Guy de Maupassant
Nutzlose Schönheit
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Scheidungsgrund

Der Advokat von Frau Chassel nahm das Wort:

Herr Präsident! Meine Herren Richter!

Der Fall, den ich beauftragt bin, vor Ihnen zu vertreten, gehört mehr in das Gebiet der Medizin, als in das der Rechtspflege, und es handelt sich mehr um einen pathologischen Fall, als um eine Übertretung des gemeinen Rechts. Auf den ersten Blick scheinen die Thatsachen ganz einfach zu sein.

Ein junger, sehr reicher Mann, vornehmen, idealen Geistes, hochherzig dazu, verliebt sich in ein schönes, junges Mädchen, ja mehr als schön, anbetungswürdig, liebreizend und graziös, so gut, so zärtlich als schön. Und er heiratet sie.

Eine Zeitlang ist er gegen sie voll Rücksicht und Zärtlichkeit; dann kümmert er sich weniger um sie, wird hart gegen sie und scheint eine unwiderstehliche Abneigung, einen unwiderstehlichen Ekel vor ihr zu empfinden. Eines Tages schlägt er sie sogar, nicht nur ohne Grund, sondern auch ohne Vorwand.

Ich will Ihnen garnicht, meine Herren, dies seltsame Benehmen, das wir alle nicht begreifen, näher auseinandersetzen. Ich werde Ihnen nicht das furchtbare Beieinanderleben dieser beiden Wesen und den entsetzlichen Kummer der jungen Frau ausmalen.

Es genügt mir, um Sie zu überzeugen, Ihnen ein paar Auszüge aus einem Tagebuch vorzulesen, das der arme junge Mann täglich geführt hat – der arme Irrsinnige.

Denn, meine Herren, wir stehen einem Irrsinnigen gegenüber! Und der Fall ist um so merkwürdiger, um so interessanter, als er in vieler Hinsicht an den Wahnsinn des unglücklichen Fürsten, der eben gestorben ist, des merkwürdigen Königs erinnert, der platonisch über Baiern herrschte. Ich möchte diesen Fall »den poetischen Wahnsinn« nennen.

Sie erinnern sich, was man alles von diesem seltsamen Fürsten erzählt hat. Er ließ in den wundervollsten Gegenden seines Königreichs wahre Feenschlösser errichten. Die thatsächliche Schönheit der Dinge und des Ortes genügte ihm nicht, für jene Wunderburgen erdachte er sich und erschuf er einen künstlichen Himmel, durch Theaterkünste neue Rundsichten, gemalte Wälder, Feenreiche, wo jedes Blatt an den Bäumen aus Edelsteinen bestand. Da gab es Bergzinnen und Gletscher, Steppen und sonnenverbrannte Sandwüsten. Und beim Schein des wirklichen Mondes nächtliche Seen, die von unten durch phantastischen elektrischen Schein erleuchtet wurden. Auf diesen Seen schwammen Schwäne, glitten Nachen, während ein Orchester, zusammengesetzt aus den ersten Künstlern der Welt, die Seele des königlichen Irren mit poetischen Träumen erfüllte.

Dieser Mann war keusch, unberührt, er liebte nur den Traum, seinen Traum, den göttlichen Traum.

Eines Abends nahm er in seiner Barke eine Frau, jung, schön, eine große Künstlerin, mit sich und bat sie zu singen. Sie sang, selbst begeistert durch die Wunderlandschaft, durch die Milde der Luft, durch den Blumenduft und durch die Begeisterung des jungen, schönen Fürsten.

Sie sang, wie eine Frau singt, die die Liebe berührt. Dann, ganz von Sinnen, zitternd, fiel sie dem König an die Brust und suchte seine Lippen.

Aber er warf sie in den See, nahm die Ruder, um das Ufer zu gewinnen und kümmerte sich nicht darum, ob sie gerettet würde.

