Guy de Maupassant
Der Liebling
Guy de Maupassant

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil

I

Georg Duroy führte wieder sein altes Leben.

In dem kleinen Erdgeschoß der Rue de Constantinople lebte er sehr solide, wie jemand der ein neues Leben beginnen will. Sogar seine Beziehungen zu Frau von Marelle hatten einen ehelichen Anstrich angenommen, als ob er sich schon im voraus auf das kommende Ereignis vorbereiten wollte; und seine Geliebte, die sich nachgerade über die ruhige Einförmigkeit ihres Verkehrs wunderte, sagte lachend:

– Du bist wahrhaftig noch hausbackener, wie mein Mann, da brauchte ich wirklich nicht zu wechseln.

Frau Forestier war noch nicht zurück gekommen. Sie blieb noch etwas in Cannes. Er bekam einen Brief von ihr, in dem sie ihre Rückkehr erst für Mitte April in Aussicht stellte, und mit keinem Wort ihren Abschied erwähnte. Er wartete. Er faßte jetzt den Entschluß alles in Bewegung zu setzen, um, wenn sie etwa zögerte, sie zur Heirat zu zwingen.

Aber er vertraute auf sein Glück, vertraute auf die Verführungskraft die er in sich fühlte, jene unwiderstehliche Gewalt, der alle Frauen unterlagen.

Ein paar kurze Zeilen benachrichtigten ihn, daß die Stunde der Entscheidung gekommen war:

»Ich bin wieder in Paris. Ich erwarte Sie.

Magdalene Forestier.«

Mehr schrieb sie nicht. Der Briefträger hatte den Brief um neun Uhr gebracht. Am selben Tage trat er um drei Uhr bei ihr ein. Sie streckte ihm beide Hände entgegen, ein liebenswürdiges Lächeln auf den Lippen. Ein paar Sekunden lang blickten sie sich an, dann sagte sie:

– Es war zu gut von Ihnen, daß Sie damals gekommen sind unter den fürchterlichen Umständen.

Er antwortete:

– Ich hätte alles gethan was Sie wollten.

Und sie setzten sich. Sie fragte genau nach Walters, nach den Redaktionskollegen, nach der Zeitung. Sie dachte noch oft an die Zeitung:

– Es fehlt mir doch viel in meiner Verlassenheit, ich bin wirklich ganz Journalist geworden, ich liebe nun mal diesen Beruf. – Dann schwieg sie.

Er glaubte zu verstehen. Er meinte aus diesem Lächeln, aus dem Ton ihrer Stimme etwas zu hören, wie eine Aufforderung. Und obgleich er sich vorgenommen hatte die Dinge nicht zu übereilen, stammelte er:

– Nun warum . . . warum sollten Sie . . . den Beruf nicht wieder ergreifen, unter . . . unter . . . dem Namen Duroy?

Sie wurde plötzlich wieder ernst, legte ihm die Hand auf den Arm und sagte:

– Wir wollen noch nicht davon sprechen.

Aber er erriet, daß sie annahm, fiel ihr zu Füßen und küßte leidenschaftlich ihre Hände, indem er stammelte:

– Dank, o Dank. Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!

Sie stand auf. Er auch, und er merkte, daß sie sehr blaß war. Da begriff er, daß er ihr gefiel, vielleicht schon seit langem, und da sie einander gegenüber standen, schloß er sie in die Arme, küßte sie auf die Stirn mit langem, zärtlichem, innigem Kuß.

Als sie sich losgemacht, barg sie den Kopf an seiner Brust und sagte ernst:

– Lieber Freund, hören Sie einmal. Ich bin noch zu gar nichts entschieden, vielleicht sage ich allerdings ›ja‹, aber Sie müssen mir versprechen, unbedingt zu schweigen, bis ich Sie von dem Versprechen entbinde.

Er schwur und ging glückselig davon.

Und von nun an war er sehr zurückhaltend mit seinen Besuchen und drängte sie nicht zur Entscheidung, denn sie hatte eine Art und Weise von der Zukunft zu sprechen, immer zu sagen ›nachher‹, Pläne zu machen für sie beide, die eine bessere und zartere Antwort waren, als eine förmliche Verlobung.

Duroy arbeitete viel, gab wenig aus, versuchte etwas zu sparen, um wenn er heiratete nicht ohne Mittel zu sein, und ward nun so geizig, wie er vorher verschwenderisch gewesen war.

Der Sommer verstrich, dann der Herbst ohne daß jemand etwas ahnte, denn sie sahen sich wenig und nur auf die unschuldigste Weise der Welt.

Eines Abends sagte Magdalene zu ihm und blickte ihm in die Augen:

– Haben Sie von unseren Absichten nie etwas an Frau von Marelle gesagt?

– Nein! Ich hatte Ihnen Verschwiegenheit gelobt und habe also keinem lebenden Wesen einen Ton gesagt.

– Nun, dann wäre es an der Zeit sie zu benachrichtigen. Ich werde es Walters sagen. Es geschieht diese Woche, nicht wahr?

Er war rot geworden:

– Ja, schon morgen.

Sie wandte langsam die Augen, als wollte sie seine Verlegenheit nicht bemerken und sprach:

– Wenn es Ihnen recht ist, können wir Anfang Mai heiraten, das würde sehr schön passen.

– Ich thue alles, was Sie wollen.

– Den zehnten Mai, er fällt auf einen Sonnabend, hätte ich gern, denn es ist mein Geburtstag.

– Gut, den zehnten Mai.

– Ihre Eltern wohnen doch bei Rouen. Sie sagten mir's wenigstens.

– Ja in Canteleu bei Rouen.

– Was thun sie denn?

– Sie sind . . . sie sind . . . kleine Rentner.

– Ach, ich möchte sie gern kennen lernen.

Er war sehr erschrocken und zögerte:

– Sie sind nun mal . . . sie sind . . .

Dann faßte er einen mannhaften Entschluß und sagte:

– Liebe Freundin, sie sind einfache Bauern. Sie haben ein Wirtshaus und haben sich's am Munde abgedarbt, mich etwas lernen zu lassen. Ich brauche nicht über sie zu erröten. Aber ihre . . . Einfachheit, ihre . . . Bauernart würde Ihnen vielleicht peinlich sein.

Sie lächelte reizend, und eine weiche Güte leuchtete aus ihren Augen:

– Nein, ich werde sie sehr lieb haben. Wir wollen sie besuchen, ich will es, wir werden darüber noch sprechen. Ich stamme auch von kleinen Leuten, aber ich habe meine Eltern verloren. Ich habe niemand auf der Welt . . .

Sie streckte ihm die Hände entgegen und fügte hinzu:

– . . . als Sie.

Er fühlte sich weich geworden, bewegt, überwunden, wie es ihm noch nie bei einer Frau geschehen.

– Ich habe an etwas gedacht, sagte sie, aber es ist nicht leicht zu erklären.

Er fragte:

– Was denn?

– Nun lieber Freund, ich bin wie alle Frauen, ich habe meine . . . Schwächen, meine Kleinlichkeiten. Ich liebe alles was glänzt, was gut klingt, ich wär' zu gern adlig gewesen. Könnten Sie nicht bei Gelegenheit unsrer Heirat sich . . . sich nobilitieren?

Sie war nun ihrerseits rot geworden, als ob sie ihm etwas Taktloses vorgeschlagen hätte. Er antwortete ganz einfach:

– Daran habe ich schon öfters gedacht, aber ich glaube, das ist nicht so leicht.

