Gustav Leutelt
Die Könighäuser
Gustav Leutelt

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18.

Es war wie Modergeruch in dem Nebel; aber das konnte ebensogut von gefallenem Laub und Mulm unter den Stämmen, als von dem dunklen Waldboden herrühren, dessen Aushauch durch die Feuchtigkeit aufgeschlossen sein mochte. Nur selten fiel schon ein zusammengebrautes Tröpflein aus den Tangeln hernieder, aber in allen Spinnennetzlein hingen bereits die feinsten, glashellen Perlchen. 277

Wie eine ungeheure Milchglasscheibe ruhte der Himmel über dem Walde. Die Wipfel hatte der Dunst schon völlig eingesponnen und auch zwischen den Stämmen dichteten sich bereits die Schleier. Zu beiden Seiten des Weges waren die grauen Säulen eben noch sichtbar, aber im Hintergrunde ließen nur dunklere, undeutliche Streifen auf das Vorhandensein der schlanken Schäfte schließen.

Es war so eigen, und darauf fing einer der Stämme an, näher zu kommen, und dann war es kein Baum, sondern ein Mensch, der durch den Nebel einherging.

Der Mensch war Johannes.

Er hatte noch gestern sein Kind hinübergeleitet zu dem großen, starken Weibe, das ihn während der Krankheit gepflegt, jetzt aber ein gebücktes Mütterchen geworden war und das, wenn irgend möglich, in seiner Altersschwachheit noch hilfsbereiter schien, als ehedem. Zu ihr hatte er das Kind gerettet, aus dem Gerede der Leute heraus, das bald aufstehen würde.

Das war gestern beschlossen worden, als der Karl kam mit der Absage seines Pflegevaters und mit der Bitte um Aufnahme. Johannes hatte einfach die Hände der beiden Kinder ineinander gelegt und darauf gemeint, die erste Heimlichkeit fordere die zweite. Die Trauung dürfe bald sein, aber nicht im Orte, und zuvor müsse die Braut sich erst die gesetzlichen sechs 278 Wochen lang im auswärtigen Kirchspiel aufhalten, wenn eine Bewilligung erlangt werden soll. Nachmittags werde er die Marie nach Haindorf hinüberführen; das Weib des Brettschneiders könne schon bis morgen haushalten.

So war es gewesen und der Karl mußte nach dem Abschiede auf den Richterhof zurückkehren, damit das Gerede nicht schon vor der Zeit angehe.

Wieder hatte dem Schifflein sich ein Hafen aufgetan. Wenn Gutsein und Nachgeben immer die richtigen Steuerleute sind, dann kann es dem Johannes gar nie fehlen; das Kind aber hatte er doch weiter weggegeben. – Mißtrauen lehrt's!

Wissen die Kummergeistchen den Weg über das Gebirge? Man sollte es fast meinen; eine solch große Bangnis war über den Vater gekommen, als er die Tochter vom Geleit zurücksendete. Da kehrte er um, das Kind noch einmal zu sehen und hatte es dann doch unangerufen ziehen lassen.

Er wird es ihr doch nicht schwerer machen.

Erst geraume Zeit nachher, als er schon hoch im Gebirge war und ihn bereits der Nebel einmauerte, wurde er gefaßter.

»Haindorf liegt ja nicht aus der Welt und die paar Wochen gehen vorüber.«

Das Wandern im Nebel hat etwas Heimeliges. Man gewahrt nur die nächsten Dinge und schenkt 279 ihnen, wie sie im Weiterschreiten wechseln, desto mehr Aufmerksamkeit. Johannes aber besaß diese Gemütsruhe des Genießenden noch nicht. Die Kummersendboten trafen auch im Nebel ihr Ziel und selbst seinen Gedanken, die bald rückwärts zum Kinde und bald heim gegen den Ascherhof strebten, stellten sie Schlingen oder türmten ihnen Hindernisse entgegen, um sie in die Irre zu treiben: ins Nebelland der Furcht und des lähmenden Entsetzens.

Es war wohl nicht die Müdigkeit, die den Mann so oft mitten im Gehen innehalten ließ. Einmal geriet ihm das auch zu einer Ablenkung.

