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X.

Das Gefühl der Freiheit

Unter Gefühl verstehen wir die Eigentümlichkeit am Bewußtseinsinhalt, wodurch er als einem bestimmten Individuum zugehörig, als ein Zustand des Ich erlebt wird; den Inhalt selbst in seiner Mannigfaltigkeit bezeichnen wir als Empfindung, Die Empfindungen sind aber nicht, wie das Gefühl, lediglich die Beziehung auf die Einheit des Ich, sondern sie sind Bestimmungen im Räume. Das Helle, Glatte, Schwere. Warme, Süße, sie sind stets an einem Orte lokalisiert und somit objektiv; nur insofern dieser Ort und diese Qualität zum Inhalt eines Ich gehört, sind sie zugleich subjektiv und speziell als mein Inhalt auf einander bezogen. Und in dieser Einheit werden sie erlebt als eine gegenseitige Bestimmung. Diese ist das Gefühl der Lust oder Unlust. Das Gefühl ist also das, wodurch ich mich von anderen Individuen und von der Natur unterschieden weiß. Denn diese eine Einheit, zu welcher mein Nervensystem gehört, ist eben nur einmal da. Und weil ich gerade diese Einheit bin, so ist sie für mich der Ausgangspunkt für alles Sein überhaupt, sie ist das, wodurch ich weiß, daß ich bin, und damit ist sie das, was dem Sein überhaupt Wert gibt.

Im Gefühl haben wir die unmittelbare Beziehung von Inhaltsbestimmungen auf einander, die wir an uns selber als Lust oder Unlust erleben; immer aber erleben wir sie geknüpft an Veränderungen des Inhalts. Ob indessen eine bestimmte Inhaltsveränderung für uns mit Lust oder Unlust verknüpft ist, das hängt ganz davon ab, wie beschaffen und gesetzlich bestimmt bereits der Inhalt unseres Ich ist, zu welchem sie hinzutritt. Ein Bratengeruch ist dem Hungrigen Lust, dem Satten Unlust. Der Mondschein erfüllt uns mit Freude auf einem nächtlichen Spaziergang, es kann aber auch sein, daß wir die Dunkelheit vorziehen. Dabei bleibt der Bratengeruch eine bestimmte Qualität und der Mondschein ebenfalls eine bestimmte andere Qualität, die nach Naturgesetzen zu dieser Zeit sich an diesem Orte befinden. Nach Naturgesetzen befinden sich auch meine Sinnesorgane zur Zeit am Orte, nach Naturgesetzen werden dieselben Empfindungen erlebt, nach Naturgesetzen treten sie mit dem ganzen übrigen Inhalt meines Ich zusammen und bewirken eine Einheit, die ich nach Naturgesetzen je nach dieser Zusammensetzung als Lust oder als Unlust erlebe. Also auch dieses Gefühl ist unter dem Gesichtspunkt der Natur bestimmt; aber nur im Sinne jenes unendlichen Systems. Unbestimmt, weil unbestimmbar, ist es dagegen für jedes individuelle System, denn, es ist unmöglich, die Disposition zu kennen, in welcher jener neue Inhalt den früheren antrifft. Und so erleben wir im Gefühl unmittelbar jene durch das Gesetz der Schwelle bedingte Unbestimmtheit eines Systems. Daher ist uns das Gefühl das untrügliche Zeichen, daß ein Inhalt zu unserm Ich gehört; dies aber ist zugleich ein Erlebnis ganz anderer Art als die Betrachtung dieses Inhalts unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis. In letzterem Falle ist der Zusammenhang theoretisch bestimmt, d. h. jeder Inhalt ist in Rücksicht auf die Gesamtheit der Erkenntnis notwendig, hat aber zu seiner Bestimmung immer wieder einen andern Inhalt zur Voraussetzung. Im Gefühl dagegen wird der Inhalt als unbedingt direkt erlebt, ist somit zwar nicht gesetzlich bestimmt, dafür aber für sich gewiß.

