Eugenie Marlitt
Im Schillingshof
Eugenie Marlitt

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11.

Die Glastür, die aus den oberen Gemächern nach der südlichen Plattform des säulengeschmückten Erdgeschosses führte, stand weit offen. Der Morgenwind strich frisch und kräftig vom Nadelwald der nächsten Bergzinne herüber, aber in den offenen Salon quoll er doch südlich träge, wie mit beschwerten Flügeln – er blieb draußen halb und halb in der blütenbedeckten Orangerie hängen, die das mächtige, von einer Brüstung umschlossene Viereck der Terrasse füllte. Diese hochgetragenen, vollentwickelten Blätterkuppeln drängten sich so dicht aneinander, daß es von dieser Seite her stets, selbst unter dem blendend goldenen Morgenlichte, ln das Zimmer hinein tief dunkelte und schattete. Der Frühstückstisch stand seitwärts in einer Ecke, da, wo hinter einer starkstämmigen Magnolie die vollblättrige Waldrebe an der Hauswand emporkletterte, während ein anderer Teil ihrer Rankenwucht sich über die Brüstung warf, um drunten mit ihren schaukelnden, grüngefiederten Ausläufern nach der nächsten dicken Säule zu haschen. Bunte Aras schwangen sich ungestüm auf ihren Ständern unter den Orangenbäumen und reckten die Hälse kreischend nach den Kuchenkörben, das lüsterne Spatzenvolk kam von der Zinnenkrone des Oberbaues und rückte auf dem Geländersims ungeniert gegen den Frühstückstisch vor, und jetzt schlüpfte auch Minka heraus, so verdächtig scheu und hastig, als sei sie durch eine offen gelassene Tür desertiert...

Minka zerpflückte nach wie vor mit Leidenschaft jeden Brief, jede Photographie, alles Zerreißbare, was sie erwischen konnte, in kleine Stücke, sie zerbrach die Fächer und Sonnenschirme ihrer Herrin, bearbeitete leidenschaftlich gern mit ihren Nägeln die Gesichter und Rockschöße der Bedienten und verschleppte Schmuckstücke und Nippsachen in die unzugänglichsten Ecken. Aber mit demselben schweigenden, lächelnden Gleichmut, wie Baron Schilling vor seinem emporsteigenden neuen Atelier, hatte die Frau Baronin allzeit schützend vor ihrer Minka gestanden. Sie kaufte sich mit unzerstörbarer Ruhe immer wieder neue Fächer und Schirme, bezahlte den klagenden Dienstboten, ohne eine Miene zu verziehen, den erlittenen Schaden und stieg selbst mit bis auf den Dachboden, wenn es galt, die versteckten Gegenstände zusammenzusuchen.

Das boshafte Tier war noch genau so behende und geschmeidig, wie vor acht Jahren. Es verjagte zunächst mit einem grotesken Sprung auf den Geländersims die aufschreienden Spatzen, stopfte sich zum Arger der Aras die Backentaschen voll Kuchen und schlüpfte, immer auf der Flucht, nach dem entgegengesetzten Ende der Terrasse. Dort erhoben sich die Wipfel der dichtvorüberlaufenden Platanenallee hoch über der Brüstung, und ihre Laubmassen quollen wie eine grüne Flut auf die Plattform herein – der Affe sprang auf das Geländer und begrub versinkend den kleinen dunklen Leib in wohlig kühlendem Geäst.

Gleich darauf kam die Baronin auf die Terrasse. Sie war nicht allein; eine Dame, noch jung, von imposanter, kräftiger Gestalt, mit brünettem Gesicht unter dicken, scharf aus der Stirn gestrichenen, schwarzen Haaren, folgte ihr auf dem Fuße. Sie hing ein weiches Tuch über den einen Korbstuhl in der geschützten Ecke und breitete ein dickes, zottiges Fell auf die Steinfliesen; das geschah fürsorglich geschäftig, aber nicht mit der Beflissenheit einer Kammerjungfer, sondern würdevoll und freundlich, in freiwilliger Pflege, wie sie eben eine Jugendfreundin der anderen angedeihen läßt – denn Jugendfreundinnen waren sie, die Baronin Schilling und Fräulein Adelheid von Riedt. Sie waren im Klosterpensionat zwei Unzertrennliche und später treue Briefschreiberinnen gewesen; es war demnach begreiflich, daß die Frau Baronin im Jahr 1866, zur selben Stunde, da ihr Gemahl seine Abreise nach dem Kriegsschauplatz unwiderruflich beschlossen, »die Langentbehrte« aufgefordert hatte, zu ihr zu kommen, »weil sie nicht allein bleiben wolle«. Seitdem kam Adelheid öfter und blieb monatelang, um die kränkliche Freundin zu pflegen – sie konnte das, ohne andere Pflichten zu verletzen, denn sie war Stiftsdame in B. und stand verwaist, fast allein in der Welt.