– Warum denn?

– Ich fürchte, mich lächerlich zu machen.

Sie zuckte die Achseln:

– Aber warum, warum? Das thun sie doch alle und niemand findet etwas dabei. Sie trennen einfach Ihren Namen und schreiben: »Du Roy!« Das geht doch sehr gut.

Er antwortete sofort wie jemand, der die Sache bereits erwogen hat:

– Nein, das geht nicht. Das ist zu gewöhnlich, zu gemein, zu abgedroschen. Ich hatte gedacht ich könnte vielleicht den Namen meiner Heimat annehmen, etwa zuerst als litterarisches Pseudonym. Dann könnte ich ihm allmählich meinen Namen hinzufügen und ihn später vielleicht, wie Sie mir vorgeschlagen haben, trennen.

Sie fragte:

– Ihre Heimat ist Canteleu?

– Jawohl!

Sie zögerte:

– Nein die Endung liebe ich nicht. Wenn man aber das Wort Canteleu etwas änderte?

Sie hatte eine Feder vom Tisch genommen und warf nun ein paar Namen hin, um zu sehen wie sie aussähen. Plötzlich rief sie:

– Warten Sie, ich glaube, jetzt hab' ich's. Und sie hielt ihm ein Stück Papier hin, auf dem er las: ›Frau Duroy von Cantel‹.

Er dachte ein paar Augenblicke nach, dann erklärte er mit Entschiedenheit:

– Ja, das geht sehr gut!

Sie war entzückt und wiederholte:

– Duroy von Cantel, Duroy von Cantel! Frau von Cantel, Frau von Cantel! Das ist famos. Das ist famos!

Sie fügte mit überzeugter Miene hinzu:

– Und Sie werden sehen, wie leicht das die Menschen annehmen. Aber man muß die Gelegenheit beim Schopfe fassen. Später könnte es zu spät sein. Schon von morgen an müssen Sie Ihre Artikel unterzeichnen ›D. von Cantel‹, und die Lokalnachrichten einfach ›Duroy.‹ Das geschieht ja in der Presse immerfort und kein Mensch wird etwas dabei finden, wenn Sie einen Decknamen annehmen. Bei der Hochzeit können wir das dann noch ein wenig verändern, indem wir unseren Freunden sagen: Aus Bescheidenheit hätten Sie den Adel in Duroy wegen Ihrer Stellung unterdrückt, oder wir sagen überhaupt gar nichts. Wie heißt Ihr Vater mit Vornamen?

– Alexander.

Sie sagte zwei oder drei Mal hinter einander:

– Alexander Alexander . . . – dem Klang der Silben lauschend, und dann schrieb sie auf ein weißes Blatt:

Herr und Frau Alexander du Roy von Cantel haben die Ehre Ihnen die Vermählung ihres Sohnes, des Herrn Georg du Roy von Cantel mit Frau Magdalene Forestier anzuzeigen.

Sie hielt das Blatt ein Stück von den Augen, ganz entzückt von der Wirkung und sagte:

– Wenn man es nur ein bißchen zu drehen und zu wenden weiß, kriegt man alles fertig, was man will.

Als er auf der Straße stand und nun fest entschlossen war, sich von jetzt ab du Roy und sogar du Roy von Cantel zu nennen, war es ihm als hätte er nun wirklich eine besondere Wichtigkeit gewonnen. Er ging mit größerer Sicherheit dahin, den Kopf erhoben, stolzer den Schnurrbart gedreht, wie ein wahrer Edelmann, und es wandelte ihn die Lust an jedem Vorübergehenden zu sagen:

– Ich heiße du Roy von Cantel.

Aber kaum war er zu Hause angelangt, so beunruhigte ihn der Gedanke an Frau von Marelle, und er schrieb ihr sofort und bat sie um ein Stelldichein am folgenden Tage.

»Das wird eine schwierige Geschichte werden«, dachte er, »das giebt einen ekligen Zusammenstoß.«

Dann fand er sich mit jener natürlichen Leichtlebigkeit damit ab, die ihn über die unangenehmen Dinge des Lebens hinweghuschen ließ. Und er machte sich an einen Artikel über neue Steuern, die erhoben werden müßten, um das Gleichgewicht des Staatshaushaltes herzustellen. Er forderte für das einfache Adelsprädikat eine Steuer von hundert Franks jährlich und für die Titel vom Baron bis zum Prinzen Steuern von fünfhundert bis tausend Franken.

Das unterzeichnete er: D. von Cantel.

Am folgenden Tage erhielt er ein Stadttelegramm von seiner Geliebten mit der Nachricht, sie würde um ein Uhr kommen.

Er erwartete sie mit einiger Erregung, jedoch fest entschlossen, die Dinge bis zum äußersten zu treiben und sofort mit der Thür ins Haus zu fallen und alles zu sagen, wobei er dann nach der ersten Erregung ihr genau alle Gründe auseinander setzen wollte, um ihr zu beweisen, daß er nicht auf ewige Zeiten Junggeselle bleiben könnte und er daran habe denken müssen, da nun einmal Herr von Marelle beharrlich leben blieb, eine andere zu seinem legitimen Ehegespons zu machen.

Aber er war doch erregt, und als die Glocke klang, klopfte ihm das Herz.

Sie fiel ihm um den Hals:

– Guten Morgen, Liebling! Aber dann fand sie, daß er sie nur kühl umarmte, betrachtete ihn und fragte:

– Was hast Du denn?

– Setz Dich bitte, sagte er, wir müssen einmal was Ernstes reden.

Sie setzte sich, ohne den Hut abzunehmen, schlug nur den Schleier auf und wartete.

Er hatte die Augen gesenkt und suchte wie er anfangen sollte. Endlich begann er langsam:

– Liebe Freundin, ich muß Dir etwas gestehen, was mich in große Verlegenheit setzt und mich sehr traurig macht. Ich liebe Dich! Ich liebe Dich aus tiefster Seele, und ich kann Dir sagen, daß die Befürchtung, Dir weh zu thun, mich trauriger stimmt, als das was ich Dir mitzuteilen habe.

Sie ward bleich, zitterte und stammelte:

– Was ist denn los? So sag doch!

Er antwortete in entschlossenem Ton, mit jener geheuchelten Niedergeschlagenheit, die man annimmt, um ein glückliches Unglück mitzuteilen:

– Ich will heiraten.

Sie stieß einen Seufzer aus, wie eine Frau, die in Ohnmacht fällt, einen schmerzlichen Seufzer, der aus der Tiefe ihrer Seele kam, dann schnappte sie nach Luft und konnte nicht sprechen vor Atemnot.

Als er sah, daß sie nichts sagte, begann er:

– Du kannst Dir nicht vorstellen, was ich gelitten habe, ehe ich zu diesem Entschluß gekommen bin. Aber ich habe keine sichere Stellung, kein Geld, ich bin allein, verloren in Paris. Ich mußte jemand mir zur Seite haben, vor allem jemand der mir einen Rat geben könnte, einen Trost, eine Stütze. Ich habe sozusagen eine Verbündete, eine Genossin gesucht und gefunden.

Er schwieg, in der Hoffnung sie würde antworten, und war auf einen fürchterlichen Wutausbruch, auf allerlei Gewaltthätigkeiten und Beschimpfungen gefaßt.