Betrachten wir somit irgend ein System, sei es der Mond, sei es unser eigener Leib, sei es der spezielle Inhalt, den wir »Ich« nennen, nicht als den direkt erlebten Inhalt, sondern in seinem Zusammenhange mit der Natur, so ist von Gefühl nicht mehr die Rede; die Einheit, die dann den Zusammenhang bestimmt, ist die Einheit des Gesetzes ohne jede Rücksicht darauf, ob diese in einem System erlebt wird oder nicht. Es ist die unvermeidliche Konsequenz der naturwissenschaftlichen Betrachtung, daß sie in den von ihr untersuchten Systemen das Gefühl ausschließt. Daraus ergeben sich jene Bestimmungen über die Natur, denen zufolge sie als etwas Äußeres im Gegensatz zu dem individuellen Geiste des Menschen erscheint (S. 61). Dieser Gegensatz ist jedoch inbezug auf den Inhalt nicht gerechtfertigt. Dieselben Qualitäten, die unser Ich bilden, sind auch in der Natur vorhanden; wir sehen nur davon ab, daß sie mit Gefühlen verbunden sind.

Man wende nun nicht wieder ein, in der Natur seien Ätherschwingungen und Energie, in mir seien Licht und Helligkeit. Das haben wir schon widerlegt; beide sind sowohl in mir wie in der Natur. Was ist denn hell? Doch nicht mein Auge, meine Netzhaut, meine Vierhügel, sondern jene Stelle im Raume. Nicht die Empfindung, daß hier etwas Rundes, Rotes, Weiches, Duftendes ist, das wir Rose nennen, nicht diese Qualitäten sind subjektiv, sondern subjektiv ist nur das mit ihnen verbundene Gefühl, daß der Inhalt, den ich in jedem Augenblicke mein Ich nenne, in der gegebenen Weise sich verändert hat. Die Empfindung ist objektiv, insofern an dieser Stelle des Raumes wirklich Beziehungen aufgetreten sind, die als Rundes, Rotes, Weiches, Duftendes sich bestimmen. In diesen Bestimmungen ist aber immer noch eine stillschweigende Bedingung eingeschlossen: daß sie nämlich erst dann als Qualitäten vollständig sind, wenn sie mit den Sinnesorganen und dem Gehirn eines Menschen in Verbindung stehen; daß also gewisse Prozesse im Nervensystem gleichzeitig stattfinden (vgl. S. 78 f.).

