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7. Kapitel.
Ein unerwartetes Wiedersehen

Der neue Mitarbeiter und weshalb er enttäuscht ist – Über welches Rätsel Karola nachgrübelt – Trauliche Stunden – Wie Georg Felber aus Amerika herüberkam.

 

Rola und ihre Mutter saßen im Wohnzimmer mit einer Handarbeit. Frau Burgstetten, die ihren gewohnten Platz am Erkerfenster inne hatte und öfter einmal einen Blick auf die Straße hinunterwarf, sagte jetzt: »Eben scheint Fräulein Roderichs Pate gekommen zu sein, wenigstens ist ein junger Herr in unser Haus getreten. Vater erwartet ihn doch heute.«

»Da wollen wir uns vor der Vorstellung aber in Positur werfen,« scherzte Rola. »Ich bin ordentlich neugierig, wie dieser Georg Felber aussieht!«

»Jedenfalls freue ich mich mit Fräulein Roderich, daß sie ihren Paten hierher bekommt. Sie scheint unbeschreiblich an dem jungen Manne zu hängen.«

»Ist er eigentlich ein Verwandter von ihr, Mutter?«

»Nein, verwandt sind sie nicht miteinander. Georg Felber ist der Sohn des Mannes, der Fräulein Roderich einmal sehr, sehr teuer gewesen ist.«

»O Mutter, dieser Mann hat also eine andere geheiratet?«

»Ja, Kind, es war eine traurige Geschichte.«

»Warum magst du niemals darüber sprechen, Mutter? Wenn einmal das Gespräch darauf kommt, wirst du stets ganz traurig!«

»Fräulein Roderichs Schicksal steht in gewissem Zusammenhange mit dem meiner Eltern. Erinnerungen trauriger Art knüpfen sich daran, für Fräulein Roderich und auch für mich. Darum spreche ich nicht gern davon. Aber bei passender Gelegenheit werde ich dir die Geschichte erzählen.« Frau Burgstetten lächelte ein wenig. »Meine Rola ist doch sicher neugierig darauf und wittert einen interessanten Roman. – Doch horch! Vater kommt mit dem Herrn!«

.

Nach kurzem Anklopfen trat auch schon der Kaufherr mit Georg Felber ein.

»Hier bringe ich euch meine neue Hilfskraft, Herrn Felber!«

Mit diesen Worten stellte Herr Burgstetten seinen Damen den jungen, schlanken Mann im dunklen Besuchsanzuge vor.

Georg Felber verbeugte sich zuerst vor der Gattin seines nunmehrigen Prinzipals, dann wandte er sich Rola zu. Jähes, freudiges Erschrecken glitt über sein Antlitz, während Rola sich krampfhaft an der Stuhllehne festhielt. »Wir – wir kennen uns bereits,« sagte sie nach einigen Sekunden, nachdem beide sich von ihrer Überraschung erholt hatten.

»Allerdings, gnädiges Fräulein, das hätte ich nicht erwartet, daß ich meine Reisegefährtin von jener Postfahrt hier wieder treffen würde!«

»Was – Postfahrt – bereits Bekanntschaft gemacht?« Herr Burgstetten schüttelte verwundert lachend den Kopf. »Wie geht denn das zu?«

Mit kurzen Worten erzählte Rola nun von ihrer Fahrt nach Heimberg und der dabei gemachten Reisebekanntschaft.

»Das ist ja großartig! Da soll mir noch einer etwas vom Zufall sagen!« Herr Burgstetten lachte heiter. »Und der Racker, die Rola, hat es nicht einmal für nötig gehalten, uns über ihre Fahrt Bericht zu erstatten und von ihrem Reisegefährten zu erzählen!«

»Soviel Wichtigkeit habe ich der Sache allerdings nicht beigelegt!« Rolas Antwort sollte wohl scherzhaft klingen; aber es lag, weil sie die durch des Vaters Neckerei hervorgerufene Verlegenheit verbergen wollte, der gewisse abweisende Ton darin, der ihr bei ähnlichen Gelegenheiten eigen war und dessen sie sich immer erst zu spät bewußt wurde.

Der Freiherr und seine Gattin hatten sich dem jungen Manne wieder zugewendet und so Rolas Antwort nicht weiter beachtet. Aber Georg Felber hörte den abweisenden Ton heraus, und über sein Gesicht glitt ein Zug leiser Enttäuschung. –

Als Karola später allein war, schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Georg Felber zurück. Jetzt wußte sie auch, warum sie bei ihrer ersten Bekanntschaft in der Postkutsche über eine gewisse Ähnlichkeit in seinen Zügen mit irgend jemand nachgegrübelt hatte. In Fräulein Roderichs Stübchen hing eine kleine Photographie. Sie zeigte einen Knaben, dem die Schülermütze keck auf dem vollen Haar saß. Das Bild stellte unzweifelhaft Georg Felber als Gymnasiasten dar.