Sie hatte eine Hand auf ihr Herz gepreßt, als müßte sie es halten, und atmete noch immer mühsam, stoßweise, daß ihre Brust arbeitete und ihr Kopf zuckte.

Er nahm die andere Hand, die sie auf die Stuhllehne gestützt hatte, aber sie entzog sie ihm heftig; dann murmelte sie wie stumpfsinnig:

– O . . . mein Gott!

Er kniete vor ihr hin, aber er wagte nicht sie zu berühren, und er stammelte mehr bedrückt durch ihr Schweigen, als er es durch einen Wutausbruch hätte sein können:

– Clo, liebe kleine Clo, denke Dich doch einmal in meine Lage, überleg Dir einmal wie es mit mir steht. Ja, wenn ich Dich hätte heiraten können, Dich, da wäre ich ja so glücklich gewesen! Aber Du bist verheiratet! Was sollte ich denn thun? Überleg Dir doch einmal, bitte überleg Dir doch. Ich muß mir eine Stellung in der Welt machen, und so lange ich kein Heim habe, kann ich es nicht. Ach, wenn Du wüßtest . . . . .es hat Stunden gegeben, wo ich Deinen Mann hätte ermorden können.

Er sprach mit seiner weichen, verschleierten, verführerischen Stimme, die wie Musik ins Ohr klang.

Er sah, wie zwei dicke Thränen langsam in die starren Augen der Geliebten stiegen und dann die Wangen hinabperlten, während sich schon zwei andere wieder am Lidrande bildeten.

Er stammelte:

– Ach weine doch nicht. Ich bitte Dich, weine doch nicht, es zerreißt mir das Herz.

Da nahm sie sich zusammen, so sehr sie konnte, um stolz und würdig zu erscheinen und fragte mit jenem meckernden Ton einer Frau, die halb im Schluchzen ist:

– Wer ist sie?

Er zögerte eine Sekunde, aber dann sah er ein, daß er es ja doch sagen mußte und sprach:

– Magdalene Forestier.

Frau von Marelle bebte am ganzen Leib, dann blieb sie starr und stumm und dachte so angespannt nach, als hatte sie ganz vergessen, daß er ihr zu Füßen kniete.

Und zwei helle Tropfen stiegen unausgesetzt in ihren Augen auf, fielen herab und bildeten sich wieder.

Sie erhob sich. Duroy erriet, daß sie gehen wollte ohne ihm ein Wort zu sagen, ohne Vorwurf, aber auch ohne ihm zu verzeihn. Das verletzte ihn und demütigte ihn tief, er wollte sie zurückhalten, umfaßte ihr Kleid und umspannte ihre runden Beine, die er durch den Stoff sich strecken fühlte, um ihm zu widerstehen.

Er flehte:

– Ich beschwöre Dich, so darfst Du nicht fortgehen.

Da blickte sie ihn an von oben bis unten mit jenem feuchten, verzweifelten Auge, reizend und traurig zugleich, das den tiefsten Schmerz eines Frauenherzens enthüllt, und stammelte:

– Ich habe . . . ich habe Dir nichts zu sagen . . . ich will gar nichts . . . . . Du hast ganz recht . . . . . Du hast Dir das gewählt, was für Dich paßt.

Und indem sie zurücktrat, machte sie sich frei und ging davon, ohne daß er versucht hätte sie länger zurückzuhalten.

Er war allein. Er erhob sich, ganz verstört, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen; dann fand er sich damit ab und brummte:

– Ach was! Meinethalben, es ist 'runter von der Leber, es hat keine Szene gegeben, das ist mir noch das liebste! – Und plötzlich, wo ihm dieses Riesengewicht von der Seele gefallen, fühlte er sich frei und befreit, zufrieden mit seinem neuen Los und fing an mit den Fäusten gegen die Wand zu trommeln, in der Trunkenheit des Erfolges und einer Art überschäumenden Kraftgefühls, als hätte er sich mit dem Schicksal selbst geschlagen.

Als Frau Forestier ihn fragte:

– Hast Du es Frau von Marelle gesagt? – antwortete er ganz ruhig:

– Gewiß.

Ihr helles Auge ruhte forschend auf ihm:

– War sie nicht sehr erregt?

– Nein, durchaus nicht! Sie fand unsere Verbindung im Gegenteil sehr passend.

Die Neuigkeit wurde bald bekannt. Die einen waren sehr erstaunt, andere behaupteten, das hätten sie vorher gesehen; wieder andere lächelten, indem sie durchblicken ließen, das wundere sie weiter nicht.

Der junge Mann unterzeichnete von nun ab seine Feuilletons: D. von Cantel, die Lokalnachrichten: Duroy und die politischen Artikel, die er von Zeit zu Zeit jetzt schrieb: du Roy. Er verbrachte jetzt die Hälfte seiner Zeit bei seiner Braut, die ihn mit schwesterlicher Zärtlichkeit behandelte, in die sich jedoch wirkliche, wenn auch noch unterdrückte Liebe mischte, etwas wie ein heimlicher Wunsch, wie eine Schwäche.

Sie hatte beschlossen, daß die Hochzeit ganz im stillen stattfinden sollte, nur in Gegenwart der Zeugen, und am selben Abend wollten sie nach Rouen fahren. Am nächsten Tage würden sie dann die alten Eltern des Journalisten aufsuchen und ein paar Tage bei ihnen bleiben.

Duroy hatte sich alle Mühe gegeben, sie von diesem Plane abzubringen, aber da es ihm nicht gelungen, so hatte er sich endlich darein gefügt.

Am zehnten Mai also kamen die jungen Leute, nachdem sie kurz auf dem Standesamt gewesen, nach Haus um zu packen. Sie hatten eine kirchliche Trauung, da sie doch niemand eingeladen hatten, für unnötig erachtet.

Mit dem Sechs-Uhr-Zug abends fuhren sie vom Bahnhof Saint-Lazare nach der Normandie davon.

Bis sie im Wagenabteil allein saßen, hatten sie kaum zwanzig Worte mit einander gewechselt. Sobald der Zug in Bewegung war, blickten sie sich an und fingen an zu lachen, um eine gewisse Verlegenheit zu verbergen, die sie nicht zeigen mochten.

Der Zug glitt langsam durch den langgestreckten Bahnhof Batignolles, dann durcheilte er die kahle Ebene, die sich von den Festungswerken bis zur Seine erstreckt.

Duroy und seine Frau wechselten ab und zu ein paar gleichgiltige Worte und blickten dann wieder aus dem Fenster.

Als sie über die Brücke von Asnières fuhren, freuten sie sich über den mit Schiffen bedeckten Strom, an dem Angler saßen, auf dem Ruderer ihre Boote lenkten.

Die leuchtende Maisonne fiel in schrägen Strahlen auf die Boote und auf den ruhig daliegenden Fluß, der unbeweglich schien, ohne Strömung, als sei er geronnen unter der Hitze und dem Licht des sterbenden Tages. In der Mitte des Stromes glitt ein Segelschiff dahin, das nach beiden Seiten zwei große dreieckige Segel entfaltet hatte um auch den geringsten Lufthauch aufzufangen. Es sah aus wie ein riesiger Vogel, der davonfliegen will.

Duroy sagte:

– Ach ich liebe die Umgegend von Paris so sehr. Ich denke noch immer an die Bratfische hier draußen, die besten die ich je gegessen.

