst reich gewesenen Familie sie noch dazu wieder erkennen, daß es auch zum gesicherten Wohlsein in der Welt nicht so sehr auf den Besitz ankommt als auf den Menschen! – Sie konnte nicht mehr zaudern!

Allein, wie sollte die Tochter mit dem Vater sprechen? Wie sollte sie ihre Gründe vorbringen? – Denn es war ja nicht genug, seinen Zorn auszuhalten – er mußte gewonnen, überzeugt werden. Und wie sollte sie das möglich machen?

Sie glaubte bei Gelegenheit Reden hinwerfen zu müssen, an die sich das entscheidende Gespräch anknüpfen könnte.

Wie geschickt sie das in den nächsten Tagen aber angehen mochte, es fruchtete nichts. Der Alte merkte, wo sie hinaus wollte, widersprach sogleich und brach mürrisch ab.

Sie mußte sich entschließen, es ihm gerade herauszusagen. Wandte er ein, was er mochte, schalt er, tobte er – sie hielt aus, brachte alles vor, was sie auf dem Herzen hatte, und endlich, endlich mußte er nachgeben! – Ein Schauer wandelte sie an bei der Vorstellung des Auftritts, den es geben könnte! – Aber es half nichts – es mußte gewagt werden. Sie mußte den Mann, den sie gern hatte, sich erobern – so stand die Sache!

Bei der nächsten Gelegenheit, wo sie mit dem Vater im Kanzley war, sagte sie: »Es ist gut, daß wir allein sind – ich hab' mit dir etwas zu reden!«

Der Alte betrachtete sie, indem seine Züge einen argwöhnischen Ausdruck annahmen. »Soll mir lieb sein, wenn es was Gescheites ist,« versetzte er ironisch.

»Ich mein' wohl,« erwiderte die Tochter, in ihrer Bewegung sich ermutigend. Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Du hast selber gesagt, es sei Zeit jetzt, daß ich heirate!«

»Das ist nichts Neues,« antwortete der Vater. »Ich glaub', darüber brauchen wir uns nicht zu streiten!«

»Ich will dir jetzt auch nur sagen,« versetzte das Mädchen nach einem Moment, »daß ich dazu entschlossen bin.«

»Sieh, sieh,« erwiderte der Alte. – »Zuerst müssen wir aber doch einen haben, den wir heiraten können?« fuhr er spöttisch fort.

»Ich hab' einen!« sagte die Tochter.

»Was!« fuhr jener auf, indem sein Gesicht rotbraun wurde; »du hast einen? – Was wird das für einer sein? – Willst du mir wieder kommen mit dem –«

»Vater,« fiel die Tochter mit bittender, dringender Stimme ein, »schimpf nicht und hör mich an! Siehst du, ich hab's überlegt, ganz ernsthaft überlegt, und ich sag' dir: ich kann keinen andern heiraten als den Gottfried!«

Der Alte, obwohl er dieses Geständnis hatte kommen sehen, stieß einen Laut grimmigen Zornes aus und stampfte mit dem Fuß. – Er bezwang sich indes und fragte äußerlich ruhig, ob auch innerlich bebend: »Warum kannst du's nicht?«

»Weil ich zu keinem andern das Vertrauen haben kann,« rief Sophie, »wie zu ihm! Weil ich weiß, daß ich mit keinem andern so gut hausen und so glücklich leben werde –«

»Das ist eine Einbildung, eine unsinnige Einbildung!« rief der Bauer. »Nun,« fuhr er schneidend fort, »ich hab's auch überlegt; – und ich sag' dir: ich tu's nicht!«

Sophie zitterte. »Und weswegen nicht?« fragte sie.

»Die Frag' ist lächerlich,« erwiderte der Bauer.

»Es wär' mir aber doch lieb,« entgegnete die Tochter, »wenn ich eine Antwort drauf bekäm'!«

»Ich will für mein einziges Kind einen Mann haben, der uns Ehre macht!« rief der Alte.

Die Sophie, mit einem vorwurfsvollen Blick, nickte. »Der Gottfried,« erwiderte sie, »macht uns also keine Ehre?«

»Nein!«

»Was hat er denn Schimpfliches an sich?«

»Er mag ein ganz wackrer Bursch sein,« entgegnete der Bauer geringschätzig. »Aber er paßt nicht zu uns! In gar keiner Art!«

Das Mädchen stand aufgeregt. »Der Gottfried,« rief sie, »ist der bravste Mensch, den ich kenn'! Er ist geschickt und gescheit! Er ist ein rechtes Mannsbild; und wie gutmütig er sein mag, wo's drauf ankommt, da läßt er sich nichts gefallen! Und wenn sein Gesicht nicht so schön ist wie manches andere – was aus dem Gesicht rausschaut, das macht's mir zehntausendmal lieber als die schönsten! Was fehlt ihm also? Nichts als das, was wir im Überfluß haben – das miserable Geld!«

Der Alte, von der Leidenschaft seiner Tochter betroffen, starrte sie an. Gleich aber faßte er sich wieder zur Strenge und versetzte: »Es ist nicht das Geld allein, was ihm fehlt! Er ist kein Bauer, und verwandt mit lauter kleinen Leuten – mit Bettelvolk! Wir kämen da in eine Sippschaft hinein, daß Gott erbarm'! Unsere Freunde, die immer Respekt gehabt haben vor uns, würden zischeln und sticheln und spotten – – ich traute mir nimmer unter die Leute!«

»So,« rief die Tochter. »Also weil irgend ein Vetter oder eine Base spöttisch tun könnt' und uns auslachen und ärgern wollen oder fremd tun gegen uns, deswegen sollten wir nicht tun, was wir für unser größtes Glück ansehen? Können wir so eine Person nicht wieder auslachen? Mit tausendmal mehr Recht als sie uns! – Oder weil einmal einer zu dir sagen könnt' ›Vetter Rothenbauer‹, von dem du's nicht gerne hörtest? – Wär' das ein Unglück? Geschieht das nicht ohnehin? Kommen reiche Leute nicht herunter? Haben wir jetzt nicht einen Vetter Hechtfischer, der uns grad' auch nicht die größte Ehre macht? Und könnt' nicht unser nächster Verwandter einen schlechten Streich machen, daß wir uns schämen müssen für ihn? – Geh! Das sind keine Gründe! Deswegen einen nicht zum Manne nehmen, der einem der liebste ist und den für seine Person alle Leute schätzen und gern haben und loben, das wär' – erbärmlich!«

»Was ist das für eine Sprache?« rief der Alte mit ernstlich drohender Miene.

»Du bringst mich ja dazu,« entgegnete das Mädchen, welcher das letzte Wort leid zu tun schien, – »du läßt mir ja nichts andres übrig! – Ach,« fuhr sie nach kurzem Innehalten fort, »bilden wir uns doch nicht so viel ein! Glauben wir doch nicht, daß wir besser sind als andere! Mit diesem Vornehmtun geht's überhaupt zu Ende! Die Welt wird anders, und die Menschen werden gescheiter!«

Der Bauer lächelte verächtlich. »Das sag du einem andern als mir,« entgegnete er. »Ich kenn' die Welt und weiß, worauf die Menschen sehen! Das Leben währt lang', und wir müssen mit den Leuten umgehen, und wie sich die gegen uns benehmen, das ist durchaus keine Kleinigkeit! Ob man dich mit Respekt behandelt oder ob man dich über die Achsel ansieht, das ist ein ungeheurer Unterschied! Kein Mensch ist glücklich, sag' ich, der den Respekt verliert bei seinesgleichen; und drum hat man noch immer gesehen, daß nur die Ehen gut ausgefallen sind, wo gleich und gleich zusammengekommen ist!«

Die Tochter schaute den Alten mit einem eigenen Blick an. »Nun,« versetzte sie, »das ist ja grad' hier der Fall – in der Hauptsach'! Der Schorsch und ich, wir sind nicht gleich und gleich gewesen! Aber der Gottfried und ich, wir sind gleich und gleich!«

»Da haben wir's!« rief jener mit dem Ausdruck desperaten Ärgers. Das hast du mit nach Hause gebracht – die verkehrte Welt! Wenn ich das gewußt hätt', daß du in der Stadt solche Dinge lernst, ich hätt' mir lieber den Daumen abgehackt, als dich dahin getan!«

»Das sind keine schlechten Sachen, Vater,« erwiderte Sophie. »Ein bißchen anders dürfen wir's jetzt schon machen, als es bis jetzt der Brauch gewesen ist – und das dürfen wir schon lernen! In alle Ewigkeit kann's doch nicht so fortgehen, wie es bis jetzt gegangen ist! – Siehst du, dem Gottfried fehlt nichts, gar nichts, als daß er wenig Vermögen hat. Dafür haben wir um so mehr! Wenn wir zusammenkommen, haben wir doch noch Überfluß miteinander – und wo der ist, da fehlt auch der Respekt nicht! Ich glaub', daß sogar die Dummen nicht das Herz haben, das Maul zu verziehen gegen uns; – die Gescheiten tun's ohnehin nicht! Und jetzt steht die Sache so: wenn jemals in der Welt Leute glücklich miteinander sein konnten, so können wir's!«

Der Bauer zuckte geringschätzig die Achseln. »Auf das Glücklichsein allein kommt's gar nicht an,« entgegnete er. »Wer den rechten Geist hat, der denkt an die Zukunft, und wie die Familie in die Höhe gebracht wird. Vorwärts kommen muß man und hinauf muß man kommen, und dazu kann man nie genug Vermögen haben! – Es gibt Bauernsöhne im Ries, die nicht viel weniger kriegen wie du! Ich darf nur wollen, und ich hab' so einen zum Schwiegersohn!«

