Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band I
Johann Richard zur Megede

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Zehntes Kapitel

Haben Sie, lieber Hiddigeigei, je die Seekrankheit gehabt? Nun, nur Weltreisende bekommen sie . . . Sie ist abscheulich, aber sie ist lehrreich. Mir steht der Satz jetzt fest: Die Liebe zum Leben ressortiert vom Magen. Streikt der, fliehen die Lebensgeister . . . Und ich kann wohl sagen, daß aller Weltschmerz, alle Liebesqualen mir nicht im entferntesten diesen Ekel am Dasein eingeflößt haben wie mein lebensmüder Magen, während ich auf dem Deck des Abd-el-Kader kauerte, naß, frierend, jenes unbeschreibliche Wehegefühl im Herzen, das nur den einen Wunsch kennt: schmerzlos, rasch von Engeln in ein Nirwana hinübergetragen zu werden, wo es keine von Katzenpfoten bedeckte See, keine unerträglichen Dinergerüche, vor allem kein haltlos schwankendes Schiffsdeck gibt. Ueberhaupt diese Katzenpfoten auf See! Schon wenn ich daran denke, wie ringsum die weißen Schaumbuketts aufzucken, schwankt der Magen, und das Lebensbarometer fällt auf taedium vitae . . . Auf dem Schiff hatte ich entschieden Landbeine. An Land bekam ich entschieden Seebeine, denn ich torkelte in Bona geradezu von Bord.

Nun wären wir ja in dem schönen Afrika. Mein erster Eindruck war allerdings: Das sind ja alles Wilde, Kannibalen, Katzenfresser . . . Im Coupé dann, – ich fuhr, glaube ich, mit meiner Zofe dritter Klasse, aber dies natürlich nur, weil uns beiden daran lag, möglichst intim Land und Leute kennen zu lernen . . . Alle Reisenden bestätigen, daß man in der ersten Klasse nichts, in der dritten alles lernt vom Wissenswerten, und weil sie mich kennt, lud mich die Lasowitz nicht in ihr Kompartiment ein. Und was die Männer anbetrifft, so muß ich gleich bekennen, daß der junge Zuavenkorporal, der meiner Jungfer die Cour zu machen schien, aber mich sehr verständnisvoll kraute, weit mehr Gentleman war als jener Oberleutnant Lasowitz, der mich am liebsten mit seinen Sporenrädern streichelt. Ich liebe das letztere nicht. Später füllte sich das Coupé. Jedoch selbst die wirklichen Wilden mit dem Sandelholzteint und dem Turban, die mich anfangs erschreckten, suchten mir zu gefallen und unterhielten sich in ihrem gurgelnden Dialekte, den ich nicht verstand, ausschließlich über meinen Geist und meine Schönheit. Ich habe es mir abgewöhnt, hoffärtig zu sein. Wenn man das Volk auch daheim verachtet, in der Fremde kann man von ihm lernen. Es ist mit der Hoffart wie mit der Treulosigkeit: allzuviel davon schadet. In der Lebensweisheit ist jetzt Carlo dem Macchiavelli weit über. Auch als Politiker habe ich noch dazu gelernt. Nur an Thronen, die absolut feststehen, darf man selbst rütteln. Aber Throne stehen nie absolut fest – wie ich zu meinem Leidwesen erfahren habe. Ich war so bezaubernd hoffärtig, so unvergleichlich treulos – und in der Stunde der Gefahr konnte mir eben darum kein Getreuer zur Seite stehen. – Die klügsten Könige sind wenigstens ihren Kammerdienern wahllos treu. Und wie fördernd das auch auf den Nachruhm wirkt! Wirklich populäre Königsmemoiren sollten immer nur von Kammerdienern oder Hofnarren oder Zeremonienmeistern geschrieben werden. Denn die Menge will ja gar kein Bild des großen Mannes, den sie doch nicht verstehen kann; sie will ein Bild des kleinen Mannes, wie er sich räuspert, wie er spuckt, weil sie den versteht. Darum auch die Prinzessinnentreue für Kammerfrauen, die so viel Pikantes der Mitwelt erzählen könnten und doch so viel Rührendes der Nachwelt erzählen sollen . . . Und wenn ich im Salon der Baronin Josefa auch von Herzen treu bin, so bin ich im Zofengemach der Jungfer Anna beinah noch treuer. Die Baronin wird mal meine große und die Zofe meine kleine Geschichte schreiben – und die kleine ist mir wichtiger. Diese Dienerin verehrt mich sehr, beobachtet meine Lebensgewohnheiten genau – und wenn sie in ein abgegriffenes Notizbuch zuweilen die Anzahl von Spitzenhemden, Batisttaschentüchern und andern menschlichen Torheiten höchst gewissenhaft aufschreibt und gleich daneben die afrikanischen Billettpreise und den galanten Zuavenkorporal ebenso gewissenhaft notiert, so habe ich jetzt den lächelnden Argwohn, daß dies alles nur eine Chiffreschrift ist, die sich ausschließlich mit der Afrikareise des letzten italienischen Bourbons beschäftigt. Daher wohl auch die Zuneigung aller dieser einfachen Leute hier um mich herum, die so gern wieder ein souveränes, ein königliches Oberhaupt haben möchten. Auch aus den eigentümlich sanft heißen Augen der Eingeborenen leuchtet dies Verlangen. Aber vorläufig ermutige ich niemand. Ich reise inkognito, und ich reise auf meine Weise.

Anna, merken Sie genau auf! Es ist die unfehlbare bourbonische Methode. – Darum in Bona nur ein einziger umfassender Blick auf die schwarzen Uferberge, das dunkelbraune Menschengewühl im Hafen. Wir sind in Afrika. Darüber besteht kein Zweifel. Darauf verlange ich auch sofort zurück in meinen weichgepolsterten Korb, den Anna wie einen Handkoffer tragen darf. Ich wünsche mich nicht voreinnehmen zu lassen gegen dieses Land wie gewisse andre Leute. Schmutz und Regen gibt's überall – es handelt sich nur darum, ob Schmutz und Regen überwiegen. Ich gedenke mit dem kleinen Intimen zu beginnen, das uns das große dann verständlich macht. Die törichten Reisenden sehen zum Beispiel fälschlich erst auf die See und dann auf das Schiff, ohne zu bedenken, daß das beste Meer sie nicht vor dem schlechtesten Schiff, wohl aber das beste Schiff sie vor dem schlechtesten Meer schützen kann. Beim Tatsächlichen, Greifbaren beginnen und dann erst in das Ungemessene, Uferlose schweifen, liebe Josefa!

Schon wie ich in Bona ins Coupé stieg! – Hunde regen sich da sofort unmäßig auf, bewedeln oder beknurren die Insassen, klettern an jedem Coupéfenster in die Höhe, bellen die Telegraphenstangen an, die Sträucher. Sie würden in ihrer geistigen Kurzsichtigkeit aus einem Blitzzuge hinausspringen, um ein ausschnarrendes Rebhuhn zu packen, was ihnen doch auch sonst der Jäger erst herabschießen muß. Sie sind so unbedingt dumm, wie sie unbedingt treu sind. Und Dummheit ist ein Geschenk des Himmels, das aber Reisehunde regelmäßig mißbrauchen. Daher auch die übelriechenden Hundecoupés. Von Katzencoupés hörte ich noch nie. – Ich blieb also ruhig in meinem Korb liegen, beobachtete durch einen kleinen Spalt der Augen das Nächstliegende, in diesem Falle den Zuavenkorporal, und schloß sie sofort wieder, weil mir dieses Nächstliegende noch nicht interessant genug war. So blieb ich, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Algerische Züge fahren langsam, rütteln aber dafür sehr; die Melodie, die man dazu schnurren kann, ist äußerst getragen und äußerst mißtönend. Als die Leute im Coupé sich zu unterhalten begannen, öffnete ich wie träumend das Auge; Leute, die man hört, ohne sie zu sehen, erzeugen ganz falsche Vorstellungen. Daher die unbrauchbaren Berichte geistloser Horcher. Ich konstatierte, daß die preußische Soldateska strammer, die französische gelenkiger ist. Meine Dienerin benahm sich bei dieser Gelegenheit als echte Deutsche. Zu Hause war sie einem Vizewachtmeister gut, hier in der Fremde ist sie einem Korporal noch besser. Und ich glaube, sie wird heute abend bereits ihrem Wachtmeister von dieser Gefühlswandlung traurig Mitteilung machen, während eine französische Bonne ihn dann erst recht freundlich ihrer unwandelbaren Gefühle versichern würde. Gewiß, man soll Gefühle haben – aber immer auf vernünftiger Basis. Die Menschen halten noch an der längst überwundenen Ehe fest – und gerade darum amüsieren sich die verständigen Mädchen mit den treulosen Galanen aufs beste, aber die treuen Anbeter heiraten sie. Ich fürchte, Anna würde diesen Zuavenkorporal auf der Stelle ehelichen. – Ueber die etwaigen Liebesgefühle der Eingeborenen bin ich mir auch schon klar. Sie haben gar keine, oder wenigstens keine, die meiner Anna in ihrem Fortkommen nutzen könnten. Sie sind Südländer, Sonnengeschöpfe, Kollegen – sie würden ihrer Angebeteten sicher alle Paradiesgärten des Propheten schon hienieden versprechen, in vernünftiger Uebertreibung, denn Paradiesgärten existieren bekanntlich nur im Koran, wie alle angebeteten Araberinnen wissen, und wenn sie's nicht wissen, so ist das eben ihr Schade. Denn später wird die alternde Schöne entweder auf einem Durrahfelde einen schweren Pflug ziehen dürfen oder wenigstens anhören, wie »er« einer noch Angebeteteren noch schönere Paradiesgärten verspricht. Im übrigen werden im Orient die Frauen verhandelt wie wir Katzen, und je älter der Scheich, je hübscher die Sklavin, – nur daß sie bei Todesstrafe nicht einmal einen Cicisbeo haben darf. Wir sind eben in Afrika noch südlicher als in Italien! Aus dem Fenster sah ich absichtlich nicht. Ich wünsche afrikanisches Wetter kennen zu lernen, europäisches habe ich zu Hause selbst. Und wie sich weise Mäßigung rentiert! Gleich hinter El-Kantara kam sie, die afrikanische Sonne. Wie mein weißes Angorafell sich belebte, duftete, wie heiß, weich knisternd es sich anfühlte! Wie ich alle Leiden der Seereise vergaß, und wie mir mit dieser köstlichen Glut auch die afrikanische Lebensauffassung in alle Poren drang! Afrika ist im Grunde wie seine Sonne: heiße Sinne, leidenschaftliche Phantasien, überhaupt unsagbar tiefe Glut . . . Nur vor dem Sonnenstich muß man sich hüten. Das ist dann erst recht die afrikanische Sonne: sie liebt uns eben zu sehr. Und aus allzu großer Liebe resultiert in Deutschland Gliederschwäche, in Afrika Sonnenstich . . . Nachdem ich also das Afrikalicht genossen hatte, begab ich mich in den Afrikaschatten, der ungemein angenehm sein muß, wenn er nämlich irgendwo vorhanden sein sollte. Zurzeit kann ich noch nicht abschließend urteilen, weil ich meine deutsche Wintergarderobe mitgebracht habe, welche die Hitze wie dürstend einsaugt, sie dann aber wie berauscht absolut nicht wieder herausgeben will. Jedoch ohne eine Spur von Wüste bis jetzt gesehen zu haben, das ist mir klar, daß die Schattenseite der Sahara gerade die Schattenlosigkeit ist.


Und Biskra selbst?

