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Erster Akt

Herrenzimmer im Hause Löwen. Bibliothek. Moderne Zeichnungen an den Wänden. Türen links, rechts und im Hintergrund, in der Täfelung. Volle Beleuchtung.

 

Erste Szene

Die Hofrätin Löwen. Franz Löwen.

Die Hofrätin: am Arm Löwens, von rechts: Lieber hier. Dies Zimmer ist weniger parfümiert als Lianes Salon.

Löwen: Aber Liane hält sich mehr hier auf als drinnen.

Die Hofrätin: Ja, bei den Büchern.

Löwen: Du wirst nicht leugnen, Mama, daß sie eine vollkommene Hausfrau ist. Hat es dir geschmeckt?

Die Hofrätin: Euer Souper war gut. Da es aus dem Continental kommt, hattest du nur zu bezahlen. Was mir, offengestanden, nicht gefällt, ist, daß wir hier alle zu Ehren dieses Musikers aufgeboten sind.

Löwen: Herr Christoph Gaßner ist unser Freund.

Die Hofrätin: Seit acht Tagen.

Löwen: Schon voriges Jahr in Dresden haben wir ihn kennengelernt.

Die Hofrätin: Man macht in unseren Kreisen zu viel Wesens von solchen Leuten.

 

Zweite Szene

Die Vorigen. Frau Huller. Philipp Mandl.

Frau Huller mit Philipp, von rechts: Aber Frau Hofrätin! Ein weltberühmter Komponist! Man muß doch für ihn schwärmen. Was würden Sie übrigens sagen, wenn Lisl ihn heiratet?

Philipp: Ja, was würden Sie sagen, Frau Hofrätin? Ich erkläre, daß ich mich auf alles gefaßt mache. Wir jungen Leute haben nur noch zu verschwinden, wenn so eine Berühmtheit sich zeigt. S-s-ßt! Schon haben sie sich.

Die Hofrätin: Erstens ist er zu alt für Lisl. Und dann, der Ruhm: ist das eine Position?

Löwen: Man sagt.

Philipp zu Frau Huller: Wenigstens sollten die anderen Damen uns entschädigen. Sie zum Beispiel, Frau Jenny, fühlen Sie sich mir gar nicht verpflichtet? Leiser: Bin ich diskret, wie?

Frau Huller: Dieser Philipp! Schon wieder Witze?

Philipp leise: Witze? Es war eine bedeutende Quetschung am Fuß, wissen Sie? Heut gehe ich das erstemal wieder aus. Seien Sie froh, daß ich lebe.

Frau Huller ängstlich: Ich glaube, man braucht Sie, um den Kaffee zu servieren.

 

Dritte Szene

Die Vorigen. Lisl. Gaßner. Liane. Frau Benedikt. Dr. Josefsthal. Das Zimmermädchen.

Philipp nimmt dem Zimmermädchen das Tablett ab: Kaffee, die Damen?

Lisl von rechts, zu Gaßner: Die wirkliche Hausfrau hier ist nämlich der Philipp.

Philipp: Ich belege den Posten bei Ihnen, Lisl.

Liane mit Frau Benedikt und Dr. Josefsthal von rechts. Nimmt Tassen vom Tablett: Danke, Philipp, Sie sind sehr lieb.

Frau Benedikt: Herr Mandl, Sie müssen warten, bis ich auch Zucker habe.

Philipp: Sie bekommen Zucker, wenn Sie Philipp zu mir sagen. Sie sind bei der Oper, gut. Aber ist das ein Grund, so steif zu sein?

Lisl: Genieren wird man sich wegen der gnädigen Frau. Wo sind die Zigaretten, Philipp? Zu Frau Benedikt: Sie werden einmal rauchen, gnädige Frau. Ich möchte Ihnen Ihre kostbare Stimme ruinieren.

Das Zimmermädchen ab.

Gassner zu Liane: Herr Mandl ist ein Verwandter?

Liane: Nein. Aber er fühlt sich nur wohl, wenn er so behandelt wird. Wir sind eine Clique, wissen Sie. Alle kennen sich von jeher, es ist schrecklich. Würden Sie sich da hineinfinden?

Gassner: Erstens kenne ich ja Frau Benedikt.

Liane zurückhaltend: Ja – von früher her, als Sie beide noch unbekannt waren. Sie hat mir manches von Ihnen erzählt.

Gassner: Gutes?

Liane lächelt: Nicht immer.

Gassner: Das ist begreiflich ... Ich wollte sagen, daß auch Ihre Leute, selbst die, die ich noch nie gesehen hatte, mir schon vertraut scheinen, so viel beschäftige ich mich seit acht Tagen mit Ihnen.

Liane: Und vielleicht werden Sie sogar meine Schwägerin Lisl heiraten.

Gassner: Es könnte geschehen – da sie Ihre Schwägerin ist. Wie der Wert unserer Wünsche schwankend ist! Hergekommen war ich, brennend vom Ehrgeiz für meine Oper. Jetzt aber betrachte ich als das Ziel meiner Reise dies Haus.

Liane: Sie sind der gütigste Mensch, der mir begegnet ist.

Gassner: Warum gütig?

Liane: Es sieht manchmal aus, als wüßten Sie gar nicht, was für eine außerordentliche Musik Sie schreiben. Ihre Musik war mein größtes Erlebnis. Sie war mein einziges großes Erlebnis.

Gassner: Darum kann man doch gute Freunde sein.

Liane: Ich weiß nicht.

Gassner: Ich weiß es. Schon als ich Ihnen meinen ersten Besuch machte und noch bevor Sie eintraten, fühlte ich mich hier allem befreundet: Ihrem Porträt, diesen Möbeln, Ihren Büchern.

Liane: Sie stehen zwischen denen meines Mannes. Dies ist sein Zimmer.

Gassner: Ja. Sie haben ein reizendes Kind und einen Mann, der Sie, glaube ich, anbetet.

Liane: Er verehrt mich sehr. Ich darf nicht klagen.

Gassner: Und er macht Ihnen keinen Kummer.

Liane: O nein! Wenigstens nicht durch seine Schuld ... Er verehrt auch Sie, wissen Sie, weil ich es tue.

Gassner: Unsereiner lebt mehr oder weniger von der Gunst solcher ungewöhnlichen Frauen, wie Sie eine sind.

Löwen tritt hinzu: Verzeihen Sie die Frage, Herr Gaßner: es bleibt, für Ihre Premiere, beim nächsten Dienstag?

Gassner: Ich denke.

Liane: Mein Mann fiebert schon. Sooft ich hereinkomme, sitzt er am Klavier und liest Ihre Partitur.

Löwen: Man hat hier allgemein große Vorliebe für Ihre Musik. Ich hoffe, Sie werden am Dienstag mit uns zufrieden sein.

Gassner: Es ist an mir, Sie zufriedenzustellen.

Löwen: Die arme Frau Huller wird nicht dabeisein dürfen. Liane, willst du dir den Auftrag ihres Mannes vielleicht ausrichten?

Liane: Muß ich? Zu Gaßner: Es ist immerhin peinlich, einer Frau zu sagen, daß sie abreisen möge, weil ihr Mann ankommt.

Gassner: Frau Huller ist unglücklich verheiratet?

Liane: Ihre ganze Ehe besteht aus Auftritten.

Löwen: Ich begreife nicht, wie es zu Auftritten kommen kann.

Liane sieht zu Boden: Du begreifst das freilich nicht.

Lisl ruft: Das ist ein Gedanke. Eine Schönheitskonkurrenz!

Philipp: Die Hausfrau ist hors concours!

Frau Benedikt: Es wäre nicht edel, mich mitkonkurrieren zu lassen. Ich weiß wohl, man sieht meinem Teint die vielen Masken an, die ich habe machen müssen.

Dr. Josefsthal: Sie, verehrte Frau, haben uns so viele Gestalten der Schönheit vor Augen geführt, daß wir Sie niemals werden anders sehen können als schön.

Frau Huller: Philipp, meine Tasche. Sie nimmt Puderpapier heraus und benutzt es.

Lisl zu Gaßner: Wem geben Sie Ihre Stimme?

Gassner: Wenn Sie mich beeinflussen wollen, Fräulein Lisl, darf ich sie Ihnen nicht mehr geben.

