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Der Quellbrink

Oben auf dem Kopfe des Heidberges herrschen Magerkeit und Dürre.

Zwei alte, hohe, krummgewachsene Föhren stehen dort, ein halbes Dutzend schiefer Birken und eine Menge spitzer oder krauser, alter und junger Machandeln.

Wo nicht der gelbe, an buntem Geschiebe überreiche Sand zutage tritt, bedeckt der Schafschwingel mit bläulichgrünen Borsten den Boden oder andere büschelige Gräser, brechdürres silbergraues Renntiermoos und sparsam blühendes, von den Schnucken niedriggehaltenes Heidkraut.

Selbst wenn es tagelang geregnet hat und der Wind streicht hinterher nur einige Stunden über den Heidberg, sieht es da so dürr und so trocken aus wie vordem. Doch die kräftigen Eichen, die beiden mächtigen Buchen und die stattlichen Fichten, die den an der Flanke des Hügels gelegenen alten Schafkoben beschützen, beweisen, daß der Berg nicht so wasserarm ist, wie es den Anschein hat, und einige hundert Schritte davon sieht es schon anders aus.

Da ist die Heide kniehoch und mit Doppheide gemischt, und zwischen den runden Bülten zeigen sich kleinere und größere, nackte, schmierige Flächen schwarzbraunen Moorbodens. Stellenweise macht die Heide dem Wollgrase und dem Moorhalme Platz, ist immer mehr mit Torfmoos durchflochten, wird immer nasser, bis sie schließlich hinter den hohen Wacholdern, krummen Birken und krüppelhaften Föhren zu einem einzigen großen Quellbrinke wird, auf dem es überall quillt und träufelt und rieselt und fließt von dem klarsten Wasser.

Hier steht eine alte, windschiefe Eiche mit wunderlich gebogenem Gezweige. Unter ihren seltsam gestalteten knorrigen, dicht mit den Wedeln des Engelsüß bedeckten Tagwurzeln trieft und tröpfelt es unablässig und bildet einen schmalen Wasserfaden, der sich hier mit einem anderen vereinigt, der zwischen einem hohen, ulkig geformten Machandel und einer putzigen, krummen Fichte hervorkommt, und der bei der alten, dicken, wie eine riesige Harfe aussehenden Hängebirke zwei andere aufnimmt und mit ihnen zusammen einen kleinen, tief in das Torfmoos eingeschnittenen, vielfach gekrümmten Wasserlauf bildet, der in einem Quellbecken mit schöngeschwungener Borde endigt.

So klein dieser Tümpel ist, so reizend ist er. An dem einen Ufer faßt ihn hellgrünes, an dem anderen goldgelbes, blutrot gemustertes Torfmoos ein. Seine Ränder sind ganz dicht mit den lichtgrünen spitzen Blättern des Beinheils besäumt, das mit grünlichgelben, kupferrot angelaufenen Fruchtrispen geschmückt ist. Die Einschnitte des Beckens, die von den eindringenden Wasserfäden gebildet sind, füllen die purpurnen, silbern glitzernden Blattbüschel des großen Sonnentaues aus. Auf dem weißen Sande, der den Boden des Beckens bildet und in dem es an einigen Stellen fortwährend quillt und wühlt, schlängeln sich wie große Würmer die schwarzgrünen oder rostroten Ranken des Quellmooses.

In der Mitte des Quellpumpes hat sich aus dem Stumpfe einer alten Eiche eine hohe, runde, aus blutrotem, am Rande goldgrünem und gelbem Torfmoose gewachsene Insel gebildet, in deren Mitte ein hoher, spitzer Fubusch wächst, dessen harte, dornige Blätter das Sonnenlicht in silbernen Blitzen zurückgeben. Das Torfmooskissen unter ihm ist von der Moosbeere durchflochten, aus deren zierlichem Laube die roten Beeren hervorfunkeln. Hohe, bleiche Simsen mit silberigen Blüten heben sich von dem starren Blattwerke des stolzen Strauches wirksam ab und ein großer Fliegenpilz lodert davor, wie eine glühende Flamme.