Dieser Bedingung wegen hat man die Qualitäten als subjektiv bezeichnet. Ihre Realität ist aber offenbar auch ohne den Zusammenhang mit einem Nervensystem bereits gesichert, nur fehlt dann die Eigenschaft des »Erlebt-werdens«. Diese Realität, unabhängig vom Nervensystem, zeigt sich in anderweitigen Zusammenhängen, z. B. in den biologischen mit der Entwicklung des Rosenstockes, den physikalischen und chemischen Bestimmungen als so und so schwerer, so und so zusammengesetzter Körper; sie wird im letzten Zusammenhang mit der Naturerkenntnis als ein Gefüge räumlich bestimmter Energiemengen definiert. Da hierbei von dem Zusammenhang mit dem Nervensystem abgesehen wird, während bei dem Ausdruck rot, weich, usw. die Beziehung aufs Nervensystem stets mitgedacht ist, so heißt die erstere Realität als Körper objektiv, die letztere speziell Empfindung. Und dieses Gegensatzes wegen bezeichnet man die Empfindung als subjektiv. Sie ist aber, wie man sieht, so gut objektiv wie der Energiezusammenhang und unterscheidet sich nur dadurch, daß letzterer den Körper »Rose« als System »Rose-Natur«, die Empfindung dagegen ebenfalls den Körper »Rose«, nur als System »Rose-Gehirn« bezeichnet. Also nur ein Unterschied des Inhalts! Im System »Rose-Gehirn« wird die Rose erlebt, die Qualitäten (rot, duftend usw.) in Raum und Zeit sind mit dem Gefühl verbunden, das unser Ich als Einheit charakterisiert. Im System »Rose-Natur« ist letzteres nicht der Fall; dafür besteht hier die durch das Gesetz der Schwelle nicht beschränkte durchgängige Bestimmbarkeit der Rose als objektiver Körper. Die Empfindung bleibt aber dabei unter den Merkmalen bestehen, die gerade diesen Raumteil als »Rose« charakterisieren. Nur ihre Gefühlsseite fällt fort, weil die Beziehung zur aktuellen Einheit eines Gehirns fehlt; es bleibt der gesetzliche Zusammenhang der Qualitäten, insofern sie psychischen Zuständen entsprechen, die bei der Verbindung mit einem Gehirn auftreten würden. Weil indessen die bloßen Angaben der Qualitäten zur Bestimmung des Raumteils im Naturzusammenhang nicht ausreichen, hat sie die Naturwissenschaft in hauptsächlich quantitative Bestimmungen aufgelöst. Man muß aber nicht glauben, daß darum die Qualitäten weniger objektive Realität hätten als die Quantitäten; sie bezeichnen nur immer zugleich eine mögliche Beziehung auf ein menschliches Ich und sind daher nicht scharf genug für sich zu bestimmen.

Wenn dieselbe Raumstelle einerseits (psychisch) bestimmt ist als »rot« und anderseits (physisch) als Ätherschwingung von 0,0007 Millimeter Wellenlänge, handelt es sich nicht um zwei verschiedene Vorgänge, so daß etwa die Ätherschwingung im Gehirn in die Empfindung »rot« verwandelt würde, sondern es handelt sich nur um zwei verschiedene Bezeichnungen desselben Faktums. Dieses »Rot« nämlich bedeutet den Zusammenhang, den jene Raumstelle mit dem Inhalt eines Ich hat, sobald sie in die erforderliche Verbindung mit einem menschlichen Gehirn tritt; die Ätherschwingung dagegen bedeutet den Zusammenhang, den jene Raumstelle mit dem Inhalt eines Ich hat, sobald sie in die erforderlich Verbindung mit einem menschlichen Gehirn tritt; die Ätherschwingung dagegen bedeutet den Zusammenhang, den eben jene Raumstelle im gleichen Augenblick ohne Rücksicht auf ein Gehirn mit jedem andern Raumteile hat. Dieser letztere Zusammenhang ist es, der als eine mathematische Bestimmung, allein eine genaue gesetzliche Festlegung des Zustandes jener Raumstelle für diesen Augenblick gestattet. Daneben hebt der mit rot« bezeichnete Zusammenhang zwar die Objektivität des Zustandes nicht auf, beläßt ihn aber zugleich in Verbindung mit jenem System »Ich« als einen Zustand dieses Ich, das als individueller Geist ja stets unbestimmt bleibt. Daher ist man zu einer wissenschaftlichen Behandlung der Farben erst gelangt, seit man sie quantitativ zu bestimmen weiß. Man darf dabei nicht vergessen, daß man damit keineswegs die Natur des farbigen Raumteils umgewandelt hat, und daß nun das »Rote« nötig hätte, erst aus der Ätherschwingung zu entstehen. Die Ätherschwingung ist vielmehr nur das Mittel, einen Raumteil in einem gewissen Zustande zu definieren, ohne auf seine spezielle Beziehung zu einem menschlichen Gehirn Rücksicht nehmen zu müssen.