Da war ein Rascheln gewesen, und ein blauschimmernder Leib hatte sich langsam aus den braunen Leichen des Farrenkrautes losgerungen. Es kam freilich nur ein herbstmüdes Schlänglein, das, schon halb schlaftrunken, den Kopf ängstlich hin und her wendete nach einem geschützten Unterschlupf für den Winter; aber Johannes ward durch das Geziefer doch plötzlich wieder ein Kind und sah die Schlangenkönigin über die sommerbeblümte Wiese huschen, auf der sich die Gewächse vor ihr neigten und all das Klingende, Singende und Zirpende einen Augenblick den Atem anhielt.

Ein Schatten war von der Wunderwiese zu scheuchen – ein Schatten, ein böser Schatten; und die Hand des Mannes strich über die Stirn, als müsse der 280 dunkle Fleck auch dort ausgetilgt werden. Wäre es doch der Schatten einer Wolke gewesen, damals, oder jener des aufsteigenden, todsprühenden Gewitterdunstes! – Aber jener dunkle, beängstigende war nicht so vergänglich; er hatte sich hineingereckt in sein Leben, gespenstisch lang, drohend – noch immer drohend.

Kam er nicht, jetzt? Nein, es war nur die Natter . . . . Schlangenkönigin! . . . Wie gern hätte er wieder geglaubt, wie in jenen Kindertagen.

Die Schlange zog langsam ihre Windungen weiter und blickte nach dem Johannes, als warte sie noch immer darauf, ob er das Wort gefunden habe, oder nicht.

»So führe mich!«

Aber wie der Mann den Fuß hob, um nachzuschreiten, war die Gleitende schon vor der Wurzelhöhlung des Baumstrunkes, wandte den Kopf ab und zog ihre Ringe hinab in die Tiefe zur Winterruhe.

War es das? Hinab, in Moder und Verwesung hinein? »Nein, noch nicht!«

Johannes enteilte, aber die schweren Gedanken gingen mit ihm, und dann flogen sie gar vorauf nach dem Ascherhofe.

Er wird doch eine Hauswirtin brauchen, die Zeit. Und wer geht ihm gleich her?

Da dachte er an die schöne Tochter der Malcher-Threse, die so brav dawider geholfen, was ihr Ruf 281 an ihm verschuldet hatte. Er war ihr einmal im vergangenen Jahr begegnet, als sie eben Witwe geworden. Das Weib hatte eine schlimme Ehe hinter sich und gestand dem Johannes freimütig, daß es erst in dem letzten, langen Siechtum des Mannes eine andre geworden sei. In Wirklichkeit mochte das Gute in ihm dann Gelegenheit erhalten haben, sich zu betätigen.

Der Bauer wenigstens empfand das klar, wie ihn die Gedanken weiter abseits führten zu jener Heimkehr vom Kirchenfest und der Begegnung im Hohlweg, wo jenes selbstsichere Mädchen ihm das Glück nachgetragen brachte. Gewiß, sie war besser, als sie scheinen wollte. Was mochte auch die Mutter an ihr gesündigt haben!?

Johannes beschloß, sie heute noch aufzusuchen. Er konnte nicht anders denken, als daß jenes tapfere Weibsstück ihm gewiß über die schlimme Zeit hinweghelfen werde.

»Und die Leute?« Johannes hatte seine bösen Erfahrungen mit denen nicht umsonst gemacht. Die Leute, wie sie so sind, können ihm nicht helfen.

»Es bleibt dabei.«

Nun war dem Schifflein im Hafen auch ein Ankertau geworden. Es schien wenigstens so, und schon dieser Schein brachte größere Zuversicht.

»Wenn es Gottes Wille ist . . .« 282

Es war aber Gottes Wille, daß der Nebel sich gegen die Mittagszeit immer mehr und immer undurchdringlicher verdichtete, so daß er ein förmliches Schrecknis ward und die Zaghaften meinten, es müsse noch etwas Grausiges geschehen, das sich nur unter einem vorgezogenen Leichentuche verbergen wolle. Dabei stand der Nebelschwaden so ruhig vor den Augen, daß man zuletzt nicht wußte, ob der Qualm von oben sinke, oder aus der Erde hervorgehe, oder ob ihn nicht doch ein unheimliches Etwas unmerkbar dahertrage. Johannes mußte den Weg ertappen, als er durch den Wald nach dem Hause hinabstieg und das Außergewöhnliche um ihn machte sein kaum gefestetes Gemüt von neuem erzittern. Er atmete auf, als er erst die obere Brachwiese wieder unter den Füßen hatte, und als ihn das Geplätscher des Wassertroges empfing und dann erst das Dunkel des Hauses durch den Nebel gegen ihn aufstand, wollte er eben mit einem Dankgebetlein an den Höchsten beginnen, weil er alles so wiederfand, wie er es verlassen.