Rola hatte oft an ihren Reisegefährten zurückdenken müssen, ohne daß sie es sich eigentlich selbst eingestehen wollte. Und nun trat dieser Fremde in ihres Vaters Geschäft ein und war obendrein Fräulein Roderichs Pate! Das sonderbar beklemmende Gefühl, das sie beim Anblick des jungen Mannes beschlichen, wollte nicht von ihr weichen. – –

Die Tage flossen ohne besondere Abwechslung dahin. Nur vom Kasinoverein wurde ab und zu ein Vergnügen veranstaltet, an dem die Freundinnen gern teilnahmen. Ilse Sternberg blieb solchen Vergnügungen fern. »Ich habe meine Jugend bis zu Vaters Tode vollauf genossen und mich tüchtig ausgetanzt,« sagte sie zu den Freundinnen. »Darum kann ich die Vergnügungen jetzt wirklich entbehren. Sie sind immer mit Geldkosten verbunden, und Mutter fühlt sich auch nicht kräftig genug dazu.«

Beinahe mutmaßten die Freundinnen schon, Ilse habe eine geheime Liebe im Herzen, vielleicht sogar eine unglückliche; aber wenn sie dann Ilse in die blauen Augen mit dem ruhigen, heiteren Blick sahen, wurden sie doch in ihrer Meinung irre. –

Georg Felber hatte durch die Vermittlung seines Prinzipals bald Eingang in die Gesellschaft gefunden. Man begegnete dem gewandten jungen Manne überall mit Wohlwollen. Er war eine frohe, gesunde Natur und genoß gern die heiteren Stunden in junger Gesellschaft.

Doch bittere Augenblicke blieben ihm dabei nicht erspart. Zwischen ihm und Rola wollte sich der herzliche Ton, der auf jener Postfahrt zwischen ihnen geherrscht, nicht wiederfinden lassen. Immer häufiger tauchte in Georg der Gedanke auf, daß es besser gewesen wäre, wenn er Rola nicht wiedergesehen hätte. Was konnte es ihm denn weiter bringen, als Kummer und Herzeleid! Er hatte seine anmutige Reisegefährtin nicht vergessen können und oft, nur zu oft ihrer gedacht. Nun hatte er sie wiedergefunden – aber als die Tochter seines Prinzipals, und durch jede Miene jeden Blick vermeinte er das bei dem jungen Mädchen zu spüren. Es entging ihm auch nicht, daß Dr. Scholz Karola verehrte und dieser umgekehrt auch ihr nicht gleichgültig zu sein schien. Georg aber war zu stolz, um auch nur im geringsten den Versuch zu machen, mit Herrn Scholz, der anscheinend ältere Vorrechte genoß, zu rivalisieren. So kam es, daß er auf Bällen und Gesellschaften die Tochter seines Prinzipals meist nur für einen Pflichttanz engagierte. Rola wieder ärgerte sich darüber. Sie war es gewöhnt, daß ihr die Herren huldigten, und es erschien ihr beinahe wie eine Beleidigung, daß dieser Georg Felber eine Ausnahme machen wollte. Und warum gerade er? Manchmal ertappte sich Rola dabei, daß sie über dieses Rätsel nachgrübelte. War sie ihm denn so schrecklich gleichgültig? Wie ganz anders war er doch auf jener Postfahrt gewesen!

So hatte sich, wenn auch nur leise fühlbar, zwischen Rola und ihrem einstigen Reisegefährten eine Mißstimmung eingeschlichen – und war doch nur ein gegenseitiges Mißverstehen.

Aber es kamen auch wieder freundlichere Momente in dem Verhältnis der beiden zueinander. Das waren die Winterabende, die Georg in der Familie seines Prinzipals zubrachte und die in ihrer anheimelnden Behaglichkeit die Herzen mit weichem, lindem Zauber umspannen. Im Kamin knisterte das Feuer. Die große Lampe brannte noch nicht, nur die rosig verschleierte Ampel im Erker verbreitete gedämpftes Licht. Und dann setzte sich Georg Felber wohl auf Frau Burgstettens Bitte ans Klavier. Die sehr musikliebende Familie wurde nie müde, seinem ausgezeichneten Spiel zu lauschen. Träumerisch lehnte Karola dann in einem Sessel. Halb war es Trotz, halb Wehmut – eine seltsame, nie gekannte Wehmut – was sich in ihrem Herzen regte. Und einst, gleich an einem der ersten gemeinsam verlebten Abende war es, fuhr Karola plötzlich aus ihrer Träumerei auf. Das, was aus der lieblichen Phantasie, die Georg Felber eben spielte, hervorquoll, zart und leise zuerst, fast ein wenig zagend, dann allmählich anschwellend und endlich leise verklingend – das war die Tyrolienne, die das junge Mädchen zuerst auf der alten Spieluhr bei Fräulein Roderich gehört. Seltsam, wie das Rola auch jetzt wieder zu Herzen ging, fast mehr noch als beim ersten Mal. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Und dann sah sie auch, daß Georg Felber nach Beendigung seines Spieles sich leicht über die Augen fuhr, als wolle er Trauriges fortwischen.

