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21. Die Verlobten.

(Siehe auch Abschnitt 27, Seite 224.)

Ein schlichter goldner Reif, ein einzig Wörtchen klein,
Doch eines Daseins Glück und Reichtum schließt es ein.

a) Die erste Annäherung.

Gar mancherlei mehr oder minder sichtbare Fühlfäden gehen dem eigentlichen Brautstande in geheimer, doch durchaus nicht unwesentlicher Tätigkeit und Wechselwirkung voraus.

Vorsicht in Heiratsangelegenheiten ist unserer zielbewußten, materiell veranlagten Zeit vor allem nachzurühmen, zumeist freilich nur hinsichtlich der äußeren Umstände, hinsichtlich der Familie, des Standes, der Lebensführung, des Vermögens. Die verborgenen, aber ungleich höheren Werte der Gesinnung, des Charakters, der Glaubensrichtung werden viel nebensächlicher behandelt oder auch ganz unbeachtet gelassen.

Ganz zu verachten ist indes diese Vorsicht nicht, schützt sie doch zuweilen vor schwerer Enttäuschung.

Vorsicht auf beiden Seiten vor Beginn oder beim Anbahnen eines innigeren Verhältnisses ist dringend anzuraten, namentlich muß Fremden eine etwaige Annäherung verborgen bleiben; so gern sind Neid, Mißgunst, Neugier bereit, sich der zarten Angelegenheit zu bemächtigen.

Der junge Mann, der sich von einer erst flüchtig bekannten jungen Dame gefesselt fühlt, habe er sie nun als Freundin seiner Schwester, in der Gesellschaft oder gelegentlich eines Sommeraufenthaltes, einer Reise kennen gelernt, wird dieselbe zuerst mit seinen Gedanken, sodann jedoch, gewinnt dieses Gefühl an Tiefe, mit all jener Aufmerksamkeit umwerben, die feine Lebensart gestattet. In zarter Weise, dies ist die vollkommenste Verehrung, und so unauffällig wie möglich.

Jeder junge Mann, der überhaupt einen künftigen Hausstand ins Auge zu fassen beginnt, sollte jedoch zuvor schon sich völlig klar legen, was er wünscht und beansprucht, und danach erst die Werbung einleiten; dies schon zur Schonung für das Empfinden und vielleicht noch ungeweckte Gegeninteresse der betreffenden Dame.

Treten seine Aufmerksamkeiten nicht aus dem allgemein zulässigen Rahmen heraus, so kann er auch dann noch die ihm notwendig dünkenden Erkundigungen über Familie und Vermögensstand unauffällig einleiten; doch darf natürlich noch kein werbendes Wort, kein Zeichen wachsender Vertraulichkeit vorangegangen sein.

Befriedigt das Ergebnis dieser mit größtem Takt zu unternehmenden Nachfragen nicht durchaus, der goldene Hintergrund ist ja leider meist die Hauptsache bei dem schönen Bilde, so kann der Rückzug noch in unauffälliger Weise erfolgen, doch geschehe dies durchaus rücksichtsvoll, ein schroffes Abbrechen wäre eine unberechtigte und unverzeihliche Beleidigung. Freundliche Aufnahme des stillen, kaum merklichen Werbens bedeutet das Verstehen und gewissermaßen das Eingeständnis der Umworbenen, darum nochmals auch aus diesem Grunde: Vorsicht!

Nach entschieden gefaßtem Entschluß darf jedoch die bisher stille Werbung deutlich sichtbare Form annehmen, auch die Welt darf darum wissen. Jetzt wird jede Gelegenheit gegenseitigen Zusammentreffens in Gesellschaft, auf dem Balle, auf der Eisbahn usw. wahrgenommen; mehr als der übliche Pflichttanz, vorzugsweise der Kotillon, darf angesprochen werden, die gelegentlichen kürzeren Gespräche vertiefen sich und gewinnen an Ausdehnung.