Aber da regte es sich schon am Trog und darauf stand die Brettschneiderin vor ihm.

»Gott sei Dank, Herr, daß Ihr da seid! Ich fürchte mich noch zu Tode bei dem Wetter. Und gefüttert ist schon und alles versorgt und Feuer ist auch. Ihr dürft nur sagen, was ich herrichten soll. – Wißt Ihr es schon?« 283

»Was soll ich wissen?«

»Heute früh haben sie Richter-Emilians Karln eingeführt. Ja, seht nur, dort brachten sie ihn herunter. Mein Kleiner war auf einen Sprung da und ich schaffte ihn wieder bis an den Buschrand hinauf. Da kamen die drei. Der Herr Karl hatte keinen Hut auf und die Hände mit Stricken gebunden und der Förster trug zwei Gewehre und der Heger hatte auch noch einen Rehbock über den Rücken gehängt. Dort . . . aber nein, ist Euch schlecht? Ihr seid gewiß zu schnell gelaufen.«

Um den Johannes fingen Tür und Hauswand und Gartenzaun an, sich zu drehen. Und immer wieder flogen Tür und Wand und Zaun vorbei und er griff nach seinem Kopfe, ob der noch fest stehe.

Ja, es ist ihm nicht ganz gut; aber das macht nichts. Sie soll nur weiter erzählen.

»Dann ist das Rösler-Klarl gesprungen gekommen und hat so geweint und gesagt, sie hätten es gar nicht gern getan – ihr Vater habe es vom Heger – aber der Richter-Milian selber hat den Karl angezeigt und da mußte es sein.«

»Der Richter-Emilian selber. Ja, ja, das wird schon sein.«

Jetzt muß er aber – allein . . .

Er schickte das Weib fort, das sich in Dienstwilligkeit überbot und verwundert dreinblickte. Aber 284 der Bauer trat auf einmal so ernst auf, daß es dem Herrn seines Mannes nicht zu widersprechen wagte und ging.

Abends wollte sie wieder kommen.

Johannes aber wußte schon nichts mehr von ihrem Gehen. Er hatte das kalte Eisen des Türgriffes nicht gefühlt und merkte nur noch undeutlich an dem bekannten Stubengeruch, wo er sei, und daß er vor dem Tische stehe, dann brach er im Lehnstuhl zusammen und fiel schwer mit einem Arm und dem Kopfe über die Tischplatte hin.

Das Feuer im Ofen knackte selten und starb vor der Zeit an den Dünsten, die in den Schlot einzudringen suchten. Dafür wurden die alten Balken lebendig und schickten ein Knistern reihum, wie auf Verabredung, und die Stubentür sprang wieder auf, ganz von selber, und was im Hausflur geisterte, das war nicht zu sehen.

Johannes vernahm von allen dem nichts; er war zu stumpf dazu. Es ging nur ein Rad in seinem Kopfe um und das knarrte unaufhörlich: »Er, er selber; der Milian selber.«

Es dauerte lange, bis der Bann wich und die Umgebung anfing, wieder zu dem Gebrochenen zu sprechen; aber dann geriet ihm auch das nicht zum Guten. Die Dinge wurden ja alle zu Erinnerungszeichen an das Kind – sein unglückliches Kind, das 285 nun rettungslos der Schande überantwortet war – seinetwegen. – Der Schlag traf alle, aber ihn hatte der Emilian gemeint. Er ist schuld an dem Entsetzlichen, weil er den Todfeind wieder aufgebracht, ihm die sichere Beute aus den Händen gerissen hat. Wie konnte er nur so habgierig sein?

Aber freilich, für das Kind wollte er ja doch sorgen und dann hatte er Mitleid gehabt mit dem Bedrängten, und aus dieser Wohltat – solche Strafe? Kann es da eine Gerechtigkeit geben? »Gott . . .«

Es hat jedes Haus sein Ecklein, in dem einer von Satans Höllenhunden lauert und leise winselt vor Begier, seine Giftzähne in Menschenherzen zu schlagen. War im Ascherhofe jetzt einer los geworden?

»Immer nur er! Immer nur er! – Im Anfange – gleich – der Schmelzofen.« – Die Augen des Mannes brennen, als stoße ihn noch heute jene Faust vor die Glut; und das Feuer sengt hinein bis in sein Hirn, nadelscharf, qualvoll.