»Vater,« entgegnete die Tochter mit großem Ernst, »ich hab' dir nachgegeben, wie dir der Schorsch noch als der Beste vorgekommen ist, obwohl ich den Gottfried schon im Herzen getragen hab'. Ich hab's ungern getan, sehr ungern; aber ich hab's getan um deinetwillen. Jetzt, nachdem ich von dem Menschen erlöst bin, mußt du auch etwas tun um meinetwillen! Der Gottfried ist mir der liebste von allen, die ich kenn'; er ist auch derjenige, mit dem ich am meisten vorwärtskommen werde; denn wie viel auf das Vermögen ankommt, auf den Mann kommt immer noch mehr an, und das Wichtigste ist, daß man gut und vergnügt zusammen haust! Was der Gottfried nicht haben soll, das sind lauter Einbildungen! Das mußt du selber zugeben! – Ja, Vater – wenn du ehrlich sein willst, so kannst du jetzt gar nichts mehr dagegen sagen!«

»Was,« rief der Alte, der allerdings neue Gründe nicht mehr vorzubringen hatte, – »ich kann nichts mehr sagen? Ich kann die Hauptsach' sagen, du einfältiges Ding, du! Und ich sag' dir jetzt: all dein Reden hilft dir nichts; – ich tu's nicht und damit basta!«

Nochmal sah er sie mit einem Gesicht voll zornigen Widerspruchs an; dann ging er aus dem Kanzley, aus der Stube hinaus und schlug die Tür heftig hinter sich zu.

Die Tochter schaute ihm nach. Tiefer Ernst, aber zugleich ein Schein des Trostes beseelte ihre Züge, und die Augen hatten einen feuchten Glanz. »Das ist leichter gegangen, als ich gedacht hab'!« rief sie aufatmend. »Etwas ist gewonnen, das Eis ist gebrochen – und ich hab' Hoffnung, daß ich endlich recht bekomm'! – Ich weiß es,« fuhr sie fort, – »was ich will, ist das Beste für uns alle! Der Gottfried ist auch der beste Schwiegersohn für den Vater – und das hält meinen Mut aufrecht; das gibt mir die Zuversicht, daß noch alles gehen wird, wie's gehen soll!«

Mit Fug nahm sie an, daß der Vater gegen sie nicht auf die Länge werde standhalten können. Denn wenn jemand nicht die Gründe hat, die, wie die Sachen liegen, entscheidend sind, dann muß er, um ferner zu widerstehen, böse sein oder starrsinnig um jeden Preis. Der Rothenbauer gehörte aber im Grunde zu den guten Menschen, und er war der Beredung, der Begütigung fähig. – –

Man hat schon öfter wahrgenommen, daß unter Umständen, wo einmal etwas geschehen soll, auch das Schicksal, das Glück, mit einer fördernden Hand eingreift. Es scheint, als hätte diese Macht dem Zweck eines Menschen ihren Beifall geschenkt und sie entschlösse sich zu einer Hilfe, womit er ihn rascher und besser erreicht. – Wie dem sei, etwas Ähnliches ereignete sich auch hier.

Zwei Tage waren vergangen, in denen Sophie schweigend, ergeben, aber trostvoll ihre Hausarbeiten verrichtet hatte. Am dritten wurde in den Rothenbauerhof ein großes Schreiben gebracht. Es war an die Tochter gerichtet und enthielt die Meldung: daß die Stadtmüllerin, die ohne Leibeserben gestorben war, ihr zweitausendfünfhundert Gulden vermacht habe!

Das Mädchen war fast erschrocken, als sie es las. Dann in Rührung sich fassend, rief sie: »Die gute Frau! Sie hat mich so gern gehabt – und noch etwas für mich tun müssen!«

Der Alte fühlte sogleich, daß dies eigentlich ein Schlag war, der gegen ihn geführt wurde; daher machte er ein sehr kurioses Gesicht. »Ei, ei, ei,« rief er, »das ist ja ein unerwartetes Glück! – Die Frau hat zwar ein bedeutendes Vermögen gehabt; aber nähere Verwandte und solche, die's am Ende mehr brauchen als wir! – Sonderbar! Sonderbar!«

Die wettergebräunten Züge drückten einen Ernst aus, als ob dieser Vermögenszuwachs seine großen Bedenken hätte. Indessen, fünfundzwanzighundert Gulden, auch wenn sie nicht blank auf dem Tische liegen, strahlen immer eine Helle in das Menschenherz; und so klärte die Miene des Alten sich allmählich wieder auf.

»Nun bist du eine Kapitalistin!« sagte er mit einer Art von Humor.

Die Tochter lächelte. »Geht wohl an,« erwiderte sie.

Der Vater betrachtete sie. »Ich meine fast,« rief er, »ich könnt' jetzt deine Gedanken erraten!«

Das Mädchen sah aus, als ob sie die seinen erriete, und erwiderte: »Da möcht' ich doch zweifeln!«

»Du denkst: jetzt hab' ich etwas für mich und damit kann ich tun, was ich will! – Jetzt kann ich heiraten mit meinem Geld!«

»Nein, Vater,« entgegnete Sophie rasch, mit Herzlichkeit. »Das denk' ich nicht. – Und das tät' ich auch nicht! – Um keinen Preis!«

Der Alte sah die Tochter an, und fast überkam ihn eine Rührung. »Man kann euch nicht trauen!« brummte er.

»Nein, Vater,« wiederholte das Mädchen, »ich heirate nur mit deinem Willen! – Ich warte,« fuhr sie fort, indem sie schmeichelnd seine Hände faßte, »bis du deine Zustimmung gibst!«

»Da kannst du lange warten!« rief der Alte.

»Vater,« erwiderte sie, »sträub' dich nicht länger! Siehst du, es geht nicht anders! Ich hab' mir das so in den Kopf hineingenommen, daß ich nicht leben kann ohne den Gottfried! Soll denn immer nur der Stand und das Geld recht haben in der Welt – soll denn die Hauptsach' gar nichts bedeuten? Ich kenne keinen Menschen, auf den man sich mehr verlassen kann wie auf den Gottfried, – und du auch nicht! Wenn der ein reicher Bauernsohn wär', wie lieb wär' er dir! Und so soll er's nicht sein? Schon vorher hat er aber bei uns gar nicht mehr zu haben gebraucht, als er hat – und jetzt,« setzte sie mit einem Lächeln hinzu, »hab' ich sogar noch eine Erbschaft für ihn gemacht! – Vater,« fuhr sie zärtlich dringend fort, »laß mir ihn – ich bitte dich! – Sprich's aus! – Ich weiß ja, daß du im Grund deines Herzens doch schon auf meiner Seite bist!«

»Saub're Einbildung!« rief der Alte um so rauher, je mehr sein Herz dem Unterliegen nahe war. »Geh! Die Erbschaft hat dir den Kopf verrückt!«

Sophie, atmend, schwieg und ließ die Hände los.

Jener sah sie an und rief: »Also nicht leben kannst du ohne ihn? Unglücklich bist du ohne ihn?«

»Ja, Vater,« rief die Tochter, – »Gott ist mein Zeuge!«

Der Rothenbauer wandte sich weg und ging mit starken Schritten in der Stube auf und ab. »So geht's jetzt!« rief er für sich. »Die Kinder sind Herr! Wir zu unserer Zeit haben noch tun müssen, was Vater und Mutter gesagt hat! Und wir haben gefolgt und sind glücklich gewesen! Jetzt spielt die Tochter auf – und der Vater muß tanzen! – Ach, ist das eine Zeit!«

Er stand, richtete seinen Blick auf das Mädchen und rief ihr zu: »Nun, so heirate, wen du willst!«

Sophie eilte auf ihn zu, legte ihre Arme um ihn, der sich vergebens wehrte, und rief mit einem Jubelton, der das Herz des Mannes doch rührte: »Ach, ich dank' dir, Vater! Guter, guter Vater! – Ich hab' ja gewußt, wie gut du bist! – Nun wollen wir aber glücklich sein miteinander, daß unser Herrgott im Himmel seine Freud' dran haben soll!« – – –

Wer etwas lange Bekämpftes endlich annimmt, der tut damit immer eine Art von Wunder; – er macht das, was noch eben das Abstoßendste für ihn gewesen, zum Erfreulichen und Wohltuenden. – Unser Bauer, nachdem er sich ergeben hatte, gewann bald seine gute Laune wieder. Die Persönlichkeit des Gottfried erschien ihm mehr und mehr von ihrer besten Seite, und endlich fand er, daß seine Tochter doch im Grunde keinen Braveren habe wählen können. Der Umstand, daß sie zusammen Vermögen besaßen, mehr als sie brauchten, kam ihm jetzt wieder in Erinnerung, und die Sachlage glänzte in so heiterem Licht, daß allmählich eine wahre Zufriedenheit in ihn einkehrte.

Nachdem in Reden und Schweigen eine längere Zeit verflossen war, erhellten sich die Züge des Alten zu einem eigenen Schmunzeln und er sagte: »Wenn dich nun aber der Gottfried nicht will? – Soviel ich weiß, hat er dir das noch nicht gesagt!«

Das Mädchen lächelte glücklich. »Das ist mein geringster Kummer,« erwiderte sie.