Sie antwortete:

– Und die Boote! Ach es ist doch zu schön bei Sonnenuntergang über das Wasser zu gleiten.

Dann schwiegen sie, als wagten sie nicht, diese Ergüsse über ihr vergangenes Leben fortzusetzen. Sie blieben stumm und genossen vielleicht schon leise den poetischen Zauber, mit dem die Reue Verlornes umkleidet.

Duroy saß seiner Frau gegenüber, er nahm ihre Hand und küßte sie langsam:

– Wenn wir wieder zu Hause sind, wollen wir manchmal nach Chatou zum Essen hinausfahren? Nicht?

Sie flüsterte:

– Ach wir werden so viel zu thun haben – in einem Ton, der soviel sagen sollte als: Wir müssen das Angenehme dem Nützlichen opfern.

Er hielt noch immer ihre Hand und fragte sich ängstlich, wie er den Übergang zur Zärtlichkeit finden sollte.

Die Unschuld eines jungen Mädchens hätte ihn nicht in Verlegenheit gesetzt, aber die Gerissenheit und Erfahrung, die er in Magdalene witterte, machte ihn befangen.

Er fürchtete, ihr thöricht vorzukommen, entweder zu schüchtern oder zu roh vorzugehen, zu langsam oder zu schnell.

Er drückte ab und zu ihre Hand, aber sie gab den Druck nicht zurück.

Er sprach:

– Es ist doch zu komisch, daß Du meine Frau bist.

Das schien sie in Erstaunen zu setzen. – Warum denn?

– Ich weiß nicht, mir kommt es komisch vor, ich möchte Dich küssen und ich wundere mich, daß ich das Recht dazu habe.

Sie hielt ihm ruhig ihre Wange hin, die er wie die einer Schwester küßte.

Er begann von neuem:

– Weißt Du, das erste Mal als ich Dich gesehen habe, weißt Du bei dem Diner, zu dem mich Forestier eingeladen hatte, dachte ich: Donnerwetter! Wenn ich mal so 'ne Frau fände! Na, und nun ist sie da! Ich habe sie!

Sie flüsterte:

– Das ist nett von Dir. – Und blickte ihm mit immer lächelnden Augen gerade ins Gesicht.

Er dachte: Ich bin zu kalt. Ich bin ein Stoffel! Ich müßte forscher sein. Und er fragte:

– Wo hast Du eigentlich Forestiers Bekanntschaft gemacht?

Sie antwortete boshaft und grob:

– Fahren wir eigentlich nach Rouen, um von ihm zu sprechen?

Er wurde rot:

– Ja, ich bin wirklich dämlich! Weißt Du, daß Du mich furchtbar einschüchterst?

Das freute sie:

– Ich? Ist doch nicht möglich! Woher denn?

Er hatte sich ganz nahe an ihre Seite gesetzt, da rief sie plötzlich:

– O, da ein Hirsch!

Der Zug eilte durch den Wald von Saint-Germain und sie hatte ein erschrockenes Reh gesehen, das mit einem Satz über den Weg sprang.

Duroy hatte sich vorgebeugt, während sie durch das offene Fenster blickte, und drückte einen langen zärtlichen Kuß auf die Härchen hinten am Hals.

Sie hielt ein paar Augenblicke still, dann bog sie den Kopf zurück:

– Das krabbelt, laß doch! – Aber er blieb dabei und ließ langsam in entnervender, langer Zärtlichkeit seinen Schnurrbart über ihre weiße Haut gleiten.

Sie schüttelte sich:

– Laß doch!

Er hatte mit der rechten Hand, die er hinter sie geschoben, ihren Kopf gepackt und wandte ihn sich zu.

Dann warf er sich auf ihren Mund, wie ein Sperber auf seine Beute.

Sie wehrte sich, drängte ihn zurück, versuchte sich los zu machen. Endlich gelang es ihr, und sie rief noch einmal:

– Aber so laß doch!

Doch er hörte nicht auf sie, umschlang sie, küßte sie mit gierigen zitternden Lippen, indem er versuchte sie auf die Polster des Coupés zu werfen.

Sie machte sich mit aller Gewalt los und fuhr lebhaft auf:

– Aber Georg, laß doch! Wir sind doch keine Kinder mehr, wir können doch warten, bis wir in Rouen sind.

Er blieb mit rotem Gesicht sitzen, aber diese verständig kühlen Worte waren ihm wie ein Eimer kalten Wassers über den Kopf. Als er dann seine Ruhe wieder gewonnen hatte, sagte er heiter:

– Gut, ich warte, aber bis wir ankommen, rede ich nicht zwanzig Worte mehr, und bedenke, daß die Station eben erst Poissy war!

– So werde ich eben sprechen, sagte sie und setzte sich ruhig wieder neben ihn.

Und sie redete ganz nüchtern über alles, was sie thun wollten, wenn sie erst wieder zurück wären. Sie mußten die Wohnung behalten, die sie mit ihrem ersten Mann bewohnt, Duroy erbte ja auch Posten und Gehalt Forestiers bei der ›Vie française‹.

Übrigens hatte sie vor der Hochzeit mit der Sicherheit eines Geschäftsmannes alle pekuniären Angelegenheiten ihrer Ehe geordnet.

Sie hatten sich unter dem Prinzip der Gütertrennung geheiratet. Alle Eventualitäten waren vorgesehen: Tod, Scheidung, Geburt eines oder mehrerer Kinder. Der junge Mann brachte viertausend Franken, wie er behauptete, in die Ehe, aber davon hatte er sich fünfzehnhundert Franken geborgt, das andere stammte von Ersparnissen, die er in Hinblick auf seine Ehe das Jahr über gemacht hatte. Die junge Frau brachte vierzigtausend Franken mit, die sie, wie sie behauptete, von Forestier geerbt.

Jetzt fing sie auch von ihm an zu reden und stellte ihn als Muster hin: – Er war sehr sparsam, sehr ordentlich, sehr fleißig, er hatte in kurzer Zeit ein Vermögen erworben.

Duroy hörte nicht mehr zu, ihm ging anderes im Kopf herum. Manchmal hielt sie inne, um ihren Gedanken still nachzuhängen, dann fing sie wieder an:

– In drei oder vier Jahren kannst Du ganz gut dreißig- bis vierzigtausend Franken jährlich verdienen, das hätte Karl gehabt, wenn er am Leben geblieben wäre.

Georg fand diese Betrachtungen etwas langweilig und sagte:

– Ich dachte, wir führen nicht nach Rouen, um von ihm zu reden . . .

Sie gab ihm einen Klaps auf die Wange:

– Sehr richtig, es war unrecht von mir! – Sie lachte.

Und er faltete ganz still die Hände und that wie ein artiger, kleiner Junge:

– So siehst Du aber dumm aus! – sagte sie.

Er antwortete:

– Das bin ich ja auch, Du hast mich eben noch daran erinnert, und ich werde es auch immer bleiben.

Sie fragte:

– Warum?

– Weil Du die Leitung des ganzen Hauses in die Hand nimmst und sogar mich am Gängelbande führst. Als Witwe mußt Du ja den Rummel können.

Sie fragte erstaunt:

– Was soll denn das heißen?

– Das soll heißen, daß Du eine Erfahrung besitzest, die meine Unwissenheit ausgleichen und eine Praxis in der Ehe, die meiner Junggesellen-Unbeholfenheit zu Hilfe kommen muß. So! Na, das ist es!