Die umworbene Dame, die dieser sichtbaren Auszeichnung sich nun nicht länger verschließen kann, muß zu diesem Zeitpunkt ebenfalls über ihr Empfinden durchaus im klaren sein. Sie darf keine Hoffnungen nähren, die sie nicht erfüllen kann oder mag, am allerwenigsten aber aus kleinlicher Eitelkeit oder Koketterie, dies wäre unwürdig und würde sich bitter rächen. Es kann ihr nicht schwer fallen, ihren Entschluß zu fassen, denn Neigung wie Abneigung sind starke und nicht mißzuverstehende Gefühle.

Gewiß ist es für jede charaktervolle Dame äußerst peinlich, derart sichtbar werdende Absichten nicht erhören zu können, allein ihr feiner Takt und ihr edler Sinn werden unschwer die richtige feine, doch nicht mißzuverstehende Ablehnung auch ohne Worte finden. Das Unausgesprochene ist immer noch das minder Peinliche in solchem Falle.

Schlimmer ist es schon, wenn der Herr die leise Ablehnung nicht verstehen will oder die Ereignisse sich so unvorhergesehen überstürzen, daß eine Erklärung nicht vermieden werden kann. In diesem Falle darf keine falsche Rücksichtnahme an Stelle der notwendigen Wahrheit treten. Alle Unklarheit, Bemäntelung, Beschönigung, die doch nur die deutliche Abwehr hinausschieben oder verhängnisvolle Täuschung hervorrufen müßte, ist streng zu vermeiden; klar und wahr, doch freundlich und taktvoll sei die Ablehnung, die doch einmal erfolgen muß.

Ein zurückgewiesener Antrag ist kein Triumph. Jedes feinempfindende Mädchen wird diese Erfahrung sorgfältig verschweigen. Nur die Eltern, die solche Geheimhaltung zur Bedingung machen müßten, wissen darum. Derselbe Takt wird bedingt, wenn Gewinnsucht das niedrige Leitmotiv der Werbung gewesen; Edelsinn kennt keinen Hinterhalt.

b) Die Form der Erklärung.

Die nach allem Vorausgegangenen wirklich beabsichtigte Werbung bedingt feinen Takt, ist aber keineswegs an irgendwelche Regel gebunden.

Sie kann schriftlich oder mündlich geschehen, enthalte sich aber aller geschraubten Phrasen und gesuchten Wendungen. Je natürlicher das ausgedrückt wird, was das Herz erfüllt, desto wirksamer und vertrauenerweckender ist es, steif und kalt braucht es darum durchaus nicht zu sein.

Wird die Werbung mündlich vorgebracht, so mag als passender Zeitpunkt der erste ungestörte Augenblick gelten. Was die begreifliche Aufregung an kunstgerecht zusammengestellten Satzgebilden verwischt, das ersetzt sie reichlich durch die Ergriffenheit des Tones, das Aufstrahlen der Augen, den Druck der Hand.

Auch die Antwort wird, direkt erteilt, erleichtert und ohne Wortschwall verständlich. Ein Blick, ein leises Wort, – das Empfinden bestimmt sowohl den Inhalt wie die Form. Mag nun diese auch nicht ganz mustergültig ausfallen, sie wird doch verstanden und mit Jubel begrüßt.

Zuweilen ist der schriftliche Antrag die richtigere Form. Dieser kann begründet sein durch getrennten Aufenthaltsort, zeitweilige Abwesenheit oder den Mangel überzeugender Beredsamkeit. Außerdem läßt sich schriftlich alles Nebensächliche und dennoch Unumgängliche viel klarer darlegen, lassen sich die Gefühle in gefälliger Weise ausdrücken, die Zukunftshoffnungen, welche man hegt, passend einflechten, die eigenen Lebens- und Vermögensverhältnisse ausführlich darlegen, eine Klarstellung, an welcher Eltern und Geliebte nicht nur berechtigtes Interesse haben, sondern auch unbedingt das Recht, sie zu verlangen.

Der schriftlichen Einwilligung der Eltern oder ihrer Bitte, ihr Haus aufzusuchen, folgt alsdann die mündliche Werbung, die sich wohl keiner Schwierigkeiten oder gar Abweisung zu versehen hat.