»Ja,« versetzte der Alte mit aufgezogenen Augenbrauen, »das ist aber doch so eine Sache! Er sitzt zu Hause und läßt fünf grad' sein und alles gehen wie's geht. Auch früher ist er zu uns nur gekommen, wenn wir ihn eingeladen haben. Extra hat er noch keinen Schritt um dich gemacht!«

In der Heiterkeit, welche das Herz des Mädchens erfüllte, wurde ihr Antlitz holdselig. »So müssen wir's halt riskieren!« sagte sie.

»Schön,« erwiderte der Alte. »Nun fehlt nichts mehr, als daß sich der Bursche dafür bedankt! – Ja, lach du nur! – – Überhaupt: wie willst du die Sach' denn jetzt angreifen? Willst du ihm einen Brief schreiben und ihn bitten, dich zu nehmen?«

Sophie schüttelte den Kopf.

»Willst du warten, bis ihm der Einfall kommt?«

»Auch nicht,« versetzte das Mädchen. »Ich will anfragen lassen bei ihm – und damit zugleich noch etwas gutmachen!« – Lächelnd fuhr sie fort: »Du gibst zu, daß wir einen Gewissen eigentlich um seinen Kuppelpelz gebracht haben!«

»Ah!« rief der Vater. »Das ist die Auskunft? Der Jud' soll's machen? – Nicht ganz ungescheit! Wenn der Bursch dich dann verschmäht, kannst du sagen: Der Schlome hat keinen Auftrag gehabt! – Am sichersten gehst du aber, wenn er's gleich so vorbringt, als ob's nur sein eigener Einfall wär'!«

»Das,« erwiderte Sophie mit innigem Vergnügen, »wollen wir den Schlome nur selber machen lassen! In dieser Beziehung trau' ich ihm!«

Der Alte schwieg; dann schüttelte er sein Haupt mit drolligem Ausdruck. »Hätt' nicht gedacht,« rief er dann, »daß wir ihm noch eine solche Kommission geben müßten! – Aber wer A sagt, muß B sagen. Und so sei's denn – in Gottes Namen!«

Schlome wurde gerufen. Er erschien andern Tags. Man hatte ihn bei der Botschaft ohne alle Andeutung gelassen, wozu man ihn wollte; er trat daher keineswegs mit der alten Sicherheit in die Stube, vielmehr konnte man in seiner Miene einen Schein von Argwohn und Sorge bemerken.

»Guten Tag, ihr Herrschaften,« sagte er, Grüße nickend. »Womit kann ich dienen?«

Die bemerkte Stimmung des Juden regte in der Seele des Mädchens die Justiz auf. »Schlome,« begann sie, »wir haben uns über Euch zu beschweren!«

Der Jude sah sie an und schüttelte langsam den Kopf. »Und darum,« entgegnete er, den Mißmut eines Gekränkten zur Schau stellend, »habt ihr mich kommen lassen? – Das nenn' ich ein Geschäft!«

»Haben wir etwa kein Recht dazu?« fragte das Mädchen. – »Ihr preist mir einen Mann an, der nicht bloß ein ganz leichtsinniger Mensch ist, sondern auch schon so gut wie gar kein Vermögen mehr gehabt hat! Ist das ehrlich? – Wo hätte die Weilerbäuerin die Tausende von Gulden herbringen sollen, die Ihr uns versprochen habt?«

Der Jude, von der Anschuldigung getroffen, drehte sich hin und her wie ein Bär im Käfig, und seine Blicke erhielten etwas Drohendes. »Wecken Sie mir die Wut nicht auf, Jungfer Sophie!« rief er. »Ich bin außer mir, wenn ich nur dran denk! – Die Weilerbäuerin hat mich schändlich betrogen! – Niederträchtig, sag' ich Ihnen!«

Er ging auf und ab, seine Züge drückten die tiefste Entrüstung aus.

Das Mädchen und ihr Vater sahen verwundert, aber ruhig auf ihn. »Wollt Ihr damit sagen,« fragte der Rothenbauer, der auf den Gedanken seiner Tochter einging, »daß Ihr den Stand des Vermögens gar nicht gekannt habt?«

»Soll ich verplatzen auf der Stell',« rief der Jude, »wenn ich's gewußt hab'! Gar nichts hab' ich gewußt! Ich bin so unschuldig bei der Geschichte gewesen wie ein neugeborenes Kind!«

»Nehmt mir's nicht übel, Schlome,« sagte hierauf das Mädchen, »das ist aber schwer zu glauben! – Ein Hofjud'!«

»Ein sauberer Hofjud' bin ich gewesen!« entgegnete Schlome. »Ein Esel bin ich gewesen – der größt' im ganzen Königreich! – Ich hab' m'r mißbrauchen lassen von einer verlogenen Bäuerin! Solang' ich leb', verzeih' ich mir die Dummheit nicht!«

Sophie schüttelte den Kopf. »Wo habt Ihr Eure Augen gehabt, Schlome?« rief sie.

Der Jude warf sein Haupt rechts und links und erwiderte: »Wo man seine Augen hat, wenn man einer kecken Person was glaubt und will ihr in guter Absicht einen Gefallen tun. – Nun ja, ich hab' gewußt, daß sie das Gut nicht mehr ganz und gar frei haben. Aber großer Gott, auf dem Weilerbauershof kann man ein paar tausend Gulden Schulden haben und doch noch reich sein! Daß sie Schulden machen hinter meinem Rücken, – diese Unverschämtheit hätt' ich ihnen nicht zugetraut! – Gut! Sie sind gestraft davor!«

»Lassen wir die Sach' jetzt,« entgegnete das Mädchen. »Wir haben Euch kommen lassen, Schlome, um uns an Euch zu rächen – christlich! – Wir wollen feurige Kohlen auf Euer Haupt sammeln!«

Die Züge des Juden erhellten sich; aber zugleich ging ein Schein von Satire darin auf. »Ihr macht mich neugierig!« rief er. »Daß sich ein Christ christlich an mir rächt, ist mir noch nicht passiert, solang' ich ein Jud' bin. Bei meinem Schlome, da erfahr' ich was ganz Neues! – Nun?« setzte er mit glitzerndem Gesicht schmunzelnd hinzu, »was haben Sie vor?«

»Ihr sollt mir einen Mann schaffen,« erwiderte Sophie.

Der Jude fuhr zurück. »Ernst oder Spaß?« rief er.

»Mein voller Ernst,« entgegnete sie. – »Es ist Zeit,« fügte sie mit einem Lächeln hinzu, »daß ich Ernst mach'!«

»'s ist so, Schlome,« bekräftigte der Rothenbauer mit dem würdevollen Ausdruck der Wahrheit.

Das Gesicht des Juden erlitt hierauf eine Verwandlung, die für jeden Zuschauer interessant gewesen wäre. Feierlichkeit sprach aus ihm und zugleich eine Rührung, die seinem Blick einen feuchten Funkelglanz gab. Der Vorteil und die Ehre, die ihm in Aussicht gestellt wurden, und die Freude darüber wirkten immer stärker. Er schmunzelte süß und glühte in so wonniger Röte, als ob er selbst der Erwählte wäre! »Einen Mann soll ich Euch schaffen?« rief er zärtlich. »Nu, das wird so schwer nicht halten! – Wenn's just kein Fürst sein muß und kein Graf – wenn's ein bloßer gnädiger Herr tut, den getrau' ich mir zu kriegen für Euch!«

Der Bauer und Sophie lachten. »So hoch gehen wir nicht hinauf!« rief diese. »Im Gegenteil – wir gehen herunter!«

Der Jude sah sie zweifelnd, mit höflichem Vorwurf an. »Sie gehen herunter?« wiederholte er, als ob er das nicht glauben könnte.

»Kurz,« fuhr das Mädchen fort, »ich hab' schon einen im Kopf!«

»Ah!« rief Schlome. »Dann wird das Geschäft einfach! – Nun,« setzte er mit schmeichelndem Lächeln hinzu, »und wie heißt der glücklichste Mensch im ganzen Ries?«

»'s ist ein bekannter Name,« erwiderte das Mädchen. – »Gottfried Stöckle!«

»Gott der Gerechte,« rief der Jude zurückfahrend. – Er sah die beiden Gesichter, – sah, daß es kein Scherz war, und faßte sich im Moment. Seine Miene klärte sich auf, er nickte mit würdevollem Ernst und sagte: »Ich hab' Sie immer für gescheit gehalten, Jungfer Sophie, und für brav: aber daß Sie so brav und so gescheit sind, das hätt' ich nicht geglaubt! – Und der Rothenbauer? – Gebt mir Eure Hand, Rothenbauer! Gebt mir Eure Hand!«

Er ergriff die schwielige Rechte des Alten und schüttelte sie kräftig. »Soll man sagen,« fuhr er mit einem Ton der Rührung fort, »daß es nicht edle Menschen gibt unter den Bauern im Ries! – Die Reichste und Vornehmste – worauf sieht sie? Worauf sieht der Vater des einzigen Kindes? Auf Schönheit und Vornehmheit? Nein, auf Rechtschaffenheit und auf Tugend! – Jungfer Sophie,« setzte er hinzu, »geben Sie mir Ihre Hand!« – Er schüttelte sie. – »Sie haben sich christlich gerächt an mir, so wahr ich ein Jud' bin! – Und der Gottfried,« fuhr er lächelnd fort, »weiß es nicht, daß man an ihn denkt? Und ich soll's ihm sagen? – Das nenn' ich eine Kommission!«

»Sie ist nicht so leicht, als Ihr glaubt,« versetzte das Mädchen. »Ihr müßt's fein anfangen und vorsichtig. Er hat nicht um mich angehalten; – wenn er mich nicht möcht' –«