Sie rief:

– Das ist aber stark!

Er antwortete:

– Aber so ist es. Ich kenne die Frauen nicht. Ich meine, ich . . . . na, also . . . . . Du aber kennst die Männer, da Du doch Witwe bist. Du wirst mich also in die Lehre nehmen . . . heute abend. Na, also! Und Du kannst sogar, wenn Du willst, gleich damit anfangen. Na also los!

Sie rief fröhlich:

– Na, höre mal, wenn Du Dich da auf mich verläßt . . .

Er antwortete im Ton eines Schülers, der seine Lektion hervorstottert:

– Natürlich verlaß ich mich auf Dich. Ich zähle sogar darauf, daß Du mir einen vorzüglichen Unterricht giebst . . . . in zwanzig Stunden . . . . . . . zehn Stunden für die Anfangsgründe, Lesen und Gramatik . . . zehn zur Vervollkommung und und für Rhetorik. Ich weiß gar nichts, also . . Na also!

Das machte ihr großen Spaß und sie rief:

– Du Dümmling!

Er antwortete:

– Na, da Du so zärtlich bist, will ich auch anfangen und Dir sagen, Liebchen, daß ich Dich immer lieber und lieber habe, von Sekunde zu Sekunde, und daß ich finde, Rouen ist noch verflucht weit.

Er redete jetzt im Ton eines Schauspielers mit den entsprechenden Gesten, was der jungen Frau, die an alle Manieren und Scherze des Zigeunertums der Literaten gewöhnt war, großen Spaß machte.

Sie blickte ihn von der Seite an, fand ihn wirklich reizend und kämpfte innerlich den Kampf um die Frucht, die man sich gern vom Baume pflückte, um doch der vernünftigen Überlegung nachzugeben, daß sie einem viel besser zum Dessert nach dem Diner munden wird.

Da sagte sie und errötete ein wenig bei den Gedanken, die sie bestürmten:

– Also mein kleiner Schüler, nun glaube meiner Erfahrung, meiner großen Erfahrung. Zärtlichkeiten auf der Eisenbahn haben keinen Zweck, davon kriegt man Magendrücken.

Dann ward sie noch röter und flüsterte:

– Man soll den Hafer nicht mähen, wenn er noch grün ist.

Er lachte, und die Zweideutigkeiten, die aus diesem Munde kamen, erregten ihn. Er schlug ein Kreuz, indem er die Lippen bewegte, als hätte er gebetet, und sagte:

– Der heilige Antonius schütze mich, der die Versuchung überwand. Ich bin von nun an aus Marmor.

Langsam kam die Nacht und sank mit durchsichtigem, leichtem Schleier über die weite Ebene, die sich rechts von ihnen erstreckte. Der Zug fuhr an der Seine hin, und das junge Paar blickte auf den Fluß, der wie ein breites glitzerndes Metallband, in dem sich rote Reflexe spiegelten, vom Himmel gefallene Lichter, die die untergehende Sonne in purpurner Lohe herabwarf, neben der Eisenbahn hinzog.

Allmählich erstarb dieser Schein, ward dunkel, und die Landschaft tauchte ins Schwarze hinab, mit jenem düsteren Schauer, jenem Schauer des Todes, den die Dämmerung immer auf die Erde wirft.

Die Melancholie der Abendstimmung, die durch das offene Fenster fiel, drang in ihre Seelen, und die beiden, die noch eben so lustig waren, schwiegen nun.

Sie hatten sich dicht aneinander gedrängt um das Sterben des schönen Maitages zu beobachten.

In Mantes wurden im Zug die Lampen angezündet, und das gelbe, zitternde Lampenlicht fiel auf die gelben Polster.

Duroy umarmte seine Frau und preßte sie an sich. Sein glühender Wunsch von vorhin wandelte sich in sanfte Zärtlichkeit, in eine erschlaffende Zärtlichkeit, die tröstende Liebkosungen begehrt, wie die, womit man ein Kind einschläfert.

Er flüsterte:

– Ich will Dich so lieb haben, meine kleine Magda.

Der süße Ton seiner Stimme bewegte die junge Frau, daß ihr ein plötzlicher Schauer über den Leib lief und sie ihm die Lippen darbot, indem sie sich zu ihm herabbeugte, denn er hatte seine Wange an ihre Brust gelehnt.

Sie fanden sich in einem langen stummen Kuß, fuhren dann auf, ein kurzer atemloser Kampf folgte, dann fanden sie sich, – überstürzt und unbequem.

Darauf blieben sie eng umschlungen liegen, beide etwas enttäuscht, müde und noch zärtlich, bis der Pfiff der Lokomotive eine nahe Station anzeigte.

Sie sagte, indem sie sich mit den Fingerspitzen die zerzausten Haare ordnete:

– Das ist zu dumm, wir benehmen uns wie die Kinder.

Aber er küßte ihre Hände abwechselnd, eine nach der andern mit fieberhafter Hast und sprach:

– Ich liebe Dich zum Wahnsinnigwerden, meine kleine Magda.

Bis Rouen blieben sie nun fast unbeweglich, Wange an Wange sitzen, durch das Fenster in die Nacht hinausstarrend, in der ab und zu aus einem Haus ein Licht aufblitzte. Sie träumten, glücklich, einander so nahe zu sein und in steigender Erwartung einer zärtlicheren, freieren Liebe.

Sie stiegen in einem Hotel ab, dessen Fenster auf den Quai gingen und legten sich zu Bett, nachdem sie nur eine Kleinigkeit zu Abend gegessen.

Das Zimmermädchen weckte sie am andern Morgen, als es eben acht Uhr war. Nachdem sie eine Tasse Thee getrunken, die auf dem Nachttisch stand, blickte Duroy seine Frau an, dann packte er sie mit plötzlichem Ansturm, wie ein Glücklicher der einen Schatz gefunden hat, in die Arme und stammelte:

– Meine kleine Magda, ich habe Dich so lieb. Ich habe Dich so lieb, so lieb!

Sie lachte mit ihrem zutraulichen, zufriedenen Lächeln und flüsterte, indem sie ihm seine Küsse zurück gab:

– Vielleicht . . . ich Dich auch!

Aber ihn beunruhigte dieser Besuch bei seinen Eltern. Er hatte schon längst seine Frau vorbereitet und ihr Reden gehalten; aber er meinte, es wäre gut, wieder anzufangen:

– Du weißt, sie sind Bauern, einfache Landleute, wie sie wirklich sind, keine Theaterbauern.

Sie lachte:

– Das weiß ich. Du hast es mir doch oft genug gesagt! Aber nun steh mal auf, daß ich auch aufstehen kann.

Er sprang aus dem Bett und zog die Socken an.

– Weißt Du, bei meinen Eltern zu Haus ist es aber nicht elegant. In meinem Zimmer steht nur ein altes Bett mit Strohsack. Sprungfedermatrazen giebt es nicht in Canteleu.

Sie schien glückselig zu sein:

– Desto besser. Es ist reizend auch mal schlecht zu schlafen . . . mit . . . mit Dir, und wenn einen dann die Hähne wecken.