Darin nun besteht die Aufgabe der Naturwissenschaft, die einzelnen, in der Empfindung uns subjektiv bewußt werdenden Inhalte so zu definieren, daß sie als objektive Inhalte gesetzliche Geltung haben. Den Empfindungscharakter heben wir damit nicht auf, wir werden nur von seiner Verbindung mit dem Gefühl unabhängig. Wenn es gelungen ist, die Empfindungen überall als Energieumwandlungen zwischen Raumteilen oder, wie die mechanische Physik will, als Atomschwingungen zu definieren, so ist das Ideal erreicht, die Veränderungen im Raum zu bestimmen, ohne auf die Art zurückzugreifen, wie sie im Ich erlebt werden. Das wäre ein Ideal der Naturerkenntnis, denn hier wäre jede subjektive Unbestimmtheit ausgeschlossen. Inbezug auf die Farben und Töne ist ja eine solche Objektivierung gelungen. Will man nun von diesen physischen Bestimmungen wieder auf die empfundenen Qualitäten, von der Schwingungszahl auf die Empfindung zurückkommen, so ist es doch eine ziemlich überflüssige Frage, wie Empfindung aus den mechanischen Vorgängen sich im Gehirn erzeugen solle, da ja jene mechanischen Vorgänge vielmehr nur ein Produkt der Analyse dessen sind, was als Empfindung gegeben ist, und zwar an dieser Stelle des Raumes und zu dieser Zeit.

Je weiter der Objektivierungsprozeß vorschreitet, der sich in der Naturerkenntnis vollzieht, um so schärfer wird der Mechanismus der Natur von dem unbestimmbaren System geschieden, dessen Inhalt wir im Gefühl erleben. Gerade durch die Entwicklung der Naturwissenschaft hat es sich gezeigt, daß im Ich immer noch ein Rest bleibt, der sich in die naturwissenschaftliche Bestimmtheit nicht auflösen läßt. Wir haben gesehen, wie im menschlichen Organismus durch das Gesetz der Schwelle ein Inhalt innerhalb der Natur abgegrenzt wurde, der tatsächlich nicht bestimmbar ist, nämlich der individuelle Geist, der ein Ich heißt. Aber diese Unbestimmbarkeit ist eben auch nicht mehr als eine Tatsache; wäre es möglich, innerhalb jenes Inhalts alle Beziehungen zu überblicken, so wäre auch der gesamte Inhalt eines individuellen Geistes bestimmt. Diese Möglichkeit ist indessen niemals verwirklicht.

Indem wir somit die Unbestimmbarkeit als das Merkmal hervorheben, wodurch sich der psychische Inhalt unseres Ich vom Physischen unterscheidet, wenn wir den individuellen Geist ein naturwissenschaftlich nicht bestimmtes System nennen so wird man vielleicht den Verdacht haben, wir wollten nun mit dieser Unbestimmbarkeit des individuell Psychischen eine Hintertür öffnen, um durch diese Lücke die Freiheit des Willens in die Notwendigkeit der Natur einzuschmuggeln. Dies liegt uns vollständig fern. Es wäre der Rückfall ins Dogmatische. In der Natur, somit auch im individuellen empirischen Geiste, ist keine Freiheit; das Individuum ist nur ein Stück der Natur; ihm Freiheit zuzusprechen, hieße die Natur aufheben.

Was wir aber gewonnen haben, ist die Erklärung, woraus wir in unserm individuellen Geiste, trotz der in ihr herrschenden Naturbestimmung, doch das Gefühl der Freiheit finden. Die Naturnotwendigkeit ist die Voraussetzung für das Bestehen einer Einheit in Raum und Zeit, und Bewußtsein kennen wir nur als einen solchen in Raum und Zeit erlebten Inhalt. Er heiße der empirische Inhalt. Aber wir sind nicht imstande, in diesem Inhalt unseres Ich die Naturnotwendigkeit erfahrungsgemäß überall nachzuweisen. Trotzdem bleibt das Ich-Bewußtsein. In unserm empirischen Bewußtsein ist also die Naturnotwendigkeit zwar als die Voraussetzung für die Existenz unseres individuellen Geistes enthalten, jedoch nur insofern wir uns als ein Individuum im Naturzusammenhange erkennen, d. h. sie ist die theoretische Bedingung unserer individuellen Existenz. Praktisch sind aber diese Bedingungen niemals vollständig. Wären wir für unser Dasein auf die Naturnotwendigkeit angewiesen, müßten wir unsere individuelle Existenz theoretisch beweisen, so würde diese immer fraglich bleiben; es gibt kein Mittel aus Naturgesetzen zu beweisen, daß wir existieren, weil jedes Gesetz neue (empirische) Bedingungen voraussetzt und so bis ins Unendliche zurückgreift.