Lisl: Um mich nicht zu verwöhnen? Wie Sie vorausschauend sind! Sie haben wirklich Ehemannstalente.

Die Hofrätin: Lisl, schwatze nicht! Das Kind redet daher und versteht nicht die Hälfte.

Lisl: Gott, daß ich ihn vielleicht heiraten werde, ist hier doch bekannt. Und wenn nichts daraus wird, wundert sich auch kein Mensch. Wer wird daraus heute noch eine Affäre machen!

Frau Benedikt zu Liane: Ich freue mich immer aufs neue, liebe Frau Löwen, wie gut Sie Ihre Krankheit überstanden haben! Sie sind schöner und jünger geworden. Wissen Sie, daß die Leute mich immer fragen, wer dies junge Mädchen ist?

Liane: Loben Sie nicht mich, sondern den Doktor Josefsthal.

Dr. Josefsthal: Mein Verdienst ist in diesem Fall noch geringer als sonst. Meinen andern Kranken bin ich wenigstens notwendig, um ihnen Hoffnung zu geben. Aber wenn eine darauf verzichtet?

Frau Huller: Wie kann man so geduldig sein! Ich bin in Verzweiflung, wenn ich nur den Schnupfen habe.

Liane: Wenn Leute kamen, war ich wohl nicht sehr ruhig?

Dr. Josefsthal: Visitenkarten schon regten Sie auf. Sonst aber –: nun, wir hatten uns darüber geeinigt, daß die medizinische Wissenschaft wohl erkennen, aber leider nicht heilen kann. Ich habe mich nie so gut mit einer Patientin verstanden. Ganz so ergeben in Ihr Schicksal brauchten Sie trotzdem nicht zu sein.

Liane: Ich war es gar nicht. Lieber Doktor, ich wußte ganz genau, daß ich nicht sterben würde. Sie sieht Gaßner an. Ich konnte es noch gar nicht.

Gassner: So krank waren Sie?

Liane mit ihm nach vorn: Ich erzählte es Ihnen schon.

Gassner: Ich habe darüber hingehört wie über den vergeblichen Versuch des Unglücks, etwas zu verhindern, was doch kommen mußte.

Liane: Auch ich wußte, daß es kommen mußte und daß ich leben würde. Sie hatten uns geschrieben, daß Sie kommen würden.

Pause.

Gassner: Habe ich mich heute abend genug um Lisl bekümmert?

Liane: Sie hat sich mehr um Sie bekümmert.

Gassner: Sie sind unzufrieden?

Liane: O nein!

Gassner: Wollen Sie mich denn nicht mehr verheiraten?

Liane: Ich habe Sie bei Tisch neben Lisl gesetzt. Was sollte ich weiter tun?

Gassner: Sich selbst nicht an meine andere Seite setzen! Wenn Sie mich verheiraten wollen, hätten wir seit acht Tagen nicht so viel beisammen sein dürfen.

Liane: Ich werde der Anlaß sein, daß Sie Ihr Glück versäumen.

Gassner: Ich will lieber durch Sie unglücklich werden, als glücklich durch eine andere.

Liane: Sie sind nicht banal genug, um das zu sagen.

Gassner: Aber um es zu empfinden.

Liane beschwörend: Schweigen Sie noch! Sagen Sie kein Wort mehr, als Sie bis zu dieser Minute wissen. Es wäre schade um uns.

Gassner: Ich sagte es Ihnen schon: vom ersten Betreten dieses Hauses an war ich mir bewußt, hier werde ich viel erleben.

Liane: Mein Freund, es ist möglich, daß wir etwas zusammen erleben sollen. Aber wir dürfen nicht an die Unüberwindlichkeit des Schicksals glauben; denn erinnern Sie sich bitte: das erstemal, als wir uns begegneten, voriges Jahr in Dresden, haben Sie mich gar nicht beachtet.

Gassner: Wie können Sie glauben! Jenen einzigen Abend im Trubel einer Hotelhall, bei der Feier meines Erfolges, und ich war Erfolge noch nicht gewohnt: was Wunder, wenn ich nicht die Geistesgegenwart und Geschicklichkeit hatte, mich Ihnen zu nähern. Trotzdem, Sie dürfen mir glauben, trug ich aus alledem nur ein wirklich befreundetes Bild davon. Und als jetzt Ihr Brief kam –

Liane: Mein Brief?

Gassner: Sie haben mir doch geschrieben. Wie hätte ich mir sonst, bei unsern flüchtigen Beziehungen, erlaubt, Sie aufzusuchen.

Liane: Es wäre schlimm gewesen, wenn Sie mich nicht aufgesucht hätten. Aber geschrieben habe ich Ihnen nicht.

Gassner: Dann begreife ich nicht ... Und Sie wollen das Schicksal leugnen.

Liane: Das Schicksal heißt vielleicht Lisl.

Lisl tritt hinzu: Was ist mit Lisl?

Liane: Herr Gaßner spricht von dem Brief, den du ihm geschrieben hast, bevor er herkam.

Lisl: Einen Brief, ich? Ausgeschlossen. Das könnte höchstens eine Ansichtskarte gewesen sein.

Liane zu Gaßner: Also war es eine Ansichtskarte?

Gassner: Es war ein Brief, auf goldgelbem Papier, mit den Buchstaben L. L.

Lisl: So ist mein Papier – aber deins auch, Liane. Zu Gaßner: Und was stand darunter: Lisl – oder vielleicht etwas anderes?

Liane: Ich glaube kaum.

Lisl: Das wäre auch gar nicht schön!

Gassner: Jetzt wage ich nichts mehr zu behaupten.

Lisl: Ah! Sie wagen nicht. Sie holt Löwen herbei. Franz! Jetzt schreiben die Geister Briefe für mich. Oder auch für Liane, man weiß nicht. Der Herr Christoph Gaßner hat einen Brief bekommen, den keine von uns geschrieben hat.

Löwen: Wann war's denn?

Gassner: Vor vier Wochen.

Löwen: Damals warst du, Liane, schwer krank.

Lisl: Und ich war mit Mama im Gebirge.

Löwen: Man hat sich einen Scherz erlaubt.

Gassner: Ich muß dem Spaßmacher dankbar sein. Zu denken, daß ich ohne ihn nicht hier wäre!

Lisl: Herr Christoph Gaßner! Mit ihm auf die andere Seite. Was stand darunter?

Gassner schweigt.

Lisl: War es vielleicht undeutlich?

Gassner: Es war sehr deutlich.

Lisl: Dann brauchen Sie nichts mehr zu sagen. Meine Unterschrift kann niemand lesen ... Dann sind Sie also wegen Liane gekommen.

Gassner: Und dann habe ich Sie, Fräulein Lisl, kennengelernt.

Lisl: Wollen Sie das für ein erschütterndes Ereignis ausgeben?

Gassner: Für ein sehr willkommenes.

Lisl: Meinetwegen. Aber eine andere Frage: habe ich Ihnen eigentlich schon mein Jawort gegeben?

Gassner: Das ist es, was ich mich auch frage. Wenn Sie glauben, daß man bei Ihnen weiß, woran man ist.

Lisl: Trösten Sie sich, bei Ihnen weiß man es auch nicht. Falls ich Ihnen übrigens mein Jawort gegeben haben sollte, nehme ich es hiermit zurück.

Gassner: Sie sind hart.

Lisl: Aber gerecht ... Sind Sie nun froh?

Gassner wehrt ab.

Lisl: Machen Sie keine Geschichten! Ich habe ja auch gedacht, es würde gehen. Wir lieben uns nicht, aber das hätte nichts gemacht. Sie hätten durch mich ziemlich viel Geld bekommen, und ich Ihren Namen. Zusammen hätten wir Sensation erregt.

Gassner: Und warum muß das alles ein Traum bleiben?

Lisl: Von den Hindernissen, die auf Ihrer Seite bestehen, wollen wir nicht reden. Ich aber werde niemals Ihre Musik zu Ende hören können.

Gassner: Meine Musik?