»Ich bitte dich, Adelheid, bringe die gefräßigen Schreier zur Ruhe!« sagte die Baronin verdrießlich und zeigte nach den kreischenden Aras. »Arnold hat eine wahre Leidenschaft, mir Unvernünftiges und Unausstehliches zu schenken, und ich muß es dann aus Höflichkeitsrücksichten zu meiner Qual um mich dulden.« Sie seufzte tief auf.

Die Stimme hatte gegen früher eine tiefere, gleichsam in Bitterkeit gesättigte Lage angenommen; die Gesichtsfarbe war grauer als je; und unter den Augen, wie an den hohlen Schläfen hin liefen zahllose seine Runzelandeutungen, Spuren der rastlosen, inneren Arbeit verheimlichter Leidenschaft und eines allzu frühzeitigen Alterns.

Sie begab sich schleppenden Schrittes hinter den Frühstückstisch. Ein weißer, mit breiten Stickereien und blauseidenen Schleifen besetzter Schlafrock fiel weitfaltig, in glänzender Frische und Eleganz an der hageren Gestalt nieder, und eine Brüsseler Barbe mit einer blauer Bandkokarde lag auf dem lose gesteckten blonden Haar und vervollständigte den flüchtigen Morgenanzug, der seltsam abstach von dem schwarzen Seidenkleid der Stiftsdame. Man sah, diese Dame hatte bereits Toilette gemacht für den ganzen Tag; an dem knappsitzenden Kleid wurde sicher keine Schleife verändert, aus dem spiegelnden Scheitel und dem festgeflochtenen Haarknoten am Hinterkopf vor nachts keine Nadel gezogen – dieser ernsten, dunkeläugigen Erscheinung lagen Sichgehenlassen und Bequemlichkeit offenbar weltfern. Während sie einige Biskuits für die Aras zerpflückte, trat ein junges Mädchen aus der Glastüre und brachte aus einer Platte einige verdeckte Schüsseln mit warmen Speisen und frisches Wasser im Teekessel.

Die Augen der Baronin verfinsterten sich. »Wo steckt die Birkner? Wie kommt es, daß Sie das Frühstück besorgen, Johanne?« fragte sie verdrossen.

»Mamsell Birkner läßt sich für einige Stunden bei der gnädigen Frau entschuldigen – ihr schlimmes Nervenkopfweh hat sich eingestellt,« versetzte das junge Mädchen ruhig – sie schien diesen unliebenswürdigen Ton gewöhnt zu sein. Ihre ernsten Augen unter den dunklen, d«s jugendliche Gesicht stark verdüsternden Brauen senkten sich nicht vor dem kalten Blick der Dame, und weder ihr Gesichtsausdruck, noch irgend ein Farbenwechsel zeugten von verletzter Empfindlichkeit.

Sie erfüllte pünktlich ihre Obliegenheiten am gedeckten Tisch.

»Ich sehe nur zwei Gedecke,« sagte die Baronin scharf tadelnd.

»Der Herr Baron hat im Atelier gefrühstückt und ist schon vor zwei Stunden ausgeritten,« lautete die Antwort.

Die Baronin biß sich auf die Lippen. Sie sank in den Lehnstuhl; den Ellenbogen auf den Geländersims stützend und schweigend weggewendet, schob sie die Rechte unter das Kinn und blickte ziellos hinaus ins Weite.

In diesem Augenblick erhob sich ein klägliches Geschrei drunten im Vorgarten. Minka rannte wie besessen um den großen Rasenplatz und rieb sich unter fortwährendem Jammern den Rücken, und drüben, auf der weinumsponnenen Klostermauer hüpfte und sprang ebenso toll ein zweites koboldartiges Wesen, dem das starrende Haar tief in die Stirne ging, und dessen flinke dürre Beine wie Holzstöckchen aus den kurzen, weiten Sammethosen ragten ... Mosje Beit schwenkte in der einen kleinen Faust ein Blasrohr und mit der anderen hielt er sich die Seite vor Lachen – er hätte sich am liebsten überschlagen mögen vor Vergnügen über die Wirkung seiner Tonkugel.