Glücklicher Weise brauchen wir aber unsere Existenz niemand zu beweisen, da sie uns durch das Bewußtsein selbst verbürgt ist; freilich nicht durch das theoretische Bewußtsein, aber durch das Erlebnis. Die psychologische Form des Bewußtseins, in welcher wir unserer Existenz unmittelbar gewiß sind, ist das Gefühl. Das Gefühl ist also eine Form der Existenz, worin unser individueller Geist von seiner naturgesetzlichen Bestimmtheit frei ist. Denn unter dem Gesichtspunkte der Natur, d. h. für die theoretische Erkenntnis, müssen noch unendlich viele Bedingungen erfüllt sein, damit unsere Existenz gesichert ist, im Gefühl aber ist sie gesichert, ohne daß jene Bedingungen erfüllt sind. Allerdings wissen wir dadurch nicht, wie wir sind, sondern es ist uns nur gegeben, daß wir sind. Wir erleben einen Inhalt, ohne abwarten zu müssen, daß wir ihn erkennen. Machen wir andernfalls das Gefühl selbst zum Gegenstand der Erkenntnis, so wird es eben dadurch auch notwendig bestimmt; fragen wir z. B., warum wir jetzt gerade dieses bestimmte Gefühl, Angst oder Freude, haben, so ist auch dieser Inhalt an naturgesetzliche Bedingungen geknüpft; aber diese Bestimmung wird nicht erlebt, in meinem Ich ist sie für das Gefühl nicht vorhanden, ich fühle mich frei.

Daß das Gefühl, dieses einzigartige Zeichen der psychischen Einheit, wenn man es theoretisch betrachtet, d. h. zum Gegenstand der Erkenntnis macht, nun auch naturgesetzlich bestimmt ist, also eins in Raum und Zeit meßbare Größe haben muß, das erscheint vielleicht einer näheren Erläuterung bedürftig. Es ist dies aber genau in Einklang mit der ganzen Grundlage der hier vorgetragenen Auffassung. Folgende Vorstellungsweise ist ein Versuch, die Sachlage zu veranschaulichen.

Wir nannten psychophysische Energie denjenigen Teil der Energie unseres Nervensystems, deren Schwankungen wir als individuellen Bewußtseinszustand (oberhalb der Schwelle) erleben; an diesem Erlebnis unterschieden wir die Mannigfaltigkeit der Empfindungen und ihre Beziehung auf die Gesamtheit des Bewußtseinsinhalts als Gefühl. Jeder Bewußtseinsänderung muß eine Änderung der psychophysischen Energie sich zuordnen lassen. Was entspricht nun wohl psychophysisch einer Gefühlsänderung?