Sie hatte einen Morgenrock übergeworfen, einen langen Rock aus weißem Flanell, den Duroy sofort wieder erkannte. Der Anblick berührte ihn peinlich. Warum? Seine Frau besaß, das wußte er ganz genau, wohl ein Dutzend Morgenkleider, da brauchte sie allerdings nicht ihre reiche Ausstattung fortzuwerfen, um ein neues zu kaufen. Aber trotzdem hätte er es gern gesehen, wenn ihre Wäsche, die sie am Tage und bei Nacht, in der Stunde der Liebe trug, nicht dieselbe gewesen wäre, die sie zu Lebzeiten des andern angehabt. Es war ihm, als ob der weiche, warme Stoff etwas von Forestiers Berührung behalten hätte.

Er trat ans Fenster und steckte sich eine Cigarette an. Der Anblick des Hafens, des breiten Flusses, der von Schiffen wimmelte, mit schlanken Masten, von dickbauchigen Dampfern, die mit großem Lärm an den Quais mittels der Schiffskrahne gelöscht wurden, packte ihn doch, obgleich es für ihn ein altgewohnter Anblick war, und er rief:

– Donnerwetter, ist das hübsch!

Magdalene lief herbei, lehnte sich auf ihres Mannes Schulter und blieb so, zu ihm gebeugt, ganz starr, entzückt und bewegt von dem Anblick, indem sie fortwährend sagte:

– Ach ist das hübsch, ist das hübsch! Ich habe ja gar nicht geahnt, daß es so viele Schiffe giebt!

Eine Stunde später fuhren sie davon, denn sie wollten bei den Eltern frühstücken, die sie schon seit ein paar Tagen benachrichtigt hatten. Ein offener Wagen, dessen rostige Federn einen Lärm verursachten, wie in einer Kesselschmiede, brachte sie hin. Sie fuhren zuerst durch eine ziemlich häßliche, breite Straße, dann kamen sie durch Wiesen, die ein Bächlein durchfloß, und fingen darauf an, die Anhöhe hinan zu fahren.

Magdalene war müde. Sie war eingenickt bei den warmen Sonnenstrahlen, die sie so köstlich auf dem Sitz des alten Wagens wärmten, als läge sie ausgestreckt in einem lauen Bade von Licht und frischer Landluft.

Ihr Mann weckte sie:

– Sieh doch mal! sagte er.

Auf zweidrittel der Höhe, an einem berühmten Aussichtspunkt, der allen Reisenden gezeigt wird, hielt der Wagen.

Von hier aus hatte man den Blick über das langgestreckte, breite Thal, das der glitzernde Fluß in großen Windungen von einem Ende zum andern durchzog. Dort drüben kam er her, zahlreiche Inseln lagen in seinem Lauf, und ehe er Rouen durchfloß, beschrieb er einen Bogen.

Dann sah man die Stadt auf dem rechten Ufer im Morgennebel halb versteckt, mit Sonnenreflexen auf den Dächern und ihren tausend schlanken Kirchtürmen, spitz oder gedrungen, zart und zierlich gearbeitet wie riesige Schmucksachen, mit den eckigen oder runden Zinnen die mit heraldischen Mauerzacken gekrönt waren; mit ihren Sturmglocken und Glockentürmen, ein ganzes Meer von gotischen Kirchenspitzen, die alle der schlanke Turm der Kathedrale überragte, eine wundersame Nadel aus Bronze, häßlich, seltsam und gigantisch, der höchste Turm der Welt!

Gegenüber, auf der andern Seite des Flusses erhoben sich, rund und an ihrer Spitze ausgebuchtet, die schmalen Fabrikschornsteine der weiten Vorstadt Saint-Sever.

Zahlreicher, als ihre Brüder die Kirchtürme, schoben sie weit hinaus in die ferne Ebene ihre langen Reihen von Ziegelsteinsäulen vor, und bliesen zum blauen Himmel schwarze Rauchwolken empor.

Und am höchsten von allen, so hoch wie die Pyramide von Cheops, das zweithöchste Bauwerk von Menschenhand, beinahe ebenso hoch, wie seine stolze Schwester, die Kathedrale, reckte sich dort der große Schornstein von ›La Foudre‹ empor, wie der König des rauchenden Viertels der Arbeit; ebenso wie seine Nachbarin die Königin all der kirchlichen Bauten war.

Dort hinten, hinter dem Arbeiterviertel, erstreckte sich ein Tannenwald, und die Seine setzte, nachdem sie zwischen den beiden Stadtteilen durchgeflossen, ihren Lauf fort längs der Ufer, die oben auf ihrem Rande bewaldet, ab und zu ihre weißen Felsenglieder zeigten. Dann verschwand sie am Horizont, nachdem sie noch einmal einen weiten Bogen beschrieben. Schiffe schwammen den Fluß hinauf und hinab, gezogen von Dampfern, die klein wie Fliegen aussahen, aber dicke Rauchwolken ausstießen. Inseln lagen im Wasser in einer Reihe, eine neben der andern oder auch durch weite Zwischenräume getrennt, wie ungleiche Perlen eines grünen Rosenkranzes.

Der Kutscher wartete, bis die Reisenden den Anblick genug genossen. Aus Erfahrung wußte er genau, wie lange bei den verschiedenen Besuchern die Bewunderung anhielt.

Aber als sie wieder weiterfuhren, sah Duroy plötzlich von weitem, ein paar hundert Meter entfernt, zwei alte Leute, ihnen entgegen kommen und sprang aus dem Wagen mit dem Ruf:

– Da sind sie! Ich habe sie erkannt!

Es waren zwei Bauern, Mann und Frau, die mit ungleichen Schritten daher kamen in wiegendem Gang, wobei sich ab und zu ihre Schultern berührten. Der Mann war klein, untersetzt, rot, mit leichtem Bauchansatz, kräftig trotz seines Alters; die Frau groß, trocken, gebeugt, traurig, die richtige Feldarbeiterin, die von Jugend auf geschafft hat und nie zum Lachen gekommen ist, während der Mann mit seinen Gästen schwatzte und trank.

Auch Magdalene war ausgestiegen und sah nun diese beiden armen Wesen auf sich zukommen, mit einem Herzklopfen und einer Trauer, die sie nicht für möglich gehalten. Sie erkannten ihren Sohn gar nicht, den feinen Stadtherrn, und hätten nie diese schöne Dame im hellen Kleide für ihre Schwiegertochter gehalten.

Ohne zu sprechen gingen sie schnell dem erwarteten Sohne entgegen und achteten gar nicht auf diese Stadtmenschen, denen der Wagen folgte. Sie wollten vorüber, als Georg sie lachend anrief:

– 'n Morgen, 'n Morgen, Vater Duroy!

Sie blieben beide sofort stehen, erst ganz erstaunt, dann wie betäubt vor Überraschung. Die Alte sammelte sich zuerst und sagte, ohne einen Schritt zu thun:

– Du bist unser Sohn?

Der junge Mann antwortete:

– Na ja! Gewiß doch Mutter!

Er ging auf sie zu, küßte sie kräftig auf beide Wangen wie ein Sohn; dann preßte er seine Backe an die des Vaters, der die Mütze abgenommen hatte, eine Mütze aus schwarzer Seide, hoch, wie man sie in Rouen trug, einer Viehhändlers-Mütze ähnlich. Dann sagte Georg:

– Das ist meine Frau! – Und die beiden Landleute blickten Magdalene an. Sie betrachteten sie wie ein Wundertier, mit geheimer Furcht und Unruhe; der Vater – mit einer Art von zufriedener Genugthuung, die Mutter – mit feindlicher Eifersucht.