Die Dienstboten kamen auf den Lärm hin aus dem Säulenhause gelaufen und nahmen, nach der Mauer hinauf scheltend, die völlig zerknirschte und gebeugte Minka in ihre Mitte, und aus dem Giebelfenster des Klostergutes bog sich die Majorin – von der Terrasse aus konnte man ihr alterndes, aber immer noch schönes Profil sehen. Ein starkes Gefühl des Ärgers mochte in ihr aufwallen, denn sie drohte dem boshaften Burschen mit der gehobenen Hand und erteilte ihm einen derben Verweis.

Da erschien auch der Rat Wolfram über der Mauer; er stieg auf der Leiter empor, die Veit im Klosterhof angelehnt hatte. »Bemühe dich nicht, Therese – ich glaube, das ist meine Sache!« rief er seiner Schwester mit beißender, schallender Summe zu. »Übrigens sehe ich nicht ein, weshalb du dich ereiferst! Wer solch greuliches Geziefer um sich leiden mag, der soll's tun; aber es gehört sich, daß er's zwischen seinen vier Pfählen behält und nicht zum Skandal und Schrecknis anderer herumlaufen läßt... Ich strafe meinen Sohn ganz gewiß nicht für die wohlverdiente Lektion!«

Der Kopf der Majorin verschwand, und der Rat umschlang seinen zappelnden, langbeinigen Sprößling und trug ihn die Leiter hinab.

Man hatte jedes Wort dieser klangvollen, boshaft geschärften Stimme klar und deutlich drüben auf der Terrasse gehört. »Der Unverschämte!« klagte die Baronin ganz erschrocken und betroffen. »Und ich kann Arnold nicht einmal um Genugtuung bitten, weil es sich um die unglückliche Minka handelt!«

Sie zog sich tief hinter die Magnolie zurück und streifte mit scheuforschendem Blick die Promenade drüben, ob wohl Vorübergehende die gegen die stolze Herrin vom Schillingshof gerichteten anzüglichen Bemerkungen gehört haben möchten. »Das abscheuliche Tier!« klagte sie weiter, in ihren früheren hohen, nervös gequälten Ton verfallend, und lehnte den Kopf geärgert an die Wand. »Es ist wieder einmal desertiert – zur Freude der Dienstboten – oh, ich kenne diese kleinen, stillen Bosheiten sehr gut! ... Man hat, meinem strikten Befehl entgegen, die äußere Tür meiner Gemächer offen gelassen –« ein Seitenblick voll bitteren Grolles suchte die servierende Dienerin, die eben mit dem leeren Tablett die Terrasse verlassen wollte. »Ich vermute, Sie sind es gewesen, Johanne.«

Das Mädchen wandte sich auf der Schwelle um, und jetzt stieg ein lebhaftes Rot in ihr Gesicht. »Dagegen muß ich mich entschieden verwahren, gnädige Frau,« sagte sie bescheiden, aber fest. »Eine solche Pflichtwidrigkeit lasse ich mir ganz gewiß nicht zuschulden kommen.« – Sie blieb noch einen Augenblick in Erwartung eines Befehles oder einer Bemerkung auf der Schwelle stehen, dann verschwand sie geräuschlos wie ein Schatten im anstoßenden Salon.

»Das ist auch so eine Plage, die mir Arnold mit diesem »Hannchen« auferlegt hat, und unter der ich machtlos seufze,« sagte die Baronin unmutig, während ihr die Stiftsdame wie einem hilflosen Kinde die Teetasse füllte und zurechtmachte. »Kann ich dafür, daß mich ein Schauder schüttelt, wenn sie in meine Nähe kommt? Ich spüre den Hauch einer begangenen Todsünde um ihre ganze Person – sie ist und bleibt Adams Kind! ... Dazu dieser unangenehme Gesichtsausdruck! – Das Gesicht ist wie von Stein, als läge eine tote Seele dahinter, und doch steckt das Mädchen voll unheimlicher Leidenschaft – damals nach der greulichen Katastrophe mit ihrem Vater hat sie sich lange wie toll gebärdet.« – Sie zuckte die Schultern. – »Man hat meiner Selbstüberwindung stets sehr viel zugemutet – in diesem Schillingshofe kommt man überhaupt nie zur ersehnten inneren Ruhe.«