Alte Machandeln umgeben im Kreise die Quelle, als hüteten sie ein Geheimnis. Einige davon bestehen aus einem einzigen Stamme, der in einem spitzen Wipfel oder in eine runde Krone ausläuft, andere sind aus vielen, auf gespenstige Weise verreckten Stämmen gebildet, oder auf putzige Art verbogen und in ulkiger Weise gestaltet. Zwischen ihnen wuchert das Torfmoos in fußhohen, nassen Polstern, von der Doppheide überragt, die dort, wo es trockener ist, der Sandheide Platz machen muß, die sich hier zu drei Fuß hohen Sträuchern entwickelt hat, um deren reiche Blütenfülle es von Bienen summt und brummt, zwischen denen hier und da ein zierlicher blauer Falter flattert.

Aus der Quelle quält sich ein schmales Wässerchen unter dem Mooskissen her, bekommt von allen Seiten Zulauf und bildet bald darauf wieder ein Becken, in dessen Sandgrunde es heftig wogt und wirbelt und dessen bleichgelbe und blutrot gesprenkelte Moosufer von zwei herrlichen großen Königsfarnen beschattet werden, zwischen denen sich ein putzwunderlich gewachsener Schneeballstrauch mit rot angelaufenen Blättern und scharlachfarbigen Beeren hervorwindet, und unter ihm ein Faulbaumbusch, ganz und gar mit schwarzen blanken Früchten behangen. Vor dem Abflusse dieses Beckens wuchert die zierliche Krötenbinse und bildet ein kleines, tief blutrotes Beet auf dem nassen Sande, und mitten zwischen ihr sitzt ein knallgrüner Laubfrosch und meckert lustig, während über dem Tümpel eine große, himmelblaue Wasserjungfer auf und ab schießt und bei jeder Wendung mit den goldbraunen Flügeln laut knistert.

Unter diesem Becken steigt der Boden an, so daß das Wasser seitabwärts sich seinen Weg suchen muß. Nach der einen Seite müht es sich durch ein verworrenes Machandeldickicht hin, um, sobald die Büsche ihm Raum lassen, einen winzigen Teich mit steilen Mooswänden zu bilden, der noch von vier Seiten Zufluß bekommt. Zwischen den beiden oberen Rinnsalen liegt ein mächtiger Findelstein aus weißlichem Granit, hinter dem sich ein alter, vielverästelter Rosenbusch hervorreckt, der so dicht mit dicken scharlachroten Früchten bedeckt ist, daß das Blattwerk dazwischen fast verschwindet, und unter dem Steine sprießen die hellgrünen Wedel eines zierlichen Farns aus dem blutroten fußhohen Moospolster hervor, auf dem ein grellgestreifter Moorfrosch hockt, der ab und zu die rote Zunge nach einer Mücke oder Fliege vorschnellt, blitzschnell sich dabei umdrehend. Da diese Quelle in der vollen Sonne liegt, flirrt und flattert es von vielen goldenen und roten Schillebolden über ihrem Spiegel, der rundherum unter dem Moose von den schirmförmigen runden Blättern des Wassernabels umschlossen wird.

Der andere Wasserlauf, der aus dem oberen Becken hervortritt und sich dann im tiefen Moose verläuft, hat einstmals auch einen offenen Pump gebildet; da er aber ganz von Weidengebüsch umschlossen ist, so wuchs einmal das Moos so üppig, daß es ihn bis auf ein tiefes Wasserloch zudeckte, und dann siedelte sich das Schweineohr in ihm an und wucherte so stark, daß es ihn ganz ausfüllte, so daß nichts mehr von ihm zu sehen ist, sondern er gänzlich verschwunden ist unter dem hohen und dichten Gewirre von dicken, fleischigen Stengeln, breiten, saftigen Blättern und großen, weißen Blüten, von denen manche schon zu dicken Fruchtkolben geworden sind, deren feuerrote Giftfarbe seltsam von dem Untergrunde absticht. In diesem feuchten, kühlen Grunde lagert sich das Birkwild gern; wenn es gar zu heiß ist, und äst sich an den Früchten der Moosbeere, die die nassen Polster unter den Weidenbüschen dicht berankt hat.