»Ganz recht, ein Hexenbalg muß doch verbrannt werden; der darf auch kein Menschenmädchen lieb haben. Hetzt ihn! Hetzt ihn, bis sein Glück verjagt ist!«

Es fraß so gierig in dem gequälten Hirne, daß auch die Flügel dieses heranhuschenden Erinnerungsglückes sengten und ihre Kraft gelähmt ward.

»Ei ja, und der blaue Kittel und die Kreuzbuche. Was geht das auch den Pfutschhans an? Die 286 Einschicht ist für sich und dort brennt es schon lange, mehr als in meinem Kopfe.«

Und die Stube füllt sich mit kleinen, hüpfenden Lichtern; nur die Flamme einer Kerze brennt ruhig darunter und wird immer größer, unheimlich groß, und lodert nicht, und flackert nicht, und ist ein Ding, rein zum Wünschen, um so recht ins Kühle zu kommen, in die Gerechtigkeit hinein. »Ha! Ha!«

»Selber ausgleichen! Selber!

Schicke den Richter, Emilian! Er soll sie auslöschen; sie brennt dir deinen Hof nieder, die Gerechtigkeit.

Ah, das tut wohl. In den Nebel, in den langweiligen Schwaden hinein Rauch, Brand, Qualm – drüben – drüben!«

Er rannte sich atemlos bergauf; denn es war etwas, das suchte ihn zu halten und dem wollte er entrinnen. Vor der Steinrücke aber mußte er doch einen Augenblick stehen bleiben.

Es kam bereits eine Bewegung in den Nebel und es heulte auf der Höhe. Wie Mehl strömte das vorbei und dann wieder war Finsternis in den Massen, die immer von neuem heranschossen. Kaum vermochten die stärksten Trompetentöne der Kirmeslustbarkeit sich vom Dorfe her durch den stickenden Schwaden zu kämpfen. 287

»Haucht der Nebel die Schwüle aus? – Und das Zähneklappern! – Da ist das Ding schon wieder. Fort!«

Aber in eben dem Augenblick steigt über der Steinrücke eine dunkle Riesengestalt auf, so daß Johannes in die Knie sinkt und seine Wange nahe an den Boden drückt. Und dann ist plötzlich mit einem dumpfen Schall und einem Erzittern des Bodens der Riese wieder verschwunden.

»Kommt, was immer. Hinüber!«

In dem bleichen Dunkel wirbelt es vor ihm, hinter ihm. Es will den Mann umstricken, es macht ihn straucheln und sperrt den Weg mit Gestrüpp.

»O! es macht nichts; ich komme schon durch.«

Und der Atem stößt und der Puls zuckt und dann erhält der Eilende einen Schlag ins Gesicht; aber das ist nur der erste Ahorn, gegen den er gerannt ist.

Jetzt weiß er schon weiter.

»Die lange Bretterwand, ja. – Wie leicht rosten die Nägel. – Das gibt nach . . .

Drinnen!«

Es ist ein wildes Entzücken in ihm und eine Angst zugleich, daß er nicht allein da sein könnte. Aber es rührt sich nichts in dem Dunkel, rein nichts, und dann trommelt das Blut so laut. Er will auch nicht hören. 288

»An's Werk!«

Jedoch die Füße knicken ihm ein. Da schreit es ja. Es schreit irgendwo im Nebel draußen und den Ton hat er schon einmal gehört. Der Schrei jagt ihm ein Zittern in die Glieder und seine Rechte findet die Linke nicht, mit der er die Streichholzschachtel hält.

Und plötzlich tastet es draußen an der Bretterwand herum und scharrt, und winselt, und stöhnt.

Es stöhnt so herzbrechend. – Gott sei Dank, daß er das Brett vorgeschoben hat.

Aber da ist es auch schon herinnen und kommt über den Heuberg her und haucht eiseskalt nach ihm. Es will ihn überschleichen, es hetzt ihn nach der Lücke, und die Schachtel entgleitet den klammen Fingern, so daß die Hölzlein über den Estrich gestreut werden.

Er hat auch keine Zeit mehr, das Brett wieder vorzuschieben.

»Fort!«

 

Die schreckhafte Erschütterung wirkte nach. Johannes lief nicht weit, so mußte er schon stehen bleiben. Nach dem Heuduft drinnen spürte er die Erfrischung durch den feuchten ziehenden Nebel nur undeutlich, aber plötzlich erschauerte er doch. Und während den Armen der Frost schüttelte, überkam ihn blitzgleich das Bewußtsein dessen, was er hatte tun wollen. Da war auch wieder ein geordneteres Denken da und 289 das Staunen und der Abscheu; und dann kam die Furcht und trieb ihn, sich in die nebelfeuchten Gewächse niederzukauern, als könne er sich zwischen denen verbergen.