Nur im Zweifelsfalle lasse man der schriftlichen oder mündlichen Werbung ein vorsichtiges Ausholen über die etwaigen Gefühle der Angebeteten vorausgehen. In taktvollster Weise hat dies durch vertraute und vertrauenswürdige Vermittlung zu geschehen; Schwätzer und Allerweltsfreunde sind solch delikater Angelegenheit fernzuhalten.

c) Die abgewiesene Werbung.

Auch mit einem Nichterfolg im Werbungsfalle muß gerechnet werden. Selten genug wird der Freier sich ja soweit selbst täuschen, daß er trotz verständlicher Abwehr sein Ziel verfolgt, doch können zuweilen unvorhergesehene Verhältnisse die bestimmt erhoffte Zusage in ihr Gegenteil verkehren.

Wie dem auch sei, unschuldig oder durch eigene Verblendung hervorgerufen, der Freier hat sich auch mit einem Korb abzufinden, je taktvoller, gehaltener, ruhiger er dies tut, desto besser für beide Teile.

Unberechtigt und töricht wäre ein beleidigtes Aufbrausen oder empfindliche Gekränktheit, unzart und aufdringlich der Hinweis auf Bedenkzeit, taktlos das Erfragen des wirklichen oder vorgeschützten Grundes. Das Nein ist gesprochen, es genügt. Demütigend für das gehobene Selbstgefühl des Freiers ist der erhaltene Korb ja unleugbar, darum darf er jedoch die Formen tadelloser Höflichkeit der also beehrten Dame gegenüber niemals verletzen. War sie ihm wert genug, umworben zu werden, so kann ihr Wert durch diesen Irrtum, diese Selbsttäuschung oder ihre bessere Erkenntnis und ehrliche Offenheit nicht herabgemindert werden.

Die Vorsicht, die dem Freier bei Stellung seines Antrages anzuempfehlen ist, muß von dem jungen Mädchen, das einen solchen zu erwarten hat, in noch wesentlich erhöhtem Grade beobachtet werden.

Käme dasselbe mehrmals in die Lage, Körbe auszuteilen, so würde sie der Verurteilung schlauer Koketterie gewiß nicht entgehen. Daher ist anzuraten, sichtbar werdender Auszeichnung kühl zu begegnen, sobald deren Erhörung irgend ein Hindernis im Wege steht. Besser, selbst vergeblich glauben, als andere in ihrem Glauben täuschen. Was man still mit sich selbst abmachen kann, braucht das harte Urteil der Welt nicht zu fürchten.

d) Die Rechte und Pflichten des Brautstandes.

Mit dem Eintritt in den Brautstand, die Wonnezeit des Lebens, d. h. nach erhaltenem Jawort der Geliebten und deren Eltern, treten auch die Pflichten und Rechte dieses neuen Lebensabschnittes an die Verlobten heran.

Der Rechte sind indes nicht allzuviele, dies merke sich besonders der Bräutigam. Er darf den ausgesucht feinen Ton, die Gefälligkeiten und Rücksichten, die er der Angebeteten erwiesen, um keinen Grad der Braut gegenüber herabstimmen, es käme dies unberechtigter und verletzender Mißachtung gleich. Die Hochachtung, die der zuvor Fremden gewidmet gewesen, ist der beste Wall zwischen den sich Nähertretenden und darf nicht angetastet werden.

Kurz zusammengefaßt, gewähren diese Rechte dem Bräutigam den täglichen Besuch der Braut, das trauliche Du, das Begrüßen vermittelst eines Kusses, beim Kommen und Gehen. In Anwesenheit Fremder tritt der Handkuß an seine Stelle, alle auffallenden Zärtlichkeiten, alle Vertraulichkeiten wie die Berührung ihres Haares, ihrer Hände, Flüstern und Kosen sind als ungehörig zu vermeiden.

Die Braut, als die feiner Empfindende, Gehaltenere, vor der Leidenschaft Zurückbebende, wehre durch sanfte Bitte, Erinnerung oder nötigenfalls auch nicht mißzuverstehende ernste Abwehr alles unzarte Andrängen entschieden zurück.

