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Weib und Liebe

Wie Platos Dialog über den Staat, die Liebe, die Ehe, das Weib in den Dienst großer Aufzuchtsideale stellt (»Die stärksten Männer sollen mit den schönsten Frauen die bestgeborenen Kinder zeugen. Der Staat soll diese Kinder nach Rassengesichtspunkten auswählen und aufziehen«), so kündet auch Zarathustra ein neues, dem Zufall und der Willkür entzogenes Gesundheits- und Schönheitsgewissen. Wer unbefangenen Auges die Sittlichkeitsgedanken Europas durchmustert (diese ewigen Gegenspiele von Eros und Logos, Freiheit und Bindung, Wollust und Geist), der könnte wohl auf den Verdacht kommen, daß hinter all unsrer Moralität eine irgendwie zerbrochene und wurmstichige Geschlechtlichkeit brennt, indem die eine Hälfte der Zivilisationsmenschheit (insbesondere die Frauen der guten Gesellschaft) aus einer bis zur Hysterie verdrängten und niemals frei und wahr fühlenden Geschlechtssehnsucht heraus nach tausenderlei Rauschersatz hascht, während die andere Hälfte, die aus der bürgerlichen Bindung herausgesprungene oder herausgeschlichene, unter solcher Übermenge geschlechtlicher Anreize und lüsterner Spielereien lebt, daß auch für sie eine wahrhaft lebenvereinheitlichende, lebenausfüllende Leidenschaft völlig unmöglich wurde. In Millionen kurzatmiger Abenteuer verspielen und zersplittern wir die Gewalt der Herzen und die Kraft des Geistes. Es ist nun merkwürdig genug, daß der Schrei nach Freiheit in der Regel von denen ausgestoßen wird, die gar nicht Gefahr laufen, am Geschlechtsdämon zu verbluten, während dagegen gerade die lax und bindungslos lebende Gesellschaft Europas sich als Behüter der Tugend aufspielt, wahrscheinlich darum, weil sie spürt, daß sie, ohne die ungeheure Lüge Monogamie, in sich selber weder ein Muß noch ein Maß trägt; nicht Treue, nicht Schönheit. Nietzsche nun ist vor allem andern der strenge Ethiker der Zucht. Und grade als solcher entschleiert er alle selbstquälerisch entsagende Ideologik. Aber man darf nicht vergessen, daß Nietzsche während der Frühzeit seines Lebens durchaus von Jungfräulichkeits- und Keuschheitsidealen erfüllt war, in den Jahren der Reife aber so voll war des philosophischen Eros und zudem durch eine fortschreitende Kränklichkeit so gebunden war, daß geschlechtliche Erfahrungen und Träume kaum je an seinen Kräften sogen. Nicht daß er eine ungeschlechtliche Natur gewesen wäre. Aber so viel ist gewiß: die weiberfeindlichen Aussprüche Zarathustras (die das Genus immer nur als Genuß kennen und das Weib als einen Besitzwert, als Hübschding, Liebding, aber jedenfalls als Ding), sie fließen nicht wie bei Byron, Euripides, Schopenhauer, Strindberg aus Ingrimm der Leidenschaft, die zu hassen vorgibt, weil sie nicht eingestehen kann, in wie hohem Maße sie gezwungen ist, zu lieben. Vollends entsteigt Nietzsches mit der Peitsche knallende Männlichkeit nie der Angst vor der eignen Triebstärke. Er war eine mädchenhaft zarte, feinbesaitete Seele, mehr zum Freunde der Frauen als zum Liebhaber und Beherrscher bestimmt. Dazu hatte er an Adele Schopenhauer, Malvida von Meysenbug, Lou Salomé Typen der geistigen Frau vor Augen, die weder den Kameraden ausfüllen, noch den Erotiker reizen konnten. Man darf mithin Nietzsches Lehren über Weib und Liebe (die eine ganze Literatur hervorriefen) nicht allzu feierlich nehmen. Sie sind nüchtern und traumlos, denn sie sind Ausdruck einer kühl ausgeglichenen, in sich eingesponnenen Natur, die weder Himmel noch Hölle der Geschlechtsliebe kannte.


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