Jetzt wußte er auch, daß der Wahnsinn an ihm vorbeigegangen sei.

Sein Denken war freilich noch überreizt. Er zweifelte gar nicht daran, daß es der alte Schutz- und Warngeist des Felsens gewesen, der ihn gerettet hatte, und der Gedanke an Sinnestäuschung kam ihm nicht von fern.

Er sollte doch hinaufgehen nach dem Steine, zu einem stummen Dank gegen das – das . . .

Konnte er doch nicht zu Ende denken? Es wehrte sich etwas in ihm, das er von der Schulzeit her und aus den Büchern hatte und das sich nach dem Zurücktreten der Leidenschaft eben wieder hervor wagte.

Aber Johannes ging, in einem sonderbaren Widerstreite seines Innern zwar, doch mit Wissen und Willen. Er dachte im Gehen viel und konnte deshalb nicht auf die Umgebung achten, sonst hätte ihm auffallen müssen, daß es im Nebel umher ein Wimmern gab, wie etwa eines hören läßt, das Gräßliches vorhersieht und es nicht hindern kann.

Es kam die Abenddämmerung, aber wie der Bauer so anstieg, wich der Nebel mehr und mehr und es 290 wurde doch etwas heller. Dann schien es gar, als wolle droben noch ein Abendrot werden.

In welch geistiger Verfinsterung ist er an dem Nachmittag gewesen. Hätte ihm nicht beifallen sollen, daß der Emilian hoch versichert ist und er dem einen eigentlichen Schaden gar nicht antun kann?

»Aber das Abendrot wirft doch einen seltsamen Schein. – Wie es die Nebelfetzen von unten anstrahlt!«

Und was lärmt die Trompete dort unten? Himmel! – Er erinnert sich. Die Schachtel – vorhin – sie ist ihm entfallen. Wenn er auf eines von den verstreuten Hölzchen getreten wäre – das herumliegende Heu. – Sollte er doch zum Brandstifter geworden sein?

»Ich muß sehen,« ächzte er und rannte blindlings nach der Höhe, so daß er an die Stämme stieß und taumelte, als sei er trunken.

»Soll ich wirklich so schwer gestraft werden?«

Aber wie ist ihm denn? Hier sieht er schon die Glut und die steht nicht über der Gegend des Richterhofes. – Heiliger Gott! Sein eigenes Haus brennt. Das ist's. Das ist's.

Er rast atemlos weiter, stürzt, erhebt sich; Äste brechen, Gestrüpp splittert unter seinen Füßen – endlich ist die Waldlücke am Steine da und der grelle 291 Feuerschein bricht aus ihr hervor und jenes dumpfe Murren, das eine gewaltige Lohe hervorbringt.

Aber durch jenes Summen hindurch hört er lachen – lachen! Und wie er hinausstürmt ins Freie, da steht der Emilian, und der lacht noch im Umdrehen.

Johannes wußte es augenblicklich: Nun ist das Furchtbare da, aber er vermochte kein Glied zu rühren. Und schon erklang es drüben.

»Warst du das Gespenst, Hund? – Ich will dich lehren.«

Johannes knickte ein, wie sich der große, starke Mann gegen ihn stürzte. Noch schien etwas Graues, Schattenhaftes zwischen ihnen aufzustehen, dann spürte der Knieende bereits die würgende Faust an seiner Kehle und stürzte hintenüber. Blitze zuckten ihm vor den Augen, der Felsgrund schien zu erbeben und die furchtbare Atemnot riß die letzten Kräfte aus ihm hervor.

Es gelang ihm, die Füße unter den Leib des Gegners zu reißen, und seinen Beinmuskeln waren dessen Arme doch nicht gewachsen. Eine gewaltige Anstrengung – ein Schleudern durch die Luft – wütendes Einhauen der Nägel im Gestein und – der Schlag eines schweren Sturzes.

Ein einziger, gewaltiger Schrei, wie aus dem Innern des Felsens heraus, hatte die Luft zerrissen. 292

War es der schreckliche Ruf des Waldweibes? Ist es der Todesschrei des Stürzenden gewesen?

In den Glutlüften draußen aber summte es fort wie das rauschende Flügelschlagen eines Geisterheeres.

 

Die Geschworenen sprachen ihn frei.