Meine Herren Richter, wir befinden uns vor einem ganz ähnlichen Fall. Ich werde jetzt nur noch ein paar Stellen aus dem Tagebuch lesen, das wir in einem Fach des Schreibtisches gefunden haben:

– Wie traurig und häßlich das alles ist. Immer dasselbe, immer gräßlich. Ach, ich träume von einer schöneren Erde, verschiedener gestaltet, stolzer und vornehmer. Wenn der Gott dieser Leute wirklich lebte, wie armselig wäre er doch an Einbildungskraft, wenn er nicht andere Dinge anderwärts geschaffen hätte. Immer nur Wälder, kleine Wäldchen, Flüsse, die wie Flüsse aussehen. Ebenen, die den Ebenen ähneln. Alles ist ewig das Gleiche. Und der Mensch? Der Mensch, welch' fürchterliches Vieh ist er doch, – bösartig, ehrgeizig, widerlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Man müßte lieben, lieben bis zum Wahnsinn, aber ohne das zu sehen, was man liebt. Denn mit dem Sehen kommt die Einsicht, und mit der Einsicht die Verachtung. Man müßte lieben, indem man trunken wird vom Weibe, wie Wein uns trunken macht, so sehr, daß man nicht mehr weiß, was man trinkt. Und trinken, trinken ohne abzusetzen, ohne Atem zu holen, Tag und Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich glaube, ich habe es gefunden. In ihrem ganzen Wesen hat sie etwas Ideales, das nicht von dieser Welt ist, das meine Träume beflügelt. Ach, wie mein Traum mir die Menschenwesen anders zeigt, als sie sind. Sie ist blond, hellblond, ihr Haar ist von unaussprechlicher Färbung. Ihre Augen sind blau. Nur blaue Augen begeistern meine Seele. Die ganze Frau, die ganze Frau, wie sie vor meinem Herzen steht, sehe ich im Blick der Augen, nur im Auge.

O ein Wunder, ein Wunder ist das Auge. Das ganze Weltall spiegelt sich darin, weil es die Welt sieht und sie zurückwirft. Es enthält die ganze Erde, die Dinge, die Wesen, die Wälder, die Ozeane, Menschen und Tiere, Sonnenuntergang und Sternenglanz, Künste, alles, alles. Es sieht, erfaßt und behält alles in sich. Und noch mehr liegt in ihm: die Seele, Menschen die denken, Menschen die lieben, Menschen die lachen, Menschen die leiden. O, blickt in blaue Frauenaugen, die tief sind wie das Meer, wechselnd wie der Himmel, so süß, süß, süß, wie eine leichte Brise, süß wie Musik, süß wie Küsse, durchsichtig, so klar, daß man sehen kann, was dahinter ist, daß man die Seele sieht, die blaue Seele, die sie färbt, die sie belebt, die sie göttlich macht.

Ja, die Seele hat dieselbe Farbe wie der Blick. Nur die blaue Seele macht träumen, hat ihre Bläue von den Fluten und vom Himmel.

Das Auge! Denkt doch! Das Auge saugt das Leben ein, wie es uns erscheint, um die Gedanken zu nähren. Es trinkt die ganze Welt: Farben, Bewegungen, Bücher, Bilder, – alles was schön ist, alles was häßlich ist, und daraus formt es Gedanken. Und wenn es uns anblickt, zaubert es uns ein Glück vor, nicht von dieser Erde. Es läßt uns ahnen, was wir nie wissen werden, läßt uns begreifen, daß die Wirklichkeit unserer Träume nur Schmutz und Ekel ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich liebe sie auch wegen ihres Ganges.

Selbst wenn der Vogel geht, fühlt man, daß er Flügel hat, hat der Dichter gesagt.

Wenn sie vorüberkommt, fühlt man, daß sie anderer Rasse ist, als die gewöhnlichen Frauen, von leichterer, göttlicherer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Morgen wird sie meine Frau . . . Ich habe Angst . . . Ich habe Angst vor so vielen Dingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zwei Tiere, zwei Hunde, zwei Wölfe, zwei Füchse streifen durch den Wald und begegnen sich. Das eine ist männlich, das andere weiblich. Sie finden sich zusammen – finden sich zusammen durch einen tierischen Instinkt, der sie zwingt, die Rasse fortzupflanzen. Ihre Rasse, die, deren Gestalt, Haar, Figur, Bewegungen und Gewohnheiten sie besitzen.

Das thut jedes Tier, ohne zu wissen warum.

Wir auch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das habe ich gethan, als ich sie heiratete. Ich bin jenem thörichten Drang gefolgt, der uns zum Weibe treibt.

