Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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7

Am folgenden Tag, punkt vier Uhr, wie Jochen bestimmt hatte, ist dessen Verlobung mit Katrien zustande gekommen. Mit all dem Pomp und all der Herrlichkeit, die er vorbereitet hatte, mit der ganzen Wucht, die er zur Bedingung gemacht hatte, anfangs und, soweit er beteiligt war, auch mit der beabsichtigten Heiterkeit.

Eine Palme hatte sich freilich mit dem besten Willen nicht beschaffen lassen, aber sonst war der nach Lene und Heinrichs Ansicht wahnsinnige, auf Reolen und Bänken hinter dem Lehnstuhl des Hausherrn, gegenüber dem goldenen Wandspiegel aufgestellte Blumenhain fertig. Heinrich hatte einen Birkenbaum und eine Stechpalme hinzutun müssen. Sie sollten an Stelle der fehlenden Palme über dem Haupte des Siegers der Stimmung durch gelegentliches Rauschen nachhelfen.

Gerüchte kommen und entstehen und vergehen wie Federwolken in heißen Sommertagen.

Im Dorfe heißt es: Bei Harder Rickers ist was nicht in Ordnung, aber der Holzhändler wird alles in die Reihe bringen und die Katrien heiraten.

Was stürzen die Nachbarn ans Fenster?

Sie stürzen ans Fenster, weil die von dem Gerücht betroffenen Personen leibhaftig über die Straße gehen und beim Holzhändler einbiegen. Der alte Meister Rickers mit abstehenden grauen Spießern, Katrien jung und schön und blaß und bleich, aber wie ein Steinbild so ruhig und starr. Es scheint, als ob sie sich nach dem Kontor wenden wollen, aber Heinrich erscheint und redet auf sie ein. Da verschwinden sie über die Schwelle des Wohnhauses.

In Jochens bester Stube ist es gewesen. Jochen sitzt in seinem Blumen-, Birken- und Stechpalmenwald, besieht sich im Spiegel und findet ausnehmend Gefallen an sich und lächelt und lacht und ist freundlich und glücklich und steht auf und bietet die Hand, bietet beide Hände und heißt Vater und Tochter willkommen und sagt, daß er sich aufrichtig über ihr Kommen freue.

Und Katrien bleibt kalt und ruhig und fängt an zu sprechen. Es handle sich um eine Geschäftsangelegenheit ...

»Nicht ein bißchen Herzenssache?« unterbricht sie Jochen. Er ist jetzt ein guter, aber ein völlig guter Kerl.

»Nichts für ungut«, erwidert die Angeredete. »Ich weiß es nicht. Du, Jochen, magst es nehmen, wofür du magst. Ich kann in diesem Augenblick Geschäft und Herz nicht genau unterscheiden. Mein Herz ist etwas krank.«

»Es wird schon wieder gesund werden«, tröstet der gute Kerl.

Katrien ist eine redende Bildsäule. »Ich habe dich einstmals beleidigt, ich habe dich treulos und bübisch genannt, ich habe dir Herz und Gemüt abgesprochen. Ich habe dir unrecht getan, ich bitte dir alles ab. Du hast es vorausgesagt, es trifft ein, es wird alles eintreffen, was du prophezeit hast.«

»Das freut mich«, sagt Jochen.

»So komm ich«, sie zögert einen Augenblick, fährt dann aber unbewegt fort: »so komme ich denn mit meinem Vater, dich zu bitten, mich zu deiner Frau zu machen.«

Dem Holzhändler lacht das Herz im Leibe. Er will auch mit dem Gesicht, mit dem Mund, mit seinem Kehlkopf lachen, wie er sonst lachen tut, er will über seinen Sieg lachen, er will über das Lächerliche des ganzen Vorgangs lachen, er will aber auch gemütlich und gutmütig lachen, um seiner Braut über diese nun mal von ihm beschlossene, daher unabänderliche Demütigung hinwegzuhelfen, aber er lacht doch nicht. Seine Braut ist eigentümlich bleich und ernst. Er sucht sein Bild und ihr Bild im Spiegel, aber auch dort wird ihm nicht das erlösende Lachen. Denn auch im Spiegel ist sie ein Bild mit erloschenen Marmoraugen.

Er antwortet daher ganz angemessen und ganz ernst. »Recht gern heirate ich dich. Das ist ja immer mein höchster Wunsch gewesen, Katrien.«

»Mein guter Jochen«, erwiderte die Steinerne, »du mußt Tinchen sagen, mein liebes Tinchen!«

»Mit großem Vergnügen mache ich dich zu meiner Frau, mein liebes, geliebtes Tinchen. Ist es so recht?«

So war es recht.