Ein längeres Alleinsein der Verlobten verbietet sich von selbst, es würde den guten Ton sehr verletzen. Die Mitanwesenheit der Mutter, Schwester oder einer sonstigen weiblichen Verwandten gesetzten Alters ist stets geboten. Dasselbe gilt von Spaziergängen, Theater oder Ballbesuch; immer ist mindestens die Begleitung einer dritten Person heranzuziehen.

Nur bei ganz kurzen Tagespromenaden kann eine Ausnahme gemacht werden.

Bei schriftlicher Verbindung steht der Hauptteil des Briefaustausches dem Verlobten zu. Er soll öfter schreiben als die Braut, darf innigeren Ton annehmen, ausführlicher sein. Doch entbehre seine Mitteilung weder der Tiefe, noch der achtungsvollsten Ausdrucksweise; je mehr derselbe zu sagen weiß, desto besser, nur walte die blühende Phantasie nicht auf Kosten der Wahrheit.

Die Braut erwidere in längeren Zeiträumen und maßvoller Ausdrucksweise. Weiß sie mit schöner Handschrift und Form edlen und tiefen Gedankeninhalt zu verbinden, so wird dieser geistige Austausch eine Quelle reinsten Genusses werden.

Im Rosengarten der Brautzeit fehlen die Dornen keineswegs. Je häufiger der gemeinsame Verkehr, desto unvermeidlicher sind kleine Enttäuschungen, das Wahrnehmen gewisser Fehler und Mängel auf beiden Seiten.

Doch auch ungeahnte Vorzüge treten hervor, vielleicht in ungleich erhöhtem Maße. Diese, die uns beglücken, helfen jene mit Geduld ertragen; dem gegenseitigen Abschleifen in der Ehe geht dasjenige während des Brautstandes voran. Kleine Meinungsverschiedenheiten lösen sich befriedigend auf, können jedoch namentlich in Gesinnungs- und Glaubenssachen nicht durchaus vermieden werden.

Wirkliche Streitigkeiten sollten im Brautstand nie eine Stätte finden, sie würden dem Ehestand zu übler Vorbedeutung gereichen.

e) Brautgeschenke.

Unsere schöpferisch gestaltende Industrie, das zu wachsender Bedeutung gelangende Kunstgewerbe, Kunst und Literatur bieten ihre mannigfaltigen Erzeugnisse gerade für diesen Zeitabschnitt im Menschenleben in unermeßlicher Fülle zur Wahl. Und es ist auch gewiß, daß niemals freudiger, häufiger und reichlicher das Recht des Beschenkens geübt wird als gerade während der Dauer eines Verlöbnisses.

Es braucht dabei gar kein kalendermäßiger Anlaß wie Geburtstag, Weihnachten, Neujahr usw. zu sein; gleich zum Beginn des Verlöbnisses und immer aufs neue während der Dauer desselben öffnet sich die gebefreudige Hand, des Herzens aufrichtigen Gefühlen zu genügen.

Wer die Mittel und dazu einen verfeinerten, verwöhnten Geschmack besitzt, wird gern kostbare, wertvolle Geschenke auswählen, und kann freudiger Aufnahme derselben versichert sein. Als feststehend darf aber auch in diesem jedes Empfinden gesteigert zum Ausdruck bringenden Lebensabschnitt die Tatsache beachtet werden, daß der wahre Wert des Geschenkes nicht in seinem prunkvollen Äußeren, in seinem Geldwert steckt, sondern ganz allein in seiner sinnigen Bedeutung, in der Art des Gebens, im gewählten Augenblicke.

In der Hauptsache eignen sich Bücher, schöne Bilder, Noten, Kunstwerke aller Art, Schmuckgegenstände, am besten solche mit sinniger Bedeutung. Brillant- und Perlenschmuck, Schmucksachen aus Rubin, Saphir, Smaragd, Amethyst, Türkis, ein geschmackvolles Medaillon mit Bild und Haarlocke, ein einfacher Ring mit dem Verlobungsdatum, ein zierliches Armband, alles ist gleich willkommen, besonders wenn das Gefühl der Braut ein feines, zartes Annähern bedingt.