Erinnern wir uns, daß man bei den verschiedenen Formen der Energie in der Physik zwei Faktoren unterschied, die Intensität (oder das Potential) und die Kapazität (s. S. 104). Eine Veränderung in der Körperwelt kann nur eintreten, wenn Energie von einer höheren zu einer nieder« Intensität übergeht. Eine Veränderung unseres Bewußtseinszustandes kann also auch nur eintreten, wenn Energieaustausch zwischen der Umgebung und unserm Nervensystem eintritt. (Wir sehen dabei der Vereinfachung wegen von den innern Vorgängen im Nervensystem ab; man denke zunächst nur an den Fall der Wahrnehmung.) Eine solcher Energieaustausch aber ist ein Reiz, und der entsprechende physische Vorgang ist eine Empfindung oder ein Komplex von solchen. Es ist deswegen naheliegend, das Auftreten von Empfindung als das psychische Korrelat der Änderung des Intensitätsfaktors der psychophysischen Energie aufzufassen. In der Tat sehen wir, daß Druck, Spannung und Temperatur, die wir unmittelbar als besondere Qualitäten empfinden, physisch als Intensitätsfaktoren der betreffenden Energien meßbar sind. Wir erleben hier direkt die Schwankungen von Energiefaktoren, und zwar von Intensitäten. Hierbei dürfte von Bedeutung sein, daß die Stärke der Empfindung, dem Weber-Fechnerschen Gesetze entsprechend, nicht von den absoluten, sondern von den relativen Intensitäts-Unterschieden abhängt.

Es liegt nun der Gedanke nahe, daß wir auch die Schwankungen der Kapazitäten direkt erleben, nur nicht der Kapazitäten der einzelnen Energieformen, sondern der Kapazität der psychophysischen Energie. Gerade daß die verschiedenartigen Empfindungen im Erlebnis als eine Einheit des bewußten Zustandes auftreten, obwohl sie als Mannigfaltigkeit zugleich unterschieden werden, weist darauf hin, daß es die Eigentümlichkeit der psychophysischen Energie des Gehirns ist, die dieser Einheit des Erlebnisses entspricht. Deshalb ist die Hypothese nicht unberechtigt, daß das physische Korrelat des Gefühls in dem Kapazitätsfaktor der psychophysischen Energie zu suchen sei. Es ist ja die Eigentümlichkeit der Kapazitätsfaktoren, daß sie die Zugehörigkeit einer Energiemenge zu einem bestimmten System bezeichnen, sowie das Gefühl die Zugehörigkeit eines Erlebnisses zu einem bestimmten Individuum bezeichnet. Der Kapazitätsfaktor ist die Größe, die angibt, wieviel Energie bei einer bestimmten Intensität in einem Gebilde aufgenommen wird, z. B. wieviel Wärme bei einem bestimmten Temperaturzuwachs. So mißt z. B. die Masse (der Kapazitätsfaktor der Bewegungsenergie) die Eigenschaft der Objekte, bei gleicher Geschwindigkeit verschiedene Mengen Bewegungsenergie zu besitzen; eine fallende Bleikugel z. B. besitzt 11 mal soviel Energie als eine gleich schnelle und gleich große Wasserkugel. Das Volumen bestimmt die Einheit der Körper im Räume, insofern sie bei gleichem Druck verschiedene Raumenergie haben. So erfordert Wasser den 11fachen Raum wie ein gleiches Gewicht Blei. Die Kapazitäten sind also diejenigen Funktionen, der bei gleichen Intensitäten die Energiemengen als verschieden große unterscheiden lassen und damit die Individualisierung der einzelnen Raumgebiete bedingen. Also wird auch der Kapazitätsfaktor der psychophysischen Energie (man könnte ihn Empathie nennen) diese individualisierende Funktion haben, daß Inhalte, die objektiv, in quantitativer und qualitativer Hinsicht, in Rücksicht auf die Ordnung der Empfindungen, einander gleich sein mögen, doch einen individuellen Charakter als Einheit besitzen, d. h. daß sie sich – psychisch betrachtet – durch das den Empfindungsinhalt begleitende Gefühl unterscheiden. Wie die Kapazität über den Energiegehalt, so entscheidet das Gefühl über die individuelle Aneignung eines Inhalts. Die Stärke des Gefühls ist dabei nicht der Stärke der Empfindungen proportional. Die schwächsten Empfindungen können die stärksten Gefühle erregen. Es kommt eben auf die Schwankungen der Kapazitäten an, und von diesen wissen wir vorläufig so gut wie nichts. Eine neue Aufgabe! Doch ist wohl das Gefühl eben nicht, wie die Empfindung, in bestimmter Weise objektiv darstellbar, weil es die Beziehungen der Empfindungen zu dem Gesamtinhalt des Bewußtseins bedeutet – physisch gesprochen, weil die Eigenenergie des ganzen Nervensystems hier in die Bestimmung eintritt.