Rund um das Buschwerk ist der Boden mit fußhohem Moose, Wollgras und Farnkraut bedeckt, und ist selbst im heißesten Sommer immer naß. Dann hebt er sich zu einer dicht mit Machandeln bestockten, heidwüchsigen Sandwelle, aus deren anderer Seite ein halbes Dutzend Wässerchen herausquellen, die ein weites, offenes und tiefes Becken bilden, das von der Höhe her noch drei Zuflüsse bekommt. Die Ufer dieses Pumpes sind stellenweise recht steil und tief eingeschnitten. Auf den moosigen Landzungen recken stolze Farne ihre Wedeltrichter und in den oberen Buchten wuchern Beinheil und Sonnentau, in den unteren ein hellgrünes Laichkraut, das sich mühsam aus dem angespülten Sande hervorarbeiten muß. Am Kopfe des Beckens steht eine junge, krumme, von einem alten Geißblattbusche halb erdrosselte Eiche, die eine Unmenge wachsgelb und hellrot gemusterter Blumenbüschel trägt, zwischen denen die Beeren wie Rubine funkeln. In dem Gewirre des Busches hat der Hänfling sein Nest, der auf dem Gipfel des hohen, spitzen Machandels, der gegenüber der Eiche auf der anderen Seite der Quelle steht, lustig schwatzt, aber nun dem Raubwürger Platz machen muß, der von da aus auf eine Maus lauert.

Die Abflüsse dieses Beckens rinnen um drei schlanke Birken her, bilden zwischen einem halben Hundert alter Machandeln ein kleines Moor, das von der Sandheide rosenrot gefärbt und von den dürren Blüten der Doppheide rostrot gesprenkelt ist, und treten dann wieder in allerlei von Porstbüschen, Weiden und Brombeeren umwucherten und vom Torfmoose halb erstickten Tümpeln heraus, deren Wässer sich unter der Erde sammeln und bei einer vom Blitze der halben Krone beraubten kernfaulen Eiche einen kleinen, drei Fuß tiefen Teich entstehen lassen, bei dem sieben hohe spitze Machandeln Wache halten, und in dem ein krummer Ebereschenbaum seine roten Früchte spiegelt. Der weiße Grund des Pumpes ist in fortwährender Bewegung; bald hier, bald da öffnet er sich und ein silberner Strudel quillt daraus hervor und bewegt die langen, rosenroten Wasserwurzeln der Ellernstockausschläge, die die Ufer umgeben, hin und her. Allerlei schöne Blumen blühen hier, blaue Enzianen und Knaulen, gelber Weiderich und Hahnenfuß, weiße Dolden und Spierstauden und hohe Sumpfdisteln, um deren rote Köpfe die Hummeln brummen und weiße und rostrote Falter flattern, und auf die vielerlei Fliegen, die hier surren, macht die schlanke Waldeidechse Jagd, die sich auf dem Goldmoospolster an dem Fuße der Eiche sonnt.

Noch eine ganze Anzahl von quelligen Tümpeln, Wasserlöchern und Kuhlen sind über den Quellbrink zerstreut, dem eigenartigsten Fleckchen Land, das es hier weit und breit gibt, und das dem, der es oft besucht, jedesmal neue Überraschungen bietet. Denn hier schlüpft die Schlingnatter, lauert der Eisvogel, zwitschert die Wasserspitzmaus; der Hase scharrt sich sein Lager unter dem Machandel und der Bock birgt sich im Weidicht; gern pirscht der Fuchs hier, das Raubwiesel stellt den jungen Wiesenpiepern und die Otter den Mäusen nach, Sperber, Habicht, Lerchenfalk suchen hier nach Raub, auch die Kornweihe und die Eule, und wenn nachts das Rotwild aus dem Forst tritt und zu Felde zieht, tränkt es sich gern an den klaren Quellen, und in aller Frühe schleicht der Waldstorch dort umher, der heimliche Vogel aus der wilden Wohld da hinter dem Bruche.

Immer ist es schön hier und reich an allerlei Leben, sowohl im Vorfrühling, wenn der Porst aufbricht und die Moormännchen zirpen, späterhin, wenn das Wollgras weiße Wimpelchen wehen läßt und die Heidlerche singt, zur Heuezeit, wenn die Doppheide anfängt zu blühen und das Beinheil mit goldenen, rotgezierten Sternchen bedeckt ist, die betäubend nach Honig riechen, im Erntemond, wenn die Immen um die blühenden Heidbüsche summen, und noch später, wenn die Birken wie goldene Springbrunnen im Winde wallen und die Krammetsvögel scharenweise auf den Machandelbüschen einfallen.

Sogar wintertags, wenn der Schnee auf der Heide liegt und Rauhreif die Bäume und Sträucher eingesponnen hat, lohnt es sich, den Quellbrink zu besuchen, dessen viele Wässerchen auch um diese Zeit nicht erstarren, sondern zwischen Eis und Schnee aus dem Boden quellen und sich sammeln und schließlich zu dem Bächlein werden, das sich dort unten durch die Wiesen hinschlängelt.


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