Vor allem jedoch erfreuen Blumen, vom zierlichen Gürtelsträußchen bis zum blütenbesäten Blumenaufbau; oft sagt der duftende Veilchenstrauß mehr als die teuersten Stücke aus dem Schaukasten des Juweliers.

Auch die Braut will gern erfreuen, doch darf daraus kein Wettstreit des Schenkens entstehen. Sie erwidert selbstredend nicht jede einzelne Aufmerksamkeit ihres Verlobten, denn sie darf solche unbedingt erwarten. Geburts- oder Namenstag, das Weihnachtsfest, den Beginn des Brautstandes wird sie indes gern durch ein passendes Geschenk bezeichnen. Dazu eignen sich Bücher, Kunstgegenstände, ein Medaillon mit Bild oder Haarlocke; vor allem nette Handarbeiten.

Früher schenkte die Braut wohl eine aus ihren Haaren geflochtene Uhrkette; diese etwas sentimentale Geschmacksrichtung ist längst über Bord geworfen. Eins aber halte man auch heute noch fest: Notwendige Dinge, wie sie die Gattin vom Gatten naturgemäß erhält, darf der Bräutigam nicht schenken, also keinerlei Bekleidungsstücke, Kleiderstoffe usw. Ebensowenig spende die Braut Krawatten, Morgenschuhe, eine selbstgestickte Weste oder sonstiges Kleidungsstück.

Brautgeschenke wollen zart behandelt sein, auch sie sind dem guten Ton der gebildeten Welt unterworfen.

f) Der Verkehr mit den Verwandten der Braut.

Ist der Bräutigam ein guter Sohn und ein Mann von Herzensbildung, so wird er seiner zukünftigen Schwiegermutter mit Liebe und Verehrung entgegentreten. Die Frau, die als Mutter der Braut beachtenswert und von Bedeutung gewesen, soll es auch ferner sein; sie kann unbedingten Respekt in Wort und Benehmen verlangen.

Der Mann, der sich unehrerbietig über »die Schwiegermütter« äußert, wird sich auch bald als »Ehekrüppel« bezeichnen, ein Armutszeugnis, das keines Kommentars bedarf.

Es ziemt sich, daß der Mann, der Aufnahme im Familienkreise begehrt, der Mutter der Geliebten mit ausgesuchter Hochachtung begegnet, sie hin und wieder durch kleine Aufmerksamkeiten zu erfreuen sucht, ihren Willen ehrt und etwaige kleine Eigenheiten mit Rücksicht erträgt.

Bei Meinungsverschiedenheiten steht ihm taktvolles Nachgeben wohl an, sei es auch nur bei bedeutungslosem Anlasse. Dies erleichtert nicht unwesentlich das Verharren auf feststehenden Grundsätzen edler Natur, kommen ernstere Fragen zum Austrag.

Dem Schwiegervater gegenüber mögen in der Hauptsache dieselben Vorschriften gelten, wenngleich derselbe vielleicht weniger Formvollendung beanspruchen dürfte. Höflichkeit, Zuvorkommenheit wird indes niemals unbemerkt bleiben; natürlich müssen derselben ganz gediegene Eigenschaften, geschäftliche Tüchtigkeit und ehrenwerter Charakter zugrunde liegen. Die persönlichen und beruflichen Interessen des Verlobten haben sich im Gespräch mit dem Schwiegervater dem Interessenkreis des letzteren unterzuordnen.

Mit den Geschwistern der Braut verbindet das neue Familienglied ein gleichfalls geschwisterliches Verhältnis. Größere Geschwister werden mit Achtung und Freundlichkeit, kleinere mit Nachsicht und brüderlicher Anteilnahme behandelt. Alle Neckereien sind zu vermeiden, sie verschulden meist recht unliebsame Differenzen, die in ernstliche, das schöne Verhältnis gefährdende Streitigkeiten ausarten können.

g) Der Verkehr mit den Angehörigen des Bräutigams.

Das ehrendste Zeugnis für die Braut ist die Eroberung der Mutter ihres Verlobten.

