Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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93.

Dienstags mittags. [1775]

Ganz gewiß glaube ich, daß Sie niemals das Wesen und die Art eines anderen Menschen annehmen. Sie sind wie ein Gott, unendlich vollkommen und, ich glaube, auch zufrieden wie ein solcher. Wahrhaft große Menschen verlieren immer, wenn sie sich ändern. Alexander der Große war gewiß stolz auf seine Fehler. Behalten Sie also alles, mein lieber Freund: Ihre nette Galanterie, Ihre Nonchalance und vor allem Ihre Vergeßlichkeit in allen Angelegenheiten, die der am Herzen liegen, die Sie angeblich lieben! Unter anderen hervorragenden Tugenden besitzen Sie ein exquisites Zartgefühl wie sonst niemand auf der Welt: Sie wollen sich bei mir nicht sehen lassen, weil es Ihnen gegen den Strich wäre, mich nicht ganz allein anzutreffen! Bei Gott, das ist rührend zart, um so mehr als es Ihnen freistünde, mich frühmorgens oder um vier Uhr zu besuchen. Das sind Zeiten, wo Sie mich fast sicherlich allein finden. Aber, mein Lieber, noch rücksichtsvoller ist es natürlich, gar nicht zu kommen. Und damit bin ich auch einverstanden, denn ich will ja gar kein Opfer von Ihnen; ich sehne mich nur nach Dingen, die Sie mir gern gewähren.

Guten Tag. Glauben Sie nicht, die Entfernung Ihrer Wohnung käme hierbei in Frage. »Das Herz bringt alles zuwege!« sagt Lafontaine.

Adieu denn! Auf Donnerstag! Ich lebe unter den Menschen nur für Sie; Ihre Besuche sind mein alles. Das ist ganz in der Ordnung.


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