»Oi, oi, oi, oi!« rief der Jude mit den wunderbarsten Grimassen. »Gott soll hüten! – – Was anderes ist zu fürchten, Jungfer Sophie, was anderes! Wissen Sie was? Daß ihn der Schlag nicht trifft vor Freud'! Da muß ich's unser fein anfangen! – Nun, 's ist ein Geschäft für mich! Und ich freu' mich drauf! – Wenn ich keinen Heller dafür bekäm', ich tät's – mit dem größten Vergnügen von der Welt!«

»Oho!« rief der Bauer. »Das muß einen Kuppelpelz tragen, Schlome! Und was für einen!«

Der Jude, mit aufgezogenen Lippen, wies zwei Reihen schimmernder Zähne und strahlte das reinste Vergnügen. »Da habt ihr wieder den Rothenbauer!« rief er. »Das läßt er sich nicht gefallen! – Gut! gut, gut! – Ich nehm' was an von Euch, wenn Ihr's durchaus nicht anders tut! – Aber wie ich's mach'? Fragt mich nicht! Ich mach's! – – Ja,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »recht habt ihr's gemacht, ihr braven Leut', und alle Gescheiten werden euch loben! Ich kenn' den Gottfried – 's ist der wackerste Mensch in der ganzen Umgegend! Und was hat er vor einen Geist? Wie hat er sich benommen gegen den Schorsch? Ich bin noch dazugekommen an der Kirchweih beim Sonnenwirt – das Ende des Stücks hab' ich noch mit angesehen! 's ist mir gar nicht wohl dabei gewesen, kann ich sagen – ich bin weiß Gott ganz verdadderd gewesen! Aber jetzt halt' ich's für ein großes Glück! Hat er nicht ausgesehen, wie ich mir den Bonapart vorstell', wenn er eine Schlacht gewonnen hat! Meiner Lebtag hätt' ich nicht geglaubt, daß das in dem Menschen steckt!«

»Ja, ja,« sagte der Bauer, dem dieses Lob in der Seele wohltat, »ein Mannsbild ist er schon! – Und wenn er auch nicht alles hat –«

»Was fehlt ihm?« rief der Jude; und als er den Rothenbauer mit einem gewissen Ausdruck lächeln sah, fuhr er mit großer Geringschätzung fort: »Geld! – Geld! – Pfui, Rothenbauer!«

»Nun, Schlome,« versetzte der Bauer erheitert, »das Geld ist doch nicht so ganz zu verachten!«

»Ich veracht's auch nicht,« entgegnete Schlome; »Gott soll mich davor bewahren, das Geld zu verachten! – Aber alles hat seine Zeit in der Welt, und wenn man von der Tugend spricht, muß man ans Geld gar nicht denken!«

Vater und Tochter lachten. Der Jude fuhr fort: »Der Gottfried hat ein schönes Gütchen – man kann's ein Gut nennen, 's ist groß genug dazu. Wenn ich's ihm verkauf' – wenn er mich das Geschäft machen läßt, steck' ich ihm ein schön Stück Geld in die Tasche! Aber wenn er gar nichts hätt'! Braucht einer in den Rothenbauershof noch Geld hereinzubringen? Ist ja schon so viel da, daß a' Graus ist!«

Sophie lächelte und nickte bedeutsam. »So habt Ihr eben beim Schorsch auch gedacht!« rief sie.

»Geh geh, geh,« entgegnete der Jude abwehrend, ohne verhindern zu können, daß ein gewisser Schelmenhumor durchbrach.

Das Mädchen trat näher an ihn heran und sagte zuredend: »Schlome! Seht mir ins Gesicht! Habt Ihr gar nichts gewußt, wie's gestanden hat mit der Weilerbäuerin? Habt Ihr nicht einmal eine Ahnung gehabt?«

Der Jude war in einer Stimmung, wo die Miene mehr gesteht als der Mund. Er rief: »Gewußt? Gewußt hab' ich gar nichts! – Wenn ich mir zuweilen auch so meine Gedanken gemacht hab' – Gedanken beweisen nichts!«

Das Mädchen sah ihn mit einer Miene an, als wollte sie sagen: »O du großer Spitzbub'!« – Dann, mit dem Ausdruck eines würdigen Ernstes, bemerkte sie: »Es ist besser gegangen, als wir's alle gemeint und verdient haben! Ich will mich selber gar nicht ausnehmen! – Geht nur hin, Schlome, und kommt mit der Nachricht wieder, daß der Gottfried mir gehört, – es soll Euer Schade nicht sein!«


VI.

Es war ein rauher Novembertag. Der Morgenkälte war ein Schneesturm gefolgt, der Wind sauste von Nordwest her, die weiße Decke breitete sich immer vollständiger und dichter über die Landschaft.

Man pflegt von so einem Wetter zu sagen, daß man bei ihm keinen Hund hinausjagen sollte; und in der Tat fanden nicht nur die Menschen, sondern auch die Hunde für gut, sich in Häusern und Hütten zu bergen.

Um so behaglicher war es in einer Stube, in die wir den Leser jetzt führen müssen. Der eiserne Ofen strömte Glut aus, und durch den geschirmten Raum ging ordentlich ein Gewoge von warmer Luft. Zu dem entfernten Pfeifen des Windes stimmte ein Schwarzblättchen, das in einem Vogelhaus am Fenster hing, die leisen Traumtöne an, ein Spinnrad schnurrte begleitend, und hier und da erschollen dazu die Schläge eines Hammers.

Die Spinnerin war Mutter Stöckle. Der Führer des Hammers, welcher Nägel in das Leder eines Dreschflegels treiben sollte, unser Freund Gottfried.

Wenn man die beiden Leute genauer betrachtete, sah man, daß sie nicht das Gefühl des Behagens hatten, wozu das Asyl aufforderte. Beide schwiegen. Jedes schien seine Gedanken für sich zu haben, und der Ergebung in ihren äußerlichen ruhigen Zügen war eine stille Trauer beigemischt.

Nach einer Weile ließ der Bursch die Hände ruhen und sah durch das Fenster, vor dem er saß, in das Meer von Flocken hinaus, die kraus hin und her und zu Boden wirbelten.

Die Mutter stand auf. Sie ging vom Spinnrad zum Ofen, um nach einem Gebäck zu sehen, das im oberen Rohr braun werden sollte. Nachdem sie's umgedreht und wieder hineingeschoben hatte, trat sie zu dem Sohn, legte die Hand auf seine Schulter und sagte mit dem Ton der Liebe und des Bedauerns: »Guter Bub, du machst dir Gedanken! – Aber das hilft nichts! – Du solltest dir's aus dem Sinn schlagen.«

Gottfried war betroffen und schwieg. Dann sagte er: »Von was red'st du denn eigentlich? – Ich versteh' dich nicht.«

»Du verstehst mich recht gut,« entgegnete die Mutter mit dem sanften Ton der Überlegenheit. Sie hielt ein wenig inne, dann fuhr sie fort: »Sieh, wenn ich's machen könnt', ich weiß nicht, was ich dafür gäb'. Aber ich kann's nicht! – Ich hab' die törichte Hoffnung auch eine Zeitlang gehabt; aber ich hab' sie aufgegeben – und du mußt's auch, mein lieber Bub.«

Der Sohn drehte sich auf seinem Sitz und rief mit unmutiger Bitte: »Laß mich gehen!«

Die Mutter nickte begreifend. »Das hab' ich lange genug getan!« erwiderte sie; »aber jetzt muß ich wieder reden! – Sich mit Dingen herumtragen, wo doch nichts draus werden kann, das schickt sich nicht für einen Menschen, wie du bist!«

Der Sohn schwieg. Jene fuhr fort:

»Was man gern hat, das, glaubt man, könnt' auch auf irgend eine Weis' einmal eintreffen. Man macht sich die närrischsten Gedanken; und ich selber hab' mir Sachen eingebildet, daß ich mich jetzt ordentlich schäm'! – Geben wir's auf! – An uns denkt kein Mensch mehr!«

Jener nickte mechanisch.

»Ich weiß, daß du schon länger meiner Meinung bist,« fuhr die Alte fort. »Dein guter Mensch hat dich auf einmal verlassen, – die ganze letzte Zeit her hab' ich kein vergnügtes Gesicht mehr an dir gesehen! – Natürlich,« setzte sie nach kurzem Schweigen hinzu, – »wenn etwas hätt' geschehen sollen, dann wär's in der Zeit geschehen!«

»Nun gut,« rief der Sohn etwas ungeduldig. »Ich denk' auch nicht mehr dran. – Eine Sach',« fuhr er mit dem Humor des Verdrusses fort, »wo man schicklicherweise nichts selber tun kann! – Und wenn auch – eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als ein armer Bursch zu der Tochter eines reichen Bauern kommen! – Aus ist's und gar ist's. – Bist du nun zufrieden?«

Die Alte schüttelte den Kopf. »Es ist nicht genug,« erwiderte sie, »daß du nicht mehr daran denkst – du mußt an was anderes denken!«

»Ach!« rief der Sohn mit einer Bewegung, die großen Mißmut verriet. – »Es ist doch ein beschwerliches Ding!« fuhr er mit einem Versuch zu lächeln fort. »Wenn man's gern tut, ja! Aber wenn's einem zuwider ist –«

»Da haben wir's,« rief die Mutter. »Und du sagst, es wär' aus?«

Der Sohn wurde rot.

»Gottfried,« fuhr jene fort, »ich sag' dir, du wirst so lang' traurig sein, bis du eine Frau bekommst! Sobald du eine hast, bist du wieder vergnügt!«

Jener lächelte melancholisch.