Ich gehe in meinen Beobachtungen, wie gesagt, Schritt vor Schritt vor. Und vorläufig kenne ich nur unser Hotel. Im letzten Augenblicke entschied sich Herr von Lasowitz dafür, obgleich er gar nicht hinpaßt und seine Gemahlin noch weniger. Anfangs degoutierte es mich geradezu, in der Wüste ein Hotel zu finden, wo vom Oberkellner bis zum Hausknecht alles Deutsch spricht. Ich hatte sofort dem Koch meinen Anstandsbesuch gemacht: appetitliche weiße Mütze, einladender Duft nach Hammeltalg. Auch bei den Stubenmädchen war ich. Bei den Stubenmädchen bereitete sich eine Verschwörung vor. Die Wirtin verlangt zu viel, das Essen ist schlecht, die Arbeit tötet und so weiter. Ich kenne diese Verschwörungen, sie beginnen regelmäßig zu Ende der Saison, wenn das schwindende Trinkgeld die Kellnergemüter erblich belastet, oder wenn ein Hotel sonstwie einzuschlafen gedenkt. In vollen Hotels setzen die schlechten Wirte den guten Mädchen den Stuhl vor die Türe, in leeren verfahren die schlechten Mädchen ebenso mit den guten Wirten. Unser Hotel ist nach dem maßgebenden Urteil des Souterrains und der Mansarden dem Tode geweiht. Uns wird es wohl noch überleben! Und obgleich ich Dienstbotengezänk nicht liebe, so war es mir doch sehr interessant, auf dem Schoße meiner Zofe sitzend und von schweizerischen Stubenmädchen umgeben, gleich an diesem ersten Nachmittage die Chronique scandaleuse des Hauses zu hören. Danach gab es hier noch im November Skorpione, genau so lang wie mein olympischer Schweif; aus jedem Mauerloch kröchen sie hervor, und wer gestochen würde . . . Leb wohl, Carlo! Also aus dem Wüstensande wird sich dein Grabmal erheben. – Ich werde übrigens jeden Abend meinen Korb auf Skorpione durchsuchen, und da ich auf keinen Fall gestochen werden will, meine Zofe veranlassen, dieses Untier herauszubefördern oder sich selbst stechen zu lassen. Die sehr schwer verständliche Schweizerin erzählte noch von einem Skorpion, der aber nur halb so lang gewesen sein dürfte, denn sie kniff mich mitten in den Schwanz, was ich mir höflich verbat. Sie verbreitete sich später darüber, daß es schon im April von Moskitos wimmle, und daß das Biskrafieber die unausbleibliche Folge jedes Stiches sei. Ich bleibe also unter keinen Umständen bis zum Mai! Da diese knochige Person, die nur Ungeheuerlichkeiten erzählte, sowohl vom Wirt, der eine Null, als von der Wirtin, die eine Messalina sein solle, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten mir den Schwanz heimtückisch lachend zwickte, so dürfte es wohl eine Verleumderin von Beruf sein. Jedenfalls wunderte ich mich, daß nur Skorpionstiche und Biskrafieber die Anziehungspunkte dieser berühmten Oase bilden sollten. Aber die übrigen Mädchen, meine Anna nicht ausgenommen, nickten immer, und je schlimmer es kam, um so mehr, so daß ich eine eigne Entdeckungsreise diesem Kolportageroman des Souterrains vorzog.

Das Haus ist im Karree gebaut. Ein angenehm kühler Hof in der Mitte, rings von Galerien umgeben, die auch sehr lauschig sein dürften, und von denen man allein in seine Appartements gelangt; die Fenster gehen alle nach den Straßen. Es war bereits Nacht, und die Skorpione hätten eigentlich in Kolonnen heranziehen müssen, aber auf den schattig kühlen Fliesen, auf denen früher einmal ein zahmer Löwe regelmäßig auf und ab patrouilliert sein soll, wandelt nur der freundliche Wüstenmond, der auch einen seltsamen Stein in dem grünen Arkadenhofe fahl beleuchtet. Es dürfte ein historischer Stein sein, leider jedoch nicht der Stein des Propheten in der Moschee zu Mekka, wie ich anfangs vermutet hatte. Der Irrtum war begreiflich, denn überall, wo ich mich wohl zu fühlen beginne, baut sich ein Mekka des guten Geschmacks auf. Ich fand mich wirklich gleich so angenehm heimisch in diesen schattenhaften Bogengängen, daß ich einer nicht mehr jugendlichen Falbkatze mit hartem Akzent, aber durchaus nicht ohne Charme, meine Aufwartung machte, die mir unter anderm auch erzählte, wie ihre Urgroßmutter noch diesen alten, blinden Leuen gekannt habe, der schließlich niemand gefährlich gewesen sei als sich selbst. Ich möchte solchem sogenannten König der Tiere einmal begegnet sein, als er noch jung und mächtig war. Aber wann begegnet unsereiner seinesgleichen? Sie erzählte mir ferner, daß hier El-Dorado der deutschen Afrikaleute sei, und dementsprechend auch der Dattelschnaps reichlich flösse. Sie nannte ganz berühmte Namen. Und da sie als angestellte erste Hotelkatze natürlich auf Gesellschaft hält, zeigte sie mir auch in den erleuchteten Bogengängen des Erdgeschosses verschiedene Herren, die gerade an kleinen Tischen saßen und sich gegen die nachträglichen Anfechtungen des Diners schon vorher mit einem kleinen Kognak wappneten. Ich tat zwar, als wenn mir gerade die berühmtesten dieser Leute schon einmal vorgestellt seien, mußte mich aber innerlich wieder einmal wundern, sehr wundern, daß bedeutende Kater sich so ganz anders als bedeutende Menschen geben. Ich hätte zum Beispiel geschworen, daß der joviale, rundliche, urfidele Bonvivant dort vor dem Bierglas ein Amateur-Afrikareisender sein müsse, der die Wüstenentfernungen immer nur nach den Kognaks bemißt, die er in der Zeit hätte heben können, – und es war der große Conquistadore, der Cortez Afrikas, der mehr Stämme unterworfen und mehr Sektkörbe geleert hat, als überhaupt ein Mensch ahnen kann! Und der schlanke, bewegliche Sechziger mit dem massiven Kinn, mit dem lebhaften Auge, dem man sehr wohl eine indische Generalsuniform zutrauen könnte? Wieder Conquistadore, das heißt das genaue Gegenteil davon, nämlich ein wissenschaftlicher Reisender, ein friedlicher Forscher, einer von der aussterbenden Sorte, die nie nach Negerkindern zum Vergnügen geschossen hat, aber trotzdem siegreich ganze Kontinente durchzog, nur gewappnet durch die überragende Persönlichkeit . . . Die Falbkatze zeigte mir darauf noch einige Professoren, die allerdings auch so aussahen, und in der Jagd auf Skorpione das Unglaublichste leisten sollen. Und nachdem mir noch ein kleiner martialischer Herr präsentiert worden war, der sich offenbar von seinem Tropenhelm nicht trennen konnte, und von dem behauptet wurde, daß er alle Pflanzen der Erde kenne, ohne eigentlicher Pflanzengeograph zu sein, da erwiderte ich doch etwas überlegen: »Meine Liebe, der größte Pflanzengeograph ist und bleibt Graf Rhyn.« Und ich buchstabierte ihr den Namen zweimal sehr deutlich, damit sie nur ja nicht auf den Gedanken kommen sollte, ihre plebejische Berühmtheit mit meinem adligen Freunde zu vergleichen. Außerdem, wen ich kenne, der ist schon allein dadurch berühmt! Aber da natürlich solche Hotelkatzen in Afrika, die niemals in Deutschland oder Italien gewesen sind, niemals die echte Seekrankheit gehabt haben, also recht bemitleidenswerte Geschöpfe – denn die Zukunft aller Völker fährt ja neuerdings auf dem Ozean spazieren – da solche Katzen, wie gesagt, wenigstens in ihrem lächerlich kleinen Ressort unfehlbar sein wollen, so behauptete sie, daß, wenn dieser Rin wirklich ein bekannter Afrikareisender sei, er erst später geadelt sein könne, denn große Forscher begännen grundsätzlich bürgerlich und endeten nur ausnahmsweise adlig. Den großen Forschern läge auch nichts am einfachen Adelsprädikat, weil ihnen »die Freiherrnkrone« mindestens von der Geschichte garantiert würde. Und das seien doch eigentlich die einzig historischen Freiherrnkronen.

Darauf lächelte ich sehr fein. Denn es gibt in diesem Punkte nur eine maßgebliche Ansicht: man ist entweder adlig, oder man ist es nicht, adlig werden kann man nicht. Ich bin adlig, und ich hoffe, daß mir das jeder ansieht! Ich stelle mich damit keineswegs auf die Adelsanschauungen der Menschen. Denn wenn der Graf dumm, die Gräfin dümmer, der junge Graf aber am allerdümmsten ist, dann sagen wenigstens in Deutschland alle loyalen Geister: »Uradel, ganz unfehlbar Uradel« – wie um das Urschaf, von dem sie abstammen, noch besonders zu ehren. Bei uns desavouiert man das Urschaf, beim Menschen erkennt man es ausdrücklich an. Uns muß überhaupt der Uradel auf dem Gesichte geschrieben stehen, und unsre Fürstenhüte passen nur auf wahrhaft erleuchtete Gehirne. Aber daß man das Blut um so höher schätzt, je dünner es wird, die Beine, je ausgemergelter sie sind, den Horizont, je mehr er zusammenschrumpft – mit nichten, denn gerade da beginnt bei uns das noblesse oblige!

Die Falbkatze gab mir das in gewissem Sinne zu und erzählte darauf noch schleunigst, daß neulich ein preußischer Hauptmann abgereist sei, der unsinnig adelsstolz war. – »Weil seine Mutter eine geborene Meyer war. – Verlassen Sie sich darauf!« fiel ich ein, »denn ich weiß selbst, daß der Sohn meines deutschen Gutsinspektors, der Referendar geworden war, sich nur herablassend seines Vaters Schulz erinnerte, dessen Sparsamkeit ihm überhaupt das Studium ermöglicht hatte, aber in vorgerückter Stunde leidenschaftlich eine Tante 'von' rühmte, die in des Wortes schlimmster Bedeutung hinter dem Zaun verschieden war.« . . . Es war, wie, gesagt, ganz unterhaltend bis zu dem Augenblicke, wo die Falbkatze einen orleanistischen Grafen Colonel als Ahn einerseits und eine arabische Fürstentochter als Ahnin anderseits mir auftischen wollte. Ich umging das anfangs diplomatisch, indem ich sagte, daß der Katzenalmanach de Gotha sich grundsätzlich nicht mit exotischem Adel befasse. Aber als sie dringlicher wurde, mußte ich ihr bemerken, daß ich als letzter italienischer Bourbon die Orleans selbst als einen minderwertigen Zweig an unserm königlichen Stamm betrachten müsse und deren Anhänger noch mehr – und daß auf Grund aller uradligen Bestimmungen afrikanische Fürstentöchter nie zum hohen Adel gerechnet werden könnten, schon weil dero erlauchte Eltern die Segnungen der christlichen Ehe nie gekannt hätten. – Und Haremsprinzessinnen? – Ich streife die noch immer hübsche Person mit einem jener Don Juans-Blicke, die zum Leichtsinn, aber nicht zur Ehe verpflichten. Sie wandte sich gekränkt ab. Die Dame dürfte demnach bedeutend älter sein, als sie scheint. Aber vielleicht besitzt sie eine junge, reizende Tochter, in der weniger die lächerliche Adelsprätension dieses orleanistischen Colonels als das leichte Blut der afrikanischen Prinzessin lebt. Mütter und Töchter in Katzenfamilien stehen ungefähr so intim wie Fürst und Thronfolger – und weil ich der Mutter so sehr mißfallen habe, werde ich der Tochter wohl um so mehr gefallen. – Bei Licht sieht Madame doch schon recht ramponiert aus . . . Und was diese Afrikareisenden, diese bürgerlichen Afrikareisenden anbelangt – so denke ich, daß ein gewisser Prinz Bourbon Afrika binnen kurzem viel besser kennen wird als diese republikanische Gesellschaft. Und Enthusiastin bin ich durch und durch! Die schlimmste Art, die über dem einen das andre vergißt . . .