Lisl: Auch nicht, was Sie sagen. Überhaupt nichts, was einer sagt oder spielt, oder singt. Kein Buch kann ich fertig lesen und kein Bild ansehen. Es gibt nämlich von alle dem so schrecklich viel, und man muß alles mitmachen. Das dauert schon ewig, obwohl ich eigentlich noch nicht lange dabei bin, und es soll immer weitergehn. Da kann man wirklich von allem im Leben gerade nur kosten.

Gassner: Lisls Schicksal!

Lisl: Es ist auch nicht dümmer als ein anderes. Sehen Sie, ich habe immer Flirts, und niemals wird es ernst. Natürlich würde ich auch nach unserer Verheiratung weitergeflirtet haben, aber ich glaube, Sie hätten ganz ruhig sein dürfen, bei mir kommt nichts zu Ende.

Gassner: Sie spielen.

Lisl: Und Sie waren wohl immer sehr ernst?

Gassner: Im Gegenteil, ich habe viel gespielt. Jetzt ist es an Ihnen.

Lisl: Ja, es wechselt. Schade, daß es bei uns nicht zusammentrifft; dann hätte ich die Frau des berühmten Christoph Gaßner sein können. So geht es nicht. Denn Ihre Musik ist doch viel zu schön, als daß man mitten drin fortlaufen darf.

Gassner: Sie sind ein entzückendes Mädel.

Lisl: Das sagen Sie aufrichtig. Aber dafür habe ich mich anstrengen müssen.

Philipp hinten: Aber wenn ich mein Ehrenwort gebe!

Frau Huller: Liane, hör das an!

Liane: Sie jammern schon wieder über Ihren Fuß, Philipp? Soll Doktor Josefsthal ihn anschauen? Was ist denn damit?

Philipp: Was damit ist? Ein Auto ist mir drüber gegangen. Jawohl. Vor acht Tagen.

Frau Huller: Dieser Schwindler!

Liane: Das würden Sie mir seit acht Tagen jeden Morgen am Telefon erzählen.

Philipp: Durfte ich denn? Es ist doch eine diskrete Sache. In dem Auto saß eine Dame mit einem Herrn, – wenn Sie mich denn zwingen, zu reden.

Frau Huller: Er renommiert!

Philipp: Renommieren werde ich damit, wenn ein Liebespaar mir über den Fuß fährt und mich auf der Landstraße liegen läßt, soviel ich auch schreie!

Frau Huller zu Frau Benedikt: Das tut doch keine Frau! Zu Philipp: Man hätte Ihnen geholfen!

Philipp: Sie werden mir helfen! Ihr Herz ist bekannt!

Liane: Könnte es nicht auch so gewesen sein, lieber Philipp, daß Sie selbst im Auto saßen, auf einer Ihrer kleinen Hochzeitsreisen, und dabei verunglückt sind?

Philipp: Nein, ich saß nicht in dem Auto. Sieht Frau Huller an. Aber ich werde auch noch drin sitzen!

Frau Huller lacht angestrengt.

Allgemeine Heiterkeit.

Dr. Josefsthal vorn, zu Löwen: Sie sind geschäftlich überanstrengt.

Löwen: Ich bin überreizt durch ein Unternehmen, dessen Ausgang ich nicht voraussehe.

Dr. Josefsthal: Als Ihr Arzt kenne ich so gut Ihre zuverlässige Natur, daß ich überzeugt bin, lieber Freund, auch geschäftlich brechen Sie sich nicht den Hals.

Löwen: Die Idee ist so schlimm wie die Tatsache. Lieber Doktor, Sie kennen hier von jeher jedes Elend. Ich sehe nicht ein, warum ich Ihnen nicht auch dieses eingestehen sollte. Unsereiner täte gut, seine Geschäfte mit seinem Arzt zu besprechen. Ich habe die entsetzliche Vorstellung, daß es im Fall eines geschäftlichen Zusammenbruchs auch mit meiner Häuslichkeit aus ist. Leise, den Kopf gesenkt: Alle meine Anstrengungen sind darauf gerichtet, meine Frau zu behalten.

Dr. Josefsthal leise, eindringlich: Das Kind ist da.

Löwen: Habe ich das Recht, es ihr zu nehmen, falls sie gehen will?

Dr. Josefsthal: Sie werfen Ihre Waffen fort.

Löwen: Meine beste Waffe wird es immer sein, daß ich Liane das Leben erleichtere.

Dr. Josefsthal: Ich werde Ihre Nerven stärken müssen. Die wirksamste Stärkung aber haben Sie zweifellos von Ihrem Freunde Viktor Türk zu erwarten.

Löwen: Von dem Freunde meiner Frau.

Dr. Josefsthal: Er kennt die Einzelheiten Ihres Unternehmens? Natürlich. Welcher große geschäftliche Vorgang wäre ihm unbekannt. Sein Einfluß hat Leuten geholfen, die gefährdeter waren.

Löwen: Ich erwarte ihn täglich. Ruft: Liane!

Liane: Mein Freund!

Löwen: Verzeih einen Augenblick. Dr. Josefsthal möchte wissen, wann Viktor Türk zurückkommt. Er hat dich vielleicht benachrichtigt?

Liane: Aber – weißt du denn nicht, daß er schon da ist? Ich hatte ihn für heute abend gebeten, leider konnte er nicht.

Dr. Josefsthal: Ihr Freund Türk sagt Ihnen ab? Das muß ihn einen schweren Kampf gekostet haben.

Liane: Im letzten Augenblick mußte ich sein Gedeck fortnehmen lassen. Es war keine Zeit mehr, einen fünften Herrn herbeizutelefonieren.

Löwen: Er hat dir nicht gesagt, was ihn abhält?

Liane: Ich habe keine Ahnung.

Gassner mit Liane beiseite: Ihr Freund –?

Liane: Viktor Türk, der Financier: Sie wissen schon. Wir sind sehr befreundet. Das heißt, er hat viel Freundschaft für mich. Wenn er in der Stadt ist, vergeht kaum ein Nachmittag, ohne daß ich ihn bei mir sehe.

Gassner: Da habe ich eigentlich Glück gehabt, daß er in diesen Tagen nicht da war.

Liane: Sie brauchen nicht eifersüchtig zu sein. Er spielt hier gar keine Rolle. Höchstens, daß seine – Gefühle mich bedrücken. Aus Mitleid dulde ich sie. Erraten Sie nicht, warum er heute abend abgesagt hat? ... Weil Sie da sind.

Sie sprechen leise weiter.

Lisl hinten: Ich finde seine Musik ganz herrlich, obwohl ich nie bis zum Schluß bleibe.

Philipp: Ich bleibe, aber ich kriege alle Zustände.

Frau Huller: Sie ist doch so riesig modern.

Die Hofrätin: Es ist keine Musik mehr. Singen Sie denn das wirklich gern, Frau Benedikt?

Frau Benedikt: Von uns Sängern verlangt seine Musik freilich Selbstverleugnung. Wenn wir recht im Vordergrund zu stehen meinen, zieht vielleicht ein Hirtenbub vorüber, singt und ist genauso wichtig. Oder die Sonne geht auf und ist noch wichtiger. Das Orchester aber deckt unsere Stimmen nie. Und alles ist schön, das Schönste, glaube ich doch, was sich heute machen läßt.

Löwen: Eben weil alles gleichmäßig behandelt ist. Ein klingendes Weltbild sozusagen, der Zusammenklang von unser aller Leben, in dem es ja keine Helden und keine Knechte mehr gibt. Bescheiden und groß.

Dr. Josefsthal: Bescheiden, weil es so geistreich ist. Haben Sie nicht bemerkt? Man ist nicht versucht, den Christoph Gaßner mit dieser im Grunde herablassenden Ehrerbietung zu behandeln, die wir für die weniger klarsichtigen, daher größenwahnsinnigen Künstler übrig haben. Er überschätzt die Bedeutung seiner Tätigkeit nicht, drückt aber manchmal äußerst feine Dinge aus, von denen wir voraussehen, daß eines Tages alle Menschen sie fühlen werden. Er sagt uns gleichsam schon etwas über unsere Enkel. Das ist immerhin merkwürdig.

Liane vorn, zu Gaßner: Man spricht über Sie? Dann läßt sich voraussehen, daß man sogleich an mich herantreten wird mit dem Verlangen, ich solle für eine musikalische Unterhaltung sorgen. Was kann ich als Hausfrau dagegen tun.

