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Achtundzwanzigstes Kapitel

Er schlief schlecht; um sechs stand er auf, klingelte nach dem Frühstück, und als er dieses verzehrt hatte, war ihm alles wieder wohltuend klar.

Er dachte nicht länger als eine Sekunde an Elsa, so dankbar war er dafür, daß er nicht mit ihr auf Abwege geraten war. Sein ganzes Denken drehte sich um Fran.

Warum hat er die Zwistigkeiten, die Vorwürfe und die Unduldsamkeit, alle diese Nichtigkeiten, zu einer Barriere werden lassen, die unwirklich, aber beängstigend ist wie eine Mauer in einem bösen Traum? Es ist nichts weiter nötig als eine wirklich offene Aussprache mit ihr! Und diese Reise nach Paris, die Geständnisse vor Matey, die Dummheit mit Elsa, ganz einfach das Alleinsein und die Entfernung von Fran, das hat es ihm möglich gemacht offen zu sein.

Er ist dumm gewesen. Fran ist ein Kind. Warum sie nicht so behandeln, wie ein hübsches und sehr geliebtes Kind, geduldiger sein, über ihre Anfälle nicht in Wut geraten? Ein Kind. Ein See, in dem sich strahlender Himmel und dunkle Gewitterwolken spiegeln.

Ganz einfach zurückkehren und sagen: »Hör mich an, mein Kind –«

Er weiß zwar durchaus nicht, was er nach diesem Anfang sagen wird, aber auf jeden Fall wird er sehr zärtlich und überzeugend sein. Er liebt sie wirklich! Fran, mit ihren lebhaften Augen –

Aber was ist mit Kurt von Obersdorf?

Na – ganz kriegerisch – was ist schon damit! Entweder ist sie noch unschuldig und begreift nichts von ihrer Gefahr, oder sie ist gefallen und wird bereuen. Auf jeden Fall wird sie, wenn er väterlich die Gefahren solcher Freunde wie Kurt erklärt hat, wieder zur Vernunft kommen und mit ihm über diese eingebildete Feindschaft zwischen ihnen lachen – ja! das ist es – alles eine Einbildung, ein aufregendes Spiel, wie so manches in ihrem heimlichen, dramatischen Leben! Und dann werden sie miteinander nach Hause fahren.

Er wird zu ihr eilen. Gleich! Wenn es möglich ist, wird er fliegen. Er wird sie noch an diesem Abend sehen!

So sehr er sich auch von Berufs wegen für Flugmotoren interessierte, war er doch noch nie in einem Aeroplan gewesen. Wie die meisten gesunden Menschen hatte er immer ein wenig Angst vor dem Fliegen gehabt. Aber jetzt verachtete er in seiner Glut diese Furcht.

Dann handelte er mit einer Geschwindigkeit, wie niemals seit den kritischsten Tagen der Revelation-Automobile. Eine Frage an den Portier, wann das Berliner Flugzeug abgehe – um neun Uhr, in zwei Stunden. Telephonische Bestellung eines Billetts. Der Zimmerkellner stürmt hinunter um Sams Rechnung. Der Valet de chambre packt. Ein Automobil wird bestellt, das ihn zum Flugzeug hinausbringen soll.

Während er hinausfuhr, war er etwas aufgeregt. Aber dieses Gefühl ging unter in der Freude, daß er in wenigen Stunden Fran sehen würde, und als er am Flugfeld ausstieg, als er die große Maschine erblickte, die mit dem Metalleib und den dicken gewellten Metallflügeln so zuverlässig aussah wie ein Dampfschiff, als er bemerkte, wie ruhig der Pilot seinen Platz einnahm, und wie gleichgültig das Personal Gepäck einlud, machte seine Nervosität einem Gefühl des Jubels Platz. Er stieg eine kleine Stufenleiter hinauf, ging durch den linken Flügel und trat durch die kleine Tür ein, wie ein Kind, das auf eine Kahnfahrt mitgenommen wird.