Ein kaltes Lächeln stahl sich um den feinen, schmallippigen Mund der Stiftsdame. »Soll das eine Anklage sein, Klementine?« fragte sie, und ihre dunklen Augen sahen ernst, ja strafend auf die gegenübersitzende Frau herab. »Wer sein Schicksal so eigenmächtig in eine heißgewünschte Bahn gelenkt hat, wie du, der muß es dann auch nehmen, wie es kommt. Wärst du deinem frommen Entschluß nicht treulos geworden, dann lebtest du jetzt unter Gottes unmittelbarer Hut, im seligen Frieden ... Übrigens,« lenkte sie ein, denn das blutlose Frauengesicht war noch fahler, aber auch herber geworden – Eigensinn und Arger überwogen offenbar weit das Schuldbewußtsein, an das leise gerührt wurde – »übrigens tut Johanne musterhaft ihre Pflichten und ist eine nicht zu entbehrende Stütze der Hausmamsell. Sie soll in der fixen Idee, daß die Unschuld ihres Vaters doch noch an den Tag kommen müsse, förmlich aufgehen –«

»Ja, das versichert die gute Birkner, die das Mädchen gründlich verzieht, stets mit unleidlichem Pathos,« fiel die Baronin ein, während sie sich apathisch langsam aufrichtete. »Lächerlich! Das alberne Ding, die Johanne, tut allen Ernstes, als sei ein edles, altes Wappenschild befleckt worden.« Sie schob die Haarmassen, an denen die Blätter der Waldrebe gezaust hatten, aus den Schläfen, wies eine der warmen Schüsseln, die ihr die Stiftsdame hinreichte, voll Widerwillen zurück und bröckelte etwas mürbes Gebäck in ihren Tee. »Bah, alte, verjährte Geschichten! Wer mag sich noch dafür interessieren! ... Mein Schwiegervater hat durch Adams Klatscherei das Nachsehen gehabt, und das war ganz gut für mich – mit dem alten Manne wäre kein Auskommen gewesen, wenn er durch die Kohlen ein Millionär geworden wäre wie der da drüben.«

Sie deutete nach der Richtung, wo vorhin der graue, maliziös ausdrucksvolle Kopf des Rates über der Mauer erschienen war. Ihre matten Augen flimmerten einen kurzen Moment in stechendem Glanze – aus der indolenten Nachbarin war urplötzlich eine unversöhnliche Feindin geworden. »Eine grundgemeine Nachbarschaft, dieses Kloster« gut!« murmelte sie. »Und aus dieser grobkörnigen Familie hat sich Arnold seinen Spielkameraden geholt, »seinen einzigen Freund«, wie er stets zu sagen beliebt –«

»Ja, Felix Lucian, der eine Tänzerin entführt hat.« warf die Stiftsdame mit zugespitztem Tone hin. »Das Weltleben hat seltsame Elemente an dich herangespült, Klementine –«

Das Gesicht der Baronin verdüsterte sich. »Sie haben mich nie berühren dürfen, diese Elemente – ich wehre mich stets gegen solche Gemeinschaft,« fiel sie mit erregter Stimme ein. »Aber sieh sie dir an, die viereckigen Köpfe der Schillings, drüben im Mittelsaal; auf allen liegt dasselbe Gepräge derber Neigungen – Arnold nennt es Kraft und Kühnheit – dagegen hilft kein Ankämpfen. Reserve, ein konsequentes Sichfernhalten, das sind die einzigen schwachen Waffen, die den Schillingschen Ehefrauen verbleiben ... Bis jetzt habe ich dir noch gar nicht gesagt, daß mein Mann Mitverschworener eines Familiengeheimnisses ist, infolgedessen ich vielleicht schon in der Kürze Menschen um mich dulden muß, die voraussichtlich wüsten Lärm in mein stilles Leben bringen – der Schillingshof wird Gäste beherbergen, die –«

Die Stiftsdame horchte gespannt auf, aber ein Geräusch von der Glastüre her machte die Baronin verstummen; sie sah seitwärts und streckte sofort in lebhafter, ungnädiger Abwehr die Hand aus. Ein Bedienter war aus dem Salon getreten, er trug Minka auf dem Arm. »Ich wollte der gnädigen Frau nur melden, daß das arme Tierchen wieder wohlauf ist,« stotterte er ganz verblüfft über die hinausweisende Gebärde.