Mutterherzen pflegen schwach und empfindlich zu sein; Angst um die bisher ungeteilte Liebe des Sohnes läßt die Mutter daher dem neuen Töchterchen mit etwas eifersüchtiger Empfindung entgegenblicken.

Nun ist es an der Braut, mit allen Zeichen aufrichtiger Liebe und Verehrung sich der Mutter des Geliebten zu nahen, einer guten Tochter, die auch bisher treu ihre Kindespflicht erfüllt hat, braucht um den Erfolg nicht bange zu sein, denn sie bedarf keiner Vorschrift; doch auch diejenige, die sich auf sonnenlosen Lebenswegen vergebens nach Mutterliebe sehnte, wird die rechte Weise finden.

Liebenswürdig und wirksam ist ein Anschmiegen an ihre Wünsche, zarteste Rücksicht, Gefälligkeit, Teilnahme. Weises Nachgeben in Meinungsverschiedenheit, doch Festhalten an den eigenen Grundsätzen, an dem unvergeßlichen Glück erfahrener Eltern- und Geschwisterliebe sind zu empfehlen. Die Erfahrungen der alternden Frau stehen über denjenigen der unerfahrenen Braut, sie sind zu respektieren.

Auf den zukünftigen Schwiegervater nehme die Braut liebevoll Bedacht. Seine Eroberung mag in den meisten Fällen leichter sein, als diejenige der Schwiegermutter, je nach Art und Verhältnissen kann sie indes von der jungen Braut ein bedeutendes Maß von Fügsamkeit, Selbstbeherrschung und Takt verlangen. Am besten wirken frische, fröhliche Art und Weise, anmutende Heiterkeit, artiges Entgegenkommen.

Den Brüdern des Verlobten begegne die Braut unbefangen, freundlich, liebenswürdig, doch mit unsichtbarer Zurückhaltung, die keinerlei Freiheiten gestattet.

Den Schwestern desselben trete sie mit schwesterlicher Liebe, Güte und Teilnahme entgegen, gefällig und zuvorkommend. Ihrem eigenen Takte bleibt es indes vorbehalten, ihr bräutliches Verhältnis über dies geschwisterliche zu stellen, d. h. zu vermeiden, daß dieselben sich durch gewonnene Einsicht oder erstrebte Wichtigkeit zwischen Braut und Bräutigam stellen.

h) Das Verhalten in Abwesenheit des Verlobten.

Es ist durchaus nicht mehr Sitte, der Braut in Abwesenheit ihres Verlobten strenge Klausur vorzuschreiben. Im Gegenteil, im Schutze ihrer Familie oder befreundeter Familien kann sie wie zuvor recht wohl an allen Unterhaltungen teilnehmen, ein Zuviel vermeidet schon ohnehin ihr weibliches Taktgefühl. Besondere Auszeichnungen von Herren anzunehmen oder solche auszuteilen, geht natürlich nicht an, dies wäre ein Verstoß gegen den guten Ton.

Was Bälle betrifft, so hat der abwesende Verlobte nichts gegen die Teilnahme an solchen ohne seine Begleitung einzuwenden, die Braut braucht der harmlosen Freude des Tanzens nicht zu entsagen; nur den Kotillon, das deutungsreiche Scherzspiel der Tanzkunst, wird sie taktvoll übergehen.

Der rege Briefwechsel, den zeitweilig getrennte Verlobte zu eröffnen pflegen, darf nicht nach kurzer Dauer erlahmen. Im Gegenteil sollte er mit der Zeit an Tiefe und Interesse gewinnen und mehr enthalten als bloße Liebesbeteuerungen und hohles Wortgeklingel.

Natürlich ist auch hierbei die Braut die Maßvollere, Gehaltene, Feinempfindende. Sie schreibt nicht häufiger als ihr Verlobter, nicht herzlicher oder überschwenglicher, ihre Ausdrucksweise sei rein, zart und gewählt; die schöne Form verrate eigene Gedanken, feste Grundsätze, Natürlichkeit und Würde.

i) Die Verlobten der Gesellschaft gegenüber.

Mit der allgemeinen, gewöhnlich durch Versendung von Karten erfolgten Kundgebung des Verlöbnisses beginnt die Glückwunschpflicht der Bekannten, die Dankespflicht der Verlobten.

