Hermann Löns
Das zweite Gesicht
Hermann Löns

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Das Stapelienbild

Chali langweilte sich. Früher konnte sie fast den ganzen Tag mit dem Maler sprechen; seitdem aber das junge Mädchen da war, war es aus damit, denn Swaantje fürchtete sich vor ihr, und so hatte Helmold das Bild in den Nebenraum gestellt, wo es weiter nichts gab als Bilder, Rahmen, Kisten und Kasten, Töpfe und Kruken.

Aber wenn Chali auch nicht dort hätte sein müssen, sondern in der Werkstätte hätte weilen dürfen, so hätte ihr das doch nichts genützt. Holz und Stoffe boten ihren Blicken keinen Widerstand, und so mußte sie es einen Tag wie den anderen mit ansehen, wie der Maler sich mit dem blonden Mädchen unterhielt und ihm liebreiche Blicke zuwarf. Sie lag da und starrte auf die Tür; ihre Augen wurden von Tag zu Tag böser und leuchteten im Dunkeln grün.

Eines Abends, als Helmold und Swaantje in der Werkstätte waren, holte der Maler sich aus der Vorratskammer ein neues Malbrett, was er immer tat, wenn er ein neues Bild begann, das ihm aus dem Herzen kam, und da er an das Bild dachte, das er anfangen wollte, so ließ er in Gedanken die Tür offen stehen. Er wollte nämlich Swaantje malen; er hatte es schon bei Tage mehrfach versucht, war aber nie über den Anfang hinweggekommen, bis ihm einfiel, daß er eine andere Beleuchtung haben müsse, als das Tageslicht, und er hatte gefunden, daß das Mädchen im Halbschatten sitzen müsse, während rings umher alles hell von Licht war. So setzte Swaantje sich also an das große Fenster, vor dem die Vorhänge zusammengezogen waren, und drehte der zweiten Tür den Nacken zu.

»Heute wird es etwas, Swaantje,« rief Helmold; »das kommt wohl daher, weil ich dich gestern eigentlich zum ersten Male in Erregung gesehen habe. Du bist übrigens der einzige Mensch, mit dem ich Walzer tanzen kann. Sonst liegt mir der Walzer nicht; mein Blut geht im Polkatakt. Hamburger, Schwedische Quadrille, der Achtturige, Schardas, Kasatschka und dergleichen, wobei man seine Knochen rühren und ordentlich trampeln kann, das ist mein Fall. Aber sich wie ein Brummkreisel andauernd um seine Perpendikulärachse zu drehen, das ist nichts für mich. Gestern bin ich aber auf den Geschmack gekommen. So wie du den Walzer tanzst, so glaube ich, tanzen die Nebelfrauen ihn auch. Ich will sie nächstens mal fragen.«

Chalis Augen sprühten, als sie das mit anhören mußte, und sie stach mit spitzen Blicken nach dem Nacken des Mädchens; jedesmal, wenn Helmold hinzutrat und mit seiner Hand ihre Kopfhaltung ein wenig änderte, fuhren grüne Blitze aus dem Nebenraume dahin, wo die aschenblonden Nackenlocken auf der roten Stuhllehne schimmerten. Solange ihr Vetter mit ihr plauderte, merkte Swaantje nichts von dem, was hinter ihr vorging; aber nun fing Helmold an, eine neue Melodie zu suchen, indem er ganz leise durch die Zähne pfiff, und das bedeutete, wie sie wußte, daß er dem Reime zwischen Stoff und Form nahe war. Darum rührte sie sich nicht, so gern sie das auch getan hätte.

Denn ihr war so merkwürdig schwach und hilflos zumute. Sie hatte ein bißchen viel getanzt und gelacht und vielleicht auch ein Glas Sekt mehr getrunken, als ihr gut war; aber es war so wunderschön auf dem Frühlingsfeste gewesen; so viele hübsche, fröhliche Frauen und Mädchen, und so viele nette, lustige Männer hatte sie noch nie beisammen gesehen, und so hatte sie mit den anderen getollt und sich prachtvoll vergnügt.