Es war ja alles so furchtbar einfach, es war ein Verhängnis, und für ein solches büßt man nicht.

Die Brettschneiderin hatte gezittert vor den Herren Richtern, aber doch eine leidliche Aussage zu geben vermocht: wie sie den Emilian König aus dem Ascherhofe hat schleichen sehen, und wie sie den Ausbruch des Feuers erlebt.

Die Leiche des Emilian ist zuerst gefunden worden und dann der Johannes oben auf dem Felsen. Der Lebende war über und über blutig von einer Wunde am Hinterkopfe und hatte ruhig in dem Heidelgestrüpp gesessen und nach den Leuten gesehen. Als die aber auf ihn einredeten, wurde er unwillig.

Ob sie denn nicht hören? Wie schön das Singen ist.

Da schafften sie ihn als einen Irren hinab in sein Haus. Das stand noch mit verwüstetem Dach; nur die Scheune lag ganz in Asche.

»Er wird wieder,« hatte darauf der Doktor gemeint, aber dessen Wort mag herb in Zweifel gezogen worden sein von Jung und Alt, weil es lange anstand bis zu seiner Bewahrheitung. 293

Das ist für die beiden Frauenzimmer ein böser Winter gewesen unter dem neuen Dache des Ascherhofes. Die Marie hätte es nicht erzwungen, aber das große, willensstarke Weib war da – Gott sei Dank! – und die brachte alles zuwege. Das Weib war die Tochter der Malcher-Threse.

So oft hatte der Kranke nach ihr verlangt, daß man ihm endlich den Willen getan und jene Witwe geholt hatte. Die war auch ohne viel Bedenken gekommen und ein Segen für den Hof, für den Kranken und dessen Tochter geworden.

Alle Dörfer in der Runde wunderten sich, daß jenes wilde, fahrige Weib solches zu tun imstande sei. Wie konnten sie aber auch Grund und Ursache hiervon wissen, da die im Herzen des Weibes eingesargt blieben?

Daß der schwankende Halm der Neigung auch so tiefe Wurzeln treiben kann!

Dann fließen während einer ängstlichen Winternacht in der alten Bauernstube des Ascherhofes Werden und Vergehen ineinander und nur ein winziger Hügel hinter der Kirchhofmauer gibt Zeugnis davon, solange eben die Stürme des Hornung noch aussetzen wollen.

Mit den Frühlingslüften kam dem Bauer die geistige Gesundung, aber der alte Johannes wachte nie so recht mehr in ihm auf. Und eines Tages, 294 nachdem er vorher lange gesessen und gesonnen hatte, ging er hin und klagte sich an.

Aber die Erde trug keinen Feind des Ascherbauers mehr und der öffentliche Ankläger und die Richter fühlten für ihn, wie seine Freunde. Die menschliche Gesellschaft mochte ihm keine Sühne auferlegen, aber freimachen konnte sie ihn auch nicht und so war Johannes der Büßer fast wieder auf sich selbst angewiesen.

Er nahm alles so hin: die Heimkehr des Schwiegersohnes, die Hochzeit, den Ankauf des Richterhofes durch den Lahmbauer, die Geburt des Enkels. Nur die Tochter der Malcher-Threse, die auf dem Hofe verbleiben durfte, wurde seine Vertraute. Das Weib hat sich brav mit den Kummergeistern herumgeschlagen, die den Johannes immer und überall anfielen.

O, behütet wurde der alte Mann gut genug; aber in seiner letzten Stunde ist er doch allein gewesen.

Es war in der tiefen Dämmerung. Die Bäuerin hatte sich im Stall unter dem Melken plötzlich aufgerichtet und gemeint.

»Hört Ihr nichts?«

Nein, die Witwe hörte nichts.

»Dann muß mir das Ohr klingen,« sagte die Lauschende wieder. »Es ist – mir wird so eigen – ich will doch einmal nachsehen.« 295

Das Nachsehen aber kam schon zu spät. In der Stube war nur mehr das Kind lebend und im Lehnstuhle ruhte ein Toter . . . .

Am nächsten Morgen wollten manche Leute wissen, es habe gestern in der Dämmerung einen Gesang auf dem Felsen gegeben, aber da auch viele meinten, es sei nichts zu hören gewesen, so mochte das wohl ein Irrtum sein.

Und so kam Johannes endlich auch zu seiner Aufbahrung über den Dielenbrettern an der Stirnseite des Ascherhofes.

 

Ende

 


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