In der Kabine sah es aus wie in einer sehr großen Limousine oder einem ziemlich kleinen Omnibus, Die Sitze waren aus Leder, tief und bequem, wie Sessel in einem Klub; die Kabinenwände waren mit gepreßtem Leder tapeziert; durch ein kleines Fenster vorn konnte man den Piloten mit seinen komplizierten Instrumenten sehen. Wenn Sam nicht durch das Fenster neben ihm hinausblickte, hatte er gar nicht das Gefühl, in einem so phantastischen und zerbrechlichen Fahrzeug wie einem Aeroplan zu sein. Seine sechs Mitpassagiere ließen sich anscheinend überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Einer von ihnen öffnete, kaum daß er saß, ein Buch, aus dem er eine Stunde lang nicht aufschaute.

Sam schämte sich sehr, daß er ängstlich gewesen war. Er hoffte fast, es werde etwas gefährlich werden.

Sie fuhren ohne alle Zeremonien ab – nichts weiter als eine Handbewegung des diensthabenden Beamten. Sie rollten so lange über den Boden, daß Sam schon dachte, sie hätten zu viel geladen und könnten nicht aufsteigen. Plötzlich ein kleines Unbehagen – ach, es wird natürlich alles ganz gut sein, sobald sie einmal hoch in der Luft sind und stetige Fahrt machen, aber wird es nicht ziemlich scheußlich sein, wenn man vom Boden loskommt, wenn man sich im Aufsteigen dreht und schüttelt?

In Wirklichkeit wußte er nicht einmal, wann sie vom Boden loskamen. Sie holperten mit vielem Lärm über den Rasen. Der Propellerwind bog die Grashalme, und dann waren sie, zauberhaft, zehn Fuß hoch in der Luft, sie waren über den Dächern der Flugzeugschuppen, sie hatten die Höhe des Eiffelturms, der in einiger Entfernung zu sehen war, und das einzige, was er fühlte, war lebhafte Verblüffung darüber, daß er gar nichts Besonderes fühlte.

Er bemerkte, daß das Land unter ihm aussah wie eine Karte; er sagte sich, daß er aufgeregt sei, als sie über etwas hinwegflogen, das aussah wie eine Nebelbank – eigentlich mehr wie Seifenspülicht – und begriff, daß es eine Wolke war, daß sie jetzt etwa fünfzehnhundert Meter hoch sein mußten. Aber er hatte davon gelesen, daß die Landschaft aussieht wie eine Karte, daß man über Wolken fliegt. Er erlebte tatsächlich nichts, wovon er nicht schon oft gelesen hätte – bis er merkte (und davon hatte er noch nie etwas gelesen), daß es keine monotonere und langweiligere Art zu reisen gibt als das Fliegen – höchstens noch auf einem Kanalboot durch flaches Land zu fahren. Wie ermüdete es ihn, Stunde um Stunde Landkarten zu sehen! Er spürte weniger von der Landschaft als im raschesten Automobil, im schnellsten Eisenbahnzug.

Es war so monoton und schien so sicher zu sein, daß er lachte, als er sich seiner Nervosität erinnerte, nur um so mehr lachte, als ein franzosischer Geschäftsmann seine kleine Reisemaschine hervorholte, sie mit einem Köfferchen als Unterlage auf seine Knie setzte und, in einer Höhe von fünfzehnhundert Metern, in aller Ruhe einen Brief zu tippen begann.

Dann vergaß er das ganze Fliegen und widmete sich, gelegentlich einen Blick auf ferne grüne Berge werfend, seinen Gedanken über Fran. Ach, er wird alles für sie tun … er wird sie schon zur Einsicht bringen … so viel Ergebenheit muß sie doch in seine Arme führen!

Sie hatten Paris um neun Uhr verlassen; zwanzig Minuten vor drei sollten sie in Deutschland, in Dortmund, aussteigen. Vor ein Uhr gerieten sie in ein Gewitter, und augenblicklich war von der langweiligen Gewöhnlichkeit der Reise nichts mehr da.