Jetzt aber fühlte sie sich müde; sie hatte einen peinlichen Druck in der Herzgrube, und ihr war, als klemmte etwas ihre Halsschlagadern ein. Am liebsten hätte sie ihrem Vetter nicht gesessen, aber sie wußte, wie gern er sie malen wollte, und daß er endlich dazukam; denn nun pfiff er nicht mehr durch die Zähne und trat nicht fortwährend vor und zurück, sondern er stand still, malte eifrig, summte erst eine Melodie vor sich hin, und dann sang er: »Rose Marie, Rose Marie, sieben Jahre mein Herz nach dir schrie, Rose Marie, Rose Marie, aber du hörtest es nie.« Er war in voller Fahrt.

Sie hielt still, obgleich ihr von Minute zu Minute hilfloser zumute wurde; denn Chali ärgerte sich über die zärtlichen Blicke, die der Maler fortwährend nach dem Mädchen warf, und über das Lied, das er sang, während er malte, und so wandte sie ihre Meuchelmörderaugen nicht einen Pulsschlag lang von dem Nacken Swaantjes.

»Erzähle was, Maus!« sagte Helmhold, und Swaantje war froh, aber ihr fiel nichts weiter ein, als das, wovon sie noch zu keinem Menschen gesprochen hatte, und was sie auch keinem sagen wollte. Aber da dachte sie an die Faschingsnacht in München, als ihr Vetter zwischen all dem tollen Lärm zu ihr gesagt hatte: »Kleine, wenn du einmal etwas hast, das dich drückt, und du magst es niemandem sagen, so sage es mir; wenn ich dir irgend helfen kann, so tue ich es.«

Sie hatte ihm die Hand gereicht und gesagt: »Das werde ich, Helmold!« Aber dann hatte sie lachen müssen, wie er so dasaß, vollkommen im Ballanzuge, aber mit einem Radieschen im Knopfloch, mit gebrannten, gepuderten Haaren, weißgeschminktem Gesicht und kohlschwarzem Schnurrbart und dazu die vergoldeten Ohren, das hatte zu närrisch ausgesehen, zumal seine blauen Augen so treuernst blickten.

Weil sie nun an diese Augen dachte, fing sie an: »Lieber Helmold, ich muß dir jetzt etwas sagen, weil ich deinen Rat brauche: ich liebe einen Mann.« Helmold blieb ganz ruhig und malte weiter; ihm war zumute, als habe ihm jemand ganz heimlich sein Herz weggenommen und ihm nur den Verstand gelassen. Darum fragte er, ohne daß seine Stimme anders klang als sonst: »Weiß er es?« Swaantje sah gerade aus: »Nein; das glaube ich nicht.« Ihr Vetter fragte weiter: »Ist er deiner würdig?« Sie erwiderte: »Er ist viel besser als ich.« Er brummte: »Danach liebst du ihn also; deine Behauptung bezweifele ich übrigens. Kenne ich ihn?« Sie schüttelte den Kopf. »Darf ich wissen, wer es ist?« Sie nickte: »Professor Groenewold; bei dem ich Literatur und Kunstgeschichte hatte.« Er fragte weiter: »Wie alt ist er?« und als sie sagte: »Fünfundvierzig,« brummte er, eifrig weiter malend: »Zu jung für eine Backfischliebe! Verheiratet?« Swaantje sah ihn groß an: »Dann würde ich ihn doch nicht lieben können!«

Er lächelte und dachte: »Heilige Einfalt!« Aber dann steckte er die Pinsel in das Glas, legte das Malbrett hin und sagte: »So, nun rüttele dich und schüttele dich, aber wirf nicht alle deine Blätter über mich, sondern behalte noch ein paar für dich übrig. Wir wollen einmal eine Pause machen; mich rauchert.«

Swaantje stand auf und reckte sich, und er holte sich eine Zigarre. Als er sie angezündet hatte, sah er, daß die Tür nach dem Nebenraume offen stand; Chalis Augen starrten ihn höhnisch an. Wütend warf er ihr das Streichholz in das Gesicht und wunderte sich, daß es grüne Funken gab.