Gassner: Sie sollen gar nichts dagegen tun. Ich stehe Ihren Gästen zur Verfügung.

Liane: Sie sind noch edler als ich dachte. Dann verständige ich also Frau Benedikt. So sehr sie sonst die Salons verachtet, in denen sie singen muß: wenn Sie spielen, wäre sie natürlich gekränkt, daß man nicht auch sie bittet. Einen Augenblick. Sie geht zu Frau Benedikt und flüstert mit ihr.

Frau Benedikt nach vorn, zu Gaßner: Es wird gewünscht, daß wir musizieren. Ich möchte es nicht und bitte Sie, es mir für heute abend zu untersagen.

Gassner: Die Proben haben Sie freilich grade genug angestrengt. Aber sollten wir der Hausfrau nicht den Gefallen tun?

Frau Benedikt: Ich bin befreundet genug mit ihr, daß ich einmal nein sagen darf.

Gassner: Aber ich?

Frau Benedikt: Oh, Sie, glaube ich – auch schon.

Gassner: Liebe Clara, es sieht aus, als wären Sie mir mit Absicht ungefällig.

Frau Benedikt: Keineswegs, Meister. Haben Sie sich etwa bei den Proben über mich zu beklagen?

Gassner: Wahrhaftig nicht. Sie singen, daß ich Herzklopfen bekomme.

Frau Benedikt: Und das will etwas heißen.

Gassner: Aber wenn wir hier in einem geschlossenen Zimmer miteinander Musik machten, das würde Sie vielleicht peinlich an alte Zeiten erinnern?

Frau Benedikt ausweichend: Damals hörte ja niemand uns zu. Obwohl sich's gerade damals verlohnt hätte.

Gassner: Wissen Sie denn nicht, wieviel voller und gefesteter heute Ihre Kunst ist?

Frau Benedikt: Kunst. Aber dieses gewisse Äußerste, Fessellose, das die Leute nie zu hören bekommen, weil sie uns noch nicht kennen wollen, so lange wir es haben?

Gassner: Es ist nicht schön, jung zu sein. Man war wirr und beladen.

Frau Benedikt: Sie? Sie nahmen die Dinge leicht, außer dem einen, ein Meister zu werden.

Gassner: Ich sollte Sie mir in Ihrem Heim ansehen, mit Ihrem Mann und Ihrem Buben. Sie sind glücklich, das fehlt mir.

Frau Benedikt: Warum? ... Vorhin habe ich den Herrschaften über Ihre Musik alles Gute gesagt, das sich irgend sagen ließ, und ich glaube es auch. Sie verstehen alles. Sie umfassen das ganze Leben und erhöhen es. Sie lieben, in Ihren Werken, die Menschen, wie vielleicht niemand sie liebt. Sie haben ein großes Herz: zu groß für uns Arme. Niemals haben Sie ein Wesen geliebt, eins vor allen andern, niemals eine Frau.

Gassner: Sie irren sich, Clara.

Frau Benedikt: Darum empfinden die einfachen Leute Ihre Musik als etwas zu Fernes, Hohes, Übermenschliches. Sie sind vielleicht ein Heiland, aber der verweilt nicht.

Gassner: Sie sind noch bitter von jener alten Zeit her. Ich kann lieben.

Frau Benedikt: Niemals werden Sie eine Frau wirklich lieben.

Gassner bestürzt, leise: Sie sagen –?

Frau Benedikt sanft und bestimmt: Niemals.

Liane zu ihnen hin: Nun?

Gassner: Gnädige Frau, ich habe eine große Ungezogenheit begangen, ich habe Frau Benedikt das Singen verboten. Können Sie sich in die maniakalische Geistesverfassung eines Komponisten hineindenken, der in drei Tagen eine Premiere hat? Dann verzeihen Sie mir.

Liane: Warum reden Sie so viel? Nach der Gesellschaft: Meine Lieben, es ist wirklich besser, wir schonen unsern berühmten Gast und auch seine Darstellerin bis zum Dienstag.

Die Hofrätin: Ich habe gleich gesagt, daß eine Partie Bridge es auch tut.

Lisl: Man hat nicht acht gegeben, Mama, weil du das immer sagst.

Philipp: Bridge ersetzt uns den Genuß nicht. Mindestens muß gepokert werden.

Löwen: Ich richte den Tisch her. Links ab.

Frau Huller zu Gaßner: Führen Sie mich hinein? Ich bin die am schwersten Enttäuschte, wissen Sie, weil Sie nichts vorspielen.

Gassner mit Frau Huller links ab.

Liane: Viel Vergnügen! Frau Benedikt und ich verstehen nun einmal nichts davon. Zu der Hofrätin: Mama, schone unsere Gäste!

Die Hofrätin, Philipp, Lisl, Dr. Josefsthal links ab.

 

Vierte Szene

Liane. Frau Benedikt.

Liane: Ich bin glücklich, daß wir inzwischen plaudern dürfen. Ist es sonderbar, wie? wenn man von den Freuden der andern nichts versteht. Sonst ist es freilich mein Ehrgeiz, jeden Sport gleich mitzumachen, jede dumme Mode.

Frau Benedikt: Oh! ich habe für das Pokern sogar eine Leidenschaft. Eben darum lasse ich es.

Liane: So stark?

Frau Benedikt: Übrigens ist mein Mann unzufrieden, wenn ich ermüdet heimkomme.

Liane: Und auch singen wollten Sie wohl nicht aus Rücksicht auf Ihren Mann?

Frau Benedikt: Wie kommen Sie darauf, daß ich nicht wollte?

Liane: Ich weiß selbst nicht. Sagten Sie uns nicht, daß Sie und Christoph Gaßner sich gut gekannt haben, als Sie beide sehr jung waren?

Frau Benedikt: Ja. Wir waren bei demselben Theater, er als zweiter Kapellmeister, ich in meinem ersten Engagement.

Liane: War es schön damals? Waren Sie glücklich?

Frau Benedikt: Man war jung.

Liane: Und – sonst nichts? Verzeihen Sie.

Frau Benedikt einfach: Und verliebt. Sie dürfen schon davon mit mir reden. Ich habe den Christoph Gaßner, der jetzt so groß geworden ist, einmal sehr liebgehabt.

Liane ohne sie anzusehen: Und er Sie.

Frau Benedikt an Liane vorbei: Nicht so sehr.

Liane: Wie? Sie irren sich! Eine Frau, die ihm gewiß – gefiel, die seine Interessen hatte, die ihn verstand ...

Frau Benedikt: Trotzdem nicht. Auf seine Art liebte er mich wohl. Ich hätte irgendein süßes Mädel sein dürfen, und für ihn wäre es dasselbe gewesen.

Liane erschrocken: Er hat nicht gefühlt, wer Sie seien?

Frau Benedikt: Nein, das hat jeder andere besser gefühlt. Ich gestehe, daß ich damals glaubte, er wolle nicht, und es sei Eifersucht. Ich haßte ihn dafür, und er mich für meine Vorwürfe, für die Unruhe, die ich in sein Leben brachte. Denn er war natürlich, jetzt sehe ich es ja ein, viel zu sehr beschäftigt mit sich selbst, um auch noch auf ein zweites Wesen einzugehn, das genauso wichtig genommen werden wollte.

Liane: Das war damals, als er alles noch zu werden hatte, was er jetzt ist. Wenn Sie ihn jetzt lieben würden –

Frau Benedikt einfallend: Wären es dieselben Kämpfe, das gleiche Elend. Sie steht auf. Glauben Sie denn, daß ein Mann wie Christoph Gaßner je etwas nachlassen kann von seinem Anspruch, der einzige zu sein? Was er braucht, der allzu bedeutende Mann, ist eine Durchschnittsehe mit einem gehorsamen Bürgerkind, das ihn hinterrücks betrügt.

Liane steht auf: Aber nicht er hat sich bürgerlich verheiratet, sondern Sie.

Frau Benedikt: Er zieht es vor, noch andere unglücklich zu machen.

 

Fünfte Szene

Die Vorigen. Frau Huller.

Frau Huller flatternd von links: Das ist nicht auszuhalten, dieser Philipp agaciert mich.