Aber ich werde El-Kantara doch nicht vergessen, El-Kantara nicht! Es ist mein Oasentraum nun einmal . . . Und wenn ich es auch nie wiedersehen sollte, und wenn's dann, überwuchert von andern Erinnerungen, eines Tages doch wieder vor meiner Seele steht, so würde ich es sofort erkennen und wehmütig sagen: »Traum, warum bliebst du nur Traum?« Denn so treulos ich scheine, so treu bin ich. Was mir einmal lieb war, das lasse ich nicht.

Und kaum, daß ich's schrieb, so werde ich auch schon wieder irre. Ein andres Bild will mir auftauchen. – Biskra. Wie ich zum ersten Male auf den kleinen Balkon meines Hotelzimmers trat. Spätnachmittag. Der heiße, weiße afrikanische Tag im Erlöschen. Ueber den flachen Dächern der fahlen, stummen, wunderlich aufsteigenden orientalischen Häuser ein weicher, heller Duft, – fern im Atlas, wie in ihrem Blute schwimmend, ertrinkend die Sonne. Und wie hinter dem Ort am weißen Himmel der Palmenwald aufsteigt, hoch, unbewegt wie eine Mauer, fremdartig, ernst, in mattem Graugrün dämmernd! Am Horizont die Wüste, farblos, dunstig, mit einem erstorbenen Schimmer. Ich war so froh, allein zu sein! Da fing unten auf der Straße ein langer arabischer Bengel seine Stimme zu erheben an: »O Madame deitsch, deitsch . . . Wollen Sie sehen, ein Bild von général allemand, mon ami und großes Freund von Hotel.« Dabei versuchte er mir eine Photographie bis hinaufzurecken: »Bon guide, le meilleur guide de Biskra! . . . Une lettre allemande? Geschrieben an mich. Wollen Sie?« Und er kramte wahrhaftig aus seinem weißen Burnus einen schmutzstarrenden Brief hervor. Wenn mir je meine Muttersprache holperig geklungen hat, so war's aus diesem gurgelnden Munde. Dies Paris der Sahara ist überhaupt ein toller Mischmasch, ungefähr so wie das Ehepaar Lasowitz.

Wüstenoase, elektrisches Licht, Kursaal. Das klingt, als wenn die ganze Sahara überhaupt nur ein schlechter Witz wäre.

Wir nahmen das Diner im Speisesaal, er im Frack, ich in kleiner Gala, und waren linkisch, verlegen wie nie. Dabei Peter der einzige Frack, ich die einzige wirkliche Toilette. Ueberhaupt alles Leute, die auf Anzug wenig geben, ältere Herren, gesetztere Frauen, bis auf einen schnarrenden Rittmeister, der Meyer heißt und darum alles tadeln muß; neben ihm seine junge, reizlose Gattin. Man macht eine Tour, wäscht sich die Hände, setzt sich zu Tisch: so nimmt sich die Table d'hote aus. Dafür sind wenigstens die älteren Herren wohl wirkliche »Afrikaner«, denen Entfernungen, Strapazen und so weiter nie eine Rolle gespielt zu haben scheinen: »Als ich damals beim Regus war . . .« »Wenn ich alles zusammenrechne, bin ich in meinem Leben mindestens vier Jahre Tag und Nacht Kamel geritten . . .« Und wenn man wenigstens die beruhigende Gewißheit gehabt hätte, daß das alles Renommistereien waren! Aber das kam so ganz en passant, und außer uns wunderte sich gar niemand. Peter und ich hörten mit halben Ohren zu, streiften uns mit halben Augen, hatten die unangenehme Empfindung, daß wir hier die unfreiwilligen Komiker waren – die Vornehmheit deplaciert, die Eleganz lächerlich. Und als sie später auch noch langes und breites von einem Grafen erzählten, den die große Expedition damals doch mächtig mitgenommen hätte – »Bedeutender Mensch, aber kein Glück . . . Ob er wirklich noch nach Assuan gegangen sein mag?« . . . Es ist ja sehr interessant, wenn ein Graf wie dieser von seiner Gräflichkeit nie den mindesten Gebrauch macht, so daß eigentlich kein Mensch die Vornehmheit ahnt . . . Die Table d'hote findet das nicht weiter verwunderlich, ich denke aber, es wird wohl die Gräflichkeit danach sein!

Wir machten jedenfalls sehr bald, daß wir fortkamen. Peter sagte hinterher zu mir: »Hör mal, du, das können gar nicht die richtigen Afrikaner sein, denn die lügen ja viel zu wenig.« Und ich konnte ihm nur antworten, daß ich junge, lustige, elegante Herren, und wenn sie auch noch so lügen, weit lieber gehabt hätte. Ueberhaupt diese Afrikaner! . . .

Den Rest des Abends durchbummelten wir den Ort, aber sehr vorsichtig, sehr Provinzler, in der fortwährenden Angst, mohammedanische Gebräuche zu verletzen, wovor in allen Reisehandbüchern dringend gewarnt wird. Daß wir keinen Führer nahmen, daran war ich schuld. Ich hatte es mir so viel poetischer ausgemalt, durch diese orientalische Nacht zu irren, hier hinter einem vergitterten Balkon ein wunderschönes Odaliskenauge trauern zu sehen, dort einen schwarzen schönen Beduinen, der vielleicht gerade diese Odaliske liebt, – und was man so aus Romanen und Tausendundeiner Nacht sich für märchenhafte Begriffe nach Afrika mitgebracht hat . . . Es wallte ja auch weiß und gravitätisch von Arabern gerade in den engsten Gassen, und wo man in einen Hof hineinsah, da bewegte es sich phantastisch von schlaftrunkenen Menschen, wiederkäuenden Kamelen. In einer niedrigen Halle lagen und saßen viel Leute mit Turbanen um einen Mann, der vorlas oder erzählte, und ich glaubte schon die erste arabische Moschee glücklich entdeckt zu haben. Aus dem nächsten Hause tönte eine dumpfe Musik, und da öffneten sich die Vorhänge, und umgeben von einem Höllenlärm und in einer Höllenluft irgendein schrecklicher Kerl, der zu tanzen schien. Ich hielt Peter direkt von weiteren Entdeckungsreisen ab, weil ich das Gefühl hatte, daß es sinnlos sei, gleich am ersten Abend eine Welt ergründen zu wollen, zu der man unbedingt einen Führer haben muß, aber wenn möglich keinen bezahlten Führer. Und als richtige Provinzialen stellten wir uns abseits auf, und Peter sagte mir, was er dächte, und ich sagte Peter, was ich nicht dächte. Und wir hatten eigentlich an diesem Tage vom Orient gerade genug. Da streifte uns ein hoher Araber. Und ich fühle jetzt noch die Berührung seines Burnus und sehe das dunkle Auge, das so fremdartig gleißt. Da wurde mir klar, welch andre Welt uns hier umgab, und wie vielleicht nichts von diesem Burnus zu meinem Mohairkleid Gemeinsames herüberführt, obgleich wir uns doch so nahe berührten.


Ich habe die Nacht geschlafen wie mausetot und geträumt wie überlebendig. El-Kantara und nochmal El-Kantara – und ich kenn's doch gar nicht! Aber so kindisch wie ich sind auch meine Träume. Ich gestand das Peter beim Frühstückstisch, und er entschied weise, daß ich nicht sowohl kindisch als äußerst wankelmütig sei . . . Das hat mir den ganzen Vormittag keine Ruhe gelassen. Wankelmütig? Bin ich's? Bin ich's nicht? Donnerstag werde ich sechsundzwanzig Jahre, und eine Frau, die sich bis dahin noch nicht gefunden hat, die findet sich überhaupt nicht mehr. Obgleich Peter recht behalten wird, ihm möchte ich's innerlich zuletzt zugeben. Denn es gab eine schwere, Gott sei Dank lange überwundene Zeit, wo ich so gern wankelmütig gewesen wäre und wo ich doch weiß Gott so wenig wankelmütig gewesen bin. Er sollte mich nicht des Wankelmuts beschuldigen, er nicht! . . . Vielleicht, ja wahrscheinlich bin ich noch unfertig, werde niemals fertig sein, aber er hat auch nicht die richtige Hand, weder für die eine noch für die andre Josefa. Die Stute und ich können ein Rennen nur im großen Stil gewinnen oder gar nicht . . . Noch das letztemal! Er hatte noch Pfunde über Pfunde in der Hand und ließ sich diesen ausgerittenen Wallach glatt vorübergehen. Er reitet brillant, er kommt immer placiert auf die Grade –, und dann ist er imstande, den Gaul in letzter Minute auf Platz anstatt auf Sieg auszureiten. Er reitet eben zu sehr mit dem Kopfe, und die Josefa will nun einmal mit dem Herzen geritten sein. Sie wird ihn nicht enttäuschen, wenn er vom Fleck weg den ersten Platz belegt. Denn sie steht über jede Distanz: das ist meine felsenfeste Ueberzeugung. Doch für sein überlegtes Reiten müßte die Bahn noch tausend Meter länger sein . . . Es ist allerdings ganz gut, daß auf Mamas direkten Wunsch unser Stall aufs äußerste reduziert worden ist, weil das Herrenreiten doch eigentlich nicht für Verheiratete taugt und weil man dann so viel allein ist . . . Liebe, gute Mutter, ich bin trotz alledem sehr viel allein! Aber dafür kann Peter nichts, gar nichts, das kommt nur davon, daß ich so sonderbar bin.

Nun ist's aber definitiv zu Ende mit den Reflexionen! Wir verleben hier afrikanische Frühlingstage – und sollen den deutschen Winter doch nicht überall mit hinschleppen.

Jedenfalls war's, als ich aufwachte, ein wundervoller Tag. Und wenn ich nicht eine so unverbesserliche Langschläferin wäre, so hatte ich von meinem Fenster aus wenigstens einen Teil des mohammedanischen Festes beobachten können, das sich mit wüstem Geschrei durch alle Gassen wälzte. Mir wurde der hohe Araber von gestern abend lebendig, und ich wähnte, daß wieder einer jener entsetzlichen Araberaufstände ausgebrochen sei und dies die Aufforderung zum Tanz. Es soll sich nur um einige Hammel gehandelt haben, die koranmäßig abgeschlachtet wurden. Peter hat's mitangesehen und auch weiter nichts kapiert, als daß die Leute geschmückt und verrückt waren. – Um zehn Uhr läßt sich in unserm Salon ein arabischer Führer melden, der energisch abgelehnt wurde, aber gleich darauf in der Türe stand. Bloome! Er introduzierte sich folgendermaßen:

»Als Kammerherr vom Dienst befohlen . . . Ihre Majestät geruhen über Afrika und den Kopf Ihres ergebensten Sklaven zu verfügen!« Er war mal wieder so bildhäßlich mit den verrückt schwarzen Schlitzaugen und der Wippnase.