»Helmold, um Himmels willen, was machst du?« rief Swaantje, »dein schönstes Bild.« Er zog die Tür zu, daß es krachte, und knurrte: »Schönes Bild? Scheußliches Bild! Chali? Schon mehr Zyankali!« Swaantje lachte und rief: »Das war aber ein echter Kalauer!« Er schüttelte den Kopf: »Das ist noch gar nichts; wenn mir ganz schlecht ist, setzt es nicht nur Kalauer, sondern sogar Kawärmer, wenn nicht Kaheißer.« Das Mädchen hielt sich die Ohren zu: »Kommt das noch schlimmer?« Dann lachten sie beide aus vollem Herzen, bis es Helmold einfiel, daß er sein Herz irgendwo habe liegen lassen müssen, denn ihm war so leer in der Brust und so schön leicht, als ob er tot wäre.

Aber er dachte doch mehr an das Mädchen als an sich und sprach: »Ja, liebe Swaantje, das ist eine sehr traurige Sache. Du liebst ihn, und er weiß es nicht. Du liebst ihn seit sieben Jahren, und er ahnt es nicht. Entweder ist er blind, oder er liebt eine andere, oder aber, denn es gibt solche Männer, so unglaublich das auch klingt,« und er lachte, als er das sagte, »er hat kein Verlangen nach dem Weibe. Hier kann dir niemand helfen, sogar ich nicht, der ich doch verdammt dem Teufel die Zähne ausziehen würde, wenn ich dir damit einen Gefallen tun könnte.«

Er ging mit großen Schritten auf und ab. »Sieh mal, Swaantje,« fuhr er dann fort, »alles, was ich von dem Manne gehört habe, spricht für ihn. Er hat den Mut gehabt, eine Schrift herauszugeben, in der er den Unwert der karolingischen Zivilisation für uns nachweist. Wir Stedinger Blutsbrüder haben ihm damals ein Horüdhotelegramm geschickt und noch eins, als ihm die hochwohllöbliche Behörde in ihrer Eselhaftigkeit den Geschichtsunterricht abknöpfte, damit er nicht mehr in der Lage sei, gegen die Verherrlichung des Schlachterkarls und seines edlen Filiusses Louis des Frömmlers anzuarbeiten. Insofern freue ich mich, daß deine Wahl gerade ihn getroffen hat, abgesehen von dem famosen farbigen Namen, den du dir ausgesucht hast. Aber, wie gesagt, es ist nichts zu machen. Hingehen und ihm sagen: ›Bitte, seien Sie so gütig und heiraten Sie mich!‹ das kannst du nicht gut, und ich kann auch nicht zu ihm gehen und ihm sagen: ›Heiraten Sie meine liebe Base, oder ich fordere Sie auf dreimaligen Kugelwechsel ohne Binden und Bandagen!‹ Denn je besser ein Mann ist, um so mehr Verlangen hat er danach, sich das Weib seines Herzens zu erobern, und er wird sofort auf der Hinterhand Kehrt machen, wenn der Fall sich umgekehrt entwickelt. Daß auch gerade dir so etwas zustoßen muß! Wenn du dich wenigstens in mich verliebt hättest! Ich hätte es schon gemerkt. Ich schlüge sofort mein Zelt in der Türkei auf und betete zu Allah. Hol's der sogenannte Dieser und Jener!« Er warf seine Zigarre gegen den Ofen, daß es ein kleines Feuerwerk gab, und steckte sich eine Zigarette an.