Die Mutter sah vor sich hin. »Nun,« fuhr sie fort, »ich will dir nur sagen, ich hab' mir einen Plan gemacht!«

»Schon wieder einen?« rief der Bursche.

»Ich wunder' mich nur darüber, daß ich nicht gleich drauf gefallen bin,« fuhr die Alte fort. – »Siehst du, die Schöne hast du nicht kriegen sollen; – und die Vornehme auch nicht! Die Bravste ist aber noch da, und die paßt nicht nur am besten für dich – sie nimmt dich auch gern, das weiß ich.«

»Das muß dann schon eine recht Brave sein,« erwiderte der Sohn mit Laune. »Wer ist's denn?«

»Des Webers Rebeck'!« versetzte die Mutter.

Jener schaute auf.

»Ist das nicht ein kreuzbraves Mädchen?« rief die Alte. »Sie ist nicht so schön wie die Annemarie, lange nicht; – aber das ist auch gar nicht nötig. Und wenn ihr der Schmiedshans nachläuft, so weiß ich: ausgemacht ist noch nichts, und der Weber gäb' sie dir lieber!«

Gottfried, statt der Antwort, starrte vor sich hin.

»Hast du was gegen sie?« rief die Alte.

»Nein!« versetzte jener. »Im Gegenteil. Sie gefällt mir!«

»Nun also!«

Der Sohn schwieg.

Im Gesicht der Frau stieg eine Röte des Unmuts auf und sie rief mit allem Ansehen einer Mutter: »Ein rechter Bursch macht ein End'! Bei diesem Besinnen und Wiederbesinnen bleibt einem nur das Nachsehen – und das ist doch eine Schand'! – Gegen das Mädchen hast du nichts und kannst nichts haben, also geh' zum Weber nüber und halt' um sie an! Oder soll ich mit den Leuten reden? Wenn du die Courage nicht hast, ich hab' sie. – Nun? Ist's noch immer nicht recht?«

»Ach jawohl,« erwiderte der Sohn. »Aber muß es denn gleich sein? – Laß mir wenigstens noch eine Zeitlang meine Ruh'!«

Die Mutter lächelte mitleidig. »O Gottfried,« rief sie. »Und du bist sonst ein verständiger Mensch! – Aber in dem Punkt sind wir halt all' ungescheit! – Wenn die Zeit um ist, dann wirst wieder warten wollen!«

»Nein!« rief Gottfried heroisch. »Ich versprecht dir's. – Du hast wirklich recht! Ich wär' ein Narr, wenn ich nicht auch für mich sorgte! – Daß die Rebeck' nicht so schön ist wie die Annemarie, das ist mir grad' um so lieber! – Gleich und gleich, so ist's recht. – Kurz, laß mich's nur noch ein wenig im Kopf 'rumtragen – dann tu' ich's und folg' dir!«

Die Mutter hatte während der letzten Worte zum Fenster hinausgesehen. »Wer kommt denn da bei dem wüsten Wetter?« rief sie.

Nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür, und über die Schwelle trat der Schlome.

Er hatte ganz wieder seinen majestätischen Schritt, und aus dem Gesicht unter der beschneiten Wintermütze sprach das Bewußtsein eines Ordners menschlicher Geschicke.

Mutter und Sohn starrten ihn einen Moment verwundert an. »Sieh, der Herr Löw!« rief jene. »Wie kommen wir denn aber zu der Ehr' heut?«

Schlome, nachdem er den Mantel abgelegt und den letzten Schnee von sich geschüttelt und gestrampft hatte, erwiderte: »Die Freundschaft treibt mich her!«

Gottfried betrachtete ihn mit einem besonderen Gefühl. »Setzt Euch, Schlome!« rief er, seine Bewegung niederhaltend.

Der Jude setzte sich auf einen Stuhl am Tisch; die Alte und Gottfried nahmen auf der Wandbank Platz.

»Nun?« begann der Sohn. »Womit können wir dienen, Schlome?«

»Gottfried,« versetzte der Jude, nachdem er diplomatisch vor sich hingesehen, »wozu soll ich lang' Umständ' machen? Ihr braucht eine Frau – und ich verschaff' sie Euch!«

Dieses kurzgefaßte Anerbieten hätte den Burschen unter anderen Umständen lachen gemacht; aber jetzt war es ihm nicht danach, und er konnte nur mechanisch wiederholen: »Ihr verschafft mir eine?«

»Und was für eine!« rief Schlome fein lächelnd. »Eine, die unser Herrgott für den Gottfried geschaffen hat! Passend, passend in jeder Beziehung!«

Der sichere Ausdruck, womit Schlome das Wort »passend« wiederholte, schlug die Hoffnung, die sich unwiderstehlich im Herzen des Burschen wieder erhoben hatte, mit einem Mal nieder. Schmerz und Scham befielen ihn, der Honig seines Gefühls wandelte sich in Galle – und bitter, ja höhnisch erwiderte er: »Ihr wollt Euch schadlos halten und den Kuppelpelz, um den ich Euch helfen gebracht hab', bei mir verdienen? Aber bei mir trägt's nicht so viel, Schlome!«

Der Jude sah ihn lächelnd an und rief: »Ich verlang' gar nichts!«

Gottfried verzog den Mund. »Das ist zu wenig für einen –«

Er hielt inne.

»Juden, wollt Ihr sagen?« fügte Schlome hinzu. »Hättet's sagen können! Ich bin nicht empfindlich! – – Schadlos halten!« fuhr er mit geringschätzigem Ausdruck fort. »Ich hab' mich nicht schadlos zu halten! Was ich bei der Weilerbäuerin verlier', das wird mir der Rothenbauer dreifach geben!«

Die Alte, die bis jetzt in größter Aufmerksamkeit geschaut und gehorcht hatte, rief: »Also habt Ihr für die Sophie einen andern?«

»Die Sach' ist so gut wie richtig,« versetzte der Jude mit großem Ernst. »Die bleibt nicht ohne Mann. Ja, zwanzig für einen! Und wer den Rang hat, der greift zu!«

In das Herz Gottfrieds war diese Rede wie ein Pfeil gedrungen. Aber vor dem Juden durfte er sich nicht verraten, er drückte das auftobende Gefühl mit Gewalt wieder hinunter und barg sein Leid hinter dem großen Ernst, womit er sagte: »Ich hoff', Schlome, daß es diesmal ein Bräverer ist, der sie bekommen soll! Die Sophie ist ein Mädchen, wie's keine mehr gibt; – sie verdient den besten und wackersten Mann, den man finden kann!«

»Eben den,« sagte der Jude, »soll sie auch bekommen.«

»Nun,« versetzte der Bursch nach einer neuen Anstrengung, »dann gratulier' ich – von Herzen! – Ich will Euch glauben, Schlome; denn es gibt in der Welt nichts, was ich lieber seh' als das! Von Jugend auf sind wir gut Freund gewesen, und ich hab' mir immer gedacht: wenn eine glücklich zu sein verdient in der Welt, so ist's die!«

»Sie wird's werden, sie wird's werden!« rief der Jude.

Gottfried schwieg. Allmählich ging ein satirisches Licht über seine Züge und er sagte: »Jetzt, da Ihr Euern Kuppelpelz doch kriegt (und einen, der so gut ist wie drei andere!) – jetzt kann ich Euch wohl sagen, Schlome: bei mir verdient Ihr keinen!«

»Oho!« versetzte der Jude. »Nicht zu früh g'red't, Gottfried!«

Jener sah ihn mit düsterem Stolz an und erwiderte: »Das muß doch wohl ich am besten wissen?«

»Wer weiß, wer weiß!« rief der Jude schlauvergnügt.

»Herr,« entgegnete der Bursch unmutsvoll, »ich weiß es! – Ich kann doch keine zwei Weiber nehmen?«

»Wieso?« rief Schlome, der mit einem Mal bedenklich wurde. »Habt Ihr denn schon eine?«

»Ich hab' sie noch nicht zum Weib, aber 's ist so gut, als ob ich sie hätt'!« entgegnete der Bursch mit Nachdruck. »Sonntag über acht Tag, hoff' ich, können wir uns verkünden lassen – und in vier Wochen findet Ihr sie bei mir, wenn Ihr uns wieder die Ehr' schenken wollt!«

»Ja, ja, Schlome,« sagte die Alte, »so ist's. Dasmal hab' ich gekuppelt! Ich hab' meinem Sohn eine verraten – und er hat mir gefolgt und nimmt sie zum Weib! – Ihr seht, wir müssen schön danken für Eure Müh'!«

Der Jude sah mit aufgerissenen Augen den unzweideutigen Ernst in den Gesichtern; bestürzt, erschreckt erhob er sich und lief, den Oberleib hin und her werfend, in der Stube auf und ab. »Um Gottes willen,« rief er, »das wird nicht sein! Das wird nicht sein! – Es wär' ein Unglück! Ein großes Unglück!« – Er warf sich wieder auf den Stuhl und schnaufte. Dann rief er: »Gottfried, nehmt Eure Red' zurück! Festgemacht wär's? Festgemacht?«

Der Bursch, der den Gebärdungen des Juden mit hoher Verwunderung zugesehen hatte, aber sie eben von ihm nicht so ernsthaft nehmen zu müssen glaubte, entgegnete: »So gut wie festgemacht!«

»Also noch nicht wirklich festgemacht?« rief Schlome mit einem Hoffnungsstrahl aufspringend. »Gott sei Dank! – 's geht noch, 's geht! – Gerechter, was hab' ich einen Schreck gehabt!« – Mit einem Lächeln, das ihm aber nur halb gelang, setzte er hinzu: »Ich hab' Euch ein bißchen ausholen und uzen wollen; aber straf mich Gott, ich bin selber geuzt worden!«

Unser Bursch stand auf und wies dem Juden ein unmutsvolles Gesicht. »Schlome,« rief er, »ich muß bitten, daß Ihr keinen Narren aus mir macht in meiner eigenen Stub'! – Bildet Ihr Euch ein, weil's noch nicht wirklich richtig gemacht ist, so werd' ich gleich die Eure nehmen? Das ist doch gar zu hochmütig! – Die ich im Sinne hab', ist das beste Mädchen in der ganzen Umgegend!«

»Und die Meine die allerbest'!« entgegnete der Jude.