Ihre kleine Kabine schien schaurig unsicher zu werden, als die Blitze an ihnen vorüberzüngelten, als sie unter einem Windstoß erbebten, als sie in eine dunkle Wolke tauchten und für zwei Minuten in finsterster Nacht verloren zu sein schienen, als sie aus der Wolke herauskamen in den Regen, der an die Fensterscheiben prasselte. Sam, der vergnügt und munter in Rennwagen hundertundzehn Stundenmeilen gefahren hatte, war entschieden beunruhigt. Er war hilflos! Es war kein Boden da, auf den man hätte aussteigen können, nicht einmal ein Meer zum Schwimmen. Nur die heimtückische, verfinsterte Luft.

Der Mann gegenüber Sam – Sam kam nie dahinter, in was für einer Sprache er redete – warf ihm einen Blick zu, lachte verbissen, holte eine Flasche Kognak heraus, trank lange und gurgelnd und reichte ihm wortlos die Flasche hinüber.

Ohne zu zögern trank Sam und verbeugte sich dankend. Er versuchte wieder an Fran zu denken, und sie blieb ein schwebendes, bleiches, junges Gesicht, das vor seinem Fenster mitten in der Luft mit dem Flugzeug Schritt hielt. Und eine Zeitlang war sie nicht mehr als das.

Sie kamen durch das Gewitter in schwere Luft. Sie schossen aufwärts, sie stürzten dreißig Meter – es war nicht anders wie in einem abwärts fahrenden Expreßfahrstuhl, in dem einem der Magen zwei Stockwerke höher zurückbleibt – sie stampften und zitterten wie ein kleines Fischerboot in hochgehender See.

Der Geschäftsmann, der während des ganzen Gewitters gleichgültig weiter getippt hatte, stand still auf und übergab sich in eine kleine Papiertüte. Bei diesem Anblick mußte der freundliche Philanthrop mit dem Kognak sich gleichfalls übergeben. Und Sam Dodsworth wollte, daß ihm schlecht würde, und war traurig, weil es ihm nicht gelang.

Noch etwas mehr als eine Stunde wurden sie so durcheinandergerüttelt, hilflos wie Würfel in einem Becher, und als sie überaus dankbar zum Flugfeld in Dortmund hinunterkreisten, sah Sam, daß ein zweites Gewitter aufzog.

Wäre Fran oder Tub Pearson dagewesen, so hätte er vielleicht nicht den Mut gehabt einzugestehen, daß er nicht den Mut hatte, nach Berlin weiterzufliegen, und auch vor dem ziemlich anspruchsvollen Zensor Sam Dodsworth war das schwer genug, aber als sie sacht den Boden berührten und über das Gras rollten – das Flugzeug so unschuldig und harmlos, als hätte es niemals verrückte Kapriolen in der Luft geschlagen – beschloß Sam: »Na, für den Anfang ist das genug, ich fahre mit der Bahn weiter!«

Obgleich er ein wenig schwankte, als er wieder festen Boden unter den Füßen fühlte, lächelte er etwas idiotisch in seiner Freude über die wiedergewonnene Erde, die wundervoll sichere und feste Erde.

Am Flugfeld warteten Autodroschken, aber Sam fiel ein, daß er nicht einmal Bahnhof oder Eisenbahn auf deutsch sagen konnte. In Berlin hatte er sich auf Fran verlassen. Verzweifelt sah er den Chauffeur des Wagens an, zu dem ein Träger seine Tasche gebracht hatte und knurrte: »Berlin? Vagon? Berlin?«

»Klare Sache, Boss«, antwortete der Chauffeur. »Zum Zug nach Berlin. Na, wie gehts den Leuten daheim in den Staaten?«

Sam stellte die unvermeidliche Frage.