Dann stellte er sich vor das angefangene Bild, auf dem Swaantjes Kopf schon deutlich vor einem Haidberge zu erkennen war, aus dessen rosiger Pracht ein Busch weißer Haide verschämt hervorschimmerte, und als spräche er zu dem Bilde, fuhr er fort: »Dein Fall ist so gut wie hoffnungslos, liebe Swaantje. Liebst du ihn wirklich so sehr?« Sie nickte. »Als Schülerin oder als Weib?« Sie wurde rot. »Nicht nur als Schülerin.« Er räusperte sich, und dann fragte er in trockenem Tone: »Entschuldige, Swaantje, und wenn es dir nicht paßt, so antworte nicht: Grete und ich glaubten bisher, du wüßtest noch nicht, daß du ein Weib bist; das kommt oft sehr spät zum bewußten Ausdrucke. Du kamest mir bisher gänzlich unsinnlich nach dieser Richtung hin vor. Für kalt von Natur hielt ich dich nicht, aber für unaufgewacht. Du weißt, ich spreche als Freund und Bruder, und darum darfst du mir diese Frage nicht übel nehmen: Wie steht es damit?« Das Mädchen sah ihn mit klaren Augen an. »Weißt du, Helmold, nach dem, was ich in den Büchern las und von anderen jungen Mädchen hörte, glaubte ich, daß ich anders bin als die anderen Menschen. Nur ein einziges Mal merkte ich, daß ich doch so bin. Das war,« sie wurde blaß und stockte, fuhr aber dann fort: »Doch das ist ja Nebensache!« Helmold runzelte die Stirn: »Leidest du sehr unter deiner Neigung?« Sie nickte: »Sehr; ich glaube, ich gehe daran zugrunde.«

Ihr Vetter sah sie böse an: »Möglich, das heißt, wenn du dieses zwecklose, unbefriedigte Leben weiter führst. Sieh mal, ich kenne dich ziemlich gut. Ich habe früher schon Grete aufgehetzt, sie solle Muhme Gesina so lange zwiebeln, bis sie dich aus dem Käfig läßt. Grete hat das auch getan; den Erfolg kennst du: es stellte sich glücklich der so bequeme Herzkrampf ein, und dann sprach die gute Swaantien: ›Nein, liebstes Tantchen, ich verlasse dich nicht!‹ Deine Muhme in Ehren; wäre sie nicht gewesen, so könntest du vielleicht als Guvernante oder Gesellschafterin dich piesacken lassen, das weiß ich. Aber vielleicht wäre das besser gewesen; denn was hast du von deinem vielen Gelde? Du willst deinen Geist betätigen, möchtest schaffen; statt dessen mottet Muhme Gese deinen Geist ein und zwingt dich, zu murksen. Lauter dumme Arbeiten sind es, zu denen sie dich antriezt, und da keine davon dein Denken ausfüllt, zerfetzt sich diese hoffnungslose Neigung völlig. Daß deine Nervenschmerzen, die dich seit einigen Jahren quälen, einen anderen Grund haben, als weil du dir einmal beim Schlittschuhlaufen nasse Beine geholt hast, das ist mir und Grete schon lange klar.«

Er setzte sich in den Vierländer Bauernstuhl, nahm die Laute und begann die Weise zu klimpern, die er vorhin gesungen hatte. »Sieben Jahre mein Herz nach dir schrie,« flüsterte es in ihm und dann: »Mensch, weißt du es denn nicht, daß du sie liebst! daß du sie zum Verrücktwerden liebst! von dem Tage an liebst, als du sie zum ersten Male sahst, als sie ein Backfisch und du ein glücklicher Bräutigam warst?« Sein Herz zuckte zusammen; das war wahr, war wirklich wahr. Er mochte nicht aufsehen und steckte sich aus Verlegenheit eine neue Zigarette an, denn wenn er jetzt, in diesem Augenblicke, das Mädchen ansah, dann, das fühlte er, lag er vor ihr, küßte ihre Hände und bettelte um einen Kuß von den Lippen, die nach einem anderen Manne seufzten.