Ich antwortete ihm lachend: »Nein, mein lieber Graf, über Ihren Kopf geruhe ich nicht zu befehlen. Aber sagen Sie mir lieber, wer ist morgen noch von dem Souper?«

»Staatsgeheimnis! – Ich muß übrigens bitten, erst Donnerstag mir die Ehre zu geben.«

Gefrühstückt hat er bereits, und Peter klingelt nach einer Hotelzigarre.

Aber dieser Bloome, der ein großer Schlauberger ist, bemerkt dazu, wie selbstverständlich: »Peter von Amiens, die Zigarre, die nachher der Kellner bringen wird, die dürfen Sie rauchen, und die Importe, die Sie jetzt aus dem Koffer holen werden, die werde ich rauchen. Denn selbstverständlich haben Sie geschmuggelt, oder Sie sind nicht verheiratet!« (Wir haben allerdings eine Upmann-Kiste mit, aber nur fünfundzwanzig Stück und nur für Weihestunden berechnet. Verzollt sind sie auch auf Peters direkten Wunsch, der seine Frau nicht gern als Defraudantin entlarvt sehen wollte. Ich hätte für mein Leben gern geschmuggelt, natürlich nicht wegen der paar Groschen, sondern wegen des wundervollen Spitzbubengruselns vor und nach der Zollprozedur.) – Ich holte denn auch selbst lachend die gewünschte Zigarre, die in meinem Hutkoffer untergebracht war, und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich meinem guten Peter die kleine Egoismuslektion doch von Herzen gönnte. Warum gab er die gute Zigarre nicht gleich? Wer auch zu mir kommt, ich gebe ihm immer das Beste.

Bloome dankt sehr wohlerzogen mit einem Handkuß, pafft genüßlich, und der Schelm schläft natürlich auch nicht. »Er ist doch ein ganzer Filou, Ihr Herr Gemahl, gnädigste Baronin. Devise: Jeder für mich, und Jott auch noch für mich extra! . . . Uebrigens, Peter von Amiens, haben Sie auch Ihre Orden und Ehrenzeichen mitgenommen?«

«Allerdings, lieber Bloome.« Und er erzählt auch ganz ruhig, daß wir sogar die Galauniform und die Tragerlaubnis dazu mithaben, weil wir dem Bei von Tunis unsre Aufwartung zu machen gedenken (ich glaube, dem guten Mann wird von anständigen Menschen nur deshalb aufgewartet, weil man doch einen Orden ergattern könnte).

Aber Bloome, als heimlicher Revolutionär, erklärte auf einmal sämtliche Orden als Schwindel. »Frühstück-Bärenführer-Orden: haben Sie, mein lieber Peter von Amiens, Ihren Mecklenburger vielleicht aus andern Gründen? . . . Apropos, Sie wollen mich ja in Monte Carlo gesehen haben, wie ich gerade Doublonen in einen Sack senkelte – nun, wenn ich dagewesen bin, so habe ich auch ein dezentes Ordensband getragen. In Frankreich trägt man eben ein Ordensband, und in Monte Carlo erst recht! Aber ich versichere Sie, das gelbe Band, das ich bescheidentlich anlegte, war ein Zigarrenband aus einer Importenkiste. Den einzigen Orden, den ich wirklich besitze, die Rettungsmedaille, die trägt man eben da nicht, wo man Büfettorden trägt.«

»Na, Bloome, da wundern Sie sich man nicht, wenn Sie eines Tages von dem guten Alberto di Monaco wegen unerlaubten Ordentragens eingesteckt werden . . . Sagen Sie mal, haben Sie wirklich die Rettungsmedaille? Sie sind jetzt so lange in Afrika, und da weiß man nie –«

Peter blickte dazu etwas schief. Es war noch gerade zwischen Scherz und Ernst.

Aber Bloome stand nur lächelnd auf, klopfte ihm lächelnd auf die Schulter und sagte lächelnd: »Mein lieber Peter von Amiens, Sie haben Glück gehabt im Leben, viel Glück, aber das Glück, einem Menschen reell das Leben gerettet zu haben, das Glück haben Sie nicht gehabt und werden Sie nie haben, soweit ich Sie kenne.«

Geschrieben liest sich's wie blutiger Ernst, gesprochen war's die richtige Fähnrichsschrauberei. Sie drückten sich auch gleich darauf sehr freundschaftlich die Hand, – und trotzdem war diese Upmann keine Friedenspfeife!

Bloome ist dann wirklich unser Führer gewesen durch die Oase. Ein amüsanter, vielleicht zu amüsanter Führer! Denn diese Oase will mir nur langsam in den Kopf.


Was ist eine Oase? – Ein Stück Eden inmitten einer Wüste?

Was ist eine Wüste? – Ein rotgelbes glühendes Sandmeer.

Und nun tritt man aus dem Hotel, das wie der nahe Bahnhof eigentlich schon in der Wüste liegt, und da breitet sich nur ein weiter Kranz von dürren, braunen, bröckelnden Felsen, und das Land, das in langen Wellen zu ihnen emporsteigt, ist ebenso braun und hart und trostlos wie der Fels, nur mit einem tristen grünlichen Schimmer, kümmernden Salzkräutern, die nicht mal die Kamele fressen.

»Ist das auch die Wüste, lieber Graf?«

»Ja, das ist auch die Wüste, gnädigste Baronin.«

Und da man so was natürlich erst begreifen muß, lächelt unser Führer und sagt mit so'ner großen Armbewegung, wie sie wahrscheinlich nur Afrikareisenden zu Gebote steht: »Das ist alles Wüste, alles ringsum. Und da weit drüben links, wo die Felskette wie in einen großen Sarg auszulaufen scheint, da beginnen die Sanddünen, und da gibt's auch Hornvipern. Und wenn Sie auf dieser Düne stehen, so können Sie eine Reihe stumpfer, versiegender Salzseen erkennen, an denen lang es rosenrot von Flamingos schillern soll – ich habe es zwar noch nicht gesehen, und andre Leute haben es auch noch nicht gesehen, aber das schadet ja nichts. Und so geht's weiter, immer weiter – Düne und Kiesebene, und Kiesebene und wieder Düne, und dann zur Abwechslung mal Felsen . . . Und wenn Sie jede Dünenwelle und jeden Felskegel genau notiert haben, dann können Sie ruhig wieder von vorne anfangen. Denn in der Wüste fängt's auch wieder von vorne an.«

Bei solchen Erklärungen habe ich gar keinen Eindruck. Wenigstens nicht den Eindruck der gewaltigen und erdrückenden Monotonie, der bei aller Sonnenglut immer über der Wüste ruhen muß wie ein unbeweglicher, unheimlicher Schatten. Dafür breitet sich allerdings heute über uns so ein froher, weißer, warmer afrikanischer Frühlingshimmel, und der witzelnde Bloome paßt mit seinen spaßigen Erklärungen zu diesem Tag.

»Nun bitte kehrt, meine Herrschaften. Die Oase!«

Vorläufig präsentiert sich mir diese Oase nicht anders als jede andre südfranzösische Stadt. Komfortable Häuser mit Rolläden, Straßen mit Trottoirs, Hunde, Katzen, Kinder. Zur Seite ein kleiner Stadtpark mit elektrischen Glühlampen, Promenadenwegen, natürlich immergrün, aber ohne jede Tropenfülle, nur die Mimosen blühen. Und dicht dabei die großen, gelben Kasernements der Turkos, die kein Fremder betreten darf. Doch an dem blauen Posten mit dem Fez vorbei kann man in die Höfe hineinsehen, wo die Soldaten herumlungern, die Franzosen leidenschaftlich gestikulierend, die Eingeborenen immer das stumme, orientalische Verachtungslächeln wie ein Hauch über den dunkeln Gesichtern. Die ganze europäische Bevölkerung von Biskra soll in diese riesigen Höfe sich flüchten können, falls wieder einmal der Arabersturm gegen die Fremdherrschaft losbricht, wie vor zwanzig oder dreißig Jahren. Es muß schon einen Reiz haben, wenn es rings um diese Kasernen wirbelt von flinken Berberpferden, weißen Burnussen und schwarz unter dem Turban aufblitzenden Augen! – Aber wie heiß, wie stickend heiß muß es in solchem Sommer in solchen Höfen sein! Denn wenn uns auch heute Frühlingsluft umfächelt, man sieht es diesen ausgebleichten Mauern und diesen nachgedunkelten Gesichtern an, wie hier die Sonne brüten, lasten muß, wie unter ihr alles erwacht an scheußlichem Getier, an scheußlichen Wünschen – wie's dann erst Orient ist, der heiße, verzehrende Orient, der das Blut peitscht, die Nerven erschlafft. Dann erst strahlt auch das weiße, erbarmungslose Licht von dem weißen, niederen, dunstigen Himmel, dem Sommerhimmel der Sahara, den ich instinktiv schon heute wittere. Nicht gelb, nein, weiß ist dann die Oasenfarbe, ein graues, staubiges, bröckelndes Weiß, das die Sonne gebleicht, der Wüstenwind gedörrt hat. Ich kann sie mir vorstellen, diese Sommeroase, wenn ich auf die helle, harte Steinwüste blicke, die gleich hinter der Kaserne beginnt, so trostlos dürr, ohne eine Spur des Lebens . . . Das alles gaukelt mir die Phantasie vor.

In Wahrheit ist mir hier alles neu, und dieses Neue alles fahl.

Wir bogen dann wieder vom Park in die Straße ein, auf eine Art freien Platz. Ein Denkmal, eine Pferdebahn, der grell neue Zitadellenbau des Hotel Royal, von dessen Turm die bunten Wimpel flattern. Es ist Europa – und es ist ganz gewiß nicht Europa! Eine dunkle, schmutzige, rauh kreischende Horde arabischer Kinder umtobt uns – freche Gassengesichter, ekle Nacktheit und die traurig tappende Blindheit. Es gibt so viel Blinde hier: von dem schmutziggrauen Greis, der sich dumpf winselnd aus dem Staube der Straße erhebt, bis zu dem Säugling, der mit blöden Augen ins Licht starrt. Ja, das ist Afrika! Das ist die mordende Sonne, der weiße Staub, das Tote, Mumienhafte, das von der Sahara herübergrinst. Diese erloschenen Augen sind mir eine Qual.

Ich zwang die Herren, die dies Bettelgesindel belustigte, schleunigst weiterzugehen. Jedoch das Gesindel folgte uns, an dem maurischen Kursaal vorbei, wo die Amüsements des Cercle – Baccarat und die Petits Chevaux – sich allabendlich ablösen sollen; an einem Sattelplatz der Kamele vorüber, wo die schmutzstarrenden Tiere stumpfsinnig gelagert wiederkäuen, bis zu dem arabischen Friedhof, der der seltsamste Friedhof der Welt mir scheint. Kein Grabhügel, kein Grün, nichts als dürres, braunes Brachfeld, auf dem wie hingestreut Feldsteine liegen; unter dreien schlummert jedesmal ein Mann, nur ein einziger lastet auf der Frau (es kann aber auch umgekehrt sein). In einer Ecke ein plumper gelber Riesenzuckerhut, das Grabmal eines Marabut, wie sie ihre Heiligen hierzulande nennen (nach Bloomes Erklärung hat Marabut so oder so etwas mit einem Vogel zu tun: entweder man ist einer oder man hat einen, und jeder Heilige hat einen). Links von dem Friedhof auf sandiger Landstraße die rostigen Pferdebahnschienen und rechts daran gelehnt die Lehmmauer des Palmenwaldes.