Daß das subjektive psychische Erlebnis deshalb nicht die Bestimmtheit des Objektiven besitzt, weil es als psychophysischer Energievorgang nicht zur Genüge bestimmbar ist, das ist wiederholt gesagt worden. Es könnte aber eingewendet werden, daß dies kein genügender Unterschied zwischen subjektiv und objektiv, zwischen Erlebnis und Erkennen sei. Denn auch jeder physikalische Versuch sei nur ein Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhange; vollständig könne überhaupt nichts gegeben sein. Ganz richtig. Aber der Unterschied ist dieser. Bei den physischen Objekten reichen die Daten zur Bestimmung aus, soweit sie zur Kennzeichnung des Systems für die vorliegenden Aufgaben nötig ist. Wenn sich bei der Berechnung Abweichungen von der Beobachtung ergeben, so sind eben nicht alle Nebenbedingungen berücksichtigt gewesen (was ja auch streng genommen nie möglich ist), aber die wesentlichen Bedingungen, auf die es ankommt, sind vollständig. Die Unendlichkeit der Aufgabe der physikalischen Erkenntnis liegt nur darin, daß jede Änderung auf die Änderung anderer Systeme hinweist, die sich nicht absolut abtrennen lassen. Beim psychophysischen Versuche oder Vorgange gehören dagegen diejenigen Bedingungen, die sich nicht berücksichtigen lassen, gerade zu den wesentlichen; denn es sind die Änderungen im psychophysischen Energiegebilde, im Gehirn selbst, ohne welche das Individuum den Energieprozeß nicht mit Bewußtheit erleben würde. Hier ist also der Ausschnitt aus der Gesamtordnung der Welt inbezug auf seine Grenzen gar nicht bestimmbar, während in der Physik die Grenzen angebbar sind. Die für das Psychophysische bestehende Unbestimmbarkeit ist also tatsächlich das charakteristische Merkmal, das den Inhalt als psychisch erlebt vom Inhalt als physisch bestimmbar unterscheidet.

Obwohl ich theoretisch als Individuum nur relativ bestimmt bin, finde ich doch im Gefühl eine Bestimmung von absoluter Geltung für meine Existenz. Das Gefühl ist demnach das Zeichen, daß ich nicht bloß von der Natur in meiner theoretischen Bestimmung abhänge, sondern eine praktische Bestimmung besitze. Alles was dazu gehört, daß ich in Raum und Zeit als dies bestimmte Einzelwesen erkannt werde, das ist als Natur in meinem empirischen Bewußtsein gegeben, aber die Bestimmungen des Bewußtseins überhaupt sind damit nicht erschöpft. Die Naturnotwendigkeit bestimmt zwar, wie wir sein müssen, wenn etwas anderes da ist, und wieder, welche Bedingungen hierzu erfüllt sein müssen, und so fort ins Unendliche; insofern ist sie die Voraussetzung unserer Existenz. Aber sie hat selbst noch eine Voraussetzung, nämlich das Bewußtsein. Sie setzt Bewußtsein als allgemeines überhaupt voraus, nämlich daß es Bestimmungen(Synthesis) gibt, und dann erst erklärt sie, daß unser individuelles Bewußtsein so und so sein muß, diesen oder jenen Inhalt hat; daß aber diese Voraussetzung erfüllt ist, läßt sich nicht wieder theoretisch erweisen, sondern die Gewißheit davon besitzen wir als Gefühl.