Er griff in die Saiten und spielte das frechste von allen Liedern, die er kannte, und summte dabei halblaut die ersten beiden Verszeilen: »Auf der Lüneburger Haide ging ich auf und ging ich unter,« und dann setzte er das Singen durch Flöten fort. Als er in den Spiegel blickte, erkannte er, daß er tiefe Schatten unter den Augen hatte. »Swaantje,« rief er und legte die Laute fort; »hier gibt es nur ein Mittel: eine Tätigkeit für dich, die dir Freude macht. Dieser Kram da zu Hause, wo du nur die Rolle eines unmaßgeblichen Haushaltsreferendars spielst und nie eine freie Stunde für dich hast, das ist Gift für dich. Raus mußt du, auf einen verantwortungsreichen Posten, der dich müde, aber nicht matt macht, und auf dem du die Hauptperson bist und nicht bloß ein Tantenschwanz, der alles machen muß, aber nichts zu sagen hat. Entweder du verabschiedest die Tante, aber dann würde sie sich natürlich sofort einen ihr gut stehenden Sarg anmessen lassen, oder du kündigst ihr und ziehst mit lautem Hörnerklang in die Hinausferne, siehst dir die Welt einmal ohne die Tante an und siehst zu, daß du eine Arbeit findest, als Krankenschwester, als Redaktörin, meinetwegen auch als sozialdemokrätzige Agittattersche oder Frauenbewegungspropagandame. Aber zu Hause sitzen, Strümpfe für Niggerblagen stricken, Missionspredigten anhören, Traktätchen verteilen und sonst die Einmacherei überwachen und die Eierproduktion des Federviehs statistisch aufnehmen und den ganzen Tag die Tante auf den Hacken haben mit ihrer kamigen Liebe, dafür halte ich mir keine so hübsche Kusine!«

Da lachte Swaantje wieder, stand auf und schüttelte die Falten aus ihrem Rocke, und wie ein Blitz schlug in Helmold eine Erinnerung ein. Er war vor Jahren einmal mit ihr Rad gefahren, und zwar an einem Tage, an dem seine Lippen abscheulich heißhungrig waren, denn er war seit drei Wochen Strohwitwer und sah, ohne sich viel dabei zu denken, allem nach, was Röcke trug und jung und hübsch war. Als er so mit Swaantje dahinradelte und ihr allerlei dumme Witze zuwarf, paßte sie nicht auf, fuhr gegen einen Stein und kippte um. Er sprang sofort ab, aber ehe er bei ihr war, stand sie schon wieder auf den Füßen, lachte, faßte ihren Rock und schüttelte ihn in der Aufregung so gehörig, daß er in die Höhe flog und er ihre Hosen bis oben hin sah. Nun konnte er alles vertragen, bloß keine weißen Mädchenhosen; aber das einzige Gefühl, das er damals gehabt hatte, war: »Wenn sie es bloß nicht gemerkt hat, daß ich es gesehen habe!«

Jetzt, wo sie mit der selben Bewegung, wie an jenem Maienmorgen, ihre Röcke schüttelte, brannte ihn eine nesselnde Vorstellung. Ihm, das wußte er, konnte sie nie gehören, und er wünschte ihr alles Gute, und dazu gehört für ein Weib ein Mann; aber der Gedanke, daß ein Mann einmal so vertraut mit ihr stehen würde, daß er sie in den verschwiegensten Hüllen sehen durfte, diese Vorstellung flog ihm wie Schwefeldampf in den Hals und klemmte ihm die Lunge zusammen. Aber sobald er das Mädchen wieder ansah, wurde ihm leichter zumute, und während er sie in das Wohnhaus geleitete, fielen ihm schon wieder ein paar Schnurren ein, und lachend kam er mit ihr in das Wohnzimmer.

Sie gingen alle früh zu Bett, und er schlief auch bald ein; aber am anderen Morgen sah er so wenig frisch aus, denn er hatte fast die ganze Nacht die quersten Sachen geträumt, daß seine Frau ihn fragte, ob er nicht wohl wäre.