»Ob ich da war? Machen Sie keine Witze! Ich bin in Preußen geboren, aber ich war sechsundzwanzig Jahre in Philly und K. C, und dann bin ich hierher zurückgekommen, ich Idiot, und da haben sie mich zum Heer erwischt, und lassen Sie sich von keinem Menschen erzählen, daß das ein netter, lustiger Krieg war! Immer herein, Boss.«

 

Im Berliner Zug vergaß Sam Fran ganze drei Minuten in seinem Ärger darüber, daß er nicht im Flugzeug weiter gereist war. Das zeigte ihm, daß er schwächlich war und alt wurde. Ist er schlapp? Im nächsten Herbst wird er, mit oder ohne Fran, eine zweite Kanutour in Kanada machen; er wird einfach leben, auf der Erde schlafen, seinen Kahn über die Tragstrecken schleppen, den ganzen Tag paddeln und die schlimmsten Stromschnellen nehmen. Ja! Mit oder ohne Fran –

Aber es muß mit ihr sein! Der neuen Leidenschaft, die er aus Paris bringt, wird sie unmöglich widerstehen können.

 

Sein Zug kam kurz vor Mitternacht in Berlin an.

Vor dem Hotel nahm er seine Tasche, ohne auf den Portier zu warten, und eilte in die Halle.

»Meine Frau da? – Mr. Dodsworth, Appartement B 7«, fragte er am Pult.

»Ich glaube, die Dame ist nicht zu Hause. Der Schlüssel ist hier«, antwortete der Sekretär.

Verdrossen folgte Sam dem Boy zum Fahrstuhl. Er schickte den Schlüssel wieder hinunter. Er redete sich ein, daß er es tue, weil er müde sei und vielleicht schon schlafen werde, wenn sie zurückkomme.

Sie war nicht im Zimmer. Es roch nach ihr, es erzählte laut von ihr. Sie hatte etwas rosa Puder auf der Glasplatte ihres Toilettentisches verschüttet. Auf dem Bett lag ihr Nachthemd mit den irischen Spitzen; ein halb geschriebener Brief an Emily war auf dem Schreibtisch im Salon; und diese Spuren von ihr machten ihre Abwesenheit nur noch fühlbarer. Von Mitternacht bis halb drei saß er da, blätterte in Magazinen und wartete auf sie, und von Minute zu Minute wurde seine ungestüme und naive Freude kälter.

Um halb drei hörte er im Korridor lachen. Sich selbst verabscheuend, aber unfähig der Versuchung zu widerstehen, sprang er auf, machte im Salon finster und stellte sich in das dunkle Schlafzimmer, gleich hinter die Tür.

Er hörte, wie die Tür sich öffnete; er hörte Fran plappern: »Ja, du kannst auf einen Augenblick hereinkommen. Aber nicht auf lange. Die arme kleine Fran ist ganz müde! Das war eine Musik! Ich hätte bis zum Morgen tanzen können!«

Und Kurt: »Ach, du Liebes – Liebes

»Guten Abend«, sagte Sam von der Schlafzimmertür her, und Fran schluchzte einmal auf.

»Ich bin gerade von Paris zurückgekommen.« Sam kam in den Salon, machte Licht, blieb stehen, kam sich plump und dumm vor, es tat ihm leid, daß er eine solche Theaterszene herbeigeführt hatte.

»Ach Sam, ich bin froh, daß Sie heil zurückgekommen sind!« rief Kurt. »Fran und ich haben getanzt. Ich gehe jetzt nach Hause, und morgen gegen Mittag rufe ich euch an.«

Er sah Fran an, zauderte, als wollte er noch etwas sagen, verbeugte sich und war fort. Fran starrte Sam voll wütenden Hasses an. Sam bat:

»Fran, ich bin so rasch zurückgekommen – ich bin geflogen – weil ich es ohne dich nicht aushalten konnte! Ich bin nicht böse, daß du mit Kurt so lange aus warst –«

»Weshalb solltest du auch böse sein?« Sie warf ihr Abendcape auf das Sofa.