»Es ist gut,« sagte die Baronin stirnrunzelnd. »Die Strafe kann dem Tier nicht schaden. Minka hat für den ganzen Tag strengen Arrest – sie soll mir heute nicht mehr unter die Augen kommen.«

Der Diener reichte ihr eine Postmappe hin, die er mitgebracht hatte, und entfernte sich schweigend. Drin im Salon lachte er sich ins Fäustchen – sonst, bei dergleichen Vorkommnissen, wurde die im ganzen Hause grimmig gehaßte »schwarze Kanaille«, die er eben vor den Ohren der Gnädigen in mitfühlendem Tone »das arme Tierchen« genannt hatte, sorgfältig untersucht und gepflegt – und nun diese plötzliche Ungnade! Was der Unwille des Hausherrn, die Klagen der Dienerschaft nicht bewirkt, das hatte eine grobe Beleidigung von außen her fertig gebracht – die ging denn doch »über den Spaß« ...

Die Postmappe, die der Bediente gebracht hatte, war eine praktische Einrichtung der Frau Baronin, »damit keine Zuschrift durch die Fahrlässigkeit der Dienstboten abhanden komme« – so gingen alle im Schillingshofe einlaufenden Briefe durch die Hand der Herrin ... Sie schloß die Mappe auf und sortierte alles Eingegangene. Das geschah mit gewohnter Pünktlichkeit, mit den graziös lässigen, diese Frau charakterisierenden Bewegungen, bis plötzlich, bei einem jäh aufsteigenden Wangenrot, die langen, dünnen Finger widerwillig zuckten, als sei aus einem der Kuverts eine flinke Spinne über sie hingehuscht. Dieses Kuvert war schwarz gerändert und zeigte ein schön ausgeprägtes Wappen auf dem Siegel.

»Also doch!« murmelte sie tonlos. »Und ich hoffte mit jedem Tag mehr, daß die Geschichte wieder einschlafen würde.« – Sie war jedenfalls sehr unangenehm berührt, aber sie verbarg das unter einem erzwungenen Lächeln. »Lupus in fabula!« sagte sie, der Stiftsdame den Brief hinhaltend – er war an Baron Schilling adressiert. »Ich sprach dir von Gästen; das dünne Briefblättchen da drin ist jedenfalls der Kurier, der ihr unvermeidliches Erscheinen sicher für die allernächsten Tage feststellt ... Wirst du es ertragen, mit einer ehemaligen Tänzerin unter einem Dache zu leben?«

Das brünette, kluge Gesicht der Stiftsdame erstarrte förmlich in eisiger Zurückhaltung. »Zunächst muß ich fragen, wirst du das können, Klementine? Wie magst du so unsäglich schwach sein, dir dergleichen aufbürden zu lassen?«

Die Baronin schlug die Augen nieder und strich wiederholt einige Kuchenkrümchen von der Tischecke – sie war verlegen. »In diesem Falle hat mein Mann mich gebeten – er bittet sonst nie –«

»Ach so – das ist freilich überwältigend!« – Der strengste Beichtvater, der eine büßende Menschenseele in der Hand hat, konnte nicht unerbittlicher aussehen, als diese ironisierende Dame – aber der Eindruck war nicht der gewünschte. Die »distinguierte Frau« da vor ihr wandelte sich, wie so oft, zum eigensinnig widersprechenden Kind und sagte tiefgereizt und ärgerlich: »Ach geh doch, Adelheid – schulmeistere nicht immer! – Ich weiß recht gut, wie ich mich zu verhalten habe und reserviere mich streng auch dieser dummen Geschichte gegenüber. Mein Gott, was geht's mich an, daß dieser Felix Lucian gestorben ist? Was habe ich damit zu schaffen, daß er durch den Krieg Hab und Gut verloren hat? Ich sehe darin nur die rächende Hand Gottes an dem sündigen Sohne, der sich in abscheulicher Verblendung gegen die eigene Mutter aufgelehnt hat –«

»Das ist die alte Frau drüben auf dem Klostergute, die wir am Fenster sahen?«

»Ja – sie will bis auf den heutigen Tag nichts von dem Sohne hören – mit allem Recht! Sie weiß nicht um seinen Tod, nicht daß er zwei Kinder hinterlassen hat, und spart und mehrt ihr großes Vermögen einzig und allein für das Kind ihres Bruders, das kleine fratzenhafte Gerippe, das vorhin dort auf der Mauer herumsprang.«