Sie ist meine Frau. So lange ich sie ideal begehrte, bedeutete sie für mich den nie erfüllten Traum, nahe, sich zu erfüllen. Von der Sekunde ab, wo ich sie in den Armen hielt, bedeutete sie nichts mehr, als ein Wesen, dessen die Natur sich bedient, um alle meine Hoffnungen zu zerstören.

Hat sie sie zerstört? Nein. Und doch habe ich sie satt, satt, daß ich sie nicht anrühren kann, sie nicht mit den Händen betasten oder mit den Lippen berühren, ohne daß mein Herz ein unwiderstehlicher Ekel überkommt. Vielleicht nicht der Ekel vor ihr, – ein höherer, gewaltigerer Ekel, verächtlicherer Ekel: der Ekel vor der Liebe, die so widerlich ist, daß sie für alle feiner gebildeten Wesen ein schmachvoller Akt wurde, den man verbergen muß, von dem man nur leise mit Erröten spricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich kann es nicht mehr ertragen, wenn meine Frau sich mir nähert, mich begehrt durch Lächeln, Blick und Umarmung. Ich kann nicht mehr. Einst glaubte ich, ihr Kuß würde mich in den Himmel versetzen. Eines Tages war sie krank, ein flüchtiges Fieber. Und ich fühlte in ihrem leichten, feinen Atem kaum faßlich etwas von menschlicher Verwesung. Das traf mich wie ein Schlag.

O du Menschenleib, verführerischer, lebender Unrat, kommende Verwesung, der da denkt, spricht, sieht und lächelt; in dem Nahrung, die er nahm, sich zersetzt, und der doch rosig, hübsch, verlockend, trügerisch ist, wie die Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Warum riechen nur die Blumen allein so schön? Die großen, farbenstrahlenden oder bleichen Blumen, deren Töne und Färbungen mein Herz erzittern lassen, mein Auge verwirren. Sie sind so schön, so zart gebaut, so verschieden sinnfällig gestaltet, halb geöffnet wie Organe, verführerischer, denn ein Mund, mit nach innen geschwungenen, gezackten, fleischigen Lippen, mit einer lebendigen Saat bestreut, die in jeder einen anderen Duft erzeugt.

Sie, nur sie allein auf der ganzen Welt pflanzen sich fort ohne Schmutz, indem sie um sich die göttliche Essenz ihrer Liebe in die Luft ausströmen, den duftenden Weihrauch ihrer Zärtlichkeit, die Quintessenz ihrer unvergleichlichen Leiber, geschmückt mit allem Liebreiz, aller Eleganz, allen Formen, die in allen Farben strahlen und alle Wohlgerüche betäubend und verführerisch ausströmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Einzelne Fragmente ein halbes Jahr darauf:

. . . Ich liebe die Blumen, nicht wie man Blumen gern hat, sondern wie lebende köstliche Wesen. Tag und Nacht bringe ich in den Treibhäusern zu, in denen ich sie versteckt halte, wie Weiber des Harems.

Wer, außer mir, ahnt etwas von der Süße, der Bezauberung, der zitternden Leidenschaft, fleischlich, ideal, übermenschlich, in dieser Liebe. Ach so ein Kuß auf das rosa Fleisch, auf das rote Fleisch, auf das weiße Fleisch, das wunderbar verschieden ist, köstlich, zart, fein, selten, all der Wunderblumen.

Ich besitze Treibhäuser, zu denen niemand Zutritt hat, als der Gärtner und ich allein.

Dort schleiche ich mich hinein, wie in einen geheimen Ort der Lust. In dem hohen Glashause schreite ich zuerst zwischen Mengen von Blumenkronen hin, halb geöffnet oder erschlossen, die in schräger Fläche von der Erde bis zum Dach aufsteigen. Das ist der erste Kuß, den sie mir senden.

Diese Blumen da, die den Vorraum meiner heimlichen Leidenschaften schmücken, sind meine Dienerinnen, nicht meine Favoritinnen.

Sie grüßen mich, wenn ich vorüberschreite, in ihrer wechselnden Farbenpracht und ihrem frischen Dufthauch.

Sie sind reizend, niedlich. Acht Reihen hoch links, acht Reihen hoch rechts aufgebaut und stehen so eng aneinander, daß sie wie zwei Gärten aussehen, die bis zu meinen Füßen herabreichen.