Philipp von draußen: Nicht fortlaufen! Wo ich im schönsten Gewinnen bin.

Frau Huller: Liebste Frau Benedikt, seien Sie lieb und nehmen meinen Platz!

Liane zu Frau Benedikt: Sie brauchen nicht lange zu sündigen. Ich werde das Spielernest bald ausheben.

Frau Benedikt: Mein armer Mann! Ab.

 

Sechste Szene

Liane. Frau Huller.

Frau Huller: Liane! Du mußt mich retten.

Liane: Was ist geschehen? Hast du dort drinnen dein Vermögen verloren?

Frau Huller: Die Sache ist ernster als du glaubst. Tragisch gradezu.

Liane: Da bin ich neugierig.

Frau Huller: Ich wage es sogar dir kaum zu sagen. Es ist wirklich, als ob dunkle Mächte mit uns spielen, wie es neulich in dem Stück hieß. Das Auto, das den Philipp überfahren hat, war nämlich – meins.

Liane: Schauderhaft. Aber ich will dir auch ein Geständnis machen: ich dachte es mir schon. Es war nämlich an eurem Benehmen nicht schwer zu merken.

Frau Huller erschrickt.

Liane: Fürchte nichts, den andern ist es nicht aufgefallen. Man muß wohl Sinn für solche Sachen haben.

Frau Huller: Ja, nicht wahr? Wir verstehen uns. Du kannst dir meinen Zustand denken, als ich Philipp liegen lassen mußte, rechts Wald, links Wald, und weiter, mit – dem Herrn, der bei mir war.

Liane: Ich weiß schon. Da du diesen Herrn liebst, kam das andere natürlich nicht in Frage.

Frau Huller: Freilich habe ich ihn geliebt. Aber es war damals schon ziemlich aus. Da hatte ich doch erst recht keinen Grund mehr, mich vor Philipp zu kompromittieren. Ich hoffte, unter dem dichten Schleier habe er mich nicht erkannt.

Liane: Ich würde es dir sehr übelgenommen haben, liebe Jenny, wenn du aus Sentimentalität eine solche Dummheit begangen hättest. Unsere Leidenschaften haben anerkanntermaßen das Vorrecht, über alles hinwegzusausen. Mag ein gleichgültiger Herr ruhig auf der Landstraße enden.

Frau Huller: Ein gleichgültiger Herr! Du ahnst also noch immer nicht meine ganze Tragik? Liane! Ich liebe doch Philipp.

Liane: Oh!

Frau Huller stolz: Nicht wahr? Wenn so etwas in der Zeitung stände, würdest du es nicht glauben.

Liane: So etwas steht auch nicht darin. Also in Begleitung eines Mannes, von dem du dich innerlich schon losgesagt hast, überfährst du den, den du liebst, und kannst dich ihm unter diesen Umständen natürlich erst recht nicht zu erkennen geben. Ich verstehe, Jenny, daß dein Herz mehr geblutet hat als Philipps Fuß.

Frau Huller: Ob es geblutet hat! Ich kann dir versichern, der andere hat einen schlechten Tag gehabt.

Liane: So sehen unsere Tragödien aus.

Frau Huller weint: Und das schlimmste ist: jetzt haßt Philipp mich. Aus Rachsucht will er mich haben. Wenn ich ihm nun zeige, wie sehr er mir gefällt, hält er es für Schwindel, weil ich Angst vor ihm habe.

Liane umarmt sie: Arme Jenny! Das ist nun wirklich traurig. Du mußt ihn erpressen lassen, was du gern freiwillig gegeben hättest. Aber siehst du, der Ehebruch legt uns Verpflichtungen auf. Alles geht seine Wege.

Frau Huller: Ich will nicht mehr.

Liane: Dann gibt es etwas anderes. Verzichte auf Philipp und den Rest, und versöhne dich mit deinem Mann.

Frau Huller: Das halte ich nicht aus. Man braucht doch Sensationen.

Liane: Nun, die hast du.

Frau Huller: Ich werde also wieder dort hineingehen und mir von Philipp Unverschämtheiten sagen lassen ... Du kommst nicht mit?

Liane: Gleich. Ich sorge nur für Erfrischungen.

Frau Huller links ab.

 

Siebente Szene

Liane. Gaßner.

Liane geht durch das Zimmer, setzt sich und blickt nach der Tür.

Gassner von links: Was tun Sie dort?

Liane: Ich – habe Sie erwartet.

Gassner: Und ich bin gekommen. Er setzt sich zu ihr. Den ganzen Abend schon bin ich gespannt auf dies Alleinsein mit Ihnen.

Liane: Auch ich habe die Reden der andern nur wie aus der Ferne gehört und ihnen geantwortet wie ins Leere.

Gassner: Mir drängt sich schon alle diese Tage lang das Leben zusammen in die kurzen Stunden, die ich Ihnen hier gegenübersitze. Ich habe keinen anderen Gedanken. Wenn ich mit Ihnen in derselben Stadt lebte, mir scheint, ich würde niemals mehr arbeiten können.

Liane: Das dürfen Sie nicht sagen. Es ist auch nicht wahr.

Gassner: Es wäre eine Wollust, zu verstummen vor Ihnen.

Liane: Es wäre ein Verbrechen. Das verlange ich nicht.

Gassner: Doch. Sie verlangen es.

Pause.

Gassner: Und seien Sie versichert, daß ich dies keiner Frau je gesagt habe.

Liane: Ich weiß es.

Gassner: Was habe ich Ihnen nicht alles verraten, vom ersten Tage an.

Liane: Und ich Ihnen!

Gassner: Mögen Sie von Ihrer Ehe enttäuscht sein –

Liane: Ich bin nicht einmal enttäuscht. Ich hatte nichts erwartet.

Gassner: Sie haben doch Ruhe. Und Sie haben Ihr Kind zu lieben.

Liane: Ja, ohne Alice hätte ich es wohl nicht ertragen.

Gassner: Was hätten Sie getan?

Liane: Weiß ich's? Eine Abenteurerin steckt in jeder von uns.

Gassner: Sie haben widerstanden.

Liane: Ich habe gewartet.

Gassner steht auf, tut einige Schritte, kehrt zurück. Angstvoll: Worauf? Können Sie denn noch glauben, daß es für Wesen wie uns, in der Welt, die wir kennen, ein unbedingtes Glück gibt?

Liane in den Sessel gelehnt, reglos, sieht plötzlich zu ihm auf: Sie haben also niemals geliebt?

Gassner: Ich habe Ihnen gesagt, mit welchen Frauen ich gelebt habe.

Liane: Mit Kokotten und kleinen Schauspielerinnen. Das zählt nicht.

Gassner: Warum weniger als anderes? Wir lieben Illusionen. Alles Schöne dieser Erde ist trügerisch, warum nicht auch die Frau? Diese Spitzen, diese Stoffe, die für Lichtgestalten einer anderen Sphäre gewebt scheinen, – über sie gebeugt – diese Haut, zu kostbar und makellos, um über irgend etwas Animalisches gespannt zu sein, dies Haar, das ich einatme, wie den Himmel selbst –

Liane reglos: Das alles gefällt Ihnen und Sie sehen darauf hinab.

Gassner: Die Wesen, die sich unter so viel Schimmer verbergen, haben mich zu oft schon enttäuscht.

Liane: Sie möchten in den Spitzen auch noch Seele.

Gassner tritt zurück: Ich hatte es immer nur mit Frauen zu tun, die mir gefielen, oder aber mit Frauen, die ich hätte lieben wollen. Niemals war, bis heute, alles in einer.

Liane: Liegt der Fehler nicht in Ihnen? Ihre Träume sind zu groß. Sie schaffen das Ideal; eine arme Sterbliche kann nicht Ihrer Musik gleichen.

Gassner: Kunst ist doch nur die vollkommene Wirklichkeit. Eine von euch muß sie erreichen. Wo ist sie. An einer gewissen Altersgrenze erwartet man sie brennender und angstvoller als vordem. Jede Stunde scheint ein Versäumnis. Ich bin allein, und hinter mir liegen Trümmer. Alles, was man mit Menschen zu tun gehabt, war Blamage, denn man hat keinen halten können. Wie hart waren alle, wie hart wir selbst! Das ist der Augenblick, wo alles in uns bebend aufhorcht. Das Tor wird zugeschlagen! Du hast nicht gelebt!