In neuerer Zeit werden einige »Gratulationstage« festgesetzt, Kurtage, an denen die Verlobten die Glückwünsche aller wohlmeinenden Freunde entgegenzunehmen gewillt sind. Etwas schroff mag diese knappe Begrenzung freundlicher Teilnahmebezeigung erscheinen, sie ist nur da wirklich gerechtfertigt, wo der anderwärts weilende Bräutigam nur wenige bestimmte Tage am Wohnort der Braut zubringen kann, oder wo die Braut selbst einen zeitraubenden Beruf ausübt, der ihr nur seltene und unbequem liegende Mußestunden gewährt.

Dankbesuche macht der Bräutigam in tadellosem Salonanzug, Frack, mit hellen Handschuhen; die Braut in heller, duftiger Toilette. Geschmack und Eleganz sind hier durchaus angebracht.

Bedient sich das Brautpaar zu diesem Zwecke eines Wagens, so werden diese Erwiderungsbesuche in Begleitung einer dritten Person gemacht, im anderen Falle jedoch allein.

Einzelnen Herren dankt der Bräutigam allein und bedient sich dabei des Oberrocks und dunkler Handschuhe. Nur in Familien stellt sich das Brautpaar gemeinsam vor.

Bei nahe bevorstehender Hochzeit oder bei gemeinsamer Hochzeitseinladung bedeuten diese Besuche zugleich die Verabschiedung der Braut.

Die Dauer des Brautstandes richtet sich nach den Umständen; Trauer, Domizilveränderung, Versetzung im Amt u. a. können eine rasche Vermählung bedingen, doch muß der Grund wirklich einleuchtend sein. Ein gar zu kurzer Brautstand entspricht im allgemeinen nicht den Regeln des guten Tons, der geliebten Tochter muß es ja so wohl im Elternhause sein, daß sie sich nicht hinauszusehnen braucht in die Ungewißheit des neuen Lebens. Tiefe Trauer verzögert gemeinhin die Vermählung ganz wesentlich.

Ist die Braut völlig verwaist, d. h. hat sie Vater und Mutter verloren, so wird sie sich über die Brautzeit in der Familie ihres Vormundes, bei Verwandten oder bei einer verheirateten oder älteren mütterlichen Freundin aufhalten. Nur dort kann sie die Besuche ihres Verlobten empfangen. Wie eine in die Zeit der Verlobung fallende nahe und tiefe Trauer den Tag der Vermählung naturgemäß weit hinausrückt, so kann andererseits eine Verlobung die bereits begonnene Trauerzeit sowie den Brautstand abkürzen und die Hochzeit näher rücken. Eigener Takt und die maßgebenden Verhältnisse haben hier zu entscheiden.

Langer Brautstand ist heutzutage nicht üblich und gewissermaßen mit Recht. Wohl klären sich die Gefühle, allein sie geraten auch in Gefahr, zu verflachen. Der Welt gegenüber findet sich kaum ein glaubwürdiger Grund für solch lange Zögerung, es sei denn das peinliche Zugeständnis, daß die Zukunft des sicheren Untergrundes noch ermangelt.

In erster Linie muß natürlich vorausgesetzt werden, daß die Verhältnisse und die Charaktere der Beteiligten zusammenstimmen. Verbindungen, die irgendwelcher Unsicherheit hinsichtlich der Charaktereigenschaften oder der Gesundheit des oder der Erwählten unterliegen, müßten ohnehin besser unterbleiben.

k) Die Auflösung eines Verlöbnisses.

Das Abbrechen eines Verlöbnisses ist immer peinlich und darf nur durch zwingende Gründe herbeigeführt werden. Doppelt wohl demjenigen, der vor Eingehen näherer Beziehungen sich nach jeder Richtung hin der gewünschten Charaktereigenschaften und Verhältnisse versicherte, spätere Enttäuschung bleibt dann ausgeschlossen.

Besser aber zeitige Lösung als späterer unheilbarer Bruch, der viel tiefer einschneidet, als die rasch vernarbende leichte Wunde.