Mein Herz bebt, mein Auge entzündet sich, wenn ich sie sehe; das Blut jagt mir durch die Adern, meine Seele jauchzt auf, und meine Hände zittern vor Luft, sie zu betasten. Ich gehe weiter. Am Ende dieser hohen Gallerie liegen drei geschlossene Thüren. Ich kann wählen, ich besitze drei Harems.

Am häufigsten gehe ich zu den Orchideen, meinen Lieblingszauberinnen. Ihr Zimmer ist niedrig, betäubend. Die feuchte, warme Luft näßt die Haut, läßt den Atem kürzer werden und die Finger beben. Jene seltsamen Mädchen kommen aus sumpfigen, heißen, ungesunden Ländern, sie berücken wie Sirenen, töten wie Gift, sind wunderbar, entnervend und entsetzlich. Da stehen welche, die aussehen wie Schmetterlinge, mit Riesenflügeln, kleinen Pfötchen und Augen. Denn sie haben Augen. Sie blicken mich an, sie sehen mich, diese seltsamen Wunderwesen, Feengestalten, Töchter aus dem heiligen Land, aus unbewegter Luft und heißem Licht, Töchter der Mutter der Erde. Ja, sie haben Flügel und Augen und Färbungen, die kein Maler wiedergiebt, alle Reize, alle Zärtlichkeiten und Schönheiten, die man nur träumt, eine Seele. Ihr Schoß öffnet sich durchsichtig und duftend, zur Liebe lockender, als je der Frauenleib. Die Wunderzeichnungen ihrer kleinen Körper zaubern der Seele Paradiesesbilder und ideale Wollust vor. Sie zittern auf ihren Stielen, als wollten sie davonfliegen. Fliegen sie fort, mir zu? Nein, mein Herz schwebt über ihnen, wie ein geheimnisvolles Männchen, von Liebe gequält.

Kein tierischer Hauch kann sie treffen. Wir sind allein, sie und ich, in einem hellen Gefängnis, das ich ihnen gebaut. Ich beschaue und betrachte sie, bewundere sie und bete sie an, eine nach der anderen.

Wie rund und fett und tief und rosig sind sie, von zartester Färbung, daß es einem in Sehnsucht die Lippen näßt. Wie ich sie liebe! Der Rand ihrer Kelche ist gezackt, bleicher als ihr Busen, und darin versteckt sich der Blumenkrone seltsamer, anziehender Mund, süß schmeckend, wenn man ihn mit der Zunge berührt, zarte, wundervolle, geheiligte Organe enthüllend jener göttlichen, kleinen Wesen die gut riechen und nicht sprechen.

Manchmal packt mich für eine von ihnen eine Leidenschaft, die so lange dauert wie sie sind – ein paar Tage, ein paar Abende. Dann werden sie aus dem gemeisamen Treibhaus fortgenommen und in ein süßes, kleines, gläsernes Kabinet gebracht, in dem ein Wasserstrahl auf einem Bett tropischen Rasens plätschert, der von Inseln im großen Ozean gekommen ist. Dann bleibe ich, fieberhaft glühend, in Qualen an ihrer Seite. Ich weiß, daß sie bald sterben muß, ich sehe, wie sie welkt, während ich sie besitze und ihr kurzes Leben mit unsäglicher Zärtlichkeit einatme, trinke, pflücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

* * *

Nachdem der Rechtsanwalt diese Fragmente vorgelesen hatte, sagte er:

– Meine Herren Richter, die Schicklichkeit hindert mich, fortzufahren, Ihnen die sonderbaren Geständnisse dieses Verrückten vorzulesen, der schmachvoller Idealist ist. Die wenigen Absätze, die ich vorgetragen habe, werden Ihnen genügen, glaube ich, damit Sie den Fall von Geisteskrankheit beurteilen können, der in unserer Zeit hysterischer Verrücktheit und korrumpierter Décadence weniger selten ist, als man meint.

Ich denke also, daß meine Klientin mehr Recht hat, als irgend eine andere Frau, in der außergewöhnlichen Lage, in die sie die seltsame Verirrung der Sinne ihres Mannes versetzt hat, Scheidung zu verlangen.



 << zurück weiter >>