Da erzählte er ihr von Swaantjes tauber Liebe zu Professor Groenewold, und Grete, die den Mann kannte, meinte ernst: »Das ist eine ganz dumme Geschichte; nun wollen wir doppelt so lieb zu ihr sein und sie möglichst lange hier behalten.« Sie wunderte sich weiter nicht, daß ihr Mann nicht mehr sang und pfiff, wenn er malte, und nicht mehr so frisch und fröhlich aussah, außer wenn das Mädchen zugegen war, und dann dachte sie: »Er nimmt sich ihr Schicksal sehr zu Herzen.« Deshalb schickte sie die beiden möglichst oft allein aus und freute sich, wenn sie mit blanken Augen und roten Backen zurückkamen, und sie machte sich weiter keine Sorgen darüber, daß Helmold, wenn er im Garten bei den Blumen beschäftigt war, meist einen trüben Zug um den Mund hatte.

Sie war nicht eifersüchtig veranlagt, hatte viel gelesen und scharf beobachtet. Nachdem ihre beiderseitige Liebe nicht mehr so toll schäumte, sondern ruhig weiterperlte, hätte sie ihrem Manne eine kleine Grenzverletzung nicht weiter nachgetragen, wenigstens wäre ihr das lieber gewesen, als wenn er sich mit einer unglücklichen Neigung herumgeschleppt hätte. In einer rosenroten Stunde hatte sie einst seinen Kopf an die Brust gezogen und ihm gesagt: »Du, ich glaube, den meisten Männerchen fällt es sehr schwer, ihren Weiberchen treu zu bleiben. Wenn es dir einmal so geht, und du richtest weiter kein Unheil an, tu', was du willst, nur wissen möchte ich es nicht.« Da hatte er hellauf gelacht und gesagt: »Bist du aber gemein! Damit hast du mir den ganzen Ulk verdorben; denn wenn ich tun darf, was ich will, dann ist das Beste davon weg.«

In den drei Jahren, da sie beide mit vielen Sorgen kämpften, und er noch obendrein in der ihm gar nicht liegenden Stellung als Lehrer an der Kunstgewerbeschule reichlich Ärger und Verdruß gehabt hatte, hatten sie ein Dienstmädchen gehabt, ein bildhübsches Menschenkind, das ihnen mit seinem Lächeln ein wahres Labsal gewesen war. Als sie den Dienst verließ, um zu heiraten, seufzte Frau Hagenrieder lang und breit hinter ihr her; ihr Mann aber sagte: »Du hast am allerwenigsten Ursache, so zu seufzen. Danke Gott, daß sie fort ist; denn wenn sie noch lange hier gewesen wäre, wahrhaftig, ich hätte es nicht ausgehalten: ich hätte sie in den Arm nehmen und küssen müssen.« Seine Frau hatte ganz trocken geantwortet: »Das hätte ich dir weiter gar nicht übel genommen, und ich wundere mich bloß, daß du es nicht getan hast; denn du bist doch sonst nicht so.« Aber Helmold schüttelte den Kopf: »Erstens war sie verlobt, und zweitens mochte ich sie viel zu gern leiden, um sie in Verwirrung zu bringen. Aber offen gestanden, einen Kuß hätte ich als Andenken ganz gern behalten.«