Liane: Ist das nicht Überreiztheit und Verkennung des wirklichen Lebens?

Gassner: Ich behaupte ja nicht, daß dies das Lebensgefühl von Leuten sei, die auf den nächsten Orden warten oder zu der ersten Million die zweite legen. Mein Dasein war bürgerlicher Müßiggang und eine unablässige Vervollkommnung jener inneren Kraft, durch die wir leiden und lieben.

Liane: Sie sind stark, da Sie tausend andere Herzen aufzurütteln vermochten!

Gassner: Und nicht eins!

Liane: Was wollen Sie? Ein Glück wie alle? Ich habe eine Frau für Sie gesucht. Ich bin eine gute Freundin.

Gassner: Sie wissen genau, wie die Frau aussehen müßte, der ich mich hingeben könnte!

Liane: Ja. Denn ich weiß, seit ich Ihre Werke kenne, wie wir sein sollten.

Gassner: Mir ist es, als hätte ich sie alle nach Ihrem Bilde gemacht! Ich habe Sie von jeher gekannt!

Liane: Und ich Sie!

Gassner zurückweichend: Trauen Sie mir nicht zu sehr! Was Sie von mir wissen, haben mein Verstand und meine Sehnsucht erdichtet. Mein Herz ist nicht rein genug für Ihres!

Liane: Sie haben mich alle anderen Herzen verachten gelehrt! Sie sind der einzige, der mir gewachsen ist.

Gassner: Sie sagen es? Von allen Worten, die ich im Leben gehört habe, versprechen diese mir am meisten Glück und am meisten Schmerz. Da ich antworten soll, schaudere ich zurück. Ich habe Ihnen gegenüber die Keuschheit eines Jünglings. Ich fürchte Sie und mich und was wir jetzt aussprechen sollen.

Liane heftig, mit Schmerz: So überlassen Sie es mir und verlangen, daß ich Ihnen gestehe, wie sehr ich Sie liebe!

Gassner steht regungslos. Plötzlich schnell auf sie zu. Ein langer Kuß.

Pause.

Gassner nimmt eine Zigarette: Es ist geschehen. Was nun.

Liane: Ja, was. Eine Zigarette rauchen. Sie steht auf.

Gassner entschlossen: Liane, dies alles bleibt ohne Folgen, – oder Sie lassen sich scheiden und werden mein.

Liane: Wenn Sie es verlangen, werde ich es wohl tun müssen.

Gassner: Sie haben den Gedanken nicht selbst gehabt? Was hält Sie zurück?

Liane: Nichts. Oder, vielleicht, die Wehrlosigkeit meines Mannes. Daß er gar nicht begreifen würde. Daß er mir keinen Vorwand gibt. Sie haben es gehört, er begreift nicht, wie man es in einer Ehe zu Szenen kommen lassen kann. Wir haben nie eine gehabt, wie soll ich sie nun herbeiführen.

Gassner: Wenn es nötig ist, befreie ich Sie, und gleich jetzt!

Liane: Wäre ich nur nicht so frei! Er läßt mich gehen und kommen, wie es mir beliebt. Ich reise viel, ich verkehre mit wem ich will, und er vertraut mir. Eine Frau, die nicht brutal sein kann, hat es schwer, loszukommen von einem so modernen Gatten.

Gassner: Von einem so gleichgültigen! Er liebt Sie nicht!

Liane: Doch, er liebt mich. Oh! nicht stürmisch. Aber es ist ihm ein tiefes Bedürfnis, zu wissen, daß am dritten Tage wieder ein Brief von mir da sein wird, und daß ich zum Frühjahr dann selbst wieder einmal herschaue. Und er liebt das Kind; vielleicht würde er es mir nicht lassen. Und das sage ich Ihnen: ohne mein Kind gehe ich nicht fort!

Gassner nimmt sie in die Arme: Süße Frau! Ich möchte dich nicht anders als so, voll Hochherzigkeit und Liebe. Glaube nicht, daß ich es weniger schwer nehme!

Liane küßt ihn auf die Haare: Ich weiß. Denn du liebst mich ja. Du verstehst alles, noch bevor ich es ausspreche. Ich darf die Augen schließen, du wirst mich führen.

Gassner: Ich würde mich verachten, nähme ich dich leichthin zur Geliebten. Es ist Feigheit, von einer Frau nur die Freuden zu nehmen und die Last ihres Lebens einem andern zu lassen. Der Betrug würde uns kleiner machen als wir sind, er würde uns Mißtrauen gegeneinander eingeben, er würde uns trennen.

Liane: Soll ich denn seine Existenz zerbrechen?

Gassner: Oder Ihre und meine!

Liane: Haben wir so viel Rechte?

Gassner: Wir haben sie wohl erworben durch lebenslange Entbehrung. Mögen nun andere leiden. Welches Gefühl will denn aufstehn gegen unseres! Sprechen Sie ein Wort, und – Bewegung nach der Tür links – ich mache allem ein Ende.

Liane flehende Gebärde.

Gassner ergreift ihre Hände: Liane! Welche kalten Hände! Verzeihen Sie mir! Ich habe nie das Unglück eines Menschen gewollt.

Liane: Und jetzt wollen Sie einem gleich Frau und Kind nehmen.

Gassner: Lieben Sie mich denn nicht?

Liane: Ach! ob ich Sie liebe.

Gassner: Verzeihen Sie mir! Ich habe es leicht, mich mit meiner Entschlossenheit zu brüsten. Was hält, in meiner bisherigen Existenz, mich denn zurück. Ich bin, trotz Erfolg und Ehren, ein alter Zigeuner. Habe ich auch nur das Recht, zu verlangen, daß Sie um meinetwillen Familie und Haus verlassen, Ihren Kreis, Ihr gewohntes Leben, Vergnügungen und Pflichten? Sie fesselt so vieles.

Liane mit Leidenschaft: Mich fesselt gar nichts!

Gassner: Wie schön solch ein Wort Sie macht! Wie ich Sie anbete! Sie setzen sich einander gegenüber, ganz nahe.

Gassner: Daß ich es bin, der diese Brust stärker atmen macht! Seit wann lieben Sie mich?

Liane: Von jeher! Solange ich Ihre Werke kenne.

Gassner: Dann lieben Sie den, der das geschrieben hat, – gleichgültig, was für ein Mann er ist?

Liane lächelnd: O nein! Es ist sogar ein rechtes Glück, daß Sie mir auch gefallen. Sonst wäre nichts daraus geworden.

Gassner: Ich gefalle Ihnen? Wirklich? Springt auf, wirft die Arme empor, jubelt: Ich bin wieder jung! Alles beginnt erst! Liane! Wir werden unerhört glücklich sein!

Liane: Wissen Sie das so genau? Grade weil wir beide so unendlich lieben könnten, werden wir einander vielleicht unglücklich machen. Wir wissen zu viel. Können Menschen wie wir denn noch glauben? fragten vorhin Sie selbst.

Gassner: Da hatten wir noch nicht gesprochen!

Liane: Warum sollte gerade ich Sie nicht enttäuschen, – da noch jede es getan hat. Wie war es mit Frau Benedikt? Sie scheint sehr gelitten zu haben durch Sie.

Gassner: Die? Sie hat Ihnen wohl kaum gesagt, warum wir uns trennten? Weil sie mich betrog.

Liane: Bis sie es tat, werden Sie sie sehr gequält haben.

Gassner setzt sich wieder, nimmt ihre Hände, küßt sie langsam: Liane, geliebte Frau, seien wir gütig miteinander. Diese Hände spenden mehr Seele, als alle andern Frauen mit ihren hingebendsten Blicken.

Liane: Täuschen Sie sich nicht! Mir kommt alles nur von Ihnen. Sie sehen sich bei mir im Spiegel. Und ich habe Zeiten, wo ich ganz geistlos dahinlebe und beinahe frivol.

Gassner: Andere haben Ihnen gefallen wie ich?

