Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel
Madame Déficit

Ich schweig und meid und gebe acht
Auf Freund und Feind, halt stille Wacht!
Ich bet und kämpf als Mann und Christ
Und sterb als treuer Royalist!

 

Es war im Sommer des Jahres 1785. Rosen und Klematis blühten um das alte Haus in der Rue St. Honoré, welches der junge Marquis de St. Hilaire bewohnte, dunkle Nelken und leuchtender Flocks wiegten die Köpfchen in der warmen Luft, Bienen und Falter gaukelten von Blüte zu Blüte. Auf dem Balkon, hinter den steinernen, von dem vollen Laube einer gelben Rose umrankten Säulen, sah man ein lichtes Seidenkleid schimmern, und durch die Stille des Gärtchens klangen jene leisen, zarten Töne, die das Herz junger Mütter entzücken, In einem bequemen Gartenstuhl lag weit zurückgelehnt eine junge braunäugige Frau, ein schönes, kräftiges Kind, das mit rotgeschlafenen Bäckchen die Mutter anlachte, emporhaltend. Rote Seide umfloß in reichem Faltenwurf die blühende Gestalt, Perlen zierten Hals und Brust und das reiche Haar. Kreischend vor Lust griff das Büblein, das seine Toilette noch nicht vollendet und im Batisthemdchen auf den Armen der Mutter tanzte, nach dem kostbaren Schmuck, und die kleinen Hände spielten auf dem weißen Halse, als seien sie es nicht anders gewohnt.

Die schöne Frau ließ ihren Liebling gewähren, nur ab und an nahm sie das von goldenen Ringeln umspielte Köpfchen in ihre Hände und küßte das Kind, bis ihm fast der Atem verging und es sich gegen soviel Liebe zur Wehr setzte. Dann gab sie es frei, und das Spiel mit dem Perlenhalsband der Frau Marquise begann aufs neue.

Und die Sonne leuchtete über dem jungen Glück im Schatten der gelben Rose, und die braunen Augen strahlten, als hätten sie nimmer des Lebens Ernst kennengelernt. Es war ein Bild voll Sommerduft und Farbenschönheit, voll zarter, reiner Ursprünglichkeit, wie es der Pinsel des ehrwürdigsten Meisters nicht edler hervorbringt.

Da klangen Schritte drinnen im Gemach. Sie hielt dem Kinde auf ihren Knien die spielenden Händchen fest.

» Entend, Marcel!« sagte sie, zur Tür hinüberblickend, und der Kleine reckte das Hälschen und drehte sich zum Eingang.

Auf der Schwelle erschien der Marquis, sein ältestes, fünfjähriges Söhnchen an der Hand führend. Glücklich weilte sein Auge auf Mutter und Kind, aber ganz wollte die Sorgenfalte, die auf seiner Stirn stand, nicht weichen. » Bonjour, chérie,« sagte er, sich zu Blanche niederbeugend und ihre Hand an die Lippen ziehend, dann nahm er den kleinen Marcel von ihrem Schoß und hob ihn empor. Jauchzend streckte das Kind die Händchen nach ihm aus, und Blanche blickte lächelnd zu den beiden empor.

»Wenn Marcel dich genug geküßt hat, Geliebter, setze dich zu mir und erzähle mir, wie's in der Welt aussieht,« sagte sie nach einer Weile. »Wir Nichtpolitisierenden unter den Frauen werden von einem Tage zum anderen zum Gänschen, wenn unsere Gatten nicht die Barmherzigkeit üben, uns über die Lage der Dinge zu orientieren. Calonnes Finanzminister von 1783-87. Regiment ist in einer Weise unberechenbar, daß man heute nicht weiß, was morgen geschehen kann!«

»Dem Himmel sei Dank, daß meine Frau sich nicht um die Politik kümmert,« entgegnete ihr Gatte, »ich kann dir sagen, Blanche, es würde unser Glück untergraben, wenn du nur im entferntesten der Polignac oder einer ihrer Protégés glichest!«

Er setzte das Kind in sein Bastkörbchen, und die junge Frau hüllte er sorglich in die bunte Seidendecke.

»Wie's in der Welt, ich wollte sagen, in Paris aussieht,« fuhr er, sich an ihrer Seite niederlassend, fort, »nun, du sagst es selbst, Calonnes Regiment ist unberechenbar. Was aus Frankreich werden soll, weiß der Himmel! Der Finanzminister soll neulich der Königin, als sie ihm einen Wunsch aussprach, erwidert haben: ›Wenn das, was Eure Majestät wünschen, möglich ist, so ist es schon geschehen, wenn es unmöglich ist, so wird es geschehen!‹ Mich dünkt, das sagt alles. Wo er das Geld hernimmt zu den Ankäufen von St. Cloud und Rambouillet, Schlösser, die der Minister für den König und die Königin erwarb. wovon Artois' Schulden und die Feste, die sich in Versailles und Trianon jagen, bezahlt werden, ich fürchte, das weiß niemand genauer, als das Volk, das hungernd die Paläste umlagert. Wäre Necker oder Turgot noch am Ruder, so lägen die Volksinteressen wenigstens in treuen Händen, und wenn es auch jetzt wohl kaum mehr möglich ist, das Unglück aufzuhalten, so wäre doch eines gewiß, daß »Madame Déficit« Der Spitzname, den der Graf von Provence der Königin in den Tagen ihrer größten Verschwendung anhängte. nicht jede Summe erhielte, die sie fordert!«

»Adalbert,« bat die junge Frau errötend, »es ist deine Königin!«

Er strich ihr die Locken aus dem jungen Gesicht. »Sei mir nicht böse, chérie,« sagte er, »aber, was zuviel ist, das ist zuviel, und daß auch einmal der Zorn uns Royalisten übermannt, ist kein Wunder. Wir bleiben, was wir sind, die Stützen des Thrones, und nie würde ich es mit anhören, daß man den Ruf meiner Königin antastet. Daß mir dir gegenüber das Wort »Madame Défizit« entschlüpfte, mußt du dem Unmut zuschreiben, der sich einmal in den Grenzen des eigenen Hauses Luft machen muß. Erhalte ich Pardon?« fügte er, zu ihr niederblickend, lächelnd hinzu.