»Kind, hör mich an! Es ist eine ernste Sache! Ich bin zurückgekommen, bereit alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um dich glücklich zu machen. Ich bete dich an. Das weißt du. Du bist alles, was ich habe. Nur müssen wir Schluß mit diesem Unsinn machen und aufhören, heimatlose Abenteurer zu sein, und nach Hause –«

»Und so stellst du dir vor, daß du mich ›glücklich machen‹ kannst! Und jetzt hör du mich an – das ist ja deine Lieblingsphrase! Ich liebe Kurt, und Kurt liebt mich, und ich werde ihn heiraten! Um jeden Preis! Das haben wir heute abend beschlossen. Und ich kann nur sagen, ich freue mich, daß Kurt zu sehr Gentleman war, um dir den Kopf einzuschlagen, wozu er bestimmt Lust gehabt hat, wie du dich so entzückend im Schlafzimmer versteckt hast, um uns zu belauschen –«

»Fran, Fran!«

»Spiel jetzt nicht den beleidigten und erstaunten kleinen Jungen! Du hast dich über nichts zu beklagen. Du hast mich nie gekannt. Du hast nie auch nur das geringste von mir gewußt. Du hast nie gewußt, was ich anhabe, was für Blumen ich in dein Arbeitszimmer stelle, was für Opfer ich gebracht habe, um deine Schwerfälligkeit zu verbergen und dir bei der Erhaltung deiner langweiligen Freunde und deiner langweiligen Arbeit und deines langweiligen Rufes zu helfen!«

»Fran!«

»Ach, ich weiß! Das war gemein. Aber ich war so glücklich mit Kurt – bis vor zwei Minuten. Und dann finde ich dich hier, einen spionierenden Elefanten – ach ja, der große Mr. Dodsworth, der Automobilmagnat, der das Recht hat, über meine Seele und meine Träume und meinen Leib zu verfügen! Es ist mir zu viel! Arm – ja, Kurt und ich werden arm sein. Nur werden wir, Gott sei Dank, jedes Jahr meine Zwanzigtausend haben! Aber das bedeutet Armut unter den Leuten, die er kennt –«

Sie war völlig hysterisch; sie riß an ihrem Abendkleid herum; und er war entsetzt, wie jemand, der Zeuge eines Mordes ist. Er sagte ängstlich: »Gut, mein Kind. Nur eines. Will er dich heiraten?«

»Ja!«

»Dann werde ich weggehen.« Er hatte eine Vision von Einsamkeit, wie er sie in Paris im Select empfunden hatte. »Kannst du hier in Deutschland geschieden werden?«

»Ja. Ich glaube. Kurt sagt ja.«

»Du wirst in Berlin bleiben?«

»Ich denke. Ein Freund von den Biedners hat eine nette Wohnung mit der Aussicht auf den Tiergarten zu vermieten.«

»Gut. Dann gehe ich fort. Morgen. Heute ist es leider schon zu spät. Ich werde hier auf dem Sofa schlafen, wenn es dir recht ist.«

»Schön … Ach, ich habe ja gewußt, daß du die Rolle des geduldigen, leidenden Märtyrers bei einer solchen Gelegenheit spielen wirst. Du hast gerade genug Instinkt, um zu spüren, daß es die einzige Möglichkeit für dich ist, mich hoffnungslos ins Unrecht zu setzen und zu erreichen, daß ich mir vorkomme wie ein ganz gemeines Geschöpf, weil ich deine Tugenden nicht zu würdigen weiß – und mich verpflichtet fühle, zurückzukommen und die brave, dumme Ehefrau zu sein. Also, das werde ich nicht tun! Das kannst du zur Kenntnis nehmen! Kurt hat alles, was ich immer gebraucht habe – wirkliche Kultur, Bildung, Manieren, sogar seine nette, dumme, kindische Hanswursterei. Ja – ich will es rasch sagen, bevor du es mir freundlichst unter die Nase reibst – ja, und eine Stellung. Ich leugne nicht, daß ich gern Gräfin werde. So unwichtig das auch ist, ein Mann wie du wird das nie begreifen können. Ja, und physisch hat Kurt – ach, er hat nicht deine plumpe Bullenstärke, aber er reitet, er ficht, er tanzt, er schwimmt, er spielt Tennis – oh, ausgezeichnet. Und er hat Sinn für Romantik. Aber du wirst natürlich herumgehen und allen langweiligen Leuten in Zenith erzählen, daß ich deine hervorragenden Tugenden –«