Liane starr: Vorhin hat meine Freundin, Frau Huller, mir von ihren Abenteuern erzählt, die so dumm sind und so unwiderlegbar. Ich bin erschrocken, wie gut ich sie, trotz unserer großen Liebe, verstehen kann. Das sind die Dinge, die jede von uns versteht. Erwacht, läßt sich gegen seine Schulter gleiten. Ist es nicht, als sei man einer Gefahr entronnen, da wir uns gefunden haben?

Gassner: So ist es.

Liane: Alles in meinem Leben war ein Umweg zu Ihnen. Als ich dies zu fühlen begann: wissen Sie, welche Probe ich gemacht habe?

Gassner: Sie haben mich geprüft? Sie sind eine richtige Frau.

Liane: Ich habe Alice entscheiden lassen.

Gassner: Ihr Kind und ich waren Freunde, sobald Sie uns bekannt machten.

Liane: Ja; und ohne daß ich ihr sagte, wer Sie seien. Ich, die Ihre Musik kannte, hatte ein Vorurteil zu Ihren Gunsten. Alice hatte keins. Sie gleicht mir. Wen sie liebt, darf auch ich lieben.

Gassner: Jetzt werde ich Ihr Kind noch lieber haben müssen. Wir drei werden eins werden. Sie werden ganz mir gehören ... Sprechen Sie!

Liane: Mein lieber Freund, ich liebe Sie. Alles andere ist ungewiß, dies aber erfüllt mich mit Sieg und Sicherheit. Sie löst sich von ihm. Ich möchte, daß Sie durch mich glücklich werden.

Sie stehen auf. Ermüdete Bewegungen. Pause.

Liane: Man hat uns hier vergessen. Wir werden die Spieler in die Wirklichkeit zurückrufen müssen, – angenommen, daß wir selbst noch darin sind.

Gassner nervös: Liane, was ist's mit diesem Herrn Viktor Türk, der für Ihren Freund gilt?

Liane: Sind Sie eifersüchtig?

Gassner: Ich muß die Hindernisse kennen, um sie fortzuräumen.

Liane: Es ist keins fortzuräumen. Er liebt mich und hat sich scheiden lassen, um mich heiraten zu können. Ich habe ihm keinen Zweifel darüber gelassen, daß er sich gar keine Hoffnungen zu machen hat. Ich habe harte Worte gebraucht. Aber Frau und Kinder verlassen: um so vieler Opfer willen habe ich ihn wenigstens um mich dulden müssen. Und daraus leitet ein Mann dann wieder Rechte her.

Gassner: Jetzt werden Sie ihn verabschieden?

Liane: Ich warte längst auf die Gelegenheit, ein endgültiges Wort zu sprechen. Wenn Sie wüßten, wie das schwer ist.

Gassner: Sie schleppen zu vieles mit sich, das Sie hindert, Ihren Weg zu gehen.

Liane: Ich bin keine Heldin.

 

Achte Szene

Die Vorigen. Die Hofrätin. Frau Huller. Frau Benedikt. Lisl. Löwen. Philipp. Dr. Josefsthal.

Lisl: Mama ist großartig!

Philipp: Die Partie wird fortgesetzt. So geht das nicht.

Die Hofrätin: Liebe Liane, es war ein reizender Abend. Du bist eine Hausfrau wie wenige.

Liane: Ich bin glücklich, Mama, wenn du dich gut unterhalten hast. Zu Löwen: Sie hat wohl gewonnen?

Löwen nickt.

Lisl: Mama hat alle ausgeplündert.

Frau Huller: Ich habe von der Aufregung einen Heißhunger!

Philipp: Ich, der ich im schönsten Gewinnen war!

Frau Huller: Zum Schreien!

Liane: Sofort kommt der Imbiß.

Die Hofrätin: Ach ja. Es ist so gemütlich. Wir bleiben noch. Sie setzt sich.

Philipp redet leise auf Frau Huller ein.

Frau Huller: In den Stadtpark?

Philipp: Ich verlange es. Das Kasino ist noch offen. Sie haben nur ja oder nein zu sagen.

Frau Huller flehend: Können Sie denn nicht ein bissel lieb sein mit mir?

Philipp: Sie ahnen nicht, wie lieb.

Sie verhandeln leise weiter.

Liane zu Frau Benedikt: Um Gottes willen, Sie haben doch nicht verloren?

Frau Benedikt: Das Geld Ihres Mannes. Er ist so rücksichtsvoll.

Frau Huller zu Liane: Also es ist geschehen.

Liane: Was ist geschehen?

Frau Huller: Philipp und ich sind einig.

Liane: Ich gratuliere.

Frau Huller: Er will ins Kasino fahren. Du mußt mitkommen.

Liane: Ins Kasino, um die Zeit?

Lisl hat gehorcht: Ins Kasino! Zu Löwen: Hörst du, Franz? Zu Dr. Josefsthal: Wer nicht mitkommt, ist mein Feind.

Dr. Josefsthal: Noch Sekt? Ich habe morgen früh eine Operation, da muß die Hand sicher sein.

Lisl: Ach was, ein Meter Eingeweide mehr oder weniger.

Löwen hat draußen einen Auftrag erteilt: Zwei Autos werden sogleich da sein. Liane, willst du dich fertig machen?

Dr. Josefsthal: Ich verlange, daß die gnädige Frau ihren Pelzmantel umnimmt.

Liane: Ich will das Fest nicht stören, aber ich fühle mich wirklich ziemlich ermüdet.

Philipp: Was soll das heißen.

Liane: Ihr werdet zuerst Mama nach Hause fahren.

Die Hofrätin: Aber ich geh doch mit. Es ist so reizend heute abend.

Lisl zu Liane: Und du weigerst dich! Wie du dich benimmst!

Gassner: Wenn ich die gnädige Frau inständig bitten darf.

Liane: Umsonst, lieber Herr Gaßner.

Lisl: Nicht einmal dem berühmten Gast zuliebe?

Dr. Josefsthal: Es wäre übrigens eine Tollkühnheit gewesen, für eine Rekonvaleszentin.

Löwen: Also wenn ich bitten darf. Gute Nacht, Liane.

Verabschiedung.

Gassner zu Liane: Frau Benedikt muß heim. Ich werde sie begleiten.

Liane leise: Sie dürfen sich nicht ausschließen, weil ich nicht dabei bin. Zu Frau Benedikt: Auf Dienstag. Sie werden seine Rolle singen – und ihn glücklich machen.

Alle nach hinten ab, außer Liane.

 

Neunte Szene

Liane. Löwen.

Liane geht, den Kopf gesenkt, durch das Zimmer.

Löwen zurückkehrend: Liane!

Liane schrickt auf: Du?

Löwen: Verzeih! Ich muß dich doch fragen, ob der Abend nicht zu anstrengend war.

Liane: Aber – ich habe euch einfach spielen lassen, und Herr Gaßner hat mir Gesellschaft geleistet.

Löwen: Dein Befinden ist nicht schlechter?

Liane: Ich habe Migräne, sonst nichts ... Damit du dir keine Sorgen machst, will ich dir sogar sagen, warum ich eigentlich nicht mitgehe. Es ist dieser Brief.

Löwen: Ich dachte es mir.

Liane: Siehst du, wenn sich schon ein Unbekannter findet, der dem Christoph Gaßner für mich einen Brief schreibt, dann tue ich wohl gut, mich nicht gerade des Nachts mit ihm in einem Vergnügungsetablissement zu zeigen.

Löwen: Ja. Aber es ist kein Unbekannter.

Liane: Du weißt?

Löwen: Ich möchte dich beruhigen. Stockend: Du warst so krank, und du wartetest mit solcher Ungeduld auf die Premiere seiner Oper, auch wohl auf seinen Besuch.

Liane aufhorchend: Ja. Weiter?

Löwen: Du sprachst im Fieber davon. Du warst in Angst, nicht rechtzeitig gesund zu werden. Ich hatte nur den Wunsch, dir eine Freude zu machen.

Liane wendet sich ab: Oh! Du? Du warst es?

Löwen: Du nimmst es mir übel?

Liane: Das hättest du nicht tun dürfen. Du nicht.

Löwen: Du selbst konntest es ja nicht. Vielleicht hättest du den Besuch Gaßners nicht bekommen.

Liane heftig: Und wenn nicht. Es ging auch so. Es ging vielleicht besser so.