Ist die Lösung unvermeidlich, so hat sie am richtigsten von seiten der Braut zu erfolgen. Sie wird dabei taktvoll verfahren und verschwiegen sein. Auch wenn der Bräutigam den Bruch einleitet, läßt er die Braut vor der Welt als die Zurücktretende gelten; daß auch er sich größten Zartgefühls und strenger Verschwiegenheit befleißigt, versteht sich von selbst.

Unbestimmte Gründe, die indes recht wohl glaubhaft sein können, werden als Anlaß zu diesem Schritte genannt. Es können sich Verschiedenheiten in Lebens- und Glaubensansicht, abweichende Neigungen usw. ergeben haben, die ein gedeihliches Zusammenwirken in Frage stellen müßten. Der wahre, zwingende Grund bleibt aus Schonung verschwiegen.

Üble Nachrede darf weder auf der einen, noch auf der anderen Seite stattfinden. Bei etwaiger Begegnung in der Gesellschaft stehen sich beide Teile fremd gegenüber, dürfen aber gerade darum keine der üblichen Höflichkeitsregeln verletzen.

Nach erfolgtem Bruch sendet der abbrechende Teil alle erhaltenen Geschenke zurück, besser ohne irgendwelchen Kommentar, als mit bitteren Bemerkungen. Es ist üblich, diese Abschiedssendung durch die selbst erhaltenen Geschenke zu erwidern; der Feinempfindende wird dies gewiß tun, doch gebietet es der gute Ton keineswegs.

Am geratensten ist es, nach erfolgter Auflösung des Verlöbnisses über die ersten Wochen geselligen Verkehr zu vermeiden, da taktlose Neugier sich kaum anders fernhalten läßt. Der Bräutigam wird vielleicht überhaupt am liebsten den Aufenthaltsort wechseln, die Braut verbleibt im Familienkreise und darf bekunden, wie wohl sie sich dort fühlt. Nach einiger Frist nimmt sie in unbefangener Weise wie ehedem in vollem Umfange an dem zuvor gewohnten und gepflegten geselligen Leben teil; kein Schatten trübe die klare Stirn, das helle Auge, kein anklagendes oder bitteres Wort gedenke der erfahrenen Täuschung.

l) Allgemeines über den Brautstand.

Neckereien können in Streitigkeiten ausarten, sie sind besser zu vermeiden.

Die Braut werbe ernstlich um die Liebe ihrer künftigen Schwiegermutter, sie behandle sie stets mit Auszeichnung.

Der Bräutigam erkennt den Charakter der Erwählten an ihrem Benehmen gegen das Gesinde, ihr Herz aber an ihrem Verhalten gegen Arme.

Ihr Äußeres, das ihn heute entzückt, ist dem Einfluß der Zeit unterworfen; er verlange darum nicht, daß sie in dreißig Jahren lieblicher aussehe als ihre Mutter heute erscheint. Immer aber ist der Kern wichtiger als die Schale, das bedenke!

Eifersucht mag als Würze dienen; die Würde des einen Teiles, das Vertrauen des anderen sollte sie jedoch gänzlich ausschließen.

In Gesellschaft befleißige sich das Brautpaar größter Zurückhaltung; verliebtes Tändeln muß andere langweilen, ihnen lächerlich erscheinen. Die Welt hat hundert Augen, wo wir sie blind wähnen, tausende, wo es die Befriedigung ihrer Neugierde gilt.

Die Braut strebe, dem Verlobten zu gefallen, edle Grundsätze halte sie fest. Was sie an ihm zu tadeln findet, vertraue sie andern niemals an.

Der Bräutigam sei die Stütze der Verlobten, wie er es als künftiger Gatte sein soll. Er mache die Unsitte nicht mit, sich auf ihren Arm zu stützen. Dies ist taktlos und zudringlich, und sollte, schon der unpassenden Berührung wegen, von der Braut entschieden zurückgewiesen werden. Außerdem verleiht es ihm den Anschein, als ob er sich auch ferner ihrer tatkräftigen Stütze und Versorgung zu bedienen gedenke.


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