Der Mann, der heiterer Gemütsart war und etwas von der Fröhlichkeit besaß, die süßer Apfelwein und Alkohol giebt, faßte Mut und fragte, indem er ein Auge zukniff:

– 'nen Kuß wer' ich ihr wohl geben können?

Der Sohn antwortete:

– Na, das versteht sich! – Und Magdalene, der nicht angenehm zu Mute war, hielt ihre beiden Wangen hin, um die lauten, schmatzenden Küsse des Bauern zu empfangen, der sich dann mit dem Rücken der Hand den Mund wischte.

Darauf küßte auch die Alte ihre Schwiegertochter mit feindseliger Zurückhaltung. Nein, das war nicht die Tochter, die sie sich gewünscht, ein frisches, dralles Landmädchen, rot wie ein Apfel und rundlich wie eine Zuchtstute.

Diese Dame da machte mit ihren Falbeln am Kleide und dem Moschusgestank den Eindruck wie so was nicht Richtiges; denn jedes Parfüm hielt die Alte für Moschus.

Man setzte sich hinter dem Wagen, der den Koffer des jungen Paares trug, wieder in Bewegung. Der Alte nahm seinen Sohn beim Arm, hielt ihn etwas zurück und fragte teilnahmsvoll:

– Na, sag mal, geht denn bei Dir's Geschäft fein?

– Ja, ausgezeichnet!

– Na, das ist gut. Das freut mich! Sag mal, hat denn Deine Frau ooch was?

Georg antwortete:

– Vierzigtausend Franken!

Der Vater pfiff leise vor Bewunderung und brummte nur: – Verflucht! – Solchen Eindruck hatte ihm die Summe gemacht. Dann fügte er in wirklicher Überzeugung hinzu:

– Gott verdamm mich, das is 'n schönes Frauenzimmer! – Denn sie gefiel ihm. Er hatte seiner Zeit für einen Kenner gegolten.

Magdalene und die Mutter gingen neben einander her, ohne ein Wort zu sprechen. Die beiden Männer holten sie ein.

Sie kamen ans Dorf, einen kleinen Ort, der längs der Landstraße lag und aus zehn Häusern auf jeder Seite bestand, bald ansehnliche, bald elende Bauernhütten, die einen aus Ziegeln, die andern aus Stein. Diese trugen Strohdächer, jene waren mit Schiefer gedeckt. Das Wirtshaus des alten Duroy »Zur schönen Aussicht« genannt, war eine Bude, die aus einem Erdgeschoß und Bodenraum bestand. Es lag gleich am Eingang links, ein Tannenzweig über der Thür zeigte nach altem Brauch das Wirtshaus an.

In der Wirtsstube war an zwei an einander gerückten Tischen, auf denen Tischtücher lagen, gedeckt. Eine Nachbarin, die gekommen war um aufwarten zu helfen, machte einen tiefen Knix, als sie eine so feine Dame vor sich sah. Wie sie dann Georg erkannte, rief sie:

– Herr Jesses, bist Du's denn, Kleener?

Er antwortete fröhlich:

– Ja, ich bin's Mutter Brulin.

Und er umarmte sie sofort, wie er Vater und Mutter umarmt hatte.

Dann wandte er sich zu seiner Frau:

– Komm in unser Zimmer, daß Du den Hut absetzen kannst. Und er ließ sie durch die rechte Thür in einen mit Fliesen belegten, ganz weißen, kalten Raum treten, dessen Wände kalkbeworfen waren und in dem ein Bett stand mit Wollvorhängen. Der einzige Schmuck dieses reinlichen, aber ärmlichen Raumes waren ein Crucifix über einem Weihwasserbecken und zwei bunte Bilder, Paul und Virginie unter einer blauen Palme darstellend, und Napoleon I. auf einem gelben Pferde.

Sobald sie allein waren, küßte er Magdalene:

– Willkommen Magda, ich freue mich doch die Eltern wieder zu sehen. In Paris denkt man nicht daran, aber wenn man sie wiedersieht, freut man sich doch.

Aber der Vater brüllte, indem er mit der Faust an die Wand donnerte:

– Vorwärts, vorwärts, die Suppe ist da!

Und sie mußten sich zu Tisch setzen.

Ein langes Bauernmahl folgte, mit einer Menge Gerichten in ungeschickter Zusammenstellung, warme Fleischwurst nach einem Hammelrücken und ein Eierkuchen nach der Wurst.

Vater Duroy, den der Apfelwein und ein paar Gläser Landwein in Stimmung gebracht hatten, wartete mit seinen besten Witzen auf, die er für die großen Feste aufgespart, ziemlich gepfefferte, unanständige Geschichten, die wie er behauptete, seinen Freunden passiert waren. Obgleich Georg alle kannte, lachte er doch. Die Heimatluft, die angeborene Liebe zu seinem Vaterhaus packte ihn. Es rührte ihn, daß er wieder an dem Ort seiner Kindheit war. Alle die Eindrücke, die Erinnerungen die wieder auftauchten, alle die Dinge die er wiedersah, jede Kleinigkeit, ein Zeichen mit dem Messer in die Thür geschnitzt, das an irgend ein Ereignis von früher erinnerte, eine wacklige Stuhllehne, der Harzduft der von den Bäumen aus dem nahen Walde kam, der Geruch des Hauses, des Baches, des Mistes auf dem Hof, alles führte ihm die Kindheit zurück.

Mutter Duroy sprach kein Wort. Sie blieb immer ernst und traurig und betrachtete die Schwiegertochter mit stillem Haß im Herzen, dem Haß, den die, die immer gearbeitet hat, die Bauernfrau mit den rauhen Händen, mit den durch schwere Arbeit gekrümmten Gliedern, gegen die Stadtfrau haben mußte, die ihr zuwider war als etwas Lasterhaftes und Verworfenes, als ein unreines Wesen, nur zum Faulenzen und zur Sünde gemacht. Alle Augenblicke stand sie auf, um die Speisen zu holen und das gelbe scharfe Getränk aus dem Kruge oder den roten, schäumenden, süßen Apfelwein aus den Flaschen einzugießen, bei denen beim Öffnen der Pfropfen sprang, als wäre Brauselimonade darin gewesen.

Magdalene sprach kaum, aß kaum, blieb still, mit ihrem gewöhnlichen Lächeln auf den Lippen, das aber ein trauriges Lächeln der Ergebung war. Sie fühlte sich enttäuscht, traurig. Warum? Sie hatte ja hergewollt. Sie hatte gewußt, daß sie zu Bauern kam, zu kleinen Bauern! Wie hatte sie sich nur diese Leute vorgestellt? Sie, die doch real genug dachte.

Wußte sie es? Träumen die Frauen nicht immer die Dinge anders, als sie sind? Hatte sie dies alles aus der Ferne poetischer angesehen? Nein! Aber doch vielleicht romantischer, vornehmer, feiner, dekorativer. Und doch hätte sie sie nicht gewünscht, wie Bauern in den Romanen. Woher kam es aber dann, daß diese Leute sie durch tausend unsichtbare Kleinigkeiten kränkten? Durch gar nicht zu bezeichnende Rohheiten, sogar durch ihre Eigenschaft als Bauern, durch ihre Sprache, durch ihre Bewegungen, durch ihre Heiterkeit.