Wie erschöpft vom anhaltenden Sprechen und sichtlich grillig schmiegte sie sich in den Lehnstuhl – das weiße Batistkleid bauschte in häßlichen Falten um den leicht zusammensinkenden Körper, und auf den langen, schmalen Händen, die mechanisch an dem gestickten Besatz zupften, lag fast greisenhaft entblößt das Geflecht der Adern. »Dem verzogenen, boshaften Jungen könnte es im Grunde nicht schaden, wenn ihm diese Erbschaft entzogen würde – er erbt so wie so übergenug,« setzte sie nach einer Pause mit einem stechenden Aufflimmern ihrer Augen hinzu; »aber wie gesagt, was kann das mich interessieren? ... Ich habe stets ein gerütteltes Maß Geduld nötig gehabt, wenn Arnold von dem amerikanischen Freund sprach – wie »der arme Mensch« auf seinem Leidensbette keinen anderen Wunsch habe, als der gekränkten Mutter seine vergötterten Kinder zuzuführen, wie es sein ausdrücklicher letzter Wille sei, daß nach seinem Tode die junge Witwe mit ihnen nach Deutschland zurückkehre, und Gott weiß was alles! – Ich habe immer nur mit halbem Ohr hingehört ... Nun sollen aber alle diese Träume und Pläne verwirklicht werden, und dabei stößt man auf große Schwierigkeiten. Rat Wolfram hält geflissentlich alles fern, was seine Schwester an den Sohn erinnern könnte – er ist ein Mann, der sich lieber in Stücke zerreißen läßt, ehe er den eigentlichen Erben seiner Schwester auch nur einen Span zugesteht; er muß mithin völlig ahnungslos bleiben, und die Großmutter soll ihre Enkel anfänglich kennen lernen, ohne zu wissen, wer sie sind – wie die guten Leute das anfangen wollen, das mag der Himmel wissen, lange genug wird's dauern! Der Ort dieser Manöver aber wird der Schillingshof sein, den Arnold leider in seiner überschwenglichen Freundschaft dem Verstorbenen und seiner Witwe zur Verfügung gestellt hat.« »Und in dieser Intrigue wirst du trotz alledem und alledem deine Hand haben – du wirst das Geheimnis mit behüten müssen –«

Mit einem müden Kopfneigen und allen Zeichen des Überdrusses bestätigte die Baronin:»Wenn ich meine Einwilligung nicht zurücknehmen will, allerdings; selbst vor unseren Leuten – mit Ausnahme der Birkner, die diese ehemalige Mademoiselle Fournier gesehen hat und sie jedenfalls wiedererkennen wird.«

Adelheid deutete auf das Kuvert, das eine feste Hand beschrieben hatte. »Ist der Brief von der jungen Witwe selbst?«

Die Baronin verzog geringschätzend die Lippen. »Ich vermute, daß diese Tanzvirtuosin keinen anständigen Brief zu schreiben versteht, deshalb mag wohl Lucians Halbschwester, eine Frau Mercedes de Valmaseda, die Verhandlungen in die Hand genommen haben. Sie schreibt stets wenige, kurz zusammengefaßte Zeilen, und so sehr von oben herab, daß ich Arnolds Gelassenheit bewundere, mit der er sich das gefallen läßt. – Ihr Herr Gemahl mag wohl ein steifleinener Grande sein, ein edler Hidalgo, der sich stolz in seinen geflickten Mantel hüllt – denn furchtbar verarmt sind sie alle durch den Krieg, diese Herren Sklavenhalter der Südstaaten.«

Sie fuhr plötzlich wie elektrisiert aus ihrer nachlässigen Stellung empor – man hörte Pferdegetrappel, und das eiserne Gittertor wurde klirrend zurückgeschlagen – Baron Schilling ritt in den Garten.

Die Frau mit dem müden Leib und der matten Seele war für einen Moment in ihrem unbeherrscht lebendigen Mienenspiel, in jedem kräftig gespannten Muskel das Bild atemloser, fast bräutlich leidenschaftlicher Erwartung; aber auch nur für einen Moment, dann sank sie mit einem lauernden Seitenblick nach der Freundin in ihre frühere Teilnahmslosigkeit zurück.


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