»Was ich noch fragen wollte, liebes Tinchen, liebst du mich?«

»Aus reiner Neigung und aus tiefem Herzensgrunde. Warum sollte ich dich nicht lieben! Du bist ja der beste und edelste Mensch von der Welt. Du meinst es mit allen Menschen so gut.«

»Wahr ist es schon. Aber es ist doch wohl mehr, als ich verdiene.«

»Nicht doch, Geliebter. Du verdienst eine bessere Liebe, als ich dir gewähren kann. Komm in meine Arme!«

Als Jochen Riese von Katrien Rickers den Bräutigamskuß erhielt – das war ein Vorgang im Blumenhain, der einfach als rührend bezeichnet werden kann. Zugleich schwebte der Geist der Erhabenheit über den Blumentöpfen, über den Birkenreisern und über der Stechpalme.

Wie es kam ... gleichviel ... aber es war etwas da, das die Bäumchen des Blumenhains schüttelte. Darob schlugen die Zweiglein knisternd und raschelnd zusammen. Andere Ohren als die von Jochen Riese hätten andere Lieder gehört; dem großen Holzhändler aber erklang es wie Lorbeergetuschel ungetrübter Siege.

 

Es gibt eitle Leute, die sich bescheiden geben, im geheimen aber von einem brennenden Ehrgeiz verzehrt werden. Und es gibt eitle, selbstgerechte Menschen, die es jedem sagen, wie vortrefflich sie sind. Diese Offenheit steht mit einer gewissen kindlichen Gemütsanlage in Verbindung, die eine Freude daran hat, anderen Leuten gegenüber sich als Wohltäter auszuzeichnen.

Sie können grausam sein, diese Leute, wenn es ihre Ruhm- und Ehrsucht mit sich bringt. Vor allen Dingen soll der Gegner sich demütigen. Hat er das getan, so hört er auf, ein Gegner zu sein. Dann ist er nur noch ein Armer, ein Unterdrückter, ein Schutzbedürftiger. Da wird sofort die Seite des wohltätigen Beschützers und des großen Wohltäters hervorgekehrt. Aber das geschieht offen, protzend und eitel. Denn da diese Leute nun mal als Protzen geboren sind, so protzen sie auch mit ihrer Gesinnung.

Die Demütigungsszene war glatt von statten gegangen. Nun war Jochen Riese der große Wohltäter.

»So, Schwiegervater«, sagte er, »nun wollen wir das Geschäftliche ordnen. Du gehörst nun zu meiner Familie. Wie ein Sohn will ich an dir handeln. Heute sollst du Jochen Riese kennen lernen, wie er eigentlich ist. Siehst du, Vater, ich habe eine harte Hand. Ich hab aber auch eine weiche.«

Er legte eine dicke Brieftasche auf den Tisch und entnahm daraus ein Papier.

»Kennst dus? Besieh es genau. Hier steht mein Name ›Joachim Riese‹ quer über dem Wechsel, aber nicht von mir geschrieben. Ich habe ihn heute früh eingelöst.«

Er nahm den Wechsel in die Hand und faßte das Papier in der Mitte, um es zu zerreißen.

Darauf Katrien: »Halt!«

»Warum, Liebe?« fragte Jochen und lächelte glücklich. »Nein«, sagte er, »einhalten, wenn es gilt, ein gutes Werk zu tun, das tut Jochen Riese nicht. Sieh, Jochen Riese macht das so: Ritsch, ratsch! Er ist nicht mehr, er ist niemals gewesen.« Die Fetzen flogen in den Papierkorb.

»O!« seufzte Katrien.

Jochen hielt es für ein Weibergestöhne, das nichts zu bedeuten habe. Er sah in den Spiegel, sein Bild gefiel ihm.

»Ich habe auch meine Ehre«, sagte er stolz. »Ich hab es versprochen, ich hab es gehalten; ich heiße Jochen Riese.«

Ein Seitenblick ging wieder nach dem Spiegel.

»Und nun, Vater, zu dem anderen. O je, o je«, seufzte er und tat komisch und kratzte den Kopf, »was hast dir da zusammengeschnorrt! Hier ... Partsch & Ehrich ... vertrauenerweckende Leute ... hartgesottene Wucherer. Ich hab ihnen die Hölle ordentlich heiß gemacht. Und es hat sich gelohnt. Vierzig Prozent haben sie gestrichen, aber betrogen sind sie sicherlich nicht. Und hier Meier & Wolf leihen auch auf Wechsel, sind aber doch ein gut Teil anständiger. Bei denen Hab ich mich aufs Bitten gelegt ... fünfundzwanzig haben sie abgelassen und haben doch noch ganz gewiß einen hübschen Rebbes. – Und hier die Rechnungen.«

Als Jochen sie aus der Brieftasche zog, wurde sie recht dünn.

»Die von Paap, von Hansen, von Molzen, von Lubeseder, Franzen, Johannsen, und wie sie alle heißen« (Jochen warf eine ganze Handvoll Rechnungen auf den Tisch) »... alle quittiert, alles ehrliche Forderungen für ehrlich gelieferte Waren. Die haben ihr Geld selbstverständlich ohne Abzug erhalten.«

Jochen griff wieder nach der Tasche.