Von Swaantje bekam er auch keinen Kuß zum Andenken. Früher hatte er ihr immer einen gegeben, wenn sie kam oder ging. Dieses Mal war er dazu nicht imstande und küßte ihr noch nicht einmal die Hand, als sie in ihr Abteil stieg. Am Abend vorher hatte seine Frau nämlich etwas gesagt, das ihm wie ein Dachziegel auf den Kopf gefallen war. Er hatte sich alle Mühe gegeben, recht lustig zu sein, und wenn ihm auch gar nicht so zumute war, so gelang es ihm doch; es wurde ein so vergnügter Abend, daß seine Frau seufzend sagte: »Es ist ein Jammer, Swaantje, daß du morgen abreisen mußt; wie schön wäre es, wenn du immer bei uns bliebest. Helmold kann ganz gut zwei Frauen brauchen, und du paßt eigentlich besser zu ihm, als ich. Außerdem habe ich mit dem Haushalte und mit den Kindern so viel zu tun, daß ich mich um den armen Mann so gut wie gar nicht kümmern kann. Überlege dir das einmal, Swaantje! Ich bin dann seine Sonnenfrau, die für den Leib sorgt, und du das Mondweiberchen, das seine Seele bescheint.« Das Mädchen hatte gelacht und gesagt: »Wenn alle Stränge reißen, werde ich von deiner freundlichen Erlaubnis Gebrauch machen!« Als aber Grete lachend fragte: »Und du, Helmold, wie denkst da darüber?« da ging er nach der Türe und ließ den Hund herein, obgleich der noch gar nicht gekratzt hatte.

In der Nacht aber tat er kein Auge zu und sah am Morgen grün aus. »Sieh bloß, Swaantje, wie er sich grämt, daß du uns verläßt!« sagte Grete beim Frühstück. Das Mädchen wollte ihn ansehen, aber er sagte, ohne aufzusehen, denn er strich sich gerade ein Brötchen: »Ich freue mich auf das Wiedersehen; Swaantje will uns ja bald wieder besuchen.« Die nickte. »Ja, aber erst, wenn du bei uns gewesen bist. Nicht wahr, du kommst recht bald, lieber Helmold?«

Das versprach er ihr; aber ein halbes Jahr verging, bis er sein Wort einlöste. Zu seiner Frau, die ihn oft genug quälte, hinzureisen, denn er gefiel ihr von Woche zu Woche weniger, sagte er, seine Plane hielten ihn an beiden Händen fest. Das schien auch so; denn er arbeitete wie verrückt darauf los, und wenn er kaum über den Anfang bei einem Gemälde hinaus war, dann redete er schon von einer anderen Vorstellung, die er unter dem Herzen trüge, und seine Frau mußte ihm recht geben, wenn er sagte: »Du kennst mich doch! Ich würde doch keine Ruhe haben. Mich langweilt vorläufig alles, außer der Arbeit. Das kommt, weil ich mich jetzt endlich als Meister fühle. Stoff und Farbe gehorchen auf den Pfiff. Zudem fange ich an, berühmt zu werden, und ich muß das Publikum schmieden, solange es warm ist. Ich werde fünfundvierzig Jahre alt, und diese Jahre sind meine besten. Aber, du hast recht; ich habe zu viel getan. Sobald dieses Bild fertig ist, schnüre ich mein Wanderbündel und fahre los.«

Doch als er soweit war, bekam er einen Auftrag von dem Prinzen, der endlich zu seiner größten Freude das Stapelienbild bekommen hatte, das sein Freund ihm früher nicht verkaufen wollte. Als der Prinz ihm den Gutschein gab, lachte Helmold und sagte: »Danke! Übrigens neulich wollte ich es dir beinahe schenken, lieber Brüne. Leider kann ich mir solche Scherze nicht leisten.« Der Prinz, der seine Augen nicht von dem Bild losbrechen konnte, meinte: »Geschenkt hätte ich es nicht genommen, und wenn ich armes Tier mehr Geld hätte, würde ich dafür bezahlen, was es wert ist. Aber warum magst du es eigentlich nicht mehr?« Der Maler sah das Bild böse an: »Weiß ich selber nicht; bin die Person leid geworden! Liegt mir zu offenbarungseidmäßig da. Sieh dich übrigens mit ihr etwas vor; sie hat den bösen Blick.«

Als Gegengift bestellte der Prinz dann ein Gegenstück dazu. Der Maler sagte: »Pendants sind eigentlich Blödsinn, aber mir fällt zufällig eins ein.« Vier Wochen darauf hatte der Prinz das Bild, und da gerade eine alte Muhme ihm eine gehäufte Million und ein Gut hinterlassen hatte, gab er Helmold zwanzig statt der vereinbarten zehn Tausendmarkscheine.