Der Palmenwald! Auch den habe ich mir anders gedacht und wie wunderbar es sein müsse, unter wirklichen Palmen zu lustwandeln und zu träumen . . . In Biskras Palmenwalde wandelt man weder lust noch träumt man. Da zieht zwischen hohen Lehmmauern eine breite, staubige Straße. Und die starren, schönen Palmenstämme recken sich drüben und hüben in die Höhe, die mächtigen Kronen rascheln, grüßen. Die Straße entlang murmelt ein kleines, rasches, trübes Rinnsal, wohl der Lebensquell der Oase. Und die Mittagssonne glüht, und die Lehmmauern bröckeln, und die Palmenkronen nicken, flüstern ganz leise, ganz sacht. Die Straße windet sich weiter, holprig, staubig. Es duftet köstlich nach heißem Orient und riecht unerträglich nach dumpfigem Schmutz. Zuweilen klafft eine Lücke in der Mauer. Man tritt neugierig hinein und sieht nur Palmenstämme und wieder Palmenstämme in sorgfältigen Abständen, jeder umfriedet mit einem kleinen Wall, in den sie das kostbare Wasser leiten –, und dazwischen die ewigen Lehmmauern, aufsteigend, absteigend, aber bröckelnd alle. Oder diese Lehmmauer verwandelt sich plötzlich in ein Lehmhaus ohne Fenster, die niedere Türöffnung mit rohen Palmholzscheiten gestützt. Und was man in der halbdunkeln Höhle sieht – ein unglücklicher Esel, der kaut, ein altes schwarzes Araberweib, die Augen erloschen, doch die Fingernägel noch mit rotem Henna beschmiert. Hier und da kann man wohl auch durchsehen bis in den verwahrlosten Oasengarten hinein, und man sehnt sich nicht mehr nach solchem Oasenidyll. Denn da gibt's nur Schutthaufen und Unrat und erbärmliches Getier und noch erbärmlichere Menschen – und von seiner Lehmzinne bellt heiser eine dürre gelbe Bestie von Hund, nach vorn überbaut und die Zähne fletschend wie eine Hyäne. – Ich habe Hunde so gern! Das jedoch ist das Zerrbild eines Hundes . . . Meine guten Terriers, was werden sie sich bangen nach mir, und wie werden sie sich freuen, wenn ich wiederkomme!

Von dem weißen Kater, der leicht pikiert und stets exklusiv ist, habe ich nichts. Es war eine große Torheit, ihn mitzunehmen: Peter mag ihn nun einmal nicht, und ich mache mich lächerlich. Es war wohl wieder die reine Oppositionslust. Was andre nicht tun dürfen, das kann ich eben tun . . . Ach, wenn ich doch wenigstens so wäre! Aber gesellschaftlich so feige, so eitel, so sehr Sklavin – bereit, allen Rechenschaft zu geben, nur nicht mir selbst . . . Und hier in der Fremde, in der Wüste, wo ich deutlich fühle, daß man mit eignen Ohren hören muß, um zu hören, mit eignen Augen sehen muß, um zu sehen, fühle ich, wie schwer das unsereinem fällt, der immer nur durch andrer Sinne empfunden hat. Ja, so ein Alltagsempfinden! . . . Und dieser Bloome ist auch so ein alltäglicher Führer. Er witzelt und witzelt, läßt dieser ganzen Oase nicht einen Schimmer von Poesie. Peter lacht und ich lache auch, aber ich ärgere mich.

Zu guter Letzt verliefen wir uns denn auch zwischen den Lehmmauern und standen plötzlich am Ende. Die großen Palmenblätter hingen herüber, herrliche Palmenblätter, aber das half uns nicht aus dem Sack. Und erst ein alter, ausgedörrter Araber, der uns würdevoll durch seine Hütte geleitete und ebenso würdevoll jeden klingenden Dank ablehnte, brachte uns wieder auf unsre Straße.

«Sehen Sie, das haben Sie vom Witzeln!« sagte ich. »In einer Oase sich verlaufen? Schämen Sie sich doch was, Graf!«

»Aber man verläuft sich gerade in Oasen, Baronin! Sie werden das auch noch tun, und mit aller Ueberlegung. Denn dies Biskra ist ein Phantom, wie der ganze Orient; von weitem wundervoll, in der Nähe scheußlich. Und Sie werden mir noch oft im Herzen danken, wenn Sie wieder in eine Sackgasse geraten, die Ihnen den faulen Kern des Morgenlandes gnädig verbarrikadiert. Eine Oase ist Schmutz, und die Dattelpalme der langweiligste aller Waldbäume.« Nach meinen bisherigen Erfahrungen hätte ich das einfach unterschreiben sollen. Bloome lacht gutmütig und Peter lacht kritisch, und sie haben beide kein Recht dazu! Peter ist nach Afrika gegangen, weil er Mufflons und Gazellen schießen will und weil ich mir nicht die Cour machen lassen soll, und Bloome ist nach Afrika gegangen ausschließlich wegen Schulden. Was verstehen die beiden von fremder Natur und fremder Eigenart? – Die bringen ihre Eigenart überallhin mit und denken, sie sei das einzig Richtige. Ich sagte das Bloome auch, und es war recht häßlich, daß ich es sagte, weil er arm ist und doch immer der gutmütig Gebende: »Ja, Graf, solche Oase verlangt am Ende einen andern Führer, wie Sie es sein können, der . . .«

Er ist urplötzlich ernst geworden: »Nicht weiter, Baronin! Ich weiß, was kommen soll: ›der jedenfalls ein besserer Führer durch Berlins Nachtlokale ist als durch die Sahara, und trotz aller Schauspielerei der richtige Tagedieb, der richtige Graf!‹ Das stimmt leider, aber . . .«

»Aber,« wiederhole ich.

Da ist er schon wieder lustig geworden: »Dieses ›Aber‹ existiert. Und wozu soll man ein ›Aber‹ erklären? Sie würden mir's ja doch nicht glauben! . . . Jedenfalls, gnädigste Frau, verlangen Sie mehr, als ich Ihnen geben kann. Aber was der Mensch braucht, das muß er haben! Sie sollen als Führer jemand zur Verfügung gestellt bekommen, der die Wüste kennt und liebt, der sie belauscht hat wie kein zweiter. Der wird Ihnen hoffentlich genügen, wenn nicht, dann genügt Ihnen überhaupt keiner.«

»Und wann werde ich den Vorzug haben?« fragte ich etwas ungläubig.

»Das wird sich binnen fünf Minuten entscheiden. Apropos, das war Alt-Biskra, und das dürfte hier wieder Neu-Biskra sein.«

Im Hotelflur stand, als wir zurückkehrten, ein Araber, der mir bekannt vorkam. Groß, beinahe schwarzgebrannt, aber mit wunderschönen Augen. Er sah aus wie ein vornehmer Wüstenscheich, und wie ein solcher grüßte er auch, höflich lächelnd, jedoch mit orientalischer Zurückhaltung. Bloome ging sofort auf ihn zu. Sie sprachen Arabisch miteinander. Und wir beiden kamen uns wieder recht kleinbürgerlich vor.,

«Ihr Führer kommt, Gnädigste!« sagte der Graf.

«Das ist er doch nicht etwa selbst?« antwortete ich voll Angst und Ehrfurcht zugleich.

»O nein. Der hier spricht nur Arabisch und ist nur der Diener seines Herrn. Früher Kameltreiber, aber ein interessanter, denn er hat als solcher schon zweimal die Pilgerfahrt nach Mekka mitgemacht. Daher die Würde. Die haben übrigens diese sogenannten Wüstensöhne alle. Und ahnen Sie ungefähr, was dieser Kameltreiber in diesem Augenblicke denkt? Er denkt: »Ihr Christenhunde! Ich möchte euch allen den Hals abschneiden, bis auf meinen Herrn, dem darf ich's aber nicht, denn er spricht ein so wundervolles Arabisch, wie höchstens noch der Padischah in Stambul und der Khedive in Masr, und die sind doch die besten Söhne des Propheten.‹«


Wir hatten Bloome natürlich zu Tisch dabehalten, aber nicht in unserm Hotel, sondern in Dardiaf, was arabisch klingt, aber französisch schmeckt. Es ist nämlich das Kurhaus selbst.

Ich war sehr liebenswürdig gegen Bloome, weil das so in meiner unberechenbaren Natur liegt, die Leute oft zu kränken und doch eigentlich nie kränken zu wollen. Sofort meldet sich das Gewissen, und das ist Menschen gegenüber, die ich irgendwie bemitleiden zu sollen glaube, sehr empfindlich. Ich weiß nicht, ob Peter das tragisch nahm, ich weiß nur, daß Bloome dankbar war. Aber es ist die alte Geschichte: Gefallen soll ich allen, namentlich dem alten Obersten: aber gefallen darf mir keiner, nicht mal der alte Oberst . . . Jedenfalls wurde Bloome nicht zum Nachmittags -Bärenführer befohlen. Peter tat, als wenn ich furchtbar angegriffen wäre und durchaus ins Hotel müßte und schlafen. Ich kenne das lange Gesicht meines Gatten ganz genau, wenn ihm jemand über ist.

Und kaum waren wir im Salon, da ging's auch gleich los. Ich möchte mich doch, bitte, im Verkehr mit Herren menagieren, namentlich mit Herren, von denen man niemals wissen könne, ob sie überhaupt noch grüßbar seien.

»Und wir gehen zum Souper eines solchen Herrn?« gab ich achselzuckend zurück.

»Allerdings, liebe Josefa, weil ich dein und mein Kuvert selbstverständlich bezahlen werde und weil ich in bezug auf die Gesellschaft, die er uns präsentieren wird, wissen möchte, wie weit er noch gesellschaftlich intakt ist und wie weit nicht. Denn hier wird man ihn nur brüsk oder gar nicht los.«

»Aber wenn der Mensch ahnte!«

»Er braucht ja gar nicht zu ahnen.«

»Weißt du, wie das gehandelt ist? Unfair, unfair im höchsten Grade!«

»Nein, lieber Schatz, meiner Ansicht nach nur vernünftig.«

»Dann gehe ich auf keinen Fall zu dem Souper, Peter.«

»Ich dann auch nicht, Josefa. Mir liegt sehr wenig an diesem Souper.«

Ich zuckte wie gewöhnlich die Achsel: »Eifersucht, weiter nichts als Eifersucht!«

»Ja, meinetwegen Eifersucht, liebes Kind . . . Wenn du dich anders gäbst, brauchte ich es nicht zu sein.«

»Ach so . . .«

»Ach so!«

Ich ließ ihm das letzte Wort. Ich lasse es ihm eigentlich immer. Ich gehöre nun einmal nicht zu den Frauen, die sich in leidenschaftlicher Verteidigung verausgaben, nicht weil ich mich nicht verteidigen könnte, sondern weil ich mich nicht verteidigen will. Was nützen Reden, Szenen? – Die Zweige eines Baumes kann man wohl zusammenbiegen, die Aeste wachsen unerbittlich auseinander.

Ich ging gleich darauf in mein Schlafzimmer. Und nie im Leben war ich eigentlich so von Herzen froh darüber, daß unsre beiden intimsten Gemächer immer der Salon trennt . . . Peter klopfte natürlich fünf Minuten später, weil er viel zu verständig ist, um ein Unrecht nicht rasch einzusehen, und viel zu gut erzogen, um eine gekränkte Frau nicht um Verzeihung zu bitten.

»Josefa, wenn du dich ein klein wenig anders gäbst!«

»Ja, Peter, wenn ich dich nur ein klein wenig mehr . . .« Den Rest verschluckte ich. Ich habe ihm natürlich vergeben, von Herzen vergeben.