Der Bursch fuhr auf. Dann zuckte er geringschätzig die Achsel und entgegnete: »Daß Ihr Eure Ware loben könnt, weiß man! – Aber bei mir hilft's nichts!«

»Wollen sehen, wollen sehen!« rief der Jude, dessen Gesicht wieder volles Triumphgefühl ausdrückte.

Gottfried wurde ernstlich erzürnt. »Schlome,« rief er mit zusammengezogenen Augenbrauen und funkelndem Blick, »ich muß Euch sagen, daß ich nicht in der Laune bin, mich mit Euch herumzustreiten um nichts und wieder nichts. Ich hab' nicht nötig, daß Ihr mir ein Weib verschafft! Ich will keine und ich brauch' keine! – Wenn Ihr hier ausrasten wollt, so könnt Ihr meinetwegen bleiben, solang's Euch beliebt. Aber mit Eurer Kuppelei laßt mich in Fried' – ein für allemal!«

Er wendete sich weg, drehte ihm den Rücken zu und sah zum Fenster hinaus.

»Ei, ei, ei,« rief Schlome mit einer Miene, die hinter äußerem Bedauern alle Süßigkeit des Machtbewußtseins erkennen ließ. »Nun, ich will Euch was sagen, Gottfried. – Still! Ein einziges Wort: den Namen will ich Euch sagen!«

»Ich will ihn nicht hören,« rief der Bursch, ohne sich umzudrehen. »Laßt mich in Ruh' jetzt oder Ihr macht mich falsch – ganz im Ernst! – Das ist ja aufdringlich!«

Der Jude erhob den Kopf und zeigte die Miene eines Beleidigten. »Aufdringlich!« wiederholte er. »Ich hätt' wahrlich gute Lust und ging' jetzt wieder fort und überließ Euch Eurem Schicksal. Ist das der Dank, daß ich daherkomm' bei dem Wind und bei dem Schnee und riskier', daß ich mir eine Krankheit hol' bei der Strapaze? Aufdringlich! Sieh, sieh! Aber er weiß nicht, was er tut, der gute junge Mann – ich muß Gnad' für Recht ergehen lassen.« Dann, mit der Miene eines Unwiderstehlichen, fuhr er fort: »Wißt Ihr, wer mich geschickt hat? Der Rothenbauer! – Und wißt Ihr, wen Ihr heiraten sollt? Die Sophie, seine Tochter!«

Die Wirkung dieser Worte auf Mutter und Sohn war unglaublich, ihr Ausdruck aber verschieden.

Die Mutter starrte den Juden an – eine Bildsäule des Erstaunens. Gottfried hatte sich umgedreht. Blaß, bebend – unwillkürlich die Arme erhebend und mit einem erschreckenden Ausdruck ging er auf den Unterhändler zu und rief: »Schlome, keinen Spaß! – Ich rat's Euch, Schlome, keinen Spaß mit mir!«

Der Jude, ihn starr anblickend und Schritt vor Schritt zurückweichend, rief: »Spaß? Jo, ich mach' Spaß mit dem Herrn! Ich hab' wohl nicht gesehen, wie er austeilen kann Makkes? Ich hab' nicht die geringste Lust, die Prob' machen zu lassen an meinem eigenen Leib! Gott soll mich hüten und bewahren! – – Spaß, Spaß!« wiederholte er wie erstaunend über die Verwegenheit eines solchen Gedankens.

»Ja, ist's denn aber Ernst?« rief endlich die Alte. »Kann's denn sein?«

Der Jude, feierlich die Rechte erhebend, entgegnete: »Ernst, gute Mutter, – heiliger Ernst! – Der Rothenbauer und die Sophie haben mich kommen lassen und haben mir den Auftrag gegeben, Euren Herrn Sohn auszuforschen, ob er vielleicht so gut sein möcht', die Sophie zu heiraten! So ein Auftrag kommt freilich nicht alle Tag' vor; – aber was wollt Ihr? Das Mädchen ist nun einmal vernarrt in den Gottfried und meint, just der müßt's sein. Sie will keinen anderen und sie mag keinen anderen; – sie hat's durchgesetzt beim Rothenbauer mit Gewalt – und beide haben mich hergeschickt zu Euch! – Sie haben freilich nicht wissen können, daß der Gottfried schon eine andere hat und ich mit der Sophie zu spät komm'!«

Der Liebende stand wie angewurzelt. Sein Gesicht, dunkelrot geworden, drückte Schreck und Scham aus, mit denen die Freude rang. Seine Brust arbeitete heftig; aber es schien ihm unmöglich, den Mund zu öffnen.

Die Antwort, die er schuldig blieb, gab die Mutter. »Ach,« rief sie, »mit der anderen, da ist's ja noch gar nichts! Ich hab' sie ihm nur vorgeschlagen, den Augenblick erst, und er hat gesagt, er woll' sehen – mit der Zeit –«

»So, so,« rief Schlome; – »so red't man jetzt? – Nun, da hätten wir ja noch Hoffnung!« – Und zu Gottfried gewendet fuhr er fort: »Wie meint Ihr, Gottfried Stöckle? Laßt Ihr die Eure und nehmt Ihr die Meine?«

Noch schwieg der Bursche. Endlich aber öffnete sich ihm der Mund und er rief erschüttert: »Schlome – ich kann's nicht glauben!«

Der Jude sah ihn an wie ein Vater den Sohn, mit überlegener Zärtlichkeit. »Bescheiden, bescheiden!« rief er. »Die Sophie hat recht gehabt! – Gottfried, faßt Euch! Ihr zwei paßt füreinander ganz und gar! Wie's für Euch keine Bessere gibt als die Sophie, so gibt's für sie keinen Besseren als Euch!«

»Nein, Schlome,« rief der Bursch in tiefer Bewegung, » das Glück ist zu groß für mich! Ich verdien's nicht und bin ganz erschrocken drüber! – Großer Gott,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort, »ist's denn möglich? Soll ich denn alles haben, was mein Herz gewünscht hat? Soll die mein Weib sein – die Sophie –«

Die Stimme versagte ihm, die Augen gingen ihm über.

Schlome nickte. Rührung überkam ihn selber und übermannte ihn, seine Augen wurden naß – und zwei große Tropfen liefen über die luftgeröteten Backen herunter. – Er nahm den Burschen bei der Hand und schüttelte sie. Dann trat er mit ihm zur Mutter.

Diese hatte schon eine Zeitlang den Tränen ihren Lauf gelassen und wischte sich jetzt mit ihrer Schürze die Augen.

»Glückliche Leut'!« rief der Jude. »Glückliche Leut!«

Die Frau gab dem Vermittler die Hand. Dann faßte sie die Rechte des Sohnes und warf einen Blick so schönen Entzückens auf ihn, daß sie um zwanzig Jahre jünger aussah. »Gottfried,« rief sie, »was müssen wir jetzt tun, um so viel Glück zu verdienen?«

Wir lassen eine Weile vorübergehen. Freudegerötet saßen die drei wieder um den Tisch, und die Mutter sah lächelnd vor sich hin. »Schlome,« begann sie mit einem Male, »jetzt verzählt aber, wie alles gekommen ist! Wie's die Sophie angefangen hat! Wie der Vater nachgegeben hat! – Der Rothenbauer,« fuhr sie fort, »der Schwiegervater meines Gottfried! – Ich werd' eine Zeitlang brauchen, bis ich mich drein find'! – Verzählt, Schlome!«

Der Jude teilte mit, was der Leser weiß. Er hatte letzthin vor seinem Abschied noch die Sophie ausgehorcht und konnte daher Antwort geben auf alle Fragen, welche Mutter und Sohn an ihn stellen mochten. Die erneuerten Ausbrüche des Glücks, der Freude und der Demut waren rührend, und nicht nur die liebende Tochter, auch der Rothenbauer erhielt Lobsprüche, wie sie mit solcher Innigkeit noch nie über ihn erklungen waren. – Die Züge des endlich schweigenden Gottfried nahmen einen feierlichen Charakter an, und man sah, daß die innersten Saiten seines Gemüts bewegt waren.

Er sagte sich in seiner Seele: »Wie gern muß die Sophie mich haben, daß sie das für mich getan hat! – Und wie komm' grad' ich dazu? Was ist denn an mir, daß ein Mädchen, wie dieses, mich so lieb hat und etwas tut, was vielleicht seit Menschengedenken im Ries nicht vorgekommen ist? – Es ist ein Glück! Es ist eine Schickung – eine Gnade von Gott! – Solang' ich leb', kann ich ihm nicht genug danken dafür! – Die Sophie kann ich nicht lieb genug haben – und gegen meine Freunde, gegen die Menschen alle miteinander kann ich nicht gut genug sein!«

Nachdem der Jude die letzte Frage der Mutter beantwortet hatte und Stille eingetreten war, gab der Bursch seinem Gefühl Worte und rief: »Schlome, ich wollt', ich könnt' jetzt einem Menschen einen rechten Gefallen tun!«

Der Jude wiegte den Kopf und erwiderte: »Dazu gäb's Gelegenheit!«

»Kann ich für Euch was tun?« fragte Gottfried mit heiterer Gutmütigkeit.