An diesem Abend war Rola wie verwandelt. Sie zeigte sich von ihrer liebenswürdigsten, herzlichsten Seite, und aus des jungen Mannes Augen glitt ein froher Strahl zu dem Mädchen hinüber, das ihn in seiner eigenartigen Schönheit vom ersten Sehen an gefesselt hatte. Rola vermochte sich seinen Blick nicht zu deuten, aber es war ihr plötzlich, als säßen sie sich wieder wie bei jener Postfahrt gegenüber – zwei sich fremde, aber harmlos frohe, junge Menschenkinder. All das herbe, stolze Mißverstehen der letzten Zeit versank. Rola fragte jetzt auch nach der Tyrolienne, und er erzählte, daß er die Melodie oft von seinem Vater habe spielen hören, stets sei sie ihm zu Herzen gegangen. Georg sprach dann weiter aus seinem Leben. Seine Mutter sei eine Amerikanerin gewesen und er selbst, wie auch seine verstorbene Schwester in Amerika geboren. Später sei sein Vater, als kranker Mann der Sehnsucht nach der Heimat folgend, mit seiner Familie nach Deutschland übergesiedelt und bald darauf gestorben. Seitdem habe sich Fräulein Roderich der Hinterbliebenen angenommen und besonders für eine gute Ausbildung ihres Paten Sorge getragen. Vor drei Jahren wäre nun seine von Kindheit an kränkliche Schwester gestorben, und elf Monate später sei ihr die Mutter nachgefolgt.

Mit warmen Worten sprach Georg Felber von Fräulein Roderich, die ihm und den Seinen stets ein guter Engel gewesen und kein Opfer für deren Wohl gescheut habe.

Frau Burgstetten warf ihrer Tochter einen Blick zu, der zu sagen schien: Siehst du, das ist Fräulein Roderich, die ihr Kindsköpfe lieblos, verbittert nanntet! Der Familie des Mannes, um dessentwillen sie so viel gelitten hat, erwies sie Gutes über Gutes!

Aber es bedurfte dieser beredten Augensprache nicht einmal. Karola war ja schon längst bekehrt, sie hatte eine herzliche Zuneigung für die ehemalige Lehrerin gefaßt und besuchte sie häufiger. Welcher Art der Trennungsgrund zwischen Fräulein Roderich und Georgs Vater gewesen war, das wußte Karola nicht. Aber mochte es sein, was es wollte, Fräulein Roderich hatte alles, alles mit Gutem vergolten! Jetzt vermeinte Rola auch zu wissen, warum das alte Fräulein früher allmonatlich Geld auf der Post eingezahlt hatte – für die Angehörigen Georgs, für die Ausbildung ihres Paten war es bestimmt+…

Weihnachten war vorüber. Georg Felber hatte sich zur Zufriedenheit des Kaufherrn in seine Pflichten eingearbeitet, und bald unternahm Herr Burgstetten in geschäftlicher Beziehung nichts mehr, ohne mit seinem jungen Mitarbeiter darüber gesprochen zu haben, allerdings sehr zum Mißfallen des Prokuristen Hagemann. Mit letzterem stand Georg nicht auf dem besten Fuße. Herr Hagemann gewahrte entschieden mißgünstig die Anerkennung, die der Kaufherr dem neuen Mitarbeiter zollte, und wo es anging, suchte er den jungen Mann herabzusetzen, allerdings bis jetzt immer erfolglos. Georg war ein starker, mutiger Charakter, der unbeirrt und gerade seinen Weg ging. Die kleinen Bosheiten des Herrn Hagemann prallten wirkungslos an ihm ab. Allerdings konnte er seinerseits dem Prokuristen gegenüber ein gewisses Mißtrauen nicht unterdrücken. Die Bücher, die er zum Teil von Herrn Hagemann übernommen, wiesen mancherlei Eigenheiten in den Buchungen auf. Sie erweckten zum mindesten den Eindruck einer gewissen Nachlässigkeit. Ob Herr Burgstetten seinem langjährigen Mitarbeiter nicht allzusehr vertraute? Aber es widerstrebte Georg als Jüngerem, den Prokuristen darauf aufmerksam zu machen, zumal er ihm ja direkte Fehler und Unregelmäßigkeiten nicht nachweisen konnte. Er mußte sich in seinem Gerechtigkeitssinn auch immer wieder sagen, daß es ihm nicht zieme, ein Urteil über Herrn Hagemann zu fällen, da dieser im Dienste der Firma ergraut war und seinem Prinzipal zu irgendwelchem Mißtrauen niemals Veranlassung gegeben hatte.

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