Es gibt also eine Synthesis, das Selbstgefühl unseres Ich, die selbst die Voraussetzung der Natur und damit die Voraussetzung unserer individuellen Existenz ist. Man beachte, daß es sich nicht etwa um einen Schluß im Kreise handle, das Ich bedinge die Natur, und die Natur bedinge das Ich. Jenes erstere Ich, das sich selbstfühlende Ich, und das zweite, das naturbedingte Ich, sind vielmehr zwei verschieden Dinge. Das naturbedingte Ich ist unsere individuelle Existenz in Raum und Zeit, die wie gezeigt, lediglich durch ihren Inhalt bestimmt ist (s. S. 147 f.). Das Ich als Selbstgefühl aber ist gerade das allgemeine, das allen individuellen Ich, die sich durch ihren Inhalt unterscheiden, in gleicher Weise zukommt. Nur jener besondere empirische Inhalt ist naturgesetzlich bestimmt, das Ich-sein als solches aber ist eine autonome Bestimmung im Bewußtsein, wodurch die Bestimmung von Inhalt, d. h. Einheit von Mannigfaltigem, somit Natur, erst möglich wird. Sie besagt, daß Individuen sein sollen; aber Individuen können nur im Inhalt, in der Natur, in Raum und Zeit wirklich sein.

Somit zeigt uns das Gefühl die Naturnotwendigkeit als ein Mittel, dessen Ziel das Ich selbst ist. Es zeigt, daß, obwohl alles, was wir in Raum und Zeit erleben, natur-notwendig als Inhalt bestimmt ist, doch das erlebende Ich als die bestimmende Einheit darin nicht aufgeht, sondern über seine endliche Bedingtheit hinaus auf etwas Unbedingtes hinweist. Nicht als ob wir irgend etwas erleben könnten, das nicht naturnotwendig bedingt wäre; aber daß wir überhaupt etwas erleben, das muß außerhalb der Naturnotwendigkeit begründet sein. Sonst wäre es nicht zu verstehen, daß wir als erlebende Wesen existieren und dieser Existenz absolut gewiß sind, während doch die Naturnotwendigkeit niemals mit allen ihren unendlichen Bedingungen im empirischen Bewußtsein gegeben ist.

Unsere Existenz muß also auf einem Gesetze beruhen, das von dem Gesetz der Natur, wodurch sich der Inhalt unseres Erlebnisses bestimmt, unabhängig ist; denn es nimmt das zu erreichende Ziel, wie wir existieren sollen, in der Bestimmung vorweg, daß wir überhaupt existieren sollen. Ein solches Gesetz, das die Richtung anweist, in der unsere Erfahrung sich entwickeln soll, nennt man eine Idee.

Da die Idee den Gesichtspunkt gibt, unter dem Erfahrung erst möglich wird, ist sie ihrem Wesen nach niemals vollzogen. Aber das Selbstgefühl ist uns das Zeichen, daß wir selbst eine solche Einheit darstellen, in welcher die in der Erfahrung nie vollendete Naturgesetzlichkeit als eine Bestimmung bewußt wird, die sich vollziehen soll. Eine solche Einheit, die ein Gesetz mit dem Bewußtsein in sich aufnimmt, es in sich zu vollziehen, nennen wir eine Persönlichkeit.

Infolge der Beschränkung durch das Gesetz der Schwelle sind wir ein individueller Geist, und als solcher ein Teil der Natur. Aber indem wir uns dieser Beschränktheit bewußt werden und doch zugleich unser Ich als ein Ziel erkennen, um derentwillen die unsrer individuellen Existenz übergeordnete Naturnotwendigkeit sich in der Einheit unseres Ich vollzieht, erheben wir uns über die Beschränkung durch die Natur; wir wissen uns als die Einheit, worin eine Idee sich verwirklicht, und damit werden wir Persönlichkeit.


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