Aber als er endlich wieder gegangen war, da habe ich die Tür hinter ihm verschlossen und verriegelt – aber leise, feige, die echte Frau. Und dann mich auf die Chaiselongue geworfen und, das Taschentuch wie einen Knebel im Munde, gemurmelt, damit es nur ja niemand hörte: »Ja, Peter, wenn ich dich nur ein klein wenig mehr – lieb hätte!«

So steht's, und das habe ich ihm eigentlich sagen wollen. Aber es ist eine schreckliche Wahrheit, und jetzt, wo ich allein bin, wage ich sie nur zu flüstern, so schrecklich ist sie.

Heute schreibe ich sie nieder. Und wenn's das Schicksal will, so mag er sie lesen dermaleinst nach meinem Tode. Ich kann nicht anders, ich bin des Versteckenspielens vor mir selber satt . . . Mama hat mich beschworen, nie und niemals auch nur solche Gedanken zu denken – und ich habe gegen diesen Gedanken gekämpft. Und so oft er auch bei mir anklopfte, ich habe ihn immer fortgewiesen. Und er ist doch wiedergekommen. Immer öfter, immer stärker, und einmal muß man seinem Schicksal ins Auge sehen! . . . Ich werde diesen Gedanken nie zur Tat werden lassen, nie. Ich werde Peter treu bleiben, wie ich ihm treu gewesen bin, ich hab's ja vor Gott gelobt. Aber ich weiß auch, warum ich dieses Flatterleben führe, warum ich's führen muß . . . Ich wundere mich, daß ich mir gerade den heutigen Tag, die heutige Szene zu dieser Seelenbeichte aussuchte.

Nein, Peter und ich passen nicht zusammen! Wir sind, soweit ich mich wenigstens beurteilen kann, innerlich anständige Menschen, die den geraden Weg gehen möchten, weil's ihr Weg ist. Der eine von uns ist vielleicht ein wenig zu warm, der andre ein wenig zu kühl, aber das soll sich so gut ausgleichen, wenn's paßt. Nicht, wie's in Büchern steht, daß der eine schlecht, der andre gut, – du lieber Gott, von uns beiden ist keiner schlecht! – nein, daß die beiden Menschen nicht zueinander passen, das macht die unglücklichen oder die gleichgültigen Ehen, je nach dem Temperament. Und weil wir nun einmal nicht zueinander passen trotz Sport, trotz Vornehmheit, trotz Eleganz, darum liegen auch zwischen uns nur Kleinigkeiten, Lappalien, die lächerlichen Risse, über die jede Woge hüben und drüben hinüberschäumen muß. Aber entweder fehlt uns diese Woge oder sie erstarrt urplötzlich vor dem Riff. Kleinigkeiten, nur Kleinigkeiten. Das ist kein ehrlicher Kampf, kein Ausleben im guten oder im bösen . . . Die Mutter sagt, in allen Ehen sei's zu Beginn nicht anders und der wahre Prüfstein für das Glück hieße: die Kinder und die Zeit. Es mag sein . . . Aber soll's sein? Ich bin weder zum Kampf geboren noch erzogen worden, und doch brandet's manchmal mächtig in mir auf, und ich frage: Hat das alles einen Sinn? Kann's einen Sinn haben? Wo kein Kampf ist, ist auch keine Leidenschaft. Und wo keine Leidenschaft ist, da ist auch kein Glück . . . Und in solchen Momenten des Aufruhrs läßt mich ein Gefühl nicht: mir ist's, als müßte ich mich hinwerfen und Gott im Staube liegend inbrünstig anflehn, für mich und für ihn, für diese Scheinehe überhaupt, daß sich zwischen uns beide Menschenkinder etwas Großes stellen möge, etwas, des Kampfes und unsrer selbst wert.

Ich habe ja nichts gegen ihn, ich quäle mich ja nicht um einen andern Mann, und wenn ich meinen toten Jungen Viktor Robert getauft habe, so war's ein letztes Valet an einen Kindertraum; meine Mutter weiß es, und sie weiß auch, daß es ein Valet an einen Freund, nicht an einen Geliebten sein sollte . . . Und gerade seit dem Tode dieses Kindes komme ich nicht davon los, daß es einmal aufhören muß mit dem kleinen Streit und der kleinen Liebe, daß eine im Grunde tief leidenschaftliche Natur wie ich sich nicht ausleben kann in einem Goldfischteich. Mich gelüstet nach Strom und Meer . . . Und wenn wir dann ehrlich ringen füreinander, gegeneinander, was weiß ich! aber um etwas Ganzes, Großes, um uns selbst, dann erst werden wir erkennen, wer wir sind und was wir sind, und werden uns bis zum Tod lieben oder bis über den Tod hinaus hassen, was weiß ich!

Wenn meine Mutter hier wäre, sie würde diese Gedanken schon längst erstickt haben mit Küssen, mit Tränen. Die gute, gute Mutter! Sie will mich hinwegtäuschen über die Kluft, und sie täuscht mich auch hinweg, und ich werde wohl älter, aber nicht glücklicher dabei . . . Und das zweite Kind, das sie von allen Himmeln erfleht, – wenn ich ehrlich bin, möchte ich's eigentlich? Möchte ich's wenigstens schon jetzt? Ich will kein Durchschnittskind, ich will in den Augen des geliebtesten Geschöpfes nicht die eigne Mittelmäßigkeit wiedersehen . . . Das klingt so vermessen . . . Und am Ende, welche Frau möchte nicht doch ein Kind, und hätte es doch lieb, wie's auch sei? Denn sobald meiner Mutter Bild mir vorschwebt, kommt auch der warme, sanfte Hauch, der mich selbst fortträgt.

Nein, Mutter, sei nicht böse, der Hauch taugt doch nicht für mich! Denn einmal wird der Kampf kommen, das weiß ich. Und findet er mich, wie ich jetzt bin, so muß ich in diesem Kampfe untergehen, das weiß ich auch . . . Nein, ich will kein Kind . . . Jetzt nicht!

Wie ich die letzten Zeilen noch einmal durchlese, da merke ich erst, auf wie schwankem Boden ich steht und auf wie schwachen Füßen ich wandle. Ich habe geheiratet aus Liebe, die nicht wuchs, ich habe ein Kind gehabt, das nicht lebte. – Was werden die vielen Jahre noch in dieser Ehe bringen, die keine Ehe ist? Ich kann's nicht wissen . . . Und wenn heute, wenn morgen schon die große Versuchung an mich heranträte, der große Kampf . . . Bin ich gewappnet? Nein. Ich sollte die Hände falten und beten: »Herr, mach's gnädig mit mir in der Not!« Und ich falte die Hände und sage: »Gott gib mir Kraft, den Kampf zu bestehen!«

Den Rest des Tages und den folgenden blieb ich zu Hause, und zwar zu Bett. Peter kennt mich – jeder Mensch ist mir bei trüben Stimmungen ein Greuel – und kam nur, um mir gute Nacht zu wünschen.

Und es wurde auch eine gute Nacht, wenigstens die letzte. Morgen ist ja mein Geburtstag!

Wo er das Blumenarrangement aufgetrieben hat, weiß ich nicht. Jedenfalls durchduftete es am Geburtstagsmorgen den ganzen Salon. Rosen, nur Rosen. Darunter ein langer, langer Brief von Mama und von Peter ein brauner Lappen. Wir haben's immer so gehalten in den letzten Jahren der Ehe: ich schenke ihm irgendeinen Unsinn und er mir Geld. Es ist eigentlich höchst prosaisch. Dabei lasse ich mich gern überraschen und überrasche eigentlich noch lieber, aber so liebe Torheiten, über die ich mich freuen, kindisch freuen würde, findet er nun einmal nicht heraus, und ich finde auch nichts Passendes für ihn. Wahrscheinlich weil wir schon alles haben, wir sind ja so reich! Und reiche Leute verstehen, obgleich's widersinnig klingt, sich auf wirkliche Liebesgaben nun einmal nicht so wie die Armen . . . Tausend Mark diesmal. Das ist wirklich zu viel! Wir könnten allerdings über Paris zurückkehren, und ich könnte mir ein Frühjahrskostüm machen lassen bei Worth. Aber so sehr ich den Luxus liebe, als Geburtstagsgeschenk täte er selbst mir verwöhntem Geschöpfe weh . . . Am liebsten möchte ich die ganze Summe einem wirklichen Armen schenken, einem, der sich darüber nicht halb, sondern ganz tot freut . . . Ein Mensch, der vor Freude stirbt, es klingt ja frivol. Aber es muß doch der schönste Tod sein, und ich möchte ihn mal sterben! Nun hat man tausend Mark und kann sie mit gutem Gewissen ausgeben, und möchte es so brennend gerne, nur der betreffende Arme fehlt, der sich mir zu Gefallen tot freut . . . Ich möcht's Bloome schicken, der es natürlich nie nähme, das heißt als tödlichste Beleidigung, oder wenn er's doch nähme, so beleidigte das wieder mein Gefühl tödlich, und wenn wir beide uns über die Empfindlichkeiten hinwegsetzten, so wäre das unfehlbare Geschick dieses Geburtstagsgeschenks, auf der Stelle verjeut zu werden. Es ist beinah ebenso schwer für die Reichen, einen passenden Armen, als für die Armen, einen passenden Reichen zu finden . . . Im Leben ist eben alles halb.

Mama hatte wieder einen ihrer schönen Geburtstagsbriefe geschrieben, die mich immer bis zu Tränen rühren durch ihre Engelsgüte und ihr herzliches Verstehen. Wenn ich nicht wüßte, wie fleckenlos rein das Leben dieser ewig jungen alten Frau stets gewesen ist, so möchte ich manchmal glauben, als sei diese sanfte Klarheit ihres ganzen Wesens auch das Resultat schwerer, schwerer Kämpfe, die sie dennoch leicht bestand, weil sich in dieser geschlossenen Natur die Disharmonien ja in Harmonien auflösen müssen. – Jedenfalls bin ich wieder in mich gegangen, ernstlich; ganz ernstlich, und habe mein Inneres kasteit, weil es wankelmütig, treulos, ungerecht ist. Ich habe mich bei dieser Selbstkasteiung wohl etwas schlechter gemacht als ich bin – das tut aber nichts. Dafür habe ich jetzt die Empfindung, daß so frevelhafte Gedankensprünge wie gestern sich nie mehr wiederholen werden, weil ich mich bezwungen habe im demütigen Gebet. – Ich habe so oft und so inbrünstig gebetet, wie es das Muttererbteil mir mitgab, und bin doch nie so recht frei geworden im Gebet, weil mir in letzter Sekunde immer ein hämischer Teufel zuzischelt, daß Gebete Gebete seien und Sünden Sünden – und daß die Gebete die Sünden ablösten und die Sünden die Gebete. – Diesen Geburtstag bin ich zum erstenmal wirklich in der Fremde und gestern habe ich zum erstenmal am Heiligsten gesündigt – und jetzt nach dem Gebet denke ich, daß alles gut werden muß – alles . . . Ich bin heute so wundervoll froh und fest.

Ich machte mit Peter am Nachmittage nur einen kleinen Spaziergang. Ziel der Kursaal. Und während wir beide sehr geburtstäglich auf der Terrasse unsern türkischen Kaffee tranken, da sah ich eigentlich weder Wüste noch Oase vor mir – ich sah in mich hinein und gelobte mir feierlich, daß ich Peter immer lieb haben würde, wie ich ihn ja auch immer lieb gehabt hätte, und daß Herzenskämpfe wie gestern nur dazu da wären, daß man sie besteht. Und ich habe ihn ja auch lieb, ich habe ihn wirklich lieb!