Dann dachte sie an ihre eigene Mutter, von der sie niemals gegen jemand sprach, eine verführte Lehrerin, die in Saint-Denis groß geworden und vor Elend und Kummer gestorben war, als Magdalene erst zwölf Jahr zählte. Ein Unbekannter hatte das kleine Mädchen erziehen lassen, wohl ihr Vater. Aber wer? Sie wußte es nicht, wenn sie auch wohl einen unbestimmten Verdacht hegte.

Das Frühstück wollte kein Ende nehmen. Jetzt traten Gäste ein, drückten Vater Duroy die Hand, bewillkommeten den Sohn und blickten die junge Frau von der Seite an, indem sie boshaft ein Auge zukniffen, was so viel heißen sollte, als:

– Verflucht nochmal, der Georg Duroy ist nicht dumm gewesen!

Andere die weniger bekannt waren, setzten sich an die Holztische und riefen:

– Einen Liter! – Einen Schoppen! – Zwei Schnäpse! – und fingen an Domino zu spielen, indem sie mit den kleinen schwarz und weißen Steinen einen großen Lärm machten.

Nun lief Mutter Duroy immer hin und her, mit ihrer traurigen Miene die Gäste bedienend, das Geld einziehend und ab und zu mit der blauen Schürze über den Tisch wischend.

Der Qualm der Thonpfeifen und der Pfennigzigarren erfüllte den ganzen Raum. Magdalene fing an zu husten und fragte:

– Können wir nicht mal hinaus gehen? Ich kann es nicht mehr aushalten. – Das Mahl war noch nicht zu Ende. Der alte Duroy war unzufrieden. Da stand sie auf und setzte sich auf einen Stuhl vor der Thür an der Straße und wartete, bis ihr Schwiegervater und ihr Mann ihren Kaffee und ihren Schnaps zu Ende getrunken.

Georg kam bald zu ihr heraus:

– Willst Du gern mal an die Seine runter laufen?

Das nahm sie mit Freuden an:

– Ja, ja komm!

Sie stiegen den Berg hinab, mieteten in Croisset ein Boot und brachten den Rest des Nachmittags auf einer der Inseln zu, indem sie beide unter den Weiden in der süßen Frühlingswärme schlummerten, eingewiegt durch das Plätschern des Flusses.

Als es dunkel wurde stiegen sie wieder hinauf.

Für Magdalene war die Abendmahlzeit beim Schein einer Kerze noch peinlicher zu überstehen, als das Mittagsbrot. Vater Duroy war etwas angetrunken und sprach nicht mehr. Die Mutter behielt ihre ernste Miene.

Das armselige Licht warf auf die grauen Wände die Schatten der Köpfe mit Riesennasen und übertriebenen Gebärden. Ab und zu hob eine Riesenhand eine Gabel, groß wie eine Heugabel zu einem Mund, der sich öffnete wie ein Scheunenthor, wenn jemand der gelben, zitternden Flamme gerade sein Profil zuwandte.

Sobald das Essen zu Ende war, zog Magdalene ihren Mann ins Freie um nicht in dem dunklen Zimmer zu bleiben, in dem es immer nach Pfeifensatz und verschütteten Getränken roch.

Sobald sie draußen waren, sagte er:

– Du langweilst Dich schon! – Sie wollte antworten, doch er fiel ihr ins Wort:

– Nein, ich habe es wohl gemerkt. Wenn Du willst, reisen wir morgen.

Sie flüsterte:

– Ja, das wäre mir lieb.

Langsam gingen sie dahin. Die Nacht war lau, und in dem weichen tiefen Dunkel schienen allerlei leise Geräusche zu erwachen. Sie waren in einen schmalen Weg getreten und schritten unter hohen Bäumen dahin, zwischen undurchdringlichem, schwarzem Buschwerk.

Sie fragte:

– Wo sind wir?

Er antwortete:

– Im Walde!

– Ist der Wald groß?

– Sehr groß! Einer der größten von Frankreich.

Ein Geruch nach Erde, Bäumen und Moos, jener frische und zugleich alte Duft dichter Wälder, erzeugt aus jungem Saft junger Schößlinge, und dem erstorbenen, welken Laub des Dickichts, schien über diesem Wege zu liegen. Magdalene hob den Kopf und erblickte zwischen den Wipfeln der Bäume die Sterne, und obgleich kein Hauch die Zweige bewegte, fühlte sie um sich das leise Zittern des Blättermeeres.

Ein seltsamer Schauer zog ihr in die Seele und lief ihr über den Leib. Eine eigentümliche Angst bedrückte sie. Warum, begriff sie nicht, aber sie fühlte sich verloren, ertränkt, von Gefahren umgeben, von allen verlassen, allein, allein auf der Welt, unter diesem lebenden Gewölbe, das dort über ihr zitterte.

Sie flüsterte:

– Ich habe ein bißchen Angst. Ich möchte nach Haus.

– Gut, gehen wir!

– Und morgen reisen wir nach Paris zurück?

– Ja, morgen!

– Morgen früh?

– Wenn Du willst, morgen früh.

Sie kehrten heim. Die Eltern waren schon zu Bett. Sie schlief schlecht. Alle diese Geräusche auf dem Lande, die ihr neu waren, weckten sie auf, der Schrei der Eule, das Reiben eines Schweines im Verschlag gegen die Wand und der Hahnenschrei, der schon von Mitternacht ab begann.

Bei Tagesanbruch war sie schon auf und zur Abreise fertig.

Als Georg den Eltern mitteilte, daß sie schon fort wollten, waren sie beide ganz erschrocken, denn sie ahnten von wem dieser Entschluß kam.

Der Vater fragte einfach:

– Kommst Du bald wieder?

– Gewiß, diesen Sommer!

– Na, da ist's gut!

Die Alte brummte:

– Na, ich hoffe nur, daß Du den Schritt nicht mal bereust.

Um ihre Unzufriedenheit zu besänftigen, schenkte er ihnen zweihundert Franken. Und als der Wagen, den ein Bekannter geholt hatte, gegen zehn Uhr erschien, umarmte das junge Paar die alten Leute und fuhr davon.

Als sie den Weg hinunter rollten, sagte Duroy lächelnd:

– Siehst Du, ich habe Dir's gleich gesagt, Du hättest lieber nicht die Bekanntschaft der alten Herrschaften, Herrn und Frau du Roy von Cantel, machen sollen.

Sie fing auch an zu lachen und antwortete:

– Ich bin aber sehr zufrieden, es sind brave Leute und ich glaube ich liebe sie schon sehr. Ich werde ihnen mal was aus Paris schicken.

Dann murmelte sie:

– Du Roy von Cantel! Du wirst sehen, kein Mensch wird sich über unsre Anzeige wundern, und wir werden erzählen, daß wir acht Tage auf der Besitzung Deiner Eltern zugebracht haben.

Und indem sie sich ihm näherte, berührte sie mit einem Kuß seinen Bart:

– Guten Morgen Schorsch!

Er antwortete:

– Guten Morgen, Magda, – und legte den Arm um ihre Taille.

In der Ferne, unten im Thal lag der breite Strom im Schein der Morgensonne wie ein glitzerndes Band da, lagen alle die Fabrikessen, die zum Himmel hinauf ihre Dampfwolken sandten und alle die spitzen Kirchtürme, die sich emporstreckten über der Stadt.

 


 << zurück weiter >>