Das neue Bild zeigte in der selben Lage, aber als Spiegelbild, und in einem ähnlichen, nur in den Einzelheiten anders gehaltenen Rahmen, ein Mädchen, dessen Augen alle Süßigkeit, die vom Weibe kommt, ausdrücken. Hier war nur der Akt gemalt und einiges an den Lilien und Rosen, die den Hintergrund bildeten; die Landschaft als solche aber war aus dem Holze herausgespart. Helmold fiel, als er das Bild malte, das ein, was er zu Swaantje über das Aussparen des Aktes der Chali gesagt hatte, und als er den letzten Pinselstrich tat, sagte er vor sich hin: »Die Liebe ist alles; das andere ist nichts.«

Dann trat er vor den Spiegel und sah sich an. Grete hatte recht; er sah elend aus und hatte unruhige Augen. Er hatte zu viel gearbeitet, hatte gar keine Erholung gehabt als höchstens eine Abendstunde, wenn er mit den Kindern spielte. Das taube Spazierengehen hatte er immer gehaßt, und die Jagd reizte ihn augenblicklich nicht. Dazu aß er nicht genug, schlief vor drei Uhr nicht ein, rauchte viel zu viel, konnte keine Flasche Wein mehr vertragen; es war Zeit, daß er Schluß machte.

Der Arzt hatte ihm geraten, eine Kuranstalt aufzusuchen, aber dazu hatte er keine Lust. »Geh zu Swaantje!« riet ihm seine Frau, »die bügelt dich wieder auf!« Aber das mochte er auch nicht; denn er sagte, die Muhme fiele ihm auf die Nerven. Er fuhr in die Alpen, kam aber bald zurück: »Die aufgedonnerte Landschaft mit ihrer Eiskonditorei und ihrer Fastnachtsstaffage macht mir Nesselfieber!« Er ging an die See und war nach acht Tagen wieder da: »Tortenbacken aus Sand, dazu bin ich denn doch schon zu ausgewachsen, und dann das ewige Geschmatze von dem Meere! Ehe es sich keine besseren Tischmanieren angewöhnt, lasse ich da nicht mehr arbeiten!«

Da schrieb Ohm Ollig, daß es mit Swaantje gar nicht gut stände; sie schliefe keine Nacht vor Schmerzen, sähe wie ein Kellertrieb aus und mache ihm wirklich Sorgen. »Fahr hin, und muntere sie auf!« sagte Frau Grete, und wenn es auch drei Tage dauerte, ehe er so weit war, schließlich fuhr er doch los. »Daß du sie mir aber mitbringst, Helmold,« rief ihm seine Frau noch nach, als er auf der Treppe war; »es ist doch niemals schöner bei uns, als wenn wir drei zusammen sind.«

Er hätte nicht sagen können, was für Fahrtgesellschaft er gehabt hatte; er sah auch kaum die Landschaft, die er sonst immer zur Unterhaltung mitnahm. Er hörte nur, daß die Wagenräder fortwährend nach einer und der selben Melodie seiner Frau die Worte nachsangen: »Wir drei, wir drei und wir drei,« und als er sich besann, fand er heraus, daß es eine Singweise von ihm selber war, die nämliche, die er gefunden hatte, als er Swaantje vor der weißen Haide malte, das Lied von Rose Marie, zu dem ihm noch folgende Strophe eingefallen war: »Jedwede Nacht, jedwede Nacht, hat mir im Traume dein Mund zugelacht; kam dann der Tag, kam dann der Tag, wieder alleine ich lag.«

Er wollte etwas anderes denken, aber er konnte die Melodie nicht abschütteln, solange er in der Eisenbahn saß. Als er dann in dem Jagdwagen nach Swaanhof fuhr, rasselten auch die Räder des Wagens in dem Takte des Liedes.

Der Mond aber stand hinter den hohen Pappeln und grinste.

 


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