Sie dachte nicht mehr ans Zürnen und reichte ihm die kleine Hand. »Unsere arme Königin!« seufzte sie.

»Das Schlimmste ist augenblicklich der unglückselige Verlauf der Halsbandgeschichte,« Siehe Halsbandgeschichte. fuhr er fort. »Wenn der Ruf der Majestät noch nicht gefährdet war, so ist er es jetzt, ja, ich muß sagen, mehr als gefährdet, er ist befleckt ohne ihre Schuld!« – Blanche sah ihn entsetzt an.

»Die Königin ist durch diese Intrige nicht allein in den Verdacht erneuter, grenzenloser Verschwendung geraten, man beschuldigt sie grober Verstöße gegen die Sitte, und das Volk scheint nur zu bereit, dem dunkeln Gerücht Glauben zu schenken. Der Adel, welcher der Königin wegen der Bevorzugung der Polignacs und ihres Anhangs von vornherein feindselig gegenübersteht, ist über die harte Bestrafung des Kardinals von neuem wider Marie Antoinette aufgereizt worden, er steht ganz auf Rohans Seite und sorgt dafür, daß der Name der Majestät in dem Skandal die Hauptrolle spielt, daß die Teilnahme für den Großalmosenier bis in die untersten Schichten des Volkes verbreitet wird. Ich würde es für geradezu gefährlich halten, wenn die Königin sich in diesem Augenblick in der Hauptstadt zeigte. Jedermann, der sich nicht über die Angelegenheit an kompetenter Stelle orientiert hat, glaubt, daß Rohan und Madame la Motte für die Herrscherin leiden; in Wahrheit ist der Kardinal ein Narr, der sich in die Netze einer Abenteuerin fangen ließ und die Königin in eine niedrige Intrige hineinzog. Hinsichtlich des Betruges ist er unschuldig, aber der Majestätsbeleidigung ist er schuldig, denn er hat erklärt, Marie Antoinette habe ihm ein Rendezvous gegeben.«

Er schwieg und strich sich das Haar aus der heißen Stirn.

»Und wozu ist er verurteilt?« fragte Blanche.

»Er ist freigesprochen und im Triumph aus dem Gerichtssaal geführt worden,« erwiderte ihr Gemahl bitter. »Dahin sind wir gekommen, daß der Mann, der den Ruf der Majestät mit Füßen getreten, den der König im Ornat vor dem versammelten Hofe in die Bastille führen ließ, von der obersten Gerichtsbarkeit freigesprochen wird, daß man ihn mit Ehren überschüttet wie einen Herrscher! Und das Furchtbarste an dem ganzen Drama ist die Tatsache, daß Rohan sich durch seine Majestätsbeleidigung die Sympathie des Volkes erworben hat, daß das Opfer des Skandals die Königin ist!«

Er war bei den letzten Worten erregt auf- und niedergegangen, finster haftete sein Blick am Boden. Da zupfte ihn der kleine Gérard am Ärmel, scheu den Blick auf die Mutter gerichtet.

Blanche lag in tiefer Ohnmacht, schlaff hing der Arm, den sie nach ihrem Kinde ausstrecken wollte, über die Stuhllehne herab. Der Marquis erschrak, eine dunkle Ahnung überkam ihn, in seiner Seele erwachte die Erinnerung an eine Stunde im Friedenssaal zu Versailles, als er die Braut die Marmorstufen hinabtrug. »Mein Gott, nur das nicht!« zog's durch seinen Sinn, während er seinem jungen Weibe die Kleider öffnete und die Ohnmächtige auf seinen starken Armen in das Haus trug.

Es währte nicht lange, bis sie erwachte. Mit großen erschrockenen Augen blickte sie in das Antlitz ihres Mannes, dann schlang sie, laut aufschluchzend, die Arme um seinen Hals und weinte wie ein Kind an seiner Brust.

»Adalbert,« flüsterte sie endlich, »sag es mir, daß es eine Macht gibt, die stärker ist als alles Böse!« und aufs neue barg sie ihr Haupt an seinem Herzen.

Tief erschüttert blickte er auf sein Weib, dann legte er die Hand auf ihre Locken und sagte mit ruhiger, fester Stimme: »Ich schwöre dir's bei dem lebendigen Gott, daß kein Haar von unserem Haupt fällt ohne Seinen Willen, daß Er uns erlöst hat vom Tode und der Gewalt des Teufels.«

Sie blickte ihn mit ihren schönen Augen an, ihr Antlitz ward stiller und stiller.

»Bleib bei mir!« bat sie, sich zurücklegend, dann schloß sie die Augen, und bald war sie sanft eingeschlafen.

Er aber kniete am Lager nieder, es war ihm ums Herz, als müsse er sein alles in dieser Stunde in die Hand dessen legen, der über Thronen und Herrschaften wacht, der der einzelnen Menschenseele das Maß des Glückes gibt, dessen sie bedarf. Er wußte sich von klein auf geborgen in Gottes Hand, sein Herz war auch heute trotz aller Angst und Sorge voll Zuversicht, und fest und vertrauend klang's von seinen Lippen: »Vater unser, der du bist im Himmel!«


 << zurück weiter >>