Sechsundzwanzig Jahre! Zweimal dreizehn macht sechsundzwanzig. Da sieht man mal wieder, daß die bösen Zahlen sich gegenseitig aufheben. Dreizehn ist böse, zweimal dreizehn am besten!

Ich schreibe noch schnell diese Zeilen, weil ich mich gleich zu dem Bloomeschen Souper umziehen muß. Denn wenn mir etwas passierte, und Peter läse von seiner schlechten Frau nur das Häßliche und nicht von der guten hinterher auch das Hübsche . . . Es wird mir natürlich nichts passieren! Aber sechsundzwanzig durch zwei macht dreizehn! Und wenn Gott den Schaden besieht, könnte der Teufel mein ganzes schönes Exempel von vorhin auch umdrehen, wie ich's jetzt tue, und diktierte mir an meinem Geburtstag nur das doppelte Unglück zu.

Wenn andre an Ahnungen leiden, ich leide nicht daran.

Dieses Souper findet nun doch in unserm Hotel statt, und zwar in dem kleinen Zimmer neben dem Speisesaal.

Als mein Mann und ich militärisch pünktlich herunterkamen, ich in Crêpe-de-Chine mattweiß ohne jeden Schmuck, wie ich's jetzt am liebsten mag, Peter in Zivil-Gala, zum Scherz das Band des »Mecklenburgers« im Knopfloch, stand wieder der hohe, düstere Araber im Flur. Er grüßte leicht, eigentlich nur mit den Augen. Hier im Abendlichte erkannte ich ihn sofort wieder. Es muß derselbe Araber sein, der mich den ersten Abend mit seinem weißen Burnus und seinen gleißenden Augen fast erschreckte. Wir mußten durch das Table d'hote-Zimmer gehen, wo sich die andern Herrschaften gerade versammelten. Viel erstaunte Blicke, ein einziger bewundernder, der letztere vom Rittmeister Meyer. In dem kleinen Zimmer vorläufig nur Bloome, etwas feierlich, etwas aufgeregt, der bon camarade, an dem alles echt ist, vor allem der Leichtsinn. Reizend mit Blumen arrangierte Tafel, nur ein wenig zu viel von den gelben, feinen, duftenden Mimosen. Vor jedem Kuvert eine Rose, eine dunkelrote knospende, als wenn's alles heiße Herzen wären, die sich hier in der Wüste ein Rendezvous geben sollten. Ich sah Peter an und tippte auf die zwei blassen, taufrischen Rosenknospen auf meiner Schulter, sie sind auch sein Geburtstagsgeschenk. Er verstand und machte einen galanten Versuch, diese Knospen zu küssen. Ich wich aus. Bräutigamszärtlichkeiten vor dritten wirken leicht komisch. Aber ich hielt ihm gleich darauf wie reuig die Lippen hin, die er auch herzlich küßte. Bloome schloß schämig die Augen und markierte, die Hände als Flügel auf dem Rücken, einen bildhäßlichen Amor.

»Geburtstag, lieber Graf! Sie dürfen gratulieren.« Und ich reichte ihm die Hand zum Kuß herüber.

Er gratulierte mir aufrichtig und pries das Glück, das er in keiner Beziehung im Spiel, in irgendeiner Beziehung bei Frauen aber stets hätte. Wahrscheinlich würde er durch weitere Spöttereien noch allerhöchsten Unwillen erregt haben, wenn nicht im Table d'hote-Zimmer plötzlich ein freudiges Stuhlrücken entstanden wäre. Der gute Graf warf sich in Positur: »Achtung! sie kommen.« – Die zu erwartenden Herrschaften mußten aber mit den Afrikanern drin beinah ebenso eng liiert sein, denn ich hörte verschiedene Male: »Nein, das ist ja famos, daß man Sie mal wiedersieht!« – »Aber nun bleiben Sie wenigstens ein paar Wochen.« Wir sahen schräg im Spiegel verschiedene Schatten herumtanzen, zwei außerdem abseits stehen. Die freudige Table d'hote-Erregung galt also nur einer Person.

»Na, nu laßt ihn aber endlich los!« knurrte Bloome.

Darauf wie als Antwort aus dem Saal: »Pardon, ich komme später, noch einmal. Vorläufig muß ich da hinein.« – Die Stimme kenne ich.

Die hohen Herrschaften treten ein. Mir entfällt nicht etwa die Feder. Es sind – Graf und Gräfin Quedenberg und Herr Rin. Wir waren allerdings sämtlich nicht wenig verwundert, jeder ahnungslos, der Gastgeber am meisten. Jedenfalls war es eine gelungene Ueberraschung. Ob sie allen gefiel, weiß ich nicht.

Als die Anstandsbegrüßungen und die Freundschaftsküsse vorüber, sagte Bloome, der immer 'nen dummen Schnack machen muß, so echt berlinisch: »Na, Jrafen und Jräfinnen wären wir ja jrade jenug! – Herr Rin, bitte an den rechten Flügel. Lasowitz ins zweite Jlied! Sie sind ja man bloß Freiherr.«

Peter sah sich den kleinen Mann innerlich etwas achselzuckend an. Mir schien's nur provozierend dem einzigen Bürgerlichen gegenüber.

Das Souper war exquisit, brillant serviert, brillant gegessen; die Riesenimporten zum Nachtisch eine Anstandspille für Lasowitzens. Ich rauche ja nie, aber Jeanette paffte eine Zigarette, die Herr Rin aus seiner eignen Tuladose wickelte. Die Tuladose kenne ich noch, auch die eigentümliche Handbewegung, – er wickelte immer nur mit einer Hand . . . Wir saßen auch eigentümlich arrangiert. Auf der einen Seite der Tafel: Gräfin Quedenberg, flankiert von Herrn Rin und Peter; ihr gegenüber meine Wenigkeit, zwischen Bloome und Quedenberg. Wir hätten uns gegenseitig über und über zu erzählen gehabt, jedoch ich kann nicht behaupten, daß ich mich besonders unterhalten hätte. Bis zum Gazellenrücken und zum Sekt nur Floskeln, lauwarme Floskeln, so sehr sich auch der gute Gastgeber mühte. Das liegt nur an uns beiden Frauen, die wir uns in der Zwischenzeit entweder so fremd geworden sind, oder so viel andres erlebt haben, daß der Vorname, mit dem wir uns anreden, wie eine Reminiszenz aus der allerfrühesten Kindheit klingt. Jeanette hat sich nicht eine Spur verändert. So blasse Blondinen sind nie jung und werden nie alt: Aber dies scharfe hartglänzende Blauauge sehe ich mit Bewußtsein heut zum ersten Male. – Ich kann mich äußerlich auch nur wenig geändert haben, bis auf das Auge, das früher zu wissen wähnte und heut natürlich weiß. Jeanette ist zweiunddreißig, ich bin sechsundzwanzig Jahre, – wir sind beide Frauen.

Als die erste Mumm diskret knallte, hob sich denn auch die Stimmung. Quedenberg und mein Mann, die von ihren beiderseitigen Damen etwas kaltgestellt waren, rächten sich durch eine Jagdunterhaltung. Demnach sind Quedenbergs schon Monate in Algier, haben das Tell und die Kabylie durchstreift, immer mit Herrn Rin, der diese Gegenden ja wohl kennen muß. Sie waren jetzt im Begriff, von El-Kantara aus tiefer in die Wüste vorzudringen, als sie ein Telegramm Bloomes erreichte. Es galt nur unserm Souper. Und da Graf Bloome und Herr Rin dicke Freunde sind, wechselte man den Plan und will später von hier aus die letzten französischen Oasen erreichen. Wir wären uns also wahrscheinlich nie mehr im Leben begegnet, wenn nicht Bloome und seine törichte Wette gewesen wären. Peter möchte offenbar sehr gern mitreisen, und wenn noch irgendeine Wolke über der Expedition liegen sollte, so ist es höchstens die gräflich Quedenbergsche Befürchtung, daß unter dem Zeltleben die Nageltoilette leiden könnte. Ob sonst alle von der Partie sein werden, weiß ich nicht. Ich werde sie auf keinen Fall mitmachen!

Bloome tat ich übrigens vorhin unrecht. Er unterhielt mich sehr humoristisch von ihrer letzten großen Sahara-Durchquerung: er und Herr Rin, die einzigen Europäer, und da zwei volle Jahre kampiert, immer zwischen »Abgestochen- und Gebranntwerden«, wie er sich ausdrückte. »Ich meine nämlich, wenn uns die Tuaregs oder die Tubus niedergesäbelt hätten, wozu sie zuweilen die größte Lust hatten, so hätte die Wüstensonne die Bratangelegenheit sehr rasch erledigt . . . Darauf werden Sie mir antworten: ›Aber Sie hatten ja Rin‹ Ja, den hatten wir Gott sei Dank! . . . Aber der hat wieder kein Glück. Es war wie verhext! Eine Riesenenergie, ein Elan, der nie versagt, und zum Schluß klappt doch irgend etwas nicht. Pas de chance, Pas de chance, gnädige Frau! Zu viel Glück bei den Damen, obgleich er sich daraus wenig macht.« Es ist komisch, daß Afrikareisende so leicht abergläubisch sind, ich höre jetzt zum zweiten Male von einem, der alles hat, nur kein Glück. Daraufhin habe ich mir Herrn Rin noch einmal genau angesehen. So sonnenverbrannt und so sehnig war er wohl auch damals, und den Kopf würde ich überall wiedererkennen, so großgeformt ist die Stirn und so hart das Kinn. Aber die Augen hat er in der Wüste gelassen, seine warmen, grauen Augen. Heute ist's so ein kühles, ruhiges Auge, das sich immer nur halb öffnet und dem offenbar nichts mehr unerwartet kommt . . . Lächerlich, wir alle drei vom Garda sind dieselben geblieben, nur die Augen haben sich geändert, wahrscheinlich auch die Art des Sehens . . . Herr Rin hat mich noch nicht ein einziges Mal voll angesehen. Es mag ihm peinlich sein, und ich versteh's! Mein Blick sucht ihn auch nicht freiwillig. Es ist eine törichte Gêne. Denn nicht ein einziger hier kann wissen, was einmal war, wie tief ein Mann gefühlt hat für eine Frau, und wie diese Frau nur unter Tränenströmen sich hat klarmachen können, daß sie nichts andres empfand, als ein leidenschaftliches Freundschaftsgefühl für den Mann . . . Liebe gute Mutter, wenn du nicht gewesen wärst damals, die nicht duldete, daß ich in mein Unglück lief! An welches Mannes Seite ich dann heute säße, das weiß ich, an welcher Frau Seite Peter, das weiß ich wahrhaftig nicht.

Ich denke, wie's ist, so ist es gut.