Da rief Katrien, und ein heftiges Rot färbte das Marmorgesicht: »Jochen, lieber Jochen. Zum ersten mal nenne ich dich so mit ein wenig Aufrichtigkeit und nicht nur Komödie spielend. Ich bitt dich, Jochen, hör auf, es sprengt mir das Herz.«

Er verstand sie wieder nicht. »O nein, Katrien«, sagte er, »da sei ruhig, es wird mir nicht zu viel. Wir behalten noch«, lachte er, »sei nur ganz ruhig.«

Er schwelgte förmlich in Selbstlosigkeit. Über die Züge des Mannes mit dem feinen Ehrgefühl flog etwas, das wie Glück aussah, wie das Glück, das unsere Seele nach guter Tat besser macht. – Palmen über dem Scheitel, Lorbeeren in den Locken! – Wenn sie auch nicht da waren, ihr Getuschel lag ihm doch im Ohr. Er war auf der Höhe, der Spiegel sagte es ihm; es handelte sich aber auch um den besten Trumpf, um seine sittlichste Tat.

Das letzte Papier zog er aus der Tasche. Nun war sie ganz dünn und faltig.

»Seht her!« sagte Jochen. »Hier ist ein Kontrakt, den ich mit meinem Schwiegervater eingehen will. Ich übernehme den ganzen Kram, ich übernehme ihn mit ›Schuld und Unschuld‹. Und die Kate soll dir, solange du lebst, verbleiben, als ob du freier Eigentümer wärst. Ich setze dir einen Altenteil aus – du darfst jeden Tag Braten essen und Weinsuppe, soviel du magst« (Jochen lachte zwar, aber er lachte genügsam über seinen Witz). »Und auf meiner Holzhandlung soll dein Altenteil eingetragen werden, du darfst selbst sagen, wieviel du gebrauchst. Dir, lieber Vater, soll es gut gehen, selbst wenn es mir mal schlecht ginge. – Nun?«

Jochen sah den Alten an und Katrien an, und wieder den Alten und nochmals Katrien. »Nun, was sagt ihr? Ist Jochen Riese ein guter Kerl oder ein schlechter?«

Über Harder kam es. Es übermannte ihn. Vor Rührung konnte er nicht reden, er konnte nur einzelne Worte herausstoßen. So sehr lag ihm der Krampf in Kinn und Rachen.

Jochen Riese sei ein guter, der beste Mann. Harder sprach eigentlich nicht, er würgte nur. Sprechen konnte er nicht. So sehr war er überwältigt.

Aber Katrien legte ihrem Bräutigam die Hand auf die Schulter. In tiefer Bewegung. In ihrem Gesicht ein verhaltenes krampfhaftes Schluchzen.

»Nicht weiter, Jochen. Ich wollte einfallen, aber du hast mich nicht verstanden. Ich will dir was sagen, ich will dir was abbitten, bevor es zu spät. Das andere, das war ja nur Eulenspiegelei, weil du es so wolltest. Aber das, was ich jetzt sage, kommt aus aufrichtigem Herzen. Ich habe zwar immer gewußt, daß der gut aufgehoben ist, der es über sich gewinnt, sich dir und deinem Willen zu unterwerfen. Aber ich hab dich darin doch wohl unterschätzt.«

Jochen Riese lachte. »Siehst du wohl, Tinchen! Habe ich nicht immer gesagt, wir würden uns finden?« Er lachte wieder so, wie ein guter Mensch über eine gute Tat lacht.

»Lach nicht so laut!« bat Katrien, »Dein Lachen geht mir durch und durch, ich kann es nicht ertragen. Sie ist so furchtbar ernst, diese Stunde. So, Jochen, wie du es verstehst, habe ich es nicht gemeint. Ich wollte dir ein gutes Wort sagen, bevor ich gehe. Denn wisse, in wenigen Stunden wirst du sagen, ich habe dich betrogen.«

»Du mich betrogen? Du gehen? Wie sollen wir das verstehen? Willst nach Amerika? Da wird nichts aus. Ich laß dich nicht. Wir lassen sie nicht, nicht wahr, Harder?«

Katrien war totenbleich. Sie griff sich krampfhaft nach dem Herzen. Dann legte sie die Arme ihrem Vater sanft um den Hals. Und küßte ihn. »Guter Vater, dich gehts zuerst an, dir tu ich das größte Weh.«

Sie löste ihre Arme und gab Jochen die Hand. »Auch von dir möcht ich in Frieden gehen. Auch dich, Jochen, bitte ich um Vergebung. Ich geh von euch.«

»Von uns? Wohin? Was soll das heißen?«

»Ich geh, weil ich Gift genommen habe und nur noch wenige Stunden lebe.«


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