»Hör auf! Ich warne dich!«

»– nicht zu schätzen weiß und ein dummes, adelsversessenes amerikanisches Frauenzimmer bin, und mit dem größten Vergnügen wirst du darüber spotten, daß der Graf Obersdorf, obwohl er so hochgeboren ist, nichts weiter ist als ein gewöhnlicher Angestellter und wahrscheinlich ein Mitgiftjäger, und damit, wirst du glauben, ist deine ganze Plumpheit gerechtfertigt! Ach, ich kann mir recht gut vorstellen, wie fabelhaft es dich amüsieren wird, dir den Mund über mich zu zerreißen –«

»Gott!« Fran schrak vor etwas in seinem Gesicht zurück. Er stand am Tisch. Um seine riesige rechte Hand zu kühlen, hatte er eine Vase mit Rosen ergriffen. Die Hand schloß sich jetzt langsam, seine Schulter spannte sich, und die Vase war zerdrückt, das Wasser tropfte ihm durch die Finger. Er warf die Glassplitter und die zerquetschten Blumen in eine Ecke und wischte sich die blutenden Finger ab. Diese hysterische Geste tat ihm wohl.

Sie sah erschrocken aus, dennoch rief sie tapfer: »Werd bloß nicht tra-«

Er unterbrach sie in sehr hartem, sachlichen Ton: »Wir wollen beide nicht tragisch werden. Ich habe dich davor gewarnt, daß ich die Beherrschung verlieren werde. Wenn du noch einmal zu deinem Vergnügen so an meinen Nerven herumzupfst, wird es das nächstemal keine Vase sein. Es sind nur noch ein paar Dinge in Ordnung zu bringen. Daß ich gehe, ist beschlossene Sache. Aber – Bist du ganz sicher, daß Kurt dich heiraten will?«

»Ja, ganz!«

»Ist schon etwas mehr –«

»Nein, noch nicht – muß ich leider sagen! Es wäre vielleicht dazu gekommen, wenn du heute abend nicht hier gewesen wärst. Ach, verzeih! Bitte! Ich habe das nicht so häßlich gemeint, wie es klingt! Aber ich bin eben auch ein bißchen hysterisch. Glaubst du denn, ich weiß nicht, was die Leute von mir denken werden, sogar was Brent und Emily von mir denken werden! Ach, ich werde dafür bezahlen –«

»Ja. Jetzt versprich mir eines: sei so oft du willst mit Kurt zusammen, aber versprich mir, daß du noch einen Monat wartest, bevor du die Scheidung einreichst. Damit du ganz sicher bist.«

»Schön.«

»Ich werde meiner Bank Anweisung geben, daß du außer deinem eigenen Geld noch zehntausend im Jahr bekommst. Und damit sind wir wohl fertig.«

»Ach, Sam, wenn ich dich nur dazu bringen könnte, daß du einsiehst, es ist deine Unwissenheit, deine Unfähigkeit, und nicht meine Schuld –«

Plötzlich hatte er eine erstaunte und verwirrte Fran gepackt, sie in das Schlafzimmer gestoßen, geknurrt: »Genug geredet heute abend«, die Tür vor ihren wütenden Protesten versperrt … sich wegen dieser Roheit ausgescholten … geseufzt, daß er die ganze Nacht wach liegen würde … und ohne mehr abzulegen, als Jacke und Schuhe, sich auf das Sofa geworfen und war augenblicklich eingeschlafen.


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