»Wird sich finden,« entgegnete der Jude; – »wird sich finden!«

»Schlome,« fuhr jener fort, »wenn ich Rothenbauer bin, soll kein Handel, wo etwas dabei zu verdienen ist, auf dem Hof gemacht werden ohne Euch!«

»Gut, gut, gut,« rief der Jude. »Aber jetzt handelt sich's um einen anderen!«

»Um wen?« rief Gottfried. »Sagt's grad' heraus! – Kann ich etwas für ihn tun, so tu' ich's!«

»Ihr könnt' was tun,« versetzte jener mit Ernst. – »Wenn Ihr Rothenbauer seid – das versteht sich von selbst! – könnt Ihr die Sölde hier nicht mehr brauchen, Ihr müßt sie verkaufen!«

Gottfried fuhr ein wenig auf. Dann, lächelnd, sagte er: »'s ist wahr. – Die Mutter kann allein auch nicht dableiben!«

»Die muß auf den Rothenbauershof,« rief der Jude mit einer Miene der Achtung. »Dort können wir sie gar nicht entbehren!«

Die Alte wurde rot vor Vergnügen über diese Aussicht.

Der Sohn verriet ein gewisses Leidwesen. »Ich seh' schon, wir müssen's opfern. Aber alles geb' ich nicht her! Den Wald behalt' ich!«

»Ist auch mein Gedanke,« versetzte Schlome. »Ich würde nur vorschlagen, einige Morgen zum Hause und zu den Feldgütern zu legen!«

»Meinetwegen,« erwiderte Gottfried nach einigem Bedenken. »Und das Gütle wollt Ihr dann verkaufen?«

»Ich will's dem geben,« versetzte der Jude, »dem ein großer Gefallen geschieht, wenn er's kriegt. Gottfried, vergeßt Eure Red' nicht! Ihr seid gestiegen hoch, hoch – und ein anderer ist gefallen tief, tief! Ist selber schuld dran gewesen, ich geb's zu; aber daran wollen wir jetzt nicht denken! Wir müssen ihm die Hand reichen und müssen ihn wieder ein bißchen hinaufführen in die Höh'!«

»Ihr meint den Schorsch?«

Der Jude nickte. Und mit einer Treuherzigkeit, halb Schauspiel, halb Wahrheit, fuhr er fort: »Ich bin ein guter Mensch! Wenn ich einmal Freund gewesen bin von einem, kann ich ihn nicht mehr fallen lassen – 's ist einmal meine Art so! Wie der Schorsch nun von Haus und Hof hat müssen, hat er mich gedauert und ich hab' zu mir gesagt: dem mußt du wieder aufhelfen!«

»Das ist schön!« rief die Alte.

»Ich bin gegangen zum Weber,« fuhr der Jude fort.

Jene, von der Rebeck' unterrichtet, wie man den Schlome beim ersten Besuch empfangen hatte, lächelte bedenklich.

Der Jude verzog die Lippe geringschätzig und sagte: »Wenn ich auf Grobheiten was gegeben hätt', Frau Stöckle, dann hätt' ich meiner Lebtag nichts durchgesetzt! – Laßt sie schimpfen, sie hören von selber auf, wenn sie müd' sind. – Ich hab's riskiert – und hab's gemacht. – Seit der Schorsch in die Not gekommen ist, hat sich das Gemüt der Annemarie ganz verwandelt. Sie hat Mitleid, großes Mitleid! Sie macht sich selber Vorwürf'; – 's ist ein gutes Mädchen und verliebt in den schönen Bösewicht bis über die Ohren! – Ich hab' gesehen, wie man gesinnt ist, und bin gegangen zum Schorsch, und bin dann wieder gegangen zum Weber – und endlich ist der Schorsch gegangen zu der Annemarie!«

»Wirklich!« rief Gottfried.

»Er hat den alten Weg noch nicht ganz vergessen gehabt,« bemerkte der Jude mit Laune. »Und nun steht die Sach' so, daß er nichts braucht als ein kleines Gut, dann machen wir ein Paar aus ihnen. – Unter uns gesagt: 's ist Zeit – sonst werden's mehr!«

Mutter und Sohn lächelten.

»Die Weilerbäuerin,« fuhr Schlome fort, »hat noch was mit weggebracht von ihrem Hof und kann dem Schorsch was geben; – aber 's reicht nicht! Und das, mein lieber Gottfried, ist nun die Gelegenheit! – Geben wir dem Menschen das Gütle! Machen wir Fristen – lassen wir ihn schnaufen! Er ist geschickt und von seinem Vornehmtun ganz kuriert: die Makkes, die er gekriegt hat, sind ihm noch die beste Medizin gewesen! – Er wird wieder hinaufkommen – und wird's Euch danken!«

Gottfried sah ihn erfreut an. »Hier meine Hand,« rief er, – »ich mach', was recht ist. Und ich dank' Euch für den Vorschlag! – Es tut mir wohl in der Seele, daß ich grad' für den was tun kann – und für die Annemarie: weil sie denn doch so gut ist!«

Die Alte warf einen schlauen Blick auf den Sohn und lächelte in sich hinein.

Das übrige, was die Leute noch miteinander besprachen und ausmachten, gehört nicht zum Zweck der Erzählung.

Eine Stunde später befand sich Schlome allein auf dem Wege nach dem Dorfe, wo des Rothenbauers Oberknecht, der ihn hergefahren hatte, beim Sonnenwirt ihn erwartete. Er hatte sich von Gottfried, der ihm das Geleite gab, eben verabschiedet und blickte in den wieder aufgehellten Himmel mit einem Vergnügen, das einen beneidenswert frischen Charakter hatte. »Endlich,« rief er, »wär's durchgesetzt! – Wenn ich jetzt alles zusammennehm', verdien' ich mir wenigstens dreimal so viel, als mein erster Überschlag gewesen ist. Ein Unglück ist nicht allemal ein Unglück! – Meine Sarah wird zufrieden sein, wenn ich ihr's erzähl'; – und mein Ferdinand soll mir noch diesen Winter auf die Polytechnische Schul' nach München!«

Am nächsten Sonntag, bei günstiger Witterung, machte Gottfried mit seiner Mutter auf einem entlehnten schmucken »Schweizerwägele« seine Besuchsfahrt zum Rothenbauer. Was soll ich von dem Empfang sagen? Liebe und Ehre wurden ihnen angetan, daß ihnen das Herz in Wonne schlug, die Befangenheit, die sie mitgebracht hatten, in Freudetrunkenheit unterging und die Alte zumal sich gar nicht mehr »verwußte«. Die unleugbare Tatsache, daß sie jetzt gewissermaßen dem Rothenbauer gleichstand, brachte bei der wackeren Frau in der berauschenden Atmosphäre Kontraste von Demuts- und Selbstgefühlsäußerungen hervor, welche die in gewohntem Obenstehen Haltungsvollen lächeln machten; – aber lächeln in Liebe!

Die Tochter des Hauses wartete den Gästen auf, wie es köstlicher und reichlicher nicht geschehen konnte, wenn der Landrichter mit seiner Familie sie besucht hätte. Alle Herrlichkeiten der Ställe, des Stadels und des Hauses wurden ihnen gezeigt; und welche Bedeutung hatte das für sie, die alles mitbesitzen, mitgenießen sollten! – Waren die einen nun in jeder Hinsicht Geber, die anderen Empfänger, so zahlten diese dafür mit einer Bewunderung, womit sie alles wettmachten. Mutter Stöckle, nachdem sie zuletzt noch den »Weißewarkasten« gesehen, rief aus: »Ich hätt' gar nicht geglaubt, daß es in der ganzen Welt so viele schöne Sachen gäb'!«

Der Liebende vermochte seine Zärtlichkeit der Geliebten zunächst nur durch Händedrücke, Blicke und gelegentliche Ausbrüche in Worten kundzugeben, weil die bäuerlichen Formen ein Weiteres nicht gestatten. Als es aber in der Stube dämmerte und sie allein im Kanzley waren, da zeigte die Sophie, daß sie nicht umsonst in der Stadt gewesen war. Mit einer Bildung, die auf eine vortreffliche natürliche Anlage schließen ließ, wußte sie den Burschen durch anmutige Neckerei so traulich und so keck zu machen, daß er sie um den Hals faßte und ihr Küsse gab, welche beiden süßer schmeckten wie Zucker. Die Seligkeit, die er dabei fühlte, brachte ihm wieder den Dank ins Gedächtnis, den er der Guten und Lieben schuldete, die sich ihn so heldenmütig vom Vater erkämpft hatte. »O Sophie,« rief er gerührt, »was hast du für mich getan! Du bist alles und hast alles und tust alles – ich bin nur da, um mir alles schenken zu lassen!« – »Wenn ich was hab',« erwiderte die Sophie, »so ist mir dies das Liebste dran, daß du deine Freud' dran hast. Gott sei Dank, daß ich dich hab'! Dich glücklich zu machen, daß es keinen glücklicheren Mann gibt im Ries, das soll jetzt meine ganze Sorg' sein!« – Wenn der Glückliche die Geliebte hierauf noch zärtlicher umarmte, noch leidenschaftlicher küßte und unter Tränen pries, so wird man das auch von einem Bauer natürlich finden.