Löwen: Du darfst dich nicht aufregen. Verzeih meine Eigenmächtigkeit. Sie war gut gemeint.

Liane niedergeschlagen: Ich weiß es. Auch liegt nichts daran, ich weiß nicht, warum ich mich aufrege. Vielleicht, weil es gerade mit Gaßner passiert ist, der ein so feinfühlender Mensch ist. Aber die Aufklärung, die du mir gibst, ist immerhin beruhigend.

Löwen: Du wirst jetzt schlafen können?

Liane: Ich hoffe es. Gute Nacht.

Löwen: Gute Nacht, Liane. Ab.

 

Zehnte Szene

Liane. Das Zimmermädchen.

Liane geht erregt umher, dreht das Licht ab, bis auf einzelne Lampen, setzt sich in einen Winkel und stützt den Kopf.

Das Zimmermädchen von hinten, anmeldend: Gnädige Frau, Herr Christoph Gaßner.

Liane aufschreckend: Wer?

Das Zimmermädchen: Der Herr ist zurückgekommen.

Liane: Sagen Sie, ich sei zur Ruhe gegangen.

Das Zimmermädchen ab.

 

Elfte Szene

Liane. Gaßner.

Gassner an dem Mädchen vorbei: Gnädige Frau, Verzeihung, ich fürchtete, nicht mehr rechtzeitig zu kommen. Es handelt sich um die Loge für Dienstag. Soeben begegne ich jemandem vom Theater –. Er sieht sich um, ob die Tür geschlossen ist. Liane!

Liane: Was tun Sie? Das ist unvorsichtig.

Gassner: Ich sollte für Frau Benedikt noch ein Auto holen. Statt dessen bin ich auf einem Umweg ins Haus zurückgekehrt.

Liane: Sie hätten besser getan, einfach das Auto zu holen.

Gassner: Sogleich. Aber ich werde nicht mit Frau Benedikt darin fortfahren.

Liane: Sondern?

Gassner: Mit Ihnen, Liane.

Liane: Das ist ein Scherz. Darum riskieren Sie, daß man kommt und Sie hier findet?

Gassner: Liane, ich weiß nicht wohin, wenn ich Sie verlassen muß. Ich weiß nicht, wie leben. Wissen denn Sie es?

Liane: Ich habe mich nach Ihnen gesehnt. Aber Sie durften nicht kommen.

Gassner: Dürfen! Er fällt vor ihr hin, er umklammert sie. Komm mit mir! Hol dein Kind, und fort, ganz fort, aus der Stadt, aus dem Lande! Ich hab nur dich, du bist mein Atem, mein Herz, ich sterbe, wenn du nein sagst!

Liane erschrocken, mütterlich: Christoph, Lieber, nicht den Kopf verlieren! Ich bin eine verheiratete Frau. Du hast am Dienstag deine Oper zu dirigieren.

Gassner: Man soll ohne mich auskommen, man soll die Vorstellung absagen. Mögen sie dich suchen, wir werden verschwunden sein. Das andere geht die andern an, wir haben genug an unsrer Liebe!

Liane liebkost sein Gesicht: Ich muß dir viel verzeihen: du bist ein Künstler. Du Kind!

Gassner: Komm!

Liane: Still! Leicht und entschieden: Herr Christoph Gaßner, Sie werden jetzt artig aufstehen und dort hinausgehen. Sie horcht. Also! Zu spät, mein Mann ist zurück.

Gassner steht auf: Was soll ich tun.

Liane: Jetzt fragen Sie. Ich werde Sie keineswegs in meinem Schlafzimmer verstecken, Herr Künstler. Zum Glück habe ich mich geirrt, es war nichts. Wer mich liebhat, erspart mir solche Aufregungen. Was für Abenteuer sind Ihnen plötzlich eingefallen? Ein offener Skandal, Entführung, Lärm in den Zeitungen! Wir sind doch zivilisierte Menschen.

Gassner: Sie haben es mich vergessen lassen!

Liane: Das wollte ich nicht. Sie müssen durchaus wieder alle gegebenen Tatsachen beisammen haben, wenn Sie mich morgen zum Tee besuchen. Steht auf. Adieu, gehen Sie! Schließen Sie Flurtür fest, man muß es hören.

Gassner: Ich werde morgen nicht kommen. Ich kann dies Haus nicht mehr betreten. Auf sie zu: Merken Sie denn nicht, wie ich leide? Ihr Blut bleibt ruhig?

Liane sieht zu Boden, ihre Brust hebt und senkt sich.

Gassner: Endlich! Sie werden mein sein. Morgen! Sie kommen zu mir! Er greift nach ihr.

Liane entzieht sich ihm. Unsicher: In Ihr Hotel? Wie ginge das?

Gassner: In ein anderes, – das ich Ihnen nennen werde!

Liane: Auch das muß ich Ihnen abschlagen. Wenn ich schon wollte: mit Ihnen in solch ein Vorstadthotel, – ich wäre sicher eine sehr schlechte Liebhaberin dort. Den technischen Bedingungen des Ehebruchs fühle ich mich nicht gewachsen.

Gassner: Nicht diese Ausflüchte! Sie werden kommen!

Liane: Mein Freund, Ihr Ungestüm könnte mich zweifeln lassen, ob Sie wirklich der sind, den ich liebe. Bestehen Sie auf Ihrer Forderung, dann war alles Irrtum, und ich habe Sie verloren.

Gassner: Dann muß ich gehen? Ja, dann gehe ich. Dann spielen Sie mit mir.

Liane: Sie wollten mich befreien. Haben Sie schon vergessen, daß niemand betrogen werden sollte?

Gassner: Sie sind geduldig. Fragen Sie sich selbst, ob Leidenschaft so geduldig ist.

Liane gibt sich plötzlich in seine Arme: Ich liebe Sie, daran ist nicht zu zweifeln. Aber Sie dürfen mich nicht quälen.

Gassner: Was würden Sie von meiner Liebe halten, wenn ich nichts forderte.

Liane: Sie haben recht. Aber jetzt ist es genug. Eine andere Frau wäre schneller mit sich fertig. Haben Sie Nachsicht mit mir! Seien Sie gütig wie bisher: Sie, der alles von mir ahnt. Die Ehe, in der weder meine Sinne noch mein Herz beteiligt waren, die Kämpfe, um mich nicht zu verlieren, und die Einsamkeit, das alles hat mich unfähig gemacht, zu handeln wie eine Frau, die liebt und über sich verfügt. Verlangen Sie nicht das Unmögliche.

Gassner: Ich weiß, Sie sind, als seien Sie unberührt. Ich werde lange um Sie werben müssen. Sie wollen einen zärtlichen Freund. Einen Geliebten wollen Sie vielleicht gar nicht.

Liane: Doch, du bist mein Geliebter. Schmiegt sich fester an ihn. Macht sich los. Ich verspreche Ihnen, daß alles normal verlaufen wird, – falls wir uns wiedersehen.

Gassner: Falls wir uns wiedersehen?

Liane: Ja. Denn am Tage nach Ihrer Premiere werden Sie abreisen, und dann werden wir einige Wochen, ja, bis zum Frühjahr wohl, jeder für sich uns prüfen. Diese Liebe muß ganz unvermeidlich sein, oder sie darf nicht sein.

Gassner: Ich habe mich geprüft!

Liane: Denn es wäre schrecklich, wenn wir uns irrten. Dann käme die Hoffnungslosigkeit. Auch für Sie.

Gassner: Ich fürchte nichts mehr, als daß Sie sterben, als daß Sie verschwinden!

Liane: Nun gehen Sie, mein Freund.

Gassner: Geben Sie mir wenigstens ein Versprechen! Setzen sie einen Zeitpunkt!

Liane: Das kann ich nicht. Alles entscheidet sich da – sie berührt sein Herz, dann ihres – und hier. Wir können nichts.

Gassner: Sagen Sie, daß Sie es hoffen!

Liane: Ich hoffe es. Leben Sie wohl, lieber, lieber Christoph. Sie reicht ihm die Hand.

Gassner küßt ihr die Hand: Ich komme morgen.

Liane: Aber hiervon sprechen wir nicht mehr.

Gassner geht. Von der Tür her: Ein Wort, Liane!

Liane: Ich weiß nicht.

Vorhang.


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