Für eine ganz oberflächliche Frau mag's ja ein Hochgenuß sein, ungewollt und unter einem andern Himmel den Mann wiederzusehen, dem sie die einzige Frau auf der ganzen Erde gewesen ist. Ich hab's mir wenigstens eingebildet, daß ich's war . . . O, das ist ein Zauber, ein Zauber, dem jede gern unterliegt, die darf. Ich durfte nicht, weil ich nicht konnte! . . . Vor dieser Begegnung hätte ich Angst haben sollen – und sie hat mir nur weh getan. Sind denn die Gestalten unsrer Erinnerung nur Traumgebilde, die der scharfe Hauch der Wirklichkeit sofort zerstört? Wenn ich jetzt so den Mann und die Frau mir gegenüber ansehe, die beide sich in Afrika nur gefunden haben, weil sie sich finden wollten, da krampft sich doch in mir etwas zusammen, und ich sage bitter: »Das also war die große Liebe, und so vergißt sie!« Ich habe nicht etwa hinübergehorcht, vielleicht weil ich aus den wenigen Brocken schon begreifen mußte, wie sehr mir Jeanette Quedenberg an Geist über ist. Auch habe ich nicht Steine geworfen – weder auf die Frau, obgleich der eine flüchtige Blick, den sie beim Anstoßen wechselten, die Frau ganz gewiß richtete. Ich grolle auch nicht dem Mann, der sich nicht schämt, mir seine Geliebte zu präsentieren . . . Vielleicht tue ich den beiden unrecht, und es handelt sich nur um eine jener rein geistigen Freundschaften, die ich nicht verstehe, weil ich dem Mann, der mir seinen Geist gab, wenigstens meinen Körper geben möchte dafür.

Jedenfalls ernüchtert bin ich! Und ist's nicht zum Lachen: Auf dem Papier zitterte ich vor der großen Versuchung. – Da ist sie! Die größte, die allergrößte, – der Mann, – ich breche jetzt einen heiligen Schwur, weil er nicht mehr vonnöten, – der Mann, dessen Schatten mich nicht gelassen hat von der ersten Nacht meiner Ehe bis zu dem heutigen Tag, weil ich ihm bitter unrecht getan zu haben glaubte, ihm und mir . . . Mutter, wie danke ich dir, daß du mich bewahrt hast!

Aber ich will ja zusammenhängend erzählen: Also bei dem Toast auf die Damen gedachte Bloome meines Geburtstages, und so liebenswürdig schmeichelnd, als wäre ich innerlich und äußerlich das verführerischste Geschöpf. Es folgten die drei üblichen Hochs oder Hurras, welches letztere jetzt allein für vornehm gilt. Alle kamen natürlich zu mir besonders mit dem Sektglas, einen Glückwunsch wenigstens auf den Lippen. Selbst Jeanette Quedenberg zwang sich zu einem Judaskuß: »Ihnen, liebe Josefa, kann man zu jedem Geburtstag gratulieren. Ihr Angerns werdet nur schöner mit den Jahren!« Hohn war's nicht. Das sagt mir jeder Spiegel. – Nur Herr Rin verzichtete. Er verbeugte sich tief, fast zu tief, und sprach kein Wort . . . Ich werde wohl kaum daran sterben.

Bei dem Kaffee und den Riesenimporten ergab sich, vom Dattelkognak unterstützt, die Dinerstimmung.

Jeanette setzte sich zu mir und erzählte . . . Ja, was erzählte sie mir eigentlich?

Graf Quedenberg setzte sich zu mir und erzählte . . . Ja, was erzählte er eigentlich? Doch ich erinnere mich. Er erzählte mir, daß Robert Rin ein famoser Kerl sei und ein Freund, und daß die interessanteste Ausbeute jener zweijährigen Wüstenexpedition eigentlich eine neue Tamariskenabart sei, von ihrem Entdecker nach seiner Frau benannt. Nun hätte ich ja Jeanette meinerseits gratulieren können. Ich tat's nicht, es war mir zu gewöhnlich.

Und Bloome setzte sich zu mir und erzählte . . . Er hat nicht zu viel, aber hat viel getrunken. Und da manche Herren nach Diners immer verliebt sind, konnte er sich gar nicht genug tun in allerdings harmlosen Elogen. Er eiferte gegen Peter, der ein unverantwortlicher Glückspilz sei, und das als Kadett, beim Regiment, am allermeisten aber bei seiner Frau bewiesen habe. Da gab ich ihm einen leichten Schlag mit dem Handschuh und drohte ernstlich, ihn ins Bett zu schicken.

Später saßen wir noch mit den andern Afrikanern in der Galerie vor dem Speisesaal zusammen. Ich hörte berühmte Namen, sah alltägliche Gesichter. Herr Rin mitten unter ihnen, beinah gefeiert, aber eisig reserviert. Körperlich überragt er sie alle, auch seine Stirn herrschte. Was ich ihm lassen muß, lasse ich ihm. Als sich eine der wissenschaftlichen Afrika-Unterhaltungen entwickelte, die mich einschüchtern, weil ich sie nicht verstehe, da ruhte unausgesetzt ein Frauenauge auf einem Mann, so daß die junge Frau des Rittmeisters mich bescheiden fragte, ob die blaßblonde Dame in Hellgrau Foulard die Gräfin Rhyn sei. Ich antwortete ihr darauf, es gäbe weder einen Grafen, noch eine Gräfin Rhyn, der Herr, der eben spräche, hieße einfach Robert Rin. Sie entschuldigte sich verlegen wegen des Irrtums und nannte mich bei der Gelegenheit Frau Gräfin. Ich fühle beinah die Versuchung, dieses leidlich hübsche Gesellschaftsgänschen zu chaperonieren. Herr Rin ritt noch dieselbe Nacht nach El-Kantara zurück.

Wir gingen alle mit vor die Hoteltür, wo der arabische Diener gelassen am Bug eines knochigen Maultiers lehnte: »So allein durch die Wüste?« sagte die junge Frau ängstlich und schmiegte sich an ihren Mann. Herr Rin drehte sich lachend um: »Die Wüste ist niemals schöner, als wenn man mutterseelenallein ist.« Er saß auf und grüßte, während das Maultier in einen schnellen Paßgang fiel. Drüben über dem gespenstisch starren Felsengürtel kroch ein bleicher, schmaler Mond. Es schimmerte alles fahl, tot, einen Augenblick war's mir, als ständen wir inmitten eines erloschenen Riesenvulkans. Ich schaute lange. Es war eisig kalt, und die andern traten fröstelnd in den Flur zurück. Mich hielt das Bild voll wundervoller Oede gefangen. Ich glaubte allein zu sein, aber als ich mich umwandte, stand im Türschatten Jeanette Quedenberg und horchte, wie in der dünnen Luft der klappernde Hufschlag allmählich verklang. Wir gingen aneinander vorüber, ohne ein Wort.

Wir gaben Bloome und Quedenbergs noch ein großes Stück das Geleit bis zum Hotel Royal. Wir sind eben höfliche Leute, und ich bemühe mich besonders, es zu sein.

Auf dem Nachhausewege sagte Peter: »Du, die Quedenberg macht's 'n bißchen toll!«

»Wieso?«

»Na, wer nicht zufällig blind geboren ist! Die Liebelei ist jedenfalls im besten Gange.«

»Das kommt dir wohl nur so vor, Peter.«

»Mir nicht und den andern auch nicht, und wenn Quedenberg seine Tischkarte mit den Riesenantilopenhörnern nicht begriffen hat, so kann Bloome jedenfalls nicht dafür, der sie extra ausgesucht hat. Uebrigens – der Rin ist doch'n vornehmer Kerl! Gefällt mir außerordentlich.«

»Und ich glaube, Peter, daß er mit dir nicht zwei Worte gesprochen hat.«

»Is ja auch nicht nötig! Außer mit deiner Jeanette hat er ja überhaupt nur das Allernötigste gesprochen. Ueberhaupt kolossal reservierter Mensch. Aber, was er sagt, hat alles Hand und Fuß, und da gibt's gar keine Debatte . . . Wenn ich mir so dagegen den Poiaz, den Bloome, bedenke! Hast du gehört, sagt immer vorschriftsmäßig, ›Herr Rin‹, und der antwortet immer bloß kameradschaftlich ›lieber Bloome‹. Die acht Jahre älter bei Rin, die können's doch nicht machen.«

»Und was hast du eigentlich gegen Bloome?«

»Was hast du eigentlich für ihn?«

»Hat er deine Anstandsprobe bestanden, Peter?« fragte ich darauf bloß noch kurz.

»Ja, duzt sich mit Quedenberg. Und Quedenberg hält auf Exterieur bei Mensch wie bei Pferd.«

Wir blieben darauf noch eine Stunde im Salon sitzen. Er rauchte Rins Zigaretten, die ihm Quedenberg als etwas Besonderes offeriert haben muß. Sie riechen stark, und der Tabak ist dunkel . . . Mir war schließlich der Geruch unerträglich, und wir mußten das Fenster öffnen, so daß die wunderbare Wüstenluft hereinströmte. Gegen die Kühle trank darauf Peter einen Dattelkognak und noch einen Dattelkognak, und ich nippte auch einmal an seinem Glase. Aber als er die verliebten Augen bekam, ging ich. Er hat mich in solchen Momenten sicher rasend lieb. Doch in seiner Liebe klingt immer eine Saite an, die bei mir nicht widerklingt. Ich habe keine Sinne. Warum hat er sie? Während ich meine Nachttoilette machte, kam mir der ganze Tag noch einmal zurück.

Ich komme mir so deplaciert vor nach diesem Wiedersehen, fast erniedrigt. Und den Mann hätte ich beinah einmal geliebt! Vor einem Jahr, was sage ich, vor vierundzwanzig Stunden noch, hätte ich gezittert vor diesem Wiedersehen, jetzt fühle ich mich nur unsagbar ernüchtert. Meinetwegen mag er wiederkommen, so oft er will! Jedoch ich fühle mich nicht freier, nur leerer nach dieser Erfahrung. Also Jeanette Quedenberg ist endlich die richtige! Dem alten Schwätzer in Monte Carlo habe ich doch bitter unrecht getan. Ich wünsche den beiden Liebenden von Herzen Glück.


Heute habe ich Peter eine interessante Mitteilung machen können, er jedenfalls war einfach paff:

Herr Rin heißt nämlich in Wahrheit: Robert Graf zu Rhyn!

Bloome hat's mir verraten und gleich dazu, daß diese uralte und vornehme Gräflichkeit dem Träger vollkommen gleichgültig ist. Ich wollte es anfangs nicht glauben, aber die berühmten Afrikaner bestätigten es mir sämtlich. Und jetzt weiß ich auch, warum mir der Name Bloome sofort unsympathisch war. Er erinnerte mich an meine Gardazeit, und speziell an die Toscolaner Schlucht. Ich empfand es fast wie einen Nadelstich, als mir dieser gute Bloome sehr lebhaft erklärte: »Ich habe doch schon vor sechs Jahren in Windhuk eine Woche lang Tag und Nacht mit ihm durchgekneipt, wo er mir seine Familiengeschichte haarklein auseinandergeklaubt hat: der Vater Düsseldorfer Ulan, die Mutter Genfer Patrizierin. Der Schlußrefrain: ›Auf meinen Grafen pfeife ich.‹ Warum, weiß ich nicht. Aber Rhyn gehört zu den Leuten, die sich in eine Idee festbeißen und sie nicht lassen bis zum Tod.«

Es wurde mir unbedingtes Stillschweigen auferlegt, weil der große Reisende auch ein großer Sonderling sei. Erst kam ich mir ganz dumm vor, als ich die Geschichte hörte, und dann fand ich sie eigentlich natürlich. Er hatte immer ein Recht, anders zu sein als andre . . . Ich habe mich darauf auch gefragt, ob nicht alles ganz anders geworden wäre, wenn mir damals auf Sirmione nicht Herr Rin, sondern Graf Rhyn gegenüberstand. Und ich habe mir gleich antworten können: Nein. Denn damals wenigstens gehörte er für mich zu den Menschen, die den ›Grafen‹ nicht nötig haben. Heute ist mir das eine wie das andre absolut gleichgültig.

Mir ist ein Alp von meiner Seele genommen worden an meinem Geburtstage, und manchmal wünsche ich, ich keuchte noch unter dem Alp. Es gibt eben unverbesserliche Gefangene.


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