Auf dem Heimweg sagte die Mutter zu dem Sohn: »Bue, du hast ein Glück gemacht – 's ist fast gar nicht mehr schön! – Das ist ja der Ungrund, was es da alles gibt! Ist das ein Stadel und ein Haus! – Und eine Stub' – der Fürst kann keine schönere haben! – Von den Leuten will ich gar nicht reden. So reich und so gut sein, das hat's bis jetzt noch gar nicht gegeben! – Das Mädle, die mag dich, das hab' ich gesehen! Die ist glücklich, wenn sie dich hat! Aber den Rothenbauer, den tragt mir nur auf den Händen miteinander!«

Wenige Tage darauf wurde der Heiratstag gehalten; und wohl nie haben Landleute bei einem so wichtigen Akt, wie es die Abschließung eines Ehevertrages ist, so schnell sich geeinigt. Was der Rothenbauer vorschlug, nahm Gottfried danksagend – bewundernd an; und der Plan des Bräutigams, seine Sölde unter gewissen Bedingungen dem Schorsch zu überlassen, wurde von dem Alten gebilligt, von Sophie gepriesen.

Der »Einzug«, am Tage vor der Hochzeit, hatte diesmal einen besonderen Charakter. Er war zugleich ein Auszug der Familie Stöckle aus dem Hause, das ihr gehört hatte seit einer Reihe von Menschenaltern. Die beiden jetzigen Vertreter tauschten freilich das bei weitem Bessere dafür ein! Aber den Bauersleuten ist ihr Besitztum ans Herz gewachsen; jede Stelle ist ihnen lieb geworden, weil es die ihre gewesen; jede haben sie mit dem Auge heiteren Stolzes betrachtet; jede ist geweiht durch Arbeit und Vergnügen, – das Ganze darum für sie historischer Boden in besonders heimlicher Art. Von einem solchen Fleck Erde löst man sich schwer los, wenn auch die herrlichsten Aussichten locken; – und so ließ die Mutter, bevor sie den Wagen bestieg, der sie fortfahren sollte, ihren Tränen freien Lauf, während Gottfried seine Gefühle unter tiefernsten Mienen verbarg. Ihm war es ein Trost, daß das werte Gut an werte Personen kam, die sich glücklich priesen, es zu erhalten. Er empfahl es dem Schorsch und der Annemarie, die beim Aufladen geholfen hatten, noch einmal, und ein Lächeln erhellte seine Züge, als er nach vernommenen dankbaren Zusagen den beiden zum Abschied die Hände schüttelte.

Am anderen Tage wurde die Hochzeit gefeiert, die Gottfried und Sophie in alle schönsten Güter des Lebens einsetzte.

Was die Prophezeiungen anlangt, welche der Rothenbauer und seine Tochter an jenem Tage des Streites sich entgegengehalten hatten, so trafen sie beide ein. – Daß bei einer so ungewöhnlichen Verbindung zunächst die bösen, und namentlich die neidischen Zungen sich in Bewegung setzten, das braucht man dem Menschenkenner nicht erst zu sagen; und wenn dem Rothenbauer alle derartigen Bemerkungen, wie sie in Spinnstuben und in den Stadeltennen beim Dreschen gemacht wurden, zu Ohren gekommen wären, dann hätte er der Sophie wohl bedeutsam zurufen können: »Siehst du?« – Allein, so wohlgestellten Leuten gegenüber, die nutzen oder schaden konnten, fand man doch nicht für geraten, den Ärger oder die Bosheit beleidigend merken zu lassen. Auch zwei zur Hochzeit geladene Vettern, welche Söhne besaßen und das Glück »so eines Menschen« gar nicht mit ansehen mochten, hatten wenigstens höfliche Entschuldigungen erdichtet, und beim nächsten Zusammentreffen sprach jeder sein Bedauern aus, daß er nicht habe dabei sein können.

Da war nun die Tochter in doppeltem Vorteil. Die wohlmeinenden und schmeichelnden Zungen machten sich vernehmlich und hielten aus. Gottfried, regierender Bauer geworden, benahm sich so gut, daß er bald unter die geachtetsten Männer der Gegend zählte. Vettern und Basen, die ihn irgendwie brauchten, rühmten ihn gegen Weib und Schwiegervater mit wahrer Begeisterung; und als einmal eine derartige Lobsängerin von ihnen Abschied genommen hatte, war es die Tochter, die sich nicht enthalten konnte, dem Vater lächelnd zuzurufen: »Siehst du?«

Acht Tage nach der Hochzeit Gottfrieds hatte sich Schorsch mit Annemarie zusammengeben lassen. Der Weber tat zur Begründung des neuen Hausstandes, soviel er irgend konnte; und wenn der junge Mann immer noch tüchtig zu tragen hat, so verspricht doch seine Geschicklichkeit und sein Fleiß, daß ihm nach und nach das Abtragen – der Schulden nämlich – gelingen werde. Er seinerseits ist so verwandelt, – das Gute in ihm hat über den Hang, der ihn in Armut und Schimpf gestürzt, so gründlich gesiegt, daß er in seinem bescheidenen, ja schüchternen Auftreten einen förmlich rührenden Eindruck macht. – Das Wohlgefühl, das ihn beglückt, bietet aber für sein Ausharren in der besseren Einsicht alle erforderliche Bürgschaft.

Daß zwischen den beiden Familien eine nähere Beziehung sich knüpfte und befestigte, lag in der Natur der Dinge.

Im Frühjahr wollte Gottfried ins Holz gehen und machte bei dem jungen Ehepaar seinen ersten freundschaftlichen Besuch. Die Annemarie war allein zu Hause und wiegte eben ihr bald nach der Hochzeit gekommenes Büble. Das Lächeln ihres Mundes verriet, daß sie mit dem Lose, den schönen Schorsch zum Mann zu haben, unendlich zufrieden war. Dabei sah sie so blühend aus wie nur je, gab auf Gottfrieds Befragen die befriedigendsten Antworten, und als das Kind schlief, zeigte sie ihm das durch sie aufs netteste eingerichtete Haus mit gerechtem Stolz. – Unser Bauer freute sich des Glücks, das er in so verschiedenem Sinne mitgestiftet hatte, und nahm lächelnd wieder in der Stube Platz.

Nicht lange, so kam Schorsch vom Felde. Er grüßte den alten Nebenbuhler mit froher Überraschung, zeigte aber unwillkürlich eine Miene der Achtung, wie vor einem Größeren. Man sprach über allerlei. Schorsch rühmte das Feld, zu dem drei Morgen, die ihm der Schwiegervater gegeben, so schön paßten, glaubte, man könnte dabei was herausschlagen, wenn man es gut im Stand halte und noch verbessere, was möglich sei. »Namentlich,« setzte er hinzu, »wenn ich eine Wiese noch kriegen könnt', die jetzt feil ist – fürs halbe Geld! – Die geht mir eigentlich noch ab dazu, und ich müßte sie haben!« – »Warum kaufst du sie nicht?« versetzte Gottfried. – Jener zuckte die Achsel und ward ein wenig rot.

Unser Freund nickte. »Was soll sie kosten?« fragte er. – Schorsch nannte den Preis. Nach kurzem Besinnen fuhr jener fort: »Hechtfischer, wenn alles so ist, wie du sagst – und ich zweifel' an deinem Wort nicht im geringsten! – so kann ich dir das Geld schaffen. Meinem Schwiegervater ist ungefähr so viel heimgezahlt worden, und es wird ihm selber lieb sein, wenn er's wieder sicher anlegen kann!«

Schorsch ging auf den Wackeren zu, nahm seine Hand und rief mit feuchten Augen: »Gottfried, du bist gut! Ach, du weißt gar nicht, was du mir für einen Gefallen tust! Jetzt kann ich zwei Stück Vieh mehr halten, und wie ich das Gut dann in die Höhe bring', das sollst du sehen!« – Nach ihm kam das Weib und drückte die Hand des Vetters mit einer Zärtlichkeit, einem liebevollen Blick, daß es fast über die Art der Freundschaft hinausging.

Auf dem Heimweg sagte unser Bauer zu sich: »Wie leicht ist's, gut zu sein, wenn man was hat! – Es ist nicht einmal nötig, daß man dabei was opfert! – Wie viele könnten gut sein – wenn sie nur möchten!«

Nach meinem Gefühl darf ich aber die Erzählung nicht schließen, ohne den Leser mit der Nachricht zu erfreuen, daß der junge Ferdinand Löw sich in der Polytechnischen Schule zu München befindet und die besten Fortschritte macht.

Der alte Rothenbauer, von der Sophie getrieben, hatte sich in der Belohnung des Schlome selber übertroffen. Auch Gottfried hatte bei dem Geschenk an den Mann, der ihm so verschiedenartigen Beistand geleistet, mehr auf seine Reputation als auf seinen Geldbeutel gesehen; – so konnte Schlome die Witwe Hechtfischer und den Weber gnädig behandeln und für Talent, Zeit und Stiefelsohlen doch einen Ersatz einstecken, womit die Summe, die er zur Ausführung seiner väterlichen Zwecke nötig hatte, sich rundete.

Hat der Leser die Überzeugung erlangt, daß ohne den Juden die Begebenheiten, die wir erzählt haben, nicht hätten stattfinden können, so wird er mit Anteil vernehmen, wie die geleisteten Dienste auch ihm eine schöne Befriedigung eintrugen.

 

Druck von Hesse & Becker in Leipzig.

 


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